Abg. Krätzig (Soz.): Vor einigen Tagen ist dem Reichstage ein Antrag des Kolonialwirtschaftlichen Komitees, betreffend Förde⸗ rung der Baumwollkultur, zugegangen. Wir würden nichts dagegen einzuwenden haben, wenn er der Budgetkommission überwiesen würde, um bei der Beratung des Kolonialetats mit verhandelt zu werden. Wir können aber nicht Bestrebungen unterstützen, die lediglich groß⸗ kapitalistische 82. verfolgen, wie gewisse Plantagengesellschaften. (Vizepräsident Dr. Paasche: Wir können doch nicht beim Reichs⸗ amt des Innern das ganze Industriegebiet und das Kolonialwesen er⸗ örtern. Der Präsident hat sowieso schon eine Abendsitzung für heute in Aussicht genommen. Wird so weiter diskutiert, so kommen wir überhaupt nicht weiter.) Es handelt sich doch hier um die Förderung von Handel und Gewerbe. (Vizepräsident Dr. Paasche: Darum handelt es sich bei diesem kleinen Titel nicht.) Die Handwerker und kleinen Gewerbetreibenden haben das Bedenken, daß durch solche Be⸗ strebungen das Gegenteil erreicht wird von dem, was wir wünschen, eine Verbilligung des Rohmaterials, das die Industrie nötig hat. Ich werde aber die Sache beim Kolonialetat zur Sprache bringen. Die Befürchtung, daß Amerika die von ihm erzeugte Baumwolle selbst ver⸗ arbeitet, trifft nicht zu; dem steht die Arbeiternot entgegen. Die Qualitätsware können uns fremde Länder nicht nachmachen, ist gesagt worden. In unseren Baumwollfabriken werden aber vielfach Frauen und Kinder beschäftigt. Die Arbeitszeit in den Baumwollfabriken müßte herabgesetzt werden, wenn die eite leistungsfähig bleiben sollen. Ich möchte den Geheimrat Paasche, der uns gestern so be⸗ weglich die Verhältnisse in Ostasien geschildert hat, bitten, sich einmal davon zu überzeugen, daß wir auch in Deutschland noch sehr viele Arbeitstiere haben. (Vizepräsident Dr. Paasche: Ich bin hier nicht Geheimrat, sondern Abgeordneter!) Ich möchte den Abg. Paasche bitten, sich einmal eine Jutefabrik in Braunschweig anzusehen. Die Aerzte wundern sich, daß die Textilarbeiter so unter Tuberkulose zu leiden haben. Die Leute sitzen in ihren engen Stuben, die Schwindsucht im Leibe und die Verzweiflung im Herzen. Die Mütter können sich um ihre Kinder nicht kümmern. Diese rutschen ohne Pflege auf dem Fußboden herum und nehmen so den Ansteckungskeim des Vaters in sich auf. Deshalb fordern wir die Verkürzung der Arbeitszeit. Darunter würde Industrie und Gewerbe nicht zu leiden haben. Die militärische Tauglichkeit der Textilarbeiter bleibt 42 % hinter dem Durchschnitt zurück. Das ist der beste Beweis für die Zustände. Solche könnte ich noch tausendfach anführen.
Vizepräsident Dr. Paasche: Ich mache den Redner zum zweiten Male darauf aufmerksam, etwas mehr bei dem Thema zu bleiben. Sollte er auch weiterhin diese Ermahnung nicht beachten, so würde ich mich genötigt sehen, auf Grund der Geschäftsordnung das Haus zu befragen, ob es den Redner weiter hören will.
Abg. Krätzig (Soz.): In Sachsen ist eine Firma ausgewiesen worden auf Grund eines Gutachtens der Handelskammer in Chemnitz, weil sie die Industrie dadurch geschädigt haben soll, daß sie zu hohe Löhne zahlt. Aber man unterstützt doch Handel und Gewerbe nicht dadurch, indem man die Firmen, die anständige Löhne zahlen, aus dem Lande jagt.
Der Titel 19 fordert 150 000 ℳ zur Förderung des Ab⸗
satzes landwirtschaftlicher Erzeugnisse und Unterstützung wissen⸗ schaftlicher, technischer und ähnlicher allgemeiner Bestrebungen auf dem Gebiete der Landwirtschaft.
Abg. Hoesch (kons.): Vor sieben Jahren hat sich die deutsche Gesellschaft für Züchtungskunde gegründet. Dadurch, daß sie vom Reichsamt des Innern materielle “ erhält, hat dieses eine Kontrolle über die Arbeitsleistung der Gesellschaft. Diese hat den schwierigsten Teil auf dem Gebiete der züchterischen Fragen auf sich genommen, und sie ist bestrebt, an bestimmten Stellen ihre prakti⸗ schen Erfahrungen zu verwerten. Deshalb wenden sich Landwirt⸗ schaftskammern, Zuchtvereine und ähnliche Korporationen an diese. Die Ansprüche, die man an sie stellt, wachsen tagtäglich, sodaß die be⸗ willigten Beihilfen nicht mehr genügen. Es ist deshalb nötig, daß die bisher zugebilligten Unterstützungen eine Erhöhung erfahren. Viel⸗ licht läßt sich dies so machen, daß aus anderen Teilen dieses Titels die Summe entnommen wird. Vielleicht ist es auch wünschenswert, für die Zukunft einen neuen Titel zu schaffen.
Abg. Wallenborn (Sentr.) tritt für Erhöhung und weitere Unterstützung der pomologischen Vereine ein.
Stellvertreter des Reichskanzlers, Innern Dr. Delbrück:
Meine Herren! Wenn mir hier eben der Vorwurf gemacht worden ist, (Zwischenruf) es soll kein Vorwurf sein — wenn ich ermahnt worden bin, in Zukunft wissenschaftlich und praktisch wert⸗ volles Material wie die Drucksachen des pomologischen Vereins mit den mir zur Verfügung stehenden Mitteln rechtzeitig zu deröffentlichen⸗ so kann ich natürlich nicht übersehen, inwieweit diese Ermahnung eine besondere Berechtigung hat oder nicht. Aber ich erkenne es immerhin als eine meiner vornehmlichsten Verpflichtungen an, derartige Publi⸗ kationen mit den mir zur Verfügung stehenden Mitteln zu fördern, zumal mir ja — was der Herr Vorredner vielleicht übersehen hat — auch unter Titel 15 b für diesen Zweck besondere Mittel zur Ver⸗ fügung stehen. Ich werde also den Wünschen des Pomologenvereins nachgehen und dafür sorgen, daß die Sachen nicht länger bei mir liegen bleiben, als absolut notwendig ist.
Sehr viel schwieriger ist es, der Forderung des anderen Herrn Redners zu entsprechen, der von mir größere Aufwendungen für Zwecke der Tierzucht verlangt. 150 000 ℳ sind überhaupt kein Geld, womit man anfängt, die Tierzucht zu fördern. Dazu gehören ganz andere Mittel. Es entsteht dann also die Frage, ob man diese Auf⸗ gabe, die von den einzelnen Bundesstaaten unter Aufwendung außer⸗ ordentlicher Summen bereits mit Erfolg betrieben wird, in ähnlichem Umfange im Reiche betreiben soll, oder ob ich mich im Reiche nicht darauf beschränken muß, nach Lage der Verhältnisse und der Finanzen des Reichs nur gelegentlich helfend in diesem oder jenem Falle einzu⸗ greifen, wo aus irgendwelchen Gründen eine sofortige und dringende Hilfe notwendig ist. Ich habe mich bisher darauf beschränken müssen, die Beihilfen dementsprechend zu bemessen. Ich kann daher auch nicht in Aussicht stellen wenn nicht eine völlig andere Gestaltung meines Etats eintritt —, für die Tierzucht mehr zu tun als bisher und soviel zu tun, wie ich es gern möchte, wenn die Förderung der Tierzucht zu den eigentlichen Aufgaben meines Ressorts gehörte.
Abg. Behrens (wirtsch. Vgg.): Wenn einmal die Maul⸗ und Klauenseuche ausgebrochen ist, dann reden wir hier, fassen Resolu⸗ tionen, aber alles bleibt immer beim Alten. Wir erfahren dann immer, daß der Bundesrat den Resolutionen deshalb keine Folge ge⸗ geben habe, weil die Seuche nicht mehr allgemein ist. Man sollte aber dann wenigstens die hier empfangenen Anregungen an die Landes⸗ regierungen weitergeben. Den Aeußerungen des Abg. Wallenborn über die Förderung des Obstbaues stimme ich zu. Aber ich glaube, daß auch dem Gemüsebau seitens des Reiches mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden muß. Wir müssen aber auch darauf sehen, ob wir nicht in die Lage kommen können, die Baumschulartikel, die wir aus dem Auslande beziehen, bei uns herzustellen. Ich möchte hier auf eine kleine Schrift aufmerksam machen, die sich mit der Notlage des Wein⸗ baues beschäftigt. Sie war die Folge einer Winzerversammlung in Landau, an der ja auch verschiedene Kollegen teilgenommen haben. Die kleineren Winzer sind infolge der Notjahre in eine Notlage ge⸗ raten und im langsamen Versinken. Es müssen Schritte auch seitens des Reiches unternommen werden, daß esegs die kleinsten Weinbauern weiter eristieren können. Auch den Arbeitsverhältnissen, die infolge der Abwanderung immer schlechter werden, ist Aufmerksamkeit zu schenken.
Staatssekretär des
Stellvertreter des Reichskanzlers, Innern Dr. Delbrück: 1
Es ist eine überaus dankenswerte Aufgabe, Anregungen zu geben und für andere zu bitten, und es ist ein überaus undankbares Geschäft, derartigen Anregungen, denen in der Regel ein berechtigter Grund⸗ gedanke nicht abzusprechen ist, aus formellen Gründen zu widersprechen. Aber ich möchte noch einmal darauf aufmerksam machen, daß tatsäch⸗ lich die Möglichkeit des Reiches, auf dem Gebiete des Obstbaues, des Gemüsebaues, der Viehzucht und dergleichen mehr mit großen Mitteln einzutreten, beschränkt ist. Wir würden zu einer vollständigen Desorganisation unserer Reichsfinanzen kommen, wenn ich mir nicht eine große Beschränkung auferlegte in der Verwendung der Mittel, die mir zur Verfügung stehen, und in der Anforderung weiterer Mittel. Wenn es ein Gebiet gibt, wo ich die Ueberzeugung habe, daß ein Eingreifen des Reichs, von formellen Bedenken ganz abgesehen, in erheb⸗ lichem Umfange nicht erforderlich ist, so ist das nach meiner Ansicht die Landwirtschaft, der Gartenbau und was damit zusammenhängt, weil ich die Ueberzeugung habe, daß auf diesem Gebiete die Bundesstaaten und die organisierte Selbstverwaltung der Landwirtschaft so außerordent⸗ liches leisten, daß für das, was wir von Reichs wegen daneben tun könnten, immer nur eine Kleinigkeit bleibt. Meine Herren, sehen Sie sich den Etat einer einzigen preußischen Landwirtschaftskammer an und überlegen Sie sich, was erforderlich wäre, wenn wir für den Umfang des Reichs eine ähnliche Tätigkeit entfalten sollten, wie das die Bundesstaaten tun, und zwar mit einem außerordentlichen Erfolg, wie das in Preußen auf verschiedenen Gebieten geschieht und speziell ge⸗ schieht auf dem Gebiete des Weinbaues in einer Anzahl der süd⸗ deutschen und westdeutschen Staaten. Also ich besorge Ihre eigenen Geschäfte gegen mein eigenes Herz (Heiterkeit), wenn ich Ihnen davon abrate, auf diesem Gebiete in Ihren Forderungen zu weit zu gehen.
Nun hat der Herr Abg. Behrens besonders darüber geklagt, daß in der gedruckten Nachweisung über die Resolntionen des Reichstags und die Beschlüsse des Bundesrats dazu sehr häufig nur ein ganz kurzer Be⸗ scheid vom Bundesrat gegeben ist: der Bundesrat hat es abgelehnt oder die Sache ist dem Herrn Reichskanzler überwiesen und dergleichen mehr. Ich würde diese Beschwerde vollständig berechtigt finden, wenn wir noch nach dem Verfahren derjenigen Staaten miteinander verkehrten, die keine moderne Verfassung haben, und wo Regierung und Landtag schriftlich miteinander verkehren. Dann würde der Herr Abg. Behrens allerdings berechtigt sein, sich über die lakonische Kürze dieser Spalte: Was ist darauf veranlaßt, zu beschweren. Da aber der Herr Abg. Behrens selbst anerkannt hat, daß wir uns über diese Resolutionen tagelang sagte er — unterhalten dürfen, so nimmt er es mir vielleicht nicht übel, wenn ich ihn bitte, die Motive zu diesen kurzen Erklärungen des Bundesrats in den langen Reden zu suchen, die wir bei Gelegenheit meines Etats über alle diese Dinge zu wechseln pflegen. Herr Abg. Behrens wird vielleicht die Gründe für die Ent⸗ scheidungen, die der Bundesrat trifft, in meinen Reden vom vorigen Jahre oder von früheren Jahren im großen und ganzen finden können. Er wird finden können, daß ein Teil der Anträge überholt ist durch das inzwischen in Kraft getretene Viehseuchengesetz und die dazu er⸗ gangenen Ausführungsbestimmungen der Bundesstaaten.
Wenn der Herr Abg. Behrens sich dann besonders darüber beschwert hat, daß wir auf dem Gebiet der Maul⸗ und Klauenseuche den Anforderungen, die an uns gestellt werden, so gar nicht entsprochen hätten, so möchte ich in der Hoffnung, daß ich damit vielleicht die Er⸗ örterungen bei dem Titel „Reichsgesundheitsamt“ etwas abkürzen kann (Heiterkeit), hierzu folgendes bemerken. Was im Augenblick aktuell ist, ist eigentlich nur die Frage nach dem Erreger der Maul⸗ und Klauenseuche und nach den Bekämpfungsmitteln. (Sehr richtig! rechts.) Unsere ganze neue Prophylaxe, wie sie im Viehseuchengesez und in den Ausführungsbestimmungen niedergelegt ist, müssen wir zunächst einmal ausprobieren und sich bewähren lassen, ehe wir mit Korrekturen und neuen Forderungen kommen. Was aber die Frage der Erforschung des Erregers betrifft, so haben wir uns hier ja wiederholt über die Schwierigkeiten unterhalten, die der Erforschung des Erregers und namentlich der Durchführung von Arbeiten zur Erforschung entgegen⸗ stehen. Nun ist im vergangenen Jahre der Wunsch ausgesprochen worden, wir möchten einzelne Leute, die auf diesem Gebiete erfolg⸗ versprechende Arbeiten unternommen haben, unterstützen. Das ist von meiner Seite geschehen. Ich habe insbesondere dem Privatforscher Dr. Siegel, der im vergangenen Jahre wie man glaubte den Erreger entdeckt hatte, Mittel zur Verfügung gestellt, ich habe ferner mit er⸗ heblichen Mitteln von seiten des Reichsgesundheitsamts die Arbeiten des Herrn Dr. Siegel, des Herrn von Nießen und des Herrn Präpa⸗ rators Greugel durcharbeiten lassen, ich habe Untersuchungen anstellen lassen über die sogenannten Hundemüllerschen und Bethaschen Körper, die leider zu dem Ergebnis geführt haben, daß wir wahrscheinlich auf keinem der von den verschiedenen Forschern beschrittenen Wegen zum Ziele kommen werden. Ich. habe dann dem Wunsche des Reichs⸗ tags entsprechend erneut die Frage geprüft, ob etwa eine eigene Arbeitsstelle des Reichs beziehungsweise des Reichsgesundheitsamts zur Erforschung des Erregers der Maul⸗ und Klauenseuche eingerichtet werden könnte. Nun wissen die Herren, daß bei der Virulenz dieses Erregers mit jedem Laboratoriumsversuch, mit jedem Versuch im Stall die Gefahr der Verseuchung der Umgebung verbunden ist, daß wir deshalb in Preußen alle diese Versuche überhaupt vom Land weg ver⸗ bannt und auf einer Insel in der Ostsee konzentriert haben. Ich habe versucht, selbst eine Insel ausfindig zu machen, auf der auch das Reichsgesundheitsamt entsprechende Forschungen anstellen könnte. Es ist mir aber bisher noch nicht gelungen, eine Insel zu finden (Heiter⸗ keit), auf der mir die Veterinärpolizei die Vornahme dieser Arbeiten gestattet hätte. Sie wollen daraus entnehmen, meine Herren, daß ich in der Erfüllung ihrer Wünsche nicht so säumig zu sein pflege, wie es der Herr Abg. Behrens eben angedeutet hat.
Abg. von Böhn (bons.): Ich glaube, daß eine größere Unterstützung der Gesellschaft für Züchtungskunde wohl empfohlen werden kann, ohne den Verdacht, ein begehrlicher Agrarier zu sein, auf sich zu laden. Ich möchte also den Wunsch des Abg. Hoesch, eine größere Summe für die Gesellschaft dauernd in den Etat einzustellen, warm unterstützen. Das empfiehlt sich auch im Interesse des Exports von Zuchttieren.
Stellvertreter des Reichskanzlers, Innern Dr. Delbrück:
Was den Export für Vieh betrifft, so wird dieser auch von mir unterstützt. Unter anderem hat die Deutsche Landwirtschaftsgesellschaft kürzlich ein für diese Zwecke bestimmtes Album herausgegeben mit
Staatssekretär des
Staatssekretär des
einer nicht unbeträchtlichen Unterstützung aus meinen Fonds. Das Album wird den Herren demnächst in 10 Exemplaren zugehen und ein deutliches Beispiel dafür sein, daß durch das Reich in den be⸗ scheidenen Grenzen, die ihm durch die Kompetenzen gesteckt sind, das erforderliche geschieht und es mir auch an Interesse für die Sache nicht fehlt.
Was die Gesellschaft für handelt es sich hier zweifellos in erster Linie um wissen⸗ schaftliche Zwecke, die die Interessen des ganzen Reiches be⸗ treffen. Ich habe die Gesellschaft seit dem Jahre 1908 regelmäßig unterstützt; sie hat Beihilfen von 10 000 ℳ jährlich bekommen. 10 000 ℳ sind im Verhältnis zu 150 000 ℳ, die überhaupt für diese Zwecke zur Verfügung stehen, eine ganz beträchtliche Unter⸗ stützung, und man kann mir beim besten Willen nicht den Vorwurf machen, daß mir das Interesse für diese Dinge mangelt. Ich bin auch gern bereit, zu prüfen, ob ich bei Gelegenheit in der Lage bin, die Beihilfe etwas zu erhöhen; aber da ich auch eine ganze Reihe anderer Forderungen zu erfüllen habe — die Herren haben ja gehört, was alles anf dem Gebiet unterstützt werden soll —, kann ich natür⸗ lich hier nicht versprechen, daß der Beitrag um einen bestimmten Be⸗ trag und regelmäßig erhöht werden kann.
Aber wenn der Wunsch ausgesprochen wird, daß diese Unter⸗ stützung etatmäßig werden soll, daß sie in den Etat meines Amts aufgenommen werden soll, so ist das eine Maßnahme, gegen die ich die ernstesten Bedenken zu erheben habe. Meine Herren, wenn eine Sache durch einen Verein betrieben wird, so ist es prinzipaliter Sache des Vereins, die Mittel aufzubringen, die zur Verfolgung seiner Ziele notwendig sind. Es geht aber nicht an und ist mit den Interessen des Reichs, der Staaten und der Kommunen nicht vereinbar, daß Vereine gegründet werden mit einem Ausgabeetat von 200 000 ℳ ich greife die Zahl beliebig heraus; ich habe keinen bestimmten Verein im Auge, aber ähnliche Fälle sind oft vorgekommen — und Mitgliederbeiträgen von 2000 ℳ und das übrige die Kommunen, das Reich oder der Staat aufbringen sollen. Das ist ein unerträglicher Zustand und unvereinbar mit geordneten Verhältnissen. Deswegen halte ich es für falsch, wenn in einem einzelnen Falle für einen Verein, der noch so vortrefflich sein mag und noch so vorzüglich arbeiten mag, dessen Ziele noch so billigenswert seien, Beiträge in den Etat eingestellt werden. Dann würde ich in der Lage sein, in wenigen Jahren 50 —100 Positionen dieser Art hier im Etat zu haben. Also ich warne davor in Ihrem Interesse, derartige Ansinnen an mich zu stellen, ich verspreche aber umgekehrt, soweit mir das nach Lage der Verhältnisse möglich ist, diese Gesellschaft weiterhin zu unterstützen, deren brauchbare und nütz⸗ liche Arbeit ich ohne weiteres anerkenne.
Abg. Dr. Wendorff (fortschr. Volksp.): Ich möchte der Befriedigung meiner Freunde Ausdruck geben, daß die Regie⸗ rung bemüht ist, der Maul⸗ und Klauenseuche Herr zu werden.
Zu dem Fonds von 20 000 ℳ „Beitrag für den Verband deutscher Arbeitsnachweise“ beantragt der Abg. Dr. Graf von Posadowsky (b. k. F.) mit Unterstützung aller bürgerlichen
2 1 1 8 8 15, 8 7 N Parteien, die verbündeten Regierungen zu ersuchen, den Betrag im nächstjährigen Etat angemessen zu erhöhen.
Abg. Dr. Doormann (fortschr. Volksp.): Bei den Arbeits⸗ nachweisen ist der wunde Punkt die Geldfrage. Seit 1909 unter⸗ stützt das Reich den Verband deutscher Arbeitsnachweise. Aus dem Jahresbericht des Verbandes wissen wir, daß seine Aufgaben gewachsen sind, und daß ihm die erforderlichen Mittel fehlen. Es liegt dem Staatssekretär darüber eine Denkschrift vor. Der Verband wünscht, daß die Unterstützung des Reichs von 30 /000 auf 50 000 ℳ erhöht wird. Der Staatssekretär würde mit Erfüllung dieses Wunsches ein früher gegebenes Versprechen einlösen. 3
Abg. Thöne: Wir stimmen dem Antrag des Grafen Posa⸗ dowsky zu, hätten aber gewünscht, daß er seinen Antrag selbst ver⸗ treten hätte. Wir halten eine reichsgesetzliche Regelung der Arbeits⸗ nachweise für notwendig; dabei muß auch die Arbeitslosenversicherung mit berücksichtigt werden.
Die Resolution wird einstimmig angenommen.
Es folgt das Ausgabekapitel: „Reichskommissariate”.
Zu den Ausgaben für die Reichsschulkommission 6500 ℳ begründet
Abg. Schulz⸗Erfurt (Soz.) folgende Resolution:
„ „Die verbündeten Regierungen zu ersuchen, dem Reichstag einen
Gesetzentwurf vorzulegen, durch den die Reichsschulkommission in
ein selbständiges Reichsamt für das Schul⸗ und Bildungswesen des
Deutschen Reichs umgewandelt wird.“ 1“
Es handelt sich hier nicht um eine Utopie des sozialdemokrati⸗ schen Zukunftsstaates, sondern um eine alte liberale Forderung. Cs kommt uns hier nur darauf an, das Prinzip festzustellen, daß eine Zentralstelle geschaffen wird. Ueber die Frage des Erlasses eines Reichs⸗ schulgesetzes werden wir uns einen eigenen Initiativanttag vorbehalten. Die Reichsschulkommission besteht ja schon, aber sie ist ein unzulänglicher Versuch mit untauglichen Mitteln, ein dürftiges Feigenblatt, um den militärischen Ausnahmezustand für die Wohlhabenden zu verdecken. 95 % Minderbemittelte, aber nicht Minderbegabte, sind von dem Vor⸗ recht der Einjährigenberechtigung ausgeschlossen. Im übrigen ist die Reichsschulkommission machtlos; sie hat keine Exekutive; sie hat unsagbar wenig zu bedeuten. Man weiß überhaupt nicht recht, welche Machtbefugnisse sie hat. Daher erklärt sich auch die vorjährige Rede des freisinnigen Vertreters zu dieser Frage und die traurige Ablehnung unseres Antrags. Für die Kulturaufgaben im engeren Sinne gibt es im Deutschen Reiche keine Zentralstelle. Das Deutsche Reich soll doch eine Kulturgemeinschaft bilden; die Einzelstaaten erfüllen diese Aufgabe nicht, vor allem nicht Mecklenburg, auf dem Schulgebiete. Jedenfalls fehlt es an einer Reichszentralstelle für Anregungen auf dem Schulgebiet. Der Staatssekretär hat ja selbst einmal sich eine Handhabe gewünscht, um das deutsche Volk nach der idealen Seite hin heben zu können. Unsere Resolution will ihm eine solche geben. Ihr können auch alle Parteien zustimmen, da wir ja kein Reichs⸗ schulgesetz fordern, für das übrigens auch schon in Lehrerkreisen Stimmung gemacht ist. Eine solche Zentralstelle finden wir z. B. in den Vereinigten Staaten. Sie ist dort zu einer pädagogischen Beobachtungsstation geworden. Wir wollen keine Schablonisierung des Schulwesens und keine Lahmlegung der einzelstaatlichen Befug⸗ nisse und der Kommunalbehörden. Aber die unsinnigen Verschieden⸗ heiten ließen sich leicht beseitigen, wenn wir über sie einmal Klarheit gewonnen haben. Wir haben ein Reichsgesundheitsamt, aber mindestens ebenso wichtig wie die Gesundheit ist doch auch die Schule.
Abg. Kuckhoff (Zentr.): Die Hoffnung, daß sich noch im Laufe dieses Jahres die Zentrumspartei zum Inhalt der Resolution bekehrt hätte, wird nicht in Erfüllung gehen, aus der Einsicht heraus, daß die Sozialdemokratie mit diesem Amt den ersten Schritt zu einem Reichsschulgesetz tun will. Die Schulfragen zu regeln, muß Sache der Einzelstaaten sein. Selbst von freisinniger Seite wurde früher ausgeführt, daß man ein solches Amt nicht für vorteilhaft halten könne. Der Abg. Schulz hat heute den Abg. Kerschensteiner in Gegensatz zu seinem Fraktionsfreund Bruckhoff gebracht. In der vorjährigen Diskussion hat aber der sozialdemokratische Redner auch dem Abg. Kerschensteiner erwidert, daß dieser mit seinen Schulreformgedanken nur die Geschäfte der herrschenden Klasse besorge; von einer, Ueber⸗ einstimmung in demokratischem Sinne scheint da also doch nicht viel
Züchtungskunde betrifft, so
nes Abg. Schulz war für mich eine angenehme Ueberraschung
line einheitliche
selbständige Entwicklung ihrer Schulen.
znu verhelfen.
orhanden zu sein. Ueber die Stellungnahme des Abg. Bruckhoff in vorigen Jahre habe ich mich gefreut. Die Soziai⸗ emokraten wollen doch vor allem die Schulen unter die Aufsicht tes Reiches bringen; dagegen müssen wir uns mit aller Kraft wwehren. Aus dem Auftreten unseres Freundes Dr. Pfeiffer folgt noch lange nicht, daß wir ein Reichsschulamt nötig haben. Eine Ver⸗ tündigung zwischen den einzelnen Bundesstaaten bedaͤrf auch noch lange nicht einer solchen Reichszentralbehörde. Ueber die onstigen Zwecke des Antrages ist wohl mit Absicht nicht viel nesagt worden. Der ganze Zweck dieses Antrages ist überhaupt nicht tie Förderung von Schul⸗ und Bildungsfragen, nicht die Hebung es Schulwesens, sondern die Errichtung eines Reichsschulamts, welches die Kompetenz der Einzelstaaten auf dem Schulgebiete be⸗ eitigt. Wir wollen keine Erziehung der Jugend zum klassenbewußten groletariat, sondern eine Erziehung im Sinne des deutschen Staats⸗ bürgertums, im Sinne eines christlichen Volkes. ie Reichsschul⸗ kommission hat eine Existenzberechtigung lediglich wegen der Not⸗
bwendigkeit der Prüfung der vorhandenen Lehranstalten auf ihre Be⸗
rchtigung, das Einjährigenzeugnis zu erteilen. Die Bestrebungen, gewisse Auswüchse dieses Privilegiums, vor allem die sogenannte „Presse“, zu beseitigen, machen sich nach wie vor geltend, aber die
Aatgegenstehenden Schwierigkeiten sind nicht leicht zu überwinden.
Die höheren Lehranstalten sind ja leider von solchen überfüllt, die ich nicht eine höhere Bildung erwerben, sondern sich das Einjährigen⸗ cugnis ersitzen wollen; diesem Uebelstande muß wegen seiner bedenk⸗ ichen Konsequenzen entschieden entgegengearbeitet werden. Man hat orgeschlagen, auch den Mittelschulen diese Berechtigung zu erteilen. Damit geraten aber auch die Mittelschulen auf Abwege, indem sie fatt einer fremden Sprache deren zwei in den Unterrichts⸗ klan aufnehmen und dadurch ihrem eigentlichen Zweck ent⸗ remdet werden. Die Besitzer des Einjährigenzeugnisses werden beute leider auch viel zu sehr bei den Behörden und sonst m praktischen Leben bevorzugt, auch damit muß gebrochen verden. Hier hat vor allem die Postverwaltung in den letzten Jahren ehr gesündigt. Zu begrüßen war der in diesem Sommer ergangene Frlaß des Kriegsministers, der die Ablegung der betreffenden Prüfung or einer Prüfungskommission auch densenigen, die von einer neun⸗ jufigen Mittelschule vor Vollendung des 17. Lebensjahres abgehen, Augesteht; aber sehr bedauerlich bleibt die gleichzeitige Vorschrift, daß jese sich in einer zweiten fremden Sprache umgesehen haben müssen. Pas ganze Privileg ist eine Crux für die höheren Lehranstalten; die seichsschulkommission muß hier nach Möglichkeit zu bremsen suchen. Die Auslandsschulen haben die Berechtigung zur Erteilung dieses heugnisses auch; es muß scharf darauf geachtet werden, daß es sich uch wirklich um deutsche Auslandsschulen, nicht um Schulen handelt, ie von deutschen Schülern im Auslande besucht werden. Fch habe eine bestimmte Anstalt im Auge. Es liegt die große Ge⸗
ahr vor, daß die Jungen, die bei uns nicht weiter kommen, in eine
Auslandsschule geschickt werden, um die Berechtigung zu erlangen.
arunter müßte unser Ansehen leiden. Abg. Dr. Kerschensteiner (fortschr. Volksp.): Die Rede Der
weisen Mäßigung Reichsschulamt ohne eine neue Forderung,
pialdemokratische Antag bleibt in seiner peit hinter dem vorjährigen zurück. Ein isziplinarische Befugnisse ist keineswegs ine Forderung der sozialdemokratischen Partei oder der beralen Demokraten. Im Jahre 1873 verlangte auf einem ongreß ländlicher Arbeitgeber ein Gutsbesitzer Knauer eine eichsgesetzliche Regelung des Schulwesens. Von da ab haben sich uch die deutschen Lehrervereine mit der Sache befaßt. Ich nöchte mich prinzipiell gegen ein Reichsschulamt erklären, das Reichsschulgesetzgebung durchführt, wohl aber lür ein Reichsschulamt als Beirat für alle möglichen chulangelegenheiten. Dafür hat sich auch ein preußischer ultusminister, Wilhelm von Humboldt, ausgesprochen. Diese und hnliche Vorschläge sind aus den Mängeln in unserem Schulwesen ervorgegangen. Diese Klagen sind um so häufiger, auf einer jer bheren Stufe eine Kultur steht. Eine Klage kommt umer wieder, die Klage der Bevormundung durch die Regierung, ber Mangel an Bewegungsfreiheit, über das starre Festhalten n alten Gesetzen, die über Hunderte von Jahren bestehen. ie Schule ist am wenigsten geeignet, in eine Uniform gesteckt zu herden. Ich liebe die Uniform sehr, in gewisser Beziehung, aber ich undere mich, daß Sie (zu den Sozialdemokraten) eine Vorliebe für ie Uniform haben. Es ist eine jugendliche Erscheinung in der Sozial⸗ emokratie, daß sie überall da, wo sich eine Wunde zeigt, als flaster ein Gesetz darauflegt. Gesetze müssen sein. Aber die jelen Gesetze lassen die omnipotenten Beamten unfehlbar erscheinen, enn der obere hat immer recht. Ich habe nichts gegen sechs un⸗ hlbare pädagogische Päpste, aber die größten Bedenken gegen mnen. Man kann sagen: Gott weiß alles, aber der Pro⸗ ssor weiß alles besser. In Erziehungs⸗, Religions⸗ und unstfragen bedeutet die Individualität alles, der Typus nichts, d in solchen Fragen ist eine einheitliche Reichsinstitution ein Hemmnis. Wie schädlich eine Zentralisation sein kann, können Sie der strammen Organisation des französischen Schulwesens sehen. in dezentralisierten Staaten ist man auf dem Schulgebiete weiter als zentralisierten. In der Schweiz, in den Vereinigten Staaten wachen e Einzelstaaten und selbst die Kommunen eifersüchtig über die Die Dezentralisation hat senn auch in dem demokratischen Nordamerika sehr segensreich gewirkt. Fm Staate Missouri dürfen die Gemeinden von über 3000 Ein⸗ ohnern auf ewige Zeiten ihre Schulen selbständig organisieren und ten, ohne daß der Staat sich einmischen darf. Dies Vertrauen der Kegierung zu den Gemeinden hat sich glänzend gerechtfertigt. un der Schweiz ist ein Bundesschulamt undenkbar. Gewiß haben wir chwere Schulsorgen. In manchen Kreisen besteht eine Erziehungsnot, ind darum begreife ich Ihren (zu den Sozialdemokraten) Antrag. Aber ih glaube nicht, daß wir auf diesem Wege zur Linderung der Not kämen. Hlauben Sie denn, daß die Einzelstaaten ihre Schulautonomie fgäben? Wir Süddeutsche befürchten sehr, dieses Reichsschulamt onnte einmal die Königlich preußische Uniform anziehen. Selbst die Königlich preußische Sozialdemokratie liebt die Uniform, ich rinnere nur an die Ketzerverbrennungen der letzten Jahre. Bir haben eine heilige Furcht vor der Uniform und der Hureaukratie. Ein Reichsschulamt mit legislatorischen Befugnissen äre höchst bedenklich. Ein Reichsschulbeirat dagegen, wie er n den Vereinigten Staaten besteht, köͤnnte segensreich wirken. Will nan das aber nicht, so müßte man der bestehenden Reichs⸗ chulkommission neue Aufgaben zuweisen, z. B. die Auf sahme einer Reichsschulstatistik, ein Reichsschulmuseum, eine eichsschulbibliothek und ein Reichsschularchiv. Auch volks sseberische Fragen sollten zu ihrer Aufgabe gemacht werden. Uerdings müssen wir zunächst politisch und wirtschaftlich gesichert ein, aber wehe dem Staate, der nicht auch die dritte Aufgabe er⸗ üllt, die Kulturfrage. Unsere gegenwärtige Reichsschulkommission hat nur die Aufgabe, den Söhnen Wohlhabender zu den Schnüren “ Es gibt Kreise bei uns, denen die Schnüre alles sind, nd die Bildung nichts. Die Schulverhältnisse können nicht ge⸗
unden, wenn wir auf diesem Gebiete nicht die nötigen Schritte tun. Pn der Reichsschulkommission sitzen ja ansgezeichnete Pädagogen, aber
n wagen sie es nicht, an dem bestehenden Zustande zu rütteln. 18 Ausweg gäbe es nur dadurch, daß das Einjährig⸗Freiwilligen⸗ 88 tbedeutend erweitert würde. Zum einjährigen Dienst 8 -—t man weder eine fremde Sprache noch Logarithmen, nd an nur einen gesunden, gewandten Körper, offenen Kopf uch 10gG anständige Gesinnung, diese ist aber keineswegs vom Be⸗ feediner hhöheren Lehranstalt abhängig. Die Wehrordnung sieht segabnege Ausnahmen vor, aber doch nur für den Fall der Kunst⸗ eme ung und dergleichen. Beim Militär verlangt man doch emne Kunststücke. Man verlange nicht Wissen von den Ein⸗ seegen. sondern Fähigkeiten. Zeigt jemand im ersten Jahre nstande ht, so mag er ruhig weiterdienen. Der jetzige elne wo die Berechtigung zum Einjährigen für die ein⸗
n Lehranstalten ganz verschieden geregelt ist, wo in einer
neunklassigen Schule ein Zögling die Berechtigung schon mit 15 Jahren, in den Seminaren dagegen erst nach Absolvierung der Anstalt erlangen kann, ist unhaltbar. Wir sind für den sozial⸗
demokratischen Antrag nur insofern, als das Reichsschulamt nicht gesetzliche Befugnisse erhält.
Hierauf wird um 6 ¼ Uhr die weitere Beratung auf heute abend 8 Uhr vertagt.
8 Abendsitzung. *
Das Haus setzt die Beratung der sozialdemokratischen 9 5 ’. 9 8 S † . R 1 1 f Resolution wegen Schaffung eines Reichsschulamts fort.
Abg. Zuern (Rp.): Der sozialdemokratische Redner hat sich zwar in der Begründung der Resolution einer anerkennenswerten Mäßigung befleißigt, wir können aber seinem Vorschlage nicht zustimmen. Seine Partei verfolgt mit ihrer Resolution offenbar parteipolitische Ziele. Kein Gebiet verträgt so wenig die Hineintragung der Parteipolitik als die Schule. Außerdem gehört das Schulwesen zur Kompetenz der Einzelstaaten. Ein Reichs⸗ schulamt würde die Reglementiererei in der Schule nur vermehren. Diese braucht Ellbogenfreibeit. Was für Süddeutschland paßt, paßt noch lange nicht für Norddeutschland; was für den Westen paßt, paßt nicht für den Osten. Die preußische Schule ist vorbildlich, auch für das Ausland. Die preußische Schulver⸗ waltung und die preußischen Lehrer verdienen alle Anerkennung. In Schulfragen muß auch die Kirche gehört werden. Sie soll in der Schule nicht herrschen, wohl aber ihr dienen. Die Soztaldemokraten freilich möchten die Religion aus der Schule ganz verbannen. Da⸗ gegen müssen wir entschieden Front machen. Mit einer Reform des Einjährig⸗Freiwilligen⸗Instituts sind wir einverstanden.
Abg. Gröber (Zentr.): Ich beantrage die Vertagung und be⸗ zweifle zugleich die Beschlußfähigkeit des Hauses.
Vizepräsident Dr. Paasche: Ich muß diesen Zweifel teilen und kann nur lebhaft bedauern, daß die Verhandlung nicht fortgeführt werden kann. Ich beraume die nächste Sitzung an auf Freitag! Uhr pünktlich mit der Tagesordnung: Kleine Anfragen und Fortsetzung der heutigen Beratung. “
Schluß 8 Uhr 14 Minuten.
Haus der Abgeordneten.
117. Sitzung vom 23. Januar 1913, Vormittags 11 Uhr. (Bericht von „Wolffs Telegraphischem Bureau“.)
Ueber den Beginn der Sitzung ist in der Nummer d. Bl. berichtet worden.
Das Haus setzt die zweite Beratung des Etats der landwirtschaftlichen Verwaltung fort.
Der Titel „Zuschüffe zu ländlichen Fortbildungs⸗
8 ö5 8 — 1 schulen“ weist diesmal 110 000 ℳ mehr auf. Hierzu bemerkt
Abg. Dr. Heß (Zentr.): Bei der Verteilung der Zuschüsse werden die Provinzen nicht gleichmäßig bedacht. So steht ganz be⸗ sonders der Westen hier weit zurück. Der Minister hat ja selbst zu⸗ gegeben, daß bei der Verteilung der Zuschüsse der Osten besser ab⸗ schneidet. Zu wünschen wäre es auch, daß die Zuschüsse und die dafür ausgeworfenen Summen so rechtzeitig bekannt würden, daß noch Wünsche vor Fertigstellung des Etats geäußert werden können. Wie ungleich die Verteilung dieser Zuschüsse ist, ersieht man auch daraus, daß diese für die ländlichen Fortvildungsschulen von Jahr zu Jahr gestiegen sind und sich trotzdem das Verhältnis immer mehr zu ungunsten des Westens verschoben hat. Man soll doch berück⸗ sichtigen, daß es auch im Westen, so im Rheinlande, sehr arme Ge⸗ meinden gibt, denen die Unterhaltung dieser Schulen sehr schwer fällt. Ich bitte den Minister, dafür Sorge zu tragen, daß diese Ungleichheit in Zukunft beseitigt wird. Wir betrachten diese Schulen als ein wichtiges Glied in der Jugendpflege. Da wir die Religion als die beste Grundlage in der Jugendpflege ansehen, so treten wir auch dafür ein, daß sie die Grundlage in den ländlichen Fortbildungsschulen bildet. Ich begrüße, daß für die Haushaltungsschulen höbere Mittel in den Etat eingestellt worden sind. Wenn der Zweck der Haus⸗ haltungsschulen erreicht werden soll, dann müssen die Kurse vermehrt werden. In jedem Kreise müßten mehrere Haushaltungslehrerinnen im Hauptamte tätig sein. Die östlichen Provinzen erhalten für ihre Schulen auch bedeutend höhere Zuschüsse als die westlichen.
Abg. Korfanty (Pole): Für die ungleichmäßige Verteilung der Zuschüsse ist einzig und allein die Polenfrage ausschlaggebend. Die Schule in den polnischen Landesteilen hat nicht den Zweck, der Jugend etwas auf den Weg des Lebens mitzugeben, sondern sie will die polnische Jugend zu einer deutschen machen. In einer Schule wurde den polnischen Schülern das Aufsatzthema gestellt: „Warum bin ich nicht und warum kann ich nicht Pole sein?“ Das bedeutet eine nichtswürdige Verhöhnung der polnischen Nation. Die Schule in den polnischen Landesteilen wird ausschließlich als Germanisations⸗ mittel benutzt.
Abg. Hoffmann (Soz.): Die Fortbildungsschulen auf dem Lande haben nur die Aufgabe, unterwurfige Ausbeutungsobjekte für die Junker zu erziehen. Von 14 Jahren ab ist man gesetzlich in bezug auf die Religion mündig und kann nicht mehr zur Religion gezwungen werden. Wenn die Religion in die Fortbildungsschulen gebracht wird, können uns nur die Lehrer leid tun; wir werden dafür sorgen, daß die Schüler im Religionsunterricht Fragen stellen, die die Lehrer in Verlegenheit bringen.
Abg. Dr. Glattfelter (Zentr.): Ich möchte wiederum auf den Wert des Hauehaltungsunterrichtes für Mädchen durch Wander⸗ kurse hinweisen und mache dann den Abg. Hoffmann darauf auf⸗ merksam, daß er sich von dem Religionsunterricht in den Fort⸗ bildungsschulen ein ganz falsches Bild macht. Das wird nicht ein Unterricht wie in der Volksschule sein, sondern es wird sich um religiöse Vorträge handeln, für die natürlich eine andere Form zu wählen ist als für den Unterricht in der Volksschule. Wir müssen unsere Jugend vor den staatsfeindlichen Bestrebungen bewahren. Wir wollen sie uns für die Familie, für den Staat und die Gesellschaft erhalten.
Minister für Landwirtschaft, Dr. Freiherr von Schorlemer:
Meine Herren! Herr Abg. Heß hat in Uebereinstimmung mit dem im vorigen Jahre geäußerten Wunsche auch jetzt wieder darauf aufmerksam gemacht, daß die Statistischen Nachweisungen, die in meinem Ministerium herausgegeben werden, so spät erscheinen, daß ihre eingehende Prüfung vor den Etatsdebatten kaum möglich er⸗ scheint. Ich hatte mich im vorigen Jahre bereits dahin ausgesprochen, daß ich nach Möglichkeit die Fertigstellung dieser Nachweisungen be⸗ schleunigen wolle. Das ist meinerseits auch geschehen. Aber der Umfang des Materials, das in diesem grünen Heste vorliegt und ausnahmslos, kann ich wohl sagen, aus Zahlen besteht, ist doch ein so gewaltiger, daß es eben auch bei anstrengender Arbeit nicht möglich ist, die Nachweisungen früher, wie es bisher geschehen ist, fertig⸗ zustellen. Da sich die Nachweisungen in ihrer Mehrzahl, zudem auf ein abgeschlossenes Etatsjahr beziehen, so können jetzt erst die quf das Etatsjahr 1911/12 bezüglichen Angaben vorliegen; der Band für 1911, der hiernach bis zum 31. März 1912 reicht, ist vor wenigen Wochen erschienen. Die Nachweisungen wesentlich früher zu veröffentlichen,
gestrigen
Domänen und Forsten
wird aus den angegebenen Gründen auch künftig kaum möglich sein. Meine Herren, Sie müssen sich also mit dem Matertial begnügen, das nach Lage der Dinge vorgelegt werden kann. Aber es hat ja auch für Herrn Abg. Dr. Heß genügt, um daraus seine weiteren Schluß⸗ folgerungen zu ziehen.
Meine Herren, ich habe mich bereits gestern über die sogenannte Imparität in der Verteilung der staatlichen Zuschüsse für den Osten und Westen ausgesprochen und glaube, mich darauf und auf dasjenige, was ich schon im vorigen Jahre hervor⸗ gehoben habe, im wesentlichen beziehen zu können. Die Klagen aus dem Westen wären zweifellos dann begründet, wenn mit ihnen zugleich der Nachweis erbracht werden könnte, daß wichtige und notwendige Einrichtungen, insbesondere also auch die weitere Errichtung länd⸗ licher Fortbildungsschulen, durch den mangelhaften Stagts- zuschuß in Frage gestellt wären. Das ist aber nicht der Fall. Ich habe bereits gestern darauf hingewiesen, daß gerade die Rheinprovinz und ebenso der größere Teil von Westfalen in der glücklichen Lage ist, sowohl aus eigenen Mitteln der Gemeinden wie auch der Provinz so viel für die Unterhaltung und Errichtung solcher Anstalten zu leisten, daß für den Staat verhältnismäßig wenig zu tun übrig bleibt.
Meine Herren, wer wie der Westen den Vorzug hat, in der Kultur so fortgeschritten und in seinen finanziellen Erträgnissen auch verhältnismäßig günstig gestellt zu sein, muß es sich für diesen Vorzug auch gefallen lassen, daß staatlicherseits die wirtschaftlich zurück⸗ gebliebenen Gegenden höher unterstützt werden als diejenigen, die einer gleich hohen Unterstützung nicht bedürfen. Der Gesichtspunkt der An⸗ regung, die durch die Staatszuschüsse gegeben werden soll, ist doch auch in diesem Falle nicht ganz außer acht zu lassen. Wenn einmal auf dem Gebiete des Fortbildungsschulwesens ein ge⸗ wisser Beharrungszustand erreicht und das wesentliche auf diesem Gebiete geleistet sein wird, dann ist es für die Staatsregierung sehr viel leichter, eine gleichmäßige Verteilung der Zuschüsse, wenigstens im Laufe der Jahre, herbeizuführen und dem Vorschlage des Herrn Abg. Dr. Heß zu folgen, nämlich den einzelnen Bezirken bestimmte Summen zu überweisen, mit denen sie den Bedürfnissen auf diesem Gebiete nachkommen können. Rein schematisch und zahlenmäßig übereinstimmend lassen sich die Zuschüsse nicht verteilen; das ist vor⸗ läufig ausgeschlossen. Wenn ich in diesem Augenblick zum Zweck einer möglichst gleichmäßigen Verteilung der Staatszuschüsse dem Osten einen Teil seiner Beihilfen entziehen wollte, so würde das nur die eine Wirkung haben, daß ein Teil der bereits ins Leben getretenen Fortbildungsschulen den Betrieb einstellen müßte. Das kann auch nicht Ihre Absicht und Ihr Wille sein.
Von Herrn Abg. Korfanty ist nun hervorgehoben worden, daß diese Imparität oder Disparität im wesentlichen auch wieder durch die Stellungnahme der Staatsregierung gegenüber den polnischen Be⸗ strebungen herbeigeführt sei. teilweise Recht geben. Es sind nicht allein die Provinzen Posen und Westpreußen, sondern auch andete östliche Landesteile, in denen polnische Bestrebungen nicht in Frage kommen, die ebenfalls mit höheren Zuschüssen bedacht worden sind als die westlichen Provinzen. Daß wir im übrigen mit den Fortbildungsschulen gleichzeitig auch eine nationale Erziehung der Jugend zu erreichen suchen und aus. diesem Grunde Anschauungen wie die des Herrn Abg. Korfanty in den Fortbildungsschulen nicht pflegen dürfen, darüber kagn, glaube ich, auch bei der großen Mehrheit dieses Hauses kein Zwohfel obwalten. Die Königliche Staatsregierung wird daran unter allen Umständen und unbedingt festhalten.
Andererseits ist es ebenso klar, daß auch die Wünsche des Herrn Abg. Dr. Hoffmann (Heiterkeit) keine Berücksichtigung in der Fort⸗ bildungsschule finden können. Was die religiöse Unterweisung der Jugend angeht, so habe ich schon bei einer Verhandlung im Herrenhause Gelegenheit gehabt, die Stellung der Staatsregierung in dieser Frage zu präzisieren. Ich möchte heute nur kurz nochmals darauf hinweisen, daß bereits im Jahre 1897 der Kultusminister und die Minister für Handel un) Gewerbe und für Landwirtschaft einen ge⸗ meinschaftlichen Erlaß herausgegeben haben, in dem insbesondere auch die Wichtigkeit der religiösen Erziehung betont und gleichzeitig den Regierungspräsidenten ans Herz gelegt wurde, dafür zu sorgen, daß den einzelnen Religionsgesellschaften die Möglichkeit gegeben würde, im Anschluß an den Unterricht an der Fortbildungsschule auch religiösen Unterricht zu erteilen. Diesen Standpunkt nimmt die Königliche Staatsregierung auch heute noch ein. Sie ist nicht der Ansicht, daß die Fortbildungsschule, soweit sie sich nicht als aus schließliche Fachschule charakterisiert, nur die Ausbildung der Schüler in einzelnen Lehrfächern zu erzielen habe, sondern daß die Fortbildungs schule, die wir im Sinne haben und auf dem Lande pflegen wollen, sich auch an das Herz und an das Gemüt, nicht nur an den Verstand wenden soll. Sie soll auch an dem Standpunkt festhalten, daß die weitere Ausbildung die religiöse Grundlage, die religiöse Unterweisung nicht entbehren kann. (Bravo! rechts und im Zentrum.)
Wenn zwischen der Auffassung der Herren vom Zentrum, viel⸗ leicht auch der konservativen Partei und derjenigen der Königlichen Staatsregierung ein Unterschied besteht, so ist es nur der, daß die Königliche Staatsregierung der Ansicht ist, daß es genügen würde, den Religionsgesellschaften sowohl eine Beteiligung am Unter⸗ richt in weltlichen Fächern durch die Ortsgeistlichen zu geben, als ihnen auch die Möglichkeit zu verschaffen, im Anschluß an den Fort⸗ bildungsschulunterricht auch religiöse Unterweisung zu erteilen. Wenn verlangt wird, daß der Religionsunterricht in den Lehrplan auf⸗ genommen und durch Ortsstatut festgelegt wird, so ist das eine Frage, die wir erörtern werden, wenn das Gesetz über die Errichtung von Fortbildungsschulen in der Rheinprovinz, in Westfalen und anderen Provinzen, das vorläufig dem Herrenhause vorliegt, auch in diesem hohen Hause zur Beratung gelangen wird. Ich zweifle nicht, daß sich bei allseitig gutem Willen ein Weg der Verständigung finden lassen wird (Bravo! im Zentrum), der allerdings nur dann erreicht werden kann, wenn der grundsätzliche Standpunkt der Staatsregierung auch in dieser Frage gewahrt bleiben kann.
Wenn dann Herr Abg. Dr. Glattfelter die Haushaltungsschulen besonders erwähnt hat, so darf ich vielleicht bei diesem Anlaß auch eine Anfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Heß beantworten, der über die Zahl der Wanderhaushaltungsschulen Auskunft haben wollte. Soweit ich habe ermitteln können, ist die Zahl zwischen⸗ zeitlich auf ungefähr 200 gestiegen, und ich kann im übrigen nur bestätigen, daß wir auf dem Gebiete der Wanderhaus⸗ haltungsschulen bisher sehr gute Erfahrungen gemacht haben. (Bravo!) Nach den Absichten der landwirtschaftlichen Verwaltung, die auch in
Ich kann ihm in dieser Beziehung nur