1913 / 59 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 08 Mar 1913 18:00:01 GMT) scan diff

1 kamerun liegen die Verhältnisse dabei völlig anders als in Ostafrika. Hoffentlich gelingt es, die Rechte der Konzessionsgesellschaften dort all⸗ mählich einzuschränken und diese Gebiete auch anderen Gesellschaften zugängig zu machen. Zu einer Zurückziehung oder Verminderung der Sthattkezh kann ich nicht raten. Das könnte unter Umständen neue Aufstände zur Folge haben. Die Kosten für sie sind allerdings sehr hoch, ganz besonders im Verhältnis zur Kopfzahl. Trotzdem müssen

wir sie noch tragen. Aber wir müssen frühzeitig daran gehen, auf andere Weise unsere Schutzgebiete sicher zu stellen. Deshalb wünschen wir bald das Schutziruppengesetz. Die Schutz⸗ truppe muß aber auch neben der Polizeitruppe bestehen bleiben, da beide andere Funktionen haben. Den Ausführungen des Staats⸗ sekretärs kann ich im allgemeinen zustimmen. Wir haben das Ver⸗ trauen, daß er seinen theoretischen auch die Tat folgen läßt. Die Eingeborenen sind das wertvollste Element des Landes. Deshalb muß die Verwaltung alles daran setzen, um ihre Zahl zu vermehren. Trotz aller Anerkennung der Tätigkeit der Missionen muß man die Regierungsschulen vermehren, ebenso muß die Aus⸗ breitung der deutschen Sprache gefördert werden. Sie ist ein wichtiges Bindemittel zwischen den einzelnen Kolonien. Die Gefahr des Islams halte ich nicht für so groß wie der Abg. Erzberger. In Schulfragen können wir von den Franzosen lernen. Die Aufklärungen des Staatssekretärs über die Kleinsiedelungen in stafrika waren für uns nicht ganz befriedigend. Wir bitten, uns zu erklären, was er unter Mittelsiedlungen versteht, und wieviel Kapital dazu gehört. Der Abg. Erzberger wünscht, daß die schwarzen Arbeiter ihre Frauen mitnehmen können. Das soll man aber auch den weißen Arbeitern und Beamten nicht versagen. Diese Frage spielt ja finanziell eine Rolle; aber sie bringt auf der anderen Seite großen Gewinn. Unsere Kolonien müssen wir so rasch als möglich zur Entwicklung bringen, damit wir wenigstens zu einem kleinen Teil vom Auslande wirtschaftlich unabhängig werden; eine verständige, ziel⸗ bewußte Kolonialpolitik werden wir immer unterstützen.

Abg. Dr. Oertel (bkons.): Vielen Ausführungen des Vor⸗ redners kann ich durchaus beistimmen. Zunächst dem Vertrauen, das er der Leitung des Kolonialamts und unserer ganzen auswärtigen Kolonialpolitik ausgesprochen hat. Auch wir haben Kritik üben müssen und werden sie auch ferner üben, aber im großen ganzen sind wir doch überzeugt, daß der jetzige Staatssekretär der rechte Mann am rechten Platze ist. Weiter stimme ich der Ausführung zu, de es dringend geboten ist, möglichst viel Frauen nach den Schutzgebieten auszuführen. Das ist der beste Ausfuhrartikel, den wir haben können; nicht als ob wir die Frauen hier entbehren wollten, sondern weil ich sie auch den Männern draußen von Herzen gönne. Es ist Pflicht des Reichstags, den privaten Organisationen, die diese große Frage gefördert haben und auch in Zukunft fördern werden, aufrichtig zu danken. In einer Kleinigkeit bin ich anderer Meinung als der Vorredner. Es betrifft das den Abg. Zimmermann, der mit auf Anregung der „Deutschen Tageszeitung“ nicht nur die übrigen Schutzgebiete, sondern auch Neu Kamerun besucht hat. Ich persönlich bin unseren Neu⸗ erwerbungen von Anfang an sehr zweifelnd gegenübergetreten, schon deswegen, weil sie uns den Vorgänger des jetzigen Staatssekretärs ge⸗ kostet haben, der Preis war mir zu hoch; aber ich habe mich in⸗ zwischen überzeugt, daß Neu Kamerun zwar kein Paradies, aber ein Land ist, aus dem sich bei kluger Arbeit etwas machen läßt, und etwas anderes konnte der Abg. Zimmermann auch nicht sagen. Selbst⸗ verständlich konnte der Mann, der nach meinem Rezept auch sein Weib mitnahm, nicht das ganze Jahr Neu Kamerun durchstreifen; er hat nicht bloß gesehen, sondern auch gehört, und was er geschrieben hat, beruht auch auf Briefen zuverlässiger Gewährsmänner. Andere haben anders geurteilt Es wäre ja geradezu unverständlich, wenn über solches Neuland die Meinungen nicht auseinandergingen; aber auch die schärfsten Kritiker erklären es für ein Unrecht, von dem Lande zu behaupten, es tauge nichts, es seien nur Sümpfe usw. Pessimismus ist unter allen Um⸗ ständen besonders unter solchen Verhältnissen das Allerschlimmste, was wir haben können. Auch dem Abg. Dr. Müller⸗Meiningen ein verhältnismäßig seltener Fall kann ich zustimmen, besonders in der warmen Anerkennung der Lehrer in den Schutzgebieten. Auch ich habe Gelegenheit gehabt, zu prüfen und zu beurteilen, was die Herren dort geleistet haben, nicht unmittelbar, sondern mittelbar; ich schließe mich dem Danke durchaus an, ebenso darin, daß die Förderung der Schulen, aller Schulen, der Regierungs⸗ und der Missionsschulen, eine wesentliche Aufgabe der Verwaltung ist, der sie sich nicht nur mit dem Ver⸗ stande, sondern auch mit dem Herzen widmen muß. Wir ersparen auf diesem Wege sehr viel, wir nutzen nicht nur den Eingeborenen, sondern uns selbst, wenn wir dort eine richtige, tüchtige, in sich ge⸗ schlossene Schulbildung zu entwickeln verstehen. Ich persönlich bin auch der Meinung, daß wir ein Schulrecht dort festlegen müssen; ich habe mich überzeugt, daß die Dinge so nicht weiter gehen. Ich bin nicht ein so großer Freund der Staatsomnipotenz wie Dr. Müller⸗ Meiningen, aber der Staat muß doch ein Schulrecht organisieren und muß auch die Hand drin behalten. Ich hoffe, wenn die Frage einmal in Deutschland akut werden sollte, daß er diese Schutzgebietsmeinung auch auf Deutschland übertragen wird; er bestätigt mir das. Ich möchte ober doch dringend warnen, allzu viele Revisionen anzustellen. Ich glaube, die Lehrer, die ihm und auch mir nahestehen, sind von solchen Revisionen nicht sehr entzückt, und ich als alter Schulmeister

weiß ganz genau, daß sie zu den sauersten Aepfeln gehören. Man soll hierin also nicht übertreiben.

Der Abg. Noske hat 1 ½ Stunde gesprochen, ich müßte dieselbe Zeit auf die Entgegnung verwenden, und das ist zu viel, wir würden auch nach 1n drei Stunden angenehmer Unterhaltung jeder auf sejner Anschauung verbleiben, die Kluft kann nicht überbrückt werden, wir müssen uns so abfinden; manches hat auch der Abg Keinath vorweggenommen. Unverständlich ist mir, wie man im Zusammenhang mit der Schutztruppe von Menschenjagd und Massenmord sprechen kann. Menschliches, allzu Menschliches geschieht überall, auch von dieser Seite; aber den Männern dort, die ihr Blut unter den schwierigsten Ver⸗ hältnissen eingesetzt haben, das nachzusagen, geht über mein Ver⸗ ständnis hinaus. Der Abg. Noske verstleg sich auch weiter zu der Behauptung, daß Kolonialpolitik und Recht unvereinbar sei. Es wird bisweilen gesündigt gegen die Gesetze des Rechts hüben und drüben; aber nun schlankweg in Bausch und Bogen zu sagen, Kolonial⸗ politik und Rechtsprechung sei mit dem Gedanken des Rechts un⸗ vereinbar, geht wieder weit über mein Verständnis hinaus. (Zu⸗ ruf bei den Soz.) Ich beneide Sie um dieses Verständnis nicht, ich freue mich, daß mein Verständnis für derartige Dinge beschränkt ist, und es wird beschränkt bleiben. Ich möchte einiges über die mir heute am meisten am Herzen liegende Frage der Eingeborenenerziehung, der Siedelung und über die brennende Frage in Südwestafrika vor⸗ bringen, was bis jetzt überhaupt zu schlecht weggekommen ist. Was der Staatssekretär über die Erziehung der Eingeborenen sagte, war in der Form ausgezeichnet, vollendet, alle Hochachtung, in der Theorie zweifellos richtig, aber es blieb Theorie. Ich war gespannt darauf, was der Staatssekretär nun anführen würde, um seinen theoretisch zweifellos richtigen Gedanken in die Praxis umzusetzen. Da hat er versagt. Ich mache ihm daraus keinen Vorwurf Ich würde, wenn gefragt, auch versagen. Er hatte sich damit geholfen, daß er meint⸗, wie das auszuführen sei, werde in den verschiedenen Schutzgebieten verschieden beurteilt werden müssen. Es ist richtig, man kann keine allgemein gültigen Richtlinien zeichnen. Ich stehe durchaus auf dem Boden der Vorschrift des Schutzgebietsgesetzes, die die Religionsfreiheit festlegt; aber nach meiner persönlichen Ueberzeugung ist Kultur ohne Christentum un⸗ möglich, eine Erziehung zur Kultur ohne Erziehung zum Christentum ist fur mich persönlich undenkbar. Wenn der Staatssekretär mit Recht hervorgehoben hat, unsere Aufgabe sei die Erziehung der Eingeborenen zur Kultur, so hätte ich herzlich gewünscht, daß

der Gedanke wenigstens durchgeklungen hätte, daß wir sie ur christlichen Kaltur erziehen müßten, mindestens „alles Fordern müßten, was diese christliche Kultur stärkt und kräftigt. b Staatssekretär, die Missi

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onsbestrebungen kräftigst zu

fördern, äußerlich, aber auch innerlich durch die ganze Haltung der

Regierung und aller Beamten gegenüber den Bestrebungen dieser Mflonake. Was diese überall geleistet haben, braucht hier nicht erörtert zu werden, das steht unverrückbar fest in der Geschichte unserer Schutzgebiete. Das Christentum ist von allem Anfang an eine Kukturmacht gewesen, mit der sich keine andere messen kann. Was die Kleinsiedlungen in Ostafrika betrifft, so hätte ich dringend gewünscht, daß der Staatssekretär vor mir gesprochen hätte, weil ich nun abwarten muß, wie er sich zu der Sache stellt. Der Abg. von Liebert hat der Budgeikommission einen gewissen Vorwurf daraus gemacht, daß sie den Bericht des früheren Staatssekretärs und Gouverneurs Dr. von Lindequist mit Stillschweigen übergangen habe. „Ich habe das absichtlich getan. Ich wollte, daß sich der Staatssekretär erst festlege auf den Bericht, den der Gouverneur Dr. Schnee gegeben hat. Der Staats⸗ sekretär von Lindequist hat im Jahre 1908 eine Reise in das Sied⸗ lungsgebiet Deutsch Ostafrikas gemacht, er hat darüber einen Bericht erstattet, und dieser Bericht ist nachher in die Schrift des Vereins für Sozialpolitik gekommen. Das hat der Abg. von Liebert bean⸗ standet und gefragt, wie es möglich wäre, daß dieser Bericht an einer so versteckten Stelle erschien. Man wird ihm das wohl verdenken. Die Sache hat aber einen Hintergrund. Der Verein für Sozialvolitik hatte eine Untersuchung veranstaltet über die Ansiedlungsmöglich⸗ keiten im Auslande und dafür verschiedene Kommissionen eingesetzt. An der Spitze der deutschen Kommission stand und steht noch heute der Sering, und diesem hatte der Staatssekretär von Lindequist einen Bericht überlassen. Wer das Buch von Lindequist kennt, ich bitte es zu lesen, der muß zu der Ueberzeugung kommen, daß hier auf Grund unbefangener, sorgfältiger, reicher Beobachtungen ein Mann spricht, der von der Sache mehr versteht als mancher andere, ein Mann, auf dessen Urteil jeder etwas geben muß, soweit auch er urteilen kann. Der Abg. Noske hat auch diese Gelegenheit benutzt, um das Urteil des Staatssekretärs von Lindequist als nicht maßgebend abzutun. Wie ich diesen kenne, wird er dieses absprechende Urteil mit Gelassenheit und Würde tragen. Der Deutsche Reichstag hat aber allen Anlaß, sich auf das Urteil dieses Mannez zu stützen. Sollten in den 4 Jahren, die zwischen jener Reise und heute liegen, die Ver⸗ hältnisse sich so gewaltig geändert haben, daß das Gegenteil von dem heute richtig wäre, was damals richtig war, so würde ich das nicht verstehen können. Herr von Lindequist führte in diesem Buche aus, daß in gewissen Gegenden von Deutsch Ostafrika, am Kilimandscharo usw., nicht nur mittlere Besiedlungen, sondern auch kleinere möglich wären, namentlich da, wo Bahnen gebaut seien. Unter Kleinbesiedlungen versteht er Flächen von 10, 20 bis 50 ha, unter mittleren solche von 50 bis 100 ha. Er meint, daß solche mittleren Betriebe überall nicht nur möglich, sondern ungefährlich und empfehlenswert seien. Für die kleinen Be⸗ triebe spricht er das nicht allgemein, sondern bedingt aus. Im Kolonialamt scheint man in dieser Frage anderer Meinung ge⸗ worden zu sein. Als ich in die Budgetkommission kam, fand ich auf meinem Platz die Denkschrift des Gouverneurs Dr. Schnee. Ich zweifle nicht an der Urteilsfähigkeit des Gouverneurs aber er selbst hat kein rechtes Vertrauen zu seiner eigenen Auffassung. Er hütet sich vor Behauptungen; er sagt in vielen Punkten: Ich möchte glauben, ich glaube, es scheint, ich nehme an vermuten zu dürfen usw. Aus diesen uns geläufigen Redewendungen ist zu erkennen, daß er nicht auf ganz festem Boden steht. Die Denkschrift des Gouverneurs steht zu dem Bericht des Staatssekretärs von Lindequist im Gegensatz. Allerdings meint auch der Gouverneur, daß mittlere Besiedlungen möglich, vielleicht gedeihlich sind, aber in einem Punkte spricht er ganz entschieden ohne Vorbehalt und offen aus, daß selbst in Gebieten, wo einer dauernden Besied⸗ lung gesundheitliche Bedenken nicht entgegenstehen, die Möglichkeit kleiner Siedlungen in dem Sinne, daß die Ansiedler selbst mit ihrer Familie ohne farbige Arbeiter wirtschaften, durchweg zu verneinen sei. Schnee kennt ja die Verhältnisse von seiner Reise und seinen kolonialen Erfahrungen, er ist ein vertrauenswerter Mann, aber für mich bleibt die Autorität des Staatssekretärs von Lindequist einiger⸗ maßen maßgebend. Ich hätte die Sache schon in der Budget⸗ kommission angeschnitten, aber ich wollte erst wissen, wie der Staatssekretär sich dazu stellte. Ich wollte, daß er statt des „Wenn“ und „Möchte“ etwas mehr Positives setzte. Er hat meiner Erwartung entsprochen, ich danke ihm dafür. Er hat gesagt, Kleinsiedlungen werden wir nicht fördern, ich halte das dort nicht für gedeihlich, dagegen werden mir mittlere, soweit es möglich ist, bis zu einem gewissen Grade fördern. Der Staatssekretär wird gewiß die Güte haben, nachher diese aus der Budget⸗ kommission zu bestätigen und zu erweitern. r wird sich viel⸗ eicht darauf zurückziehen, daß er bestimmte Zahlen nicht nennen könne. Vielleicht bietet die Abgrenzung, die von Lindequist in seinem Buch gegeben hat, einen gewissen Anhalt. Die Denkschrift des Dr. Schnee hat einen bemerkenswerten An⸗ hang, der von dem preußischen landwirtschaftlichen Ministerium stammt. Der Landwirtschaftsminister setzt darin auseinander, daß wir zurzeit keinen Ueberfluß an Bauern haben. Das ist bis zu einem gewissen Grade zuzugeben. Wenn wir erst in Preußen an die längst ersehnte und endlich in die Wege geleitete Kultivierung der Oedländereien herantreten, werden, dann brauchen wir Bauern. Selbst wenn wir die Kultivierung der Oedländereien so durchführen, wie der Abg. Fegter und ich sie wünschen, werden nach den Berechnungen des Geheimrats Fleischer ungefähr 80 000 Bauern anzusiedeln sein; so viel haben wir jetzt nicht über⸗ flüsfig. Aber es kann die Zeit kommen, daß wir überschüssige Bauernsöhne haben, die recht wohl draußen eine Arbeitsstätte finden können. Aber auch jetzt gibt es Leute, die es tun möchten, und die dort eine Arbeitsstätte finden werden, vorauz⸗ gesetzt, daß von Lindequist mit seinem Bericht recht behält. Ganz mittellose Leute dorthin zu senden, wollte auch von Lindequist nicht, er meint, daß selbst für kleine Siedlungen ein Besitz von 8500 bis 10 000 nötig sei. Ich will abwarten, wie sich der Staatssekretär hierzu stellt; ich bin Aufklärungen immer zugänglich, zunächst bleibe ich bei meiner Auffassung. „Noch ein paar Worte über Südwest. Die Lage unserec Farmer ist jetzt eine ungeheuer traurige, so traurig wie nie zuvor. Ich habe vor einigen Tagen einen Brief aus Südwest erhalten von einem Manne, der nicht selbst Farmer ist, der aber durch seine Stellung in der Oeffent⸗ lichkeit die Verhältnisse beurteilen kann. Man ist in Südwest viel⸗ fac⸗ wenn auch nicht überall, von der bloßen Weidekultur zur Acker⸗ aukultur übergegangen. Hierin liegt die Quelle der Not. Man ist dazu übergegangen, das Vieh zu verkaufen und sich Ackerbau⸗ maschinen anzuschaffen, und dadurch ist man in sehr mißliche Ver⸗ hältnisse geratn. Mein Gewährsmann schreibt, wenn nicht unvorhergesehene Dinge getan würden, wenn nicht gewisse Besserungszufälle eintreten, so würden sehr viele dieser Farmer in ihrer Existenz bedroht, ja vielleicht ruiniert sein. Wie sollen wir nun den Farmern dauernd helfen? (Zuruf des Abg. Gothein: Durch Viehausfuhr!) Der Gedanke ist gut gemeint, nur nicht durchführbar. Der Abg. Gothein hat ja selbst in der Kom⸗ mission auf die großen Schwierigkeiten hingewiesen, die der Vieh⸗ einfuhr bei uns gegenüberstehen. Wir können unseren Zolltarif so ohne weiteres nicht ändern. Sobald wir das tun, müßten wic ihn auch für alle anderen Vertragsländer herabsetzen. Und bei den jetzigen Zollsätzen kann Südwestafrika mit anderen Ländern bei uns nicht konkurrieren. Einer der Führer der Farmer, der das Vertrauen der meisten Farmer genießt, schreibt mir, daß unser eigentliches Absatzgebiet in Südwestafrika der Markt von Johannesburg ist. Der Staatssekretäar hat ein Gesetz über Bodenkredit⸗ banken für Südwestafrika in Aussicht gestellt. Es ist dringend notwendig, daß dieses Gesetz noch in dieser Tagung verabschiedet wird. Aber auch diese Banken werden nicht genügen. Die Farmer haben sich schon genossenschaftlich organisiert, das muß unterstützt und wohlwollend gefördert werden. Ich ersuche den Skaatssekretär, diesen Genossenschaften möalichst schnell zu helfen. Dte Herren in Südwestafrika bitten nicht allein für sich, sondern für das ganze Land, das sonst einen schweren Räckschlag erleiden würde, der darüber

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hinaus auf uns zurück und auf unsere h Kolonialpolitik ein⸗ wirken müßte. Ich hielt es deshalb für meine Pflicht, diese Schmerzen hier vorzuführen. Wenn der Abg. Müller⸗Meiningen schon über die afrikanischen Worte stolperte, so ist es dech der beste Beweis dafür, wie nötig es ist, daß wir bedacht sein müssen, die afrikanischen Namen allmählich durch deutsche zu ersetzen. Zuruf des Abg. Ledebour: Lauter Hohenzollernnamen 88 bin auch nicht abgeneigt, in diesem Falle einem wenig angenehmen Ort den Namen Ledebourdorf nicht zu versagen⸗ Wenn meine Vorschläge durchgeführt werden, dann bin ich überzeugt, daß trotz aller schlimmen Erfahrungen unsere Schutzgebiete ein hoffnungsreiches Neuland sind, das die heimischen Frzengnis⸗ in einer für uns gedeihlichen Weise ergänzt und dessen heranwachsende Be⸗ völkerung, wenn sie gesichert it gegen die Wechselfälle der Zukunft, bodenständig und treu deutsch wird. Um dieses Ziel zu erreichen, werden wir immer zur Mitarbeit bereit sein.

Staatssekretär des Reichskolonialamts Dr. Solf:

Meine Kerren! Der Herr Vorredner hat mir über mein gestern Ihnen vorgetragenes Programm der Eingeborenenbehand⸗ lung ein paar freundliche Worte gesagt, zugleich aber die Kritik daran geknüpft, daß es doch etwas theoretisch wäre. Für die freund⸗ lichen Worte sage ich ihm meinen besten Dank. (Heiterkeit.) Daß aber diese Ausführungen zu theoretisch gewesen sind, diese Meinung habe ich nicht. Diese Meinung kann ich auch nicht haben; denn ich weiß, wie diese Darstellungen entstanden sind. Sie sind durchaus keine Theorie, sondern sie sind der Extrakt eines 15 Jahre langen tagtäglichen Verkehrs mit den Eingeborenen. Ich glaube nicht, daß man behaupten kann, daß diese programmatischen Ausführungen etwas vom grünen Tisch an sich haben. Sie sind auch nicht hier entstanden, sie sind in Samoa entstanden. Als damals der Herr Staatssekretär Dernburg sein Amt antrat, hat er die einzelnen Gouverneure auf⸗ gefordert, sie sollten ein Programm entwerfen, wie sie sich ungefähr die Entwicklung ihrer Schutzgebiete innerhalb der nächsten 10 Jahre dächten. Dieses Programm habe ich damals ausgearbeitet, und inner⸗ halb seines Rahmens bin ich auch auf die Eingeborenenfrage ge⸗ kommen. Das, was ich den Herren gestern vorgetragen habe, ist genau das, was ich damals in Samoa für den Herrn Staatssekretär Dernburg ausgearbeitet habe. Es ist also nicht ad hoc am Schreib⸗ tisch entstanden. Daß dieses Programm nicht theoretisch ist, werden Sie, wenn Sie sich die Mühe geben, es sorgfältig zu lesen, daraus erkennen, daß Sie die praktischen Bedürfnisse unserer Kolonien mit Leichtigkeit unter die einzelnen Sätze meines Programms subsummieren

können.

Ich habe gestern schon ausgeführt, daß aus diesem Programm z. B. ganz von selbst folgt, welche Stellungnahme ich gegenüber den Eingeborenenkulturen und gegenüber den Plantagenkulturen haben muß. Ich möchte heute aus demselben Programm dem Herrn Abg. Müller⸗Meiningen die Antwort auf die Anfrage geben, wie ich mich zu den Schulen für die Eingeborenen verhalte. Meine Herren, es geht klipp und klar aus dem Programm hervor, daß ich ein Freund und Anhänger jeder einzelnen neuzugründenden Schule in jedem von unseren Schutzgebieten bin und sein muß. Wenn wir mit der Errichtung von Schulen nicht in dem Tempo vorwärtsgegangen sind, das der Herr Abg. Müller⸗Meiningen wünscht, so sind lediglich finanzielle Gründe daran schuld. Eine allgemeine Schulpflicht in Schutzgebieten von 7 Millionen Negern einzuführen, kostet Millionen und aber Millionen. Das können wir mit unserem Säckel nicht leisten. Ich glaube, daß selbst die schulfreudigsten Abgeordneten in diesem hohen Hause nichts bewilligen würden, wenn die Reichsregierung mit solchen Anträgen Ihnen käme. Wir müssen da in einem langsamen Tempo gehen, und den Weg, den wir gegangen sind, halte ich für richtig.

Wir haben zunächst die Lehrtätigkeit der Missionen vorgefunden und wollen den Missionen die Lehrtätigkeit als ihre Domäne, die sie meisterhaft beherrschen, überlassen. Wir wollen sie, soweit wir können, unterstützen. Wir haben nebenbei den Wünschen der Herren, die die Regierungsschulen vorziehen, auch Rechnung getragen, indem wir auch Regierungsschulen bestehen lassen und gründen werden.

Der Herr Abgeordnete Müller (Meiningen) hat weiter angefragt, wie das Verhältnis des Gouvernements zu den Schulen sei, und hat gebeteu, dieses Verhältnis zu reglementieren. Ich bin der Meinung, es ist zu früh, Reglements zu machen. Irgendwelche Mißstände haben sich bei dem Mangel einer Verordnung nicht herausgestellt. Bei den Regierungsschulen hat der Gouverneur ein Revisionsrecht, denn die Regierungsschulen unterstehen dem Gouverneur. Was die Missionsschulen anbetrifft, so habe ich bereits im vorigen Jahre gesagt, daß nach meinen Erfahrungen in Samoa die Missionen sich freiwillig einem solchen, im übrigen auch aus der Polizeigewalt und aus der allgemeinen Schutzgewalt herzuleitenden Recht gern unterwerfen, ohne daß das ausdrücklich durch einen Erlaß oder im Wege der Verordnung festgesetzt worden wäre. Die Fälle, die der Herr Abgeordnete von Ostafrika festgestellt hat, sind mir nicht bekannt. Soviel ich mich von meinem Herrn Referenten habe unterrichten lassen, sind Klagen nicht vorgekommen. Im Gouvernement hat sich auch gar nicht einmal das Bedürfnis herausgestellt, diese Missionsschulen besonders zu prüfen; anscheinend steht das Gouvernement auf dem Standpunkt, daß die Schulen in allerbester Ordnung sind. Wir werden die Sache aber prüfen und Ihnen weitere Mitteilungen darüber machen.

Was den Islam anbetrifft, so möchte ich meinen gestrigen Aus⸗ führungen noch hinzufügen, daß der Professor Becker vom Kolonial⸗ institut in Hamburg demnächst eine Studienreise nach Ostafrika machen und gerade die Frage des Islam an Ort und Stelle prüfen wird.

Ich komme nun auf die Angelegenheit, die dem Herrn Abg. Dr. Oertel sehr am Herzen liegt, und auf die damit in Zusammen⸗ hang stehende Schrift des Herrn Staatssekretärs Dr. von Linde⸗ quist. Der Herr Abg. von Liebert hat gestern seinem Unbehagen darüber Ausdruck gegeben, daß diese wertvolle Schrift in einer wenig gelesenen Sammlung verborgen ist. Daraus habe ich geschlossen, daß er der Kolonialverwaltung die Schuld bei⸗ mißt, daß sie diese Schrift in einer Form publiziert hat, die einer Publikation gerade entgegensteht. Ich kann dem Herrn Abg⸗ von Liebert nur sagen, daß die Kolonialverwaltung mit der Publi⸗ kation dieser Schrift nichts zu tun hat. Das hat der Herr von Linde⸗ quist selbst, als er noch im Amte war, eingeleitet, und der Druch ist erst später fertig geworden, als er nicht mehr im Amte war. Die Kolonial altung steht dieser Sache völlig fremd

[Schluß in der 8 Beilage.]

(Schluß aus der Ersten Beilage.)

Ich habe die Schrift des Herrn Dr. von Lindequist mit der Sorg⸗ falt und Aufmerksamkeit geprüft, die alles verdient, was aus der Feder dieses kolonialbewanderten und erfahrenen Herrn kommt. Ich bin aber der Meinung, daß ich trotz der Hochachtung, die ich vor Herrn von Lindequist in jeder Beziehung habe, doch eine leise Kritik an diese Schrift anlegen muß; denn ich kann nicht aus Courtoisie vor meinem

Herrn Amtsvorgänger eine Ueberzeugung, die ich nun einmal aus den Erfahrungen meines kolonialen Lebens gewonnen habe, preisgeben.

1 8 * 2 2 gr gn. Im allgemeinen bin ich nun mit den interessanten Ausführungen der

Lindequistschen Schrift einverstanden. Wir scheiden uns hauptsächlich in dem Punkte, ob Kleinsiedlungen möglich sind, und welcher Geldbetrag für Mittelsiedlungen in Frage kommt.

. Ich möchte zur Erläuterung folgendes sagen. Herr von Linde⸗ quift ist als Kolonialbeamter fast sein ganzes Leben in Südwest⸗ afrika gewesen und hat mit Leib und Seele an diesem Lande ge⸗ hangen; die Tropen hat er nicht ebenso genau kennen gelernt wie

Südwestafrika. Sein Lieblingsziel für Südwestafrika war die Be⸗

siedlung auch durch kleine Leute. Wenn ein Mann in autoritativer

Stellung mit solchen Lieblingsideen und Ueberzeugungen aus einem

an Erfahrungen und Erfolgen reichen kolonialen Leben in ein anderes

Schutzgebiet geht, um dieses Schutzgeblet vom Standpunkte seiner

Lieblingsideen aus zu betrachten, ja, meine Herren, so ist es nur allzu

menschlich, daß Herr von Lindequist sich die ostafrikanischen Lande

doch etwas mit der südwestafrikanischen Brille angesehen.

Aber, wie gesagt, wir sind gar nicht so sehr weit aus⸗ einander. Es kommt in der Hauptsache darauf an: will man Kleinsieblungen haben? und was sind Mitittlsiedlungen?

wie viel Kaäpital braucht man dazu? (Zuruf rechts.) Herr von Liebert schüttelt mit dem Kopf; er will auch keine Klein⸗ siedlungen mehr haben, und auch Herr Abg. Dr. Oertel ist kein Freund von Kleinsiedlungen. Herr Dr. Oertel hat mich gebeten, meine Er⸗ lärung in der Budgetkommission, mit deren Rundheit und Klarheit einverstanden war, hier noch einmal abzugeben hat aber auch hinzu⸗ esetzt, ich möchte die Erklärung nach der Richtung hin erweitern, daß ich eine bestimmte Zahl für das Kapitel der Mittelsiedlungen nennen soll. Meine Herren, das möchte ich sehr ungern tun; das können Sie mir wirklich nicht verargen. Eine bestimmte Zahl für eine Mittel⸗ siedlung anzugeben, ist schier unmöglich. Ich kann Ihnen nur An⸗ deutungen, nur Fingerzeige geben, wie man ungefähr auf eine Ziffer ommen kann. Wenn Herr von Lindequist für Kleinsiedler eine konkrete Zahl angenommen hat, so ist das eher möglich als für Mittelsiedler. Für Kleinsiedler in solchen Gegenden, wo sie möglich sind, würde ich ungefähr auf dieselben Ziffern kommen, die Herr von Lindequist angegeben hat: 8500 bis 10 000 ℳ. Für Mittelsiedlungen eine bestimmte Zahl anzugeben, ist aber unmöglich. Nehmen Sie an: es will sich ein Mann in dieser mittleren Art und Weise in Ostafrika ansiedlen, der, sei es als Beamter oder Schutztruppenangehöriger oder als Kaufmann oder in irgend einem nderen Beruf längere Zeit draußen in der Kolonie gewesen ist! Diesem Mann würde ich eine niedrige Ziffer nennen. Der Mann kennt die Bodenverhältnisse, er weiß wo man das Vieh kauft, er kennt die Viehpreise, er weiß, daß man für einen Hektar durchschnitt⸗ lich 100 Rupien rechnet und weiß vielleicht, wie er mit 75 Rupien auskommen kann. Es kommt eben auf die Erfahrung, auf die Tüchtigkeit, auf den Fleiß des Mannes an; es kommt auf die einzelnen individuellen Eigenschaften an, die man von Fall zu Fall prüfen 1 Suß. Wenn ein Mann zu mir in das Kolonialamt kommt und seine Verhältnisse auseinandersetzt, alles genau erzählt, dann kann ich ihm sagen: sie können vielleicht mit 30 000 auskommen! Einem anderen werde ich vielleicht sagen müssen 40 000 oder gar 50 000 ℳ. Viel weiter unter die erstgenannte Summe möchte ich nicht hinunter⸗ gehen. Ich möchte mich aber für die Leute, die draußen gewesen sind und sich niederlassen wollen, auch auf diese Summe nicht festlegen; da mag immerhin auch eine geringere Summe noch möglich sein. Sie sehen also, daß ich mit meinen heutigen Ausführungen gar nicht so weit von der Ansicht des Herrn von Lindequist entfernt bin, auch nicht von der des Herrn Abg. von Liebert, nur daß Herr von Liebert ein schnelleres Tempo haben will. Es ist mehr eine Temperaments⸗ frage; denn die 6 Millionen Hektar, von denen uns Herr von Liebert erzählt hat, können wir, glaube ich, kaum in dem Tempo mit Deutschen besiedlen, wie Herr von Liebert wünscht und für möglich hält. Lassen wir aber die Sache sich ganz selbständig entwickeln! Diese⸗ Besiedlungsfrage ist mehr und mehr zu einer politischen Frage ge⸗ worden. Und ich bitte auch hier, meinem Grundsatz zu folgen: Lassen Sie die Politik aus dem Spiel! Nehmen Sie die Besiedlungsfrage nach ihren tatsächlichen Möglichkeiten und mit den Hoffnungen, die der einzelne an sie knüpft! Ich glaube, wir können die Siedlungsfrage nunmehr getrost begraben.

Ich bin dem Herrn Abg. Noske eine Antwort auf die Anfrage wegen der verbannten Hottentotten schuldig. Die ver⸗ bannten Hottentotten in Kamerun sind bereits Gegenstand der Er⸗ örterungen im vorigen Jahr gewesen. Ich habe mich auf Grund des Wunsches des Reichtags, daß diese unglücklichen verbannten Hottentotten in ihre Heimat zurückbefördert werden sollen, mit den beiden Gouverneuren in Kamerun und Südwestafrika in Verbin⸗ dung gesetzt. Der Gouverneur von Südwestafrika hat erhebliche Be⸗ denken gegen die Rückwanderung dieser verbannten Hottentotten geltend gemacht, weil er meint, daß unter ihnen politisch höchst ge⸗ fährliche, dem Aufruhr geneigte Leute sind und von ihrer Rückkehr eine Aufreizung der Eingeborenen fürchtet. Mittlerweile ist auch der Bericht von Kamerun eingegangen, und, meine Herren, der Bericht hat an mein Mitleid appelliert. Denn den Leuten ist es in Kamerun schlecht gegangen (hört! hört! bei den Sozialdemokraten); die klima⸗ tischen und sonstigen Einflüsse haben sie so dezimiert, daß nur eine kleine Anzahl übrig geblieben ist. (Hört! hört! bei den Sozialdemo⸗ kraten.) Das hat mir weh getan, obgleich es Verbrecher waren, die

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Zweite Beilage

zeiger und Königlich Preusischen

Berlin, Sonnabend, den 8. März

get. 8 1913.

eine schwere Strafe verdient haben. Ich habe mich deshalb noch einmal an das Gouvernement von Windhuk gewandt und noch einmal gebeten, man möchte die Bedenken zurückstellen. Ich möchte hier gleich darauf aufmerksam machen: wenn etwa der Gouverneur zu der Meinung kommt, daß er die Hottentotten trotz meines Wunsches nicht haben will, so werde ich ihn von hier aus nicht deswegen zurechtweisen und ihm meine Meinung aufzwingen. Wenn Sie einverstanden sind, daß wir dezentralisieren müssen, so müssen Sie damit rechnen, daß der Staatssekretär und der Gouverneur gelegentlich anderer Meinung sein können, ohne daß der Staatssekretär den Gouverneur rektifizieren müßte. (Zustimmung.) Sie sehen aber, daß wir dasselbe Mitleid mit den Leuten haben wie Sie und daß wir versuchen werden, alles zu tun, um die Lage dieser unglücklichen Verbannten zu bessern. (Zuruf von den Sozialdemokraten: Wenn die Leute tot sind, ist es zu spät!) Das wollen wir eben verhüten. (Zuruf von den Sozial⸗ demokraten: Nur durch Mitleid?) Ich kann heute keine bestimmte Erklärung geben, weil ich erst dem Gouverneur Gelegenheit geben muß, sich zu äußern.

Der Herr Abg. Hartrath hat gefragt, ob es nicht mög⸗ lich ist, Stätten für junge Mädchen in den Kolonien zu schaffen, die dort hinauskommen, um Stellung zu bekommen, und eventuell für solche Fälle, wo sie ihre Stellung verloren haben. Soweit ich die Verhältnisse in den Kolonien übersehe, kann da nur Südwestafrika in Frage kommen. Die tropischen Gebiete schelden hier aus. Wenn ein junges Mädchen in die tropischen Gebiete hinausgeht, so wird es jedenfalls nur auf ein ganz festes Engagement hingehen, und daß ein junges Mädchen stellenlos wird, ist so vereinzelt, daß wir nicht dafür besonders zu sorgen brauchen. Was wir in Südwestafrika tun werden, werde ich mir erlauben, mit dem an⸗ wesenden Gouverneur des weiteren zu besprechen. (Lebhaftes Bravo!)

Abg. Mumm (wirtsch. Vgs.): Ich kann nur der Ueberzeugun Ausdruck geben, daß das Bekenntnis des Staatssekretärs zur Hama itag die größte Anerkennung verdient. Wir werden dahin wirken müssen, daß, soweit es irgend möglich gemacht werden kann, verheiratete Pflanzer nach Südwest gehen. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, daß die gegenwärtig noch mehrfach auseinandergehenden Meinungen zwischen den Vertretern der Eingeborenen einerseits und den Farmern anderseits immer mehr zusammengehen werden. Nicht alle Ein⸗ geborenen sind dort der Arbeit zugänglich, so die Buschleute. Könnten nicht Eingeborenenreservate nach amerikanischem Muster geschaffen werden für diejenigen Eingeborenen, die der Kultur einstweilen noch schwer zugänglich sind? Könnten nicht eingezäunte Gebiete geschaffen werden, um der Eingeborenenbevölkerung in höherem Maße zu ermöglichen, Großvieh zu halten? Von Faulheit der Eingeborenen kann man nicht reden. In Togo geht der Kakaobau durch Eingeborenenkultur großartig voran. Auch in Neuguinea und Samon überwiegt die Kopraproduktion der Eingeborenen. Nach alledem kann man dem Arbeitszwang nicht mehr das Wort reden. Es gilt, die Eingeborenen so zu be⸗ handeln, daß sie Freude an der Arbeit empfinden. Hoffentlich bekommen wir in unseren Kolonien auch bald Postsparkassen; mancher Postbeamte könnte sich um die Förderung des Spartriebes unter den Eingeborenen wohlverdient machen. Auch Lohnsteige⸗ rungen führen zur Hebung der Kultur unter den Eingeborenen. Der Bahnbau geht stetig voran und wird hoffentlich nicht mehr stillstehen. Ich begrüße den Bau der Zweigbahn nach Reanda, nicht zuletzt auch im Interesse der Eingeborenen. Ebenso freuen wir uns, daß hin⸗ sichtlich der Krankenpflege Fortschritte gemacht werden sollen. Die missionsärztliche Wirksamkeit läuft nicht, wie ich gegen eine heute in der Budgerkommission gefallene Bemerkung erkläre, auf Bekehrungs⸗ versuche hinaus. Wir haben den Eingeborenen das Beste zu bringen, was wir haben, und das ist das Kreuz. Die Tätigkeit der Missionen wud von der Verwaltung gewürdigt und anerkannt. In den Missionen wird niemand reich. Die Mission will auch ferner für ihre eigentliche Tätigkeit nur durch freie Liebesgaben unterstützt werden;: nur bei ihrer kulturellen Wirksamkeit ergibt sich die Möglichkeit eines Zusammenwirkens zwischen den weltlichen und geistlichen Behörden. Man spricht mit Recht von der Gefahr des panislamitischen Gedankens. Von Regierungs wegen in den Regierungsschulen Unterricht im Koran zu geben und die Schulen gleichzeitig religionslos zu machen, das kann als richtig nicht angesehen werden. Ein scharfer Gegensatz zwischen den Ausführungen der Abgg. von Liebert und Erzberger hinsichtlich der Schutztruppe scheint mir nicht vorhanden. Jeder Vaterlands⸗ freund wird sich dem Dank für die Leistungen der Schutztruppe voll vnsgehen auch der Abg. Erzberger; dieser verlangte einen Wechsel des Systems. Die Anführung der Menschenopfer zur Verurteilung der deutschen Kolonialpolitik ist ein Unrecht; Afrika ist seit Jahrtausenden der Schauplatz grausamster, blutigster Menschenopfer durch die Stammesfehden gewesen, und jetzt wird Ordnung geschaffen, und der Eingeborene darf ruhig in seiner Hütte schlafen. In einem künstlichen Gegensatz zwischen Regierungs⸗ und Missions⸗ schulen soll man sich nicht hineinreden. Ein Schulrecht knuß ge⸗ schaffen werden; es ist höchst bedauerlich, daß wir noch immer religionslose Schulen haben. Die Missionen beherrschen die Lehr⸗ tätigkeit tatsächlich meisterhaft. Der Schulbetrieb sollte nicht durch fortgesetzte Beschäftigung der Kinder über 10 Jahren beim Baumwoll⸗ pflücken usw. gestört und beeinträchtigt werden. Die derzeitigen Diffe⸗ renzen zwischen der katholischen und evangelischen Mission können hier im Reichstage nicht zum Austrag gebracht werden. Die Kommission hat in einer Resolution die Einsetzung größerer Mittel für Schulzwecke in den nächsten Etat gefordert; wir können diese Resolution nur zur An⸗ nahme empfehlen. Der zielbewußte Kampf gegen den Alkohol sollte zähe weiter geführt werden, und die Verwaltung sollte sich auch durch internationale Schwierigkeiten nicht abschrecken lassen. Leider müssen wir jetzt zusehen, wie hauptsächlich wegen des Wider⸗ standes der französischen Regierung durch die Einfuhr eines schlechten Schnapses die Branntweinpest die Eingeborenen dezimiert. Wir mehr staatliche Mittel für die Hebung der Emgeborenen⸗ ultur.

Abg. Dr. Weil (Soz.): Bei der großen und gefährlichen Be⸗ deutung, die den Erwerbsgesellschaften namentlich in bei⸗ vohnt, muß dieses Kapitel auch eine eingehende Erörterung erfahren. Die Mißwirtschaft, die in Neukamerun von uns angetroffen ist, führt sich auf die Vorherrschaft der Konzessionsgesellschaften zurück, die und deren Verttäge wir mit haben üͤbernehmen mussen. Die vertrauensseligen Aeußerungen des Kanzlers und der uns damals zugestellten Denkschrift gewähren keinerlei Schutz gegen den unheil⸗ vollen Einfluß dieser Gesellschaften. Wir haben allen Grund zum Mißtrauen, daß die Regierung entschlossen ist, einen Kampf gegen die Konzessionsgesellschaften zu führen. Die Denkschrift deutet sehr vor⸗ sichtig auf die Schwierigkeiten hin und stellt neue Verhandlungen über den etwaigen Zusammenschluß der Togo⸗Sarga⸗ mit der Südkamerun⸗ gesellschaft in Aussicht. Mir ist versichert worden, daß inzwischen diese Verhandlungen nicht wieder aufgenommen worden sind, aber es fragt

sich, ob sie nicht in anderer Form wieder aufgenommen worden sind

Jedenfalls steht die Regierung solchen Versuchen nicht pathisch gegenüber. Das bedeutet eine Stärkung des Regimes der Konzessionsgesellschaften. Es kann nicht in Abrede gestellt werden, daß das Kapital mit der Regierung zusammengearbeitet hat. Die Erfahrungen, die mit den Konzessionsgesellschaften unter der französischen Herrschaft gemacht worden sind, ermutigen nicht dazu, diese Gesellschaften am Leben zu erhalten. Ein klassischer Zeuge ist der Bericht, der 1910 im Namen der französischen Budgetkommission erstattet worden ist. Der Berichterstatter Violette, der nicht unserer Partei angehört, sagt, die traurige Lage unserer Kolonie ist das Ergebnis der Politik unserer Konzessionen. Die Bilanz der 32 Kompagnien sei sehr belastend für sie. Die Compagnie forestière, der auch deutsche Verwaltungsräte angehören, u. a. von Puttkamer, wird jetzt sehr ungünstig beurteilt. Der Berichterstatter hat im französi⸗ schen Parlament gesagt, daß sie die organisierte Plünderung sei. Uebrigens sind ja äͤhnliche Vorwürfe gegen das Kautschuksyndikat ge⸗ richtet worden. Der schon erwähnten Togo⸗Sangagesellschaft wird die glatte Einführung des Arbeitszwanges zum Vorwurf gemacht. Be⸗ sonders bekannt ist sie geworden durch ihren Krieg mit der französi⸗ schen Verwaltung und mit dem französischen Parlament. Cs kann uns nicht gleichgültig sein, daß die deutsche Regserung Bestrebungen unterstütt hat, die Konzessions⸗ und ihr Regime zu kräftigen. Sie hätte nicht Be⸗ trebungen unterstützen sollen, für die der Abg. Semler ein⸗ getreten ist. Die deutsche Regierung hat an jenen Verhandlungen direkt teilgenommen; trotz der conspiration du silence fann daran nicht der geringste Zweifel sein. Zweck der Verhandlung war, ein deutsch⸗französisches Konsortium zu bilden. Daß unsere Regierung sich beteiligt hat, dafür gibt es ver⸗ schiedene Beweise. Ein Beteiligter hat sich an die Wilhelmstraße gewandt, um zu wissen, mit wem die Gesellschaft sich in Verbindung zu setzen habe. Es wurde nach Paris berichtet, die deutsche Regierung habe Dr. Semler als Vermittler empfohlen. Der Berichterstatter des französischen Parlaments erwähnt ein Schreiben des französischen Ministerpräsidenten, wonach die deutsche Regierung den Abg. Semler als denjenigen bezeichnet hat, der die Verhandlungen des betreffenden Konsortiums zu führen geeignet sei. Der Bericht⸗ erstatter fand eine besondere Qualifikation hierfür u. a. in dessen Eigenschaft als Berichterstatter des Reichskolonialamts. Die Beamten der Regierung haben eine Tätigkeit entfaltet, die alles andere ist als eine Begünstigung der Handelsfreiheit. Man spricht auch von der Kombination, daß die Togo⸗Sanga und die Compagnie forestidère sich verbinden sollen. Diese hat im vorigen Jahre eine Versammlung abgehalten, in der der Hoffnung Ausdruck gegeben wurde, daß die Kaiserliche Regierung ihr keine Schwierig⸗ keiten machen werde. Ich sehe auch in der Bahn von Duala über Egea hinaus bis zum Kongo eine Gefahr für die Handelsfreiheit. Der Abg. Semler hat diese Bahn befürwortet. Ich befürchte, daß die Konzessionsgesellschaften eine mächtige Förderung dadurch erfahren werden. Der Abg. Semler hat schon früher in Paris mit den betreffenden Herren darüber verhandelt. Auch bei diesen Verhandlungen hat der deutsche Botschaftsrat in Paris von der Lancken eine sehr geschäftige Rolle gespielt. Es ist uns gleichgültig, welche private Tätigkeit der Abg. Semler entfaltet. Er ist ja sehr schlecht behandelt worden, schlechter als die Portugiesen. Ich habe das Mitgefühl für ihn, das seiner Wirksamkeit entspricht. Aber wir können verlangen, daß die Beamten der Regierung sich einer größferen Zurückhaltung befleißigen. Das müßte dem Botschaftsrat von der Lancken von der Regierung empfohlen werden. Ich möchte wünschen, daß den Gesellschaften die strengste Erfüllung aller vorgesehenen Verpflichtungen auferlegt wird. Die französische Regierung ist darin außerordentlich lax gewesen, namentlich in bezug auf die Duldung unerhörter Grausamkeiten gegen die Eingeborenen. Der Arbeitszwang darf nicht in der bisherigen Art ausgeübt werden; den Eingeborenen müssen ihre Reservatrechte, ihr unbeschränkter An⸗ spruch auf die Erzeugnisse des Landes erhalten bleiben. Man soll gegen diese großen und mächtigen Konzessionsgesellschaften nicht irgend⸗ wie zärtlich sein wollen. Fast im ganzen Hause ist man der Meinung, daß gegen sie der entschlossenste Kampf geführt werden muß. Die Kolonialpolitik hat dem Deutschen Reiche schwere Opfer auferlegt, und diese Opfer müssen von der Regierung respektiert werden.

Abg. Dr. Semler (nl.): Ich verdanke der Güte meines Freundes Paasche, daß ich sofort antworten kann. Ich bin von diesem Angriff überrascht worden und habe gar kein Material hier, aber ich brauche auch gar keins. Daß irgend etwas in der Luft lag, wußte ich bereits; es war mir gesagt worden, die Sozialdemokraten wollten mir etwas anhängen, weil ich mir gestern die Freiheit genommen habe den Herren die völlige Dürftigkeit ihres Standpunktes etwas näher zu be⸗ leuchten, dafür sollte ich an den Pranger gestellt werden, also eine kleine Intrige. Es ist eine Kleinigkeit, die Sache richtig zu stellen. Ich bedarf dazu keiner französischen Bücher und keiner franzbschen Zitate. Die meisten Tatsachen sind Ihnen ja ohnehin bekannt. Wenn mir von irgendeiner bürgerlichen Seite nachgewiesen wird, ich hätte etwas Unrechtes getan, würde ich sofort auch das Referat über den G auptetat niederlegen, wie ich es früher für Kamerun niedergelegt babe. Vor einigen Jahren wurde ich gefragt, ob ich bereit sei, in den Aufsichtsrat der Gesellschaft für Südkamerun einzutreten. Diese Ge⸗ sellschaft gab damals keine Dividende. Daß ich einen bürgerlichen Beruf als Rechtsanwalt und kaufmännischer Anwalt habe, ist kein Fehler. Wir können nicht alle Journalisten, Schauspieler oder sozial⸗ demokratische Abgeordnete 1 Bloß von der Ehre kann man auch nicht leben. Es ist gut, daß es auch noch Leute gibt, die in der Praxis des grünen Lebens stehen, sonst würden hier keine Landwirte sitzen, und dann könnten Sie, meine Herren Sozialdemokraten, alle hier nicht sitzen. Denn Sie leben alle aausschließlich vom Geschäft. Ich gebe keine Korrespondenz heraus, ich lebe nicht von der Zeitungsschreiberei; ich arbeite schlecht und recht in meinem Beruf. Die Gesellschaft Süd⸗ kamerun war früher vom Reich konzessioniert mit einer Massen⸗ konzession; sie war so vernünftig, allmäaͤhlich aus dieser MMeeasfen. zession ein vernünftiges, lübeLe. gt eres Eigentum herauswachsen zu lassen, welches bearbeitet werden kann und bearbeitet wird, und ist auch allmählich vorwärts gekommen. Ich wurde speziell von den deut⸗ schen Interessenten befragt, weil die Gesellschaft wesentlich belgisches Kapital hatte. Ich suchte mich nun zu wieweit Inter⸗ essenkollisionen entstehen konnten, fragte schriftlich beim Kolonialamt an und erhielt zur Antwort: „Gar keine.“ Auch in der Budget⸗ kommission, wo ich Referent war, ist auf meine Anfrage an die Abgg. Erzberger, von Richthofen usw. geantwortet worden, ich könne das ruhig tun. So bin ich zum Vorsitz im Aufsichtsrat der Gesellschaft gekommen, und dieser ist es allmählich auch besser gegangen, sie gibt jetzt Dividenden und zahlt auch Tantiemen, aber in vernünfti en Grenzen. Ist da irgend etwas Unlauteres oder Illoyales? Und hat die Gesellschaft nicht gerade arbeiterfreundliche Politik getrieben? Ihr Verfahren hat jederzeit die Zufriedenheit der Regierung gehabt, auch der Abg. Erzberger nickt mir zu. Ich betone das, weil der Versuch ge⸗ macht wird, mich, weil ich Ihnen (zu den Sozialdemokraten) etwas Unangenehmes gesagt habe, womöglich in eine peinliche Situation zu bringen. Setzen Sie nur das Geschäft fort. Im Jahre 1909/10, wo es sich noch gar nicht um das neue Land handelte, kamen zwei fran⸗ zösische Herren nach Berlin und wurden vom Auswärtigen Amt an mich gewiesen. Das waren die Vertreter der benachbarten großen