Großbritannien und Irland. Weiie das „Reutersche Bureau“ erfährt, befaßte sich die vorgestrige Botschaftervereinigung ausschließlich mit der Antwort der verbündeten Balkanstaaten.
— Der Militäretat für 1913/14 weist Ausgaben in Höhe von 28 220 000 Pfund Sterling auf, ein Mehr von 360 000 Pfund Sterling. Sterling für die Luftschiffahrt. 8
Frankreich. Der Senat setzte in der vorgestrigen Sitzung die Be⸗ ratung des Wahlreformgesetzentwurfs fort.
Im Laufe der Debatte bekämpfte der Senator Couyba, eines der Mitglieder des Kabinetts Caillaux, laut Bericht des „W. T. B.“ das Verhältniswahlsystem und bat, Briand möge in dieser Ange⸗ legenheit nicht die Vertrauensfrage stellen, und dem Senate die Möglichkeit geben, sich frei auszusprechen. Der Senator Collin, ein Anhänger des Verhältniswahlsystems, erklärte, die Kammer werde das letzte Wort haben. Die radikale Partei werde es nicht darauf ankommen lassen, daß ein liberal⸗sozialistisches Kartell ge⸗ bildet werde. -
— Bei den Verhandlungen über die Finanzgesetze hat die Deputiertenkammer, obiger Quelle zufolge, vorgestern durch Handaufheben den Zusatzartikel der Regierung und der Kommission angenommen, der bezweckt, zu verhindern, daß 1u die in Frankreich oder im Ausland berufsmäßig
ngebote oder Nachfragen von mobilen Werten sammeln, als Selbstkontrahenten auftreten, es sei denn, daß sie Geschäfte mit Leuten von gleichem Berufe abschließen. Auch Geschäfte mit anderen Werten als solchen, deren Handel durch den Artikel 76 des Handelsgesetzbuches bestimmt ist, sollen verboten werden. Der Artikel berührt nicht die Kassaverkäufe außerhalb der Börse von Besitztiteln und von Titeln in der Emission oder bei Uebertragungen, die durch Bevollmächtigte oder Kom⸗ missionäre vorgenommen werden, die die Lieferung der Titel übernehmen und den Preis bezahlen.
— Gestern nachmittag fand in Vincennes in Gegenwart einer großen Zuschauermenge vor dem Präsidenten Poincaré die Frühjahrsparade der Pariser Garnison statt. Außer dem Kriegsminister wohnten noch andere Mitglieder der Regierung sowie die Präsidenten des Senats und der Kammer der Parade bei. Nach deren Beendigung hielt der Präsident Poincaré in Erwiderung auf Ansprachen des Deputierten des Bezirks und des Bürgermeisters eine Rede, in der er laut Bericht des „W. T. B.“ erklärte:
Wenn Frankreich die berechtigte Sorge hat, seine Stellung in der Welt unversehrt aufrecht zu erhalten, und wenn es imstande sein will, seine Ehre zu verteidigen, so beweist es doch alle Tage die Auf⸗ richtigkeit seiner friedlichen Absichten, indem es ohne Hintergedanken an der europäischen Entente mitwirkt. Die Regierung der Republik wird als getreuer Dolmetsch des nationalen Willens fortfahren, ohne Schwäche eine Politik des Friedens und der Würde zu betreiben, die zugleich den Interessen Frankreichs und denen der Zivilisation entspricht.
— Zahlreiche Syndikalisten nahmen gestern nachmittag an der von dem Arbeiterverbande und der sozialistischen Partei unter freiem Himmel in Pré⸗St.⸗Gervais bei Paris veranstalteten Protestversammlung gegen den Gesetzentwurf zur Einführung der dreijährigen Dienstzeit teil. Obgleich strenge Maßregeln deh worden waren, um die Ordnung 8 zu erhalten, kam es in den Vierteln Buttes⸗Chaumont und La Villette zu Zusammenstößen mit Schutzleuten.
“
b Rußland.
6 Der Minister des Aeußern Sasonow hat schriftlich bei den Botschaftern der Großmächte angefragt, ob sie Vollmachten und Instruktionen zur Teilnahme an der bulgarisch⸗rumä⸗ nischen Konferenz erhalten hätten. Nach Beantwortung der Anfragen wird der Tag der Eröffnung der Konferenz be⸗ stimmt werden.
— Wie die „Nowoje Wremja“ schreibt, hat der Ministerpräsident Ko lowzo w in der Budgetkommission der Reichsduma auf die Schwierigkeiten eines Kampfes mit den Syndikaten hingewiesen. Der Ministerpräsident erklärte, das stärkste Mittel in diesem Kampfe sei die Aufhebung des Zolles auf ausländische Produkte, dessen Wirksamkeit von der schnellen Anwendung abhängig sei. In bezug auf die Preissteigerung für Naphta bezeichnete der Ministerpräsident den Gedanken der Einrichtung staatlicher Be⸗ triebe für Naphtagewinnung als rationell.
Italien.
Der König von Schweden ist, wie „W. T. B.“ meldet, vorgestern mit der Herzogin von Södermanland und großem Gefolge auf Capri eingetroffen und hat sich nach der Villa Anacapri begeben.
— In der vorgestrigen Sitzung der Deputiertenkammer stand das Budget des Innern zur Beratung.
Nach dem Bericht des „W. T. B.“ wies der Ministerpräsident Giolitti auf die bedeutsame gesetzgeberische Tätigkeit der letzten beiden Jahre hin. Die Kammer habe die Strafprozeßordnung, das Versicherungsmonopol, die neue Justizverwaltung, das Notariats⸗
esetz, das Marinedienstgesetz und zahlreiche andere wichtige Gegen⸗ tände angenommen und hiermit die lebhafte Tätigkeit der Mehrheit gezeigt. Giolitti sagte ferner, er habe sehr großes Vertrauen zu den guten Ergebnissen des allgemeinen Stimmrechts und su dem Werk der neuen Legislaturperiode, aber gleichzeitig habe er die feste Ueber⸗ zeugung, daß diese schwer das übertreffen könnte, was die letzte
Nationalversammlung mit begrenztem Stimmrecht zum Wohle des Vaterlandes getan habe.
Die Kammer nahm hierauf das Budget an und vertagte sich bis zum 22. April.
8 Griechenland.
Die Pforte hat noch keine offizielle Mitteilung der Friedensbedingungen der Verbündeten erhalten. Wie das Wiener K. K. Telegraphen⸗Korrespondenzbureau meldet, halten sowohl die leitenden türkischen als auch die diplomatischen Kreise die Bedingungen für unannehmbar und eine Vermittlung auf dieser Grundlage für unmöglich. “
— Dem Großwesir ist gestern ein vom Aktionskomitee des Offizierkorps unterzeichnetes Memo randum überreicht worden, das laut Meldung des „W. T. B.“ besagt:
Die letzte Revolution, der die Kündigung des Waffenstillstandes und die Wiederaufnahme der Kämpfe folgte, hat bewiesen, daß eine Handvoll Leute nur auf die Befriedigung ehr⸗ und eigensüchtiger Zwecke abzielt. Leider wurde auch der Großwesir, der in der Armee allseitige Achtung genießt, zum Handlanger dieser Strömung. Wenn es durch den Regierungswechsel möglich wäre, das Interesse des Vater⸗ landes zu wahren, so hätten die Offiziere und die Armee die Re⸗ gierung unterstützt. Unglücklicherweise aber konnte die neue Riegierung nicht die gleichen Vorteile sichern wie die frühere Regierung. iese konnte es durchsetzen, daß Adrianopel
Der Etat enthält 234 000 Pfund
8
unter dem Schutze des Sultans bleibe, bewahrte die Nation Zahlung einer Kriegsentschädigung und sicherte eine Grenzlinie, die die politisch und strategisch wichtigen Orte Göldschina, Dimotika, Dedeagatsch und Kirktilisse für das türkische Ostrumelien erlangte, sowie außerdem die Autonomie Albaniens unter türkischer Soube⸗ ränität. Die neue Regierung, die zur Macht kam, um größere Vorteile zu sichern, konnte seit einem und einem halben Monat keine Erfolge aufweisen. Sie hat vielmehr das berauerliche Ereignis des Falles von Janina erlebt und es verschuldet, daß die Alliierten die früheren Friedensbedingungen annullierten und auf den bekannten Bedingungen bestehen. Das Offizierkorps, das überzeugt ist, daß der Regierungswechsel nur persönlichen Ambitlonen gedient hat, sieht sich deshalb gezwungen, seine Tätigkeit wieder aufzunehmen und richtet an den Großwesir folgende Fragen: Wenn Seine Hoheit überzeugt ist, daß die militärische Lage der Türkei es ge⸗ stattet, das Interesse des Landes besser als die frühere Regierung zu verteidigen, warum verlangten Sie noch in den ersten Wochen nach Uebernahme der Macht den Frieden unter ungünstigeren Bedingungen? Warum ermittelten Sie nicht den Mörder des früheren Kriegsministers, da doch die Zahl der schuldigen uniformierten Personen, welche in die Pforte eingedrungen sind, gering war? Weshalb haben sich Eure Hoheit den Vertuschungsmanövern gegenüber schweigsam verhalten? Das Offizierkorps wiro nicht dulden, daß das Interesse des Landes zum Splelball etner Handvoll habsüchtiger Leute werde. Es wird dieselbe wegen des auf die Armee geworfenen Makels zur Rechenschaft ziehen. Das Offizierkorps empfiehlt dem Großwesir zum letzten Male, die Leitung der Geschäfte allseitig vertrauenswürdigen Personen zu überlassen.
— Die Dette Publique hat. der Pforte vorgestern einen Vorschuß von 300 000 Pfund gewährt.
— Nach dem amtlichen türkischen Kriegsbericht vom gestrigen Tage, versuchte eine feindliche Truppenabteilung in der Richtung auf Hissar Beyli nahe dem Derkossee vorzu⸗ rücken, wurde aber durch lebhaftes Artilleriefeuer zum Rückzug gezwungen.
Wie die Bulgarische Telegraphen⸗Agentur meldet, am 12. d. M. zwei bulgarische Erkundungskolonnen, die in er Richtung auf Akalan ausgeschickt worden waren, gegen den Feind einen Bajonettangriff gemacht und eine östlich von dieser Ortschaft gelegene Redoute erobert. Der Feind versuchte, unterstützt von einer starken Abteilung, die Redoute zurückzuer⸗ obern, wurde aber durch einen Gegenangriff in die Flucht ge⸗ schlagen, wobei er ungefähr 300 Tote und Verwundete zurückließ. An demselben Tage versuchten die Türken vor der rechten Flanke der Bulgaren gegen Kadikoej vorzugehen, wurden aber
zaerch einen Gegenangriff der bulgarischen Truppen ebenfalls
zuͤrückgeworfen und bis zu dem Dorfe Elbassan verfolgt. Seit diesem Tage haben die Türken jeden Versuch eines Vorstoßes unterlassen. Die türkischen Truppen in Adrianopel desertieren in Massen. 1
Meldungen des „W. T. B.“ zufolge hat am Freitag ein furchtbares Bombardement aller Belagerungsgeschütze gegen die Befestigungen von Skutari und die Stadt selbst statt⸗ gefunden. Ein Stadtviertel wurde in Brand geschossen.
Wie der Kronprinz von Griechenland meldet, hat die achte Division, die in der Gegend von Delvino und Argiro⸗ kastro kämpft, bei Arinista die Nachhut des Feindes geschlagen. 1600 Türken sind gefangen genommen worden.
Die Insel Samos ist der „Agence d'Athénes zufolge vorgestern von griechischen Truppen besetzt worden.
ABulgarien.
Auf der Tagesordnung der Sitzung der Sobranje am Freitag standen Interpellationen, betreffend die bulgarisch⸗ rumänische Streitfrage, den Stand der Friedensver⸗ handlungen sowie die Beziehungen Bulgariens zu Serbien und Griechenland.
Nach dem Bericht des „W. T. B.“ tadelte der erste Inter⸗ pellant, ein Abgeordneter aus der bulgarischen Dobrudscha, die 885 tung Rumäniens und fragte, ob die Regierung territoriale Kon⸗ zessionen versprochen habe. Er brachte hierauf eine Petition von 19 Ortschaften aus dem Grenzgebiete zur Verlesung, in der diese egen die Anmaßung Rumäniens Einspruch erheben und ihren Abscheu vor der rumänischen Knechtschaft erklären, da sie in Freiheit groß geworden seien. Der Abg. Spisarevsky stellte auf Grund von Aktenstücken fest, daß das dem Berliner Kongreß unterbreitete rumänische Memorandum mit keinem Wort „Silistria“ erwähnt und daß die Grenzabsteckungskommission, ohne der Ent⸗ cheidung des Kongresses Rechnung zu tragen, die Grenzlinie zum
achteil Bulgariens festgesetzt habe. Halte man sich den Berliner Vertrag vor Augen, so müsse Bulgarien eher nehmen als geben. „Wir wissen nicht“, fuhr der Redner fort, „was die Regierung tun will, aber wir können erklären, daß die bulgarische Nation freiwillig keinen Zoll ihres blutgedüngten Bodens abtritt, und wenn uns die Notwendig⸗ keit dazu zwingen sollte, niemals Friede in dem geopferten Landes⸗ teile einziehen wird.“ Der Sozialist Sakizoff verwies auf die Reibungen zwischen den Verbündeten und auf die Maßnahmen Serbiens in den besetzten Gebteten, welche sich gegen Bulgarien richteten; auch die Griechen beobachteten eine gleiche Haltung. Man müsse sich daher fragen, ob der Krieg, der für die Befreiung der unterdrückten Brüder und für die nationale Freiheit unternommen sei, nicht schließlich zur nationalen Zerstückelung führen werde. Der Friede mit der Türkei sei eine unbedingte Notwendigkeit wegen der das Land schädigenden Wirkungen des Krieges, hauptsächlich aber wegen der Haltung der Serben und Griechen gegenüber Bulgarien.
Darauf ergriff der Ministerpräsident und Minister des Aeußern Geschow das Wort:
Er erhob zunächst gegen die unparlamentarische Sprache der beiden ersten Redner und gegen die Uebertreibungen des Sozialisten Sakizoff Einspruch und erklärte sodann, daß mit der Türkei direkte Verhandlungen nicht gepflogen würden. Der Minister verlas die von den Verbündeten in Beantwortung des Vermittlungsangebots der Mächte überreichte gleichlautende Note der Verbündeten und fügte hinzu, die Vermittlung der Mächte, die auf dem Artikel 6 der Haager Konferenz beruhe, sei nicht bindend. Was den bulgarisch⸗rumänischen Streitfall betreffe, so sei an die Stelle der Verhandlungen die von den beiden Ländern angenommene Vermittlunggetreten. Der Minister gabeine Geschichte dieses Streitfalls und sagte: „Nach den Siegen der bulgarischen Armee erhielten wir Kenntnis davon, daß Rumänien eine Grenzregelung verlange. Wir entsandten den Kammerpräsidenten Dr. Danew, um unserm Nachbarn die Versicherung zu geben, daß kein Mensch in Bulgarien je daran gedacht hatte, ihn anzugreifen, Am 8. Januar erhielten wir von unserem Gesandten in Bukarest eine Depesche, worauf wir den Präsidenten Danew, ausgestattet mit den notwendigen Instruktionen, behufs Einleitung von Unterhand⸗ lungen mit dem rumänischen Gesandten Mischu nach London entsandten. Die Antwort Rumäniens ging uns am 25. Januar zu, und am 27. traf eine Ergänzung hierzu ein.“ Der Minister teilte dem Hause den wesentlichen Inhalt des Londoner Protokolls vom 29. Januar mit, in dem Bulgarien erklärte, es werde den Kuzzowallachen in den zu⸗ künftig bulgarischen Gebieten Schulen⸗ und Kirchenautonomie ge⸗ währen, wobei Rumänien das Recht erhalten solle, jene unter der Kontrolle der bulgarischen Regierung zu subventionieren. Bulgarien habe sich des weiteren bereit erklärt, die Befestigungen von Sllistria zu schleifen. Diese Maßnahme gäbe Rumänien, das das Recht be⸗ halte, seine südliche Grenze zu befestigen, die gewünschte absolute Sicherheit. Bulgarien habe ferner seine Zustimmung zu einer Grenz⸗ regulierung unter Abtretung eines Küstendreiecks gegeben.
8 8. G1 8 111““
„Bezüglich der „Beziehungen zu Serbien und Griechen⸗ land“ fuhr der Minister fort, „stelle ich mit Vergnügen fest, daß bis jetzt weder in der Führung der kriegerischen Operationen noch in den Friedensverhandlungen in London noch bei dem letzten Meinungs⸗ austausch über die gleichlautende Antwort auf den Schritt der Mächte unter den Verbündeten irgendwelche Meinungsverschieden⸗ heiten einen Schatten auf das Bündnis geworfen haben. Wir haben uns zu gegenseitiger Verteidigung unserer Interessen verpflichtet. Die Festsetzungen des zwischen uns und den übrigen Balkanstaaten abgeschlossenen Entente⸗ vertrages sind durchgeführt worden. In der Ausführung der von den Verbündeten übernommenen Verpflichtungen hat es keine Weigerung und kein Zögern gegeben. Darüber, den Krieg bis zu Ende zu führen, hat zwischen den Verbündeten stets die vollste Uebereinstimmung geherrscht. Wir können uns an dem auf⸗ richtigen Wunsche der Verbündeten, das historische Werk der Allianz aufrechtzuerhalten, genügen lassen und lokale Zwistig⸗ keiten gewisser subalterner rgane, die mehr Eifer als Tafkt besitzen, werden sich auf dieser Grundlage regeln lassen.“
„Der Minister kam sodann auf die bedauernswerten Zwischen⸗ fälle in Sabotsko und Nigritta zu sprechen, hob die von der griechischen und bulgarischen Regierung getroffenen Maßnahmen hervor und gab der Hoffnung Ausdruck, daß angesichts des letzten Entschlusses der Regierungen der Verbündeten, keinerlei Konflikte mehr zuzulassen, es gelingen werde, alle Ursachen zu Mißverständnissen und Beschwerden zu beseitigen und die Befürchtungen verstummen zu machen, daß bei der Verteilung der besetzten Gebiete, die übrigens noch auf der Tages⸗ ordnung stehe, es zu unvermeidlichen Schwierigkeiten kommen werde.
Hensichtlich der Beendigung des Krieges, sagte der Mi⸗ nisterpräsident, müßte er kategorisch erklären, daß, so sehr Bulgarien den Frieden wünsche, dieser Friede vollständig den ungeheuren vor dem Waffenstillstand gebrachten Opfern und den fühlbaren Verlusten nach der Wiederaufnahme der Feindseligkeiten entsprechen müsse, zumal diese Wiederaufnahme durch die Weigerung der neuen jungtürkischen Regierung trotz der einmütigen Ratschläge der Großmächte und der nicht minder einmütigen Entschlüsse des von Kiamil Pascha einberufenen großen Diwans hervorgerufen worden sei. Das elementarste Gerechtig⸗ keitsgefühl fordere es, daß den Verbündeten mehr gegeben werde als das, womit sie sich früher zufrieden erklärt hätten. Nur Leute von mangelhafter Urteilskraft könnten behaupten, daß Bulgarien nach Wiederaufnahme des Krieges keine bemerkenswerten Ergebnisse zu erzielen vermochte. Die verhinderte, seit langem vorbereitete Lan⸗ dung der Türkei, die Zerstörung eines türkischen anzer⸗ schiffes in Abwesenheit aller Kriegsschiffe, die denkwürdige Nieder⸗ lage bei Bulair, wo die Türken nach ihrem eigenen Eingeständnis mehr als 14 000 Tote und Verwundete gehabt hätten, das Un⸗ vermögen des Feindes, sich aus den Befestigungen, hinter denen er sich versteckt halte, hervorzuwagen, trotz der großen Verstärkungen, die er noch immer aus seiner Bevölkerung schöpfen konnte, die fünfmal größer sei als die bulgarische, alles das seien Tatsachen, die im Zu⸗ sammenhang mit der glänzenden Einnahme von Janina seitens der verbündeten Griechen unwiderleglich bewiesen, daß der Gegner nicht das Recht erworben habe, gegenwärtig günstigere Bedingungen zu verlangen, als diejenigen, die ihm durch die Delegierten der Verbündeten im Laufe der Friedensverhandlungen in London gemacht worden seien, und die er damals mit solcher Leicht⸗ fertigkeit zurückgewiesen habe. Es wäre daher, wie er glaube, voll⸗ kommen gerechtfertigt, daß die Verbündeten an diese Bedingungen in der Antwort, die bezüglich der Vermittlung den Großmächten über⸗ mittelt worden sei, erinnerten. Sache der Großmächte set es, nun⸗ mehr sich darüber auszusprechen, was den Verbündeten nach den neuen schweren Opfern, die sie nicht durch ihre Schuld erlitten hätten, ge⸗ geben werden solle, und die Verbündeten hofften, daß ihr Richterspruch derart sein werde, daß dessen Annahme sich durch seine Weisheit und Gerechtigkeit beiden Teilen aufzwingen werde.
Auf den rumänisch⸗bulgarischen Streitfall zurück⸗ kommend, erklärte der Ministerpräsident, daß die Fe n alle Be⸗ mühungen aufwenden werde, um die vermittelnden Mächte über diese Frage aufzuklären und sie von der Notwendigkeit zu über⸗ zeugen, eine Formel zu finden, die nicht nur den gegen⸗ wärtigen Streit regle, sondern auch keinen Keim zu tünftigen Mißhelligkeiten zwischen den beiden durch jahr⸗ hundertelange Bande guter Nachbarschaft und unwandel⸗ barer Freundschaft verbundenen Staaten zurücklasse. Auf die zwischen den Verbündeten bestehenden Beziehungen übergehend, erinnerte der Ministerpräsident schließlich an den Entschluß Bulgariens, treu seine Verpflichtungen zu erfallen, und sprach die Ueberzeugung aus, daß auch die Verbündeten die ihrigen ebenso loyal einhalten werden. I der festen Ueberzeugung von der Notwendigkeit der Erhaltung des Bünd⸗ nisses nicht nur in der Gegenwart, sondern auch für die Zukunft, eines Bundnisses, das ihren wahren Interessen entspricht, werden die Verbündeten“, so schloß der Ministerpräsident, „alles mögliche tun, damit das Werk von dem verdienten Erfolge gekrönt wird. Wir haben Beweise von Voraussicht und Geduld gegeben. Wir besitzen den vollen Glauben an die bewunderungswürdige bulgarische Nation, vor deren Einsicht und Stärke wir uns beugen.“
Hierauf trat das Haus in eine Erörterung der Erklärungen des Ministerpräsidenten ein.
Die Führer der Oppositionsparteien billigten im allge⸗ meinen die Erklärungen Geschows, sie machten jedoch Vorbehalte, be⸗ treffend die optimistischen Anschauungen der Regierung über die schließ⸗ lichen Ergebnisse des vom Balkanbund unternommenen Werkes. Sie verurteilten in kräftigen Worten die Haltung der Griechen und Serben, die eine Eroberungspolitik zum Nachteile der Bulgaren verfolgten, die sie durch allerlei Belästigungen und Gewalt⸗ tätigkeiten zu entnationalisieren trachteten. Das anfängliche Ziel des Balkanbundes und des Krieges habe territorialen Eifer⸗ süchteleien Platz gemacht. Der Balkanbdund befinde sich daher infolge der bei den Verbündeten entfesselten chauvinistischen Leidenschaften in Gefahr. Angesichts dieser Haltung der Verbündeten müsse die Regierung die Interessen der Nation energisch verteidigen. Die Opposition habe ihr von allem Anfang an Vertrauen geschenkt, aber dieses Vertrauen sei kein bedingungsloses. Wenn die erwarteten Ergebnisse nicht so seien, wie der Ministerpräsident es verspreche, werde die Opposition ihre Handlungsfreiheit wiedergewinnen. Verschiedene Redner verurteilten die Politik der Regierung in dem rumänisch⸗ bulgarischen Streitfalle und erklärten, die Forderungen der Rumänen trügen geradezu den Charakter einer Erpressung, zumal sie ganz un⸗ begründet seien. Die von Rumänien in Anspruch genommenen Gegenden seien der Mehrheit nach von Bulgaren und einer türkischen Minderheit bevölkert, aber nicht von Rumänen. Da Bulgarien auf die Dobrudscha endgültig verzichtet habe, um die Freundschaft Rumäniens zu besitzen, sei es zu der Erwartung berechtigt, daß Rumänten selbit den Wert der Freundschaft Bulgariens schätzen werde, ohne irgend einen Landerwerb anzustreben.
Der Führer der Liberalen, Radoslawoff, bezeichnete es als notwendig, nach Möglichkeit die abgeschlossenen Verträge bekannt⸗ zugeben, damit die öffentliche Meinung über die Verpflichtungen, die der Nation auferlegt seien, aufgeklärt werde. Der Abg. Straschi⸗ minoff, Führer des Landwirteverbandes, erklärte, Saloniki sei ein Hafen für ganz Mazedonien, sogar für Sofia, und könne keineswegs an Griechenland fallen. Der Führer der Demokraten, Malinow, besprach die Vermittlung für den Friedenschluß und sagte, Bulgarien werde mit Ruhe die Entscheidung der Mächie abwarten, weil diese jetzt Gelegenheit hätten, zu beweisen, daß es in Europa Gerechtigkeit und Zivilisation gebe, für die Bulgarien kämpfe. Der Führer der Jungliberalen, Tonschew, warf der Regierung vor, sie sei in der Lösung der Orientfrage nicht bis ans Ende gegangen. Trotz der vor⸗ gebrachten Kritiken erklärten die Führer sämtlicher Parteien, daß sie der Regierung ihre volle Unterstützung zur Verteidigung der nationalen Interessen gegen den Feind gegen die konkurrierenden Be⸗ strebungen gewährten. 8
Nach den Sprechern der Opposition ergriff der Finanzminister Theodorow das Wort und erklärte im Namen der Regierung, daß, da der Krieg noch nicht beendet und die aufgetauchten Differenzen nicht beigelegt seien, jede Kritik verfrüht sei. Man werde die Politik der Regierung nach ihren Ergebnissen beurteilen müssen. Die Re⸗ gierung appelliere an die Opposition, ihr die Unterstützung nicht zu entziehen, solange sich Bulgarien Feinden oder Rivalen gegenüber be⸗ finde. Die Einmütigkeit der Slaven werde dem Lande die Verwirk⸗ lichung der ersehnten Erfolge ermöglichen.
— Der Ministerpräsident Geschow und der Präsident der Sobranje Dr. Danew haben gestern im Sitzungssaale der Sobranje eine aus 700 Personen bestehende Abordnung der Bezirke von Silistria, Baltschik, Kavarna und Dobritsch empfangen, die gekommen war, um gegen eine eventuelle Abtretung bulgarischen Bodens an Rumänien Ver⸗ wahrung einzulegen, und um bei der Regierung darauf zu dringen, sie möge nicht gestatten, daß Rumänien von dem bulgarischen Grenzgebiete Besitz ergreife. Wie das Wiener „K. K. Tele⸗ graphen⸗Korrespondenzbureau“ meldet, gaben Geschow und Danew der Abordnung gegenüber die Versicherung ab, daß die Regie⸗ rung die durch die Haltung des Nachbarn im Norden hervor⸗ gerufene Beunruhigung der Abordnung teile; sie werde die Groß⸗ mächte über die Nichtberechtigung der rumänischen Ansprüche weiterhin aufklären und alles, was in ihren Kräften stehe, tun, um das bulgarische Vaterland vor einer Amputation zu bewahren und um die Heimat der tapferen Soldaten, die im Kampfe gegen den Feind ihr edles Blut vergossen, dem Vaterlande zu erhalten. Die Nation könne auf die Gerechtigkeit der Groß⸗ mächte vertrauen, die gewiß nicht jetzt zerstören werden, was Rußland in Europa vor 35 Jahren geschaffen habe.
Asien.
Das japanische Abgeordnetenhaus hat, einer Mel⸗ dung des „W. T. B.“ zufolge, vorgestern nach lebhafter Debatte das Budget mit einer Mehrheit von fünf Stimmen angenommen.
Nr. 21 des „Zentralblatts der Bauverwaltung“, heraus⸗ egeben im Ministerium der öffentlichen Arbeiten, vom 15. Mär 1913, 8* folgenden Inhalt: Amtliches: Dienstnachrichten. — Nicht⸗ amtliches: Das neue Rathaus in Bremen. — Die australische Querbahn. — Vermischtes: Auszeichnung. — Wettbewerb für Ent⸗ würfe zum Bau einer Volksschule in Sagan i. Schlesien. — Deutschlandreise der amerikanischen Ingenieure. — Zur Berechnung des beiderseits eingespannten Bogens. — Fettfarg. Ueber Holz⸗ einlagen bei Burgkürmen. — Fritz von Manikowsky f.
Statistik und Volkswirtschaft.
Die deutsche überseeische Auswanderung im Februar 1913 und in dem gleichen Zeitraume des Voriahrs.
Es wurden deutsche Auswanderer im Monat Februar befördert über 1913 1912 Brern e“ 526 445 552 253 deutsche Häfen zusammen . 996 698 fremde Häfen (soweit ermittelt) 351 158 überhaupt 1347 856. Aus deutschen Häfen wurden im Februar 1913 neben den 996 deutschen Auswanderern noch 23 815 Angehörige fremder Staaten befördert; davon gingen über Bremen 11 741, üher Hamburg 12 074.
Zur Arbeiterbewegung.
Wie die „Krefelder Zeitung“ meldet, sind seit Sonnabendnach⸗ mittag 15 000 Arbeiter der Crefelder Seidenwebereien ausgesperrt. Die Fabrikanten beabsichtigen, für den Fall, daß die Arbeiter an ihren Forderungen festhalten, am nächsten Sonnabend weitere 5000 Arbeiter auszusperren. (Vgl. Nr. 64 d. Bl)
Wie die Blätter melden, hat in Wien eine Versammlung der Stukkateurmeister beschlossen, sämtliche Stukkateurgehilfen, die zum Teil die Arbeit eingestellt hatten, auszusperren. Von dieser Maßnahme werden etwa sechstausend Gehilfen betroffen.
Aus Budapest wird dem „W. T. B.“ telegraphiert: Die Ar⸗ beiter in den Brennberger Kohlengruben haben wegen Herabsetzung des Lohns die Arbeit eingestellt.
(Weitere „Statistische Nachrichten“ s. i. d. Ersten Beilage.)
Wohlfahrtspflege.
Der preußische Minister der öffentlichen Arbeiten hat, um allen ständigen Wasserbauarbeiternunter 40 Jahren nach mindestens einjähriger Beschäftigung bei der Wasserbau⸗ verwaltung eine Zusatzrentenversicherung zuteil werden zu lassen, zum 1. April 1913 ihre Eingliederung in die eine erweiterte Fürsorge bezweckende Abteilung B der Pensionskasse für die Arbeiter der preußisch⸗hessischen Eisenbahngemeinschaft veranlaßt. Der Eintritt kann noch mit rückwirkender Kraft vom 1. Apri- 1912 ab erfolgen. Gleichzeitig werden alle der Invaliden⸗ und Hinterbliebenenversiche⸗ rung unterliegenden Wasserbauarbeiter der Abteilung A der Pensions⸗ kasse zugeführt, die als zugelassene Kasseneinrichtung mit den gesetz⸗ lichen Leistungen alle Aufgaben einer Versicherungsanstalt zu erfüllen hat. Nachdem die Hauptversammlung der Pensionskasse die ent⸗ sprechende Aenderung ihrer Satzungen beschlossen hat, übersendet der Minister durch einen Erlaß den Behörden der Wasserbauverwaltung umfangreiche Ausführungsvorschriften und Uebergangsbestimmungen, damit die mit der Annahme, der An⸗ und Abmeldung der Arbeiter und mit der Aufstellung der Lohnrechnungen betrauten Bediensteten sich alsbald mit den neuen Bestimmungen bekannt machen können und die rechtzeitige Durchführung der Maßnahmen sichergestellt wird.
Die Ortsgruppe Berlin der PFele leg für soziale Re⸗
form veranstaltet für den 19. März, Abends 8 Uhr, eine Ver⸗ sammlung im Saale der Viktoriabrauerei (Lützowstraße 111,112). In dieser wird mit Rücksicht darauf, daß eine möglichst schnelle Unterbrirgung der Arbeitsuchenden in geeignete Stellen und umgekehrt eine möglichst schnelle Besetzung offener Stellen mit geeigneten Arbeitskräften von der größten Bedeutung für unsere ganze Volkswirtschaft ist, die Lösung dieses Problems aber von einer richtigen Organisation des öffentlichen Arbeitsnachweises abhängt, die Frage der „Organisation des öffentlichen Arbeitsnachweises in Groß Berlin“ behandelt werden. Berichterstatter wird der Oberbürgermeister Dominicus (Berlin⸗Schöneberg) sein.
In diesem Jahre, dem elften ihres Bestehens, hat die deutsche Dichter⸗Gedächtnis⸗Stiftung ihre Arbeit auf allen früher in Angriff genommenen Gebieten fortgesetzt und ausgedehnt. Die Büchereiabteilung hat im letzten Jahre an⸗ allgemeine Volks⸗
E1“
büchereien (namentlich auf dem Lande) 78 883 Bände, an Fort⸗ bildungsschulen 96 Bände, an Mannschaftsbüchereien 5261 Bände, an Büchereien für Krankenhäuser und Heilstätten 1032 Bände, im ganzen 85 272 Bände verteilt, außerdem in Wander⸗ büchereien an Feuerschiffe und Leuchttürme 1440 Bände ver⸗ sandt. Ein neuer Zweig dieser Abteilung sind die Wander⸗ büchereien für die Handelsflotte, die zunächst bei 3 Reedereien mit 96 Dampfern und 17 Segelschiffen eingeführt wurden. Der Gesamtladenpreis der von dieser Abteilung im Jahre 1912 ver⸗ teilten 85 272 Bände belief sich auf 104 590,65 ℳ. Erheblich aus⸗ gedehnt hat sich die Tätigkeit der Stiftung für deutsche Büchereien im Auslande (Oesterreich und die Schweiz ausgenommen, die in obigen Ziffern inbegriffen sind), an die 2117 Bände verschickt wurden. Insgesamt hat die Stiftung bisher 534 020 Bücher im Gesamt⸗ ladenpreiswerte von 608 837,83 ℳ an volkstümliche Büchereien verteilt. — Die Verlagsabteilung der Stiftung gab im Jahre 1912 7 neue Bände der „Hausbücherei“ und 2 neue „Volks⸗ bücher“ heraus, darunter z. B. Bücher von Gottfried Keller, Ernst Zahn, Hans Hoffmann, Adolf Schmitthenner usw. Insgesamt sind bisher 46 Bände der „Hausbücherei“ und 35 „Volksbücher’ erschienen. Von den früher erschienenen Bänden wurden neue Auflagen in 120 000 Exemplaren gedruckt. Im ganzen hat die Stiftung bis Ende 1912 1 725 000 Bände herausgegeben. — Die Ortsgruppen⸗ abteilung umfaßt jetzt 234 Ortsgruppen mit 4351 Mitgliedern; zahlreiche Ortsgruppen in Deutschland wie im Auslande haben der Stiftung wertvolle Dienste geleistet und dazu beigetragen, daß ihre Arbeit immer weitere Kreise zieht. — Die Stiftung hat in diesem Jahre ihr Werbeamt neu eingerichtet und dadurch 571 neue Mit⸗ glieder gewonnen. — Die Gewinn⸗ und Verlustrechnung sämt⸗ licher Abteilungen der Stiftung stellte sich in Einnahmen und Aus⸗ gaben auf 245 799,72 ℳ; von den Einnahmen entfallen jedoch nur 35 582,14 ℳ auf jährliche Mitgliederbeitäge. — Die Wander⸗ ausstellung gegen die Schundliteratur wurde in diesem Jahre noch in 17 verschiedenen Städten gezeigt, außerdem in einer Anzahl Ortsgruppen des deutsch⸗nationalen Handlungsgehilfen⸗Verbandes. Ins⸗
S wanderte sie bisher durch 61 Städte, die größtenteils im Deutschen
eiche liegen, zum Teil aber auch im Ausland; so wurden in der Schweiz Ausstellungen mit Erfolg in Basel, Zürich, Glarus, Mollis, Frauenfeld und Romanshorn veranstaltet. — Die Stiftung bedarf dringendder weiteren Vermehrung ihrer Mitgliederzahl, da ihr eisernes Kapital nur recht gering ist. Wer mindestens 2 ℳ Jahresbeitrag zahlt, erhält ein Buch der Stiftung als Mitgliedsgabe; er erfüllt damit gleichzeitig eine soziale Pflicht. Die sachgemäße Verwendung der Beiträge ist durch die ge⸗ meinnützige Einrichtung der Stiftung gewährleistet. Ihre Drucksachen werden von der Kanzlei der deutschen Dichter⸗Gedächtnis⸗Stiftung in Hamburg⸗Großborstel auf Verlangen jedermann kostenfrei zugesandt.
Als erster deutscher Zweckverband für Kleinwohnungen hat sich der gemeinnützige Bauverein der Landgemeinden des Kreises Worms konstituiert, dem sämtliche 39 Gemeinden des Kreises angehören. Der Verband beabsichtigt, in allen diesen Gemeinden billige, gesunde Wohnungen nach Bedarf zu errichten. Die erforder⸗ lichen Mittel gibt die Landesversicherungsanstalt Großherzogtum Hessen zu 3 ½ %. Der Bau einer Wohnung wird begonnen, sobald 10 % des
Gesamtpreises angezahlt sind; der Restkaufpreis wird zu 3 ½ % ver⸗ zinst und ist mit mindestens 1 ½ % zu tilgen.
1 Kunst und Wissenschaft.
Die Königlich preußische Akademie der Wissen⸗ schaften hielt am 20. Februar unter dem Vorsitz ihres Sekretars Herrn Waldeyer eine Gesamtsitzung, in der Herr Liebisch über die optischen Eigenschaften der durch die Absorption von a⸗Strahlen erzeugten pleochroitischen öfe las. Durch die Absorption der von Einschlüssen radioaktiver Mineralien ausgesandten a⸗Strahlen wird in Turmalin, Biotit und Cordierit eine Aenderung der Absorption des Lichtes hervorgerufen, die mit Hilfe eines Mikrophotometers gemessen und mit der gleichzeitig erzeugten Aenderung der Voppelbrechung verglichen wurde. — Die Akademie genehmigte die Aufnahme einer von Herrn Diels in der Sitzung der philosophischhistorischen . vom 13. Februar vorgelegten Arbeit des Herrn Dr. J. Heeg in München „Pseudo⸗ demokritische Studien“ in die Abhandlungen des Jahres 1913. Die von Renzi, Coll. Sal. IV, S. 290 ff. als Fragmente des III. Buchs der Practica des Petrocellus (S. XI) veröffentlichten medizinischen Excerpte gehören in Wirklichkeit nicht diesem Salernitaner, sondern zu einem medizinischen Pseudodemocriteum, das durch eine Reichenauer, zwei Münchener und eine Pariser Hs. erhalten 88 Dieser Text ist eine „altlateinische’ Bearbeitung einer hauptsächlich mit Benutzung der Synopsis des Oribasius, daneben Galens und einer nicht näher festzustellenden Mittelquelle am Ausgang des Altertums abgefaßten griechischen Vorlage, aus der anscheinend auch die von Wellmann edierten „Pseudodemocritea Vaticana“ stammen. — Herr Dr. Koser überreichte ein neu erschienenes Heft der Monumenta Germaniae historica: Tom. 32, Pars 3 der Abteilung Scriptores (Hannoverae et Lipsiae 1913).
Am 27. Februar hielt die philosophisch⸗historische Klasse der Akademie der Wissenschaften unter dem Vorsitz des Sekretars Herrn Roethe eine Sitzung. In dieser las Herr Sachau über die ältesten Schicksale des Christentums im Orient, speziell in den Euphrat⸗ und Tigrisländern. Es wurde dargelegt, wie sich schon frühzeitig, bereits unter der Ferreüal der Partherkönige, in der Stadt Arbela eine christliche Gemeinde gebildet hat, welches die Schicksale ihrer Leiter waren, wie einzelne von ihnen auch in der Reichshauptstadt tätig ge⸗ wesen und welche Rolle diese in der späteren Geschichtsüberlieferung spielen. Ferner wurde die Verbreitung des Christentums in süd⸗ licher und östlicher Richtung behandelt, im besonderen die Bistümer und Erzbistümer in Ostarabien, in der eigentlichen Persis und in Merw, und es wurde versucht, nachzuweisen, wie lange diese christ⸗ lichen Gebiete unter der Herrschaft des Islams gestanden haben. — 8 Ed. Meyer legte einen Aufsaß des Herrn Peseggrs M. Lidz⸗
arski in Greifswald über eine punisch⸗altberberische Bilinguis aus einem Tempel des Massinissa vor. Die in den Ruinen von Thugga gefundene Inschrift wird nach einer Photo⸗ graphie neu publiziert und kommentiert. Es ist die Bauinschrift für einen Tempel des Königs Massinissa aus dem 10. Jahre seines Sohnes Micipsa. — err Harnack überreichte „Die Griechischen Christlichen Schriftsteller der ersten drei Jahrhunderte, Bd. 21: Philostorgius; Kirchengeschichte, herausgegeben von J. Bidez Ceipzig 1913). — An demselben Tage hielt auch die physikalisch⸗mathematische Klasse der Akademie eine Sitzung, in der Herr Waldeyer den Vorsitz führte und Herr
aberland las: „Zur Physiologie der Zellteilung.“ Im Anschluß an frühere Kulturversuche mit isolierten Pflanzenzellen wird über Versuche mit kleinen Gewebsfragmenten der Kartoffelknolle be⸗ richtet. Das Hauptergebnis besteht in dem Nachweise, daß aus dem Mark der Knolle herausgeschnittene Gewebeplättchen nur dann Zell⸗ teilungen erfahren, wenn sie ein lebendes Leptombündelfragment ent⸗ halten. Auf Grund weiterer Versuche wird wahrscheinlich gemacht, daß das Leptom, insbesondere die Geleitzellen der Siebröhren, einen und ausscheiden, der die Speicherzellen zur Teilung eranlaßt.
Eine Gesamtsitzung der Akademie der Wissenschaften wurde ferner am 6. März unter dem Vorsitz des Herrn Waldeyer gehalten. In dieser las Herr Diels über die Entdeckung des Alkohols Gegenüber der früher verbreiteten Annahme, daß wir den Alkohol den Arabern verdankten, und der neuerdings versuchten Ableitung. dieser Entdeckung aus Italien (12. Jahrh.) wird der Nachweis ge⸗ liefert, daß das im 12. Jahrhundert in einer chiffrierten Notiz auf⸗ tauchende Rezept der Alkoholbereitung samt der überwiegenden Masse der übrigen im Mittelalter verbreiteten chemischen Rezepte antiken Ursprungs ist und mindestens seit dem 2. Jahrhundert n. Chr. in den alchimistischen Geheimzünften Aegyptens be⸗
magischem Hokuspokus verwandt worden ist. ippokratische Forschungen IV mit und legte eine Mitteilung des Herrn Prof. Dr. J. Mewaldt in Greifs⸗ wald über eine Fälschung Chartiers in Galens Schrift über das Koma vor. Es wird nachgewiesen, daß die kleine Schrift Galens IIeο rob rap vrrozpäret ze‿μϑꝙos (VII 643—665) nur in einer gr. Hs. (Laur. gr. 74, 3; s. XII) und in der lateinischen Ueber⸗ setzung des Nicolaus von Rhegium erhalten ist. Dieser hat eine griechische Hs. benutzt, welche die große Lücke des Laur. ausfüllt. Danach hat Chartier für seine Ausgabe bona fide den griechischen Text in der Lücke hergestellt. Die Kühnsche Ausgabe hat diese Fälschung Chartiers, die bis jetzt unbemerkt blieb, unverändert abgedruckt. — Die Akademie genehmigte die Aufnahme einer von Herrn Waldeyer in der Sitzung der physikalisch⸗marhematischen Klasse vom 30. Januar vorgelegten Arbeit des Herrn Professor Dr. Edwin E. Goldmann in Freiburg i. Br.: Vitalfärbung am Zentral⸗ nervensystem. Beitrag zur Physio⸗Pathologie des Plexus choroideus und der Hirnhäute in die Abhandlungen des Jahres 1913. Vorgelegt wurde Tom. 2, Fasc. 2 des von der Savigny⸗Stiftung unter⸗ nommenen Vocabularium Iurisprudentiae Romanae, bearbeitet
von E. Grupe (Berolini 1913).
kannt und zu Herr Diels teilte ferner
Die „Nuova Antologia“ veröffentlicht einen Artikel über drei Werke Raffaels, die Adolfo Venturi in Perugia entdeckt habe. Ihre Authentizität soll unbezweifelbar sein. Eins davon ist ein monumentaler Fresko, ein Meisterwerk aus jüngeren Jahren des Künstlers, eine der bedeutendsten Schöpfungen der italienischen Kunst.
In Gegenwart Ihrer Königlichen Hoheiten des Groß⸗ herzogs und der Großherzogin von Baden hat vorgestern nachmittag die Eröffnung der Deutschen Kunstausstellung Baden⸗Baden 1913 stattgefunden.
Verkehrswesen.
In Jukaduma (Kamerun), etwa 200 km nördlich von
Molundu, ist am 12. Dezember 1912 eine Postagentur eingerichtet
worden, deren Tätigkeit sich auf die Annahme und Ausgabe von gewöhnlichen und eingeschriebenen Briefsendungen und auf die Ausgabe von gewöhnlichen Paketen erstreckt.
In Ngomeni (SDeutsch Ostafrika) an der Nordbahn, 28 k.
westlich von Tanga, ist am 11 Februar eine Postagentur ein⸗ gerichtet worden, deren Tätigkeit sich auf die Annahme und Ausgabe von gewöhnlichen und eingeschriebenen Briefsendungen und auf die Wahrnehmung des Paketdienstes innerhalb des Schutzgebiets erstreckt.
Theater und Musik.
Im Königlichen Opernhause wird morgen, Dienstag, „Der Freischütz“ aufgeführt. Die Besetzung lautet: Agathe: Frau Dux; Aennchen: Fräaulein Engell; Max: Herr Kirchhoff; Caspar: Herr Mang; Kuno: Herr Krasa; Eremit: Herr Knüpfer; Ottokar: Herr Bachmann; Kilian: Herr Schultz. Dirigent ist der Kapellmeister Blech.
Im Fe en Schauspielhause wird morgen die zweite Hälfte der Hebbelschen „Nibelungen“: „Kriemhilds Rache“, gegeben. Das ganze Werk wird, wie bereits mitgeteilt, zur Feier von Hebbels 100. Geburtkstag aufgefühlt. vW“
Mannigfaltiges. Berlin, 17. März 1913. 1
Die von Seiner Majestät dem Kaiser und König an⸗ läßlich der Jahrhundertfeier der Erhebung Preußens im Landwehr⸗ offizierkasino zu Berlin gehaltene Rede hatte folgenden Wortlaut:
„Der heutige Geburtstag der unvergeßlichen Königin Luise ist der Erinnerung an die weltbewegenden Ereignisse vor 100 Jahren gewidmet, der Erinnerung an die ruhmvolle Erhebung des Volkes in Waffen zur Befreiung unseres Vaterlandes von jahrelanger Fremd⸗ herrschaft. Gott dem Herrn, der an Preußen so Großes getan, und den Helden der Befreiungskriege ist heute von unserem Heer und Volk an geweihten Stätten Dank und Verehrung dargebracht. In patriotischer Begeisterung wird bei den heutigen Festlichkeiten mit besonderem Stolz der Ruhmestaten der preußischen Landwehr gedacht, deren Bildung vor 100 Jahren dem Heere neue Kräfte zuführte. Eine besondere Freude ist es Mir, am Abend dieses Gedenktages im Kreise der Kameraden der Landwehrinspektion Berlin weilen und an der Feier der stärksten Vereinigung von Offizieren des Be⸗ urlaubtenstandes teilnehmen zu können. Ich danke Ihnen herzlich für Ihre Einladung und die freundliche Begrüßung durch den Mund Ihres Inspekteurs. Die feierliche Erneuerung Ihres Treuschwurs und das Gelöbnis, Ihrer Landwehrdevise „Mit Gott für König und Vaterland!“ allezeit eingedenk zu bleiben und ihr nachzuleben, habe Ich gehobenen Herzens entgegengenommen. Es ist Mir eine Bürg⸗ schaft dafür, daß der Geist treuer Pflichterfüllung, der unserem Volke vor 100 Jahren mit Gottes Hilfe den Sieg verlieh, auch heute noch in den Offizierkorps des Beurlaubtenstandes wie der aktiven Armee lebendig ist. In unserer ernsten Zeit aber gilt es, diesen Geist der Hingabe an das Vaterland auch in unserem Volke und in seiner Jugend wach zu erhalten, die sittlichen Kräfte zu beben und zu stärken und nicht durch Selbstsucht, Genußsucht und Abfall von dem Glauben unserer Väter verkümmern zu lassen. Und dazu mitzuwirken, sind Sie, Kameraden von der Reserve und Landwehr, ganz besonders be⸗- rufen und ausersehen. Sie stehen in Ihrem Berußsleben in dauern⸗ der Fühlung mit allen Schichten der Bevölkerung. Ihr Beispiel, Ihre Lebensanschauung und Ihre Pflichterfüllung gegen Gott, König und Vaterland sind von außerordentlicher Bedeutung im Kampfe gegen die finsteren Mächte des Unglaubens und der Vaterlands⸗ losigkeit, die in unseren Tagen an dem gesunden Marke unseres Volkes zehren und seine Ruhe und seine Zukunft zu zerstören drohen. Das Vaterland erwartet von Ihnen in erster Linie nicht kriegerische Lorbeeren, sondern ein verdienstvolles Wirken als Staatsbürger. Es rechnet darauf, daß Sie dem deutschen Volke und besonders der deutschen Jugend mit Rat und Tat und einem charaktervollen Vorbilde treu zur Seite stehen. Ein solches Eintreten für die idealen Lebenswerte wird Sie um so tüchtiger machen zur Erfüllung Ihrer militärischen Aufgaben als Führer der Söhne unseres Volkes, auch auf dem Schlachtfelde, wenn die Not des Vaterlandes Sie je zwingen sollte, Ihren friedlichen Beruf mit dem Schwert zu vertauschen. Das ist der Weg, auf dem Sie sich als würdige Nachfolger jener ersten Landwehroffiziere vor 100 Jahren erweisen sollen, die nicht nur auf des Königs Ruf selbst frei⸗ willig zu den Fahnen geeilt waren, sondern schon vorher, als sie noch auf dem Katheder, im Bureau, in der Fabrik oder auf eigenem Hof schafften, durch Wort, Lied oder Beispiel die gute Saat in das Herz des Volkes gestreut und es zur freudigen Hingabe von Gut und Blut für Ehre und Freiheit des Vaterlandes begeistert hatten. Eingedenk des verheißungsvollen und zugleich mahnenden Wortes des Feldmarschalls Blücher in seinem Armeebefehl nach der Schlacht von Belle⸗Alliance „Nie wird Preußen untergehen, wenn eure Söhne und Enkel euch gleichen⸗ und im festen Vertrauen auf die Treue Meiner Triarier trinke Ich auf das Wohl des Landwehroffizierkorps Berlin. Vivant Regis triarii. Drei Hurras unserer Landwehr.“ .
Der Fackelzug, den die Vaterländische Gesellschaft zur
Verbreitung von Geschichtskenntnissen gestern abend aus Anlaß der Jahrhundertfeier der Befreiungskriege ver⸗
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