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Herren, ich habe Ihnen gestern ausdrücklich und mit Absicht gesagt: die Herstellung dieser Harmonie sei die Hauptaufgabe für die Zukunft. Das ist keine Redensart gewesen. Ich wiederhole das heute noch einmal, und wenn gestern unter Hindeutung auf eine Neben⸗ regierung gesagt worden ist — (Zurufe von den Sozialdemo⸗ kraten) —, das ist nicht richtig, meine Herren, eine solche Neben⸗ regierung existiert nicht. Nein, meine Herren, dem widerspreche ich. Es existiert eine Hauptregierung (Zurufe von den Sozialdemokraten), für die ich dem Kaiser verantwortlich bin, und wenn ich diese Verantwortung nicht mehr tragen zu können glaube, dann werden Sie mich nicht mehr an diesem Platze sehen. (Zurufe von den Sozialdemokraten.) Aber, meine Herren, in diesem Falle — ich wiederhole — ist von einer Nebenregierung keine Rede. Alle maß⸗ gebenden Instanzen sind darüber einig, daß ohne ein vertrauensvolles Zusammenarbeiten von Militär und Zivil, wie es leider in Zabern gefehlt hat, nicht gebessert werden kann. Meine Herren, dieser Ge⸗ sichtspunkt ist von der obersten Stelle den beteiligten Behörden und Beamten im Anschluß an die Vorgänge in Zabern wiederholt und nachdrücklich ins Gewissen geschrieben worden. (Lebhafte Zurufe. — Zuruf links: Aber nicht befolgt.) Meine Herren, der kommandierende General hat die Weisung erhalten, dafür zu sorgen, daß das Gesetz nirgends überschritten wird. (Zurufe von den Scozial⸗ demokraten.) Selbstverständlich beruht es ebenso auf dem Willen der allerobersten Stelle, daß Militär⸗ und Zivilverwaltung Hand in Hand gehen unter voller Wahrung der gegenseitigen Kompetenzen, unter voller Wahrung von Gesetz und von Recht. (Bravo! rechts.) Meine Herren, was in der Vergangenheit gefehlt worden ist, — ich habe gestern darüber gesprochen —, das wird gesühnt werden. Wir können für die Zukunft wieder herstellen, was gefährdet wurde, nur auf der Grundlage von Gesetz und von Recht. (Bravo! rechts. — Zischen bei den Sozialdemokraten. — Wiederholtes Bravo! rechts. — Andauerndes Zischen bei den Sozialdemokraten.)
Abg. Rogalla von Bieberstein (bkons.) beginnt unter großer Unruhe des stark erregten Hauses zu sprechen. Wenn auch der Reichskanzler ausgeführt hat, daß der Kontakt zwischen der Militär⸗ und Zivilbehörde in Zabern sobald als möglich wieder herzu⸗ stellen ist, so wird doch eine Kritik an dem Verhalten der Zivilbehörde unserseits notwendig sein. Ich werde den Zaberner Fall selbst mit gröoßter Ruhe behandeln. (Lachen bei den Sozialdemokraten.) Wenn Sie auch von Anfang an lachen, so wird es Ihnen doch nicht gelingen, mich aus meiner Ruhe, zu bringen, sondern ich werde unserer Stellung⸗ nahme mit voller Ruhe und Sachlichkeit Ausdruck geben. Wenn ich die Ursachen des Falles und die Wirkungen betrachte, die die Ursachen hier im Reichstag gehabt haben, so finde ich bei ruhiger und objektiver Beurteilung, daß mit diesen Ursachen diese Wirkungen nicht recht im Einklang stehen. Wenn der Abg. Fehrenbach recht haben sollte, daß der gestrige Tag für Deutschland ein dies ater, ein schwarzer Tag, werden könne, so muß ich zu meinem lebhaften Bedauern konstatieren, daß die Rede des Abg. Fehrenbach wesentlich mit dazu beigetragen hat. Der Abg. Fehrenbach hat in humaner Weise den Generalleutnant von Deimling anerkannt, und dieser Verteidigung schließen wir uns voll und ganz an; die älteren Mitglieder meiner Fraktion haben ihn seit 1906 noch in außerordentlich guter Erinnerung. Schon vor dem 28. Oktober sind im Elsaß wiederholt Ueberfälle des Militärs durch Sbn vorgekommen, sehr grobe Ueberfälle, sehr grobe Ungehörig⸗ seiten; zum Teil sind sie bestraft, zum Teil noch nicht. Die Strafen sind außerordentlich milde ausgefallen für diese doch immerhin bedenk⸗ lichen Exzesse von Elsässern gegen Deutsche. Am 28. Oktober war die Instruktionsstunde, und in der Verurteilung des gänzlich inkorrekten Verhaltens des Offiziers in dieser Instruktionsstunde sind wir mit dem Reichskanzler einverstanden, aber fest steht, daß der junge Offizier nicht die Absicht gehabt hat, die Allgemeinheit der elsässischen Be⸗ völkerung zu beleidigen. Das sollten wir festhalten. Es handelt sich dabei um einen Vorgang des inneren Dienstes. Der Abg. Peirotes erhob scharfen Protest gegen diese angebliche Beleidigung von 1,8 Mil⸗ lionen Mitbürgern, aber in demselben Atemzug spricht er mit ver⸗ letzendsten Ausdrücken und in verächtlicher Weise von der ostelbischen Kultur, daß sogar der Präsident sich gedrungen fühlt, ihn in die Schranken zu weisen. (Zwischenruf bei den Sozialdemokraten: Sie haben ja denunziert!) Herr Emmel, ich bin Ihnen dankbar, daß Sie mir das zurufen, der Präsident wird mir bezeugen, was ich darüber sage. Sie selbst haben mir ja gestern zugerufen, daß ich denunziert hätte. Ich habe den Präsidenten nur gefragt, ob ich ihm das unkorri⸗ gierte Stenogramm des Abg. Peirotes bringen dürfe, und habe ihm dann das korrigierte Stenogramm überbracht. (Zwischenruf bei den Sozialdemokraten: Darauf haben Sie keinen Anspruch!) Ich maße mir durchaus nicht Ansprüche an, die ich nicht habe. Sie haben mir den liebenswürdigen Vorwurf gemacht, daß ich denunziert hätte, um den Ordnungsruf zu erreichen. Der Präsident wird mir aber bestäti⸗ gen, daß davon keine Rede gewesen ist; es war eine rein sachliche Be⸗ sprechung. Wenn der Abg. Peirotes ganze Landesteile des preußischen Staates in der unglaublichsten Weise — milde ausgedrückt — verletzt hgt, so lege ich schärfsten Protest dagegen ein, daß Offiziere des preußi⸗ schen Heeres von dem sozialdemokratischen Redner Hochverräter genannt werden. Die Oeffentlichkeit hatte kein Recht, über die Vorgänge in der Instruktionsstunde, also eine Sache des inneren Dienstes, unterrichtet zu werden. Den Rekruten stand der Weg der Beschwerde zu. (Zwischenrufe bei den Sozialdemokraten.) Ich komme darauf noch zurück. Jedenfalls ist tatsächlich Remedur eingetreten; der Kriegsminister hat ausdrücklich dargelegt, daß der Offizier im Diszi⸗ plinarwege bestraft ist. (Zwischenrufe bei den Sozialdemokraten.) Sie wollen die Strafe wissen; ich erkenne aber durchaus an, daß der Kriegsminister diesen Wunsch nicht erfüllt hat, weil er dazu gar nicht berechtigt ist. Die Disziplinargewalt über Offiziere und Mann⸗ schaften untersteht den Kommandobehörden und dem Allerhöchsten Kriegshervn, dem Kaiser. Der Abg. Peirotes hat hier gestern gesagt, der Kriegsminister wäre für all diese Dinge dem Reichskanzler ver⸗ antwortlich. Ich halte das nicht für richtig. Ihnen, meine Herren, wäre das natürlich ein gefundenes Fressen. Die Militärverwaltung muß mit aller Energie darauf halten, daß die straffe Disziplin in unserer Armee unbedingt intakt und aufrechterhalten bleibt. Die belei⸗ digten Rekruten haben sich unzweifelhaft einer Dienstverletzung schul⸗ dig gemacht. Ihnen stand der Beschwerdeweg offen. Der Abgeordnete Fehrenbach hat gestern hier das Beschwerderecht für vollständig illuso⸗ risch erklärt. Ich kann ihm darin nicht beistimmen. Er hat einen Fall vorgebracht, wo ein Unteroffizier die Schwester eines Soldaten durch Aeußerungen verletzt hat. Dem Vater dieses Soldaten, der ihn um Rat fragte, was er zu tun habe, erwiderte er, er solle warten, bis sein Sohn entlassen sei. Es fragt sich nun, ob der Abgeordnete in diesem Falle recht getan hat. Ich jedenfalls kann ihm nicht beipflich⸗ ten. Ich bin vor 27 Jahren in die Armee eingetreten, und da lag es mit dem Beschwerderecht allerdings noch recht im argen. Aber in den letzten Dezennien ist nach dieser Richtung hin von der Militärverwal⸗ tung viel getan worden. In jeder Instruktionsstunde wird den Unter⸗ offizieren eingeschärft, daß sie Soldaten, die auf dem Beschwerdewege ihr Recht suchen, nicht schinden dürfen, und es werden gegen den Ver⸗ stoß dieser Vorschrift die allerstrengsten Strafen angedroht. Wie lagen denn die Dinge? In der Zeit vom 28. Oktober bis zum 6. No⸗ vember hat man von dem Fall nichts gehört. Da erscheint plötzlich ein Hetzartikel allerersten Ranges und trägt diese Affäre in die Oeffent⸗ lichkeit. Die Folge war, daß sich ein Entrüstungssturm erhob. Hier wäre es Pflicht der ivilverwaltung gewesen, gegen diesen Hetzartikel auf das schärfste sas chreiten. Das hat sie aber nicht getan. Als dann am 8. November enschenansammlungen auf den Straßen von Zabern stattfanden, ersuchte die Militärverwaltung die Polizei, die Menge auf der Straße zu “ Auf der Polizeiwache war aber nur ein Polizist anwesend, der erwiderte: Nein, ich komme nicht. Am 9. No⸗
die
vember baßer Kreisdirektor dem Kommandeur mitgeteilt, daß erneute Demonstrafonen zu erwarten seien, und um Unterstützung des Mili⸗ tärs gebeten. Man hat gestern hier Anstoß genommen an der Beglei⸗ tung der Offiziere durch Mannschaften. Der Kriegsminister hat mit Recht hervorgehoben, daß die Begleitung der Patrouille erfolgt ist, um Schlimmerem vorzubeugen. Wenn der Abg. Hauß sich den billigen Scherz geleistet hat, es wäre besser gewesen, dem Leutnant von Forst⸗ ner eine Amme mitzugeben — über Fee, es. läßt sich ja strei⸗ ten —, so muß ich doch sagen, daß sich diesen Ausspruch selbst der Abg. Hauß hätte ersparen können. Der Kriegsminister hat gestern zum Ausdruck gebracht, was für einen außerordentlich großen Wert gerade ein junger, frischer Offizier für die Truppe hat. Frß Bismarck hat bekanntlich den Ausspruch getan: Den preußischen Leutnant macht uns niemand nach. Man kann auch sagen: den deutschen Leutngnt macht uns niemand nach. Sie werden gewiß von alten Mannschaften ge⸗ hört haben, mit welcher Begeisterung sie von den jungen Offizieren erzählen, mit welchem Schneid sie von den jungen Offizieren im fran⸗ zösischen Kriege geführt worden sind. Ich verweise auch darauf, mit welchem Heldenmut unsere jungen Offiziere in Südwestafrika ihr Blut vergossen haben. (Lachen bei den Soz.) Wenn Sie darüber lachen, so überlasse ich das Urteil darüber dem Hause und dem Lande. (Ruf bei den Soz.: Wir lachen über Sie!) Es sind fortgesetzt Verhöhnun⸗ gen der Offiziere vorgekommen. Der kommandierende General hat dann dem Obersten den Auftrag erteilt, den Lokalbehörden mitzuteilen, daß, da die Offiziere gegen solche Kundgebungen nicht geschützt würden, das Militär zur Selbsthilfe schreiten müsse. Ueber diese Vorgänge schwebt die Untersuchung, und wir können uns füglich unser ÜUrteil darüber vorbehalten. Ich wiederhole, daß vom 8. bis zum 10. Novem⸗ ber fortgesetzt Verhöhnungen der Offiziere vorgekommen sind und daß
Zivilbehörden nicht genügend eingeschritten sind. Was sollte denn das Militär tun? Sollte es sich einfach die Beschimpfungen gefallen lassen? Soll sich das Offizierkorps mit Schmutz und Dreck bewerfen lassen? Das würde weder die Armee noch der überwiegende Teil des deutschen Volkes verstehen können. Uebrigens hat der Reichskanzler gesagt, daß die Untersuchung eingeleitet ist; wir werden also den Erfolg der Untersuchung abzuwarten haben. Das Unglück war, daß zu wenig Polizisten und Gendarmen dagewesen sind. Nun sind mehr Gendarmen da, und wir wollen hoffen, daß in Zabern Ruhe herrschen wird. Daß sich das Militär die skandalösen Angriffe nicht gefallen ließ, entspricht dem Ehrenstandpunkt der Armee und auch schließlich dem Ehrenstand⸗ punkt des ganzen deutschen Volkes. Wären die Lokalbehörden immer rechtzeitig auf dem Posten gewesen, dann wären diese bedaue rlichen Vorkommnisse nicht eingetreten. Wir haben das feste Vertrauen zur Mili⸗ tärverwaltung, daß sie sich durch nichts abhalten lassen wird, die Diszi⸗ plin in der Armee voll und ganz aufrecht zu erhalten, daß die Armee durch Reinhaltung ihrer Ehre unter allen Umständen ihre Pflicht tun wird. Sie wird dabei die große Mehrheit des Volkes und auch die gesamte anständige elsässische Bevölkerung hinter sich haben.
Abg. von Trampczynski (Pole): Die gestrigen Redner haben die elsässische Bevölkerung warm in Schutz genommen. Wir Polen stehen hier auf dem Standpunkt der Mitleidenden. Was in Zabern geschehen ist, ist der Ausfluß eines Systems, unter dem wir am meisten zu leiden haben. Ein zwanzigjähriger, frisch gebackener Leutnant glaubt sich alles erlauben zu können. Der Leutnant wird bestraft, aber unter einem Augurenlächeln, so daß er mit vier Mann Schokolade einkaufen gehen kann. Die Ausschreitungen der Solda⸗ teska können ja traurig stimmen, aber wer seit dreißig Jahren die Ereignisse beobachtet hat, weiß, daß die Zivilbehörden bei einem Streit mit den Militärbehörden immer den kürzeren ziehen. Man hat den Feldwebel und die Soldaten verhaftet, weil man annahm, daß unter ihnen der Verräter ist. Das erinnert an die mittelalterliche Tortur. Der Oberst ist nicht darüber erregt, weil eine Ungehörig⸗ keit in seinem Regiment vorgekommen, sondern weil sie ans Tages⸗ licht gekommen ist. Die Schutzlosigkeit der Soldaten ist hierbei das schlimmste. Es ist ja allbekannt, was aus einer Beschwerde eines Soldaten herauskommt. Die meisten Soldatenschindereien komme erst nach Jahren heraus, vielfach nur dadurch, daß der Betreffende sich erhängt. Der Fall von Zabern steht nicht vereinzelt da. Ich
Ferinnere nur an den Knittelschen Prozeß in Gleiwitz, der doch auch
einige Schlaglichter auf die Behandlung solcher Fragen wirft. Das Heer soll sich von der Politik fernhalten, aber man hat hier einen Reserveoffizier gemaßregelt, weil er im Verdacht steht, indirekt einen Nationalpolen unterstützt zu haben. Ueberall tut sich die Kluft zwischen Zivil und Militär auf. So hat sich in Hohensalza ein höherer Militär darüber beschwert, weil in einem Laden sich Schul⸗ kinder polnisch unterhielten. Ein anderer Offizier sah dort in einem Zigarrenladen, an dem ein polnischer Name stand, drei Soldaten stehen. Er ließ die Soldaten herausrufen und machte sie darauf auf⸗ merksam, daß sie dort nicht verkehren dürfen. Auf seine Beschwerde bekam der Ladeninhaber die Antwort, daß eine Geschäftsschädigung nicht beabsichtigt gewesen sei, der Major aber das Interesse der Armee wahrgenommen habe. Diese feindselige Stimmung der höheren Offiziere gegenüber der polnischen Bevölkerung färbt auf die Unteroffiziere ab. Ein elsässischer Rekrut wurde gefragt, wie er und seine Kameraden beim Militär behandelt würden. Er sagte, er könne sich nicht beklagen. Sie würden immer noch besser behandelt als die Polen. Seit drei Jahrzehnten ist die Heeresverwaltung auf den hirnverbrannten Gedanken gekommen, polnischen Rekruten das Polen⸗ tum vergessen machen zu wollen. Die polnischen Rekruten sind einem direkten Ueberwachungssystem unterworfen, und man verwehrt es ihnen, polnisch zu sprechen. Unser heutiges militärisches System will die Soldaten während ihrer Dienstzeit nur zu willenlosen Ma⸗ schinen machen Das wichtigste ist doch, daß man den Soldaten klar macht, wofür sie in einem etwaigen Kriege ihr Leben in die Schanze schlagen Aber diese Ueberzeugung wird nicht in der Kaserne, nicht in der Instruktionsstunde beigebracht, sondern im täglichen Leben. Nun frage ich: Ist die schmähliche Unterdrückung, der die polnische Bevölkerung durch den preußischen Staat ausgesetzt ist, wirklich ge⸗ eignet, diese Ueberzeugung wachzurufen? Abg. Freiherr von Gamp⸗Massaunen (Reichsp.): Es ist merkwürdig, daß erst jetzt hier im Reichstag zur allgemeinen Kennt⸗ nis kommt, daß schon seit langen Jahren die Militärverwaltung den Gebrauch des Wortes „Wackes“ verboten hat. Wie kommt es, daß man hiervon erst jetzt Kenntnis bekommt? Die Militärver⸗ waltung mußte sich doch sagen, daß durch nichts die ganze Aufregung besser beschwichtigt werden konnte als dadurch, daß die Bevölkerung Kenntnis von diesem Verbot erhielt. Das ist eine große Ver⸗ fehlung seitens der Militärverwaltung. Der Leutnant von Forstner selbst hat sich schwer vergangen. Früher glaubte man, daß er nur ein Wort gebraucht habe, über dessen Tragweite er nicht recht im klaren war. So liegt der Fall jetzt aber nicht mehr. Es ist fest⸗ gestellt, daß er selbst von diesem Regimentsbefehl Kenntnis hatte, es ist festgestellt, daß er selbst quittiert hat über diesen Befehl. Da. muß ich sagen, liegt doch ein sehr grobes Verschulden vor. Dieses grobe Verschulden hätte, glaube ich, auch von der Militärverwaltung schneller erkannt und gesühnt werden müssen. Das hätte uns manche Sorgen und Aufregungen erspart. Ich kann nur lebhaft be⸗ dauern, daß hier nicht rechtzeitig eingegriffen worden ist; denn diese Erörterungen, die sich an den Zaberner Fall knüpfen, werden in keines Patrioten Herzen Freude hervorrufsen. Der Leutnant ist bestraft worden. Die Militärvperwaltung weist darauf hin, daß es nicht zu⸗ lässig ist, von einer Dißziplinarstrafe in der Oeffentlichkeit zu sprechen. Ob es nicht möglich wäre, die betreffende Stelle von ihrer Schweige⸗ pflicht zu entbinden, möchte ich doch zur Erwägung geben. Die Ver⸗ fehlung des Leutnants hat dazu geführt, daß er sich auf der Straße nicht mehr hat sehen lassen können, ohne beleidigt, vielleicht sogar der Gefahr einer Mißhandlung ausgesetzt zu werden. Die Militärverwaltung hat sich, und das muß man anerkennen, veranlaßt gesehen, um weitere Konflikte zu vermeiden, diesen Mann unter mili⸗ kärischen Schutz zu stellen. (Lachen sinks und in der Mitte.) Bei kieser so ernsten Sache meine ich doch, daß der Reichstag sie viel zu lächerlich nimmt. Was sollte die Militärverwaltung machen? Jeden⸗ falls war die Absicht doch hbse cgh die, den Mann zu schützen. Ob ein solches Verhältnis auf die Dauer durchgeführt werden konnte, das mußte die Militärverwaltung pr en
Betreffs des Verhalten gegen⸗
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über den Semh ist von den Vertretern der verbündeten Regie⸗ rungen eine ganze Reihe von Aufklärungen nicht gegeben worden. Es sind Beleidigungen gegen das Militär gefallen, es sind Steine ge⸗ worfen worden, die Militärverwaltung 89. sich auf den korrekten Standpunkt gestellt und die jungen Leute inhaftiert und sie dann der Poligei übergeben. Allmählich aber scheint sich dann doch ein großer egensatz zwischen Militär⸗ und Zivilverwaltung herausgebildet zu haben. Beim ersten Zusammenstoß leistete die Zivilverwaltung eine, wenn auch nicht wirksame, so doch immerhin eine gewisse Mitwirkung bei der Zurechtweisung der störenden Elemente. Aber in welcher Weise?! Die Feuerwehr wird requiriert. Das ist ja die beste und harmloseste Methode, derartige Ansammlungen zu zerstreuen und die Gemüter abzukühlen. Aber die Feuerwehr hat ja ihre Schläuche so gehalten, daß der Wasserstrahl über die Köpfe hinwegging, und der herabfallende Regen konnte so bequem durch einige Regenschirme auf⸗ efangen werden. Das ist doch einfach eine Kinderei. Wenn die Foliges Mitwirkung leistet, dann muß diese wirksam sein. Nun der kritische Tag, der 28. November. Der Reichskanzler hat anerkannt, daß die Räumung des Schloßplatzes durch das Gesetz nicht gedeckt ist. Ich muß sagen, daß der Reichskanzler heute eigentlich nur seine Aus⸗ führungen von gestern wiederholt und in einigen Punkten unterstrichen hat, soweit es sich um den Zaberner Fall handelt. Er hat schon gestern eine Rüge über das Verhalten der Militärverwaltung ausgesprochen, und wenn die Herren den Reichskanzler angehört hätten, so würden sie jedenfalls einen anderen Eindruck von seiner Rede bekommen haben, als wie sie ihn bei solchen Lärmszenen bekommen haben. Es wurden nun bei der Räumung des Platzes ungefahr 20 Personen inhaftiert. War die Zivilpolizei zur Stelle? Darüber haben wir keine Aus⸗ kunft erhalten. Wäre sie da gewesen, so hätte die Militärverwaltung nicht korrekt gehandelt. War die Polizei nicht da, so blieb der Mili⸗ tärverwaltung nichts anderes übrig, als den Leuten zunächst einmal Unterkunft zu geben. Es ist aber ganz ungehörig, daß man diese Per⸗ ““ so behandelt, wie es geschehen ist. Man muß in einer annschafts⸗ oder, wenn nicht anders möglich, in einer Offiziersstube einen Ort finden, wo man sie anständig unterbringen konnte. Die Verhaftung an sich ist durchaus zulässig, wenn ein Mensch auf 1 Tat ertappt wird. Ich gewinne fast den Eindruck, daß die Zivilver⸗ waltung sich nicht eingemischt hat, nur um die Militärverwaltung die Suppe allein ausessen zu lassen, die sie sich selbst eingebrockt hat. Aber billigen kann ich das nicht. (Zwischenruf des Abg. Dr. Müller⸗ Meiningen.) Aber Kollege Müller, Sie als Richter sollten doch die Bestimmungen des Gesetzes kennen. Die Festgenommenen müssen unverzüglich dem Amtsrichter des Bezirks vorgeführt werden. Der Amtsrichter ist doch aber Abends 8 Uhr nicht auf dem Bureau. (Zwischenruf des Abg. Dr. Müller⸗Meiningen: Der Landrichter wollte die Leute vernehmen!) Der Landrichter hatte gar kein Recht zur Vernehmung, niemand konnte ihm die Vernehmung übertragen. Das müssen Sie, Kollege Müller, doch wissen. (Zwischenruf: Amts⸗ richter!) Nein, Sie haben gesagt Landrichter. Der Amtsrichter kann doch die Vernehmung nicht auf der Straße vornehmen. Am 1. Dezember ist allerdings eine andere Behandlung der Sache ein⸗ getreten. Der Generalmajor Kühne ist in Zabern erschienen und hat sich mit der Zivilbehörde in Verbindung gesetzt. Die Veröffentlichungen darüber machen allerdings einen sonderbaren Eindruck; es heißt darin der Generalmajor Kühne habe am 2. Dezember, Vormittags, mit dem Kreisdirektor Mahl verhandelt, sei dann nach Straßburg zurückgereist, und ebenso der Kreisdirektor. Dann kommt dieser nach Zabern zurück und erläßt eine Proklamation. Weshalb konnte der Kreisdirektor diese Proklamation nicht schon vor 3 Wochen er⸗ lassen? Bedurfte es dazu erst der Anregung des Generalmajors Kühne? Hatte der Staatssekretär keine Ahnung von diesen Vorfällen? Mußte man warten, bis der Generalmajor geschickt wird, um die Sache in die Hand zu nehmen? Das macht einen sehr eigentümlichen Ein⸗ druck. Das bedauerlichste ist, daß die Zusammenwirkung zwischen Militär⸗ und Zivilverwaltung gefehlt hat. Beide Seiten hatten die Verpflichtung, in dieser ernsten Sache ihre Meinungsverschiedenheiten zu vergessen und sich in den Dienst der Sache zu stellen. Der Abg. Fehrenbach hat die Erinnerung an unsern Freund Höffel erweckt und gemeint, dieser hätte die Reichspartei anders helehrt. Herr Fehrenbach, wie kommen Sie dazu? Wenn Sie Höffel so hoch einschätzen, worüber ich mich selbstverständlich freue, so wäre es von Ihnen verdienstlicher gewesen, wenn Sie dazu geholfen hätten, daß Hesss jetzt hier säße. Höffel gehört jetzt der elsässisch⸗lothringi⸗ schen Mittelpartei an. (Zwischenruf bei den Soz.) Die Zahl der Mit⸗ glieder macht es nicht. Diese Partei nimmt einen maßvollen Stand⸗ punkt ein. Die Partei hat eine Resolution beschlossen, worin sie mit ihrem Urteil bis zur Feststellung der Tatsachen zurückhält, aber die maß lose Verhetzung der nationalistischen, klerikalen und fortschrittlichen Presse gegen die Armee aufs schärfste verurteilt. Diese Partei steht selbstverständlich auf deutschnationalem Boden, und ich spreche ihr zu ihren patriotischen Aeußerungen unseren Dank aus. Der Reichs⸗ kanzler hat die Vorkommnisse am 28. November als ungesetzlich ge⸗ rügt und die Sühne in Aussicht gestellt; damit kann wohl der Zaberner Fall vorläufig als abgeschlossen angesehen werden. Die Abgg. Calker und Fehrenbach sagten, die 40jährige Arbeit zur nationalen Versöhnung sei zusammengebrochen. Ich habe gestern mit mehreren früheren Be⸗ amten gesprochen und habe einen ganz anderen Eindruck. Diese Herren haben eine höhere Ansicht von der Einsicht, von dem patriotischen Füh⸗ len und der politischen Klugheit der Zaberner Bevölkerung. Kann wirklich das ungebührliche Verhalten eines Offiziers und die folgenden Konflikte zwischen Militär⸗ und Zivilbehörden diese jahrelange Arbeit völlig vernichten? Dazu schätze ich die Zaberner und Elsässer viel zu hoch ein, als daß sie sich auf diesen Standpunkt stellen könnten. In Flsaß⸗Lothrin en sind nur verhältnismäßig wenige Elemente vorhan den, vr die Feefeiligung des status quo wünschen; fast die gesamte reichsländische Bevölkerung wünscht keine Aenderung, wohl aber ein freundnachbarliches Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich. Es ist jetzt jeder Grund geschwunden, der uns zu Meinungsverschieden heiten über diese Frage führen könnte. Der schlimmste Feind gegen die Weiterentwicklung in deutschnationalem Sinne ist die nationalistische und Presse, die bei jeder Gelegenheit die Gegensätze schürt Das sind die Leute, die sich nicht gescheut haben, die Leidenschaften an zurufen und sogar in Frankreich für ihre Sache Propaganda zu machen. Da nur wenige Elemente in Elsaß⸗Lothringen den jetzigen Rechts⸗ zustand ändern wollen, so darf man erwarten, daß aus der Bevölkerung heraus die Reaktion gegen diese Partei und Presse entsteht, dann wer⸗ den wir zu einer Versöhnung der Gegensätze kommen, dann werden in den altdeutschen Kreisen auch manche Wünsche dieser Bevölkerung,
denen gegenüber wir uns jetzt ablehnend verhalten, eine andere Auf⸗
nahme finden. Sorgen Sie dafür, daß Sie diese Presse unterkriegen. Dann können die Tage von Zabern noch die gute Wirkung haben, ein besseres Verhältnis zwischen den Altdeutschen und den Elsässern anzu⸗ bahnen und die elsässische Bevölkerung in ihren Bestrebungen, sich mit Deutschland zu vereinigen, zu unterstützen. Diesen Wunsch haben wir alle, daß die Reichslande möglichst bald und möglichst innig mit Deutschland verbunden werden. Das ist der Wunsch aller Parteien. Präsident Dr. Kaempf macht darauf aufmerksam, daß unter der Voraussetzung, daß die Diskussion heute schon zu Ende gehe, die namentliche Abstimmung noch heute vorgenommen werden werde. Abg. Dr. Weill (Soz.): Der Reichskanzler hat zu Beginn der heutigen Sitzung seiner gestrigen Rede einige Erläutervngen gegeben. Ich begreife die Absicht, die ihn bierbei geleitet hat. Die Stimmung, die gestern abend im Hause herrschte, nachdem der Leiter der Reichs⸗ regierung und namentlich, nachdem der Kriegsminister mit seinen so überaus wertvollen Bekundigungen geendet hatte, konnte den Reichs⸗ kantler nicht darüber im Zweifel lassen, wie die überwiegende Mehrheit der Volksvertretung über die geradezu unsinnige Politik denkt, die in der letzten Feit in Elsaß⸗Lothringen getrieben wird Aber diese Erläuterungen, die der Reichskanzler heute seiner gestrigen Rede hat folgen lassen, waren nutzlos denn er hatte bereits am gestrigen Tage einen Kommentator gefunden, der eine unzweideutige Aufflärung über die Punkte in der Rede des Reichskanzlers gab über die irgendwie ein Zweifel bestehen konnte. Dem Krier sminister kann es der Reichskanzler danken, daß nicht das geringste Mißverständn’s obwalten konnte über seine eigene Auffassung und über den ganzen
politischen Geisteszustand, von dem aus er gestern seine Rede an das
Haus gehalten hat. Der Reichskanzler hat sich in den Schlußsätzen seiner Rede mit dem Kriegsminister solidarisch erklärt und damit solidarisch erklärt mit derjenigen Auffassung, die gestern fast von dem ganzen Hause mit berechtigter Entrüstung veeaceegsen worden ist. Ich weiß nicht, in welchem Umfange und ob überhaupt unter diesen Umständen die heutige Erklärung des Reichskanzlers noch emigen Einfluß ausüben kann auf die schwankenden Gestalten, die sich zur Zeit in diesem Hause befinden. Aber ich glaube, das, was wir heute erlebt und gesehen baben, dürfte auch diejenigen, von denen wir keine übermäßige Festigkeit gewohnt sind, zwingen, an dem Stand⸗ pu kt festzubalten, den sie gestern zum Ausdruck gebracht haben. Wenn
stern die Abgg. van Calker und Fehrenbach ihre schmerzliche Bestürzung
e hier zum Ausdruck gebracht haben über die Reden von der Regierungs⸗ bank, so kann ich Ihnen versichern: Auch wir auf der äußersten Linken des Hauses waren erstaunt über das, was wir gestern hören mußten. Wir haben sicherlich keine übertriebene Vorstellung von der politischen Begabung und der freiheitlichen Gesinnung der Regierung; aber auf das, was uns gestern geboten worden war, war wirklich niemand von uns vorbereitet. Wir konnten nicht einen derartigen Mangel an Ein⸗ sicht und an Selbstgefühl bei einem leitenden Staatsmann vermuten, wie er hier gestern zum Ausdruck gebracht wurde. Heute hat der Reichs⸗ kanzler das Programm, das ihn leitet, in die Worte formuliert von der Harmonte zwischen Militär und Volk. Er hat uns gezeigt, wie er sich diese Harmonie denkt, diese Harmonte, die nach dem ganzen Auftreten der Re⸗ gierung nichts anderes sein kann als die Abdankung des Reichskanz ers. Es war ganz zutreffend, was gestern der Abgeordnete Fehrenbach sagte: Worte aus einer fremden Welt. Ich habe nicht den Ehrgeiz, mit der Regterung darüber zu diskutieren, wer an den Vorgängen in Zabern di⸗ Verantwortung trägt, und welche Politik einzuschlagen wäre. Eine solche aussichtslose Debatte will ich nicht unternehmen. Für uns handelt es sich darum, vor dem Lande die politische Konsequenz fest⸗ zustellen, die sich aus dem Vechalten der Reichsregierung ergibt. Nun wurde gestern die Befürchtung ausgesprochen, daß womöglich die Er⸗ klärung des Kriegsminist 18 die Resonanz sein könnte von der Unter⸗ redung, die in Donaueschingen stattgefunden hat. Ich fühle nicht in mir die Berufung, mich zu den Aufgaben eines Staatsanwalts aufzu⸗ werfen. Ich will auch hier nicht irgend einen Indizienbeweis gegen den Reichskanzter führen, aber einige Tatsachen verdienen hier festgehalten zu werden. Ich stelle fest, daß die gestrige Rede des Reichskanzlers in einem vollendeten Widerspruch steht zu der Erklärung, die er zu Beginn der Woche abaegeben hat Zwischen dieser Erklälung vom Montag und dem gestrigen Tage liegt die Unterhaltung, die in Donaueschingen geführt worden ist, und man wird im Volke allzu leicht zu der Vermutung kommen, daß man einem Losungswort hier blindlings gefolgt ist, das in Donaueschingen ausge⸗ geben worden ist. Die ganze Unterredung in Donau⸗ eschingen ist charakteristisch für unsere Verfassung. Zugezogen wurde der Kriegsminister und der Chef des Militärkabinetts. Nicht zugezogen wurde bisber derjenige Mann, der als einziger verant⸗ wortlich ist für die Reichsregierung. Das war eine willenlose Ka⸗ pitulation, eine demütige Unterwerfung, die man von einem selbst⸗ bewußten Leiter der Reichsregierung nicht erwartet hätte. Der Reichs⸗ kanzler hätte vor seinen Kaiserlichen Herrn hintreten und ihm sagen sollen: Das besorge ich nicht, entweder wird eine andere Politik ein⸗ geschlagen oder ich ziehe für meine Person die Konsequenzen. Das ist aber nicht geschehen. Der Generalleutnant von Deiml ng und das ganze Militaͤrregime ist siegreich geblieben. Deimling hat noch unmer nicht die diktatorischen Allüren abgelegt. Das ist außerordentlich charakeristisch und beweist aufs neue, wie der Geist der Militärdiktatur in der Reichsregierung obwaltet. Der Reichskanzler wollte heute unparteiisch gewesen sein. Gestern nannte er seinen Bericht objektiv, einen Bericht, der wesentlich auf Mitteilungen des Generalleutnants Deimling beruht und sogar bei den Finsehenanigen in Elsaß⸗Lothringen Widerspruch gefunden hat. Der eichska zler sagte, daß er auch den Zivilbericht genau kenne. Warum haben wir gerade von diesem Bericht gestern keine Kenntnis bekommen? Der Kriegsminister hat sich auf das „Zaberner Tage⸗ Flage berufen, das für die leitenden Offiziere Stellung genommen hat. Dieses Tageblatt ist weiter nichts als der Ableger eines 88 Straßburg und in seiner näheren Umgebung sehr bekannten Blattes, tas zu Kehlheim a Rhein ersch int, ein Blatt, über dessen Qualitäten sich der Kriegsminister vielleicht bei der elsaß⸗ lothringischen Landesverwaltung erkundigen mag, wenn er noch so viel ertrauen zu den Zivilbehörden hat. Der Kriegsminister hat den Mut gefunden, die Schuld an den Vorgängen auf die lärmende und hetzerische Presse zu schieben. Die elsässische Presse hat ohne Unter⸗ schied der Parteirichtung das Verdienst, die Heffentlichkeit auf diese unerhörten Mißstände aufmerksam gemacht zu haben, und es kann nicht geduldet werden, daß im schnodderigsten Tone die Verantwort⸗ lichkeit von den verantwortlichen Stellen auf die Presse und die Oeffentlichkeit abgeschoben wird. (Präsident Dr. Kaempf ruft den Redner wegen dieser Beleidigung des Kriegsministers zur Ordnung.) Was den meisten hauptsächlich gegen den Strich geht, ist die Methode, mit der die Reächsregierung, die Landesregterung von Elsaß⸗Lothringen die Zwilbehörden glatt preisgegeben hat. Der Reichstanzler wollte angeblich nichts beschönigen, hat heute aber viederholt, daß Ungesetzlichkeiten passiert seien, die nicht mehr passieren sollen. Wäre der verhängnisvolle Schlußsatz nicht gekommen, wäre nicht die Rede des Kriegsministers gewesen, so könnte seine Schwenkung vielleicht ernsthafter erscheinen. Aber tatsächlich hat er das Verhalten der Militärverwaltung in seinen übrigen Worten nicht verurteilt, sondern entschuldigt und beschönigt. Der Kriegsminister sprach von der Disz plin und davon, daß kein Stein dieser stolzen Mauern auf den andern gefügt worden wäre, wenn die Armee wäre. Wo wäre der Kriegsminister, wenn diese stolzen Mauern nicht die deutsche Volksvertretung in sich schlössen? Der Ton des Kriegsministers ist charakteristisch für dieses Prätorianertum, für diese Prätorianeroffiziere, die sich als Führer der Nation be⸗ trachten. Das ist der Geist der Militärdiktatur, und es ist die höchste Zeit, daß die Bürger sich aufraffen, und daß der Rock des Bürgers böher eingeschätzt wird als der militärische Rock und die militärische Uniform. Der Abg. van Calker hat in ergreifenden Worten ge⸗ schildert, wie seine politischen Lebenshoffnungen durch diese Politik des rohen Dreinschlagens zertrümmert würden. In der einheimischen Bevölkerung hatte sich noch vor einer Reihe von Jahren ein end⸗ gültiger Anschluß an das Deutsche Reich vollzogen. Heute ist das cht mehr der Fall. Die altelfaͤssische Bevölkerung ist von Zorn und E hitterung ergriffen über die Gewaltpolitik, und es gehörte elbsibeherrschung dazu, um eine solche Politik zu ertragen. Provozierende Leutnants gibt es nach dem Kriegsminister in Zabern und im Reichsland nicht; vielleicht denkt der Reichstag nach dem gestrigen Auftreten des Kriegeministers ganz anders über derartige Möglichkeiten. Die Herren nehmen andererseits in ihrer Ueber⸗ emnpfindlichkeit eine ganz exzessive Schonung für sich in Anspruch Si⸗ sehen das Elsaß nach wie vor als erobertes Land an, wo sie und sio allein den Ton angeben sollen. Wenn selbst die Landesregierung sich auflehnt und den Schutz der Bevölterung gegen mililärische Uebergriffe übernehmen will, darn läßt die Reichsregierung sie im Stich und wendet ihr den Rücken, wie es gestern hier geschehen ist. Wir verlangen für unsere Verwaltung die vollkommene Unabhängigkeit von Berlin, wo auch die erhabenste Philosophie der Staatsmänner vor den Generalen demütig in den Staub sinkt. Tagelang hat man auf die Antwort aus Donaueschingen warten müssen, und als sie kam, war es die Parteinahme für die Militärherrschaft, gegen die die Bürger selbst revoltiert hatten. Mit welcher Mißachtung hat heute der Kanzler von dem Mißtrauensvotum gesprochen! Sein Ansehen ist durch seine gestrige Rede und seinen heutigen mißlungenen Rückzugsversuch so gesunken, daß davon beim Volk nicht mehr viel übrig geblieben sein dürfte. Das Volk wird jedenfalls von diesem Tage an wissen, wie es diese Geringschätzung zu hewerten hat. Der Reichstag wird bei der die Möglichkeit haben und hoffent⸗ lich wahrnehmen, die Mittel zur Anwendung zu bringen, wonach die Regierung gezwungen werden kann, dem Volke Genugtuung zu leisten.
Für uns ist das eine Kampfansage, und wir hoffen, daß die Mehr⸗
heit des Reichstages ihn mit uns führen wird; wir haben hier im Reichstag die Autorität der Volksvertretung und das Rechtsbewußt⸗ sein des Volkes zu wahren.
Abg. Dr. Haas (fortschr. Volksp.): Die höchst bedauerlichen Vorgänge der letzten Wochen, nicht verurteilt, sondern beschönigt von dem Reichskanzler und dem preußischen Kriegsminister, das ist das niederschmetternde Ergebnis der gestrigen und heutigen Ver⸗ handlungen. Das Ergebnis ist aber auch, daß mit Aus⸗ nahme der ganz dünnen konservativen Schicht der Kanzler das Vertrauen des deutschen Volkes nicht mehr besitzt. Der Kanzler soll sein der Hüter der Gesetze und der Rechte des deutschen Volkes; und das war gestern das große und Gewaltige an den Ausführungen des Abg. Fehrenbach, daß man das Gefühl hatte: Hinter ihm steht fast das ganze deutsche Volk. Eine Kluft besteht zwischen Zentrum und Sozialdemokratie und schwere Gegensätze zwischen diesen und den Liberalen, aber darin besteht eine völlige Uebereinstimmung, daß in Deutschland Recht und Gesetz bestehen muß, und daß die Beamten des Reiches dazu da sind, einzutreten dafür, daß Recht und Gesetz bestehen bleiben. Noch gestern wäre es möglich gewesen, Beruhigung in Zabern und Deutschland zu schaffen, und Pflicht des Kanzlers wäre es ge⸗ wesen, im Interesse der Würde von Deutschland vor dem Ausland in diesem Sinne zu handeln, damit aller Welt klar würde, daß wir nicht in einem Militärstaat, sondern in einem Rechtsstaat leben. Vielleicht hat es der Reichskanzler gestern gefühlt, daß er die richtigen Worte nicht gefunden, vielleicht hat er heute deshalb etwas schärfer gesprochen. Aber das Vertrauen, das er gestern verloren hat, das konnte ihm die heutige Rede nicht zurückgewinnen. Wir haben in der gestrigen Rede und auch heute die schroffe, scharfe und unbedingte Anklage gegen die vermißt, die sich diese schweren Rechtsverletzungen haben zu Schulden kommen lassen. Wir vermissen auch, was uns der Reichskanzler in erster Linte hätte sagen und erklären müssen, ob er Vorsorge getroffen hat für die Zukunft, daß ein Zustand ähnlicher Rechtlosigkeit sich nicht noch einmal wiederholt. Wir fragen des halb wiederum, was gegen die Offi⸗ ziere geschieht, die die Gesetze verletzt haben. Wir wollen die politischen Garantien erfahren die uns gegeben werden müssen, damit sich Aehn⸗ liches nicht wiederholen kann Aus dem, was wir gehört haben, müssen wir schließen, daß eine weitgehende Rücksichtnahme erfolgt ist auf militärische Anschauungen, vielleicht auch eine weitgehende Rücksicht⸗ nahme auf einen ein igen Mann in Deutschland, dem man gestern besser gedient hätte, wenn man unverhüllt und rücksichtslos die Wahr⸗ heit gesprochen hätte. Der Geist der Kanzlerrede kommt vielleicht am besten zum Ausdruck in dem Worte, des Kaisers Rock müsse unter allen Umständen respektiert werden. Das ist ein altes Wort und eine alte Last. Des Kaisers Rock wird respektiert werden, wenn der, der diesen Rock trägt, Respekt und Achtung verdient. Wenn er diese nicht mehr verdient, dann kann der Respekt und die Achtung dusch Gesetze und Anordnungen nicht geschützt werden. Wenn der Reichskanzler aber meint, daß das deutsche Volk den Rock des Kaisers auch dann respeklieren muß, wenn der Träger des Rockes Achtung nicht mehr verdient, dann wäre diese Auffassung eine Be⸗ leidigung für das gesamte deuische Volk. Dem müssen wir entgegen⸗ setzen, daß ebenso der Rock des Bürgers in Deutschland und zehn⸗ tausendmal mehr die Gesetze und die Rechte des deutschen Volkes respektiert werden müssen. Aber die Offiziere schreiten über dies⸗ Gesetze und Rechte hinweg, und man spricht dann davon, daß des Kaisers Rock respektiert werden muß. Die Worte des Kanzlers waren eine Umdrehung des Tatbestandes. Er hätte nicht davon sprechen sollen, daß Offiziere gekränkt und beleidigt worden sind, sondern daß die Rechte des deutschen Volkes in flagranter Weise verletzt wurden. Was nun der Reichskanzler am gestrigen Tage schon schlecht gemacht hatte, das hat nach ihm der Kriegsminister noch vollständig zerstört. Wir haben von ihm im Augeublick der größten Erregung des deutschen Volkes zum Teil eine Bankettrede gehört, er hat uns einen Einblick gewahrt in eine Welt, die allerdings nicht die Welt des deutschen Volkes ist. Er sprach davon, daß Disziplin und Ehr⸗ gefühl in der Armee notwendig sind. Und warum haben wir uns nicht darüber ausgesprochen, wie verderblich es ist, wenn Vorgesetzte sich Soldaten gegenuber einer Bemerkung bedienen, die gegen die eigene Ehre und gegen die Ehre des Volkes ist, und daß so und so oft gegen das Ehrgefühl des gemeinen Mannes in der Armee verstoßen wird? Geht man von diesem Gesichtspunkte aus, dann kann es unter Umständen sogar recht sein, wenn ein Offizier dem, der ihm ein Schimpfwort zuruft, den Säbel in den Leib rennt. Wenn aber ein ganzes Volk von einem jungen Leutnant provozfert wird, wenn es sich verletzt fühlt durch die Aeußerungen eines solchen Leutnants, wenn es dann auf den Straßen Lärm macht, dann ist es ein Unrecht. Wenn aber ein junger Leutnant durch Schimpf⸗ worte junger Leute belästigt wird, dann soll es diesem erlaubt sein, sich über alle Grundsätze des bürgerlichen Rechts hinwegzusetzen. Man wies gestern auf das Wort des Kriegsministers hin, kein Stein in diesem hohen Hause wäre vorhanden, wenn die deutsche Armee nicht wäre. Das ist eine Selbstverständlichkeit, der man viele andere entgegenhalten könnte. Man könnte ebenso be⸗ haupten, daß alle Siege der deutschen Armee nicht zu erklären wären, wenn nicht hinter ihr das ganze deutsche Volk gestanden hätte. Wenn einmal hinter der Armee nicht mehr der Wille des Volkes steht, dann werden die besten Offiziere diese Armee nicht zum Siege führen können. Man kann also ruhig behaupten, und es sind nicht die Schlechtesten und Dümmsten, für die das gilt, die Offiziere und Soldaten trügen des deutschen Volkes Rock. Es geht nicht an, die Dinge so darzu⸗ stellen, als ob das Heer das Heer des Kaisers wäre. Unsere Armee ist ebensogut die Armee des deutschen Volkes. Der Kriegsminister sprach von einzelnen Preßorganen. Damit kann er nur die Organe des Zentrums, der Fortschrittlichen Volkspartei, vielleicht auch der Nationalliberalen und ganz seldstverständlich die der Sozialdemoktraten gemeint haben. Aber alle diese Organe haben sich immer bemüht, im Interesse der Ausführungen der Gesetze in Elsaß⸗Lothringen zu arbeiten, im Sinne der Versöhnung. Die Hetzartikel sind von den Leuten geschrieben worden, die gestern hinter dem Reichskanzler gestanden haben. Die „Kreuzzeitung“, die „Vossische Zeitung“ und die „Post“ haben Artikel geschrieben, man wolle Taten sehen. Man wisse schon lange, daß die Schaffung der Verfassung in Elsaß⸗Lothringen ein Unglück gewesen sei. Es ist. von jener Seite auch ausgesprochen worden, daß die obersten Zivilbehörden dort nicht den Willen gehabt haben, die Offiziere gegen Beleidigung zu schützen. Wenn Lachen nicht verboten worden wäre, dann dürfte man wirklich lachen, daß man so etwas gegenüber der obersten Zivilbehörde aussprach. Ich habe das Gefuühl, daß der Kriegsminister und Kanzler nicht fühlen wollten, worum es sich handelt. Es handelt sich nicht um den Vorfall in Zabern; es handelt sich darum, daß die großen prinzipiellen bürger⸗ lichen Fretheiten, die unsere Vorfahren erkämpft haben, bedroht worden sind von revoltierenden Offizieren. Ich will hier nicht sprechen, daß ein Hochverrat begangen worden ist, jedoch von einer Revolte kann man in diesem Falle wirklich reden. Der Tatbestand der Gesetze ist sehr einfach. Ein deutscher Bürger darf nach der Strafprozeßordnung nur verhaftet werden auf Grund eines richterlichen Haftbefehls. Dann gibt es noch gewisse Fälle, in denen ein deutscher Bürger, wenn er auf frischer Tat ertappt wird, festgenommen werden darf, und zwar von jedermann, selbstverständlich auch von Angehörigen des Soldatenstandes. Das ist dann, wenn seine Persönlichkeit nicht festgestellt werden kann, oder wenn er flucht⸗ verdächtig ist. Aber auch dann hat unsere Strafprozeßordnung eine weitgehende Garantie geschaffen. Wer so auf frischer Tat festgenommen ist, muß unverzüglich dem Amtsrichter vorgeführt werden. Unverzüglich. Die Bestimmungen der Strafprozeßordnung, diese fundamenkalen Grundsätze bürgerlicher Freiheit, das Wichtigste beinahe, was wir in der Strafprozeßordnung besitzen, Bestimmungen, die eigentlich gar nicht in die Srrasprozeßordnung hineingehören, sondern in die deutsche Reichsverfassung als Fundamentalgundsätze, die können nicht beseitigt werden durch irgend welche militärischen. Vorschriften und irgendwelche militärischen Instralktionen. Unsere Strafprozeßordnung muß von der Armee einem deutschen Bürger gegenüber beobachtet und geachtet werden. So geschelt waten ja die Herren von der Militärverwaltung selbst, als sie die Dienstvorschriften schufen. Es
steht nichts darin, was gegen die Strafprozeßordnung verstößt. Nur haben die Herren in Zabern in ihrer Nerposität nicht nur die Straf⸗ prozeßordnung nicht gekannt — daraus mache ich ihnen keinen Vorwurf —, sie haben ihre eigenen Dienstvorschriften nicht ge⸗ kannt, gegen die haben sie sich in gröblicher Weise vergangen. Aber das ist noch nicht das schlimmste. Das schlimmste ist, daß die Herren in Zabern sich die Polizeigewalt für einige Tage angemaßt haben. Der Reichskanzler hat gesagt, der Kontakt zwischen Militär⸗ verwaltung und Zivilverwaltung soll wieder hergestellt werden, die Harmonie. Was heißt denn in diesem Zusammenhang der Kontakt zwischen Milttärverwaltung und Zivilverwaltung? Da braucht man gar snen Kontakt. Das Militär soll in seinen Grenzen bleiben, es soll ich um die Dinge kümmern, die seines Berufes sind, und die Polizei⸗ gewalt hat das Militär der Z vilvehörde zu überlassen, solange bis es von der Zivilbehörde gerufen wird. Das ist Rechtens in garz Deutschland, und das ist selbstverständlich auch Rechtens in Elsaß⸗Lothringen. Es ist unerhört, wenn ein Oberst und einige Offiziere sich die Polizeigewalt in einer Stadt ohne Recht und un⸗ gerufen anmaßen. Nur den einen Vorwurf erhebe ich in diesem Falle gegen die Zivilgewalt in Zabern, daß sie dem Militär gegenüber keinen
Gebrauch gemacht hat von ihren Rechten, und daß sie nicht genug Humor besessen hat, um militärische Hilfe zu requtrieren gegen den Oberst von Reutter. Ich frage in allem Ernst: was macht man dann, wenn wirklich das Militär unbefugt Straßen besetzt, un⸗ befugt Menschen von der Straße weg verhaftet, und wenn es vergeblich darauf aufmerksam gemacht wird, wie es hier ge⸗ schehen ist, daß es unbefugt ist. Die braven Bürger von Zabern haben keine Maschinengewehre und keine Kanonen zur Ver⸗ fügung. Da muß man unter Umständen zwei oder drei andere Re⸗ gimenter zu Hilfe rufen, damit endlich einmal Ordnung geschaffen wird. Ich brauche gewiß scharfe Worte; was geschehen ist, ist eine unverschämte Freiheiteberaubung, wie sie unverschämter in der deutschen Reichs⸗ geschichte seit Schaffung des Strafgesetzbuchs vielleicht noch nicht vor⸗ handen war. Wenn ein Bürger in seiner Wut, um etwas zu er⸗ reichen, einmal einen anderen in ein Zimmer einsperrt, oder ähnliche Fälle vorkommen, so sind das Bagatellfälle, die hiermit gar nicht zu vergleichen sind. Aber daß ein Teil der Staatsgewalt selber seine Staatsgewalt dazu braucht, um deutsche Bürger rechtswidrig ihrer Freiheit zu berauben, ist das nicht ein unerhörter Fall2 Dann sind in Zabern eine ganze Reihe von Hausfriedensbrüchen mit Waffengewalt verübt worden; dann Körperverletzungen; zuletzt die Körperverletzang gegen den lahmen Schuster. Nun macht man den Versuch die Sache so darzustellen, als ob die Körperverletzung recht⸗ mäßig geschehen sei, weil der Schuster, der mit einigen anderen zur Arbeit ging sich seiner Verhaftung widersetzt hätte, als man ihn fest⸗ nehmen wollte, nachdem die anderen davongelaufen waren. Wenn der Schuster sich wirklich gewehrt hat, dann hat er sich mit Recht gewehrt. Also eine ganze Reihe von recht bedenklichen Delitten, verübt von Leuten, die unter Umständen berufen sind, die Staats⸗ autorität zu wahren. Wegen welcher Delikte sind denn die Leute den Kindern nachgesprungen? Weil sie gelacht haben? Wenn in Zabern Leutnants mit Patrouillen spazieren gehen, wenn man Kindern und halbwüchsigen Burschen mit dem Gewehr in der Hand nachspringt und sogar Staatsanwälte und Landrichter verhaftet, so lacht man darüber, und das silderhelle Lachen geht den ganzen Rhein entlang, springt hinüber über den Rhein in den Schwarzwald, an den Bodensee und über den Main hinüber nach ganz Deutschland, sie lachen in Frankreich, sie lachen in Amerika, sie lachen in den verbündeten Staaten Oesterreich und Italien, und wenn der Leutnant und seine Leute den Lachern nachspringen wollten, so müßten sie jetzt der ganzen Welt nach⸗ springen. Jetzt wird das Gefühl im deutschen Volke ausgelöst, daß doch eine Art Klassenjustiz in Deutschland besteht. Was wäre geschehen, wenn ein Bürger sich eine solche Freiheitsberaubung hätte zu schulden kommen lassen? Stellen Sie sich vor, ein Bürger hätte einen Offiziter gefangen genommen und tagsuber in einen Kohlenkeller gesperrt. Am anderen Tage wäre dieser Bürger verhaftet worden, wegen Kollusionsgefahr ins Gefängnis gekommen und bis zum Tage der Gerichtsverhaundlung dort gehalten worden und hätte schwere Freiheitsstrafe b kommen, und zwar mit Recht. Aber die Herren, die hier die Freiheitsberaubung begangen, die Waffengewalt mißbraucht haben, sind fret, sind nicht verhaftet, und ich spreche es offen aus, wir haben in diesem Falle nicht das Zutrauen zu der Militär⸗ gerichtsbarkeit, daß so Recht gesprochen wird, wie es notwendig ist. Da erheben wir unsere alte Forderung, daß Vergehen der Soldaten und Ofsiziere gegen das bürgerliche Recht nicht vor irgend welchen Standesgerichten, sondern vor den ordentlichen bürgerlichen Gerichten verhandelt werden. Hier spielen Standesauffassungen mit, daraus kann ich den Richtern nicht einmal einen Vorwurf machen; wir alle kommen über unsere Standesauffassungen nicht hinaus, aber das Volt begreift es nicht, daß wieder vn a Recht gesprochen wird nach zweierlei Maß. Schwere Gegensätze scheinen von jeher zwischen der VE“ und der Zivilgewalt in Elsaß⸗Lothringen zu bestehen. Wir haben vom Fürsten Hohenlohe gelesen, wie die Militäcverwaltung den Doppelposten vor dem Statthalterpalais nicht bewilligen wollte. Wir lesen weiter dort von veratotischen Maßregeln, die die Be⸗ völkerung in Elsaß⸗Lothringen zur Verzweiflung bringen können, damit der Belagerungszustand verlangt und der Beweis erbracht werden kann, daß die Zivilverwaltung nicht mehr allen Anforderungen genügen könne. Wenn ich mich auch von dem Abgeordneten Fehrenbach unterscheide, so sind wir ihm doch alle zu ungeheurem Dank verpflichtet, er hat in einer der schwersten Stunden des deutschen Volkes dem deutschen Volke die⸗ Sturmfahne vorangetragen. Gewiß ist der Generalleutnant von Deimling nicht nur ein tüchtiger Soldat, sondern auch ein bescheidener, gut bürgerlicher Mensch. Man rühmt ihm nach, daß er ein Vater seiner Soldaten sei. Die Badener sind stolz auf ihn. Aber er hat einen Fehler, daß er sich um politische Dinge kümmert. Es wäre gut, wenn die Militär⸗ verwaltung ihm sagte, du bist ein guter Truppenführer, aber um politische Dinge bekümmere dich nicht. Damit würde sich die Militärverwaltung auch um das elsässische Volk ein großes Ver⸗ dienst erwerben. Im übrigen protestieren wir alle miteinander, soweit wir nicht zur konservativen Partei gehören, die meint, daß Elsaß⸗Lothringen noch nicht reif genug sei, daß die Ver⸗ fassung in Elsaß⸗Lothringen schuld sei an den Zaberner Vorgängen. Hätten wir so lange warten müssen, bis wir nach der Meinung der konservativen Partei für die Verfassung reif wären, dann hätten wir sie noch lange nicht. Die Elsaß⸗Lothringer wissen so gut wie wir, daß Reichskanzler und Kriegsmirister kommen und gehen; besteben
bleibt der Wille des deutschen Volkes, die Rechte des elsässischen
Volkes zu wahren und zu schützen. Und das deutsche Volk ist noch
stark genug, Ausschreitungen nervös gewordener Militärs in ihre
Grenzen zurückzuweisen und die Beobachtung der Gesetze zu erzwingen.
Aber dem Kanzler und dem Kriegsminister insbesondere sage ich: die
Armee besteht nicht aus eigener Kraft, sie besteht durch den Willen
des “ Volkes, und über ihr stehen des deutschen Volkes Rechte
und Gesetze.
Abg. Dr. Ricklin (Els.): Die Ausführungen vom Regierungs⸗ tische haben uns Elsässer auf das schmerzlichste enttäuscht. Wir hatten die Hoffnung gehabt, daß die elsässische Bevölkerung für das schwere ihr angetane Unrecht hier Verständnis finden, und daß der Reichs⸗ kanzler das fortgesetzte ungesetzliche Vorgehen der Militärbehörden aufs schärfste verurteilen würde. Nichts ist geschehen, was unsere Hoff⸗ nungen hätte erfüllen können; auch die heutige Rede des Reichskanzlers hat es nicht getan. Ich traute gestern meinen Ohren nicht, als ich die Reden vom Regierungstisch hörte. An dem Lachen über die Ausfüb rungen des Kriegsministers, so sehr sie auch dazu herausforderten, habe ich mich nicht beteiligt. Ich hätte am liebsten vor Seelenschmerz laut aufgeschrien. Diese Rede wird in der weiteren politischen Entwick⸗ lung nachwirken. Der Schade, der durch die Regierungsreden an⸗ gerichtet ist, ist unberechenbar. Die Herren werden ihn niemals ver⸗ antworten können. Ich unterschreibe fast jedes Wort, das der Kollege van Calker in dieser Hinsicht gesagt hat. Gr war ehrlich bestrebt, im Elsaß unter Wahrung unserer Eigenart deutsches Wesen zu fordern. Ich unterschreibe aber auch die herrlichen, don wirklicher Erregung ein⸗
gegebenen Worte des Abg. Fehrenbach. Bekanntlich hat sich der Kollege