1913 / 85 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 10 Apr 1913 18:00:01 GMT) scan diff

Deutscher Reichstag. 135. Sitzung vom 9. April 1913, Nachmittags 1 Uhr. (Bericht von „Wolffs Telegraphischem Bureau“.)

Auf der Tagesordnung steht die Fortsetzung der ersten Be⸗ ratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Gesetzes über die Friedenspräsenzstärke des deutschen Heeres vom 27. März 1911/14. Juni 1912 und des Besol⸗ dungsgesetzes sowie zur Aenderung des Gesetzes über die Ver⸗ sorgung der Personen der Unterklassen des Reichs⸗ heeres, der Kaiserlichen Marine und der Kaiserlichen Schutztruppen vom 31. Mai 1906 (des Mannschaftsversor⸗ gungsgesetzes) in Verbindung mit der Fortsetzung der ersten Beratung der Ergänzung zum Entwurf eines Gesetzes, be⸗ treffend die Feststellung des Reichshaushaltsetats für das Rechnungsjahr 1913.

Abg. Doormannsfortschr. Volksp.) in seiner Rede, deren Anfang in der gestrigen Nummer d. Bl. mitgeteilt worden ist, fortfahrend: Der frühere Kriegsminister Bronsart von Schellendorf machte gegen die zweijährige Dienstzeit geltend, daß 50 % Rekruten mehr eingestellt werden müßten und bezweifelte, ob diese unbedingt diensttauglich sein würden; man könne nur Leute gebrauchen, die den Anstrengungen des Friedens⸗ dienstes vollständig gewachsen seien. 1888 hat man die Mindestgröße der Rekruten bei der Infanterie herabsetzen müssen. Ich frage: Kann man noch unter die Grenze von 1,57 bzw. 1,54 herabgehen? Wür⸗ den nicht die bisherigen Mißstände, namentlich die Militärmiß⸗ handlungen dadurch neue Nahrung erhalten? Wir müssen bindende Erklärungen von der Kriegsverwaltung verlangen, daß die Reklama⸗ tionen von Mannschaften für bürgerliche Zwecke möglichste Berück⸗ sichtigung finden, namentlich im Interesse der Landwirtschaft. Zu begrüßen ist die Schonung der älteren Jahrgänge im Kriegsfalle. Man hat das Heer als eine Schule bezeichnet. Das ist bis zu einem ge⸗ wissen Grade richtig. Aber der Dienst im Heere ist nicht die einzige Schule; es gibt auch andere Erziehungsmittel für den heranwachsenden jungen Mann. Auch in der beruflichen Tätigkeit muß Disziplin ver⸗ langt werden. Die Vorlage kostet große persönliche Opfer. Läßt sich überhaupt die Kriegslast gleichmäßig verteilen, wie die Steuer⸗ last? Die Mehraushebung von 63 000 Mann bedeutet für manche Familien die Einstellung von zwei Söhnen statt einem. Nun sollen auch noch 15 000 Unteroffiziere und 4000 Offiziere neu eingestellt werden. Der wirtschaftliche Körper des Deutschen Reiches zählt ja nach Millionen Erwerbstätiger, und diese Zahlen sind verhältnis⸗ mäßig klein, aber es kommt doch eins zum andern, und die Entziehung so vieler Kräfte wird sich auch für die Volkswirtschaft fühlbar machen. Die Zahl der ausländischen Arbeiter, die in Deutschland beschäftigt werden, ist bereits unverhältnismäßig hoch, obgleich eine genaue Sta⸗ tistik darüber leider nicht existiert. Auch die Landwirtschaft wird die Wirkung der vermehrten Aushebung sofort zu spüren bekommen und dauernd verspüren müssen, denn erfahrungsmäßig kehrt ein großer Teil der vom platten Lande stammenden Ausgehobenen nach der Dienstzeit nicht mehr auf das Land zurück. Daß wir diese Bedenken in den Vor⸗ dergrund stellen, liegt in der Natur der Sache. Sie müssen zer⸗ streut werden. Neigt sich am letzten Ende durch das Gewicht der Gründe die Wage zugunsten der Vorlage, so darf doch nichts ver⸗ säumt werden, um auch die andere Wagschale nach Gebühr zu be⸗

lasten.

Generalleutnant Wandel: Ich will einige schwer⸗ wiegende Bedenken widerlegen. Der Vorredner hat Zweifel darüber geänßerte ob es der Verwaltung möglich ist, die angeforderte Rekrutenzahl auch wirklich aufzubringen. Die Verwal⸗ tung hat diese Frage sehr eingehend geprüft und ist zu dem Ergebnis gekoömmen, daß es ohne Zweifel und ohne irgendwelche Herabsetzung der Anforderungen an die körperliche Beschaffenheit wie bisher möglich sein wird, sich die erforderliche Rekrutenzahl zu beschaffen. Die Auf⸗ bringung des Rekrutenersatzes richtet sich nach ven Bestimmungen des Gesetzes von 1893. Es besteht nicht die Absicht, daran irgend⸗ welche Aenderungen vorzunehmen. Erfahrungsgemäß ist die Anzahl der wirklich Ausgehobenen geringer, je geringer der Ersatz selbst ist. Es werden nicht mehr ausgehoben, als es ohne Schwierigkeiten mög⸗ lich ist. 1892 wurden 169 000 Mann ausgehoben. 1893, als die

neue Vorlage angenommen war, konnten ohne Schwierigkeit 235 000

Mann ausgehoben werden. Es ist damals nur etwas in der Körper⸗ größe heruntergegangen worden. Erfahrungsgemäß ist die Zahl der⸗ jenigen, die wegen Mindermaßes nicht zur Einstellung gelangen kön⸗ nen, sehr gering, und zweitens hat man die Erfahrung, daß ein ge⸗ ringeres Körpermaß kein Schaden für die Tauglichkeit ist. Das ist festgestellt. Auch in anderer Weise läßt sich, bestätigen, daß es möglich sein wird, den Ersatz ohne weiteres aufzubringen. Geht man vom Jahre 1893 aus, so ergibt sich, daß damals auf tausend in den Listen Stehenden rund 256 Mann ausgehoben wurden. Rechnet man in derselben Weise weiter, und bedenken wir, daß wir 1911 in den Listen 1 281 000 Mann hatten, so würde man nach dem Ergebnis des Jahres 1913, wo man 1 322 000 Mann in den Listen hatte, im Jahre 1915 ohne weiteres 338 000 Mann ausheben können. Das ist also ein Plus von 73 000 Mann. Das geht über das hinaus, was die Vorlage verlangt. Dazu kommt, daß wir bei uns nur 58 bis 59 % einstellen, während man in Frankreich schon auf 82 gekommen ist. Ich muß nun auf eine andere Frage Bezug nehmen. Es ist nicht be⸗ absichtigt, den Reklamationen eine andere Behandlung wie bisher angedeihen zu lassen. Es soll dabei mit keiner größeren Schärfe vor⸗ gegangen werden. Wir werden vielmehr die Reklamationen ebenso wohlwollend wie bisher behandeln.

Abg. Dr. Haegy (Els.): Wir können der neuesten Militär⸗ vorlage nur ablehnend gegenübertreten. Ihre Forderungen ließen sich nur erklären, wenn es sich um die äußerste Bedrohung der nationalen Existenz Deutschlands handelte. Das vermag bei uns niemand zu glauben, und ein Patriot sollte so etwas auch gar nicht behaupten. Unsere Bevölkerung hat sich mit allem Nachdruck gegen die Kriegs⸗ treibereien und gegen das Aufgreifen der sog. elsaß⸗lothringischen Frage als zum Kriege treibendes Moment erklärt, und zwar alle Teile der Bevölkerung, diecsagenatiten nationalistischen Kreise nicht ausgenommen. Die französische Presse hat davon auch Notiz genom⸗ men, diese Kundgebungen sind also in Frankreich nicht ohne Eindruck geblieben. Gera e von uns Elsaß⸗Lothringern darf man verlangen, daß wir unsere Stimme in die Wagschale für den Frieden legen; wir sind dieser Verpflichtung in vollem Maße nachgekommen. Gewiß haben wir an der Westgrenze auch Angst vor dem Kriege, vor einem modernen Kriege, und es ist nichts Schlimmes, wenn das konstatiert wird. An der Abwehrfähigkeit des Deutschen Reiches besteht auch ohne diese Militärvorlage nicht der geringste Zweifel; im Gegenteil wird durch die Schroffheit und Plötzlichkeit der neuen Forderung in die europäische Oeffentlichkeit ein Moment der Beunruhigung hin⸗ eingetragen, das wahrlich nicht dem Frieden dienen kann. Es droht damit eine Verschiebung des Gleichgewichts; Frankreich ist dadurch bereits zu einer neuen großen Anspannung —. Wehrkräfte veran⸗ laßt worden. Geht die neue Feltiche Wehrvorlage nicht durch, so fällt in Frankreich die dreijährige Dienstzeit unter den Tisch. Das

französische Volk würde von einem Alpdruck aufatmen. Die große Mehrheit des französischen Volkes würde eine Sabbatruhe in den Heeresrüstungen freudig begrüßen. Die Vorlage bringt eine Ueber⸗ pannung der Steuerlast. Dem Interesse des Volkes und des Welt⸗ friedens dient die Ablehnung der Vorlage am besten. Es ist Aufgabe der Diplomatie, den beüe aufrecht zu erhalten, wie es ihr auch früher ge⸗ lungen ist, die jahrhundertelangen Begenste e zwischen Frankreich und Rußland aufzulösen. Auch der scharfe Gegensatz zwischen England und Deutschland ist ausgeglichen worden. Auf diesem Boden soll und kann weiter gebaut werden. Das jetzt vorgeschlagene Verfahren können ir nicht mitmachen. Die Deckungsvorlage würde unsere Landes⸗ inanzen in die größte Verwirrung bringen. Notwendig 88 eine Ver⸗ ändigung der Völker mit Hilfe des Haager Schiedsgerichts. Eine erständigung der Völker ist möglich, das haben auch englische Staats⸗ männer anerkannt. Seit dem Friedensmanifest des russischen Zaren ist der Friedenswille erstarkt, auch in Frankreich. Wir begrüßen die Initiatibe des Komitees, die von deutschen, schweizerischen und fran⸗

zösischen Parlamentarier gangen ist; dieses Komitee verdient nicht die Beschimpfung, die ihm pon einem Blatte zuteil geworden ist. Es will dem Frieden dienen. Die französischen Parlamentarier sind 8b d2 glücklichen Lage, auch bei Kriegserklärungen ein Wort mitzu⸗ prechen.

Abg. Werner⸗Hersfeld (wirtsch. Vgg.): Elsaß⸗Lothringen hat an dem Zustandekommen der Vorlage das größte Interesse, denn es würde unter einem Kriege mit Frankreich am ersten zu leiden haben. Der Vorredner berief sich auf Friedensmanifeste. Wie war es mit dem Verhalten des Abg. Wetterlé; diente sein Auftreten dem Frieden? Eine Spannung zwischen dem Kriegsministerium und dem General⸗ stabe hat nicht bestanden. Wohin kämen wir wenn wir alles glauben wollten, was in den Zeitungen steht. Der Abg. Scheidemann sagte er wolle mit den französischen Sozialdemokraten den Frieden aufrecht erhalten. Das ist eine etwas gewagte Behauptung. Er wird den französischen Chauvinismus nicht unterdrücken können. Selbst Mille⸗ rand hat auf die Notwendigkeit einer schlagfertigen französischen Armee hingewiesen. Ich erinnere an den Depeschenwechsel zwischen dem neuen französischen Präsidenten und dem Zaren. Dann verweise ich auf die unfreiwillige Landung des Z. 4. Damit war den Franzosen Gelegen⸗ heit gegeben, den Ballon zu untersuchen. Die Rede des Reichskanzlers ist im Auslande, namentlich in Oesterreich, fast durchweg begrüßt worden; selbst die französische Presse spricht sich im allgemeinen nicht ablehnend aus. Aus den Verhandlungen klang heraus, daß die Militär⸗ vorlage keine Angriffsvorlage ist, e nur eine Sicherstellung dessen, was wir 1s 0/71 erworben haben. Fwischen England und Deutschland ist allerdings in letzter Zeit eine Entspannung eingetreten. Aber wir müssen nach dem Ausspruch der Königin Viktoria von Eng⸗ land uns schon im Frieden für alle Evenfualitäten rüsten ohne Rück⸗ sicht auf andere Staaten. Seit 1911 sind Verhältnisse eingetreten, an die man damals nicht denken konnte. Der König von Montenegro, der Souverän sämtlicher Hammeldiebe, führt eine Sprache, die nicht er⸗ träglich ist. Wir begrüßen es, daß sich die an den ein⸗ maligen Ausgaben für die Vorlage beteiligen wollen. (Präsident Dr. Kaempf bittet, auf die Deckungsvorlage nicht einzugehen.) Wir wünschen, daß das Deutsche Reich dem deutschen Volke erhalten bleibt; wir wollen keine aggressive Politik, aber wir wollen die Sicher⸗ stellung des Reiches, und wir wollen aus einem Kriege, der uns aufge⸗ drungen wird, siegreich hervorgehen.

Präsident Dr. Kaempf ruft den Redner dafür, daß er der König von Montenegro als Souverän sämtlicher Hammeldiebe be⸗ zeichnet habe, nachträglich zur Ordnung.

Abg. Dr. Frank (Soz.): Weder der Reichskanzler, noch der Kriegsminister besitzen in dem Reichstage die Autorität, so gewaltige Vorlagen wie die jetzige zu vertreten. Es hat sich ein ganz plötzlicher Umschwung der deutschen Politik vollzogen, der durfte sich aber nicht vollziehen durch einen Meinungswechsel, sondern nur durch einen Ministerwechsel; der Reichskanzler von 1913 hat denn auch noch nicht genügend umgelernt; ihm stand mehrfach noch der Reichskanzler von 1912 im Wege. Er hat eine Friedensrede gehalten, er hat sich nach allen Seiten verbeugt, wie ein Türke beim Gebet. Er hat die Quadra⸗ tur des Zirkels zu lösen versucht; eine Vorlage, die provokatorisch ist, kann man nicht begründen, ohne irgend jemand herauszufordern. Die eigentliche Begründung der Vorlage steht immer noch aus; die Regierung übt sich im Schweigen. Eine Reihe von wichtigen Fragen sind bis jetzt unbeantwortet geblieben. Verlassen Sie sich ja nicht auf die Kommission; auch dort kommt zuletzt vielleicht nur an Offen⸗ barungen heraus, was jedermann längst weiß. Wir hätten die Vor⸗ lage nicht bekommen, wenn nicht die Jubiläumsfeier gewesen wäre. Es ist etwas Gefährliches um geschichtliche Parallelen. Nach Karl Marx wird jedes geschichtliche Drama in einer Farce wiederholt. Bei dem Vergleich mit Stein käme ja der Kanzler ebenso wenig zu kurz wie der Kriegsminister von Heeringen bei dem Vergleich mit Scharn⸗ horst; in Verlegenheit kämen wir bloß wegen Napoleon, ob wir ihn mit Peter von Serbien oder mit Nikita von Montenegro vergleichen sollten. Wie stellen sich denn zur südslawischen Gefahr diejenigen, die den Ansturm auszuhalten hätten, wie stellen sich dazu unsere öster⸗ reichischen Verhündeten? Ein Auszug aus einer sehr angesehenen österreichischen Militärzeitung besagt, daß es sich dabei nur frage, ob Oesterreich gegenüber Serbien und Montenegro bestehen könne, und antwortet, daß 2—3 österreichische Korps das schaffen könnten. Uns aber kommt man mit einer Vermehrung des stehenden Heeres um 136 000 Mann mit der Begründung, daß im Südosten ein gefähr⸗ licher Feind uns erwachse! Von den 41 russischen Armeekorps müssen wir ferner mindestens 10 abziehen, die in Sibirien und Turkestan stehen. Gestern wurde das Parlament der chinesischen Republik er⸗ öffnet, deren Anerkennung durch Deutschland hoffentlich nicht allzu lange mehr auf sich warten läßt. Vielleicht kommt bald der Tag, an dem Rußland schwerere Sorgen an seiner Ostgrenze hat, als wir. Wir haben mindestens 300 000 russische Arbeiter, die meist Reservisten sind, jährlich in Deutschland. Ich traue unserer Regierung jede Dummheit zu, ich glaube aber nicht, daß sie diese Leute dann nach

ause läßt. So ist Rußland um weitere 300 000 Mann im Kriegs⸗ alle geschwächt. Das ist das Doppelte, was unsere Vorlage an Mannschaften verlangt. Aber die Vermehrung des Heeres wird ja für notwendig gehalten, um der Weiterentwicklung der Sozialdemo⸗ kratie wirksam entgegenzuarbeiten. Unter den neu geforderten Re⸗ kruten befinden sich mindestens immer 50 000 Sozialdemokraten, und 80 000 werden sicher jedesmal aus der Kaserne heimkehren. Das Zentrum tritt mit Begeisterung für die Vorlage ein. Wie in der ganzen Welt, sind auch unsere Klerikalen die eigentlichen Kriegshetzer geworden. Der Abg. Erzberger meint, daß das Zentrum durch Zu⸗ stimmung zur Vorlage nur in unserem Interesse handelt, weil wir bei Auflösung des Reichstags sehr viel Mandate verlieren würden. Das wäre aber doch die beste Art für das Zentrum, uns zu be⸗ kämpfen, wenn es dann diese Vorlage ablehnt. Aber wir haben früher immer nur an Stimmen verloren, wenn wir einmal mit dem Zentrum zusammengegangen sind. Es wurden allerlei freiheitliche Forderungen für das Volk gestellt. Aber dies sieht so aus, als ob es eine Belohnung für Wohlverhalten sein soll. Wir verlangen aber Demokratisierung im Interesse des Reiches. In der Zahl der Sol⸗ daten können wir ja nie mit dem russischen Reiche wetteifern. Aber in bezug auf den Geist der Armee können wir es überflügeln. Des⸗ halb gibt es keine bessere Sicherung des Reiches, als eine Reform des preußischen Wahlrechtes und Aufhebung der Sondergesetze gegen die Polen. Der Abg. Bassermann träumte von einem großen, sich selbst regierenden Volke. Durch Träumen und Schlafen erreicht man aber nichts, sondern nur durch Kämpfen. Erzbergers Kritik sollte nur die Zustimmung des Zentrums bemänteln. Aber wir werden ihn in seiner For erung nach gleichem Recht im Hean beim Worte nehmen. Das Zentrum kämpft gegen das Duell. Vielleicht nimmt es jetzt mit uns eine Bestimmung in bissen Vorlage an, wonach jeder Offizier mit schlichtem Abschied entlassen wird, der eine Duellforderung annimmt. Die Mitglieder regierender Häuser sind nicht wehrpflichtig. Man kommt ihren Wünschen sicher entgegen, wenn man sie jetzt dem Volke gleichstellt. Wo man jetzt den Bauern und Arbeitern weitere Lasten aufbürdet, sollte man es auch bei den Besitzenden tun, indem man wie in Frankreich das Privileg der Einjährig⸗Freiwilligen aufhebt. Auch den Militärboykott, der gerade den Mittelstand schädigt, sollte man unmöglich machen. Aus Sachsen kommt nicht viel Gutes. (Zuruf: Ein großer Teil von Ihnen kommt doch daher!) Das ist auch eins von dem wenigen Guten. In Sachsen ist der Militär⸗ boykott vielfach aufgehoben. Nötig ist auch eine Festlegung der Bürger⸗ rechte der Reservebffigiere. Hier wird eine beschämende Schnüffelei über das Privatleben getrieben. Sogar einen Präsidenten des Hauses zog man zur Rechenschaft, weil er hier seine Pflicht getan hak. An⸗ einer anderen Stelle wurde nachgespürt, ob ein Reserveoffizier in einem bestimmten Lokale und an einem bestimmten Tage einem Sozialdemokraten Prosit zugerufen hat. Ich glaube, es gibt nur wenige Abgeordnete, die sich über diese Vorlage wirklich freuen. Mancher hat sich sicher unter vier Augen geäußert, daß er die Vorlage ablehnen würde, wenn er die Gewißheit hätte, daß Frankreich dann auch die seinige zurückzieht. Nur das Rüstungskapital und seine Presse hat ein Interesse an solchen Rüstungen. Die Kommission wird

ernsthaft prüfen müssen, ob endlich die Zeit cekommen ist, die Waffen⸗ fabrikation vollständig in die Regie des Reichs zu übernehmen. Daran

85 muß auch nach der Annahme der Heeresvorlage? Es herrscht eine Stimmung der Hoffnungslosigkeit bei den bürgerlichen Parteien, weil die Ant⸗ wort, die die Franzosen geben werden, die Wirkungen der Heeresver⸗ stärkung aufheben würde. Wäre es nicht richti er, den Versuch zu einer Verständigung mit Frankreich zu machen? Heute sehen wir, daß eine Verständigung mit England angebahnt ist, die man früher als unmöglich bezeichnet hat. Man hat eine einjährige Rüstungspause mit England vorgeschlagen. Wäre es möglich, diese Pause mit Frank⸗ reich durchzusetzen, dann würden zwei Völker erleichtert aufatmen. Wenn Schweizer Bürger aller Richtungen uns eine Verständigung auf schweizerischem Boden geraten haben, so verdient das Beherzigung. Wenn es gelänge, ein Abkommen dort herbeizuführen, so würde das einen ganz gewaltigen moralischen Eindruck in Europa machen. Deutschland und Frankreich bilden doch heute eine kulturelle Gemein⸗ schaft. Ich bin überzeugt, daß die Vernunft auf dem Marsche ist und zu einer europäischen Großmacht werden wird. Wir hoffen und wünschen, dcß auch die bürgerlichen Friedensfreunde mit uns arbeiten werden. Lassen sie uns allein, so gehen wir einen Weg, von dem wir wissen, daß hinter uns der Wille zweier arbeitender Nationen steht. Wir dienen damit dem Vaterlande.

Abg. Haeusler (Zentr.): Wie die meisten Mitglieder des Hauses, bin ich der Ueberzeugung, daß neben einer starken Flotte nur ein starkes Heer die Grundlage nationalen Existenz bildet. Daß in technischer Beziehung alles geschehen muß, um die Armee auf der Höhe zu erhalten, darüber sind wir uns alle einig. Ob aber die Vorlage das Richtige trifft, ist eine andere Frage. Es herrschen in militärischen Kreisen darüber die größten Widersprüche. Wir haben die Maschinengewehre verdoppelt, und doch werden die Etats in die Höhe gesetzt. Man beruft sich darauf, daß die allgemeine Wehrpflicht nur auf dem Papier steht. In der Begründung liegt eine vollständige Bankerotterklärung unserer Septenats⸗ und Quinquennatswirt⸗ schaft. Was haben digse für einen Zweck, wenn alle Jahre solche Vorlagen kommen? Nur eine Maximalpräsenzziffer würde das Richtige sein. 1905 sagte die Verwaltung zur Begründung ihrer Vorlage, die volle Wehrpflicht würde sich niemals durchführen lassen. Für die kriegerische Nutzbarmachung unserer Volkskraft gibt es nur einen Weg, die weitere Verkürzung der Dienstzeit unter Beseitigung aller Ungleichheiten, bei der dreijährigen Dienstzeit der Kavallerie und beim Einjährigenprivileg. Die Kavallerie wird auch in dieser Vorlage erheblich vermehrt, ohne daß in Sachen der Dienstzeit das mindeste Entgegenkommen gezeigt ist. Das ist ein Verkennen der militärischen und wirtschaftlichen Erfordernisse. Die Aufrechterhaltung einer dreijährigen Dienstzeit bei der Kavallerie ist nicht mehr zu rechtfertigen. Für den einjährigen Dienst ist entscheidend der mehr oder weniger gefüllte Geldbeutel der Väter. Bei beiden Forderungen braucht man nicht an die allgemeine zweijährige Dienstzeit oder gar an das Milizsystem zu denken; es können Urlaubszeiten von zwei Monaten im ersten, 3 Monaten im zweiten Dienstjahre gesetzlich fest gelegt werden. In unserm ganzen Heeresorganismus ist noch sehr viel Raum für Dienstzeitersparnis. Es kommen für die militärische Ausbildung ernsthaft nur die Marschleistungen und die Schießfertig⸗ keit in Betracht, und wieweit man es da auch bei kürzerer Dienst⸗ zeit bringen kann, zeigt uns die Schweiz. Es muß eben die ganze Arbeit auf die kriegsgemäße Ausbildung gerichtet sein. Geben wir Frankreich mit seiner Rückkehr zur dreijährigen Dienstzeit die Ant⸗ wort durch eine Herabsetzung der Dienstzeit des deutschen Heeres!

Damit erreichen wir zwei Ziele zugleich: die Ueberspannung unserer

Finanzkraft wird vermieden, und ein guter Teil der Bevölkerung über den jetzigen Prozentsatz hinaus der kriegsgemäßen Ausbildung teilhaftig. Fur die Effektivhaltung aller unserer Formationen er⸗ scheint eine dreimonatliche Ausbildung der Ersatzreserven genügend. Wenn die militärischen Autoritäten diese Dreimonatsausbildung für wertlos erklären, so lehrt die Kriegsgeschichte, auch die von 1870, das Gegenteil; und gerade die Jahrhundertfeier gibt Gelegenheit, darauf hinzuweisen, daß die Truppen, welche 1813 die größten Siege erfochten, zum größten Teil aus unausgebildeten Mannschaften, aus Krümpern bestanden. Alle diese Vorteile würden sich bieren, wenn man die Ausbil⸗ dung auf das Kriegsgemäße beschränkt und allem Paradedrill den Ab⸗ schied gibt. Die Aktionsfähigkeit einer jeden Armee erlahmt sofort, sobalt der nervus rerum versagt; es muß also auch für die finanzielle Kriegs⸗ bereitschaft gesorgt werden. Die Verdreifachung des Kriegsschatze ist ja ganz schön; der Krieg selbst läßt sich immer nur mit Hilfe der Anleihe durchführen, wo eben steuerliche Reserven vorhanden sein müssen. Die wirksamste sinanzielle Vorbereitung eines Krieges ist also unzweifelhaft die bis zum letzten Moment geschonte Steuerkraft des Volkes; jede neue Umdrehung der Steuerschraube für unproduktive Rüstungen ist daher vom Uebel. Wenn es richtig war, was man dem Volke als zwingenden Grund für die Finanzreform von 1909 angab, daß gesunde Finanzen eine Vorbedingung für die Existenz des Reiches sind, so sind gesunde Finanzen auch die Vorbedingung für einen glück lichen Krieg. Die Löhnung der deutschen Soldaten ist nicht hoc genug; dabei kostet uns jeder Soldat 20 % mehr als der französische, indem auf anderen Gebieten eine unberechtigte Verschwendung ge⸗ trieben wird. Die Bezüge der Generale sind viel zu hoch; neben dem Gehalt haben sie eine Menge Nebeneinkünfte und beziehen auch Repräsentationsgelder. Ein Stagt, der für die Armee zu Vermögens⸗ konfiskationen greifen muß, hat für Repräsentation der Generale doch eigentlich überhaupt keine Mittel mehr übrig. Viele Millionen können erspart werden durch Beseitigung einer Menge hoher Stellen, von denen wir in der Armee viel zu viel haben. Auch die Führung der Armeekorps könnte anders geregelt werden. Dur Ersparungen an Gehältern können Millionen erspart werden, die für die Organi sation der Armee für den Krieg gewonnen werden können. Jetzt kommt auf einmal eine ganz kolosfale Vermehrung der Stabsoffizier stellen. Dies soll angeblich im Interesse der Schlagfertigkeit unserer Armee nötig sein, aber es liegt gerade im Interesse unseres Offizier⸗ korps, daß keine Stellen geschaffen werden, für die im Frieden keine rechte Beschäftigung vorhanden ist. Im Kriege entstehende Lücken können leicht durch Offiziere des Beurlaubtenstandes ausgefüllt wer den. Deshalb empfiehlt sich auch die französische Einrichtung von Stellen, die zwischen Offizieren und Unteroffizieren stehen. Durch Streichung der Tischgelder Laihn sich weitere Millionen sparen. Die im Etat für die Dienstwohnung des Chefs des Militär⸗ abinetts zeigt, wie bei uns gewirtschaftet wird. Die Schießübungen

im Gelände sollten in Persssl kommen, wenn jedes Armeekorps

seinen Uebungsplatz hat. Dieses Versprechen ist nicht erfüllt. Ebenso sollte nach Bewilligung der Mittel für die feldgraue Uniform mit dem Luxus in den Unisormen gebrochen werden. wie reine Soldatenspielerei. Auch Tressen, Litzen und andere Kinker⸗ litzchen können gut fortfallen. Der Geist unserer Armee ist gewiß gut, und unsere Offiziere sind mit Eifer und Pflichttreue bestrebt, sich auf ihre verantwortungsvollen Aufgaben vorzubereiten. Nichts⸗ destoweniger sind in unserer Heeresverwaltung Mängel vorhanden, deren Beseitigung verdienstvoller ist, als dieser unsinnige Rüstungs⸗ wettlauf. Das entspricht nicht einer Nation, deren Intelligenz im Steigen begriffen ist. Die Ausbildungszeit unserer Offiziere ist viel zu kurz. Nicht nachdrücklich genug kann die geheime Qualifizierung der Reserveoffiziere getadelt werden. Auch der Ausschluß weiter Volkskreise, z. B. der jüdischen, ist ganz unstatthaft. Es gibt Fak⸗ toren, die den Ausgang eines zukünftigen Krieges beeinflussen. Alle solche, die einen ungünstigen Einfluß. ausüben können, sollte man unweigerlich ausmerzen. (Der Reichskanzler erscheint am Bundes⸗ ratstische.) Vor allen Dingen muß der sittliche und religiöse Wert des Heeres gehoben werden. Es ist deshalb ganz unerhört, wenn der Kriegsminister hier erklärt hat, daß ein Offizier nicht im Heere bleiben könne, der einer Forderung zum Zweikampf nicht Folge leiste. Unsere Intendantur ist im höchsten Grade rückständig. Auch an eine Reorganisation des ärztlichen Dienstes mu gedacht werden. Der Aerztemangel nimmt geradezu einen erschreckenden Umfang an. (Wachsende Unruhe rechts und laute Zwischenrufe.) Auf Ihren (zur Rechten gewendet) Beifall verzichte ich. Jetzt wenden wir Milliarden auf. Aber wir müssen mit Sicherheit weitere aufwenden, sobald Frankreich das automatische Gewehr einführt und weitere Ver⸗

besserungen trifft. Auch ist es ein öffentliches Geheimnis

6 u“ 1“ s Zentrum ein Interesse haben. Was soll denn geschehen

Das ist doch nichts

11““ 1 2 1““ I1“ 1.“ Artilleriematerial den Anforderungen nicht mehr entspricht. Entwicklung des Luftkrieges wird weitere Opfer nötig machen, zumal wir ja erst am Ausgangspunkt der ganzen Entwicklung stehen. Das Deutsche Reich hat eine ganze Anzahl von Kulturaufgaben zu erfüllen. Wir haben für unsere Altpensionäre in erhöhtem Maße zu sorgen und für mehr als die Hälfte unserer Veteranen, für die man trotz des Milliardenopfers nichts übrig hat, und die als Dank des Vaterlandes für ihre ö bisher nichts als schöne Redensarten empfangen haben. Mit allen solchen Bedenken muß man an diese Vorlage herangehen. Preußischer

General der Infanterie

Kriegsminister,

von Heeringen:

Meine Herren! Wenn die Kritik des Herrn Abg. Haeusler auch

nur zu wenigen Prozenten richtig wäre und zuträfe, dann stände es

um die deutsche Armee allerdings schlecht. (Sehr richtig! rechts.) Aber so ist es nicht. Uebertreibung, wenn ich mir den Ausdruck er⸗ lauben darf (lebhafte Zurufe von den Sozialdemokraten), war vieles, ein großer Teil trifft überhaupt nicht zu. Ich weiß nicht, wo der Herr Abgeordnete in der Armee diese Erfahrungen seinerzeit gesammelt hat. Ich kenne doch die jetzige Armee und mit mir stehen sehr viele, ja wohl die weitaus meisten Kenner, auf einem durchaus anderen Standpunkt als der Herr Abgeordnete. (Sehr richtig! rechts. Zurufe von den Sozialdemokraten: Das glauben wir!) Wenn man Sparsamkeitsbestrebungen in der Welse, wie es der Herr Abgeordnete vorgeschlagen hat, auf den Etat des Reichsheeres anwenden wollte, dann würde ich lieber vorschlagen, den Rotstift in die Hand zu nehmen und ohne Durchlesung dessen, was auf der Seite steht, einfach rücksichtslos alles durchzustreichen. (Lachen und Zurufe von den Sozial⸗ demokraten. Glocke des Präsidenten.)

Wo bleibt bei den Vorschlägen des Herrn Abgeordneten die Aus⸗ bildung, die Schlagfertigkeit der Arm:e? (Zurufe von den Sozial⸗ demokraten.)

Der Herr Abgeordnete hat gesagt, der deutsche Soldat koste mehr als der französische. Da hat er durchaus recht. (Zurufe von den Sozialdemokraten: Also!) Aber weshalb kostet der deutsche Soldat mehr als der französische? Weil der deutsche Soldat gerade im Gegensatz zu dem, was der Herr Abg. Haeusler behauptet hat, erheblich mehr Löhnung bekommt und erheblich besser unter⸗ gebracht ist. (Sehr richtig! rechts.) Der deutsche Soldat bekommt 108 Löhnung, der französische 14,40 ℳ. (Hört! hört! rechts.) Der deutsche Soldat wird für 57 jährlich untergebracht, der französische für 40 ℳ. (Zuruf von den Sozialdemokraten.) Die Bekleidungskosten aber, die der Herr Abgeordnete als in Deutschland zu hoch angegriffen hat, sind in Deutschland geringer wie in Frank⸗ reich, wir wirtschaften billiger! Summa summarum fostet der deutsche Soldat 440 jährlich, während der Franzose 362,40 kostet. Also darin, daß wir für unsere Leute besser sorgen, liegt die Begründung, weshalb der deutsche Soldat mehr kostet. Die Sache liegt das betone ich nochmals gerade umgekehrt, wie der Herr Abgeordnete meint.

Der Herr Abgeordnete hat von der zu reichlichen Bezahlung der deutschen Offiziere gesprochen. Meine Herren, ich möchte den deutschen Offizier kennen lernen, der in und durch seinen Dienst Reichtümer gesammelt hat. (Zurufe von den Sozialdemokraten: Soll er auch nicht!) Ich habe noch keinen kennen gelernt, sondern um⸗ gekehrt manchen, der sein Vermögen zugesetzt hat. (Zurufe von den Sozialdemokraten.)

Die Or ganisationsvorschläge des Herrn Abgeordneten, die da⸗ hin gehen, daß wir die Korps in 3 Divisionen, diese in 3 Brigaden gliedern und auch bei den Bataillonen eine Dreiteilung vornehmen sollen, sind ja schon von vielen Seiten gemacht worden. Das hätte militärisch viel⸗ leicht etwas für sich. Aber Organisationen kann man nur auf dem Bestehenden aufbauen und das Bestehende nur verlassen, wenn eine zwingende Notwendigkeit dazu vorliegt. Die liegt aber nicht vor, die Umänderung unserer jetzigen Organisation würde auch sehr, sehr viele Millionen kosten.

Die Mobilmachung fordert unbedingt höhere Offiziere, die sich schon im Frieden in ihrer Stellung befinden, um sich für ihre Kriegsaufgabe vorzubereiten. (Sehr richtig! rechts.) Es ist unmöglich, daß man überall oder auch nur in erheblichem Umfange inaktive Offiziere dazu heranzieht. Man kann solche allenfalls für die Stellen der zweiten Linie verwenden. Die Zahl unserer inaktiven Generale, die 60 Jahre und älter sind, überwiegt weit die derjenigen, die im Lebensalter unter 60 Jahren sich befinden. Schon daraus geht hervor, daß die körperliche Leistungsfähigkeit der meisten dieser Herren beschränkt ist (sehr richtig! rechts), und daß wir sie im nennenswerten Umfang für Feldstellen nicht ver⸗ wenden können.

In einem Punkte hat der Herr Abgeordnete vielleicht recht, daß

die wissenschaftliche Ausbildung unserer Offiziere noch zu

fördern wäre. Da stimme ich ihm in gewisser Beziehung bei. Das wird aber im Auge behalten und allmählich gefördert werden. Ein anhaltender Fortschritt ist übrigens in dieser Hinsicht deutlich zu erkennen.

Wenn der Herr Abgeordnete aber weiter sagt, das Material unserer Artillerie genüge nicht mehr, so muß ich dagegen den aller⸗ entschiedensten Protest einlegen (sehr richtig! rechts); denn das hätte unabsehbare Folgen, wenn das im Ausland geglaubt würde. (Sehr richtig! rechts.) Das Material unserer Artillerie ist durchaus gut, und ich glaube, der beste Beweis dafür ist der, daß unsere westlichen Nachbarn, die in früheren Jahren die gleiche Behauptung, wie der Herr Abgeordnete, öffentlich ausgesprochen haben, jetzt denselben Weg beschreiten, den wir seit ungefähr 10 bis 15 Jahren schon für richtig erachten, ich meine die Aus⸗ stattung der Feldarmee mit Steilfeuer. (Hört! hört! rechts.) Ich muß dem Herrn Abgeordneten ferner sagen, daß für den Sieg im Kriege nicht nur die Marsch⸗ und Schießfertigkeit allein die aus⸗ schlaggebenden Momente sind, sondern daß hauptsächlich auch die Disziplin hierbei in Frage kommt, eine Disziplin, die man den Truppen nur in gründlicher Arbeit anerziehen kann. Es ist durchaus ein Irrtum, wenn man glaubt, daß diese Disziplin, die im Kriege so ausschlaggebend ist, in einer kurzen Zeit erzielt werden könnte. (Sehr richtig! rechts.) Eine Verkürzung der Dienstzeit wäre deshalb nur dann möglich, wenn man die Schlagfertigkeit der Armee herab⸗ setzen wollte. Ich meine, die jetzige Heeresvorlage hat aber den Zweck, die Schlagfertigkeit des deutschen Heeres zu stärken. Wem die Folgen einer Verkürzung der Dienstzeit noch zweifelhaft sind, sehe sich einmal unsere westlichen Nachbarn an. Die Verlängerung der

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Dienstzeit beiz ihrer Kavballerie war schon beschlossene Sache, ehe die deutsche Heeresvorlage vorgelegt wurde, weil man den Ruin der französischen Kavallerie durch das Beibehalten der zweijährigen Dienstzeit herbeizuführen fürchtete.

Die Weglassung alles nur Parademäßigen ist in der deutschen Armee in vollem Umfange bereits vorgeschrieben. (Lachen bei den Sozialdemokraten.) Natürlich könnte das hier und dort vielleicht noch etwas besser durchgeführt werden. Aber ich will Ihnen aus dem Exerzierreglement den Passus vorlesen, der die Gesichtspunkte angibt, nach denen die Ausbildung der deutschen Truppen geregelt werden soll. Dieser Passus lautet:

Die Ausbildung der Truppe ist nur dann nach richtigen Gesichts⸗ punkten erfolgt, wenn sie das kann, was der Krieg erfordert, und wenn sie auf dem Gefechtsfelde nichts von dem abzustreifen hat, was sie im Frieden erlernte.

Auf die Ausbildung der Ersatzreserven läßt sich die deutsche Heeresverwaltung nicht ein. Wir würden die Ersatz⸗ reservisten, deren Ausbildung in Summa 20 Wochen beträgt, doch

nicht auf einmal diese 20 Wochen abdienen lassen können, sondern in

mehreren Jahren. Aber ein so ausgebildeter Ersatzreservist würde immer, ehe ich ihn mit ins Feld nehmen kann, zunächst in einer Ersatzformation längere Zeit eine Wiederholung des Erlernten durch⸗ machen müssen, und da steht zur Frage, ob ich die Schaffung eines großen Rekrutenreservoirs für vorteilhafter erachte, als eine vielleicht kleinere Zahl gut ausgebildeter Mannschaften des Beurlaubtenstandes, die ich aber sofort im Felde verwenden kann. Ich glaube, die Wahl ist für jeden Soldaten nicht schwer.

Dann hat der Herr General gewiesen, daß in

Haeusler auch darauf hin⸗

anderen Staaten, wo eine kürzere Dienst⸗ zeit besteht, die Soldaten sich gut geschlagen haben, und speziell hat er das Jahr 1813 genannt. Gewiß hatten die preußischen Soldaten und Landwehrmänner, die damals in den Krieg zogen, zum Teil eine nach unseren heutigen Begriffen sehr minderwertige Aus⸗ bildung. Aber, meine Herren, nur zum Teil, und dann ist doch auch in Betracht zu ziehen, was für einen Gegner sie hatten. Wenn das sestgefügte alte napoleonische Heer aus früheren Jahren ihnen noch gegenübergestanden hätte, so wäre der Stand der preußischen Armee ein erheblich schwierigerer gewesen. Und vergessen Sie doch auch nicht, wie viel einfacher damals die Kampfverhältnisse lagen. Von den preußischen Bataillonen, die damals in den Krieg rückten, hat bei manchen nur das den Schützenzug bildende dritte Glied einige scharfe Pa tronen verschossen, die übrige Mannschaft blieb geschlossen in der Hand des Offiziers. Und dann denken Sie daran, daß nach der Schlacht bei Dennewitz die preußische Landwehr das Gewehr um⸗ kehrte und mit dem Kolben dreinschlug. Wenden Sie das Verfahren einmal bei der heutigen Bewaffnung an, und Sie werden den Unter⸗ schied erkennen. Nein, das deutsche Heer kann in Zukunft seine Auf⸗ gaben nur dann erfüllen, wenn jedem einzelnen Soldaten im Frieden eine gründliche, wohldurchdachte Ausbildung und Erziehung zuteil wird. (Bravo! rechts.)

Königlich baverischer Generalmajor Wenninger: Der Abg. Häusler hat in der Zeit, in der er der Feldartillerie angehörte, zweifellos als Sachverssandiger gegolten. Wenn man während seiner Dienstzeit von der Anschauung ausgegangen wäre, die er heute aus⸗ gesprochen hat, daß man täglich mit einer 1 bis 2 stündigen Dienstzeit auskomme, so würde er wohl kaum General geworden sein. Ich wiederhole, daß der Abg. Häusler innerhalb seiner Waffe zweifellos Sachverständnis besaß. (Zurufe im Zentrum und links: Besitzt!) Aber da der General vorhin selbst erklärt hat, daß gerade die Feldartillerie infolge der Fortschritte der Technik jetzt so weit vor⸗ geschritten ist, und er, nachdem er dieser Waffe nicht mehr an⸗ gehört, diese Fortschritte am eigenen Leibe und aus eigenen An⸗ schauungen nicht miterlebt hat, so wird er zugestehen, daß sein Sachverständnis hierdurch zweifellos etwas eingeschränkt worden ist. Im übrigen kommen hier auch noch andere Waffengattungen in Be⸗ tracht, die Infanterie und die Kavallerie, und da kann ich nur darauf hinweisen, daß dem General nicht genügend Gelegenheit geboten gewesen ist, in diesen Kenntnisse zu gewinnen, die ihn zu einem Urteil in diesen anderen Waffen befähigten. Was ganz besonders die Kavallerie betrifft, so hat der Abg. Häusler durch seine eigenen Aus⸗ führungen schlagend bewiesen, daß er ein Sachverständnis inbezug auf die Kavallerie nicht besitzt. Dies wollte ich feststellen, weil vielleicht die Meinung entstehen könnte, als hätte der General seine Sach⸗ verständigkeit aus eigener Erfahrung geschöpft. (Vizepräsident Dove: Der Abg. Häusler ist hier nur Abgeordneter.) Ich habe den Abg. Häusler nur aus einem Gefühl der Wohlanständigkeit heraus als General bezeichnet. Ich habe es sür meine Pflicht gehalten, als Vertreter der bayerischen Armee das festzustellen, was ich fest⸗ gestellt habe.

Abg. Laux (Bayperischer Bauernbund): Ich muß dem Abg. Häusler in pielem zustimmen, kann aber nicht alles billigen, was er gesagt hat, schon deshalb nicht, weil doch alles, was er ausgeführt hat, auch ins Ausland dringt. (Große, sich immer steigernde Unruhe, die zeitweise den Redner völlig, verhindert, sich verständlich zu machen.) Die Befürchtungen, die der frühere Kollege Dr. Heim bezüglich der Wirkungen der vermehrten Aushebung auf die ländliche Bevölkerung ausgesprochen hat, sind nicht von der Hand zu weisen. Die Landbevölkerung wird das allergrößte Opfer zu bringen haben. An die einzelnen Forderungen der Vorlage wird der allerstrengste Maßstab der Kritik anzulegen sein. J tzt will man die Offizierestellen wieder um 4000 vermehren, und dabei gehen zahllose Offiziere als Haupkleute in verhältnismäßig jungen Jahren in Pension. Die Schaffung so vieler neuer Offizier⸗ stellen erscheint nach keiner Richtung notwendig; man soll doch die inaktiven Offiztere mehr heranziehen. Die Bevorzugung des Adels im Offizierkorps und namentlich in den führenden Stellen muß aufhöten. ; nachzuahmen, wo es besonderen Vorteil böte, indem man auch die Unterofsiziere zu Offizieren avancieren läßt? Das Ansehen der Offiziere wird dadurch gewiß nicht vermindert. Die Paradeuniformen, die oft direkt nach einer Maskerade aussehen, sollten wegfallen, ein solcher Firlefanz hat mit der Wehrhaftigkeit doch gar nichts zu tun. Der Tendenz der Vorlage müssen wir zustimmen, weil wir nicht verantworten können, daß wir im nächsten Kriege unterliegen, weil nicht alles für die Wehrhaftigkeit des Landes getan war; aber der ist der größere Patriot, der nicht mit Hurra alles unbesehen annimmt, sondein der strenge Prüfung verlangt und nicht höheren Wünschen blindlings folgt. In erster Linie wird es Sache des Zentrums sein, die erforderliche strenge Prüfung der Vorlage eintreten zu lassen.

Reichskanzler Dr. von Bethmann Hollweg:

Meine Herren, es ist nicht der letzte Teil der Debatte, der mich veranlaßt, das Wort zu nehmen. Aber ich habe das Bedürfnie, zu zwei Punkten, die gestern und heute erwähnt worden sind, kurz Stellung zu nehmen.

Zunächst will ich der Auslegung entgegentreten, welche einige Redner meinen Bemerkungen über slawisch⸗germanische Gegensätze gegeben haben. Ich habe, meine Herren, von pan⸗ slawistischen Strömungen gesprochen, und ich konnte an diesen Strömungen nicht vorübergehen, weil sie in der gegenwärtigen

Weshalb sträubt man sich, das französische Beispiel da

Balkankrisis eine markante Rolle spielen. (Sehr richtig! rechts.) Aus diesen panflawistischen Tendenzen hat ein Teil der Publizistik eine kommende Auseinandersetzung zwischen dem Slawentum und dem Germanentum gefolgert. Gegen dieses Schlagwort habe ich ent schiedenen Widerspruch eingelegt, habe vor ihm gewarnt, und i wiederhole diese Warnung heute noch einmal mit ernstem Nachdruck (Sehr gut! rechts.)

Das Schlagwort verwechselt die panslawistischen Strömung mit der Zugehörigkeit zur slawischen Rasse. Die slawische Rass ist ebenso wie auch die germanische auf viele Länder verteilt un wohnt da im Zusammenhang mit anderen pölkischen Bestandteilen Schon insofern ist dieses Schlagwort unwahr und unrichtig. Das Schlagwort ist auch um deswillen unrichtig, weil es reale Interessen⸗ gegensätze zwischen uns und Rußland nicht gibt. Auch das habe ich mit großer Entschiedenheit betont. Und das Schlagwort schädigt endlich die Politik, die ich zu führen wünsche, und die auf die Erhaltung eines guten nachbarlichen Verhältnisses zu Rußland ge⸗ richtet ist.

Meine Herren, der zweite Grund, weshalb ich das Wort er⸗ griffen habe, ist der, daß hier von verschiedenen Rednern ganz irr⸗ tümliche Darstellungen über die Entstehung der Wehr⸗ vorlage ausgesprochen worden sind. Weder hat der Wehrverein die Wehrvorlage veranlaßt, noch ist eine Kapitulation des Herrn Kriegsministers oder meiner Person vor dem Generalstab vor⸗ gekommen. 1 . 8

Meine Herren, aus außerpolitischen und militärpolitischen Gründe habe ich mich im November vorigen Jahres von der Notwendigkei überzeugt, neue Rüstungen für unsere Armee vorzunehmen. (Hört hört! links und bei den Sozialdemokraten) Auf Grund dieser Uebe zeugung, die von meinem Nachbarn, dem Herrn Kriegsminister, und dem Chef des Großen Generalstabes geteilt wurde, sind die Vor arbeiten in Angriff genommen worden. (Zuruf von den Sozial⸗ demokraten: Im Dezember!) Daß wir damit nicht sofort in di Oeffentlichkeit getreten sind, meine Herren, dafür werden Sie wohl ein Verständnis haben. (Sehr richtig! rechts.) Aber der Entschluß stand damals fest, und dieser Entschluß ist entstanden aus dem Verantwortungsgefühl für die Sicherheit unserer Zukunft. (Bravo! rechts.)

Meine Herren, ich habe aus dem bisherigen Verlauf der Ver⸗ handlungen den Eindruck gewonnen, daß die große Mehrheit der Parteien dieses hohen Hauses sich bei ihren kommenden Entschlüssen von dem gleichen Gefühl der Verantwortung leiten lassen will (Sehr richtig! rechts und bei den Nationalliberalen), und daß sie erkannt haben, welche große und ernste Bedeutung für Deutschland die Ent⸗ schlüsse haben werden, die sie fassen wollen. (Lebhafter Beifall rechts und bei den Nationalliberalen.)

Damit schließt die Generaldiskussion. Persönlich bemerkt der

Abg. Häusler (Zentr.): Meine Aussührungen sollten in keiner Weise eine Inferiorität unserer Artillerie behaupten. Ich hab nur Wünsche und Anregungen geäußert, die u. a. auch im „Militärwochenblatt“ zu finden gewesen sind. Ich werde doch nicht als ehemaliger Artillerist meine eigene Waffe herabsetzen. Was den bayerischen Bevollmächtigten anbelangt, so nehme ich ihm seine Be⸗ merkungen als bayerischer Landsmann in keiner Weise übel, aber eine Kritik meiner Fähigkeiten als Abgeordneter lehne ich ab.

Bayerischer Generalmajor Wenninger: Ich möchte nicht auf das persönlich gegen mich Verichtete erwidern, aber ich habe noch das Bedürfnis, im Namen des bayerischen Offizierkorps hier das liefste Bedauern darüber auszusprechen, daß der Abg. Häusler hier Worte in seiner Rede gesprochen hat, die ihren Beifall nicht in der eigenen Partei, sondern nur auf der äußersten Linken gefunden haben.

Vizepräsident Dove: Die Debatte ist wieder eröffnet. Das Wort hat der Abg. Ledebour.

Abg. Ledebour (Soz.): habe ich mir das Wort erbeten, um . dagegen einzulegen, daß einer der Mititärbevollmächtigten sich erlaubt, einem Abgeordneten Vorhaltungen darüber zu machen, und zwar in einer Form, die den Anschein erwecken mußte, als ob ihm dadurch eine moralische Minderwertigkeit be⸗ zeugt werden sollte, daß er auf irgend einer Seite des Hauses und nicht bei seiner eigenen Partei Beifall erhalten hat. Das geht den bayerischen Bundesratsbevollmächtigten gar nichts an. Und ich sollte glauben, daß auf allen Seiten dieses Hauses, bei allen Parteien so viel Selbstgefühl bei den Herren als Volksvertreter vorhanden wäre, daß sie mir da zustimmen müßten.

Das habe ich

In der wieder eröffneten Debatte entschieden Verwahrung

Bayerischer Generalmajor Wenninger: nicht als Bundesratsbevollmächtigter getan, aber als bayerischer Offizier (Lebhafte Unruhe, in der die weiteren Ausführungen unverständlich bleiben.)

Abg. Dr. Frank (Soz.): Die erneute Erklärung des bayerischen Bevollmächtigten ist die beste Illustration dessen, was heute ver⸗ schiedentlich gesaat wurde über die Anmaßung militärischer Kreise, über ihre Einmischung in das bürgerliche Leben, die auch nicht davor zurückschreckt, das Parlament heimzusuchen. Wenn die Bemerkung einen Sinn haben sollte, so konnte es nur der sein, daß dem Abg Häusler in seiner Eigenschaft als Mitglied des Heeres außerhalb dieses Hauses Schwierigkeiten gemacht werden sollten, und wenn das nicht der Fall war, dann ist der Sinn wenigstens der, daß man ihn in den Kreisen der Berufskollegen herabsetzen will. Ich weise diesen Versuch, in die Selbstbestimmung des Parlaments einzugreifen, auf das energischste zurück und erwarte von dem Selbstbewußtsein aller Parteien, daß sie sich unserem Protest anschließen.

Die Wehrvorlagen werden an die Budgetkommission ver⸗ wiesen.

Es folgt die erste Beratung der Deckungsvorlagen.

Staatssekretär des Reichsschatzamts Kühn:

Meine Herren! In der Tagesordnung, die uns seit Beginn dieser Woche vorliegt, gelangen wir nunmehr zu dem zweiten Teil, der sich mit der Aufbringung der Kosten befaßt. Ich werde Ihnen sachliche und zum Teil wohl auch nach Ihrer Auffassung trockene Ausführungen machen müssen, das läßt sich aber nicht ändern, das liegt in dem Gegenstande begründet. (Andauernde große Unruhe.) Es wäre mir lieb, wenn ich etwas mehr Gehör fände. (Glocke des Präsidenten.)

Die Ausführungen, die ich zu machen habe, bieten, wie ich eben schon hervorhob, durchaus keinen Anlaß, die Unruhe des Hauses zu provozieren. Wie Sie wissen, sieht sich die Reichsfinanzverwaltung infolge der Anforderungen der neuen Heeresvorlage, die nach dem Ergebnis der dreitägigen Debatte auch von der Mehrheit des Hauses, teils in größerem, teils in geringerem Umfange, gebilligt werden, einer Aufgabe gegenüber, wie sie ihr in dieser Schwere, seit das Reich steht, nicht gestellt worden ist. (Sehr richtig! links.) Auch die umfangreichste der Heeresvorlagen der letzten 40 Jahre er⸗

forderte bei den fortlaufenden Ausgaben nur einen Bruchteil von dem 11““ 8 11AX“ I“