hätte man niemals von der Waffe der Enteignung Gebrauch gemacht, sie wäre auch vom Reichstag nicht der Regierung in die Hand ge⸗ geben worden. Solche politischen Maßregesn schädigen das Ansehen ¹ 1 Bei uns im Reichslande hat seinerzeit die vermittelnde Tätigkeit und staatsmännische Weisheit des Fürsten 1 Es ist sehr zu bedauern, daß heute ein solcher mäßigender und staatsmännischer Einfluß nicht zu
Deutschlands im Auslande. Hohenlohe besänftigend gewirkt. finden ist.
Abg. Ledebour (Soz.): Nach der vortrefflichen Rede unseres
Fraktionsredners hätte ich nicht nötig gehabt, noch das Wort zu er⸗ greifen, wenn nicht von der Gegenseite die „nationalen Rücksichten“ in den Vordergrund geschoben wären. Es wurde gesagt, die Polen müßten sich nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich als Preußen fühlen, d. h. daß sie die deutsche Sprache annehmen. E weiter behauptet, daß das Enteignungsgesetz nicht gegen die deutsche und preußische Gesetzgebung verstoße, denn es stehe nicht darin, daß das Gesetz bloß gegen Polen angewendet werden solle, es könne auch gegen Deutsche angewendet werden. Die Macher dieses Gesetzes, die preußische Regierung und die Hakatisten, haben also dem Gese eine verschleierte Form gegeben. Tatsächlich richtet lah das Gesetz nur gegen die Polen, und diejenigen, die das anders darstellen, beweisen eine abgrundtiefe Heuchelei. Präsident Dr. Kaempf rügt diesen Ausdruck.) Im Reichs⸗ ag ist eine größere als Zweidrittelmehrheit gegen das Gesetz vorhanden, und ich tue den Freisinnigen eine große Ehre an, enn ich auch sie zu den Gegnern des Gesetzes zähle. Im preußischen Abgeordnetenhause ist allerdings die umgekehrte Mehrheit vor⸗ handen, das liegt an dem preußischen Wahlrecht. Gewiß, da chlägt Ihnen (rechtsz) wohl das Gewissen? Das allgemeine, gleiche und direkte Wahlrecht muß auch für Preußen eingeführt werden. Der Staatssekretär Delbrück hat doch selbst gesagt, daß ie Politik im Reich und Preußen nach denselben einheitlichen Ge⸗ sichtspunkten geführt werden müsse. Ich appelliete an das Zentrum und die Polen, jede Gelegenheit zu benutzen, daß auch in Preußen das allgemeine, gleiche und direkte Wahlrecht eingeführt wird. Das Zentrum hat es bisher darin an der nötigen Entschiedenheit fehlen lassen. Ausnahmegesetze gegen die Polen und Jesuiten können nur auf diesem Wege FFeitigt werden, wenn im preußischen Abgeordnetenhause eine starke Phalanx gegen die Konservativen vorhanden ist. Das Zentrum trägt einen Hauptteil der Schuld, daß die Junker, die nur in winzigen Exemplaren hier vertreten sind, in Preußen die Oberherrschaft haben. Mit dem Worte „winzig“ meine ich natürlich die Zahl, nicht die Körperhaftigkeit. Die Polen haben seinerzeit auf die Dankbarkeit der Regierung und der Junker ge⸗ rechnet, als sie für die Erhöhung der Zivilliste, die Sozialreform usw. stimmten. Darin sind sie gründlich enttäuscht worden; jetzt brauchen die Herren Sie nicht mehr, da dürfen Sie (zu den Polen) sich nicht wundern, daß Sie jetzt die Fußtritte bekommen. Pie Polen sollten daraus die Lehre ziehen und grundsätzliche Opposition gegen volksfeindliche Gesetze machen. Ziehen sie diese Konsequenz nicht, so wird sie hheh.n von der polnischen Be⸗ völkerung, von den polnischen Arbeitern gezogen werden. Die polnischen Arbeiter werden nicht mehr lange ruhig zusehen, wenn Sie weiter agrarische Politik treiben. Das bestätigt die Erfahrung, die wir mit den polnischen Arbeitern im Westen machen, die dort von den Unternehmern als Lohndrücker heranzuziehen gesucht werden. Glücklicherweise treten auch die polnischen Bergarbeiter, wenn sie eine Einsicht in die Verhältnisse bekommen, uns zur Seite bei den Lohnkämpfen. Ich war gespannt, wie Graf Carmer versuchen würde, sich aus der unangenehmen Lage herauszuwickeln, in der er mit seiner Partei sich befindet. Er hat sich aber nur darauf beschränkt, die nationale Pauke zu schlagen. Das ist begreiflich, denn für die deutschen Großgrundbesitzer ist das eine sehr unangenehme Sache. Innerlich geht ihnen das Enteignungsgesetz sehr an die Nerven. Ihr Verhalten erinnert an das Verhalten des Bären, der sich auf den Honigpfahl hinaufleckte und schließlich daran ver⸗ reckte. Sie zertrümmern den Glauben an die Unantastbarkeit des Grundeigentums. Wir werden selbstverständlich diese Waffe, die Sie uns gegeben haben, gegen Sie wenden. Ich werde meinen Freunden im preußischen Abgeordnetenhause empfehlen, das Material in Preußen zu sammeln, um es zu verwerten. Der Abg. von Heydebrand hat z. B. gesagt: „Es gibt Verhältnisse, wo die Gesetze schweigen ..., es gibt Verhältnisse, wo man nehmen muß, wenn man es nicht anders bekommt.“ Das wird Ihnen noch oft genug in die Ohren klingen! Wenn die Verhältnisse in Deutschland sich zur Möglichkeit der Durchführung des Sozialismus in Stadt und Land entwickelt haben werden — und das geschieht in absehbarer Zeit —, dann wird man den Grundbesitz nehmen unter Berusung auf Ihre eigenen Worte und Taten; denn wenn Sie das schon zu begründen vermochten, so ist diese Begründung ein Kinderspiel, wenn den wenigen Groß⸗ grundbesitzern ohne viel Federlesens genommen werden muß, was den 60 Millionen des deutschen Volkes zugute kommen soll. Unter dem Sozialismus wird es keine unterdrückten Nationalitäten mehr geben, und dann wird das deutsche Volk auch von der Schmach und Schande befreit werden, die diese hakatistischen Hetzer und Rechtsverdreher ihm zugefügt haben. (Präsident Kaempf erklärt die letzten Ausführungen gegen die Hakatisten für nicht parlamentarisch.)
Abg. von Trampeczynski (Pole): Der Abg. Schlee bestritt die Zuständigkeit des Reichstages für diese Verhandlung. Was würde er sagen, wenn die bayerische Regierung das Fefuitengese für Bayern aufhöbe? Würde er das vielleicht ruhig hinnehmen? Notorisch war im preußischen Herrenhause ursprünglich eine Mehrheit gegen das Gesetz vorhanden, Fürst Bülow hat aber eine Mehrheit für das Gesetz nur gewonnen durch die Versicherung, es würde niemals zur Ausführung kommen. Wenn man gegen uns wieder Zeitungs⸗ artikel ins Feld führt, stelle ich nur die Gegenfrage: Gibt es denn unter den deutschen Journalisten nur verständige Männer? Die geschichtlichen Kenntnisse des Abg. Schlee sind doch sehr mangel⸗ haft. 1569 wurde allerdings eine festere Angliederung Westpreußens beschlossen, aber nur, damit die westpreußischen Abgeordneten in den polnischen Reichstag eintreten konnten. Im übrigen genossen die einzelnen Landschaften die weiteste Autonomie, sehen Sie doch nur an, wie frei und unabhängig sich Danzig in jener Zeit befunden und entwickelt hat. Die Weisheit des eg Schlee und der preußischen Regierung läßt sich treffend in Parallele stellen mit der Aeußerung jenes Mannes, der da klagte: „Ich weiß nicht, was meine Frau von mir will; ich haue sie Morgens, ich haue sie Mittags, ich haue sie Abends, und trotzdem will sie mir weglaufen.“ Hat man bei Beratung des Einführungs⸗ gesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch etwa daran gedacht, den § 1 des deutschen Freizügigkeitsgesetzes abzuändern? Anständige Leute haben sich geradezu geweigert, als Taxatoren zu fungieren; dann hat man Leute herangeholt, die mir den Eindruck machten, als steckten sie mit der Ansiedlungskommission unter einer Decke. Bürger, die auf demselben Grund und Boden wohnen, können sich auf die Dauer nicht gegenseitig boykottieren; aber die Regierung muß mit einer Aenderung ihrer Politik den Anfang machen, dann wollen auch wir gern die Hände reichen. Derselbe Gott, der gesagt hat: „Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus“, hat auch gesagt: „Mein ist die Rache!“ Dieser Ansicht sand auch wir.
Abg. Mumm (wirtsch. Vgg.): Wir beteiligen uns an der Be⸗ sprechung nicht, weil wir den Reichstag nicht für zuständig erachten. 89 . dem polnischen Antrag aufgeworfene Frage beantworten wir m ein.
Abg. Dr. Pachnicke (sortschr. Volksp.): Wenn meine Fraktion trotz schärfster Mißbilligung der bisherigen Polenpolitik sich der Abstimmung über den Antrag enthält, so liegt das nicht an uns, an dem Antrag. r ist in seiner jetzigen Fassung ein taatsrechtlicher Nonsens. Wir möchten das wertvolle Recht, das der Reichstag dadurch erhalten hat, daß Anträge an Inter⸗ pellationen geknüpft werden können, nicht durch falsche Anwendung diskreditieren. Für die Handhabung eines preußischen Gesetzes können wir nicht den Reichskanzler verantwortlich machen, sondern nur die preußische Staatsregierung.
Abg. Ledebour (Soz.): Wir halten diese ganze Deduktion für
der Reichskanzler nicht dagegen die einzig verantwortliche Stelle. eignungsgesetz eine solche Beeinträchtigung der Reichsverfassung
Antrag stimmen. Wir haben so die einzige Möglichkeit der Ver⸗ urteilung des Verhaltens des Kanzlers und der gesamten Reichs⸗ regierung. 88 Damit ist die Interpellation und die Tagesordnung er⸗ edigt.
Präsident Dr. Kaempf: Ich danke noch nachträglich den Schriftführern für den schönen Blumenstrauß, den sie aus Anlaß der heutigen Sitzung hier auf dem Präsidententisch niedergelegt haben.
Scchluß 7 Uhr. Nächste Sitzung Donnerstag 1 Uhr. (Namentliche Abstimmung über den Antrag der Polen; zweite Beratung des Gesetzes, betreffend Zollerleichterungen bei der Fleischeinfuhr.) 1”“
8— *
Preußischer Landtag. Herrenhaus. 20. Sitzung vom 29. Januar 1913, Nachmittags 2 Uhr (Bericht von „Wolffs Telegraphischem Bureau“.) 3
Der Präsident von Wedel eröffnet die Sitzung mit ge⸗ schäftlichen Mitteilungen:
Das Präsidium hat aus Anlaß des Ablebens Seiner Königlichen Hoheit des Prinz⸗Regenten Luitpold von Bayern der bayerischen Ab⸗ geordnetenkammer und der Kammer der Reichsräte das Beileid des Herrenhaufes ausgesprochen; von beiden Stellen sind Dankschreiben eingegangen. Ferner hat das Präsidium der Zechenverwaltung „Achenbach“ aus Anlaß des großen Grubenunglücks die Teilnahme des Herrenhauses übermittelt; die Zechenverwaltung hat dafür ihren Dank ausgesprochen. Sodann hat das Präsidium Seiner Majestät dem Kaiser und König die Glückwünsche des Hauses zu der Geburt eines Prinzen, durch die Seine Königliche Hoheit der Prinz August Wilhelm erfreut worden ist, übermittelt, ebenso zu der Verlobung Ihrer Königlichen Hoheit der Prinzessin Viktoria Margarete mit Seiner Durchlaucht dem Prinzen Reuß. Auf diese Glückwünsche sind ebenfalls Dank⸗ schreiben eingelaufen. Das Präsidium hat endlich der Schwester des verstorbenen Staatssekretärs des Auswärtigen Amtes Freifrau von Gemmingen die Teilnahme des “ ausgedrückt. Freifrau von Gemmingen hat dafür ihren Dank übermittelt.
Durch den Tod hat das Herrenhaus die Mitglieder Generalfeldmarschall von Schlieffen und Admiral Hollmann verloren; das Haus ehrt ihr Andenken durch Erheben von den Plätzen.
Der Präsident teilt schließlich noch die Liste der neu⸗ eingetretenen bzw. neuberufenen Mitglieder mit; soweit sie noch nicht auf die Verfassung vereidigt sind, wird ihre Ver eidigung übermorgen erfolgen.
Auf der Tagesordnung steht zunächst die Beratung über den zunächst dem Herrenhause vorgelegten Gesetzentwurf, betr. die Umlegung von Grundstücken in der Land⸗ gemeinde Riesheim a. M., Kreis Höchst.
Herr von Dziembowski beantragt, die Vorlage der Kommunalkommission zur weiteren Prüfung zu überweisen.
Das Haus beschließt demgemäß.
Die Denkschrift, betreffend die in der Zeit vom 1. April 1909 bis 31. März 1911 erfolgten Bauausführungen an den⸗ jenigen Wasserstraßen, über deren Regulierung dem Landtage besondere Vorlagen gemacht worden sind, wird auf Antrag des Berichterstatters Herrn Tramm durch Kenntnisnahme für erledigt erklärt.
Es folgt die Beratung und Beschlußfassung über die ge⸗ schäftliche Behandlung des von dem Abgeordnetenhause unter Abänderung der Regierungsvorlage angenommenen Gesetz⸗ entwurfs, betreffend das Schleppmonopol auf dem Rhein⸗Weserkanal und dem Lippekanal.
Die Vorlage wird auf Antrag des Herrn von Buch ohne weitere Beratung einer besonderen Kommission von 21 Mitgliedern überwiesen. Dann folgen Petitionsberichte.
Eine Petition von Beier u. A. zu Lauterbach bei Primkenau um Abänderung der Landgemeindeordnung dahin gehend, daß die Hälfte der Gemeindevertreter aus den in der Gemeinde ansässigen Bauern, landwirtschaftlichen Arbeitern und Gewerbetreibenden bestehen muß, wird auf Antrag der Kommunalkommission (Berichterstatter Herr Dr. von Dziembowski) durch Uebergang zur Tagesordnung erledigt. Namens der Handelskommission berichtet Herr Plate über die Petition der „Germania“ (Zentralverband deutscher Bäckerinnungen) zu Berlin um schärfere Besteuerung der Konsum⸗ vereine und Filialbetriebe, sowie Verbot des Warenverkaufs in den Konsumbäckereien an Nichtmitglieder und beantragt, die Petition, soweit sie sich auf die Besteuerung der Konsumvereine und Filialbetriebe bezieht, der Staatsregierung als Material, soweit sie die Uebertragung der für die Beschaffenheit der Verkaufs⸗ stellen und Waren der Gewerbetreibenden bestehenden Vorschriften und Kontrolle auf die Konsumvereine betrifft, zur Berücksichtigung zu überweisen, im übrigen über die Petition, soweit sie ein Verbot des Warenverkaufs an Nichtmitglieder fordert, zur Tagesordnung über⸗ zugehen. Das Haus beschließt ohne Debatte nach diesem Antrage. Ueber eine Petition des Bürgermeisters Saalmann zu Pleß, namens des Reichsverbandes deutscher Städte (Verband der Ge⸗ meinden unter 25 000 Einwohnern), um Abänderung des Kreis⸗ und Provinzialabgabengesetzes zwecks Vermeidung einer schärferen steuer⸗ lichen Belastung der kreisangehörigen Städte beantragt Herr von Sydow⸗Stolzenfelde namens der Kommunalkommission Uebergang zur Tagesordnung; das Haus beschließt dementsprechend.
Derselbe Berichterstatter beantragt die Petition des Bürger⸗ meisters Saalmann zu Pleß um anderweite Regelung der Pensions⸗ verhältnisse der Bürgermeister und besoldeten Magistratsmitglieder in den 6 östlichen Provinzen der Staatsregierung als Material zu über⸗ weisen. Das Haus beschließt demgemäß.
Denselben Beschluß faßt das Haus bezüglich einer Petition des Vorstandes des Preußischen Landgemeindeverbandes zu Berlin⸗ Friedenau um Abänderung des Kommunalabgabengesetzes zwecks Heran⸗ ziehung der Gesellschaften m. b. H. an Stelle der Gesellschafter zur Gemeindeeinkommensteuer. “
Schließlich wird eine Petition des Magistrats zu Halberstadt zu⸗ gleich im Namen von 26 anderen ge;seren preußischen Städten um Befreiung der städtischen öffentlichen Pfandleihanstalten von der Ver⸗ pflichtung zur Herausgabe gestohlener Sachen ohne Entschädigung durch Uebergang zur Tagesordnung erledigt.
Schluß 3 ¼ Uhr. Nächste Sitzung Freitag, 1 Uhr (Ver⸗ eidigung neu eingetretener Mitglieder; Wassergesetz, Nachtrags⸗ etat, kleinere Vorlagen und Petitionen).
118“ auch in seiner jetzigen Gestalt verstößt er weder gegen das Gesetz noch gegen die Verfassung. Wenn in irgendeinem Bundes⸗ staate ein Verstoß gegen die Reichsgesetze vorkommt und einschreitet, dann ist er Weil wir nun in dem Ent⸗
sehen, deshalb können wir mit gutem Recht und Gewissen für diesen
Haus der Abgeordneten. 120. Sitzung vom 29. Januar 1913, Vormittags 11 Uhr. (Bericht von „Wolffs Telegraphischem Bureau“.)
Ueber den Beginn der Sitzung, in der zunächst die zweite Beratung des Etats der Gestütverwaltung bei den Einnahmen aus den Landgestüten fortgesetzt wird, ist in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden.
Auf die daselbst auszugsweise wiedergegebenen Aus⸗ führungen des Abg. Burchard (kons.) entgegnet der
Minister für Landwirtschaft, Domänen und For Dr. Freiherr von Schor Fea. r: Forsten
Meine Herren! Mir fällt dlie im vorliegenden Falle nicht ganz leichte Aufgabe zu, den Fiskus, der von dem Herrn Vorredner — allerdings nur in einem Zitat — als größte Bestie bezeichnet worden ist (Heiterkeit), gegen die aus der Provinz Ostpreußen erhobenen Be⸗ schwerden in Schutz zu nehmen.
Es kann wohl ein Zweifel darüber nicht obwalten, daß nicht allein die landwirtschaftliche Verwaltung, sondern auch die Staats⸗ und Reichsregierung die Bedeutung einer Provinz für die Wehrkraft des Vaterlandes nicht unterschätzen kann, die bekanntlich 65 % des gesamten Pferdebedarfs der deutschen Armee deckt. Die Bestrebungen der landwirtschaftlichen Verwaltung gehen selbstredend dahin, die Provinz Ostpreußen auf dem Gebiete der Pferdezucht leistungsfähig zu erhalten. Meine Herren, dafür sprechen doch die Beihilfen, die zu Zwecken der Pferdezucht in den letzten Jahren an die Provinz Ostpreußen gegeben worden sind, ganz ab⸗ gesehen davon, daß Ostpreußen den Vorzug hat nicht allein zwei Hauptgestüte, sondern auch vier Landgestüte zu besitzen. Es sind im Jahre 1911 von den Beihilfen, die für die ganze Monarchie, ein⸗ schließlich der Zuwendungen aus dem Ostfonds, 709 540 ℳ betragen haben, allein 188 760 ℳ, also mehr als der fünste Teil, in die Pro⸗ vinz Ostpreußen geflossen. Die Bedeutung dieser Zuwendung tritt auch dadurch hervor, daß die nächst höchstbedachte Provinz Hannover nur 70 200 ℳ erhalten hat. Aber ich gebe ohne weiteres zu, daß damit allein den berechtigten Wünschen der Provinz Ostpreußen nicht gedient ist. Der Schwerpunkt liegt zweifellos — das hat der Herr Vorredner richtig ausgeführt einmal in der Zwangslage, in welche die Provinz durch die Einführung der Körordnung, wenigstens in den Regierungsbezirken Gumbinnen und den anschließenden Kreisen, versetzt worden ist; und dann — und das ist wohl die Hauptsache — in den auch meines Erachtens zu niedrigen Remontepreisen. (Bravo! rechts.) Ich möchte aber doch den Herrn Kriegsminister, der heute nicht in der Lage ist, sich selbst zu verteidigen, gegen den Vorwurf in Schutz nehmen, daß er oder die von ihm ressortierende Remonteankaufskommission in quasi böswilliger Absicht mit den Preisen zurück⸗ halte! Meine Herren, Sie dürfen nicht vergessen, daß der Herr Kriegsminister, vielleicht noch mehr als der land⸗ wirtschaftliche Minister, an seinen Etat gebunden ist, daß er auch dem Reichstage Rechenschaft schuldet. Wenn der Herr Kriegsminister in der Lage gewesen wäre, in den letzten Jahren auf eine Erhöhung der Fonds für Pferdeankäufe einwirken zu können, so würde er jedenfalls das seinige nach dieser Richtung hin nicht ver⸗ säumt haben. Aber ich erkenne trotzdem gern an, daß es auch die Pflicht der landwirtschaftlichen Verwaltung ist, auf eine Besserung der gegenwärtigen Preisverhältnisse hinzuwirken. (Bravo! rechts.) Ich werde jedenfalls nicht unterlassen, was auch meinerseits eingeleitet worden ist, mit dem Herra Kriegsminister in Verhandlungen zu treten, damit die Remontepreise so hoch bemessen werden, daß bei denselben noch eine lohnende Aufzucht möglich ist. (Bravo! rechts.)
Meine Herren, betreffs der Körordnung ist der etwas harte Ausdruck gefallen, daß mit der Einführung dieser Körordnung die Provinz Ostpreußen getäuscht worden sei. Ich glaube, so ernst war das von dem Herrn Vondner nicht gemeint. Die Staatsregierung ist von der an sich gewiß richtigen Auf⸗ fassung ausgegangen, daß — wie ich auch schon vor einigen Tagen ausgeführt habe — eine Besserung auf züchterischem Gebiete nur dann zu erreichen ist, wenn durch die Körordnung ein bestimmtes Zuchtziel festgelegt wird. In Ostpreußen, wo sich Bestrebungen, wie wir alle wissen, geltend machen, nach dem Beispiel anderer Provinzen auch zur Zucht des Halbblutes überzugehen, stand zudem doch auch die Zukunft der ostpreußischen Pferdezüchter in Frage, die mit Vorliebe an ihrem warmblütigen Pferdeschlage hingen, und denen die Staats⸗ regierung die Wege ebnen mußte, um diese Zucht auch fernerhin fort⸗ setzen zu können. Die landwirtschaftliche Verwaltung ist dabei von der gewiß auch richtigen Ansicht ausgegangen, daß gerade für die Zucht des warmblütigen Pferdes sich die ostpreußische Scholle in erster Linie eignet. Meine Herren, ich glaube, daß deswegen aus der Einführung der Körordnung und dem Festhalten an dieser Körordnung der land⸗ wirtschaftlichen Verwaltung gewiß kein Vorwurf gemacht werden darf; aber ich gebe gern zu, daß die Beibehaltung dieser Körordnung und der durch sie gebotenen Zuchtrichtung allerdings die Voraussetzung hat, daß die entsprechenden Remontepreise gezahlt und so den Züchtern auch ihre Arbeit gelohnt werden kann. (Sehr richtig! rechts.) Und was nach dieser Richtung hin geschehen kann, wird meinerseits jeden⸗ falls nicht unterlassen werden. (Bravo! rechts.)
Meine Herren, noch eine Bemerkung über die verschiedenen Aeußerungen, die Leiter der Remontenankaufskommissionen in der Provinz Ostpreußen getan haben sollen. Ich bin nicht in der Lage, dazu Stellung zu nehmen, da mir der sichere Wortlaut derselben nicht bekannt ist! Aber wenn nun einmal im Laufe eines Gesprächs oder inter pocula solche Meinungsäußerungen eines einzelnen Herrn ge⸗ fallen sind, ich glaube nicht, daß Sie das ohne weiteres als maß⸗ gebende Aeußerungen der zuständigen Instanzen ansehen dürfen. Sie dürfen solche Aeußerungen, wenn sie wirklich gefallen sein sollten, auch nicht allzu tragisch nehmen. Jedenfalls glaube ich eines sagen zu können: es kann nicht richtig sein, daß die preußische Heeres⸗ verwaltung an die anderen Bundesstaaten sich mit der Bitte ge⸗ wendet hat, nicht so hohe Preise für den Ankauf von Remonten in Ostpreußen anzulegen! Dabei ist, wenn ich den Herrn Vorredner richtig verstanden habe, Württemberg genannt worden. Soweit ich aus meinen Nachweisungen entnehmen kann, werden die Pferde für Württemberg und Baden durch unsere Kommissionen angekauft und diesen Staaten nach Bedarf zugeteilt. Es lag also für die preußische Heeresverwaltung gar kein Anlaß vor, auf Württemberg in dem ge⸗ dachten Sinne einzuwirken. Ich glaube ebenso wenig, daß das gegen⸗
falsch. Wir hätten den Antrag vielleicht anders gefaßt, aber
über einem anderen Bundesstaate geschehen sein kann! (Bravo! rechts.) (Schluß in der Zweiten Beilage.)
um D
z 26.
eil a ge zeiger und Königlich Preußischen Staatsanzeiger.
Berlin, Donnerstag, den 30. Januar
8
1913.
ei
.(Schluß aus der Ersten Beilage.)
Abg. Baerecke (kons.): Wir in Westpreußen erkennen die Be⸗ deutung Ostpreußens für die Pferdezucht an und verstehen es, daß Ostpreußen bezüglich der Hengste bevorzugt wird, weil die Ostpreußen sich einer Körordnung und damit einer Beschränkung ihrer wirtschaft⸗ lichen Freiheit unterworfen haben; wir müssen dafür ein Aequivalent in guten Hengsten bekommen. Vor einigen Jahren hat ein neues Verfahren bei der Verteilung der Trakehner Hengste Platz gegriffen. Während früher die jungen Trakehner Hengste nach einer Vorwegaus⸗ wahl von Hauptbeschälern so verteilt wurden, daß die Reihenfolge der Auswahl für die einzelnen Gestüte durch das Los erfolgte, ist vor einigen Jahren auf Betreiben der rührigen ostpreußischen Landwirt⸗ schaftskammer eine neue Bevorzugung für Ostpreußen eingetreten, indem den drei ostpreußischen Gestüten, Gudwallen, Rastenburg und Georgenburg erlaubt wurde, nach der Auswahl der Hauptbeschäler zunächst für sich eine Anzahl von Hengsten vor der allgemeinen Ver⸗ teilung vorweg zu nehmen. Das hat Mißstimmung erregt, aber der Landwirtschaftsminister schrieb wenigstens unserer Landwirtschafts⸗ kammer, daß eine weitere Bevorzugung der ostpreußischen Gestüte nicht beabsichtigt sei. Westpreußen ist in schwieriger Lage, es ist außer auf Trakehnen ganz auf seine eigene junge Pferdezucht angewiesen. Bekommen wir einen ostpreußischen Landbeschäler zugewiesen, so ist er rechtmäßig. Im vorigen Jahre war gute Gelegenheit, uns einen früheren Hauptbeschäler zuzuweisen, da der Etat für Trakehnen erhöht wurde; die ausrangierten Beschäler sind aber sämtlich in Ost⸗ preußen geblieben, trotzdem der Minister uns eine Zusage gemacht hatte. Wir haben nur vor zwei Jahren einmal den 21 jährigen total ver⸗ brauchten Hengst „Jungbarometer“ bekommen. Ferner besteht für unsere Hochzucht der dringende Wunsch nach vollblütigen Hengsten. Während die ostpreußischen Gestüte bis 20 und Celle etwa 10 Voll⸗ bluthengste haben, hat Marienwerder nur zwei, wovon nur einer wertvoll ist. Preußisch⸗Stargard hat bisher überhaupt keinen Vollbluthengst. Die Zufuhr wirklich hervorragender Vater⸗ tiere in unsere Provinz ist leider fast ganz unterbunden. Ferner haben wir seit Jahren einen Mangel an Landbeschälern über⸗ haupt empfunden. Wir haben den Minister gebeten, Preußisch⸗ Stargard den Etat auf wenigstens 15 Hengste zu erhöhen, der vor⸗ liegende Etat sieht aber nur 5 neue Hengste vor. Daß die west⸗ preußische Pferdezucht die Staatshilfe nicht lohne, ist nicht richtig; in unseren Hauptzuchtgebieten werden Kaltbluthengste nicht mehr gekört. Der Staat hat also die Pflicht, uns zu helfen. Ich weise namentlich auf die hohe Bedeutung des Gestüts Tragheim hin, dessen Begründer und Leiter Oekonomierat Jacobsen Leistungen vollbracht hat, die hinter denen der ostpreußischen Gestüte nicht zurückstehen. Wir sind aber auf die Staatshilfe angewiesen. Wir bitten ferner den Minister, daß er bei der bisherigen Art der Prämiierung von Stuten und beim Ankauf von Subventionsstuten in den Remonte⸗ depots verbleibt; wir wollen nicht, daß die ostpreußische Art der Fohlenprämiierung eingeführt wird. .
Abg. von Oertzen (freikons—.): Eine tüchtige Remontezucht ist für die Erhaltung der Wehrkraft des Deutschen Reiches erforderlich, aber nur dann möglich, wenn die Züchter durch angemessene Preise für die großen Aufwendungen entschädigt werden, welche sie zu machen haben. Daß das vielfach nicht geschieht, liegt meiner Ansicht nach daran, daß der Remonteinspekteur die Preise über die Remonten allein festsetzt. Ich bezweifle, daß dieser die wirtschaftlichen Verhält⸗ nisse im Lande und die der Pferdezüchter genau kennt. Er ist daher geneigt, im Interesse des Fiskus die Preise niedriger festzusetzen. Um diese Verhältnisse zu ändern, muß auch das landwirtschaftliche
Ressort bei der Festsetzung der Preise gehört werden. Es muß also⸗
eine prinzipielle Aenderung der Bestimmung eintreten. Ich bitte den Herrn e; seinen ganzen Einfluß nach dieser Richtung geltend zu machen.
G Oberlandstallmeister von Oettingen: Bei der Verteilung der Trakehner Hengste muß zunächst für Ostpreußen gesorgt werden, aber Westpreußen steht in bezug auf die Remontezahl sehr viel besser daran als Posen. Dagegen können wir ab und zu auch einen Haupt⸗ beschäler und einen Vollbluthengst der Provinz Westpreußen zuwenden. An der Prämiierung der Fohlen, die ich allerdings für falsch halte, kann nichts geändert werden.
Abg. Baerecke (kons.): Ich bedauere die Auskunft des Ober⸗ landstallmeisters bezüglich der Trakehner Hengste, denn diese sollen doch nicht bloß für die ostpreußische Pferdezucht da sein, die Gestüte sind Anstalten, die vom Staate erhalten werden, und sie sollen für die ganzen östlichen Provinzen befruchtend wirken. Ich danke dem Oberlandstallmeister für sein Wohlwollen und hoffe, daß es in die Tat umgesetzt wird.
Beim Kapitel über dauernde Ausgaben der Gestüt⸗ verwaltung bemerkt “
Abg. Dr. Lohmann (nl.), daß es eine Unliebenswürdigkeit gegenüber der Provinz Hessen⸗Nassau wäre, wenn man das Gestüt Dillenburg verlegen würde. 1 1“
Fbeaeeie s. von Oettingen sagt eine nochmalige ein⸗ ehende Prüfung dieser Frage zu. 1 8 n69 B 8. Ich freue mich über das Wohlwollen der Gestütverwaltung, wünsche aber auch, daß es im Etat genügend zum Ausdruck kommt. 88
Nach einer weiteren Bemerkung des Oberlandstallmeisters von Oettingen werden die Ausgaben für die Landgestüter bewilligt. ““
Bei den Ausgaben zur Gewährung zinsfreier Darlehen an Pferdezuchtvereine und Genossenschaften zum Ankauf von Zucht⸗ pferden bemerkt .
Abg. von Oertzen (frelkons.): Ich halte es für wünschens⸗ wert, daß man zur Beurteilung dieser Frage die Provinzen scheide in solche, in denen Remontezucht getrieben wird, und in Provinzen, wo Pferde für Privatzwecke gezüchtet werden. In Gegenden, wo Privat⸗ zucht vorherrscht, sollen die betreffenden Henaste von den Vereinen ge⸗ kauft werden, und zwar unter besonderer Aufsicht, damit Fehler bei der Auswahl der Hengste vermieden werden.
Das Extraordinarium wird ohne Debatte bewilligt.
Der Rest des Etats der Gestütverwaltung wird ohne Debatte bewilligt.
Es folgt der Etat der Domänenverwaltung.
Berichterstatter ist Abg. Graf von der Groe ben (kons.).
Bei den Einnahmen bemerkt 1“
8 Abg. “ el (kons.): Wir sind durchaus damit ein⸗ verstanden, daß die Domänen da, wo der Großgrundbesitz überwiegt, zu Besiedlungszwecken der inneren Kolonisation herangezogen werden. Wir stehen im allgemeinen der inneren Kolonisation freundschaftlich gegenüber, aber die Sache muß vernünftig gemacht werden. Es dürfen nur solche Objekte ausgesucht werden, welche Garantie 1 daß die Ansiedler auch leben können. Es gibt aber eine ganze sebe von Großbetrieben, die sich für kleine Betriebe nicht eignen mwüt ü9r Es muß darauf geachtet werden, daß ein richtiges Verhältni zwischen Acker und Wiesen besteht. Man darf das Kind nicht mit dem Bade ausschütten und ungeeignete Objekte zur inneren Kolonisation verwenden. Wo Brennereien auf Domänen vorhanden sind, können solche auch nach der Aufteilung, z. B. auf dem Ge⸗
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nossenschaftswege, den Bauern zur Verfügung gestellt werden. Dies muß sogar unbedingt der Fall sein, denn die Brennereien produzieren auch außerordentlich viel Futter für das Vieh und nützen außerdem durch die Kartoffelverwertung. Ohne Kartoffeln hätten wir unendliche Strecken, die wüst daliegen würden. Außerdem wird der Spiritus nicht nur zum Trinken, sondern auch zu gewerb⸗ lichen Zwecken verbraucht. Wir begrüßen es mit Freuden, daß der Minister erklärt hat, daß diejenigen Objekte, die zur Kolonisation verwandt werden sollen, rechtzeitig vorher bezeichnet werden, damit die Pächter sich darauf einrichten können. Nun ist die Domänenaufteilung in den östlichen Provinzen noch von einem anderen Gesichtspunkt zu betrachten. Es sind dort seinerzeit erhebliche Mittel hineingesteckt worden, um sie wirtschaftlich nutzbar zu machen. Durch die Aufteilung würden diese Mittel verloren gehen. Die Domänen dürfen nicht auf so kurze Zeit verpachtet werden, wie ein Abgeordneter es gewünscht hat, denn sonst hat der Pächter kein Inter⸗ esse daran, viel hineinzustecken, sondern er beutet die Domäne aus, und dadurch sinkt sie im Wert. Wir stehen auch auf dem Standpunkt, daß die Domänenverwaltung keine Veranlassung hat, Domänen zu verschenken. Alle diese Bedenken müssen aber zurücktreten, wenn es sich um nationale Interessen handelt. Wir wünschen nicht, daß fiskalische Interessen nationale Interessen zurückdrängen. Der Vorwurf, daß die Domänen nur an Großgrundbesitzer verkauft würden, ohne Rück⸗ sicht auf die innere Kolonisation, wie es der Reichstagsabgeordnete Wachhorst de Wente behauptet hat, ist unrichtig, ebenso ist die Be⸗ schwerde darüber, daß die Domänenverkäufe geheimnisvoll betrieben würden, sodaß die Genossenschaften nichts davon erführen, unbegründet. Drei Jahre vor der Verpachtung wird ein Verzeichnis der Domänen publiziert, die pachtfrei werden, und ein Jahr vor der Verpachtung werden die betreffenden Domänen in der Presse ausgeschrieben. Von der Budgetkommission ist die Beschwerde erhoben worden, daß durch die Ausdehnung des fiskalischen Weinbaus die kleinen Besitzer ge⸗ schädigt würden. Demgegenüber weise ich darauf hin, daß die Domaͤnenverwaltung in dieser Hinsicht vorbildlich wirkt, und daß sie zur Hebung der Preise und zur Hebung des allgemeinen Ge⸗ schmackes beitragt. Nun ist die, Frage angeregt worden, ob nicht der gesamte fiskalische Grundbesitz in der Hand der Domänen⸗ verwaltung vereinigt werden könne. Meine Freunde sind nicht abgeneigt. Die Vermehrung der Arbeiterwohnungen auf den Domänen begrüßen wir mit Freuden. Ich hoffe, daß der Minister zu diesem Zweck weitere Mittel flüssig machen wird.
Ministerialdirektor Brümmer: In der Budgetkommission ist die Frage angeregt worden, ob die Domänenverwaltung in der Lage sei, umfangreiche Domänen, die vom Kultusministerium ressortiert und von verschiedenen Behörden verwaltet werden, zu übernehmen, ohne daß das Personal der Domänenverwaltung übermäßig gesteigert werde. Die Domänenverwaltung hat antworten können, daß sie in der Lage sei, diese Domänen ohne nennenswerte Personalvermehrung zu übernehmen; sie müsse aber zur Bedingung stellen, daß sie freie Hand bekomme in der Verwaltung dieser Domänen. Es ist dann Auskunft verlangt worden über die Feuerversicherung der Domänen⸗ gebäude bei öffentlichen Feuerversicherungsgesellschaften. In dieser Hinsicht kann ich nur sagen, daß inzwischen der Verband gegründet worden ist, den das Gesetz über die öffentlichen Versicherungsgesell⸗ schaften vorsieht. Die Domänenverwaltung begrüßt dies.
Abg. Heine (nl.): Wir sind im großen und ganzen mit den Maßnahmen der Domänenverwaltung einverstanden. Wir sehen, daß
wir aus den Zeiten des landwirtschaftlichen Niederganges heraus⸗ gekommen sind, und wollen hoffen, daß sie nicht wiederkehren. Eine Erhöhung der Domänenpachtpreise wird schon durch die Ver⸗ änderung des Geldwertes bedingt, aber die Preise sind zum Teil ganz erheblich gestiegen. Bei dem anerkannten Fleischmangel in Deutschland muß die Domänenverwaltung darauf hinwirken, daß die Domänenpächter eine gewisse Anzahl von Großvieh und Kleinvieh züchten. Erfreulich ist es, daß der Etat eine weitere Vermehrung der Arbeiterwohnhäuser auf den Domänen vorsieht. Es empfiehlt sich, Zweifamilienhäuser zu errichten, wenn auch nicht nach der Schablone verfahren werden kann. Die landwirtschaftlichen Arbeiter sind nicht bloß Konsumenten, sondern auch Produzenten, und man soll es ihnen daher auch ermöglichen, etwas Vieh zu halten. Mit Freude begrüßen wir es auch, daß man mit Blitzableitereinrichtungen und mit Verbesserung der Feuerlöscheinrichtungen vorgegangen ist. Wir sind der Ansicht, daß der Stand der Domänenpächter erhalten bleiben muß, und wir erkennen an, daß er sich große Verdienste um die Landwirtschaft erworben hat, aber für die innere Kolonisation können wir doch die Aufteilung von Domänen nicht entbehren. Daher müssen die Domänen so billig hergegeben werden, wie es nur möglich ist. Die Domänen, die aufgeteilt werden sollen, müssen aber möglichst frühzeitig bezeichnet werden, damit die Domänenpächter sich darauf einrichten können. In der Industrie sind leider nur wenige selb⸗ ständige Existenzen möglich, aber auf dem Lande können wir viele selbständige Existenzen schaffen, wenn wir kolonisieren. Wir werden an der bewährten Wirtschaftspolitik festhalten.
Abg. Delius (Fortschr. Volksp.): Auch wir sind von dem Ab⸗ schluß der Domänenverwaltung befriedigt, er läßt erkennen, daß es der Landwirtschaft gegenwärtig recht gut geht. Die Viehhaltung auf den Domänen läßt leider immer noch zu wünschen ührig, sie muß im Interesse der Fleischversorgung der Bevölkerung gefördert werden, und ein gewisser Zwang zur Viehhaltung muß auch auf die zurzeit ver⸗ pachteten Domänen ausgeübt werden. In der Provinz Sachsen gibt es ja nicht viel Domänen, aber diejenigen Domänen, die sich dafür eignen, sollten schleunigst aufgeteilt werden, um der inneren Kolonisation zu dienen. Wir freuen uns, daß dieser Etat eine Summe zur Vr⸗ besserung der Arbeiterwohnungen enthält, aber wir meinen, daß in dieser Hinsicht die Domänenverwaltung noch mehr tun könnte. Die Rentenguts⸗ ansiedlungen sollten auch von der Domänenverwaltung gefordert werden. Ich möchte noch eine Beschwerde eines Ziegeleibesitzers vortragen. Diesem wurde durch einen Erlaß Friedrichs des Großen gegen die Verpflicheung, dem Staat jährlich 120 ℳ zu zahlen, die Gerechtsame gegeben, auf der Domäne Ernstleben ein Ziegelwerk anzulegen. Der Rechtsnachfolger des ersten Besitzers errichtete dann auf dem fis⸗ kalischen Gelände eine Dampfziegelei und das gab dem Fiskus Ver⸗ anlassung, Klage zwecks Entziehung des Privilegs zu erheben. Alle⸗ Prozesse, die bis jetzt wegen dieser Frage geführt wurden, hat der Fiskus verloren, und es hat ihm Tausende gekostet. Auch ein neuer Prozeß wird wahrscheinlich keine andere Entscheidung bringen. Ich möchte die Regierung aber bitten, daß sie dafür Sorge trägt, daß das dem Ziegeleibesitzer von Friedrich dem Großen gegebene Privileg nicht angetastet wird.
Abg. Dr. Arning (nl.): Wenn unser Fleischbedarf gedeckt werden soll, muß die innere Kolonisation wesentlich gesteigert werden, sonst können wir der arbeitenden Bevölkerung gegenüber unsere Zoll⸗ politik nicht aufrecht erhalten. Derselbe landwirtschaftliche Kompler kann mehr Menschen ernähren und mehr Vieh produzieren, wenn er an Kleinbesitzer aufgeteilt ist, als wenn er in einer Hand ist; wir haben bei Aufteilungen gesehen, daß sich die Produktion bedeutend steigerte. Der Minister will ja auch die piehlosen Wirtschaften mög⸗ lichst bösfitigen Die Aufteilung des Besitzes, die innere Kolonisation dient also unserer Volksernährung. Die Rentabilität des kleinen Besitzes in der Provinz Hannover hat die Hebung der landwirtschaft⸗ lichen und der allgemeinen Bildung des Bauernstandes ermöglicht. Die Hebung der Schweinezucht und der übrigen Viehzucht in Hannover kann vorbildlich für das ganze Deutsche Reich sein. Sie hat
wesentlich zur Deckung unseres Fleischbedarfs beigetragen. Es ist
bedauerlich, daß die Domäne Schinna im Kreise Stolzenau trotz des Wunsches der Bevölkerung des Ortes Schinna nicht aufgeteilt worden ist; der Minister hatte vor drei Jahren zugesagt, daß die Domäne nur noch auf drei Jahre verpachtet werden solle, aber jetzt ist sie auf 18 Jahre von neuem verpachtet worden. Die von der Domänenverwaltung gegen die Aufteilung angeführten Gründe sind nach Ansicht meiner Freunde nicht durchschlagend; das gilt auch von dem Grunde, daß nur noch 6 größere Güter in dem
Kreise vorhanden seien und erhalten werden müßten. Der Land⸗
wirtschaftsminister hat gesagt, daß zwar die Domäne nicht aufgeteilt werde, daß aber 50 Morgen verkauft we den sollen. Was sind aber 50 Morgen gegenüber der Not, die hier besteht. Dadurch, daß der Minister dieses Zugeständnis gemacht hat, hat er aber anerkannt, daß tatsächlich Abhilfe not tut. Hier ist praktische Abhilfe möglich, daher sollte man nicht mehr länger zögern, um so mehr, da alle Parteien dieses Hauses Freunde der inneren Kolonisation sind.
Abg. Thurm (fortschr. Volksp.): Ich kann mich dem Vorredner nur anschließen, der eine größere Aufteilung der Domänen wünscht. Die Aufteilung der Domänen liegt durchaus im Interesse der kleinen Bauern, die dringend um Land bitten. Ich habe eine Liste von 69 kleinen Besitzern vor mir, die über 1200 Morgen Land wünschen. Die Aufteilung von Domänen liegt auch im Interesse der Forstver⸗ waltung, denn dadurch kann sie sich einen Stamm tüchtiger Arbeiter heranziehen, woran es vielfach fehlt.
Abg. Leinert (Soz.): Es ist sehr bedauerlich, daß die Domänen zu billig verpachtet werden. Die Bedingungen für die Verpachtung von Domänen sind derart, daß nur ganz bestimmte Personen als Pächter in Betracht kommen. Die Domänen werden zu allzu niedrigen Preisen verpachtet. Wir verlangen, daß der Minister bei der Ver⸗ pachtung der Domänen mehr die Interessen des Staates berücksichtigt. Die Herren Domänenpächter verstehen es, ihr Einkommen möglichst niedrig zu deklarieren. Nach unserer Meinung kommt es bet der inneren Kolonisation nicht darauf an, wieviel Großgrundbesitzer, mittlere oder kleine Grundbesitzer vorhanden sind, sondern nur auf die Möglichkeit zu wirtschaftlicher Entwicklung. Es wäre durchaus wünschenswert, wenn die landwirtschaftliche Verwaltung den Anfang machen würde mit einer genossenschaftlichen Bewirtschaftung von Domänen. Die beklagte Mobilisierung des Großgrundbesitzes findet allerdings statt, aber die Domänenverwaltung ist daran nicht unbeteiligt; sie hat für 132 Millionen Land gekauft und für 166 Millionen verkauft. Unser Antrag, daß auf allen Domänen Vieh gehalten werden müsse, wurde seinerzeit leider abgelehnt, weil das Zentrum erklärte, daß ein solcher Zwang unmöglich auf alle Pächter ausgeübt werden könne. Wo aber könnte die Staatsverwaltung besser ihren Einfluß auf die Viehhaltung ausüben als auf den Domänen? Auch der Hansabund hat jetzt diese Forderung vertreten. Der Minister sagte neulich, daß die gute Qualität des Viehs gerade beim Großgrundbesitz gezüchtet werde; dann müßte der Minister dafür sorgen, daß auch auf den Domänen dieses Qualitätsvieh gezogen wird. Wie steht es mit dem Ergebnis der Viehzählung von 1912?2 Dem Miinister scheint es schon bekannt zu sein, warum wird es nicht veröffentlicht? Wir fürchten, daß diese Statistik einen weiteren Rückgeng der Vieh⸗ produktion ergeben wird. In Norderney soll ein neues Kurhaus er⸗ richtet werden; vielleicht denkt bei dieser Gelegenheit die Regierung einmal daran, die staatlichen Bäder besser der minderbemittelten Be⸗ völkerung zugänglich zu machen.
Abg. von Kessel (kons.): Der Abg. Leinert sagte, daß die Domänenpächter es verständen, ihr Einkommen möglichst niedrig zu deklarieren. Was soll das heißen? Soll das eine objektive Fest⸗ stellung sein? In dem Munde des Herrn Leinert sehe ich einen schweren Vorwurf darin, den ich namens meiner Freunde im Interesse dieses ehrenwerten Standes auf das energischste zurückweise. (Ruf bei den Sozialdemokraten: Widerlegen! Nicht zurückweisen! Ruf rechts: Beweisen!) Der Abg. Leinert hat seinerseits gar keine Beweise er⸗ bracht, sodaß von einer Widerlegung meinerseits nicht die Rede sein kann. Der Abg. Delius hat auf Grund einer Quelle, die nicht ein⸗ wandsfrei zu sein scheint, gesagt, Graf Asseburg habe seinen fidei⸗ kommissarischen Besitz in der Provinz Sachsen neuerdings um 1340 ha vergrößert. Ich habe den Grafen Asseburg gesprochen und ihn gefragt. Die ganze Angabe stimmt nicht. Ich folgere daraus, daß auch die anderen Angaben des Abg. Delius nicht auf ganz ein⸗ wandsfreien Quellen beruhen.
Minister für Landwirtschaft, Domänen und Forsten Dr. Freiherr von Schorlemer:
Meine Herren! Die Ausführungen des Herrn Vorredners er⸗ leichtern mir die Aufgabe, auch meinerseits den Behauptungen des Herrn Abg. Leinert entgegenzutreten. Ich beschränke mich namens der Domänenverwaltung darauf, festzustellen, daß ich die gegen die Do⸗ mänenpächter erhobenen Vorwürfe nicht allein mißbillige, sondern sie auch durchaus für unbegründet halte! Ich betrachte es als ausge⸗ schlossen, daß der Herr Abg. Leinert den Beweis für seine Behaup⸗ tungen bezüglich der Steuerhinterziehungen der Domänenpächter er⸗ bringen kann.
Meine Herren, Herr Abg. Heine hat die Viehhaltung auf den Domänen besprochen und auch der Herr Abg. Leinert hat in dieser Beziehung besondere Wünsche an die Domänenverwaltung gerichtet. Ich hatte schon im Reichstage bei der Besprechung der Teuerungs⸗ maßnahmen Gelegenheit, mich über die Viehhaltung auf den Domänen auszusprechen, und ich kann nur bedauern, daß die genannten Herren Redner von diesen meinen Ausführungen anscheinend keine Kenntnis er⸗ halten haben. Ich habe mich im Reichstage auf eine Nachweisung berufen, die im Landwirtschaftsministerium über die Viehhaltung auf den Domänen aufgestellt worden ist, und möchte auch hier die Ergebnisse dieser Nachweisung kurz mitteilen.
Es werden im ganzen auf den Domänen gehalten 170 735 Stück Großvieh und 328 302 Stück Kleinvieh. Das macht auf eine Fläche von 2,5 ha, also auf 10 Morgen, 0,97, also nahezu 1 Stück Groß⸗ vieh, durchaus den sonst gestellten wirtschaftlichen Anforderungen ent⸗ sprechend, und 1,87, also nahezu 2 Stück Kleinvieh, ebenfalls auf 10 Morgen. Wenn ich außerdem hinzufüge, daß von den gesamten Staatsdomänen nur 3 ohne Viehhaltung sind, so werden Sie mir zugeben müssen, daß die Domänen in bezug auf Viehhaltung nicht zurückstehen! Von den drei Domänen ohne Viehhaltung ist die eine die Domäne Ruhleben, die für Trabrennzwecke verpachtet ist. Die beiden anderen Domänen sind parzellenweise an Bauerngenossenschaften verpachtet. Es läßt sich also nicht feststellen, wieviel Vieh auf die Pachtstücke der Domänen entfällt.
Die Ausführungen über die Aufteilung der Domänen kann ich nicht unerwidert lassen. Wenn wir uns demnächst eingehender über innere Kolonisation unterhalten werden, werde ich noch Gelegenheit haben, den wiederholt schon besprochenen Standpunkt der landwirt⸗
schaftlichen Verwaltung über die Domänenaufteilung zu rechtfertigen.