8 zumal wenn sie selber nicht wollen, und zumal nicht in einem Zeit⸗ 8 alter der Dezentralisation, in dem wir uns doch mal befinden. Die Alrrondierung oder Grenzregulierung, wie die Herren das genannt haben, zur Beseitigung des bestehenden kommunalen Widerstreits ist an sich durchaus nicht ausgeschlossen. Es schweben augenblicklich noch — ich glaube, an mehreren Stellen; erinnerlich ist mir Plötzensee — Verhandlungen über Grenzregulierungen von kleinerem Umfange zwischen Berlin und anderen Orten. Das ist auch der Fall gewesen; es sind Teile von Plötzensee Berlin zugeschlagen worden. Im allgemeinen aber ist seitens der beteiligten Kommunen, insbesondere der Kommunalverbände, der Kreise und der Provinzen daran festgehalten worden, daß, nachdem sie ihre Einrich⸗ tungen auf ihren derzeitigen Besitz aufgebaut haben, sie der Aus⸗ scheidung einzelner leistungsfähiger Gemeinden aus ihrem Bezirk nicht zustimmen können (Abg. Hammer: Sehr richtig!), und daß sie des⸗ wegen dagegen prinzipiell Widerspruch erheben müßten.
Meine Herren, die Frage ist in dem vorliegenden Falle bisher an die Staatsregierung noch nicht herangetreten. Aber ich glaube doch, die Stimmung auch in diesem hohen Hause zur Genüge zu kennen, um annehmen zu können, daß die Absicht, einzelne besonders günstig gelegene Gemeinden nun aus ihrem bisherigen Verbande herauszuholen und sie der Stadtgemeinde Berlin anzugliedern, in diesem hohen Hause voraussichtlich nicht gebilligt werden würde. (Abg. Hammer: Sehr richtig!) Ich glaube daher, daß diese Bestrebungen mindestens unzeit⸗ gemäß waren oder sind und zu einem Ziel nicht würden führen können.
Wie aber hieraus eine Beschränkung der Selbst⸗ verwaltung gefolgert werden kann, ist mir nicht ganz ver⸗ ständlich. (Abg. Cassel: Der Gemeinde Berlin!) Meine Herren, ich glaube, auch die Vertreter der Stadt Berlin werden nicht bestreiten können, daß in allen Fragen der Selbst⸗ verwaltung, in allen Fällen, in denen es sich um Genehmigung von Statuten handelte, von Steuerordnungen, von Anleihen und anderen Dingen, in denen die Selbstverwaltung beruht, die Aufsichtsbehörden der Stadt Berlin gegenüber jederzeit das peinlichste Entgegenkommen beobachtet haben, daß jederzeit vermieden worden ist, nach dieser Richtung hin irgendwie den Eindruck hervorzurufen, als ob man die Stadt Berlin in ihrer Selbstverwaltung be⸗ schränken oder bevormunden wollte. Aber, meine Herren, es ist doch kein verbrieftes Recht der Selbstverwaltung, daß man sich auf Kosten anderer ausdehnt (sehr gut! rechts und Heiterkeit), daß Gemeinden, die einem anderen Verbande angehören, aus dem Ver⸗ bande losgelöst werden sollen, um unter den räumlichen Herrschafts⸗ bereich des Berliner Magistrats gestellt zu werden. (Abg. Fischbeck Die Gemeinde will es doch!) — Das ist doch keine Selbstverwaltung der Stadt Berlin, die dadurch beschränkt wird (Abg. Fischbeck: Aber von Treptow!), wenn man ihr nicht zustimmt und ihr nicht die Möglich⸗ keit gibt, sich auf Kosten der Provinz und des Kreises zu vergrößern. (Abg. Cassel: Die Gemeinde Berlin wird verletzt!) Ich glaube, wir werden uns darüber nicht einig; ich vermag in diesen Dingen in der Tat eine Beschränkung der Selbstverwaltung nicht zu erblicken.
Meine Herren, wenn nun Herr Abg. Cassel auf den Zweck⸗ verband zu sprechen gekommen ist und die Auffassung vertreten hat, daß der Zweckverband, wenn die Stadt Berlin ihre Mitarbeit ver⸗ sagt, seine Zwecke nicht würde erfüllen können, so steht das einiger⸗ maßen in Widerspruch zu den Erklärungen, die die Vertreter der Stadt Berlin bei den Beratungen über den Zweckverband abgegeben haben. Sie haben erklärt, daß ihnen der Zweckverband in der vom Landtage beschlossenen Gestalt nicht durchweg sympathisch sei, sie wollten eine stärkere Vertretung der Stadtgemeinde in der vertretenden Körperschaft erlangen; aber sie haben ausdrücklich erklärt, daß, wenn der Zweckverband zustande käme, der Staat und der Zweckverband einer loyalen Mitarbeit seitens der Stadt Berlin versichert sein könnten. (Abg. Cassel: Das haben wir nicht nur gesagt, sondern auch getan!) — Jawohl, dann will ich auch nur der Hoffnung Ausdruck geben, daß es dabei verbleiben werde. (Heiterkeit.)
Im übrigen kann ich auch Herrn Abg. Cassel nicht zugeben, daß der Zweckverband eine Beschränkung der Selbstverwaltung der Stadt Berlin bedeute. Denn bekanntlich sind die drei Zwecke, die vom Zweck⸗ verband wahrzunehmen sind, Zwecke interkommunaler Art, d. h. Zwecke, die von einer einzigen Gemeinde gar nicht erfüllt werden können ind auch von Berlin allein nicht erfüllt werden konnten, wie sich daraus ergibt, daß von der Stadt Berlin bereits vor der Bildung des Ver⸗ bandes Groß Berlin Verhandlungen eingeleitet worden waren, um zur Lösung dieser Aufgaben einen Zweckverband auf freiwilliger Grundlage zu begründen. Es handelte sich um einen Verkehreverband und einen Zusammenschluß Berlins mit den Vorortgemeinden zum Ankauf der zur Bildung des sogenannten Wald⸗ und Wiesengürtels rforderlichen Freiflächen. Es sind mithin dem Zweckverband im wesentlichen nur diejenigen Aufgaben gesetzlich überwiesen worden, deren Lösung durch einen freiwilligen Zweckverband durch die Stadt Berlin selbst angestrebt worden war. Auch darin vermag ich also eine Einschränkung der Selbstverwaltung und eine Bedrohung der Stadt Berlin nicht zu erblicken. Daher muß ich auch die Aeußerung des Herrn Abg. Cassel, daß Berlin seitens der Staatsregierung wie der „Paria unter den Stadtgemeinden“ behandelt werde, mit aller Entschiedenheit als durchaus unzutreffend zurückweisen; im Gegenteil, es ist gerade die Selbstverwaltung der Stadt Berlin seitens der staatlichen Aufsichtsbehörden bisher auf das allerpeinlichste gewahrt worden, und das wird auch Zukunft der Fall sein.
Nun ist Herr Abg. Cassel auf die in einzelnen Blättern erörterte angebliche Brüskierung der Stadt Berlin zu sprechen gekommen, die dadurch erfolgt sein soll, daß auf einen Antrag des Magistrats, der Stadt Berlin die Wohnungspolizei zu übertragen, innerhalb von sieben Monaten — so, glaube ich, war die Frist, die in der Stadt⸗ verordnetenversammlung erwähnt worden ist — nicht geantwortet worden sei. Herr Abg. Hirsch sprach gestern sogar von 9 Monaten. Ich habe demgegenüber festzustellen, daß in der Stadtverordneten⸗ versammlung zunächst unzutreffende Angaben gemacht worden sind, die auf einem Versehen beruht haben mögen. Nicht am 16. Juni, sondern am 16. Juli ist der Antrag gestellt worden, und erst am 21. Juli ist er beim Oberpräsidenten eingegangen, also etwa 5 Wochen später, als damals angegeben worden war.
Diesem Antrage war eine Denkschrift beigegeben worden, die der Herr Abg. Cassel vorhin erwähnt hat, und die ich in der Kommission als ungeeignet zur Begründung des Antrages bezeichnet habe, weil aus ihr zu entnehmen sei, daß eine Uebertragung der Wohlfahrts⸗ oder Wohnungspolizei auf die Stadt für die Zwecke des Wohnungsamts nicht erforderlich sei. Diese Behauptung stützt sich auf folgende zwei
Stellen, die ich verlesen zu dürfen bitte. In der Denkschrift kommt
folgender Passus vor:
Nach der herrschenden Auffassung, die heute nicht mehr weiterer Rechtfertigung bedarf, ist die Wohnungsaufsicht als kommunale Wohlfahrtseinrichtung gedacht. Das polizeiliche Moment soll möglichst in den Hintergrund treten. Die Bevölkerung soll in dem Beamten des Wohnungsamts einen Helfer und Berater, nicht aber einen polizeilichen Kontrolleur erblicken. Wenn anders der Beamte zu dem Posten geeignet ist, muß er seine Aufgabe in diesem Sinne auffassen und das Vertrauen der Bevölkerung erwerben.
Und ferner:
Immerhin hat die Praxis gezeigt, daß auch in Städten mit Königlicher Polizeiverwaltung das kommunale Wohnungsamt eine gedeihliche Wirksamkeit entfalten kann (siehe besonders das Beispiel von Essen, wo das Wohnungsamt eingerichtet wurde, als die Polizei dort städtisch war, aber auch nach Uebergang der Polizei auf den Staat im Jahre 1909 gut weiter arbeitete) .. ..
Ich kann nun allerdings nicht finden, daß diese Ausführungen gerade zur Begründung des Antrages auf Ueberweisung der staatlichen Woh⸗ nungspolizei an die Stadtgemeinde sprechen. (Abg. Cassel: Aber die anderen!) Aber auch der Magistrat ist der Ansicht gewesen, daß die Denkschrift eher gegen als für eine Uebertragung der Wohnungs⸗ polizei spreche. (Heiterkeit.) Denn im Antrage vom 16. Juli 1912 findet sich folgende Ausführung:
Die Denkschrift vertxitt zwar den Standpunkt, daß die Woh⸗ nungsaufsicht als Wohlfahrtseinrichtung auszugestalten sei und daher des polizeilichen Zwanges nach dem Vorgange einiger anderer Städte entbehren könne. Nach reiflicher Ueberlegung sind wir aber zu dem Ergebnis gekommen, daß usw. wir trotzdem die Wohnungspolizei erbitten.
Meine Herren, ich glaube, daraus ergibt sich doch in der Tat, daß selbst der Magistrat der Ansicht war, daß die Denkschrift, die die Uebertragung der Wohnungspolizei an die Stadtgemeinde für ent behrlich hält, eher das Gegenteil des in der Eingabe gestellten An⸗ trags nachweist. (Sehr gut! und Heiterkeit rechts.)
Nun, meine Herren, diese Denkschrift war also beigefügt. Außer⸗ dem war bekannt, daß ein Wohnungsamt in der Stadt Charlotten⸗ burg seit einer Reihe von Jahren besteht, welches vorzüglich arbeitet, ohne daß dem Magistrat die Wohnungspolizei übertragen ist. Es war also notwendig, daß der Herr Oberpräsident, an den der Antrag gerichtet war, ehe er ihn dem Ministerium vorlegte, die nötigen Er⸗ mittelungen dieserhalb anstellte, um dem Ministerium die Möglichkeit zu geben, eine Entscheidung zu treffen. Er hat davon zunächst von dem Herrn Polizeipräsidenten in Berlin und zugleich auch von dem Herrn Polizeipräsidenten in Charlottenburg Bericht zur Sache erfordert. Die beiden Herren haben nach sehr eingehenden zeitraubenden Ermittelungen auch in Städten mit anderen Verhältnissen und ähnlichen Einrichtungen eine Denk⸗ schrift ausgearbeitet, die am 12. Oktober in Potsdam eingegangen ist, dort ebenfalls eingehend geprüft und durchgearbeitet worden ist und erst in der zweiten Hälfte des Dezember an das Ministerium des Innern weitergereicht werden konnte. Es ist ja möglich, daß alles in allem einige Wochen hätten erspart werden können; jedenfalls glaube ich aber, daß ein großer Zeitgewinn bei den erforderlichen gründlichen Vorarbeiten nicht zu erzielen gewesen wäre. In der Ministerial⸗ instanz sind außer dem Ministerium des Innern in erster Reihe noch das Ministerium der öffentlichen Arbeiten und auch das Handels⸗ ministerium beteiligt. Das Ministerium des Innern konnte also nicht ohne weiteres aus dem Handgelenk in dieser sehr schwierigen Frage eine Entscheidung treffen, sondern ist in kommissarische Verhandlungen mit den beiden anderen Ressorts eingetreten, um zu prüfen, ob es möglich sein würde, den Wünschen der Stadtgemeinde Berlin ent⸗ gegenzukommen und ihr einzelne polizeiliche Zweige, deren Ueber⸗ tragung eventuell wünschenswert und unbedenklich sein möchte, zu übertragen, ohne die im übrigen erforderlichen Einrichtungen der staatlichen Polizeiverwaltung in bedenklicher Weise zu durchbrechen.
Meine Herren, dem Magistrat von Berlin ist bereits vor der Verhandlung in der Stadtverordnetenversammlung der Sachverhalt bezw. die Ursachen der Verzögerung mitgeteilt worden. Es kann daher nur auf einem Versehen beruhen, wenn in der Stadtverordneten⸗ versammlung dieser Sachverhalt nicht gleichfalls zur Erörterung gelangt, sondern lediglich eine etwas scharfe Bemerkung darüber ge⸗ fallen ist, daß die Stadt Berlin lange Zeit ohne materielle Antwort gelassen sei. Ich glaube daher, daß die Beschwerde, soweit sie sich auf die Verzögerung bezieht, nicht ganz gerechtfertigt war, namentlich auch mit Rücksicht darauf, daß in dem Antrag der Stadt Berlin nicht etwa die Uebertragung einzelner bestimmter klar abgegrenzter Polizei⸗ zweige beantragt worden war, sondern ausdrücklich die sogenannte „Wohnungspolizei“. Nun ist der Begriff „Wohnungspolizei“ überhaupt kein technisch feststehender Begriff. Das, was man unter Wohnungspolizei im gewöhnlichen Sprachgebrauch versteht, umfaßt Zweige der Baupolizei, der Sittenpolizei und der Gesundheitspolizei. Es greift mithin die sogenannte Wohnungspolizei in drei wichtige Polizeigebiete ein, die in einem sehr nahen und engen Zusammenhang mit der Sicherheitspolizei stehen. Es ist nicht ohne weiteres möglich, daß, was man als Wohnungspolizei begreift, scharf zu umgrenzen und derart loszulösen, daß es ohne weiteres der Stadt⸗ gemeinde übertragen werden könnte. Es wird aber im Wege kommissarischer Verhandlungen geprüft werden, ob sich einzelne für den vorliegenden Zweck geeignete Zuständigkeiten herausschälen lassen; das Ergebnis der Prüfung wird dann zur Kenntnis der Stadt Berlin gebracht werden. Daß eine besondere Eile notwendig sei, kann ich auch nicht unbedingt zugeben, da sich aus allen Erörterungen, auch aus der vom Magistrat selbst vorgelegten Denkschrift ergibt, daß die Einrichtung des Wohnungsamts sehr wohl erfolgen kann, ohne daß die Wohnungspolizei der Stadt Berlin vorher übertragen würde, weil das nur ein Accessorium, aber kein Necessarium sein würde. Die Stadt Berlin selbst mußte meines Erachtens auch darauf gefaßt sein, daß ihr Antrag, der ja nur aus Anlaß der Errichtung eines Woh⸗ nungsamtes nebenher gestellt worden war, doch einer sehr eingehenden Prüfung würde unterzogen werden müssen, da vor etwa zwei Jahren ein ähnlicher Antrag auf Uebertragung eines Teiles der Wohlfahrts⸗ polizei nach eingehenden Erwägungen abgelehnt worden ist. Es konnte daher meines Erachtens die Stadt Berlin nicht erwarten, daß sie in sehr rascher Zeit eine Erklärung über eine Maßnahme erhalten würde, welche — wie ihr bekannt sein mußte — sehr eingehende Ver⸗ handlungen im Staatsministerium und eingehende Vorverhandlungen
unbedingt notwendig machte. 8
Sesesh ven
Der Antrag vor zwei Jahren ist abgelehnt worden, wie ich in der Budgetkommission mitgeteilt habe, wesentlich aus folgenden Gründen. Es haben sich gewisse Nachteile des Systems der Uebertragung der Wohlfahrtspolizei auf Stadtgemeinden mehrfach herausgestellt. Unter Umständen werden als Nebenzweck städtische Interessen verfolgt. 3. B. bei der Ausübung der Straßenpolizei wird sehr häufig der Versuch gemacht, privatrechtlichen und wirtschaftlichen Interessen der betreffenden Städte Geltung zu verschaffen. (Sehr richtig! rechts.) Es ist ferner der Umstand nicht unbedenklich, daß die Kritik der Stadt⸗ vertretungen gegenüber den Magistraten einen größeren Einfluß aus⸗ üben könne als gegenüber einer staatlichen Polizeibehörde, die einer Kritik unabhängig gegenüberstehe und derartige Angelegenheiten objektiver behandle. Gerade der letztere Punkt ist in Berlin recht wichtig, da es doch eine bekannte Eigentümlichkeit der Berliner Stadtvertretung ist, daß sie mit besonderer Vorliebe Polizei⸗ angelegenheiten, sogar der Exekutive, die zu beraten — und darin befinde ich mich im Gegensatze zum Herrn Abg. Cassel — sie nicht zuständig ist, in den Kreis ihrer Erörterungen zieht und eine mißliebige Kritik an polizeilichen Maßnahmen ausübt; daß das be⸗ denklicher ist, wenn die Polizeigewalt in den Händen eines Magistrats⸗ mitgliedes sich befindet als eines unabhängigen staatlichen Beamten, bedarf des weiteren Nachweises nicht.
Und endlich bildet in Berlin auch zweifellos ein sehr weit⸗ gehendes Hindernis einer weitergehenden Uebertragung von polizei⸗ lichen Befugnissen auf die Stadt der Umstand, daß durch die räum⸗ liche Ausdehnung von Groß Berlin die Verhältnisse sich so schwierig gestaltet haben, daß innerhalb des jetzigen Landespolizeibezirks eine tunlichste Einheitlichkeit in der Polizeiverwaltung erstrebt und fest⸗ gehalten werden muß.
Ich glaube, daß das alles sachliche Erwägungen sind, die, wenn man auch anderer Ansicht sein kann, jedenfalls nicht als unsachlich bezeichnet werden können, und aus deren Anstellung man eine Brüskierung der Stadt Berlin unmöglich herauslesen kann, um so weniger, als die polizeilichen Befugnisse keinen Ausfluß der Selbst⸗ verwaltung bilden und die Polizeigewalt, auch wenn sie einem Mit⸗ gliede des Magistrats übertragen werden sollte, als staatliche Polizei⸗ gewalt ausgeübt werden müßte, nicht aber als ein Ausfluß der Selbst⸗ verwaltung der Städte.
Und auch darin liegt wieder eine gewisse Gefahr; denn bei der besonderen Empfindlichkeit, die gerade in den Berliner Körperschaften dem Staat gegenüber besteht, würde die Gefahr nicht ausgeschlossen sein, daß durch Uebertragung von Polizeibefugnissen an Mitglieder einer städtischen Korporation, die der staatlichen Aufsicht in der Beziehung auch unterliegen würden, die Reibungsflächen sich vergrößern und daß dauernd Beschwerden darüber her⸗ vortreten würden, daß der Polizeiinhaber der Stadt Berlin in zu weitgehendem Maße seitens der ihm vorgesetzten staatlichen Behörde in bezug auf seine polizeiliche Tätigkeit kontrolliert und mit An⸗ weisungen versehen werde. Auch hier glaube ich den Nachweis geführt zu haben, daß von einer absichtlichen Brüskierung Berlins und von einem Eingriff in die Selbstverwaltung schlechterdings nicht die Rede sein kann. (Bravo! rechts.)
Abg. Nissen (Däne): Es muß konstatiert werden, daß die Klagen über die Handhabung des Vereins⸗ und Versammlungsrechtes in letzter Zeit immer häufiger geworden sind. Wie der Abg. Hanssen schon kürzlich im Reichstage ausgeführt hat, werden die Uebergriffe gegen die Dänen bei Gelegenheit von Versammlungen immer zahl⸗ reicher. Ich bitte den Minister, dafür zu sorgen, daß die untergeord⸗ neten Behörden angewiesen werden, solchen Sachen nach Möglichkeit vorzubeugen. Jeder weiß, daß unser heutiges Wahlrecht den Be⸗ hörden Gelegenheit gibt, auf die Wahlen einen bedeutenden Einfluß auszuüben. Die Regierung sollte dafür sorgen, daß die Landräte nicht ungesetzliche Mittel anwenden, wie es bei den letzten Wahlen geschehen ist. Gegen die sogenannten Heimatlosen wird mit aller Schärfe ein⸗
möge dafür sorgen, daß die Verfolgung der Heimatlosen wenigstens
Verlust der Staatsangehörigkeit zustande gekommen sei, aber leider ist der Minister meinem Wunsche nicht nachgekommen. Es handelt sich
doch nicht um Verbrecher, sondern um ruhige, strebsame Arbeiter, die
und ihre Familie zu verdienen. In dieser Hinsicht muß dringend Abhilfe geschaffen werden.
alle die Einzelheiten, die der Vorredner hier vorgetragen hat einzugehen. Was die Heimatlosen betrifft, so will ich mich
die allgemeine Bemerkung beschränken, daß vom Minister de Innern klar und deutlich ausgesprochen worden ist, daß in der Heimat losenfrage die deutschnationalen Interessen gewahrt werden müssen Die Prüfung der darauf bezüglichen Beschwerden hat ergeben, daß kein Anlaß vorlag, gegen die Maßnahmen der fraglichen Behörden einzu
ganzen Autorität des preußischen Staates entgegengetreten werden entsprechend handeln. meine Aeußerungen auf dem konservativen Parteitag in Hannover
überzeugt, daß der Abg. Dr. Friedberg das, was er bezüglich meiner
großen und ganzen stimmen allerdings die Aeußerungen, die dort wiedergegeben sind, mit den tatsächlich von mir gemachten Aeuße⸗ rungen überein, bis auf einen Punkt, der allerdings nach meiner Meinung von maßgebender Bedeutung ist. Ich habe zu Beginn
und Umwälzungen als geschichtliche Tatsache an. Ich bin von Jugend auf streng königstreu gewesen, aber ich kann doch begreifen, daß die
übergegangen sind. Ich habe nichts gesagt, was ich nicht mit gutem Gewissen verantworten könnte. Ich möchte daran eerinnern, daß der große König selbst im Jahre 1867 in seiner Begrüßungsrede an die Nassauer in Wiesbaden gesagt hat: Die Treue, welche die Nassauer bisher ihrem Lande gewahrt haben, läßt mich hoffen, daß diese Ge⸗ fühle auch auf mich und mein Haus übertragen werden. Die Treue zum alten Haus gibt keine Berechtigung zur Annahme, daß man die Treue nicht auch dem neuen Hause hält. Dann ist in dieser Ver⸗ öffentlichung der welfischen „Volkszeitung“ gesagt worden, ich habe fortgefahren: Deshalb kann ich nicht verstehen, warum nicht im Falle einer Stichwahl ein Konservativer für einen Mann stimmen soll, der
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a tdcactvid,.„. . 4414α 4ιι έέέέε αιν —* .
6
Berlin, Montag, den 3. Februar
Dr. Friedberg auch andere Blätter gelesen hätte, dann ehen haben, daß ich den Zusatz gemacht habe: bei der n und einem Welfen. Der „Hannoversche Courier“ führt stellte Frage, ob ich bei und einem Welfen würde, nicht geant⸗ orm eines Zeitungs⸗
Erst als ich mit Ich war als
Wenn der Abg:⸗ würde er geseh — dg Stichwahl zwischen einem Sozialdemokrater ist aber doch etwas ganz anderes. in seinem Bericht an, der Stichwahl
daß ich auf eine mir ge zwischen einem Natonalliberalen
einem Nationalliberalen meine Stimme geben wortet hätte. Diese Frage wurde vorgelegt in F ausschnittes, als ich mitten in einer Rede war.
meiner Rede fertig war, habe ich die Frage chht in der Lage, eine derartige Frage zu beantworten. her die welfischen Vereine für Schlüsse aus meiner Red eine andere Sache.
as, was er gesagt hat, auch Auf derarti
e ziehen, ist Ich erinnere den Abg. Dr. Friedberg daran, daß schon von anderer,Seite anders ausgelegt kann man nicht so viel Gewicht at in besonders sinniger und mensch⸗ an aus den Zeitungsberichten eine Ohr⸗ esen könne. Sie haben aber diesen Ausdruck an hrfeige für mich kann man nicht as ich gesagt habe berechtigt Sie (zum Abg. zu derartigen Schlußfolgerungen, wie Ich habe nur gesagt, daß man einem ehemaligen Soldaten als ins einen schweren Vorwurf macht, weil er Sie besonders gegenüber den denn in Hildesheim? r Nationalliberalen in Hildes⸗ 6 Abg. Campe) anlassung gencenmen, Ihr Amt als Vor⸗ a Vereins niederzulegen. beralen gegen die Konservativen und für he daß sie sich vielfach geweigert über ihre Stellungnahme in den Zuerst haben
worden ist. legen. Der Abg. Dr. Friedberg h licher Weise bemerkt, daß m feige für mich herausl einer falschen Stelle gebraucht, ein herauslesen, sondern eine solche für über unsere Stellung zu den We⸗ De. Friedberg) durchaus nicht sie gestern zum Ausdruck gebracht haben.
Ihre Partei.
ich kann nicht verstehen, Mitglied eines Kriegervere nicht den Sozialdemokraten
empfindlich sind in bezug au Velfen, so frage ich h habe allerdings das Verhalten de einer scharfen Kritik haben ja nachher selbst Ver sitzender des nationalliberal daß Tausende von Nationalli⸗ die Sozialdemokrat haben, auf briefliche Anfragen Wahlen eine klare und
sie geschrieben, daß sie si d dann wollten sie sich von den Rücksichte lassen, und vor den Stichwahl leiten lassen. Es ist den
die Konservativen in neun o Nationalliberalen und geg
ug auf diese Stellungnahme Sie einmal, wie war es
unterzogen.
Notorisch ist, en gestimmt haben,
deutliche Antwort zu geben. ch von nationalen Rücksichten leit n auf ihre Partei leiten en wollten sie sich von den Umständen Nationalliberalen angeboten worden, daß der elf hannoverschen Wahlkreisen für die en die Sozialdemokraten stimmen, und nur ahlkreise sollten sie für den Konservativen stimmen. Die Abg. Friedberg haben lieber den Sozialdemokraten sten sie sich hier über uns. daß Hannover eine nationalliberale Domäne und mit allen möglichen en, dann ist dies Neuland für onservativen und Freikonserba⸗. ß in Hannover genug Boden Wir werden auch en Abg. von Campe: Hat Hgeforscht, oͤb ein Mitglied eines Krieger⸗ jaldemokraten gewählt hat? Ich ha daß ein solches Mitglied aus das Bündnis mit den W Aber wie ist es mit Ihrer P Freisinnigen ein Techtelmechte Sozialdemokratie
Präsidenten
Vizepräsidenten ge Zentrum ein Bündnis abschließen, temberg und Bayern, wenn aber bei dem Zentrum die Rede ist, dann ntrum wissen, daß worden sind. Zusammengehen mit dem t es immer, der schwarz⸗blaue Block ren ja ganz gern dazu geneigt, Wahl⸗ Aber alle Uebereinkommen, ten wurden, haben Sie ab⸗ en einmal auch so weit Württemberg, Bavern und Elsaß⸗ Ich finde es nicht sehr schön von dem igewiesen hat, daß auf Reihe von höl
Parteifreun wählt, und dann entrü⸗ liberalen glauben immer, un Sie nach dem Osten ge eln dort Eroberungen machen woll Die Zahl der Abgeordneten der K. tiven in diesem Hause zeigt Ihnen, da für die konservwatibe We hoffen, daß die so bleibt.
man in Hildesheim auch danach vereins vielleicht einen Soz von gehört,
Die National⸗
ltanschauung vorhanden ist.
geschlossen worden wäre. elfen gewissermaßen ge⸗ Haben Sie nicht l abgeschlossen, die ein abgeschlossen haben? Reichstags
buhlt haben. mit denselben
Scheidemann Westfalen mit dem Baden und Würt von einem regen Sie sich auf. ihnen oft genug
uns einmal Zusammengehen mit Gerade die Herren vom Ze Bündnisse von Ihnen bei uns einmal von einem Zentrum die Rede ist, dann heiß ist wieder in Tätigkeit. Sie wa geschäfte mit dem Zentrum zu die Ihnen von konservativer Seite angebo Vielleicht können Sie es in Baden,
geschritten. Ich habe im vorigen Jahre den Minister gebeten, 8*
so lange eingestellt würde, bis das neue Gesetz über den Erwerb und
nur die Erlaubnis haben wollen, ruhig und ungestört ihr Brot für sich Sie es in Preuf bringen, wie Lothringen gebracht haben.
Friedberg, daß er darauf hir Parteitag in Hannover eine war. Warum sollen auch nicht diese äußern? Ich begrüße mit Freuden in so eindringlicher in Wort und Bild von seinem Parteiorgan in dies außerordentlich viel gesch gehabt hat.
Unterstaatssekretur Holtz: Es ist nicht möglich, auf dem konservativen
heren Beamten anwesend Beamten ihre politische Ansicht aß gestern der Abg. Marx pf gegen die Unsittlichkeit Ich erinnere daran, daß gerade letzter Zeit ganz daß das Einschreiten auch Erfolg t, daß der Kampf gegen die die Polizeiorgane sehr schwierig l dieser Schriften in Beschlag nehmen Bestrebungen Auch der Kampf gegen graphen ist notwendig. Was ise geboten wird, ist geradezu himmel⸗ cham und Sittlichkeit wird sehr oft tisch untergraben. „die dabei gar nichts Ver⸗ finden gegen Unsittlichkeit wird in Ich habe „Frühlings⸗ dieses Stück als ein sehr (Zuruf des Abg. Hirsch: sind die Redensarten, mit denen Sie Wenn andere Leute, die eine andere Ueber⸗ g wie Sie haen, hervortreten, dann stellen Sie sie immer als hin, die kein Verständnis haben. ranken Verbrecher in den hier nicht diejenigen Mitte eute entsprechend entgegenzutreten. aß es wiederholt vorgekommen geblich geheilt aus der Irr⸗ kurzer Zeit ihre schaurige T Oktober 1912
käuferin überfall von Groß Ber
Weise für den Kam eingetreten ist. er Beziehung in ehen ist und Ich verkenne auch nich tz in Wort und Bild auch für sie eine große Anzah Ich möchte nachgelassen Auswüchse der Theater und ser Beziehung stellenwe Das Feingefühl für S owohl wie in den Kinos systema
schreiten. Den antinationalen Bestrebungen der Dänen muß mit der
Wie das bisher geschehen ist, so wird die Regierung auch in Zukunft
Abg. Strosser (kons.): Der Abg. Dr. Friedberg hat gestern
einer Kritik unter Aus Stenogramm habe ich mich davon ichse. einer Kritik unterzogen. Aus dem Stenog S hbeute in die
* 8 8 S2o; 1 Aeußerung vorgebracht hat, aus der welfisch⸗deutschen „Volkszeitung“
8 2 8 8 8 So Ho entnommen hat. Er hat das, was dort steht, wörtlich zitiert. Im in den Theatern s
Es gibt schon jetzt eine ganze Anzahl Leute etzendes mehr fühlen. unserem Volke nach und nach erwachen“ gelesen, muß aber sagen, daß ich chmutziges bezeichnen muß. es eben nicht verstanden !) immer hervortreten.
abgestumpft.
meiner Ausführungen gesagt: Wir stehen auf dem preußischen Stand⸗ Sie haben
punkt und sehen die durch das Jahr 1866 geschaffenen Verhältnisse
Wir bedauern, daß die geistes⸗ Irrenanstalten untergebracht werden, weil l vorhanden sind, um den späteren Uebel⸗ Ich erinnere daran,
Hannoveraner nicht gleich mit fliegenden Fahnen in das neue Lager
taten dieser L
enanstalt entlassen wurden, schon nach ätigkeit wieder aufgenommen haben. Am ist ein Mann verhaftet worden, der eine Ver⸗ Der berüchtigte Mörder ist derselbe Mann, der schon früher eise verletzt hat.
en und niedergeschlagen hatte. lin, wie er hieß, der schaurigsten er war bis Pfingsten 1912 in der ihn dann aber wieder Mann in einer S derartige gemeingefährliche Leute
Es heißt von Irrenanstalt interniert ge⸗ u seiner Mutter schickte.
müssen dringend
. 2 * ☚ 84 Hor ich 6 seinem Vaterlande die Treue hält. So habe ich nicht gesagt. “
fährlich wirken G die Mitteilungen seiten der Polizeiorgane über sensationelle Ver⸗ außerordentlich
fen sich die Blätter
schreibung ihrer Untat steht, und richten nach diesen Zeitungsberichten ihr weiteres Verhalten ein. Dadurch wird es der Polizei ganz außerordentlich erschwert, der Verbrecher habhaft zu werden. Ich habe schon wiederholt den Wunsch ausgesprochen, daß uns von seiten der Regierung eine Statistik über die Automobilunfälle vor⸗ gelegt werden möchte. Aber diese Wünsche sind immer noch nicht erfüllt worden. Das halte ich für sehr bedauerlich. Es ist Auf⸗ gabe der Polizeiorgane, den Ausschreitungen der Autoführer ent⸗ gegenzutreten. Daß ein Privatmann darüber Anzeige erstattet, findet man sehr selten, da er meistens den Zeitverlust, der durch eine darauf folgende Gerichtsverhandlung entsteht, scheut. Das Publikum, das einmal eine Anzeige über derartige Verstöße gemacht hat, tut es sicher nicht zum zweiten Male. Die Autobesitzer haben fast alle Anweisung, über Autounfälle unter allen Umständen eine gerichtliche Entscherdung zu verlangen. Sie wissen also sehr wohl, daß sie dadurch die Leute abhalten, Anzeige zu erstatten. Auch die Schutzleute zeigen sie nicht gern an, da sie sich ebenfalls vor dem Zeitverlust scheuen. Wir wünschen aber, daß die Polizeiorgane an⸗ gewiesen werden, besser auf derartige Verstöße zu achten. Es muß ein Verbot erlassen werden, das die Auslassung der schädlichen Gase der Benzindroschken in den Straßen Berlins unter Strafe stellt. Berlin wird sonst die verstänkertste Stadt der Welt. Man sollte neue Benzindroschken üherhaupt nicht mehr zulassen, sondern sollte nur elektrischen Droschken die Fahrgenehmigung erteilen. Straßenzüge mit besonders starkem Verkehr sollten für die Automobile ganz gesperrt werden; bei der Geschwindigkeit dieser Wagen ist ein Umweg nicht schlimm. Die Brutalität der Führer ist größer ge⸗ worden. Man kann der Regierung nur sagen: Landgraf werde hart! Die Polizei spürt sonst viele Kleinigkeiten auf, ein Herr schreibt mir, daß er mit 6 ℳ bestraft ist, weil er einen kleinen Hund im Grunewald außerhalb des Weges hat laufen lassen; ein Dienst⸗ mädchen ist bestraft worden, weil sie ein Staubtuch aus dem Fenster herausschüttelte. Auf die Automobile wird aber nicht geachtet. Herr Korfaniy hat ganz unberechtigte Behauptungen über unsere Beziehungen zu Oesterreich und Rußland aufgestellt, die nur Verwirrung anrichten können. Die Freisinnigen soll eine Kluft von den Sozialdemokraten trennen; ich wünschte, daß es so wäre. Die Behauptung, daß das Reich eine Filiale Preußens sei, kann ich nicht begreifen; der Abg. Cassel hat damit wohl nur seinen Wahl⸗ bundesbrüdern von der Sozialdemokratie gegenüber mildere Saiten aufziehen wollen. Ohne die Herren Sozialdemokraten werden die Freisinnigen ja bei den Wahlen nicht fertig. Unseren Antrag auf Schutz der Arbeitswilligen hat Graf Westarp im Reichstage sehr geschickt und hervorragend begründet; ich kann es nicht verstehen, daß das Zentrum und die Nationalliberalen dagegen gestimmt haben. Die Zeit wird kommen, wo auch diese Parteien finden werden, daß uns ein Schutz der Arbeitswilligen bitter not tut. Wieder ertönt der Schrei nach dem Reichstagswahlrecht für Preußen, dessen Einführung einem Königswoͤrt entsprechen soll. Ist uns nicht in der Thronrede auch schon ein Arbeitswilligen⸗ schutzgesetz zugesagt worden? Es wird aber mit zweierlei Maß gemessen, da sagen Sie nicht, daß ein Kaiserwort vorliegt. Das Königswort über das Wahlrecht ist erfüllt, die Vorlage ist ge⸗ macht worden, aber sie ist hier abgelehnt worden. Der Abg. Hirsch sagt, 99 % der Behauptungen über den Terrorismus gegen die Arbeitswilligen seien unwahr. Dann weise i auf die Zahl der Be⸗ strafungen in der Statistik hin. Beim Bergarbeiterstreik haben wir gesehen, wie die Sozialdemokraten daran beteiligt sind. Sie werden nachher noch authentische Zahlen über den Bergarbeiter⸗ streik von einem anderen Redner hören. Der Reichsverband zur Bekämpfung der Sozialdemokratie hat sein großes Ver⸗ dienst dadurch erworben, daß er die Fälle gerichtlicher Be⸗ strafungen in die Oeffentlichkeit gebracht hat. Das Schimpfen auf den Reichsverband ist kein Beweis. Und wenn ein Schöffengericht einen Arbeitswilligen nicht als glaubwürdig angesehen hat, so ist das Urteil von einigen Schöffenrichtern auch nicht maßgebend. (Ruf bei den Sozialdemokraten: Das ist die Achtung vor dem Gericht!) Sie können doch nicht von Achtung vor den Gerichten sprechen. Sie können uns doch nicht glauben machen, daß der Terror, der fortgesetzt gegen die Arbeitswilligen ausgeübt wird, immer von anderen aus⸗ geübt worden ist, nur nicht von Sozialdemokraten. Vor zwei Jahren hielt hier der Abg. Fischbeck eine Rede gegen den Terror, da hat er alle möglichen Beweise erbracht und hat den Sozialdemokraten das Wort „Strolch und Wegelagerer“ entgegengeworfen. Aber jetzt sind die Freisinnigen anderen Sinnes. geworden, jetzt gehen sie mit den Sozialdemokraten zusammen. (Rufe links: Beweise!) Den Beweis werden die Wahlen bringen. (Lebhafte Zwischenrufe links, die Vizepräsident Dr. Krause zu unterlassen bittet.) Wir müssen unter allen Umständen, wenn wir in geordnete Zu⸗ stände kommen wollen, einen gesetzlichen Schutz der Arbeits⸗ willigen haben; die bestehenden Gesetze reichen nicht aus. Die Verurteilungen beweisen nicht das Gegenteil. Wenn wir bessere Gesetze hätten, könnten solche Ausschreitungen nicht vorkommen. Abg. Hirsch richtet sich gegen das Preußen der Junker und Mucker. Das Wort Junker und Mucker und Pfaffe ist beinahe schon ein Ehrentitel geworden. Wir sind überzeugt, daß wir die heiligsten Güter unseres Landes und unseres Volkes verteidigen; wir kämpfen für unseren alten schwarz⸗weißen Adler, für unser großes und stolzes Preußen.
Geheimer Rat von Gröning: Die Polizei ist nicht lässi gegen⸗ über den Anzeigen gegen die Automobilisten. Eine statistische Zu⸗ sammenstellung zeigt für 1912, daß in Berlin an Strafanzeigen er⸗ folgt sind 91 wegen Schnellfahrens, 306 wegen vorschriftswidrigen Fahrens, 268 wegen Nichtbeleuchtung des hinteren Erkennungs⸗ zeichens usw. Diese Statistik wird demnächst noch dem Hause zu⸗ gehen. Für die Beseitigung des Rauches sind ausreichende technische Mittel noch nicht gefunden worden. Aber die Polizei achtet besonders darauf, sie läßt die Automobile halten, wenn sie Rauch entlassen, um die Beseitigung herbeizuführen.
Abg. Wenke (fortschr. Volksp.): Die Schädigung des Hand⸗ werks durch die Gefängnisarbeit dauert nach wie vor fort, und das Haus wird sich bald noch mit einer Petition in dieser Sache befassen können. In der Eingemeindungsfrage machen wir auch in der Pro⸗ vinz unsere Erfahrungen. Der Stadt Hirschberg ist die Ein⸗ gemeindung von Kunnersdorf abgelehnt worden; das geschieht immer, weil die Kieise dadurch verlieren würden. Man verweist jetzt immer auf die Bildung eines Zweckverbandes, man will die Ge⸗ meinden zu Zwangszweckverbänden zwingen. Der Abg. Strosser meint, daß der Abg. Fischbeck vor zwei Jahren eine Rede gegen den Terror gehalten hätte, daß man aber heute nichts mehr von uns dagegen hört. Der Abg. Cassel hat aber erst heute den Terror verurteilt. Der Abg. Strosser legt auf die Schöffengerichte keinen Wert, wir werden uns das merken; wir legen immer Wert auf die Schöffen⸗ gerichte und namentlich auch auf die Zuziehung von Arbeitern als Schöffen. Am tollsten treiben es gerade die Prinzlichen Automobile im Grunewald. Mit den Wahlurnen habe ich selbst Erfahrungen gemacht. Die Macht der Junker hängt gerade von diesen Zigarren⸗ kisten als Wahlurnen ab; hätten wir einheitliche Wahl⸗ urnen, so würden manche Wahlen anders ausfallen. Die Verschiebung des Wahltermins im Kreise Teltow hat der Minister nicht ent⸗ schuldigen können. Es ist bedauerlich, daß noch einmal die Wahlen unter dem elenden Dreiklassenwahlrecht stattfinden müssen, das gerade das Handwerk und den Mittelstand benachteiligt. Der
Minister will die Beamten bei den Wahlen zur Neutralifät ver⸗ anlassen; ich bin Pessimist, die Botschaft hör' ich wohl, aber mir fehlt der Glaube. Bei früheren Wahlen hat geradezu eine Mobil⸗ machung der Landräte zugunsten einer Partei stattgefunden. Künstlich 88 werden die Wähler aus der dritten Abteilung in die erste Abteilung geschoben. In meinem Wahlkreise in Schönau war ein Ritterguts⸗ pächter so zur Einkommensteuer veranlagt, daß er in der dritten Klasse hätte wählen müssen, zusammen mit Maschinenschlossern usw. Da schloß er mit dem Rittergutsbesitzer einen Vertrag, wonach er für diesen die Grundsteuer bezahlte, wofür natürlich die Pacht ermäßigt wurde, auf diese Weise wurde er zum Wähler erster Klasse. Eine Wählerliste konnte nicht eingesehen werden, weil sie eingeschlossen war; es muß doch verlangt werden, daß in den Dienststunden die Wählerliste wirklich ausliegt. Meine persönlichen Freunde sind die Amtsvorsteher. Sie haben sich allerlei Uebergriffe bei den letzten Wahlen erlaubt. Zu ihren Gunsten muß man annehmen, daß sie das Vereinsgesetz nicht genügend kennen, aber es tritt oft auch eine offensicht liche Böwilligkeit zutage. Das ganze System der Ernennung der Amts⸗ vorsteher ist falsch; die für dieses Amt geeigneten Personen werden fo lange gesiebt, bis der Konservative obenauf liegt. Bei uns in Schlesien heißt es: „Haben Sie schon einmal einen freisinnigen Amtsvorsteher gesehen?“ Darauf lautet die Antwort: „Ja, es hat einmal einen gegeben, der war so alt, wie ein Steinadler, aber er hat nie einen freisinnigen Kollegen bekommen.“ Der Redner führt eine ganze Reihe von Fällen aus seiner schlesischen Heimat an, in denen Amtsvorsteher die Vereins⸗ und Versammlungsfreiheit nach seiner An⸗ sicht beschränkt haben: Ein Amtsvorsteher hat zu einem Gastwirt gesagt, er solle seinen Saal nicht den Freisinnigen geben, er wolle ihm dafür zwei Tanzmusiken genehmigen. Eine Versammlung wurde wegen der Maul⸗ und Klauenseuche verboten. Als aber ein paar Tage später der Kriegerverein ein Fest abhalten wollte, spielte die Maul⸗ und Klauenseuche keine Rolle mehr. Ein Amtsvorsteher verweigerte einem Gastwirt die Genehmigung zu dem Vergnügen eines Radfahrervereins, weil dieser sozialdemokratische Mitglieder hat. Wir verlangen, daß die Leute, die die Polizeigewalt auf dem Lande ausüben, die gesetzlichen Bestimmungen innehalten und daß von den Amtsvorstehern ein Befähigungsnachweis gefordert wird. Den Amtsvorstehern wird eine solche Macht über die übrige Bevölkerung verliehen, daß man von ihnen auch verlangen kann, daß sie in politischen Dingen mehr Zurückhaltung üben. Ich hoffe, daß die Regierung mit den Amtsvorstehern noch vor den kommenden Wahlen ein ernstes Wort reden wird. Wir verlangen vollkom mene Unparteilichkeit bei den Wahlen. Schon der polttische Anstand müßte die Landräte veranlassen, bei den Wahlen unpartetisch zu sein und nicht zugunsten einer bestimmten Partei ihren Einfluß geltend zu machen.
Geheimer Rat Dr. Meister: Wenn Beschwerden äber die un⸗ richtige Aufstellung der Steuerlisten dem Minister bekannt werden, wird selbstredend Abhilfe geschaffen werden, ebenso wenn Klagen darüber kommen, daß die Wählerlisten nicht rechtzeitig ausgelegt werden oder daß die Wähler nicht wahrend der ganzen Zeit Gelegen⸗ heit haben, sie einzusehen.
Abg. Dr. von Campe (nl.): Wenn der Abg. Strosser meine Ausführungen gehört hat, wird er vielleicht aus einem Saulus ein Paulus werden. Es ist ja notorisch, daß in früheren Jahren in Hannover durchweg Nationalliberale ewählt wurden und daß erst seit der Agitation des Bundes der Landwirte ein Konservativer gewählt wurde. Ich bedaure die wegwerfende Aeußerung, die über das Schöffengericht hier gemacht worden ist. Was die Wahl in Hildesheim betrifft, so standen sich dort 1902 drei Kandidaten gegenüber, ein Nationalliberaler, ein Sozialdemokrat und ein Konser⸗ vativer, der vom Bund der Landwirte und vom Zentrum gestellt wurde. Es war damals für jeden klar, daß ungefähr alle drei Parteien an⸗ nähernd die gleiche Stimmenzahl erhalten würden. Nun hat der Vorsitzende der konservativen Partei sich damals an mich gewandt und hat mir das Angebot gemacht, meine Zustimmung zu der Aufstellung des konservativen Kandidaten Zürn zu geben. Ich sagte, er möchte diesen Antrag vom Bund der Landwirte und von der Zentrumspartei unterschreiben lassen, und dazu erklärte sich auch der Bund der Land⸗ wirte bereit. Es war einfach eine Loyalitätsverpflichtung, daß die konservative Partei die Zustimmung des Zentrums einholte und uns dann ein Angebot machte, das hat sie tatsächlich nicht getan. Bei der Hauptwahl fielen wir durch und in die Stichwahl kam der Sozialdemokrat und der vom Zentrum unterstützte konservative Kandidat. Nach der Hauptwahl trat man konservativer⸗ seits an mich heran und sagte, man wäre bereit, in den übrigen hannoverschen Kreisen, in denen unsere Partei in der Stichwahl stände, für uns einzutreten, wenn wir in Hildesheim für den Kon⸗ servativen eintreten würden. Ich erwiderte, ich werde das Memige tun und meine Freunde dazu zu bestimmen suchen, auf einen der artigen Vorschlag einzugehen. Kurz vor der Hauptwahl bekam ich ein Flugblatt zugeschickt, das lautete: Laßt euch von dem falschen Propheten des Liberalismus und von dem der Sozialdemokratie nicht betrügen. Sie stellen das Parteiinteresse über das Volksinteresse. Von wem dies Flugblatt herrührt, weiß ich nicht. Mir persönlich und meinen Freunden wurde am Tage vor der Wahl ein Zettel für Herrn Zürn zugeschickt mit einem kleinen Flug⸗ blatt folgenden Inhalts: Es handelt sich in dem Kampf jetz um Monarchie oder Republik, um Christentum und Heidentum. Ich bin empört gewesen, daß man es wagte, einem Manne wie mir ein derartiges Flugblatt zuzuschicken. (Zuruf rechts: Das war vor der Stichwahl!) Das war nicht vor der Stichwahl. Daß es unter diesen Umständen ungemein schwierig war, eine Parole für die Kon⸗ servativen herauszuholen, ist wohl jedem klar. Unter dem Eindruck dieser Flugblätter war die Stimmung unserer Vorstandssitzung eine sehr erregte. Es ist mir aber gelungen, ein einstimmiges Votum für Herrn Zürn zu erzielen. Die konservative Vorstands sitzung in Hannover gab’ dagegen die Stichwahlparole heraus, in denjenigen Bezirken, in denen der nationalliberale und sozialdemo⸗ kratische Kandidat in der Stichwahl steht, treten wir für den national⸗ liberalen ein. Was in den anderen vier Kreisen geschieht, wo der Nationalliherale in der Stichwahl steht, ist egal. Hier kann ein jeder tun, was er will, aber wir warnen ausdrücklich vor Wachhorst de Wente und Dusche. Vor diesen Herren zugunsten der Welfen zu warnen, ist nicht zu vereinbaren mit einem nationalen Programm. Ich habe das meinige für eine Kandidatur Zürn getan, in dem Kreise des Herrn Dr. Hahn wurde aber gegen den nationalliberalen Kandidaten gewählt. Der Abg. Korfanty bestreitet die staatsfeindlichen Bestrebungen der Polen, und dabei haben die Polen bei der fünfzig⸗ jährigen Wiederkehr des Aufstandes von 1863 Volksfeiern veranstaltet. Der Minister muß gegen solche Agitation vorgehen. In einer polnischen akademischen Versammlung wurde gesagt, daß um Falle eines Krieges eine Aktion gegen die Mobilmachung vorgenommen werden müsse, um die polnischen Kräfte der polnischen Armee zuzuführen. Ich kenne keine polnische Armee. Wenn der Adg. Marr bezüglich des Rückganges der Geburtsziffern einen Unterschied nach der Konfession macht, so sind seine Ziffern doch mit einem Fragezeichen zu versehen, denn er hat wohl unterschieden nach der Konfessionalität der Einwohner, aber nicht das Ver⸗ hältnis der verehelichten Frauen berücksichtigt Außerdem liegen selbstverständlich die Verhältnisse in den Industriestädten anders als auf dem Lande. Gerade in überwiegend katholischen Ländern sie d die Geburtsziffern geringer; die Durchschnittszahl fur
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