1913 / 87 p. 12 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 12 Apr 1913 18:00:01 GMT) scan diff

Was nun die Zwecke dieser Prüfungsausschüsse anlangt, so wollen sie mit dazu helfen, daß nur solche Jugendschriften Verbreitung

finden, die literarisch wertvoll sind, daß dagegen das Wertlose, der

Schund, die Fabrikware ferngehalten wird. Dieser Zweck ist gewiß zu loben, und man muß auch anerkennen, daß nach dieser Richtung hin die Prüfungsausschüsse Verdienstvolles geleistet haben. Dagegen aber läßt sich nicht leugnen, daß von einzelnen Stellen aus, von einzelnen Mitgliedern der Ausschüsse oder von einzelnen Lehrern, die in Verbindung mit den Ausschüssen stehen oder gestanden haben, Aeußerungen gefallen sind, die die allergrößten Bedenken hervorrufen müssen und mit aller Entschiedenheit zurückzuweisen sind. (Bravo rechts und im Zentrum.) Sie sind ja in der Oeffentlichkeit bekannt geworden, ich brauche sie hier nicht zu wiederholen, und ich scheue mich eigentlich auch, sie hier zu wiederholen. Ich glaube, es genügt, wenn ich sie mit aller Ent⸗ schiedenheit hier zurückweise. (Bravo! rechts und im Zentrum.) Nun kann man aber diese Ausführungen einzelner den Prüfungsausschüssen als solchen nicht zur Last legen, denn die Ausschüsse haben sich mit jenen Ausführungen niemals identifiziert, und wenn jetzt die übrigen Prüfungsausschüsse dem Prüfungsausschuß in Hamburg angesichts der Angriffe, die gegen ihn erhoben worden sind, ihr Vertrauen ausge⸗ drückt haben, so konnten sie das wohl tun im Hinblick auf die Tätigkeit des Hamburger Ausschusses als solchen. Aber ich meine, sie hätten, wie die Dinge einmal liegen, und namentlich in der gegenwärtigen Situation gut getan, wenn sie diese Gelegenheit benutzt hätten, um auch abzurücken von gewissen Einzelausführungen, die in Hamburg gefallen sind (sehr richtig! rechts und im Zentrum), und die vor allem auch enthalten sind in einer Hamburger Zeitschrift, der „Pädagogischen Reform“, mit der einzelne Mitglieder des Ham⸗ burger Ausschusses in Verbindung stehen. Das also habe ich ver⸗ mißt, und ich hätte mich gefreut, wenn die Ausschüsse ihre Erklärung in dieser Beziehung ergänzt hätten. Im übrigen aber muß ich aner⸗ kennen, daß von den preußischen Lehrern bei verschiedenen Anlässen mit aller Entschiedenheit abgerückt worden ist von jenen Tendenzen. Das ist geschehen u. a. in meiner Gegenwart auf dem Lehrertag, der im Mai vorigen Jahres hier stattgefunden hat, wo der Vorsitzende mit aller Entschiedenheit jeden Zusammenhang der deutschen Lehrer⸗ schaft mit Tendenzen, die in Hamburg hervorgetreten sind, abgewiesen hat und bei diesen Worten den stürmischen Beifall der ganzen Ver⸗ sammlung gefunden hat. (Bravo! rechts und im Zentrum.) Wenn die Prüfungsausschüsse ihre Aufgabe darin erblicken, daß sie nur solche Bücher zulassen wollen, die den künstlerischen und literarischen An⸗ forderungen entsprechen, so ist das ganz gewiß richtig, und es ist auch richtig, wenn sie dem nicht entsprechende tendenziöse Schriften abweisen. Aber wenn sie das letztere tun, so gehen sie doch, wie mir scheint, zu weit; denn man kann nicht ohne weiteres und unbedingt jede Tendenz einer Jugendschrift abweisen. Es kommt darauf an, ob die Tendenz wertvoll ist. Wenn die Tendenz dahin geht, daß sie bei unserer Jugend Religion und Vaterlandsliebe stärken will, so ist das nur dasselbe, was wir durch unsere Erziehung in der Schule erreichen wollen. Es ist das Höchste, was wir überhaupt bei unserer Jugend

erreichen können, und deshalb gehört diese Tendenz auch in die Jugendliteratur, (sehr richtig!) und diejenige Jugendliteratur, die wir vpoon Unterrichts wegen fördern und unterstützen werden, muß ganz bbeebsonders gerade dieser Tendenz entsprechen. (Bravo!)

Es hat jia nun die Versammlung der Prüfungsausschüsse in München den Beschluß gefaßt, daß Dichtungen, die bei aller Wahrung

der Gesetze künstlerischen Gestaltens zugleich eine religiöse, moralische oder patriotische Wirkung ausüben, sofern sie im übrigen der Auf⸗ nahmefähigkeit Jugendlicher gerecht werden, als Jugendlektüre unbedingt zu empfehlen sind. Meine Herren, es ist erfreulich, daß Fein solcher Beschluß ausdrücklich gefaßt worden ist; aber voll be⸗ friedigt er mich nicht. Man müßte einen Schritt weiter gehen und sagen, daß Jugendschriften, die bei voller Befriedigung der literarisch⸗ ästhetischen Anforderungen religiöse, moralische und patriotische Wirkungen ausüben, in erster Linie zu empfehlen sind. (Bravo!) Das würde mit dem übereinstimmen, was ich vorhin ausgeführt habe. Ferner, meine Herren, ist über einen Lehrer in der Nähe von Berlin, der hier auch mit Namen genannt worden ist, gesprochen worden. Auch er ist in seinen Ausführungen viel zu weit gegangen. Er hat den Grundsatz, die Tendenz aus der Jugendliteratur fern⸗ zuhalten, bis zur äußersten Konsequenz gezogen und ist damit eben zu einer Unmöglichkeit gelangt. Wenn er so weit geht, zu sagen, man ürfte, wenn man Bücher mit anderer Tendenz verwerfe, in die Jugendschriften auch nicht Erzählungen aufnehmen oder dort dulden, die sozialdemokratische Eltern unangenehm berühren könnten, so ist darüber kein Wort zu sagen. (Sehr ichtig!) Das ist natürlich unrichtig. Ebenso verwechselt er in seinen Aus⸗ führungen vaterländischen Geist und parteipolitische Tendenz. (Sehr richtig!) Das ist ein gewaltiger Unterschied. Er hat auch eingesehen, daß er zu weit gegangen ist, und hat gesagt, er würde aus diesen Erfahrungen für die Zukunft die Lehre ziehen.

Endlich muß ich noch darauf eingehen, daß von dem Herrn Vorredner erwähnt worden ist, es habe ein Vertreter der Schul⸗ aufsichtsbehörde sich zu den angeblich unpatriotischen Tendenzen der Prüfungsausschüsse sympathisch geäußert. Davon kann natürlich gar keine Rede sein. Die Sache liegt anders. Die Berliner Ausschüsse hatten, als die Angriffe in der Presse erfolgten, eine Versammlung einberufen, um zu der Frage Stellung zu nehmen. Um sich über die Dinge zu orientieren, war auch der Berliner Provinzialschulrat in diese Versammlung gegangen. In ihr sind zunächst von dem Provinzialschulrat einige Aeußerungen eines Redners richtig gestellt worden. Im übrigen aber zeigte sich in dieser Versammlung ein so warmer patriotischer Geist, und es wurde mit solcher Entschiedenheit gegen alle unpatriotischen Tendenzen Stellung genommen, daß, wie mir scheint, der Provinzialschulrat mit vollem Recht seine Freude darüber aussprach und zum Ausdruck brachte, daß er, wenn die Ausschüsse in diesem Geist walteten, was, woran er nicht zweifle, auch in Zukunft geschehen werde, dann immer hinter ihnen stehen würde. Also die Ausführungen dieses Beamten haben wesentlich anders ge⸗ lautet, als wie das in einem Teil der Presse mitgeteilt worden ist; so, wie sie tatsächlich gelautet haben, sind sie, wie mir scheint, völlig einwandsfrei.

Im übrigen, meine Herren, können Sie überzeugt sein, daß die Unterrichtsverwaltung diesen Angelegenheiten und Fragen die aller⸗ größte Aufmerksamkeit widmet. Denn sie sind in der Tat von der allergrößten Bedeutung. Wenn es dazu kommen sollte, daß unsere Jugendliteratur sich in dem Geiste entwickelte, wie er hier von einzelnen

zuge, und wir müßten mit aller Energie eingreifen. (Sehr richtig!) Aber, meine Herren, das ist eben zurzeit jedenfalls nicht der Fall. Denn wenn Sie die Verzeichnisse, die die Prüfungsausschüsse heraus⸗ geben, prüfen, so finden Sie in ihnen eine große Zahl von direkt patriotisch gestimmten Büchern und nicht eins, das sozialdemokra⸗ tischen Tendenzen zuneigt. (Lachen bei den Sozialdemokraten.) Immerhin, meine Herren, sind da doch einige bedenkliche Anzeichen, wie wir gesehen haben, die uns mahnen, um so mehr aufmerksam zu bleiben; und Sie können sich versichert halten: an dieser Aufmerksam⸗ keit wird es nicht fehlen. (Lebhafter Beifall.)

Abg. Dr. von Schencken dorff (nl.): Wir haben uns beinahe einstimmig auf den Standpunkt des Jugendpflegeerlasses vom 18. Januar 1911 gestellt. Danach bestimmt der Staat die auf⸗ zunehmenden Arbeitsgebiete. Der neue Etat sieht 1 Million mehr vor und bezieht die weibliche schulentlassene Jugend mit ein. Eine weitere Unterlage ist die Uebersicht über die Ausbildung und Fort⸗ bildung von Jugendpflegern und die in der Budgetkommission hier⸗ über vorausgegangene Debatte. Redner bespricht im einzelnen diese drei Vorlagen und hebt hierbei besonders die Einbeziehung der Seminare und Präparandenanstalten in ihren Uebungsschulen hervor. Für die Fortbildungsschule ist nur die Hälfte der Mittel 1911 ver⸗ wendet, die das Handelsministerium allein für die Leibesübungen in Höbe von 100 000 früher verausgabt hatte. Redner bittet den Minister um Aufklärung und fragrt, ob nicht etwa dadurch, daß jetzt die staatliche Jugendpflege hinzugekommen ist, ein Rückgang in der Tätigkeit der Fortbildungsschule eingetreten ist. Die Wirksamkeit des Staates in der Fortbildungsschule verdiene den Vorzug. Man müsse zugestehen, daß für die staatliche Jugendpflege bereits eine machtvolle Bewegung erwachsen sei. Als vorbeugendes Mittel empfehlen sich Horte für die aufsichtlosen Schulkinder. Sehr beachtenswert seien zwei Anträge aus der letzten Session. Der Antrag von Wenden knüpfe an die früheren Altersklassen der Jugend an, besonders an das Pflegekinderunwesen und an die vorschul⸗ pflichtige Zeit. Der Antrag Lieber fordere für die gefährdete und verwahrloste Jugend eine wesentliche Erhöhung des Etats. Beide Anträge wollen das Kinder⸗ und Jugendelend nicht nur symptomatisch behandeln, sondern die Krankheitsursachen tunlichst beheben. In gleicher Richtung bewege sich auch die Anregung seiner Parteifreunde. Durch die Erwerbsverhältnisse der breiteren Volksschichten, die auch die Frauen und Mütter zu Fabrik⸗ und anderer Arbeit heran⸗ ziehen, seien die Schulkinder unbehütet und aufsichtslos gelassen. Anderseits sei ihnen reichsgesetzlich die Beschäftigung im Erwerbe verboten. Diese immer größer gewordene Wunde des Volkskörpers habe natürlich schon lange Menschenfreunde in der Deutschen Zentrale für Jugendfürsorge und ihren Unterverbänden gefunden. Im Juli habe diese eine allgemeine Kinderhortkonferenz nach Dresden berufen; die außerordentlich beachtenswerten Ergebnisse dieser Verhandlungen seien unter dem Titel: „Aufsichtslose Schulkinder“ veröffentlicht. Es habe sich dann der Deutsche Kinderhortverband gebildet, in dem Fräulein Dr. Duensing den Satz aufstellte: „Wenn die industrielle Arbeit der verheirateten Frau, die auf Kosten der Hausfrau⸗ und Mutterpflichten erfolgt, als eine unabänderliche Konsequenz der materiellen Lage der Arbeiterbevölkerung bezeichnet werden muß, und wenn diese unabänderliche Konsequenz die Wirtschaftsweise des Volkes ist, so ist es auch die unabweisbare Pflicht des Staates, diese Not der Kinder zu beheben.“ Man muß sich vor allen Dingen der aufsichts⸗ EE“ hätte die Schule selbst ihren Vorteil, und es sei nicht zu zweifeln, daß die gesamte L eifriger Mitarbeiter sein Befhhkis Fehietshet

Abg. Hoff (fortschr. Volksp.): Der Herausgeber der „Mainzer Volksjugendschriften“ hat sich heftige Angriffe gegen die Prüfunas⸗ ausschüsse des Deutschen Lehrervereins zu schulden kommen lassen, indem er behauptet hat, diese unterdrücken bewußt den vaterländischen Gedanken und neigten sozialdemokratischen Tendenzen zu. Dieser un⸗ geheuerliche Vorwurf ist vollkommen unbegründet. Die deutsche Lehrerschaft kann es, was religiösen und sittlichen Ernst anlangt, mit jedem anderen Stand aufnehmen. Allerdings weht bei uns ein freierer Geist auf dem Gebiete des religiösen Unterrichts als in denjenigen Kreisen, die dem Abg. Dr. Heß nahe⸗ stehen. Wir lehnen es mit Entschiedenheit ab, daß irgend⸗ welche Parteipolitik in die Schulen getragen wird. Wir wollen keine Verknüpfung von Religion und Politik. Ein Artikel der „Straßburger Post“ hat ja klar gezeigt, in welcher Weise katholische Religionslehrer Religion und Polit k zu verbinden wissen. Die Hauptanklageschrift gegen die deutschen Lehrerprüfungs⸗ ausschüsse ist bekanntlich eine in Mainz erschienene Broschüre von Kotzde und Scholz. Gleich der erste Satz, der in dieser Broschüre aufgestellt ist, ist eine glatte Unwahrheit. Es ist eine schwere Be⸗ leidigung der Prüfungsausschüsse, wenn man ihnen unterstellt, daß sie sich unter die Gewaltherrschaft der Hamburger Lehrer gestellt hätten. Ich freue mich, daß der Minister anerkannt hat, daß die eingerichteten Prüfungsausschüsse außerordentlich segensreich gearbeitet baben. Was die Jugendausschüsse geleistet haben, gehört nach dem Urteil hervor⸗ ragender Sachverständiger der Kulturgeschichte an, sie haben in sechzehnjähriger außerordentlich uneigennütziger und verdienst⸗ voller Arbeit einen ganzen Augiasstall von Schundliteratur gusgeräumt. Auch der vaterländische Schriftenverein, der übrigens nicht ganz un⸗ partelisch ist, hat sich an den Angriffen gegen die Prüfungsausschüsse beteiligt. Wenn man aber das Verzeichnis des vaterländischen Schriftenvereins nachliest, dann sieht man eine überraschende Ueber⸗ einstimmung mit dem Bücherverzeichnis, das die Prüfungsausschüsse zusammengestellt haben. Unter 49 Gedichten, die emprohlen sind, sind 44 in beiden Verzeichnissen dieselben. Unter 17 Dramen stimmen 14 Dramen genau überein. Es ist geradezu lächerlich, wenn von seiten eines solchen Verbandes, der so weit in seinen praktischen Vorschlägen mit den Prüfungsausschüssen übereinstimmt, eine derartige Anklage erhoben wird. Von den Urteilen aus der Jugendschriftwarte, in denen klar zum Ausdruck kommt, welcher vaterlandische Geist den Prüfungsausschüssen innewohnt, erwähnen die Gegner kein Wort. Nun sollen die Hamburger die Karnickel sein; auf sie schlägt man, andere meint man. Ich kenne die Herren, sie stehen viel zu hoch, als daß die Angriffe sie erreichen. Die Herren haben nichts anderes geschrieben als das, was der Reichskanzler vor wenigen Tagen im Reichstage sagte, indem er ausführte, daß kein verantwortlicher Mann den Krieg heraufbeschwören könne. Vielleicht macht man nun auch dem Reichskanzler den Vorwurf, daß er vaterländischer Gesinnung nicht Rechnung getragen hätte. Man wagt nicht, g gen die Lehrerschaft als Ganzes und nicht gegen die Prüfungsausschüsse derselben als Ganzes vorzu⸗ gehen, man will nur Mißtrauen säen, indem man sagt, daß die Gruppen in Hamburg und anderswo die Prüfungsausschüsse beheerrschen. Auch Herr Wolgast in Kiel ist in völlig un⸗ gerechter Weise angegriffen worden Ich freue mich, diesen ausgezeichneten Mann seit 10 Jahren zu kennen, er ist auch hier, als früherer Abgeordneter nicht unbekannt, er steht mit beiden Füßen auf vaterländischem Boden, und dasselbe gilt von seinem Bruder in Hamburg. Ich verteidige gern hier diese Herren. Die letzte Schrift des Herrn Wolgast in Kiel ist preisgekrönt von Herren, denen man wahrlich sozialdemokratische Tendenzen nicht vorwerfen kann. Wolgast tuitt in seiner Schrift gerade dafür ein, Vaterlandsliebe und Heimatliebe in dem Kinde zu pflegen und das richtige Verständnis dafür zu erwecken Auch die Behauptung, daß Herr Wolgast in Hamburg vor 14 Jahren in der kleinen Kommission, die die Lesebücher prüft, gesagt haben foll, man könne in einem Gedicht im Lesebuch nicht einen Mann verherrlichen (Kaiser Wilhelm 1.), der das Sozialistengesetz unterschrieben habe, ist unzutreffend. In einem Prozeß hat Herr Wolgast in seiner Aussage die Sache, klargestellt, daß er die Aeußerung nicht in diesem Sinne getan habe, sondern bypothetisch unter Anführung von pädagogischen Rück⸗ sichten. Es ist nicht zulässig, auf solchen entstellten Aeußerungen immer wieder herumzureiten. Was Herr Kotzde in dieser Hinsicht

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der Herren befürchtet worden ist, dann wäre wirklich Gefahr im Ver⸗

um die antinationale Gesinnung der Ausschüsse behaupten zu können, kann nicht mehr überboten diese A rife sind willfürliche Phantasien und können die gemeinsame Arbeit in der Lehrerschaft nicht stören. Man muß wirklich zu dem Urteil des Vorsitzenden des Dürerbundes kommen, daß alle solche Angriffe gegen die Lehrerschaft ein Kulturskandal seien. Ich habe diese Angriffe einmal gründlich heimleuchten wollen. Unseren Standpunkt zur Jugendpflege hat im porigen Jahre mein Freund Dr. Schepp dargelegt, und ich beziehe mich auf dessen Ausführungen. Sodann habe ich auf Wunsch meines heute verhinderten Freundes Dr. Flesch eine Beschwerde darüber vorzubringen, daß dem Verein „Jugendwohl“ in Frankfurt a. Main, der bisher aus dem Fonds für die Jugendpflege eine Unterstützung von 800 erhalten 2 diese Unterstützung auf 75 gekürzt worden ist, obwohl im letzten Etat der Fonds von 1 Million auf 1 ½ Million erhöht worden ist. Ich bitte den Minister, zu untersuchen, ob diese starke Kürzung gerecht⸗ fertigt ist. Die Jugendpflege wird Erfolg haben, wenn sie das In⸗ teresse des ganzen Volkes im Auge behält. .

Abg. Dr. von Woyna (freikons.): Daß die Tätigkeit des Ham⸗ burger rüfungsausschusses einen gewaltigen Einfluß augübt, be, hmn. keinem Zweifel. Meine Freunde sind daher durchaus damit einverstanden, wenn der Minister zusichert, daß er ein scharfes Auge haben will gegenüber der Tendenz, die in dem einen oder anderen Fall sich bei der Arbeit des Ausschusses geltend gemacht hat. Wir wunschen nicht daß auch nur die geringste Rücksicht genommen wird auf die Sozial⸗ demokratie. Das wäre eine jammervolle Schwäche. Es ist wunder⸗ har, daß die führenden Personen dieser Organisation außerhalb Preußens sich befinden. Daß von diesen Personen gewisse Ent⸗ gleisungen begangen worden sind, darüber sind wir wohl alle einig. Alle Vorredner haben anerkannt, daß auf dem Gebiete der Jugendpflege außerordentlich viel geschehen ist. Mir will scheinen, als wenn wir in der vaterländischen Jugendpflege vor der Gefahr einer Zerspitterung stehen. Es ist heute leider Mode ge⸗ worden, wenn ein neues Gebiet des öffentlichen Lebens in Angriff ge⸗ nommen werden soll, daß man dann zunächst organisatorisch beginnt als wenn wir gar keine geeignete Organisation hätten. Wir leiden an einem Ueberfluß an Organisationen im Lande. Auch auf dem Gebiet der Jugendpflege ist man bereits dazu gekommen, die Frage der Organisation zu überschätzen gegenüber der materiellen Seite. Zweifellos hat wohl unsere Verwaltung den richtigen Weg be⸗ schritten, indem sie nicht den größeren Verbänden, sondern den kleineren Ausschüssen von Vereinigungen Beihilfen zuwendet. Der Ausbau der Jugendpflege muß im kleinen betrieben werden. Wie schon einige der Vorredner betont haben, müssen wir uns in erster Linie an diejenigen Stellen wenden, die berufen sind, die

Auf diesem Gebiete ist sehr viel unterlassen worden. Wir müssen C richtungen schaffen, die auf die Hausfrauenerziehung ihr 1 Aetin . Mir scheint es besonders wünschenswert, daß die Handarbeitslehrerinnen, die seither immer nur nebenbei herangezogen worden sind, mehr in den Vordergrund geschoben werden. Deren Ausbildung und materiell Versorgung muß uns mehr am Feris liegen, als dies bisher der Fall gewesen ist. Das ganze Gebiet der ländlichen Wohlfahrts. pflege muß auf ein anderes Niveau der S chule muß das geschaffken werden, was überhaupt für Jugendpflege notwendig ist, es müssen Vorbedingungen ge schaffen werden für eine gesunde Heranbildung der Jugend. In den neuen Lehrplänen für die Seminare muß besonders hervorgehoben werden, daß die Gesundheitspflege im Unterricht der Schule eine ganz andere Bedeutung erhält als bisher. Es muß auch für die schul⸗ entlassene Jugend gesorgt werden. Die Hauptsache wird sein, daß die Liebe zum landwirtschaftlichen Beruf in; unserer heranwachsenden Jugend erhalten bleibt. Die große Gefahr besteht darin, daß durch Sport und Spiel der Hang unserer ländlichen Jugend nach de Stadt gefördert wird. Die Liebe zum landwirtschaftlichen Beruf soll der Kern unserer Jugendpflege sein. Dann erreichen wir, daß di Bepölkerung, die von vornherein entschlossen ist, in der Heimat zu bleiben, sich für die Erziehung der nächsten Generation vorbereitet Das konfessionelle Element sollte man da nicht in den Vordergrun stellen, sondern man sollte jedem gestatten, sich an der Jugendpfleg zu beteiligen. Die Pflege des konfessionellen Elements ist Sache des Religionsunterrichts, deshalb soll man die Belastung der Jugendpflege mit kirchlichen Gesichtspunkten unterlassen. Wenn wir diesem Ge⸗ danken Rechnung tragen, dann werden wir auf dem Gebiete der Jugendpflege nicht nur in moralischer und sittlicher Hinsicht, sondern auch in wirtschaftlicher Hinsicht Bedeutendes leisten. Dann werden wir das platte Land wieder auffüllen mit Menschen. Wir werden dazu gelangen, daß die Menschen gern ihren Beruf erfüllen und Tüchtiges leisten. Das ist der besondere Wunsch meiner Freunde.

Abg. Styczynski (Pole): Ueberall werden Wo 8 einrichtungen für die Hebung der geistigen und sittlichen b. der Jugend geschaffen und von der Regierung unterstützt; nur die sozialen Fürsorgebestrebungen, die von den Polen ausgehen, werden als staatsgefährlich angesehen und von der Regierung hintertrieben. Ich bitte den Minister, die Provinzialbehörden anzuweisen, daß die soziale Jugendfürsorge der Polen nicht behindert wird. Tut der Minsster das nicht, dann wird er die Verantwortung für die Ver⸗ wahrlofung der polnischen Jugend zu tragen haben. Jedenfalls wird die Regierung durch eine schikanöse Behandlung unserer Jugend⸗ fürsorge unsere Jugend nicht dazu bringen, dem Jungdeutschlanddund beizutreten. Abg. Hirsch⸗Berlin (Soz.): Je mehr Sie die Mi Steuerzahler dazu verwenden, die freie Jugendbewegung 3Ne desto besser wird diese gedeihen. Die Angriffe auf die proletartsche Jugendbewegung sind zum Teil zurückzuführen auf völlige Unkenntnis des Wesens der freien Jugendorganisation, zum Teil aber auch auf

ae. Es wird gesagt, wir wollten der Jugend die Ideale

rauben. Gerade das Gegenteil ist der Fall. Wir erfüllen die Jugend erst mit Idealismus. Wir lehren sie verstehen die Schätze der Literatur, wir holen das nach, was die Volksschule leider bei uns versäumt. Sie wetiern gegen unsere Jugendbewegung, ohne daß sie eine Ahnung davon haben, und machen uns heteech. „Kölnischen Volkszeitung“, in dem behauptet wird, daß d ial- demokratische Arbeiterjugend die Lehrlinge zum diebagk ep chäat. Dieser schwere Vorwurf ist erhoben worden, ohne daß der Beweis. dafür erbracht wäre. Erfreulich ist, daß der Pastor Kießling aus Hamburg, der keineswegs Sozialdemokrat ist, auf der Tagung des Bundes für Mutterschutz in Breslau den Wert unsexer Arbeiterjugend⸗ organisation anerkannt hat. In der Budgetkommission ist von ver⸗ schiedenen Seiten der Wunsch geäußert worden, Jugendheime zu er⸗ richten. Was Sie hier wünschen, haben wir schon lange getan. Ihre

Jugendpflege ist nur eine Folge unserer Jugenderziehung, allerdings eine schlechte Nachahmung. Wir haben schon jetzt in 208 Orten

Jugendhesme errichtet, nicht auf Kosten der Steuerzahler, sondern

aus den Mitteln der Arbeiter. Die Regierung sollte unsere Jugend⸗ heime unterstützen, anstatt sie, wie es an verschiedenen Orten geschehen ist, aus baupolizeilichen Gründen zu verbieten. Es liegt uns fern, die Jugend einseitig zu bilden; das beweisen die Bibliotheken in unseren

Jugendheimen, wo Bücher aus allen Gebieten des Wissens zu finden sind.

In unseren Jugendheimen werden Vorträge über die verschiedensten

Gebiete des Wissens und der Kunst gehalten, wir haben kein Urteil darüber zu scheuen; wir veranstalten auch zahlreiche Unterrichtskurse

künstlerische Veranstaltungen, Exkursionen usw., wir haben einen

Bildungsausschuß eingesetzt, der das Verzeichnis der Bücher aufgestellt

hat, durch das wir die Schätze der Literatur den Kindern zugänglich machen, das aber die Schundliteratur vollkommen ausschließt.

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(Schluß in der Pierten Beilage.)

in seiner Schrift gegen die Prüfungsausschüsse geleistet hat, v1“ 1t 1“

künftige Erziehung unserer Jugend zu leiten, das sind unsere Töchter.

gebracht werden. In der

1 Vorwürfe, die jeder Dies beweist ein Artikel eines Lehrers b der

(Schluß aus der Dritten Beilage.)

Das Verzeichnis enthält nur Bücher, die Sie alle Ihren Kindern in die Hände geben können. Auf das Urteil derjenigen, die die Prüfungs⸗ ausschüsse des Lehrervereins soztaldemokratischer Tendenzen bezichtigen und ihnen vaterlandslose Gesinnung vorwerfen, ist nichts zu geben. Derselbe Verlag von Scholz, der in der genannten Broschüre diese Angriffe auf die Lehrer macht, hat vorher verschiedene seiner Werke dem sozialdemokratischen Bildungsausschuß angeboten. Erst als er mit den Sozialdemokraten keine Geschäfte machen konnte, ist er umge⸗ schwenkt. Wir fördern die Jugend in körperlicher, sittlicher und materieller Hinsicht. Wenn es dem Zentrum ernst ist mit der Be⸗ schaffung gesunder Wohnungen, warum macht es nicht von seiner Macht Gebrauch, um einmal der Jugend etwas Wertvolles zu bieten, anstatt ihm nur mit Reden einige Brocken hinzuwerfen? Wir legen auch auf einen Schutz der Jugend Wert; das werden Sie mit Ihrer Jugendpflege nicht erreichen. Die Kinder werden schon vom frühesten Alter an mit gewerblichen Arbeiten aus⸗ genutzt. Je weniger uns der Staat Mittel zur Verfügung stellt, um so besser wissen wir, daß wir auf richtigem Wege sind. Der „Jungdeutschlandbund“ ist eigentlich mit dem Vereinsgesetz nicht vereinbar, er ist ein politischer Verein und macht daraus auch gar kein Hehl; er treibt die Politik der Liebe zum Vaterlande und der Treue zu Kaiser und Reich und darf sich Verstöße gegen das Vereinsgesetz zuschulden kommen lassen. Sie mögen die Mittel für Ihre Jugend⸗ pflege ruhig bewilligen, die Früchte dieser Tätigkeit werden doch uns zufallen. Ein Arzt urteilt über die Exkursionen des Jungdeutschland⸗ bundes dahin, daß diese nicht dem Naturgenuß, sondern nur der Ausnutzung des Terrains als Exerzierplatzes gewidmet seien, und daß die jungen Leute durch diese Spielereien nur zu einem aben⸗ teuerlichen Leben erzogen würden, das ihnen nachher im Militär⸗ dienst sehr unangenehm werde fühlbar werden. Der Kriegsminister hat in der Budgetkommission des Reichstags bestritten, daß ein Erlaß die Förderung der Jugendpflege durch das Militär durch Hergabe von Unterkunft in den Kasernen bei Ausflügen, von Ausrüstungsgegenständen usw. angeordnet habe. Solche Be⸗ stimmungen sind aber tatsächli erlassen worden. In den Liederbüchern des Jungdeutschlandbundes finden sich Geschichten, die mit Bildung absolut nichts zu tun haben, wie die vom Sabinchen, vom Leineweber mit der Verspottung der armen Leute usw. (Abg. Ramdohr: Diese haben wir längst aus den Kommersbüchern gestrichen.) Ja, aber in den Büchern des Deutschlandbundes haben Sie sie noch; das ist bezeichnend. Der Fürsthischo Dr. von Kopp hat in einem Hirtenbriefe der staatlichen Junendpflege eine Absage erteilt und empfohlen, an den kirchlichen Juzendvereinen festzu⸗ halten und allen neuen Vereinen gegenüber Vorsicht und Selb⸗ ständigkeit zu wahren, d. h. das Geld des Staates nimmt man wohl, aber dreinreden läßt man sich vom Saate nicht. In einer Zeitschrift des Zentrums wird offen zugegeben, daß die Jugend Holitisch erzogen werden soll. In neuester Zeit hat man auch die Fortbileungsschulen in den Dienst der polltischen Partei gestellt. Man ist bestrebt, diese Jugendpflege immer weiter auszudehnen, namentlich auch auf dem Lande. Der Erfolg aller dieser Bestrebungen besteht darin, daß wir angespornt werden, mit größerer Energie als bisher einzutreten für die Aufklärung der Jugend. Nach den Beweisen, die ich Ihnen geliefert habe, wird wohl niemand mehr wagen, den politischen Charakter der staatlichen Förderung der Jugendpflege anzuzweifeln. Wir Sozialdemokraten sind die einzigen wirklichen Patrioten, weil wir die Liebe zum Vaterlande dadurch erwecken wollen, daß wir bessere Zustände in unserem Vaterlande schaffen. Wie die Männer und Frauen Preußens im Jahre 1813 sich aufgerafft haben, um die Fremdherrschaft abzuschütteln, so sollte das preußische Volk von 1913 sich aufraffen, um die Herrschaft der Junker abzuschütteln und dem elenden Wahlrecht ein Ende zu machen.

Abg. Dr. von Campe (nl.): Wenn wir die Erziehung unserer Jugend zur Vaterlandsliebe und Königstreue als politische Tendenz bezeichnen wollten, dann würde jedes politische Leben aufhören müssen. Die Lieder, die der Vorredner zitiert hat, sind auch in sozialdemokratischen Liederbüchern enthalten. Sie (nach links) wollen die Herzen unserer Kinder mit revolu⸗ tionären Ideen vergiften. (Der Redner verliest eine Rethe solcher revolutionaͤrer Lieder aus sozialdemokratischen Liederbüchern.) In Ihren Liedern steckt also viel mehr Tendenz als in unseren Liedern. Wenn der Abg. Hirsch behauptet, daß in den nationalen Jugend⸗ vereinen sogar das Heidentum gepredigt werde, so ist das doch eine arge Behauptung, wenn man nichis anderes als Beweis dafür anführen kann, als daß man bei irgend einer Gelegenheit den Tod eines heidnischen Helden den Kindern vor die Seele führt. Das ist doch eine Ent ellung, die energisch zurückgewiesen werden muß. Daß man den Herren Scholz und Kotzde aus der ganzen Bewegung einen Strick drehen will, verstebe ich nicht. Gegen die schweren Vorwürfe, die der Abg.Kesternich gegen den Deutschen Lehrerverein erhoben hat, muß ich ganz energisch p otestieren. Man darf doch nicht einzelne unangenehme Vorkommnisse verallgemeinern. In dieser ganzen Bewegung sind meine Freunde der Anschauung des Ministers. Wenn auch einzelne Entgleisungen vorgekommen sind, so glaube ich doch, daß im großen und ganzen die Auffassung der Prüfungsausschüsse der Lehrer richtig ist und zum Segen der Jugend ausfallen wird.

Abg. Freiherr von Wolff⸗Metternich (Zentr): Wir be⸗ willigen mit Freuden die Mittel, die für die Jugendpflege in dem Etat bereitgestellt sind. Allerdings bedauern wir, daß nicht noch eine höhere Summe für dieses wichtige Gebiet angesetzt ist. Es unter⸗ liegt keinem Zweifel, daß unserer Jugend, ja unserem ganzen Volksleben eine große Gefahr erwächst aus der immer zu⸗ nehmenden Anzahl schmutziger b Ich erinnere hier an den „Simplizisstmus', dessen Inhalt geradezu unflätig ist. Jeder anständige Mensch sollte sich schämen, dieses Blatt öffentlich zu lesen. Unsere Jugend steht dieser Gefahr fast wehrlos gegenüber. Da muß es Aufgabe des Staates sein, dieser Gefahr mit allen Mitteln entgegenzut eten. Dieses Ziel haben sich auch die Borromäusvereine gesteckt. Diese haben es sich zur Aufgabe gemacht, Angehörige aller Konfessionen mit guter Lektüre zu versorgen. Da wäre es wünschens⸗ wert, wenn der Minister den Borromäusvereinen eine finanzielle Unter⸗ stützung zuteil werden läßt. Es hat fast den Anschein, als ob ein ge⸗ wisses Mißtrauen gegenuͤber diesen Vereinen besteht. Ich halte dies ür außerordentlich bedauerlich und für durchaus unbegründet. Ich möchte dem Minister die Fürsorge für diese Vereine warm ans Herz legen und ihn bitten, die Behörden anzuweisen, daß sie, wenn in einzelnen Fällen diesen Vereinen eine Unterstützung von den Kommunen zuteil wird, den Vereinen keine Hindernisse in den Weg legen.

Abg. Ramdohr F(freikons.): Das Liederbuch des Jungdeutsch⸗ landbundes mag allerdings auch einigen Schund enthalten, aber ich kann es dennoch nicht abschütteln, weil es neben dem Schund sehr viel Gutes und Schönes gibt. Aber ich verurteile es doch wegen des Schundes und bitte, bei einer neuen Auflage diesen Schund zu beseiti⸗ gen, damit nicht noch einmal den Sozialdemokraten hhe ((gene Waffen in die Hand gegeben werden. Wenn wir Alten nach unseren Kommersbüchern auch manche eigenartige Lieder gesungen haben, so konnen wir doch sagen: si duo faciunt idem, non est idem. Aber, Abg. Hirsch, wer im Glashause sitzt wie Sid, der soll um Himmels⸗

willen nicht mit Steinen werfen. Sie mögen denken, Jugend hat keine

stadt a. D., wobei die Augen der Jugend nur so strahlten. Wir

mission Ihrer Arbeiterbildungsausschüsse möchte ich nur ein paar Stellen vorlesen (Ruf bei den Sozialdemokraten: Hat schon Gronowski getan!), aber es scheint Ihnen noch nicht durch die Haut gegangen zu ein. Wenn es auch der Abg. Gronowski Ihnen schon vorgelesen hat, was ich nicht weiß, da ich damals nicht hier war, so scheint es doch, als ob Sie alles dreimal hören müßten. In jenem Liederbuche sagt ein Lied „Deutscher Rat“: „Mein Sohn, du kommst vom Militär und hast die Wahl, sie ist nicht schwer, ob treu dem Vaterlande, ob dem Genossenbande. Wenn die Zeit erfüllet ward, wirst du krieg'risch eingescharrt, da freuen sich Kameraden und treue deutsche Maden.“ Auch über die Liberalen wird ebenso wie über die Junker⸗ und Pfaffenpartei der volle Schmutzkübel ausgegossen. So schließt ein Lied:... „und die ganze Volkspartei sieht man in die Hosen kleckern“. (Ruf bei den Sozialdemokraten: Sehr gut!) Das ist bezeichnend, daß Sie „Sehr gut!“ rufen. (Abg. Hoffmann: Sehr naturwahr!) Das ist Ihr Literaturgeschmack. Ich danke dem Minister dafür, daß er es durchgesetzt hat, daß wir jetzt 2 Millionen für die Jugendpflege zur Verfügung haben, und daß er alle Stände des Volkes zur Mit⸗ arbeit aufgerufen hat. Wir haben lange Jahre über die Verrohung der Jugend geklagt und die letzten Prozesse haben uns gezeigt, wie der große Sternickel die Großstadtjugend zu seinem Standpunkt bekehrt hat. Ebenso wie der Großstadtjugend müssen wir uns auch der Jugend auf dem Lande widmen, und wir wollen nicht nur über die Verrohun der Jugend klagen, sondern das Böse mit Gutem überwinden. Auch die Jugendklubs auf dem Lande müssen mit kleinen Bibliotheken edler Juͤgendschriften ausgestattet werden; ich erinnere an das wundervolle Werk von Pistorius „1806 bis 1807“ und möchte dem Verfasser hier einen Lorbeerkranz um die Stirn winden. Solche Männer sind Wohltäter des Volkes. Wir sind nicht mehr auf den Robinson von Campe angewiesen, der auf dem naiven Stand⸗ punkt steht, daß er am Schluß der Hamburger Jugend den Rat gibt: bleibet zu Ha und nähret euch redlich, fahret nicht auf das hohe Meer hinaus; wir können unserer Jugend andere echt deutsche Volksbücher in die Hand geben. 1 1 Dörflein haben wir die Jugendpflege organisiert, indem wir zunächst in dem nahegelegenen Holz einen Spielplatz anlegten, ihn allmählich mit Geräten und Bänken ausstatteten und sodann auch Wanderungen mit der Jugend unternahmen, zunächst von Pritzwalk nach Neu⸗

haben auch unseren blühenden Turnverein mitherangezogen, und der Vorsitzende des Turnvereins, ein einfacher Schuhmachergeselle, ist vom Landrat zu den Turnleiterkursen zugezogen worden, was ihm große Freude gemacht hat. Ich danke dem Eisenbahnminister, daß er es ermöglicht hat, der Jugend Fahrten durch die Heimat zu ermöglichen. Aber man sollte die Beschränkung, die in dieser Hinsicht besteht, in bezug auf die Altersgrenze und die Mindestzahl der Teilnehmer, auf⸗ heben. In der Frage der konfessionellen Jugendpflege stehe 8. au dem Standpunkt: Was Gott zusammengefügt hat, soll der Mens

nicht scheiden. Die Schule soll nicht von der Kirche regiert werden, aber Schule und Kirche müssen zusammenarbeiten zum Besten des Staates. In diesem Sinne will ich an einen Spruch erinnern, der an meinem Amtszimmer geschrieben steht und den auch die Sozial⸗ demokralten beherzigen sollten: „Für Kirche und für Staat blüh' und

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gedeihe unsere Saat!“

Die Debatte wird geschlossen. ö 8

Die Positionen für Jugendpflege, Volksbibliotheken, Wohl⸗ tätigkeit, Jugendschriften werden bewilligt.

Es folgt die Besprechung über die Etatspositionen für Kunst und Wissenschaft.

Abg. von Goßler (kons.): Der Etat für Kunst und Wissen⸗ schaft bietet im großen und ganzen ein erfreuliches Bild. Die vor⸗ gesehenen Fonds beweisen, daß Preußen auch nach dieser Richtung seinen Kulkuraufgaben gerecht wird, und daß es nicht so rückständig ist, wie von vielen Seiten behauptet wird. Wir sehen, wie unsere Altertumsforscher unter großen Entbehrungen in der Ferne als Pioniere deutscher Forschung und deutscher Kultur tätig sind. Ich möchte die Gelegenheit nicht vorübergehen lassen, um unseren Forschern an dieser Stelle unseren Dank auszusprechen. Wir stehen heute vor der entscheidungsschweren Stunde, da wir einen Teil unserer Sammlungen nach Dahlem verlegen sollen. Dieser Schritt ist für uns nicht ganz leicht, denn es ist gar nicht zu bezweifeln, daß das Interesse an diesen Sammlungen nicht mehr in dem Maße vorhanden sein wird, als wenn diese Sammlungen in der Hauptstadt konzentriert wären. Wir haben uns aber von der Notwendigkeit überzeugt, daß diese,. Sammlungen vergrößert und wegen Platzmangels nach Dahlem hinausverlegt werden müssen. Deshalb bewilligen wir die erforderlichen Aus⸗ gaben. Einen wesentlichen Fortschritt sehen wir darin, daß die Besuchszeit der Museen um eine halbe Stunde per⸗ längert worden ist. Bei dieser Gelegenheit bitte ich den Minister, den Wunsch der Aufseher nach einer Besserstellung bezw. einer Gleichstellung mit den Aufsehern des Zeughauses zu erfüllen. An der Führung der Abgeordneten durch die Museen haben leider nur sehr wenige teilgenommen, was wohl darauf zurückzuführen ist, daß diese Führung während der Fraktionssitzungen stattgefunden hat. Ich möchte deshalb vorschlagen, daß diese Führungen in Zukunft nicht zurzeit der Fraktionssitzungen stattfinden. Das Kunst⸗ interesse ist in erfreulicher Zunahme begriffen, worüber wir uns mit Recht freuen. Leider kann ich dasselbe nicht behaupten von der Musik. In künstlerischer Hinsicht wird gewiß Hervorragendes geleistet. Das Virtuosentum ist in einer Weise vervollkommnet, wie es kaum noch übertroffen werden kann. Aber leider läßt sich dies nicht sagen in bezug auf die Hausmusik. Die Gründe dafür sind erklärlich. In erster Linie ist daran schuld die Ruhelosigkeit der Zeit, in zweiter Linie die Oberflächlichkeit unseres Lebens, welche die Menschen veranlaßt, sich mehr dem leichten Genre zuzuwenden, drittens die Mangelhaftigkeit des Gesangsunterrichts, viertens die geradezu traurigen Verhältnisse in den unteren Musikinstituten. Ich weise den Minister eindringlich auf die Zustände in unseren Musikinstituten hin, die tatsächlich trostlos sind. Leute ohne jede musikalische Vorbildung gründen musikalische Lehrinstitute, in denen ein möglichst schlechter Unterricht erteilt wird. Es liegt mir eine Anzeige eines Musikkonservatoriums vor, in der versprochen wird, daß die Schüler bis zur künstlerischen Reife in Klavier⸗, Violinspiel, Kompositionslehre usw. ausgebildet werden. Nun sst festgestellt worden, daß der Leiter dieses Kon⸗ servatoriums ein Posaunist ist, während die übrigen Lehr⸗ kräfte sich aus drei jungen Maädchen zusammensetzen, von denen die eine kaum vierzehn Jahre alt ist. Ein anderer Fall ist mir bekannt, wo in einem solchen In⸗ nitut ein 14 jäbriger Junge Unterricht gab für einen Stundenlohn von 30 ₰4. Das Institut wurde schließlich geschlossen, es ist aber unter anderem Namen wieder eröffnet worden. Der Unternehmer hat sogar noch mehrere neue Schulen eingerichtet, hat auch eine Musikzertung und einen Verlag. Das ist der Erfolg des Einschreitens der Polizei. Es ist böchste Zeit für die Regierung, daß sie energisch eingreift. Eine Handhabe bietet dazu eine ent⸗ sprechende Kabineits’rder aus dem Jahre 1834. Der Absicht, diese Frage in Zusommenhang mit dem Reichstheat⸗ rgesetz zu lösen, stehen große Bedenken entgegen. Wir fordern, daß die Aufsicht über

In einem Prignitzer

Da ist uns das Königreich Sachsen mit gutem Beispiel vorangegangen. Hier wird der Titel Musiklehrer erst nach Ablegung einer Prüfung verliehen. Als Vorbedingung wird dort außer dem Unbescholtenbeitszeugnis das Berechtigungszeugnis für den einjährig⸗freiwilligen Dienst und ein zweijähriges Studium auf einem staatlich konzessionierten Konservatorium verlangt. Diese Regelung deckt sich vollkommen mit den Forderungen des Musik⸗ pädagogischen Verbandes. Ich möchte dem Minister auch die sonstigen Forderungen dieses Verbandes, die in einer Petition formuliert sind, warm ans Herz legen. Die Pläne des Verbandes bestehen darin, diß außer den Prüfungskommissionen ein Musterseminar errichtet werden soll. Der Etat sieht im ganzen für die Zwecke der Musikpflege 405 000 vor. Das ist meines Erachtens eine Summe, die der Bedeutung der Musik für unser Volksleben nicht entspricht. Wir follten gerade in der heutigen Zeit des Materialismus mit Mitteln, die gecignet sind, auf das Volk in idealem Sinne einzuwirken, nicht allzusehr sparen.

Abg. Dr. Kaufmann (Gentr.): Wir freuen uns, daß das Kaiser Friedrich⸗Museum Kataloge eingeführt hat, die kurz in die Disziplinen der Kunst einführen, wünschen aber, daß derartige Kataloge auch in anderen Museen Verbreitung finden. Bei der großen Entwicklung Berlins ist es weder möglich, noch aus finanziellen Gesichtspunkten nützlich, die Museen zu zentralisieren. Auch in anderen Städten ist man längst zu dieser Er⸗ kenntnis gekommen. Was die Führung der Abgeordneten durch die Museen betrifft, so müssen auch wir bemängeln, daß diese nicht in der Art erfolgt, wie wir sie wünschen. Erfreulicher⸗ weise haben sich die Wünsche und Hoffnungen, die wir im letzten Jahre an die Bewilligung der Mittel für unsere Museums⸗ bauten geknüpft haben, im großen und ganzen erfüllt. Na⸗ mentlich ist die Entwicklung der Nationalgalerie in erfreu⸗ licher Weise gefördert worden. Wenn wir auch nichts dagegen einzuwenden hbaben, daß in der Nationalgalerie auch Werke ausländischer Künstler vorhanden sind, so wünschen wir doch, daß mit der Anschaffung von Werken unserer deutschen Künstler nicht nachgelassen wird. Besonders bitte ich, daß einzelne künstlerische Schulen, namentlich die Nazarener, mehr berücksichtigt werden mögen. Man hatte damals gegen die Absicht, die Schlachtenbilder aus der Nationalgalerie zu ent⸗ fernen, patriotische Bedenken gehabt. Ich halte diese Bedenken für unbegründet. Die Schlachtenbilder würden sich ebensogut, vielleicht noch besser im Zeughause ausnehmen. Die Porträtsammlung weist all rdings noch viele Lücken auf, aber je mehr sie erkannt werden, desto mehr werden die Lucken aus efüllt werden, denn jeder Besucher wird wünschen, für die Auefüllung der Lücke zu sorgen. Leider sind auch noch manche Parlamentarier dort zu ver⸗ missen. Bei den einzelnen Porträts hat man Daten aus der Lebens⸗ beschreibung hinz gefünt, bei der Köni in Luise hat man ein Sonett, bei Kaiser Wilhbelm I. eine Stelle aus einem Erlaß, bei Bismarck eine Stelle aus eirer Rede, die ihn vortrefflich charakterisiert, hinzugefugt. Die Errichtung eines Mese ms des 20. Jahr⸗ hunderts ist zurzeit allerdings noch Zukunftsmusik, dabet wird aber zu berücksichtigen sein, daß die Werke aus der Zeit bis 1870 der Nationalgalerie reserviert bleiben.

Um 5 ¼ Uhr vertagt das Haus die weitere Beratung des Kultusetats auf Sonnabend, 11 Uhr (außerdem Etat der all⸗ gemeinen Finanzverwaltung; Etatsgesetz).

lehrer gestellt werden.

Statistik und Volkswirtschaft.

1 Die Zentralauskunftsstelle für Auswande rver in Berlin (W. 35, Am Karlsbad 10) hat im ersten Vierteljahr 1913 (vom 1. Januar bis 31. März) in 7202 Fällen kostenfrei Auskunft an Auswanderungslustige erteilt, und zwar in 6061 Fällen schriftliche und in 1141 Fällen mündliche. Beantwortet wurden insgesamt 9869 An⸗ fragen über die verschiedenen Auswanderungsgebiete. Davon be⸗ zogen sich 3688 auf die deutschen Kolonien, und zwar auf Deutsch Südwestafrika 1160, auf Deutsch Ostafrika 766, auf Kamerun 151, auf Togo 65, auf Samoa 132, auf Ktautschou 47, auf Deutsch Neu⸗ guinea 66, auf die afrikanischen Kolonien im allgemeinen 225 usw. Unter den fremden Auswanderungsgebieten steht Argentinien mit 904 Anfragen an der Spitze; dann folgen Canada mit 898, Süd⸗ brasilten mit 884, die Vereinigien Staaten von Amerika mit 590, Miitelbrasilien mit 547, Brasilien im allgemeinen mit 159, Chile mit 134, der Südafrikanische Bund und Niederländisch Indien mit je 87, Mexiko mit 80, die Türkei mit 64, Rußland mit 62, Britisch Indien mit 57, England mit 56, Paraguay mit 45, Aegypten mit 35, Uruguay mit 34, Japan mit 33, Bolivien mit 29, Neuseeland und Oesterreich⸗Ungarn mit je 27, Bulgarien mit 26, Neusüdwales mit 25, Queensland mit 24, Nordbrasilien, Sibirien und Frankreich mit je 22, Victoria mit 21, Columbien mit 20, Peru, Britisch Westafrika und Spanien mit je 17, Belgisch Kongo, Französisch Westafrika und Französisch Indien mit je 16, Guatemala, Spanisch Westafrika und die Schweiz mit je 14, Marokko, Britisch Ostafrika, Südaustralien und Italien mit je 13 und Westindien und Serbien mit je 12. Der Rest verteilt sich auf Costarica, Ecuador, Haiti, Honduras, Kuba, Nicaragua, Panama, Santo Domingo, Venezuela, Zentral⸗ brasilien, Abessinien, Algerten, Liberia, Portu iesisch Ost⸗ und West⸗ afrika, Reunion, Tripolis, Tunis, Cypern, Hongkong, Persien, die Philippinen, Siam, Tasmanien, die Straits Settlements, West⸗ australien, die Fidschi⸗, Gesellschafts⸗ und Sandwich⸗Inseln, Belgien, Neukaledonien, Dänemark, Griechenland, Montenegro, die Nieder⸗ lande, Norwegen, Portugal, Rumänien, Schweden usw.

Von den 3775 Anfragenden, die ihr Alter angaben, waren 438 weniger als 20 Jahre, 2399 20 bis 30, 709 30 bis 40, 197 40 bis 50 und 32 über 50 Jahre alt; und von den 4773 Frage⸗ stellern, die Angaben über ihren Personenstand machten, waren 3513 ledig, 1226 verheiratet und 35 verwitwet.

Nach dem Berufe waren unter den Anfragenden am stärksten die Kaufleute, Handwerker und Landwirte vertreten. Von den An⸗ fragenden bezeichneten sich 221 als mittellos, während mehr als 1300 Angaben über den Besitz von Vermögen machten und jum Teil über erhebliche Summen verfugten, z. B. 100 über 10 000 ℳ, 45 über 15 000 ℳ, 63 über 20 000 ℳ, 22 über 25 000 ℳ, 21 über 30 000 ℳ, 23 über 50 000 ℳ, 10 über 100 000 usw.

Von den Anfragen kamen aus Preußen 4056, und zwar aus der Provinz Brandenburg mit Berlin 1509, aus der Rheinprovinz 569, aus Hannover 289, aus der Provinz Sachsen 280, aus Westfalen 271, aus Schlesien 266, aus Schleswig⸗Holstein 256, aus Ostpreußen 156, aus Hessen⸗Nassau 139, aus Pommern 120, aus Westpreußen 107 und aus Posen 92. An der Spitze der übrigen deutschen Staaten steht das Königreich Bayern mit 654 Anfragen. dann folgen das Königreich Sachsen mit 511, Württemberg mit 448, Hamburg mit 293, Baden mit 211, Elsaß⸗Lothringen mit 106. Hessen mit 88, das Großherzogtum Sachsen mit 37, Bremen mit 36, Braunschweig mit 35, Oldenburg mit 33, Anhalt mit 29. Mecklenburg⸗Schwerin mit 22, Sachsen⸗Meiningen und Sachsen⸗Coburg⸗Gotha mit je 18. Aus den deutschen Kolonien kamen 32 Anfragen, aus dem Auslande 491, davon 216 aus Oesterreich⸗Ungarn, 83, aus Rußland, 33 aus der Schweiz, 28 aus Frankreich, 16 aus England, 13 aus

Konservatorien durch Fachleute ausgeübt wird. Vor allem müssen

Tugend, aber es ist auch den Alten nicht zu gönnen, daß sie mit solchem Schund gefüttert werden. Aus einem’ Liederbuche der Zentralkom⸗

höhere Anforderungen bezüglich der Ausbildung der Musik⸗

Belgien, 12 aus den Vereinigten Staaten von Amerika usw.