1913 / 26 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 30 Jan 1913 18:00:01 GMT) scan diff

1““ Deutscher Reichstag. 100. Sitzung vom 29. Januar 1913, Nachmittags 1 Uhr. (Bericht von „Wolffs Telegraphischem Bureau“.)

1 Auf der Tagesordnung 8 die Interpellation der Abgeordneten Brandys (Oppeln) und Genossen, betreffend die Enteignung polnischer Gutsbesitzer.

Staatsfekretär des Reichsjustizamts Dr. Lisco:

Meine Herren! Auf die Anfrage des Herrn Präsidenten habe ich namens des Herrn Reichskanzlers folgendes zu erklären:

Die Interpellation betrifft die Handhabung des preußischen Ge⸗ setzes vom 20. März 1908 über die Maßnahmen zur Stärkung des Deutschtums in den Provinzen Westpreußen und Posen, durch das dem Staate das Recht verliehen worden ist, Grundstücke für die Zwecke der Ansiedlungskommission zu enteignen. Den gleichen Gegenstand betraf schon die Interpellation, die kurz vor dem Erlaß jenes Gesetzes im Januar 1908 von dem Herrn Abg. Seyda und Genossen an den Herrn Riechskanzler gerichtet wurde und am 15. Januar 1908 im Reichstage zur Verhandlung gelangte. Auf diese Interpellatian, in der angefragt wurde, wie der Herr Reichskanzler die damals in Aussicht genommenen Vorschriften über die Enteignungsbefugnis mit dem Geiste der Reichsverfassung und den Bestimmungen des Bürger⸗ lichen Gesetzbuches in Einklang bringen wolle, hat mein Herr Amts⸗ vorgänger erklärt ich bitte das verlesen zu dürfen:

Die Interpellation verlangt eine Erklärung des Herrn Reichs⸗ kanzlers über das gesetzgeberische Vorgehen eines Bundesstaats, das die Enteignung von Grundstücken zum Gegenstande hat. Die Reichsverfassung enthält keine Bestimmungen, welche einem solchen Vorgehen entgegen wären. Auch das Bürgerliche Gesetzbuch enthält solche Bestimmungen nicht. Der Artikel 109 des Einführungs⸗ gesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch bestimmt, daß die im öffent⸗ lichen Interesse erfolgende Entziehung, Beschädigung oder Benutzung einer Sache, Beschränkung des Eigentums und Entziehung oder Beschränkung von Rechten unberührt bleiben. Die Maßnahmen, auf welche die Interpellation die damals so beantwortet wurde sich bezieht, gehören somit zur Zuständigkeit der Landesgesetzgebung, die dabei nach den Vorschriften und nach dem Geiste der Reichs⸗ verfassung einer Einwirkung der Organe des Reichs nicht unterliegt.

Mit Rücksicht auf diese Erwägungen, meine Herren, hat damals mein Herr Amtsvorgänger im Namen des damaligen Herrn Reichs⸗ kanzlers die Beantwortung der Interpellation abgelehnt.

Meine Herren, diese Erwägungen, die damals Platz gegriffen haben, treffen auch der heutigen Interpellation gegenüber zu. Das preußische Gesetz vom 20. März 1908 steht mit der Reichsverfassung und der Reichsgesetzgebung in keiner Weise im Widerspruch. (Sehr richtig!; rechts. Obo! bei den Polen.) Seine Ausführung und Handhabung ist lediglich eine innere Angelegenheit Preußens. (Zu⸗ stimmung rechts. Oho! bei den Polen.) Die Interpellation be⸗ trifft mithin Maßnahmen, die außerhalb der Zuständigkeit des Reichs liegen. (Lebhafter Widerspruch bei den Polen.)

Meine Herren, ich habe hiernach zu erklären, daß der Herr Reichskanzler die Beantwortung der Interpellation ablehnt. (Bravo! rechts.)

Auf Antrag des Abg. von Czar linski (Pole) findet Besprechung der Interpellation statt, dagegen stimmen nur die Deutschkonservativen, die Reichspartei und ein Teil der Nationalliberalen. Der Bundesratstisch bleibt während der folgenden Besprechung leer.

Abg. Seyda (Pole): Es ist nicht das erste Mal, daß das hohe Haus sich mit der Enteignung polnischen Besitzes zum Zwecke der Ansiedlungskommission befassen muß. chon vor 5 Jahren haben wir eine Interpellation eingebracht. Damals handelte es sich um den Gesetzentwurf der Regjerung. Das Abgeordneten⸗ haus hatte wider Erwarten diesen Entwurf allerdings mit erheblichen Abänderungen angenommen, aber die Verabschiedung durch das Herrenhaus stand noch aus. Meine Freunde hatten damals diesen Gesetzentwurf zum Gegenstande einer Interpellation hier gemacht, weil sie überzeugt waren, daß er sowohl dem Geiste der Reichs⸗ verfassung und den Reichsgesetzen, in erster Linie dem Gesetz über die Freizügigkeit, widerspreche, anderseits geeignet sei, die Sicherheit für das Eigentum auf das tiefste zu untergraben. Daß der Reichs⸗ tag nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet war, dieses Gesetz zum Gegenstande seiner Verhandlung zu machen, daran konnte um so weniger ein Zweifel sein, weil der damalige Kanzler, Fürst Bülow, selbst erklärt hatte, daß die Befugnis der Ansiedlungskommission nicht nur eine Sache Preußens, sondern von größter Bedeutung für das ganze Reich sei. Deswegen hatte der Reichstag damals nicht dem Verlangen der Reichsregierung zugestimmt und er⸗ klärt, daß er wohl berechtigt sei, die Angelegenheit zu ver⸗ handeln. Der Versuch des Reichskanzlers, der Besprechung zu entgehen, weil er behauptete, die Angelegenheit gehöre vor den preußischen Landtag, wurde von dem Reichstage mit großer Mehrheit zurückgewiesen. Man bezeichnete es als Flucht vor der Verantwortlichkeit gegenüber Regierungsmaßnahmen. Der Unterschied von damals und heute ist nur der, daß es sich damals um einen Gesetzentwurf für die Vorbereitung der Enteignung handelte, während wir jetzt vor der vollendeten Tatsache stehen. Es wird in Preußen tatsächlich lediglich aus politischen Gründen Privatbesitz ent⸗ eignet, um an die Stelle von weniger genehmen Besitzern genehmere zu setzen. Diese Maßnahme, die mit Recht vielfach als eine Schmach des Jahrhunderts bezeichnet wird, ist Tatsache geworden. Vier Güter sollen enteignet werden, und das preußische Staatsministerium hat der Maßregel zugestimmt. Diese Tatsache ist von gar nicht ab⸗ sehbarer Bedeutung für die Allgemeinheit und muß deshalb auch vom Reichstag aufs gründlichste auf ihre Berechtigung und ihre Wirkung geprüft werden. Der ominöse § 13 des Gesetzes von 1908 macht nur für Kirchen und Begräbnisstätten eine Ausnahme, diese Kon⸗ zession verdankt das polnische Volk der Güte des preußischen Land⸗ tages. Trotzdem der Reichstag die Verfassungsmäßigkeit dieser An⸗ siedlungsnovelle verneinte, gab das Herrenhaus. dem Gesetz in der Fassung des Abgeordnetenhauses seine Zustimmung, freilich nicht ohne heftige Kämpfe, Fürst Bülow fand nur mit Mühe eine Mehrheit, der bezeichnenderweise auch die liberalen Professoren und Bürger⸗ meister angehörten. Es ist bekannt, daß unter der Hand das Ver⸗ sprechen abgegeben wurde, daß das Gesetz nur als Drohmittel wirken sollte, aber ntemals angewendet werden würde. Es vergingen auch einige Jahre, ohne daß das 88 zur Anwendung kam; Fürst Bülow ging inzwischen den Weg alles Sterblichen, und der jetzige Kanzler trat an seine Stelle. Die Hakatisten drängten und drückten zwar auf die Re⸗ gierung, aber diese widerstand; man habe noch Besitz genug in Händen. Noch im letzten Frühjahr erklärte der Minister von Schorlemer, man werde nur äußerstenfalls zur Enteignung schreiten und dann auch nur⸗ Güter wählen, wo ein Besitzwechsel eintrete oder eingetreten sei. Ich hebe das hervor; es wird sich nachher herausstellen, was auf solche Versicherungen preußischer Minister zu geben ist. Bei den 4 in Frage kommenden Grundstücken liegen nun selbst diejenigen Bedingungen nicht vor, die das preußische Ministerium für die Enteignung vor⸗

verhaltung, daß die Polen sich gegenseitig unterstützen.

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geschrieben hat. Das Gut Lippinken im Kreise Schwetz befindet sich im Besitz der betreffenden Familie seit 8 Jahren und ist vor zwei Jahren in der Erbauseinandersetzung der Witwe mit ihren Kindern in den Besitz der Witwe übergegangen. Enteignung soll auch nur da Platz greifen, wo es um Abrundung bestehender deutscher Niederlassungen handelt. Das trifft auf Lippinken und ein zweites Gut nicht zu; gleichwohl ist die Beschwerde zurückgewiesen, u. a. auch deshalb, weil es nach der Entstehungs eschichte des § 13 nicht er⸗ forderlich sei, daß zur Abrundung 1v. Besitzes das betreffende Gut an diesen unmittelbar angrenze; auch soll im Falle Lippinken ein Besitzerwerb durch Veräußerung vorliegen. Kann man sich da wundern, daß ein Jurist über diese Interpretation das Urteil fällt: „Vernunft wird Unsinn, Wohltat Plage“; wenn er diese Inter⸗ pretation als halsbrecherisch, Akrobatenrecht, Schlangenmenschen⸗ verdrehung usw. bezeichnet? (Präsident Dr. Kaempf ersucht den Redner, solche beleidigenden Ausdrücke auch in Zitaten nicht zu ge⸗ brauchen.) Wozu, fragt der Jurist in seiner Zuschrift an mich weiter, wozu noch Rechtswissenschaft und juristische Fakultäten? In der Tat, mit einer solchen Interpretalion muß jeder Grund⸗ besitzer gewärtig sein, daß er morgen enteignet wird; sie ist das Ende jeder Rechtssicherheit. Nun heißt es, den Enteigneten geschehe kein Unrecht, denn sie würden voll und ganz entschädigt. Auch diese Argumentation läßt sich nur als zynisch bezeichnen. Für die Ver⸗ treibung des Besitzers von seiner Heimatscholle, die er liebt, die seine Vorfahren besessen und gepflegt haben, gibt es überhaupt keine Ent⸗ schäßibung⸗ Aber es stimmt auch nicht mit der „vollen“ Ent⸗ schädigung; man sett einfach die Taxen unter den Betrag herunter, den der Besitzer selbst ehrlich gezahlt hat. Hiergegen steht dem Be⸗ sitzer freilich der Rechtsweg offen, aber daß man dem Besitzer nicht einmal den Kaufpreis zahlen will, den er selbst gezahlt hat, ist doch sehr bezeichnend. Als ich die Tatsache in einer Versammlung zur Sprache brachte, tönte mir der vielfache Ruf entgegen:; „Diebstahl! Raub auf offener Straße!“ So beurteilt das Volk die Dinge, und nicht mit Unrecht. Herr von Buch hat im Herrenhause die Polen auf die Gerichte verwiesen; ich will hoffen, daß dieses Vertrauen in die Gerichte nicht getäuscht wird; gelitten hat es durch die Ostmarken⸗ politik schon ganz empfindlich. Wir stehen nach wie vor auf dem Standpunkte, daß dieses preußische Gesetz rechtsungültig ist, denn es steht mit der Reichsverfassung und mit der Reichsgesetzgebung im Widerspruch, und Reichsrecht geht vor Landesrecht. Das Gesetz spricht zwar nicht von Polen und polnischem Besitz, aber niemand zweifelt, daß es nur gegen diese gerichtet ist. Schon die Einleitung zur Reichsverfassung schließt doch alle Reichsangehörigen, ohne Rück⸗ sicht auf Nationalität und Muttersprache, ein; nur Wortklauberei und Mangel an Gerechtigkeitssinn kann etwas anderes behaupten. Un⸗ zweifelhaft ist als aus eschlossen anzusehen, daß Angehörige desselben Bundesstaates differentiell behandelt werden dürfen; fehlt diese Bestim⸗ mung in der Verfassung, so nur deshalb, weil sie einfach selbstverständlich ist. Auch der § 1 des Freizügigkeitsgesetzes kommt in Betracht. Danach darf jeder deutsche Staatsangehörige überall Grundeigentum erwerben. Damit ist doch auch gesagt, daß er es behalten darf. Wer unbefangen die Bestimmungen der Reichsverfassung betrachtet, kann nicht im Zweifel sein, daß das Enteignungsgesetz dem Geiste der Reichsgesetze widerspricht. Wenn die Ansiedlungskommission weiter so vorgeht, dann muß jedes Vertrauen in die Rechtssicherheit schwinden, dann muß aber auch eine Erbitterung in der betroffenen Bevölkerung Platz greifen, wie sie ärger nicht gedacht werden kann, und das ist eingetreten. kan hat Anischei en die Tragweite des Gesetzes gar nicht erfaßt. Wir haben Proteste gegen die preußische Polenpolitik erlebt, wie sie seit Jahren nicht vorgekommen sind. Die Tätigkeit der preußischen Regierung wirkt geradezu revolutionierend. Die Zustände spitzen sich von Tag zu Tag zu. Wenn die Bevölkerung ihres Eigentums nicht mehr sicher ist, dann treiben wir Erscheinungen zu, wie sie England in Irland geschaffen hat. Ich warne davor, daß die östlichen Provinzen Preußens irische Zustände erhalten. Was auch kommen mag, wir sind der festen Ueberzeugung, daß das Ziel, welches im Hintergrunde aller dieser Maßnahmen steckt, die polnische Nation zu dezimieren und zu vernichten, nicht erreicht wird. Mögen auch Tausende von ihrem Besitz vertrieben werden, der innere Zusammenhang der polnischen Bevölke⸗ rung wird um so stärker werden. Es ist einfache Pflicht der Selbst⸗ stützen. Wir haben das Recht, in unserer Heimat zu leben. Die Geschäftsordnung gibt uns das Recht, nicht bloß in der Diskussion die Meinung des Reichs⸗ tags einzuholen, sondern auch eine Abstimmung darüber stattfinden zu lassen. Allerdings muß ja der Antrag, der in diese Beziehung von uns gestellt werden wird, den Bestimmungen der Geschäftsordnung angepaßt werden, und diese sind ja der Form nach sehr milde. Wir werden den Antrag stellen, der Reichstag wolle beschließen: die Zu⸗ lassung der Enteignung polnischen Grundbesitzes für die Zwecke der Ansiedlungskommission durch den Reichskanzler entspricht nicht der Anschauung des Reichstags. So milde diese Erklärung der Form nach gefaßt ist, so meine ich doch, daß der Reichstag, wenn er den Antrag annimmt, seine Meinung dahin zum Ausdruck bringt, daß der Reichskanzler als Hüter der Reichsgesetze ein solches preußisches Gesetz nicht hätte zulassen dürfen. Der Reichstag wird damit aussprechen, daß er u Haltung nicht billigt und diese ganze Politik aufs schärfste verurteilt.

Abg. Wendel (Soz.): 2 pellation einen sehr bequemen Standpunkt eingenommen.

Die Regierung hat zu dieser Inter⸗ 8 kkt einge n. Sie räumt das Feld und verschwindet. Anstatt persönlich hier zu erscheinen, schickt

uns der Kanzler ein Papier und einen Staatssekretär, der sich auf alte Erklärungen beruft. Das kann den deutschen Parlamentarismus nicht in ein helles Licht rücken. Man beruft sich auf Erklärungen, die vor Jahren hier ahgeg Ben worden sind. Aber die jetzige Inter⸗ pellation, die von 72 Mitgliedern unterschrieben worden ist, ist neu. Selbst wenn die Regierung der Ansicht ist, daß die Polenpolitik ledig⸗ lich eine preußische Sache ist und nicht in die Interessensphäre des Reichstags eingreift, so wäre es doch Pflicht gewesen, jetzt das einiger⸗ maßen ausführlich zu begründen. Das Verfahren, das die Regierung hier beliebt, läßt nur den Schluß zu, entweder ist ihr die Reichs⸗ verfassung und ihre Verletzung eine quantité négligeable, daß sie nicht glaubt, darauf antworten zu müssen, oder sie beurteilt die Ver⸗ treter des deutschen Volkes ebenso. Vom menschlichen Standpunkte allerdings kann man ihr Verhalten begreiflich finden. Ihr Gewissen zwingt sie, sich hinter den Wandschirm alter Erklärungen zu ver⸗ kriechen. Aber wir befinden uns hier nicht im preußischen Landtag, wo eine aus dem Dreiklassenwahlrecht hervorgegangene Mehrheit mit der Regierung durch Dick und Dünn geht, sondern im Reichstage, wo die Dinge doch etwas anders liegen. Wenn wir Sozialdemokraten hier mit aller Entschiedenheit gegen die Enteignung von Grundbesitzern eintreten, so geschieht es nicht ohne boshafte Schadenfreude darüber, daß die Weltgeschichte wieder einmal die Dinge auf den Kopf gestellt hat. In dieser Frage müssen wir Umstürzler von Beruf die Ver⸗ fassung schützen gegen die Staatsretter von Beruf. Wir müssen das Privateigentum verteidigen gegen seine fanatischen Anhänger. Aber wir tun das nicht um der schönen Augen der Polen willen, sondern wir tun es aus dem Gefühl für Recht und Gerechtigkeit heraus, das der modernen Arbeiterklasse so unausrottbar im Blute sitzt. Mit Recht darf man den Hakatisten nicht kommen. Das ist für sie ein Gegen⸗ stand minderer Bedeutung. Erfreulich ist nur die Offenherzigkeit, mit der sie sich in ihrer Dickfelligkeit zu dieser Politik bekennen. Ebenso⸗ wenig wie an das Rechtsgefühl der Hakatisten, die in der Ostmark den Grundsatz „Macht geht vor Recht“ vertreten der 2

von Liebert nickt mir zustimmend zu —, appelliere ich an ihr morali⸗ sches Schamgefühl. Wenn selbst ein evangelisch⸗orthodoxes Blatt wie der „Reichsbote“ geschrieben hat, im Namen des Christentums müsse gegen die Friedensbewegung werden, so kann man von dieser Seite schon gar nichts erhoffen. Ganz unzweifelhaft steht aber fest, daß diese ganze preußische G mit der Reichsverfassung und mit dem Fröuügigketegeset. as einen festen Wohnsitz gewähr⸗ leistet, in unlösbarem Widerspruch steht. Das preußische Gesetz

durchlöchert die Reichsverfassung. daher ist es die Pflicht wenigstens der konstitutionellen Parteien des Reichstages, dem Reichskanzler nachdrücklich zum Bewußtsein zu bringen, was seines Amtes ist. Auf ein bißchen Verfassungsbruch kommt es den Polenfressern gar nicht an,

auch nicht auf ein 8 Revolution, denn Enteignung ist ein Stück

Um tunn allerdings Umsturz von oben. Bei der Polenenteignun trifft der Vergleich des preußischen Ministeriums mit dem französt⸗ chen Konvent ins Schwarze. (Glocke des Präsidenten. Der Präsident erklärt, der hypothetische Vorwurf gegen den Kanzler pflichtvergessen gewesen zu sein, überschreitet die des parla⸗ mentarisch Hacgessigen) Es ist mir wohl bewußt, daß zwischen dem Bürger Robespierre und dem Bürger Bethmann einige Unterschiede vorhanden sind; aber bei der Enteignungsfrage fällt der Vergleich sogar noch sehr zugunsten des Konvents aus, denn damals wurden nur solche enteignet, die ihr Vaterland verlassen und im Stich gelassen hatten. Wo die Gerechtigkeit herrscht, freut sich der Bürger seines Erbes, sagt Schiller im „Demetrius“; danach könnte man schließen, daß in Preußen alles andere eher herrscht als Gerechtigkeit. Die Ent⸗ eignung ist in Preußen nicht von heute oder gestern. Es gab eine Zeit, wo in deutschen Gauen die Welfen werden mir das be⸗ stätigen der Helmspruch der preußischen Garde „Suum cuique“ dahin ausgelegt wurde, daß sie jedem das Seine nehmen. Aber die Enteignung auch gegen die Polen ist in Preußen nichts Neues Friedrich II., den man den h nennt, ist mitschuldig an dem Ver⸗ brechen der Teilung Polens. (Glocke des enitschnlo Diesen Aus⸗ druck habe nicht ich formuliert, sondern es war der Freiherr vom Stein (Präsident: Der Freiherr vom Stein ist nicht Mitglied dieses Hauses gewesen; ich habe aber das Amt, zu verhindern, daß hier unparlamentarische Ausdrücke gebraucht werden.) Dieser Friedrich II. hat sich auch der Mittel bedient, die heute noch in Preußen Mode sind, so der Spitzelei; er ließ die polnischen Gutsbesitzer aufwiegeln daß sie den Huldigungseid nicht leisteten, um einen Grund zum in⸗ schreiten zu gewinnen. Ich beziehe mich auf den Staatsarchivar Pro⸗ fessor Koser, der auch mitteilte, daß ein preußischer Junker für gutes Geld die Rolle des Lockspitzels übernahm. Diese F ee paßt speziell in das Jubiläumsjahr 1913. Aber selbst aus dieser Maß⸗ nahme spricht noch ein gewisses Anstandsgefühl; der König wollte doch wenigstens nur Hochverräter enteignen, während man heute ohne jede derartige Rücksicht drauflos exproprijiert. Man hat eben inzwischen in Preußen robustere Gewissen bekommen, man wendet jetzt Praktiken an, die man im Vormärz anzuwenden sich schämte. Die Ansied⸗ lungspolitik der Regierung gleicht einem durchlöcherten Faß. Bis⸗ marck muß die Polenunterjochung für ein Kinderspiel gehalten haben denn er meinte, die Grundbesitzer würden das ld für ihre Güter nehmen und es in Monte Carlo auf Rot oder Schwarz verlieren. An ein Hazardspiel erinnert ja diese ganze Politik; Gewinn wird rot. Als sie 21 Jahre bestanden hatte, war der polnische Grundbesitz nicht vermindert, sondern um 100 000 Hektar vermehrt worden; auch mit dem Enteignungsgesetz wird diese Politik Fiasko machen. Die Güter⸗ und Bodenpreise sind über 100 % seit 1886 gestiegen; welche Ge⸗ winnste also müssen die Großgrundbesitzer von dieser Politik einstecken! Darum machen die Herren diese Politik auf Gedeih und Verderb mit,; wenn das Geld im Kasten klingt, der Junker selbst durchs Fegefeuer springt. Die Mehrheit der Deutschen wird durch die Regierungs⸗ volitik in den Ostmarken nur geschädigt, wie uns der Notschrei in den Petitionen zeigt. Wenn man 4 polnische Güter enteignet, werden gleichzeitig 400 deutsche Geschäftsleute vernichtet. Nach dem deutschen Westen strömt die vertriebene polnische Bevölkerung in Scharen; schon zählt man in diesen reindeutschen Gegenden 67 Gemeinden mit mehr als 50 % Polen. Hier hätten die Germanisierer wirklich Grund, sich zu entrüsten, daß die Sprache Goethes von der Sprache Korfantys verdrängt wird. Die „Rheinisch⸗Westfälische Zeitung“ freilich scheint allerdings zu meinen: Je mehr Polen, desto besser für uns. Allerdings leiden diese Leute noch stark an der verdammten Be⸗ dürfnislosigkeit. Der Großgrundbesitzer im Osten ist meist Hakatist, aber der Großgrundbesitz wird fast durchweg von polnischen Arbeitern bewirtschaftet, von einheimischen wie von ausländischen, die in Mengen Jahr für Jahr aus Rußland und Galizien herangezogen werden. Eine große Anzahl preußischer Junker haben sich ganz gern von der Ansiedlungskommission germanisieren lassen, weil dabei ein ganz gutes Geschäft zu machen ist; Hunderte von deutschen Gütern sind der Ansiedlungskommission angeboten worden. Die Polenpolitik ist aber auch deshalb erfolglos, weil der Kern der polnischen Bevölkerung nicht mehr im Adel liegt, sondern sich nach dem Bürgertum verschoben hat. Dieses Bürgertum möchte man ja auch expropriieren, aber es wird ebensowenig gelingen. Fürst Bülow klagter einmal über die kaninchenhafte Fruchtbarkeit der Polen; das wird nicht eher anders werden, als bis man den Polen die Tätigkeit zuweist, die die männ⸗ lichen Hofchargen im Harem des Sultans ausüben. Die Welt⸗ geschichte ist das Weltgericht; es steht doch nirgends geschrieben, daß die 1772, 1793 und 1795 geschaffenen Zustände für alle Ewigkeit be⸗ stehen bleiben. Auch aus dem Verlaufe des Balkankrieges kann jeder lernen, der lernen will; die jungtürkische Bewegung scheiterte daran, daß sie die fremden Volksstämme, Albaner usw., mit Gewalt osmani⸗ sieren wollte. Die Hakatisten regen sich darüber auf, daß ein Grau⸗ denzer polnisches Blatt an den König Nikita ein Glückwunschtele⸗ gramm gerichtet hat. Aber das Blatt hat doch dasselbe Recht, an diesen König ein Telegramm zu richten, wie es anderseits auch an den Burenpräsidenten geschehen ist. Wenn die Polen dem Panslawismus in die Arme getrieben werden, so geschieht das lediglich durch die Ge⸗ waltmaßregeln der Polenpolitik. Das Jahr des Enteignungsgesetzes war ein Jahr des Triumphes für den Panslawismus. Im österreichi⸗ schen Reichsrat tauschten damals die Polen mit den bis dahin mit ihnen verfeindeten anderen Slawen den Bruderkuß. Den grandiosen Humor dieser Geschichte begreift man erst, wenn man bedenkt, daß Bismarck die antipolnische Politik begann, um die Gefahr des Pan⸗ slawismus zu bannen. Er fürchtete, daß die Provinzen Posen und Westpreußen in einem Kriege mit Rußland einen revolutionären Brandherd bilden könnten. Das schließliche Ergebnis war aber die Stärkung des Panslawismus. Hier gleicht die deutsche Staatskunst jenem tolpatschigen Riesen, der, um eine Fliege von der Nase zu jagen, einen Felsblock auf die Nase wälzte. Fürst Bülow wollte die scharfe Waffe nur zur Verteidigung gebraucht wissen. Wie berechtigt die dazu geäußerten Zweifel waren, zeigt sich jetzt. Die Polen haben doch nichts getan, was hochverräterisch ist. Keine Tatsache spricht dafür, daß zur Verteidigung des Deutschtums schärfere Waffen hätten ange wandt werden müssen. Die Regierung hat aber Angst vor den Polen⸗ fressern, vor der kleinen, aber lauten Gruppe der Alldeutschen. Diese verlangten die Enteignung. Der Abg. von Zedlitz schrieb in der „Post“, daß das Vertrauen zur Regierung durch eigene Schuld be⸗ denklich erschüttert sei, und es würde auf den Nullpunkt sinken, wemn diese auch in der Polenpolitik versagen sollte. In dieser Frage wollte die Regierung dann den Alldeutschen wenigstens gefällig sein. Leichten Herzens ist die Regierung sicher nicht an die Enteignung herange⸗ gangen, sie hat es wohl mit demselben Gefühl getan, mit dem der Teufel an das Weihwasser herangeht. Wir Sozialdemokraten schlagen vor dem Worte „Enteignung“ nicht das Kreuz. Es ist uns vielmehr eines der sympathischsten Worte in der deutschen Sprache. (Zuruf des Abg. Dr. Arendt: Entschädigung!) Darüber sprechen wir später noch, Herr Kollege. Wir wollen den Privatbesitz in den Besitz der Allge⸗ meinheit überführen. Wir freuen uns, daß die Konservativen und Nationalliberalen hier einen Präzedenzfall für unsere große Enk⸗ eignung geschaffen haben. Die Regierung hat dabei allerdings nichte Sozialistisches getan, sondern höchstens Anarchistisches. Das Soszia⸗ listische muß sich nicht nur im Einklang befinden mit der Gerechtigkeit, sondern auch mit dem Willen der Mehrheit. Hier ist nicht nach dem sozialdemokratischen Prinzip gehandelt worden. Die Konservativen und Nationalliberalen haben hier mit dem Prinzip gebrochen, auf dem ihre Gesellschaftsordnung aufgebaut ist. Die Konservativen ganz be⸗ sonders treten immer für die Unantastbarkeit des Privateigentums ein. Allerdings steht das nur auf dem Papier. Ich erinnere nur an das Gebet der Bauern, daß sie Gott vor den Köckeritzen und Lüderitzen be⸗ wahren möge; das war zu der Zeit, als die Vorfahren der Herren Junker von heute auf den Landstraßen die große Enteignung vorgenommen haben. Jetzt ist der Grundbesitz für die Konservativen dreimal heilig. Der jüdische Staatsmann Schlesinger, bekannter unter dem Namen Friedrich Julius Stahl, der einzige Vertreter der konservativen Welt anschauung, ist ja besonders dafür eingetreten. Die konservative Parkei hat mit der Enteignung jetzt ihren politischen. Sündenfall vollzogen. Sie entrüsten sich mit Unrecht über die Enteignungsgeliste anderer

Sie können sich nicht mehr darauf berufen, daß andere die Hände nach dem Privateigentum ausstrecken, das sie angeblich verteidigen. Das ist die tiefe Feigschicttiche Bedeutung der Enteignung in Posen. Dadurch ist die nteignung zu einer bloßen Machtfrage geworden. Solange Ihr Cur Rechten gewandt) Eigentum von Bajonetten um⸗ sttert ist, mag dies Ihnen bedeutungslos sein; aber es wird die Zeit pommen, wo wir die Macht haben. Wenn dann die Expropriateure vor Ihren Rittergütern keinen Halt üchen, 0 werden Sie sich im Innern segen, jetzt wird mir mit demselben Maße gemessen, mit dem 9 gemessen habe.

Der inzwischen schriftlich eingegangene Antrag der Polen indet genügende Unterstützung; dafür treten ein die Sozial⸗ demokraten, das Zentrum, die Polen und der Däne. Ein An⸗ trag der Polen, namentlich abzustimmen, wird angenommen.

Abg Graf Praschma (Zentr.): Man könnte mir entgegen⸗ halten, daß Erörterungen bei der Beratung des Gesetzes im preußi⸗ schen Abgeordnetenhause zulässig bewesn wären, daß aber jetzt, nach⸗ dem auch das Reich das Gesetz zugelassen hat, es bei der Ausführung des Gesetzes nicht mehr einschreiten kann. Nach meiner Meinung gibt es aber Gründe genug, die gegen das Bestehen des Gesetzes und seine erste Anwendung engesthrt werden können, und die dazu drängen, darüber zu diskutieren. Mit der Anwendung des Gesetzes ist ein neues Stadium eingetreten. Das Gesetz konnte rückgängig gemacht werden, aber nicht mehr die Enteignung. Der enteignete Besitzer und seine Nachkommen werden die Erinnerung an diese Maßnahme immer behalten. Meine Freunde haben schon bei der Beratung des Gesetzes darauf hingewiesen, daß jede Ausführung in der öffentlichen Meinung und in den Parlamenten auf das schärfste kritisiert werden würde. Wohl selten ist ein Gesetz derartig mit nationalen Gründen verteidigt worden, wohl selten hat die Regierung ihre Autorität derartig ein⸗ gesetzt, trotzdem sind die allerschwersten Bedenken von allen Seiten dagegen geäußert worden. In beiden Häusern des Landtages sind von allen Seiten derartig scharfe Worte gebraucht worden und derartig schöoffer Widerspruch geäußert, wie man es selten jemals gehört hat. Bei denjenigen, die schließlich zustimmten, waren die Ausführungen so, daß sie einer Ablehnung verzweifelt ähnlich sahen. Die Bedenken über das Ob und Wie der Anwendung des Enteignungsgesetzes treten naturgemäß jetzt wieder in den Vordergrund, wo wir davor stehen, daß das Gesetz jetzt angewendet werden soll. Diese Be⸗ denken gehen weit über das Interesse Preußens hinaus. Darum ist es falsch vom Reichskanzler, daß er sich in seiner Erklärung auf den formalen Standpunkt zurückzog, daß er all die Bedenken, die hier im Reichstage vorgebracht wurden, nicht achtet und eine Behandlung der Frage ablehnt. Ich habe wenig Hoffnung, daß die preußische Re⸗ gierung und daß die Parteien, die zugestimmt haben, sich über⸗ zeugen lassen, daß das Gesetz zu Unrecht erlassen worden ist. Diese Hoffnung aber habe ich nicht aufgegeben, daß man endlich einsieht, daß man auf falschem Wege ist, und daß man auf diesem Wege nicht zum Ziele kommt, das wir erstreben, nämlich Beruhigung und Frieden in den Ostmarken eintreten zu lassen. Wir wünschen, daß die Bevölke⸗ rung der ehemaligen polnischen Landesteile sich als Staatsangehörige und als Reichsverwandte fühlt. Aber mit der preußischen Polen⸗ pelitik wird dieser Zweck nicht erreicht. Auch wir verlangen, daß die Pelen die ihnen als Staatsbürger auferlegten Pflichten erfüllen, wir fordern aber auch, daß man sie wie alle Staatsbürger behandelt. Ich will auf die Polenpolitik nicht weiter eingehen, sie gehört ja mehr vor den Landtag. Unsere Stellung zu dieser Frage steht ja fest. Sie ist nicht abhängig von Gunst oder Mißgunst anderer Parteien, sie ist auch nicht abhängig von der Stellungnahme, die meine Partei zur Regierung einnimmt, sondern sie ist gegründet auf die Gerechtigkeit und das Staatswohl. Wir haben unseren Standpunkt dazu seit den 80er Jahren unverändert vertreten. Die Regierung wird die Polen⸗ frage nicht aus der Welt schaffen, sondern sie wird nur dazu beitragen, daß sie über die Grenze Posens hinausgreift nach Oberschlesien, wie es tatsachlich schon der Fall ist, und wer weiß, ob es nicht auch bald für Berlin eine Polenfrage geben wird. Es ist anzunehmen, daß bei den uns jetzt in Aussicht gestellten neuen Militärforderungen auch der Schutz der Ostgrenzen eine wesentliche Rolle spielt. Aber von größerem Wert ist meines Erachtens der Umstand, ob die Bevölkerung der Gegend, in welcher sich im Falle eines Krieges der Aufmarsch vollzieht, absolut zuverlässig und sicher ist, und ob wir einem Ein⸗ marsch des Feindes tatkräftigen Widerstand entgegensetzen können. Ist es wirklich ohne Interesse für das Reich, in einer Zeit, wo der Wert der Bodenständigkeit auch denkenden Staatsmännern immer mehr zum Bewußtsein kommt, wenn man hier die Bevölkerung von der Scholle losreißt? In den Kreisen meiner Freunde wissen wir sehr wohl zu schätzen den Wert, der einer bodenständigen konservativen Be⸗ völkerung im Osten des Reiches beizumessen ist. Wir halten es nicht im Interesse des Reiches, wenn man die Bevölkerung aus ihrer Ent⸗ wicklung herausreißt, wenn ein neuer Herd des Radikalismus geschaffen wird. Auch unter der polnischen Bevölkerung gibt es eine Reihe von Elementen, die sehr gern bereit wären, an der Arbeit, die der Staat verlangt, mitzuwirken. Aber wenn man so vorgeht, wie es geschehen ist, dann wird man gerade das Entgegengesetzte erreichen. Durch die harißung von der Scholle wird nur ein neues Element geschaffen, das dem Reiche außerordentlich schädlich ist. Manches in der Ent⸗ wicklung der letzten Zeit muß uns mit schwerer Sorge erfüllen. Nimmt die Entwicklung des Rechtsbewußtseins im Volke, der Sinn fuür Recht und Gerechtigkeit so zu, wie es erwünscht ist? Kein Be⸗ griff ist von so allgemeiner Bedeutung wie der Begriff von dem Recht auf das Eigentum. Nun sehen wir aber, daß die preußische Regierung das deutsche Bewußtsein des Eigentumsbegriffs auf das schwerste er⸗ schüttert. Bis jetzt gab es nur eine Enteignung des Objekts, jetzt handelt es sich um eine Enteignung des Subjekts. Was hier ge⸗ vieht, ist tatsächlich ein sehr böses Spiel mit dem Feuer. Im Rechtsbewußtsein des Volkes wird der Begriff der Enteignung erst ganz klar, wenn das Gesetz zur Anwendung gelangt. Als oberster Hüter des Eigentumsrechts gibt die Regierung selbst jetzt den Weg an, wie man diesen Begriff umgehen, ihn aushöhlen kann. Wir sehen jg bereits, wie die Nationalliberalen bei allen Zwangsverkäufen ein Vorkaufsrecht des Staates verlangen, und der Abg. Dr. Friedberg hat in preußischen Abgeordnetenhause der endlichen Enteignung des großen fideikommissarisch gebundenen Grundbesitzes das Wort geredet! Der

Einwand vom öffentlichen Wohl verfängt hier nicht; über dem öffent⸗ lichen Wohl und über der Zweckmäßigkeit und über der Notwehr steht das unverbrüchliche Prinzip der Gerechtigkeit. Wird dies verletzt, so muß eben die Gesetzgebung andere Wege gehen. Wir werden ange⸗ sichts der Erklärung, die der Kanzler heute abgeben ließ, einstimmig dem Antrag der polnischen Fraktion zustimmen.

Adg. Schlee (nl.): Die Polen wollen den Reichstag zum Richter machen in einem Streit des preußischen Staates mit den preußischen Polen; sie tun dies unter Berufung darauf, daß das Gesetz der Reichsverfassung und Reichsgesetzgebung widerspräche. Ich lehne diese Berufung ab, auf die Gefahr hin, von dem Abg. Wendel als juristischer Schlangenmensch bezeichnet zu werden; ich kann auch die Deduktion des Abg. Seyda nicht gelten lassen. Es ist nicht richtig, daß das Gesetz nur gegen Polen angewendet werden muß und wird. Wir Nationalliberalen sollen unsere Grundsätze und die unserer Ge⸗ sellschaftsordnung durchbrochen haben, als wir die Enteignung ein⸗ führten. Der Kollege Wendel verkennt dabei völlig unsere Grund⸗ übe. Der einzelne muß seine Rechte aufgeben, wenn es sich um das Wohl der Gesamtheit handelt. Das Enteignun sgesetz von 1908 wendet sich nicht gegen Personen, sondern gegen Sachen, gegen Besitz, in es enteignen will zum Vorteil der Allgemeinheit. Die angeführten Bedenken sprechen gegen die Enteignung überhaupt, nicht gegen die Enteignung polnischen Grundbesitzes. Die frühere Versöhnungs⸗ volttik hat zu nichts geführt; es handelt sich nicht um Schuld oder Nichtschuld, sondern allein um die Frage;, Sind wir im Recht, wenn wir uns gegen die polnischen Mitbürger wehren? Der preußische Staat muß verlangen, daß die Polen nicht bloß äußerlich, sondern auch innerlich gute preußische Staats⸗ ürger sind. Würden die Polen an unserer Stelle nicht dasselbe tun? (Ruse bei den Polen: Niemals!) Das ist geschichtlich nicht

wahr; das ganze ursprünglich ganz deutsche Westpreußen ist gewaltsam

eines festfundierten Staats.

polonisiert und dem Königreich Polen 1569 als Provinz angegliedert worden. Und wie sieht es in Galizien und in der Bukowina aus? Alles Entgegenkommen gegenüber den Polen hat nichts genützt; als man ihnen sogar einen polnischen Statthalter in der Person des Fürsten Radziwill gegeben hatte, gingen sie in ihren Ansprüchen und Forderungen über alles Maß hinaus. Alle Mittel wandten sie an, um zu polonisieren, auch die Zugeständnisse, die die Regierung ihnen auf dem sprachlichen Gebiete machte; dabei leistete ihnen die katholische Geistlichkeit eifrige Unterstützung. Nament⸗ lich seitdem die Nationaldemokratie in der Führung der Bewegung an die Stelle des Adels getreten ist, ist kaum noch ein Verhandeln mit ihnen möglich. Sie verlangen völlige nationale Autonomie, sie sprechen ja unverhüllt von der nationalen Wiedergeburt. Wenn sie sich derart immer benommen, wenn sie sich geweigert haben, in Preußen aufzugehen, wie können sie sich da wundern, daß die preußische Regierung nun mit der Ansiedlungspolitik andere Wege eingeschlagen hat? Diese Politik hat dem Deutschtum große Vor⸗ teile gebracht; die Kommission hat über 100 000 Personen angesetzt. Wie sich die Polen zusammenschließen, müssen sich auch die Deutschen zur Abwehr zusammenschließen. Den Bopvykott haben die Polen gegen die Deutschen nicht erst jetzt eingeführt, sondern ihn seit 1830 stets

geübt. Wir müssen die innere Kolonisation mehr denn je betreiben,

tüchtigen Bauernstand heranzuziehen, das Rückgrat Tut daneben das Beamtentum seine Pflicht treu und gewissenhaft, wird uns schließlich ein verständiges Wahlrecht verliehen, dann werden wir die Polen überwinden und auch die Sozialdemokraten. Abg. Graf Carmer⸗Zieserwitz (dkons.): Die Polenfrage ist ja heute nicht zum ersten Male aufgerollt worden. Auch heute wieder sind in Verbindung damit empörende Angriffe auf Preußen und seine Politik gerichtet worden, die dem Hörer zeitweise den Glauben beibringen mußten, als befinde er sich nicht im Deutschen Reichstage, sondern im Parlamente des deutsch⸗feindlichsten Staates. Diese Angriffe reichen an die Würde Preußens nicht heran. Ich bestreite aufs schärfste und weise es aufs bestimmteste zurück, daß das Enteignungsgesetz der Reichsverfassung und der Reichsgesetz⸗ gebung oder deren Geiste widerspricht. Artikel 3 der Ver⸗ fassung stellt für das ganze Reich ein gemeinsames Indigenat fest. Danach darf kein Angehöriger eines Einzelstaates schlechter gestellt werden in einem anderen deutschen Staate als der Inländer; wie aber der Inländer zu behandeln ist, ist Sache der Einzelstaaten. Was die privatrechtliche Seite betrifft, so tritt hier § 111 des Ein⸗ i eng gee zum B. G. B. in den Vordergrund, wonach durch dieses Gesetzbuch unberührt bleiben Materien, die auf das öffent⸗ liche Interesse, auf das öffentliche Recht übergreifen. Und um eine piche Frage handelt es sich hier; darum gehört sie allein vor reußen und nicht vor das Reich. Gegen den Antrag Brandys erden wir stimmen, weil wir auf dem Standpunkte der Regierung ehen.

Auf Antrag Sieg wird die Abstimmung über den An⸗ trag Brandys auf morgen verschoben.

Abg. Dr. Pachnicke (fortschr. Volksp.): Die letzten beiden Redner haben die nationale Seite angeschlagen. Der sozial⸗ demokratische Redner ist in die Geschichte weit zurückgegangen, wir meinen, die Geschichte hat gesprochen, und ihr Richterspruch muß vollzogen werden. Preußischer Boden ist es, auf dem diese Dinge sich abspielen, und preußischer Boden soll es bleiben. Die Zukunfts⸗ träume einzelner können nicht zur Wirklichkeit werden, der Weg zum alten Polenreich wird sich nicht wieder eröffnen. Aber alle Bedenken, die wir zu Beginn der jetzigen Polenpolitik ge⸗ aͤußert haben, sind voll bestätigt worden. Der Erfolg ent⸗ scheidet; an ihren Früchten soll man sie erkennen. Die letzten Wahlen in den polnischen Bezirken zeigen wachsende Unzufrieden⸗ heit; die Gegensätze haben sich nicht gemildert, sondern verschärft. Der Zweck der Polenpolitik war nach der Meinung des preußischen Ministers des Innern, die ehemaligen polnischen Bestandteile mit Preußen zu assimilieren und der großpolnischen Propaganda entgegen⸗ zutreten. Beide Zwecke sind nicht erreicht worden. Daß die Ent⸗ eignung nicht das richtige Mittel war, ist schon von anderen Rednern gezeigt. Auch in der konservativen Partei haben ernste Bedenken gegen die Enteignung bestanden. Im Herrenhause haben Personen, die dem Thron ne b gegen das Gesetz gestimmt, und jetzt stellen die Konservativen sich hin und sagen: Es ist alles einwandfrei, die Regierung ist lediglich den Hakatisten gegenüber gefällig, nachgiebig gewesen, und es ist da kein Moment der Stärke. Für 1912 und 1913, meint der Landwirtschaftsminister, sei Land genug vorhanden, nun auf einmal soll es anders sein. Sie ent⸗ eignen zu Preisen, die geradezu bis zu einer Schwindelhöhe hinauf⸗ getrieben werden. Rein wirtschaftlich genommen, macht der preußische Staat das schlechteste Geschäft. Der Preis ist sprunghaft in die Höhe geschnellt. Diese Verletzung des Heimatsrechts, diese Er⸗ chütterung des Eigentumsbegriffs mußte doch den Herren von der

echten besonders bedenklich sein. Wie sie von den Sozial⸗ demokraten ausgenutzt werden wird, hat die Rede des Abg. Wendell bewiesen. Wo wollen Sie mit dieser Politik hin? Was bedeutet die Enteignung von vier Gütern gegenüber dem Gesamtbedarf? Ueber 70 000 ha kann ja die Enteignung nicht hinausgehen. Das Endziel wäre nur die Hinausdrängung von Polen nach Schlesien, Ostpreußen und Pommern und die Schaffung einer Polenfrage auch in anderen Provinzen. Der preußische Minister des Innern bedauert, daß die loyalen pol⸗ nischen Elemente die polnische Radikalisierung nicht verhindert haben. Die Regierung hat sie aber selbst durch ihre Maßregel hervorgerufen. Die Enteignungspolitik der Regierung hat die mittleren Gewerbe⸗ treibenden zu scharfen Protesten getrieben; ihre Existenz ist in Frage gestellt. Der Ostmarkenverein fordert zur Bopkottierung der pol⸗ nischen Geschäfte auf, auch da, wo die Polen sich ruhig verhalten. Wenn es auch ein Gegenschlag gegen den polnischen Bopkott ist, so müssen wir doch den Boykott als Ganzes entschieden verurteilen. Das ist eine Ausartung des Kampfes, eine Ueberheizung des Kessels. Be⸗ sonders bedenklich ist die internationale Seite der Frage. Ich will sie jetzt des näheren aber nicht erörtern. Es gab ja andere Mittel und Wege, um dem Deutschtum wirklich beizuspringen. Dazu gehörte eine Ansiedlung kleinerer Besitzer in größerem Umfange, als es jetzt geschieht. Im einzelnen ist ja Günstiges geleistet worden, wenn auch der Aufwand zu dem Erfolge nicht in richtigem Verhältnis steht. Der Fehler war nur, daß man die Maßregel auf zwei Provinzen zu⸗ spitzte und sie nicht auf die ganze Monarchie ausdehnte. Das hätte schon vor 30 Jahren geschehen sollen, dann hätte man Segen stiften können. Wir haben kostbare Zeit verloren und der Sache einen Stachel gegeben, der reizen muß. Was stand entgegen? Vielleicht mangelhafte Nachfrage nach Ansiedlerstellen? Nein, die Zahl der Anfragen hat sich ständig vergrößert. Man hätte also darin sehr viel mehr tun können. Das Interesse hätte sich diesen Dingen noch ganz anders zugewandt, wenn die Sache auf das ganze Land ausgedehnt worden wäre. Den Polonisierungsprozeß durch den Großgrundbesitz hätte man rechtzeitig aufhalten sollen. Sehring spricht es aus, es sei ein offenes Gebheimnis, daß die Bestimmung, daß die Leute vom 1. Dezember ab 6 Wochen über Land gehen müssen, jetzt nicht mehr befolgt wird. Die großen Güter sind jetzt vom Ausland abhängiger als je. Für den städtischen Mittelstand in den polnischen Landesteilen ist viel zu wenig geschehen; man erkennt das jetzt zu spät. Dann hätte man in den polnischen Landesteilen paritätische Simultanschulen er⸗ richten und die Ueberfüllung der Schulklassen beseitigen müssen. Das beste Schulwesen würde sich für Posen und West⸗ preußen empfehlen, und gerade dort herrschen in dieser Beziehung die trübsten Verhältnisse. Lehrkräfte und Schülerzahl stehen in unrichtigem Verhältnis. Eine Lehrkraft hat sogar 210 Schüler zu unterrichten! In Hakatistenkreisen herrscht heute auch keine rechte Siegesstimmung mehr, man erkennt, daß die Polen nur im Hand⸗ werk und Hausbesitz bedenkliche Fortschritte machen. Das Ver⸗ waltungswesen, insbesondere die Kreisordnung dort, bedarf dringend einer Reform; es geht nicht, daß der Großgrundbesitz in den Kreis⸗ tagen gegenüber den städtischen Vertretern ein solches Uebergewicht hat. Die Polenpolitik fing mit dem großen Fehler der Aus⸗

um uns einen

weisung der Polen im Jahre 1886 an. Dann kam die Bestimmung, daß die Genehmigung zum Bau von Häusern von der Genehmigung des Regierungspräsidenten abhängig gemacht wurde, und der Schluß stein war dann die Enteignung. Alle diese Maßregeln haben die Polen zusammengeschweißt. Wir stehen hier allerdings einem schwierigen Problem gegenüber, aber die kleine Schweiz hat es gelöst. Notwendig ist aber dazu Gerechtigkeit. Eine Enteignung aus all⸗ gemeinen gemeinnützigen Gründen ist nicht zu entbehren. Aber was hier vorliegt, ist eine Enteignung aus politischen Gesichtspunkten, gerichtet gegen einen einzigen Volksteil. Darum ist sie ein Aus nahmegesetz, und ein solcher Weg führt nicht zum Ziele. Was den angekündigten Antrag betrifft, so richtet er sich an den Reichskanzler. Unsere Kritik wendet sich gegen die preußische Staatsregierung und muß sich gegen sie wenden. Wenn wir uns der Abstimmung über den Antrag enthalten, so geschieht es, weil wir die einmal bestehenden Zuständigkeitsverhältnisse respektieren müssen. Es ist zweifellos eine preußische Angelegenheit. Wir mißbilligen die preußische Polen⸗ politik, je eher sie fällt, um so besser für das Deutschtum.

Abg. Mertin⸗Oels (Rp.): Es ist schwer, nach einem der⸗ artigen Meisterstück der Diplomatie, wie wir es eben gehört haben, etwas zu sagen. Der Abg. Pachnicke hätte aber besser getan, mit dem Schluß seiner Rede gleich zu beginnen. Aber ich will auch an diesen Gedanken anknüpfen. Bei der vorgenommenen Enteignung handelt es sich um keine Willkür, sondern um gesehliche Maßnahmen. Die Interpellation verlangt ein Eingreifen des Reiches in die Ausführung eines gültig zustande gekommenen Gesetzes eines Bundesstaates. Es gibt keine Bestimmung in der Reichsverfassung, die dem Reiche das Recht einräumt, in die Gesetzgebung eines Bundesstaates ein⸗- zugreifen. Das hat sogar Graf Praschma empfunden. Bei dem ganzen 3 Vorgehen im Reichstag handelt es sich um eine bloße Demonstration. Wir halten den Reichstag als viel zu hoch stehend, als daß er sich zu einer solchen Demonstration hergeben sollte. Graf Praschma wundert sich, daß das Gesetz ausgeführt wird. es wäre dadurch ein neues Moment hinzugekommen.

Gesetze, damit sie ausgeführt werden. Ich

einen Wandschirm von Formalitäten verkriechen. Bei der Beratung des preußischen Gesetzes sind alle Fragen besprochen worden. Mitglieder fast aller Parteien sagten, daß sie nur schweren Herzens ihre Zu⸗ stimmung gäben, daß sie sich jedoch vor der Staatsnotwendigkeit beugen müßten. Einer der Hauptgründe, daß das Gesetz überhaupt gemacht wurde, war der, daß die Preise der Rittergüter ins Ungemessene gestiegen waren. Dieser anormale Prozeß sollte aufgehalten werden. Dem Abg. Wendel gegenüber will ich bemerken, daß im Jahre 1809 auch eine allgemeine Enteignung vorgenommen worden ist. Damals mußten die Rittergutsbesitzer, die preußischen Junker, die Hälfte ihres Besitzes verschenken. as Indigenat hat mit der Frage der Enteignung nicht das mindeste zu tun. Die Ver⸗ fassung bestimmt nur, daß jeder Angehörige eines Bundesstaates in jedem anderen wie der eigene behandelt werden soll. Vielleicht wäre es aber besser gewesen, man hätte auch ein Einspruchsrecht des Staates gegen Ankäufe und ein Veräußerungsgebot gesetz⸗ lich beschlossen. Es ist unverständlich, wie man aus diesem Gesetz einen Eingriff in die Freizügigkeit herauslesen kann. Dann müßte man auch jede verbieten. Der Abg. Korfanty spricht heute noch von einem Volke von 20 Mil⸗ lionen. Er greift damit über die Grenzen des Reiches hinaus. Der Kampf ist den Deutschen von den Polen aufgedrängt worden. Von polnischer Seite wird immer gesagt, man dürfe bei keinem deutschen Kaufmann kaufen, und man müsse jeden Deutschen wie die Cholera meiden. Das zeigt doch, daß die Polen keine loyalen Bürger werden wollen. Solange sie das nicht wollen, ist Preußen verpflichtet, seine Politik so zu gestalten, daß es das Bollwerk gegen das Slawentum bildet. Dazu gehört aber, daß seine Polenpolitik eine stetige ist. Das müssen wir als Deutsche von Preußen ver⸗ langen. Dann wird das Wort Friedrich Wilhelms in Erfüllung gehen, daß Deutschland gewonnen hat, was Fesshen erobert hat.

Abg. von Morawski (Pole): Bei dieser Frage handelt es

sich um ganz etwas hüserseheehe. Es findet im ganzen Reiche Widerhall und wird überall ungünstig beurteilt. Die Enteignungs⸗ frage des polnischen Großgrundbesitzes kann von der des preußischen nicht losgelöst werden. Das ganze Gesetz hat den Charakter von etwas Revolutionärem und vom Umsturze an sich. Durch das, was die konservative Partei durch dieses Gesetz getan hat, sägt sie den Ast ab, auf dem sie selbst sitzt, und sie tut das nur, um ihr schwindendes Ansehen und ihren Einfluß aufrechtzuerhalten. enn es ein⸗ mal zur Enteignung des Großgrundbesitzes im allgemeinen kommt, dann wird man sehen, wie gering der polnische Anteil dabei ist. Bei einem Diner von 20 Personen in Posen waren über 100 Quadrat⸗ meilen Landes vertreten, und solche Herren sind für das Ent⸗ eignungsgesetz. Wie wenig es stichhaltig ist, daß man das Land zur Bauernansiedlung braucht, geht daraus hervor, daß in der letzten Zeit gerade im Osten die Majorate ständig zunehmen. In Schlesien gibt es 178 Majorate; ein Siebentel des ganzen Landes gehört dem Großgrundbesitz. Wollen Sie enteignen, ist die Ent⸗ eignung etwas Schönes, dann enteignen Sie doch dort? Selbst der Professor Bernhard hat bekanntlich den Vorschlag gemacht, daß man den Großgrundbesitz in Posen enteignen solle, aber den Großgrund⸗ besitz dreier deutscher Fürsten, des Fürsten Thurn und Taxis, des Großherzogs von Sachsen⸗Weimar und des Herzogs von Sachsen⸗ Coburg⸗Gotha, und zwar wegen „Absentismus“, und das Werk des berühmten Nationalökonomen Professors Conrad führt an, daß in Posen 43 % des Großgrundbesitzes durch Absentismus der Besitzer glänzen. Und wie denken denn die Ansiedler, Ihre mit den Staats⸗ geldern großgezogenen Schoßkinder, über die Enteignung? Unter tosendem Beifall wurde auf der vorigen Märzversammlung in Gnesen die Aufteilung des Großgrundbesitzes auch der Deutschen gefordert! Es gibt sogar eine Enteignungspoesie; unter den deutschen Ansiedlern sind Spottlieder darüber im Schwange; Sie kennen diese deutschen Ansiedler nicht so, wie wir sie kennen. „Hol' der Teufel die Barone; ob sie Deutsche oder Polen, alle soll der Teufel holen!“ Die Peti⸗ tionen der deutschen Großgrundbesitzer in Posen bitten die Regierung, nicht zu enteignen; und es gehört doch bei uns für einen deutschen Großgrundbesitzer schon ein gehöriger Mut dazu, etwas Antihakati⸗ stisches zu unternehmen. Die Scozialdemokraten wären ja so furchtbar dumm, wie sie es nicht sind, wenn sie bei dieser aus⸗ gezeichneten Gelegenheit, wo der Einbruch in das Ei entums⸗ recht von Staats wegen sanktioniert wird, nicht zugreifen wollten. Auch politisch ist diese ganze gewaltsame deutsche Kolonisation ein Unding. Wir Polen werden Polen bleiben, obwohl wir es nicht leicht haben, zwischen der hakatistischen Seylla und der sozial⸗ demokratischen Charybdis durchzulavieren. Die staatserhaltenden Parteien haben für die Enteignung gestimmt; sie haben dadurch das Gegenteil des Gewollten erreicht, sie haben die Polen noch fester zu⸗ sammengeschweißt. Der neuen Verfolgung, die man mit der Ent eignung gegen uns inszeniert hat, verdanken wir die steigende Sym pathie aller Gebildeten in der ganzen Welt; sogar von jenseits des Meeres kündigt man uns Besuche an, die den Zweck haben, diese neue preußische Kultur kennen zu lernen. Das wird schöne Kultur⸗ bilder geben! Abg. Hanssen (Däne): Die preußische Gewaltpolitik gegen⸗ über allen nichtdeutschen Volksteilen muß revidiert werden. Wo sind ihre Erfolge? Man vergleiche die Erfolge des Kulturkampfes, des Sozialistengesetzes. Die Gegensätze in den Grenzprovinzen ver⸗ schärfen sich in unzuträglichster Weise, und das Deutschtum geht zurück. Die Engländer lernen doch wenigstens von ihren Fehlern; sie gewähren Irland und den Burenstaaten jetzt die Selbstverwaltung. Anders in Preußen. Ein Pole oder Däne wird da als Gemeinde⸗ vorsteher nicht bestätigt. Ich hoffe, der Deutsche Reichstag wird in . mißzuverstehender Weise gegen diese Gewaltpolitik Stellung nehmen.

Abg. Thumann (Lothringer): Wir haben lange genug unter Ausnahmegesetzen zu leiden gehabt. Deswegen protestieren wir auch gegen Gewaltmaßnahmen, die in anderen Landesteilen ergriffen worden sind. Wir verurteilen darum auch den Hakatismus. So denken auch

die Liberalen in Elsaß⸗Lothringen. Gegen uns in Elsaß Lothringen