sind die inneren Behörden diejenigen, die diese Sachen vermeiden und ein offnes Auge haben müssen. Wir können uns der Sache nur in⸗ foweit annehmen, als es sich um eine Freimachung angeworbener Fremdenlegionäre bei Frankreich handelt. Daß wir den Fällen, die
zu unserer Kenntnis kommen, immer nachgehen, habe ich gestern schon angeführt. Ich habe aber dabei betont, daß leider die franzö⸗ sische Regierung solchen Rektamationen gegenüber, in denen der be⸗ treffende angeworbene junge Mann das 18. Lebensjahr überschritten hat, sich ablehnend verhält. Da können wir trotz unserer nachdrück⸗ lichsten Vorstellungen nichts weiter erreichen.
Abg. Dr. Spahn (Zentr.): Der Abg. Paasche hat in seinen Ausführungen auf die Schanghaier Denkschrift des vorigen Jahres hingewiesen. Das Auswärtige Amt muß sein Streben darauf rich⸗ ten, daß die deutsche Sprache in den chinesischen Schulen nicht zu⸗ gunsten des Englischen zurückgedrängt wird. Auf jeden Fall müssen beide wenigstens gleichberechtigt bleiben. Auch hat sich in betreff der Christen gewordenen ( hinesen eine schlechtere Behandlung seitens der chinesischen Regierung herausgestellt.
Abg. Dr. Dove (ortschr. Volksp.): Bei den Beziehungen der Völker zueinander kommt die wachsende Verflechtung der weltwirt⸗ schaftlichen Interessen in Betracht. Dieses Moment muß deshalb bei der Ausbildung der diplomatischen Beamten wesentlich mit in Betracht kommen. Bei der Auswahl der Befähigtsten kommt es vielleicht weniger auf die Kenntnisse des einzelnen, als vielmehr auf seine ganze Anschauung an. Wir müssen moderne Menschen zu Diplomaten machen. Ueber die Verhältnisse in Ostasien haben wir uns ja seinerzeit bei der Beratung über die Einführung der kleinen Aktien genau ausgesprochen. Daß wir in solchen Dingen zu lange etwas kleinherzig waren, das hat uns anderen Völkern gegenüber etwas in Rückstand gebracht. Das Arbeiten im Auslande galt vielfach als unnationaler Zug. Diese allgemeine Verflechtung ist nun nicht ohne Einfluß auf die Weltpolitik im allgemeinen. In ihr ist ein großes Friedenselement mitenthalten. Man verhandelt solche Probleme immer mehr auf dem Boden der realen Tatsachen. Das führt dazu, daß das Verantwortlichkeitsgefühl der einzelnen Völker ein höheres ge⸗ worden ist. Das hat der Balkankrieg gezeigt. Wenn hier unter den Großmächten kein Krieg ausgebrochen ist, so geschah es deshalb, weil die Leiter der Staaten sich mehr als sonst überlegten, vom Leder zu ziehen. Auch die gegenwärtigen Rüstungen sind nur so zu verstehen, daß sich jeder möglichst stark machen will, um den Frieden erhalten nu können. Wir .e. auch andere Ansätze zu einer allgemeinen Welt⸗ organisation. Ich erinnere an den Weltpostverein, an die Haager Konvention. Alles drängt dazu, den Verkehr von Land zu Land zu erleichtern. Hier muß die Diplomatie ein offenes Auge haben. Unsere Konsularbehörden sollen ja auch den Rechtsverkehr aufrecht erhalten. Deshalb müssen sie auch juristische Kenntnisse haben. Hierfür gilt das Gesetz vom 8. November 1868. Nun sind wir aber in Deutschland von dem alten, darin niedergelegten Standpunkt abgekommen, wonach zu jedem Notariatsakte zwei Zeugen gehören. Es ist deshalb wün⸗ schenswert, dieses Konsulatsgesetz einer Revision 9 unterziehen. Auf dem ostasiatischen Markt haben sich unsere Kaufleute in hervorragendem Maße bewährt. Auch die Förderung des dortigen Schulwesens ist von ihnen in freigiebigster Weise unterstützt worden. Es ist auf die Missionstätigkeit hingewiesen worden. Die englischen und amerikani⸗ schen Missionare haben immer neben dem Jenseits auch das Diesseits ins Auge gefaßt. Sie sind immer sehr praktisch vorgegangen. Vor allem kommt es darauf an, wenn wir den der Kulturnatio⸗ nen bestehen wollen, uns mit modernem Geiste zu erfüllen.
Abg. Dr. Müller⸗Meiningen (fortschr. Volksp.): Ich halte an der sachlichen “ meiner Informationen dem Unter⸗ staatssekretär gegenüber fest; nach der persönlichen Seite ist die An⸗ gelegenheit erledigt. Von dem Sechsmächtesyndikat habe ich hier über⸗ haupt nicht gesprochen; 8 kann aber verraten, daß ich es ursprünglich vorhatte. Daß wir den Botschaftern und Gesandten ihren Erholungs⸗ urlaub nicht gönnten, ist nicht richtig und hier auch von niemand be⸗ hauptet worden. Wie die Herren des Auswärtigen Amtes, nehmen auch wir in Anspruch, an unserm Recht auch zur scharfen Kritik der bestehenden Zustände festzuhalten.
Hierauf wird Vertagung beschlossen.
Der Präsident teilt mit, daß es nach dem Stande der Be⸗ ratungen und, da beabsichtigt sei, spätestens am 3. Mai die Arbeit vor Pfingsten abzubrechen, nötig sein werde, in der nächsten Woche eine oder zwei Dauersitzungen oder eine oder zwei Abendsitzungen abzu⸗
halten.
Schluß 6 ½ Uhr. Nächste Sitzung Mittwoch 1 Uhr. (Fortsetzung der Beratung des Etats des Auswärtigen Amtes, Etat für den Reichskanzler und die Reichskanzlei.)
8
(Bericht von „Wolffs Telegraphischem Bureau“.)
Ueber den Beginn der Sitzung, in der die dritte Beratung des Staatshaushaltsetats für das Rechnungsjahr 1913 stattfindet, ist in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet
worden. Das Haus setzt zunächst die Generaldiskussion fort.
Abg. Leinert (Soz.): Wir sind 1908 in dieses Haus einge⸗ treten mit dem Gefühl, unsern Fuß auf einen heißen Boden zu setzen, aber wir werden und wollen diesen Boden nicht verlassen. Künstliche Hemmungen durch ungerechte Wahlsysteme hat es in allen Ländern gegeben, aber überall hat sich gezeigt, daß damit der Fortschritt auf die Dauer doch nicht aufzuhalten ist. Wir sind da, wir kommen wieder, wir werden sogar stärker, viel stärker wiederkommen, wenn auch nicht gerade nach diesen Wahlen, und damit werden Sie sich abfinden müssen. In den 5 Jahren sind die bürgerlichen Parteien und wir gegen einander immer offen und aufrichtig gewesen; wir passen zusammen mie Wasser und Feuer; und das wird so lange der Fall sein, als die Herrschaft der gegenwärtig privilegierten Klassen im Staate dauert. Es ist nicht zu verwundern, daß die Mehrheit, die aus dem Klassenwahlsystem hervorgegangen ist, kein Verständnis hat für den Kampf des Volkes gegen die Herrschaft der Junker. Wir begreifen un allerdinas Ihre Angst, daß Sie in den letzten fünf Jahren aus Ihrer Ruhe aufgeschreckt worden sind. Sie haben uns als Hetzer und Aufwiegler bezeichnet, Sie haben nicht erkannt, daß wir eine notwendige Erscheinung im politischen Leben der Völker und in der Entwicklung des Staats⸗ und Volkslebens darstellen. Für dieses Dreiklassenparlament wäre ja richtiger die Be⸗ eichnung Einklassenparlament, denn es ist nur die eine sesitzende Klasse vertreten, die ein Interesse an der Aufrechterhaltung der gegenwärtigen Herrschaft hat. Charakteristisch für Ihre Herrschaft ist auch der neue Polizeistreit in Magdeburg und Braunschweig. Dort hat die preußische Polizei wieder eine grenzenlose Blamage erlebt. Die Polizei hat wieder einmal dazu beigetragen, daß das Ansehen des Deutschen Reiches im Ausland herabgesetzt wird. Diese Vorgänge geben Frankreich Gelegenheit, zu sagen, daß die Rede des Reichskanzlers nichts als Heuchelei gewesen ist. Gegen eine solche polizeiliche Praxis müssen wir schärfsten Protest erheben im Interesse des deutschen Volkes; denn es sind unsere I welche die Folgen einer solchen Tölpelhaftigkeit tragen müssen. Braunschweig hat der preußischen Polizei alles nach⸗ geahmt, was diese gegen die Arbeiterklassen unternimmt. Wo sind die Männer unserer Regierung, die zu gleicher Zeit ein Progtamm bedeuten? Wer möchte heute einen unserer Minister vergleichen mit dem Freiherrn vom Stein? Wo sind die Minister mit starkem Willen, die bereit sind, für die Mehrheit des Volkes etwas zu schaffen. Als kürzlich die nationale Gedenkfeier begangen worden ist, da sahen keinen einzigen Minister, der zu dem Volke reden konnte. Sle d
es soll vollendet werden, was Freiberr vom Stein 1813 begonnen hat. Was hat die Immediatkommission, die vor fünf Jahren zur Vereinfachung der Verwaltung ein⸗ gesetzt worden ist, bis heute erreicht? Daß nicht mehr bei den Regierungshauptkassen, sondern bei den Amtsgerichten hinter⸗ legt werden kann, das ist ein Erfolg der fünfiöbrigen Tätigkeit dieser Kommission. Auch das Schreibwerk soll verein acht werden. Das ist ja wichtig und gut, aber das ist es nicht, was dem Volke auf der Seele brennt. Die Demokratisierung der gesamten Staatsverwaltung, die Mitwirkung des Volkes an der Leitung seiner Geschicke, das ist es, was wir fordern. Aber davon will man weder hier noch bei der Regierung etwas wissen. Die Demokratisierung der Staatsver⸗ waltung bedeutet natürlich die Zertrümmerung der Junkerherzschaft. Das will natürlich nicht die Regierung, die in ihrem Kampf gegen das Volk durch dieses Dreiklassenparlament u erstützt wird. Die Regierung ist der konservativen Mehrheit dieses Hauses unterworfen, die Minister müssen parieren und den Willen der Junker erfüllen; sonst müssen sie raus, wie es dem Reichskanzler Bülow ergangen ist. Die Landräte sind ja nichts weiter als konservative Bezirkskommandeure. Preußen ist das Musterland der Ritter und Heiligen. Von Preußen aus wird das ganze deutsche Volk beherrscht, vergewaltigt und unterdrückt. In Preußen ist die Junkerherrschaft unbeeinflußt geblieben von den politischen Ergebnissen, die der Reichstag uns gebracht hat. Im Jahre 1908 zielte jene glorreiche Blockpolitik im Reiche darauf hin, den Aberalismus in die konservative Partei einzugemeinden. Im Abge⸗ ordnetenhause wollte man aber von einer Eingemeindung nichts wissen. Die konservative Partei hat immer mit Nachdruck ihre Macht beiont, die ihr durch das Dreiklassenwahlrecht gegeben worden ist. Eine solche Politik ist aber nur so lange möglich, wie das preußische Volk es sich gefallen läßt. Die konservative Partei hat bei 417 000 Stimmen jetzt 215 Abgeordnete, während wir Sozialdemokraten bei 600 000 Stimmen nur 6 Abgeordnete haben. Nennen Sie eine derartige Zusammensetzung eine Vertretung des preußischen Volkes? Es wäre wirklich eine Anmaßung, wenn man dieses Haus als eine Vertretung der Anschauungen des Volkes bezeichnen wollte. Der preußische Staat ist nichts anderes geworden als eine Futterkrippe für die konservative Partei. Die Rechte es das Steuerzahlen nicht als ihr Metier an. Die Erbschaftssteuer haben Sie (nach rechts) abgelehnt, Sie suchten sie als Leichen⸗ und als Waisensteuer verächtlich zu machen; hier aber haben Sie in der Gewißheit, daß einer Erbschaftssteuer auf die Dauer nicht auszuweichen ist, einer stärkeren Heranziehung des Grund⸗ besitzes durch Abänderung des Ergänzungssteuergesetzes schlau vorgebeugt. Die Heranziehung der Güter nach dem 25 fachen Reinertrag statt nach dem Verkaufswert war ein direktes neues großes Millionengeschenk an die Grundbesitzer. Dem arbeitenden Volke sind alle Lasten auf⸗ gelegt worden, aber die Rittergutsbesitzer werden entlastet. Und die Reichsregiernng folgt gehorsam den Konservativen, denn sie hat die gleiche Ungerechtigkeit in ihre neuen Deckungsvorlagen hineingeschrieben. Die innere Kolonisation ist in ihrem innersten Grunde auch nichts anderes als eine Sanierung verkrachter Gutsbesitzer, die Restgüter werden wieder von waschechten Agrariern besetzt. Die Kosten der Ausführung der neuen Wehrvorlagen werden tatsächlich auch nicht von den besitzenden Klassen getragen, wie man es in die Welt hinaus⸗ posaunt; die Leistung der besitzenden Klassen wiegt federleicht gegen das, was den breiten Massen dadurch an Lasten aufgehalst wird. Dieselben, die heute fortgesetzt von der Konfiskation der Vermögen sprechen, sind auch ständig dabei, dem Volke seine Rechte zu kon⸗ fiszieren. Die preußische Regierung ist nichts als ein Ausschuß der Verwaltungsorganisation zum Schutze der besitzenden Klassen; Polizei, Justiz und Militarismus haben dafür zu sorgen, daß den Besitzenden von ihren Privilegien nichts verloren geht. Wir werden dafür eintreten, daß das Volk einen einheitlichen Willen bekommt, den Willen zur Tat. Dann zerbricht Ihr ganzer Junker⸗ und Polizeistaat, den nur Gewalt und Unrecht zusammenhält. Das Großkapital hat sich mit dem Junkertum verbündet und drückt der Regierung seinen Willen auf, um das Koalitionsrecht der Arbeiter zu vernichten. Der Staat ist heimlich dem Kohlensyndikat beigetreten und hat dadurch zur Verteuerung der Kohlenpreise beigetragen. Handelt einmal der Staat gegen die Interessen des Groß⸗ kapitals, wie beim Schleppmonopol, dann wird er von ihm schlecht, behandelt. Den Arbeitern und Unterbeamten wird das Recht der freien Selbstbestimmung genommen. Trotzdem werden diese Leute am 16. Mai an den Wahltisch befohlen, um im Interesse des Junkertums und des Kapitalismus zu stimmen. Beamte, die ihrer freien Willensmeinung Ausdruck geben und sozialistisch wählen wollen, bezeichnet der Minister ja als Lügner, Heuchler und Einbrecher. So müssen viele Unterbeamte haͤndeln, denen man bei der Besoldungsreform Steine als Brot gegeben hat. Die Erziehungs⸗ beihilfen für die Geistlichen waren natürlich viel nötiger, als daß man den Hunger der Kinder der Unterbeamten stillte. Der Gutsherr von Cadinen, dessen Zivilliste wir erhöht haben, hat selbst zugegeben, daß er damit ein glänzendes Geschäft gemacht hat. Er ist also auch Nutz⸗ nießer der wucherischen Zollpolitik. (Präsident Dr. Graf von Schwerin: Ihre letzten Ausführungen sind unzulässig, ich rufe Sie zur Ordnungl) Die empörende Gesindeordnung besteht noch. Im nächsten Jahre sind 60 Jahre b Fgcagei seitdem das Kontraktbruchgesetz besteht. Dieses gibt der Polizei das? echt, den Arbeiter in die unerträg⸗ liche Frohn zurückzubringen. Alle diese Gesetze sollen noch zuungunsten der Arbeiter verschlechtert werden. Auch die Kinder werden weiterhin in der Landwirtschaft ausgebeutet. Man versagt uns eine Statistik darüber, wahrscheinlich will man der Oeffentlichkeit die grauenvollen Zustände verschweigen. Das Volk leidet unter einer unglaublichen Lebensmittelteuerung. Dazu kommt, daß die jetzige Hochkonjunktur im Schwinden begriffen ist. Trotzdem steht die Regierung diesen wirt⸗ schaftlichen Erscheinungen vollständig sorglos gegenüber. Die 25 Mil⸗ lionen zur Urbarmachung von Mooren und für die innere Kolonisation sind ein Wechsel auf die Zukunft und bringen keine Vermehrung des Schlachtviehes. Auch sie dienen nur den privaten Geldinteressen der Rechten. Die F arbeitet mit aller Energie daran, die sozial⸗ demokratischen Vereine aus der Welt zu schaffen. Im Gesetz steht, daß die Verhandlungen unter freiem Himmel zu genehmigen sind; daraus hat die preußische Polizeipraxis das gerade Gegenteil gemacht. Durch die staatlich unterstützte Jugendbewegung wird man die Sozialdemokratie nicht bekämpfen können; Ihr Bestreben, die Jugend immun zu machen gegen die Empfänglichkeit sozialdemokratischer Ideen, ist ein lächer⸗ liches Beginnen und wird zu keinem Ziele führen. Alle Ihre Macht⸗ mittel, die Sie gegen die Aufklärung der Sozialdemokratie anwenden, sind nichts weiter als stumpfe Waffen. Für Sie (nach rechts) sind die Landtagswahlen nichts anderes als eine politische Kontroll⸗ versammlung. In Belgien entwickelt sich jeßt ein Kampf, der eine ernste Mahnung auch an die preußischen achthaber sein sollte. Sie können die Arbeiter in Kasernen stecken, in Gefängnisse werfen, aber Sie können die Arbeiter nicht zur Arbeit zwingen. Obwohl die „Kreuzzeitung“ geschrieben hat, der Generalstreik in Belgien sei gescheitert, so wird sich doch erweisen, daß die zähe Energie, der feste Wille der belgischen Arbeiter diese voreilige konservative Meinung als eine niederträchtige Lüge entlarvt. Wir begrüßen den belgischen Generalstreik und bringen den belgischen Arbeitern die herzlichnen Glückwünsche zum Gelingen ihres grandiosen Kampfes dar. Sie rühmen immer Ihre Königstreue. Wenn der König einmal gegen Ihren Willen handelt, dann perblaßt die Treue sofort. Sie sind nur königstreu, weil das Königliche Versprechen der preußischen Wahl⸗ reform noch nicht eingelöst ist. Es ist ein uneingelöstes Königswort, ein gebrochenes ersprechen. (Präsident TTö1 Schwerin: Sie haben sich zum zweiten Male eine starke Un⸗ gehörigkeit zuschulden kommen lassen, ich rufe Sie zur Hrdnung!) Die auesbeuterische Klassenherrschaft werden wir umstürzen, weil sie dem Volke die Luft zum Atmen nimmt. Bei den preußischen Landtagswahlen können die Nationalliberalen natürlich bei der ersten und zweiten Klasse der Wähler keine Geschäfte machen, wenn sie nicht die Forderun „Schutz der Arbeitswilligen⸗ ausstellen. Im Reichstage kämpfen sie gegen die Konservativen und im Landtage mit den Konservativen für die Entrechtung der Arbeister. Sie sind eine Umfallspartei, eine Partei der Kraft⸗ losigkeit und Hilflosigkeit. Durch das seinerzeit erfolgte Eingreifen
doch ist gesagt worden:
Abgeordnetenhaus entwürdigt worden.
des Polizeileutnants ist das Wenn man so gegen uns mit Gewalt vorgehen will, werden wir es Wahlkampf mit un⸗
ebenso machen. Wir führen allerdings einen gleichen Waffen, alles ist gegen uns, aber in diesem Kampf wird es heißen: Wehe dem Sieger! Sie kämpfen gegen uns nicht, wie gegen Bürger desselben Volkes, sondern wie Eroberer gegen ein fremdes Volk. Wir werden Sie um Ihre Siege bei den nächsten Wahlen nicht beneiden, wir wollen um alles lieber die Besiegten sein. Wir vertrauen auf uns selbst, auf die Massen, die hinter uns steben, und auf das Rechtsgefühl des Volkes. Sie wissen ja selbst, daß es nicht immer so bleiben wird, wie es jetzt ist. In der Schweiz kämpften einmal die Bauern gegen die Junker in Waffenrüstung, und diese Rüstung erwies sich als zu schwach. So stehen Sie jetzt auch uns gegenüber. Das Volk wird doch Sieger werden über eie Gewaltherrschaft. Dem Unrecht, das Sie im Wahlrechtunrecht erhalten wollen, setzen wir entgegen den Ruf nach dem Recht und wieder dem Recht. .“
Minister des Innern Dr. von Dallwitz:
Meine Herren! Wie mir soeben mitgeteilt worden ist, hat der Herr Vorredner zu Beginn seiner Ausführungen die Ausweisung⸗ eines französischen Genossen aus Magdeburg zur Sprache gebracht und hieran bittere Worte des Tadels gegen das Vorgehen der preußischen Polizeibehörden angeschlossen. Der Fall ist dem Ministerium des Innern noch nicht vorgetragen worden. Ich bin also auf die Zeitungsnachrichten angewiesen. Wenn diese aber zutreffend sind, so nehme ich nicht Anstand, schon heute zu erklären, daß das Vorgehen der Polizeibehörden nicht nur durchaus berechtigt, sondern geradezu selbstverständlich war. (Sehr wahr! rechts — Lachen bei den Sozialdemokraten.) Wenn die Veranstalter der demonstrativen Versammlung, ich will nicht sagen so wenig nationales Empfinden be⸗ saßen — das kann man bei ihnen wahrscheinlich nicht voraus⸗ setzen — (Sehr gut! rechts — Widersproch bei den Sozialdemokraten), aber so wenig Verständnis und Sinn für das naticnale Empfinden anderer, für das nationale Empfinden der großen Mehrheit der Be⸗ völkerung besaßen, daß sie es fertig brachten, einen Ausländer heran⸗ zuholen zur wirksamen Agitation gegen die Wehrvorlage, also gegen eine Maßnahme (Zuruf bei den Sozialdemokraten), die zum Schutz des Vaterlandes gegen ausländische Angrisse bestimmt ist, wenn ferner der so herangezogene Ausländer so wenig Gefühl für die Verpflich⸗ tungen hat, welche die Inanspruchnahme des Gastrechts eines fremden Staates mit sich bringt, daß er sich nicht gescheut hat, mitzuwirken an der Agitation in einer inneren Angelegenheit desjenigen Staates, der ihm sein Gastrecht gewährt, dann, meine Herren, dann war es die höchste Zeit, daß allen Beteiligten einmal mit aller Entschieden⸗ heit klar gemacht wurde, daß auch die deutsche Langmut und Geduld (Lachen bei den Sozialdemokraten) die sprichwörtliche Langmut und Geduld (Sehr richtig! rechts) Ausländern gegenüber Grenzen kennt, die sie nicht überschritten wissen will und die nicht überschritten werden dürfen. (Lebhafter Beifall rechts — Zuruf bei den Sozial⸗ demokraten.)
Meine Herren, ich bedaure, daß ich Ihre in diesem Jahre ohnehin knapp bemessene Zeit noch durch elnige Bemerkungen allgemeiner Art in Anspruch nehmen muß. Aber ich bin hierzu durch die Ausführungen des Herrn Vorredners genötigt, die genau so wie so viele Reden seiner politischen Freunde in diesem hohen Hause und auch im Reichstage lediglich von der Tendenz getragen waren, den preußischen Staat, das preußische Staatswesen im In⸗ und Auslande zu diskreditieren (sehr richtig! rechts — Zurufe bei den Sozial⸗ demokraten) und seinen eigenen Angehörigen dadurch zu verleiden, daß der Anschein erweckt werden sollte, als ob der preußische Staats⸗ organismus, die gesamte Verwaltung und Gesetzgebung einseitig und ausschließlich beeinflußt, beherrscht und durchsetzt sei vom Großkapital und vom Großunternehmertum zum Nachteil und zuungunsten der minderbemittelten Schichten und namentlich der Arbeiter⸗ schaft. Einen anderen Zweck konnte es nicht haben, wenn die Herren Abgg. Ströbel, Liebknecht usw. in neuester Zeit immer wieder mit größter Emphase das zu Recht bestehende Drei⸗ klassenwahlrecht als Geldsackswahlrecht bezeichneten. (Abg. Hoffmann: Zu Recht? Mittels Verfassungsbruchs! — Rufe rechts: Ruhe!) Einen anderen Zweck konnte es nicht haben, wenn der Herr Abg.⸗ Liebknecht kürzlich im Reichstage von den „schamlosen politischen Zu⸗ ständen in Preußen“ gesprochen hat (Abg. Hoffmann! Sehr richtig!), wenn der Herr Abg. Südekum von der „hinterlistigen Beeinträchti⸗ gung der Rechte der Minderbemittelten“ in Preußen gesprochen hat (sehr richtig! bei den Sozialdemokraten), wenn der Herr Abg. Ströbel endlich in der zweiten Lesung sogar den Versuch gemacht hat, die preußischen Beamten, insbesondere aber die Landräte als Vertrauensmänner, ja gewissermaßen als Agenten des Groß⸗ kapitals und des Unternehmertums zu stigmatisieren. (Rufe bei den Nationalliberalen: Großgrundbesitz!) Die Haltlosig⸗ keit solcher Behauptungen, Unterstellungen und Verzerrungen ergibt sich schon aus der Tatsache, daß die Regelung der Arbeitsver⸗ hältnisse und der damit zusammenhängenden Fragen auch für Preußen in der Hauptsache nicht Sache der Landesgesetzgebung ist, sondern im Wege der Reichsgesetzgebung erfolgt (Abg. Leinert: Aber die Durch⸗ führung!), auf die jeder Arbeiter auch in Preußen bei den Wahlen genau denselben Einfluß auszuüben in der Lage ist, wie sein Arbeit⸗ geber oder jeder andere Unternehmer (Abg. Hirsch (Berlin): Unter dem Dreiklassenwahlsystem?) bei der Reichsgesetzgebung⸗ welche auch für Preußen die Verhältnisse der Arbeiter zu regeln hat. (Wieder⸗ holte Zurufe bei den Sozialdemokraten. — Glocke des Präsidenten.) Das Reich hat aber in den letzten Jahrzehnten mit Zustimmung und
vielfach auch auf Veranlassung der preußischen Staatsregierung mehr für die Besserung der Arbeiterverhältnisse geleistet als irgend ein anderer Staat der Welt (sehr richtig! rechts — Lachen bei den Sozialdemokraten), und auch die preußische Gesetzgebung hat die auf die Besserung der Arbeiterverhältnisse gerichteten Bestrebungen des Reichs selbstverständlich jederzeit unterstützt und ergänzt, indem sie innerhalb der ihr eng gezogenen Grenzen stets mit dem Reiche Hand in Hand gegangen ist in der Wahrnehmung und Förderung der Inter⸗ essen der minderbemittelten Schichten der Bevölkerung (Lachen bei den Sozialdemokraten) durch immer weitere Ausgestaltung des Schul⸗ wesens, des Fortbildungswesens, durch Herabsetzung und Beseitigung der Schulgelder, durch steuerliche Begünstigung der Minderbemittelten und namentlich der kinderreichen Zensiten und durch zahlreiche sonstige Maßnahmen sozialer Natur. (Sehr - Leinert⸗ Die können Sie nicht aufführen!)
“
lage.)
11X“
No. 90. b.
(Schluß aus der Ersten Beilage.)
Wenn trotz alledem die Herren Sozialdemokraten sich darin ge⸗ fallen, immer wieder die sattsam bekannten und reichlich verblaßten Schlagworte und Wendungen von der Entrechtung und Rechtlosigkeit, von der Ausbeutung und Verelendung der breiten Massen in Preußen hier vorzubringen, so drängt sich doch geradezu die Frage auf: Ja, meine Herren, wie kommt es denn, daß, wenn tatsächlich so ver⸗ rottete und ungeheuerliche Zustände in Preußen obwalten, wie die Herren Sozialdemokraten uns glauben zu machen versuchen, — wie kommt es denn, daß dann unsere einheimische Arbeiterschaft mit ver⸗ schwindenden Ausnahmen dauernd im Inlande verbleibt, daß (Lachen bei den Sozialdemokraten — sehr richtig! rechts) die Aus⸗ wanderung speziell in Preußen bis auf den Nullpunkt herabgesunken ist (wiederholte Zustimmung rechts), während noch vor nicht zu langer Zeit, vor der Durchführung unserer Wirtschafts⸗ und Sozialpolitik alljährlich ein nicht unerheblicher Bruchteil der werktätigen Bevölkerung aus Preußen zum Wanderstabe zu greifen und in ferne Länder abzu⸗ wandern pflegte, um Arbeitsgelegenheit und lohnenden Veedienst zu finden oder wenigstens zu suchen? Ja, wie kommt es denn, daß, gerade umgekehrt, jetzt alljährlich ausländische Arbeiter in Scharen zu uns hereinströmen, hier zu bleiben und sich einzubürgern versuchen? Warum kommen denn alle die Russen, Polen, Oesterreicher und auf der anderen Seite Italiener, Belgier, Holländer alljährlich in großer Zahl zu uns und betrachten es als ein erstrebens⸗ wertes Ziel, das preußische Staatsbürgerrecht zu erlangen? (Sehr richtig! rechts.) Etwa um, wie man das nach den Ausführungen der sozialdemokratischen Redner annehmen müßte, sich hier von hart⸗ herzigen und habgierigen Arbeitgebern ausbeuten und knechten zu lassen? (Sehr gut! rechts.) Oder etwa deshalb, weil, wie dies der Herr Abg. Liehknecht bei der zweiten Lesung so beweglich zu schildern gewußt hat, die ausländischen Arbeiter hier der Willkür und den Schikanen brutaler Polizeiagenten und verknöcherter Bureaukraten schutz⸗ und wehrlos preisgegeben sind? (Sehr wahr! bei den Sozial⸗ demokraten.) Nein, meine Herren, sie kommen zu uns, weil sie bei uns in unserem von in⸗ und ausländischen Genossen so viel angefochtenen preußischen Vaterlande bessere Arbeits⸗ und Lebens⸗ bedingungen finden als in ihrer Heimat. (Sehr richtig! rechts.) Sie kommen zu uns, weil unsere vielgeschmähten Arbeitgeber in Stadt und Land in der Regel bemüht sind, nach Kräften für ihre Arbeiter zu sorgen (sehr wahr! rechts, Lachen bei den Sozialdemo⸗ kraten), und weil unsere Gesetze, unsere Behörden den Arbeitern Schutz und Rückhalt gewähren, soweit dies mit den Interessen der Gesamtheit vereinbar ist, und jedenfalls in weit höherem Maße, als dies in manchen anderen Ländern geschieht, auch reichere und republi⸗ kanisch regierte Staaten mit inbegriffen. (Bravo! rechts. Lachen bei den Sozialdemokraten.)
Wenn der Herr Abg. Ströbel in der zweiten Lesung sich sogar dazu verstiegen hat, die Sache so darzustellen, als ob die Sozial⸗ demokratie in Preußen im einseitig parteiischen Interesse des Groß⸗ kapitals und des Großunternehmertums von der Staatsregierung und den Behörden bekämpft werde, so ist das eine Unterstellung, die durch unsere gesamte Verwaltungspraxis und Gesetzgebung toto die derart ad absurdum geführt wird, daß es sich kaum lohnt, hierüber noch ein Wort zu verlieren. (Sehr richtig! rechts.) Nein, Herr Abg. Ströbel, nicht um die Großkapitalisten zu be⸗ günstigen oder um das Unternehmertum zu fördern, wird die Sozial⸗ demokratie in Preußen von der Staatsregierung bekämpft, sondern deshalb, weil die Staatsregierung in erster Linie berufen und ver⸗ pflichtet ist, die zu Recht bestehende Staats⸗ und Gesellschaftsordnung gegen den Ansturm der Sozialdemokratie zu schützen und zu verteidigen. (Sehr richtig! rechts. — Zuruf bei den Sozialdemokraten: Mit welchen Mitteln?) Daß die Sozialdemokratie die bestehende Staats⸗ und Gesellschaftsordnung zu untergraben und letzten Endes zu stürzen be⸗ strebt ist, das wird von ihr ja selbst schon längst nicht mehr bestritten, das haben mit aller Deutlichkeit beispielsweise allein schon die Verhandlungen auf dem Magdeburger Parteitag dargetan, wo der leitende Mann der Soztialdemokratie, Herr Abg. Bebel, unter dem tosenden Beifall aller Delegierten erklärte, daß die Sozialdemokratie den preußischen Staat in ihre Gewalt zwingen wolle und werde, wenn es auch nicht nur Arbeit, Mühe und Schweiß, sondern noch weit mehr kosten sollte. (Sehr wahr! rechts.) Herr Abg. Noske hat ja alsbald diese Worte noch unterstrichen und ergänzt durch die Wendung:
Dem Bekenntnis des Kaisers zum Gottesgnadentum setzen wir ent⸗
gegen die Forderung der Republik. (Sehr gut! rechts.) Gerade darum, meine Herren, bekämpfen wir die Sozialdemokratie, weil sie die geschichtlich und rechtlich begründete monarchische Spitze in Preußen und im Deutschen Reich, der allein die Macht und die Kraft innewohnt, das Reich im Innern zu festigen und nach außen zu schützen, beseitigen und ersetzen will durch eine kommunistische Republik. Wir bekämpfen die Sozialdemokratie, weil eine solche Republik alle zentrifrugalen Kräfte entfesseln und den Zerfall des Reiches zur Folge haben müßte. (Abg. Hoffmann: Das sagen Sie!) Wir bekämpfen die Sozialdemokratie, weil sie unsere bewährte Heeresorganisation beseitigen und an deren Stelle ein schwächliches Milizsystem setzen will (sehr richtig! rechts — Abg. Hoffmann: Das sagen Sie!), und weil die Ersetzung unserer ruhmreichen Armee durch mangelhaft geschulte und schlecht dilziplinterte Milizen unser Vaterland den Zu⸗ und Angriffen des waffenkräftigen Auslandes schutz⸗ und wehrlos preisgeben würde. (Sehr richtig! rechts — Abg. Hoffmann: Das behaupten Sie!) Und, meine Herren, wenn die Sozialdemokraten jetzt zur Verwirklichung üibrer verderblichen und verwerflichen Zukunftspläne nach dem Bebel⸗ schen Rezept sich anschicken, den Hebel in Preußen anzusetzen und zu diesem Zweck den preußischen Staat durch Einführung des Reichstags⸗ wahlrechts oder womöͤglich eines noch radikaleren Wahlrechts sich gefügig zu machen, so ist es die Pflicht und die Schuldigkeit der Staatsr .
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nzutreten und alle patriotischen und
Zweite Beilag
Berlin, Mittwoch, den 16. April
nationalen Kreise auf die hierin enthaltenen Gefahren aufmerksam zu machen. (Bravo! rechts. — Abg. Leinert: Das werden Sie bei den Wahlen schon ausüben! — Abg. Hirsch (Berlin): Wahlrede des Mi⸗ nisters!)
Meine Herren, wenn nun auch auf bürgerlicher Seite die Ein⸗ führung des Reichstagswahlrechts für die Landtagswahlen be⸗ fürwortet und dieses Verlangen damit begründet worden ist, daß ein abgestuftes Wahlrecht beim Landtage mit dem gleichen Wahl⸗ recht beim Reichstage nicht vereinbar sei, so steht doch dem entgegen, daß die beiden Wahlrechte länger als 40 Jahre neben⸗ einander bestanden haben, ohne daß die gedeihliche Entwicklung des Reiches oder des preußischen Staates darunter irgendwie gelitten hätte. (Sehr gut! rechts.) Es wird aber ferner stets über⸗ sehen — ich will nicht sagen: geflissentlich verschwiegen —, daß nicht nur die Wahlrechte verschieden sind, sondern auch die Aufgaben und die Zuständigkeit der beiden Korporationen, daß der Reichstag ver⸗ fassungsmäßig zu beschließen hat in den allen Deutschen gemeinsamen großen nationalen, wirtschaftlichen und sozialen Fragen, der Landtag aber über räumlich und sachlich weit enger begrenzte Materien, ins⸗ besondere aber auch über Fragen von überwiegend ethisch⸗kultureller Bedeutung. (Sehr richtig! rechts.) Gerade diese Verteilung der Zuständigkeit und diese Verschiedenheit der Aufgaben läßt recht deutlich erkennen, wie unzutreffend und unwahrhaftig das Schlagwort von der Entrechtung der Massen in Preußen ist. Denn es ergiebt sich, daß jeder Preuße genau so wie der Sachse, Bayer, Württemberger in den alle Schichten der Bevölkerung gleichmäßig berührenden wirtschaftlichen, sozialen und nationalen Fragen jetzt schon das gleiche Wahlrecht besitzt. Ich erinnere nur beispielsweise an die Regelung der Wehrpflicht, an Armee und Marine, an die Recht⸗ sprechung (Abg. Leinert: Zuchthausgesetz!), das Straf⸗ und Zivil⸗ recht, die Prozeßordnungen, an die Zölle und indirekten Steuern ein⸗ schließlich der Konsumabgaben, an das ungeheure Gebiet der sozialen Gesetzgebung, die Gewerbeordnung, die Arbeiterversicherungs⸗ und Arbeiterschutzgesetze. Bei allen diesen Fragen ist schon jetzt jeder Preuße, der ungelernte Arbeiter genau im gleichen Umfange wie der größte Unternehmer und der größte Finanzmann in der Lage, bei den Wahlen den gleichen Einfluß auszuüben. (Abg. Leinert: Das ist doch nicht mehr als billig!) Wenn aber jeder Preuße in allen diesen Dingen, die gerade die Interessensphäre auch der minderbemittelten Schichten vorzugsweise berühren, ein weitergehendes, mindestens gleich freiheitliches Wahlrecht besitzt wie die Angehörigen irgend eines anderen Kulturstaates, dann kann es doch tatsächlich nicht als unbillig erachtet werden, wenn in den dem Landtage vorbehaltenen Sachen, ins⸗ besondere also den Angelegenheiten der Kirchen und Schulen, dem Unterrichtswesen, den direkten Steuern und der inneren Verwaltung ein der wirtschaftlichen und kulturellen Gliederung der Bevölkerung mehr entsprechendes abgestuftes Wahlrecht vorgesehen ist. (Sehr richtig! rechts.) Jedenfalls aber ist das ein zwingendes Gebot politischer Notwendigkeit, weil Preußen als der führende Bundesstaat im Reiche in erster Reihe die Verantwortung für die Geschicke des Reichs trägt und darum verpflichtet ist, dasjenige Maß von innerer Festigkeit und Widerstandsfähigkeit gegen innere und äußere Geahren
sich zu wahren, deren auch das Reich für seinen Fortbestand, für seine
Machtstellung nach außen und für seine gedeihliche innere Entwicklung auf die Dauer gar nicht entraten kann. (Beifall rechts.) Nach alledem, meine Herren, kann die Einführung des Reichstagswahlrechts für den preußischen Landtag nicht in Frage kommen (sehr richtig! rechts — hört, hört! links), schon aus den vom Fürsten Bülow im Jahre 1908 dargelegten Gründen, insbesondere aber deshalb, weil dies eine Schwächung der Grundlagen bedeuten würde, welche den preußischen Staat — wie dies der Herr Abg. Bebel mehrfach anerkannt hat — zu dem festen Bollwerk gemacht haben, an dem die Wellen des Um⸗ sturzes sich brechen. (Lebhafter Beifall rechts. — Zischen auf der äußersten Linken. — Erneuter lebhafter Belfall und erneutes Zischen.)
Abg. Freiherr von Zedlitz und Neukirch (freikons.): Die Ausführungen des Ministers des Innern, die das Haus mit anhalten⸗ dem Beifall begleitet hat, gestatten mir, über die Ausführungen des Abg. Leinert im wesentlichen hinwegzugehen. Von alledem, was der Abg. Leinert hier ausgesprochen hat, ist für einen vernünstigen Menschen nichts übrig geblieben. Namens meiner Freunde erkläre ich, daß wir auch in der Magdeburger Angelegenheit der Auffassung des Ministers beitreten. Die Ausführungen des Abg. Leinert geben mir zu beson⸗ deren Bemerkungen nicht weiter Anlaß. Ich will nur noch erklären, daß wir in Uebereinstimmung mit der Auffassung des Ministers der Meinung sind, daß der preußische Staat als einziges und sicheres Abwehrmittel, als fester Hort gegen alle sozialdemokratischen und verwandten Bestrebungen in seiner Eigenart fest erhalten werden muß. Dazu gehört auch das preußische Wahlrecht in seinen jetzigen Grund⸗ zügen. Das ist die Pflicht Preußens im Interesse seiner Selbster⸗ haltung, das ist auch eine Pflicht gegen das Deutsche Reich. Wir verlangen, daß Preußen dieser Pflicht im vollen Umfange gerecht wird.
Die Abgg. Dr. von Kries (kons.) und Herold (Gentr.) ver⸗ zichten auf das Wort. 1b
Abg. Dr. Friedberg (nl.): Auch wir sind mit dem Minister der Auffassung, daß es Pflicht der Regierung ist, solche lästigen Aus⸗ länder auezuweisen. Bei aller Hochachtung vor dem Gastrecht kann keine Rede davon sein, daß wir solche Demonstrationen zulassen, die geeignet sind, Bestrebungen zu unterstützen, die darauf ausgehen, in ernster Zeit unser Vaterland wehrlos zu machen. Drehen Sie doch die Sache einmal um; wenn Sie nach Frankreich gehen und dort unfer solchen Umständen das Volk aufwiegeln würden, dann würden Sie sehen, daß Sie sehr bald über die Grenze befördert werden würden. Da der Minister auf die Frage des Wahlrechts eingegangen ist, will ich in aller Kürze einmal unseren Standpunkt klarlegen. ir halten die Reform des Wahlrechts für eine der zwingendsten Auf⸗ gaben der Regierung. Es ist notwendig, daß die Einzelstaaten ein gewisses Gegengewicht gegenüber dem radikalen Reichstagswahlrecht erhalten. Die Reform des Wahlrechts muß bald vor sich gehen, damit das gegenwärtige Wahlrecht von seinen Fehlern befreit wird. Es ist daher ein großer Fehler der konservativen Partei, daß sie sich dieser Reform widersetzt, es müßte gerade Aufgabe der Konservativen 9 das Wahlrecht so zu gestalten, daß es auch für die Dauer bei⸗ ehalten werden kann. Sie legen immer Wert darauf, daß besonders der Mittelstand gefördert wird. Wenn Sie aber das ernstlich wollen, dann müssen Sie das Wahlrecht so gestalten, daß der Mittelstand damit arbeiten kann. Aber das Gegenteil ist der Fall. Der Mittelstand leidet unter dem Terrorismus der Konservativen und noch mehr unter
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dem Terrorismus von unten. Solange Sie die öffentliche Wahl aufrechterhalten, kann der Mittelstand niemals zur Befriedigung gelangen. Die konservative Partei muß ihre Haltung endlich einmal aufgeben. Gerade nach den Gesichtspunkten des Ministers ist es not⸗ wendig, möglichst bald zu einer Reform des Wahlrechts zu gelangen. Deshalb begreife ich auch nicht die Stellung der Regierung. Sie hat eine Wahlnovelle vorgelegt, die schließlich bei der divergierenden Meinung des Hauses nicht zur Verabschiedung gelangen konnte. Daraus aber den Schluß zu ziehen, daß die Regierung erst dann zu einer neuen Vorlage Veranlassung habe, wenn sich die Auffassung des Hauses geklärt hat, das halte ich für eine große Schwäche. Wenn aber die Reform des Wahlrechts als eine der zwingendsten Aufgaben der Regierung erachtet wird, dann hat sie auch die Pflicht, mit der Anregung zu Reformen immer wieder zu kommen und dafür zu sorgen, daß sie sich diejenigen Majoritäten im Hause schafft, die sie notwendig hat. Wenn sie dies nicht tut, dann beweist sie eine Schwäche, die nicht geeignet ist, im Lande die Vorstellung hervor zurufen, daß wir eine besonders tatkräftige Regierung haben. Die Rede, die der Abg. Leinert gehalten hat, war durchsetzt mit alten Ladenhütern, so daß es Zeitverschwendung wäre, bei der jetzigen Geschäftslage des Hauses näher darauf einzugehen. Der Minister des Innern hat geglaubt, daß der Abg. Leinert sich immer darüber beklagt habe, daß die Sozialdemokratie von seiten der Beamten im Interesse des Großkapitalismus und der Großindustrie unterdrückt werde. Die Ausführungen des Abg. Leinert gingen weiter. Er hat auch das Großgrundbesitzertum im Auge gehabt und eine Schlußfolgerung daran geknüpft, die ich nicht so ganz von der Hand weisen kann. Es sind manche Anhaltspunkte vorhanden, daß unsere Staatsbehörden auch bei den nächsten Wahlen sich gewisse Begünsti⸗ gungen zuschulden kommen lassen. Der Abg Leinert ist ein gutes Beispiel dafür, wie sehr die Sozialdemokratie in mancher Beziehung herunter⸗ gekommen ist, ich meine in wissenschaftlicher Beziehung, seitdem die großen Führer des Sozialismus nicht mehr an der Spitze ders elben stehen. Einen derartigen Unsinn über die Bedeutung des Kapitals auszusprechen, wie es der Abg. Leinert getan hat, ist beispielsweise damals niemals eingetreten. Karl Marx hat stets die Notwendigkeit des Kapitals betont. Er hat niemals davon gesprochen, daß der Kapitalismus im Unrecht und die Arbeiterschaft im Recht sei. Er hat die bestehende Wirt⸗ schaft aufgefaßt als Produkt einer ganz bestimmten Entwicklung und gesagt, daß man in wirtschaftlichen Fragen überhaupt jedes moralische Element beiseite lassen müsse. Wenn der Abg. Leinert
nd. Arbeiterschaft nicht be⸗ friedigen, dazu benutzt, um auszusprechen, die Arbeiter werden unter⸗ drückt und geknechtet, so sind das nichts als lauter Phrasen. Wenn der Abg. Leinert hier heute behauptet, daß seine Partei die einzige sei, die im Interesse der Freiheit einen wirklich ernsten Kampf führe, wenn er den alten Witz hervorholt, daß die national⸗ liberale Partei eine Umfallpartei sei (Zwischenruf des Abg. Hoffmann: „Weil Sie immer so geblieben sind!“) . Auf Sie, Abg. Hoffmann, trifft auch das Wort zu: Welch edler
witz, aber jetzt ist er völlig ausgelaugt. — Das ist das krasseste Bei⸗ spiel für die Art der Verhetzung der Sozialbemokratie. Sie könner sich nicht darüber wundern, daß diese Art der Agitation einen Gegendru erzeugt, und daß in weiten Kreisen unseres Volkes der Wunsch lau wird, diese Art der Agitation mit Zwangsmaßregeln zu bekämpfen Ich bedaure das, denn ich bin mir bewußt, daß errungene Freiheit bekämpft wird. si Freiheit, sondern Schrittmacher der Reaktion⸗
Deutschland wird mit der Zeit begreifen, daß wahren Führer sind, die den Krieg predigen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die Hetzapostel sind den Uaternehmern und Arbeitern, sondern diejenigen, die einen gerechten Ausgleich zwischen den Interessen der Arbeitgeber und der Arbeiter wünschen.
Vizepräsident Dr Porsch: Der Abg. Dr. Friedberg hat den Ausdruck „Unsinn und Verhetzung“ in bezug auf einen Abgeordneten gebraucht. Ich bitte, nicht solche scharfen Ausdrücke zu gebrauchen.
Abg. Lippmann (fortschr Volksp.): Der Abg. Friedberg hat recht gehabt, als er darauf hinwies, wie inhaltslos und übertrieben alle Darlegungen der Sozialdemokraten dieses Hauses seien. Trotzdem gelingt es diesen Uebertretbungen, Millionen von Leuten im Lande die Ueberzeugung beizubringen, daß sie ausgesogen werden, daß unsere Zustände dicht vor der Revolution stehen usw. Woher kommt dies? Diese Uebertreibungen würden keinen Boden in unserem vernünftigen Volk fassen, wenn das bestehende Dreiklassenwahlrecht beseitigt würde. Der Minister meint, dieses der kulturellen Entwicklung gemäß ab⸗ Seah Wahlrecht soll aufrecht erhalten werden. Es ist un⸗ egreiflich, daß man ein Wahlrecht verteidigt, das die seit 1860 Vaterlandes einfach ignoriert. Hat doch selbst die Thronrede anerkannt, daß die wirtschaftlichen Verhältnisse eine Entwicklung erfahren haben, die eine Reform des Wahlrechts als eine wichtige Aufgabe der Gegenwart erscheinen läßt. Sie könnten nichts Besseres tun, wenn Sie die Sozialdemokratie be⸗ kämpfen wollen, als daß Sie endlich der kultureleen Entwicklung der Menschheit Rechnung tragen dadurch, daß Sie das Dreiklassenwahl⸗ recht abschaffen. Das Ideal, das wir verfechten, tragung des Reichstagswahlrechtes auf Preußen. Aber wir sind auch mit weniger zufrieben. Das bewelsen die dahhals von uns ein⸗ gebrachten Anträge, sie fordern, daß wenigstens die Oeffentlichkeit ausgeschlossen und daß die direkte Wahl eing eführt wird. Aber damals machten Sie ja die Annahme unserer Anträge unmög lich. Die Regierung hat ja gemäß dem Versprechen der Krone eine Vor⸗ lage über Aenderung des Wahlrechtes eingebracht. Aber als sie zu Fall gebracht wurde, erklärte sie, jetz Parteien untereinander einig sind. Macht man so Reformen, daß man den Nutznießern des Wahlrechts die Aenderung desselben über⸗ läßt? Muß die Regierung nicht gerade gegen diese Majorität vor⸗ gehen? Unterschätzen Sie doch die Gefahr der Soztaldemokratie nicht. Gegen sie wird man nur mit Erfolg vorgehen können, wenn man jedem Staatsbürger gegenüber Gerechtigkeit übt. Der Staatsbürger muß das Bewußtsein habe n, daß er ein freier Mann im freien Staate ist. Der Abg. Leinert hat den Sieg der konservativen Partei bei den nächsten Landtagswahlen prophezeit. Diese Prophezeiung ist furchtbar leicht, denn die Herren von der Sozialdemokratie hab en diesen Sieg vorbereitet.
Abg. Ströbel (Soz.): Man sollte es für unmöglich halten, daß ein Freisinniger ein solches Urteil über unsere Reden hält, wie es der Abg. Lppmann getan hat. Statt den Kampf gegen die rechtsfeinde und gegen die Reaktion zu führen, wendet sich Herr Lippmann gegen die Sozialdemokraten. Wenn man sich vornimmt, freisinnige Polttik zu vertreten, dann sollte man auch danach handeln und nicht mit den Nationalliberalen Hand in Hand gehen. Der deutsche Liberalismus steht am tiefsten von allen liberalen Parteien der Welt. Das Zentrum will nur das geheime und direkte Wahlrecht, aber dafür sind wir nicht zu haben. Der Abgeordnete Friedberg hat einen guten Witz gemacht, als er von der freiheitlichen Entwicklung des deutschen Volkes sprach. Das
nicht diejenigen ihr
eingesetzte Entwicklung unseres
scheinen es nicht ernst zu nehmen. Sie glauben dem Volke alles bieten zu können, jeden Hohn und jeden Spott. Das Volk wird
aber bei den bevorstehenden Wahlen die Antwort darauf geben. Das
Wahlrecht des Abgeordneten Friedberg besteht darin, daß die besitzende
Königswort ist im Jahre 1908 gegehen worden, aber die Minister 1
den Umstand, daß die gegenwärtigen wirtschaftlichen Verhältnisse ihn 1 und seine Freunde bezw. einen Teil der
Geist ist hier zerstört, eh'mals hatten Sie noch einen guten Mutter⸗
damit die mühsam Sie sind nicht Vorkämpfer der Die Bevölkerung in
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jetzt werde sie abwarten, bis die
Wahl⸗-