1913 / 288 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 06 Dec 1913 18:00:01 GMT) scan diff

Zu Handelsrichtern sind ernannt: der Kaufmann Julius Eduard Jassoy in Frankfurt a. M., wiederernannt: der Bankier, Kommerzienrat Wilhelm Pfeiffer und der Kauf⸗ mann Arnold Grolman in Düsseldorf, der Kaufmann und Konsul Ernst Leo in Königsberg i. Pr., der Bankdirektor Martin Friedlaender, der Fabrikbesitzer August Bumke, die Kaufleute Franz Bengsch und Georg Werckmeister in Bromberg.

Zu stellvertretenden Handelsrichtern sind ernannt: der Kaufmann Philipp Passapant in Frankfurt a. M. und der Bankdirektor und Stadtrat Hans Beckert in Bromberg, wiederernannt: der Kaufmann George Leopold Heygster in Königsberg i. Pr., die Kaufleute Leo Matthes und Karl Beck in Bromberg, der Fabrikbesitzer Fritz Falckenberg in Chobielin bei Nakel und der Fabrikdirektor Dr. Paul Mehne in Amsee bei dem Landgericht in Bromberg, der Kaufmann und Konsul Ernst Helfft und der Kaufmann Paul Körner in Stettin.

In der Liste der Rechtsanwälte sind gelöscht die Rechts⸗ anwälte: Justizrat Dr. Ludewig bei dem Landgericht in Erfurt, Josef Forkenbeck und Dr. Utsch bei dem Land⸗ gericht II in Berlin, Dr. Schwabe bei dem Amtsgericht und dem Landgericht in Göttingen, Heydeman bei dem Amts⸗ gericht in Mörs, Heine bei dem Amtsgericht in Eltville, Zippel bei dem Amtsgericht in Genthin und Dr. Gumtz bei dem Amtsgericht in Merseburg.

In die Liste der Rechtsanwälte sind eingetragen die Rechts⸗ anwälte: Dr. Schwabe aus Göttingen bei dem Landgericht I in Berlin, Muhl aus Schleswig bei dem Landgericht in Flensburg, Heine aus Eltville bei dem Amtsagericht und dem Landgericht in Wiesbaden, Klemme aus Bütow bei dem Amtsgericht in Oranienburg, Dr. Heinrich Müller aus Düsseldorf bei dem Amtsgericht in Mörs, die Gerichts⸗ assessoren: Dr. Bruno Isaac bei dem Landgericht II. in Berlin, August Schumacher bei dem Amtsgericht und dem Landgericht in Bonn, Sprung bei dem Amtsgericht und dem Landgericht in Koblenz, Dr. Hegemann und Kahn bei dem Ametsgericht und dem Landgericht in Cöln, Erdensohn bei dem Amtsgericht und dem Landgericht in Dortmund, Dr. Otto Hahn bei dem Amts⸗ gericht und dem Landgericht in Erfurt, Zucker bei dem Amts⸗ gericht in Waldenburg, Tenholter bei dem Amtsgericht in Wittlich, Spangemacher bei dem Amtsgericht in Dorsten, Helmuth Werner bei dem Amtsgericht in Friedrichstadt, Schneidereit bei dem Amtsgericht in Heydekrug, Windorf bei dem Amtsgericht in Schleusingen und der frühere Gerichts⸗ assessor Todt bei dem Amtsgericht in Sandau.

Der Landgerichtsrat Poddey in Tilsit und der Amts⸗ gerichtsrat Schönlicht in Burg bei Magdeburg sind gestorben.

Ministerium der öffentlichen Arbeiten.

„Versetzt sind: der Regierungs⸗ und Baurat Gerhardt von Breslau an das Polizeipräsidium in Berlin, die Bauräte Brügner von Burtehude an die Regierung in Lüneburg und Schultz (Georg) von Danzig als Vorstand des Hochbauamts

n Schwetz a. W., ferner die Regierungsbaumeister Hocke⸗ meyer von Breslau als Vorstand des Neubauamts in Ohlau

im Geschäftsbereich der Oderstrombauverwaltung) und Bau⸗ mann von Schwetz a. W. als Vorstand des Hochbauamts in Burtehnde.

Der Eisenbahnverkehrsinspektor Schumacher, bisher in Berlin, ist als Vorstand des Eisenbahnverkehrsamts nach Weimar versetzt.

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Auf Grund der Nummer 4 der in Nr. 213 des „Deut⸗ schen Reichs⸗ und Königlich Preußischen Staatsanzeigers“ vom 9. September 1913 veröffentlichten, am 22. Mai 1912 in Kraft getretenen Grundsätze für amtliche Tintenprüfung haben ferner folgende Firmen Kennmarken für ihre Tinten bei dem unterzeichneten Amt eintragen lassen:

Bezeichnung der Tinte

Rheinische Tintenfabrik V Wilson’s Normal⸗Archiv⸗Tinte Ferger & Co., Cöln, Urkundentinte.

Lütticherstr. 38, Dieselbe 1 Wilson’'s Aleppo⸗Tinte Eisen⸗ Jqgallus Schreibtinte.

Berlin⸗Lichterfelde West, den 29. November 1913.

Königliches Materialprüfungsamt. A. Martens.

Nichtamtliches.

Deutsches Reich.

Preußen. Berlin, 6. Dezember 1913.

Seine Majestät der Kaiser und König hatten, wie bereits gemeldet, für gestern vormittag den Reichskanzler, den Statthalter von Elsaß⸗Lothringen und den Kommandierenden General von Deimling nach Donaueschingen befohlen, um weitere Vorträge über die bekannten Vorgänge in Zabern entgegenzunehmen. Seine Majestät haben, wie „W. T. B.“ mitteilt, darauf zu bestimmen geruht, daß die Garnison von Zabern bis auf weiteres nach dem Truppenübungsplatz verlegt

wird. Die schwebenden kriegsgerichtlichen Verfahren werden

mit Beschleunigung zu Ende geführt.

Seine Majestät der Kaiser und König hörten

gestern auf der Fahrt von Donaueschingen nach Stuttgart den

Vortrag des Vertreters des Auswärtigen Amts, Gesandten

von Treutler

entrichten.

Die vereinigten Ausschüsse des Bundesrats für Zoll⸗ und Steuerwesen und für Rechnungswesen, die vereinigten Ausschüsse für Zoll⸗ und Steuerwesen und für Justizwesen sowie der Ausschuß für Zoll⸗ und Steuerwesen hielten heute Sitzungen.

1

Der preußische Justizminister hat unterm 3. d. M. auf

Grund von § 14 des Gesetzes über die juristischen Prüfungen

und die Vorbereitung zum höheren Justizdienste vom 6. Mai 1869 (Gesetzsamml. S. 656) eine allgemeine Verfügung, be⸗ treffkend die Gebühr für die große Staatsprüfung, erlassen, die unter Aufhebung der allgemeinen Verfügung vom 10. März 1909 folgendes bestimmt: 8

Die von jedem Referendar für die große Staatsprüfung zu ent⸗ richtende Gebühr beträgt einhundert Mark.

Die Gebühr ist alsbald nach der Zulassung zur Prüfung zu

§ 2. ) Beschränkt sich die Prüfung a. —2 b mündlichen Teil, so beträgt die Gebühr fünfzig ark, b. auf eine oder zwei der schriftlichen Arbeiten, so beträgt die Gebühr für jede Arbeit vierzig Mark, Fc. auf den mündlichen Teil und eine der schriftlichen Arbeiten, so beträgt die Gebühr neunzig Mark. Die Bearbeitung der zwei Rechte fälle 56 Pr. O.) gilt im Sinne dieser Verfügung als eine schriftliche Arbeit. 3 2) Erledigt sich die Prüfung vor ihrer Vollendung, so finden für die Erhebung der Gebühr die Vorschriften des Abs. 1 entsprechende Anwendung. 3) Ist im Falle 2 weder eine schristliche Arbeit angefertigt noch mit der mündlichen Prüfung begonnen, so wird eine Gebühr von fünfzehn Mark erhoben. 8 .

Für die Prüfung von Referendaren, deren Prüfung der Justiz⸗ prüfungskommission durch eine bei ihr vor dem 1. Oktober 1913 ein⸗ gegangene Verfügung aufgetragen ist, sind die Gebühren nach den bisherigen Vorschriften zu erheben.

u““ Württemberg.

Seine Majestät der Kaiser und König ist, wie „W. T. B.“ meldet, gestern abend aus Donaueschingen in Stuttgart eingetroffen und auf dem Bahnhof von Seiner Mafestät dem König Wilhelm, Ihren Königlichen Hoheiten den Herzögen Philipp und Albrecht von Württemberg und den übrigen männlichen Mitgliedern des Königlichen Hauses, dem Kriegsminister, General der Infanterie von Marchthaler, dem kommandierenden General von Fabeck, dem Kommandeur des Dragonerregiments Königin Olga (1. Württembergischen) Nr. 25, Oberstleutnant von Gleich u. a. empfangen worden. Nach herzlicher Begrüßung und der Vorstellung der Gefolge fuhren die Majestäten unter lebhaften Kundgebungen der Bevölkerung nach dem Residenz⸗ schloß. Nach dem Diner besuchte Seine Mafestät der Kaiser in Begleitung Ihrer Majestäten des Königs und der Königin

die Vorstellung im Königlichen Hoftheeter.

1 Hamburg. 8 Der Senat hat nach einer Meldung des „W. T. B.“ für das Jahr 1914 den Bürgermeister Dr. Predoehl zum Ersten Bürgermeister, den Senator Dr. von Melle zum Zweiten Bürgermeister gewählt.

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Oesterreich⸗Ungarn.

Der galizische Landtag ist gestern eröffnet worden. Der Statthalter Korytowski unterbreitete eine Regierungs⸗ vorlage über die Wahlreform und erklärte laut Bericht des „W. T. B.

Die Regierung sei zur Ueberzeugung gelangt, daß aus der Mitte der Parteien unmöglich ein Wahlreformentwurf hervorgehen könne, der auf allgemeine Zustimmung zu rechnen hätte. Daher habe sich die Regierung entschlossen, unter Fühlungnahme mit allen Parteien, mit einer eigenen Vorlage hervorzutreten. Die Regierung wolle das Zusammenarbeiten beider Nationalitäten ermöglichen, jeder Nationalität entsprechende Vertretung sicherstellen und alle erwerbenden Bevölkerungs⸗ schichten zur Teilnahme an der öffentlichen Tätigkeit heranziehen. Der Statthalter verwies darauf, daß fortan einem ruthenischen Mitgliede des Landesausschusses die Vertretung des Landmarschalls im Ausschuß übertragen werden soll. Auch für die Wahl in die Landtags⸗ kommissionen der Landesinstitute sichere die Vorlage den Ruthenen eine Vertretung zu. Die Regierung schlage zur ständigen Kontrolle der Finanzverwaltung des Landes die Errichtung von Landesfinanz⸗ kommissionen vor. Der Statthalter schloß mit dem Wunsche, daß die Wahlreform dem Lande Frieden bringe.

Hierauf wurde auf Antrag des Abg. Dr. Leo die Re⸗ gierungsvorlage für dringlich erklärt und die Wahl eines 25 gliedrigen Wahlreformausschusses vorgenommen.

Im ungarischen Abgeordnetenhause erwiderte der Ministerpräsident Graf Tisza auf eine Aeußerung des Abgeordneten Pop (Rumäne), die in Ungarn lebenden Rumänen betreffend, und führte, obiger Quelle zufolge, aus:

Der Abg. Pop möge sich aus dem rumänischen Grünbuch über⸗ zeugen, daß die Monarchie vom Beginn der Balkankrise an mit allen Kräften die rumänischen Bestrebungen unterstützt habe. Die Be⸗ hauptung Pops, daß Gründe der äußeren Politik Ungarn dazu nötigten, den in Ungarn lebenden Rumänen gegenüber eine freund⸗ lichere Politik einzuschlagen, sei durchaus falsch. In Ungarn erfreuten sich die rumänischen Landeskinder einer ausgezeichneten Stellung. Die Klagen über Unterdrückungen seien durchaus grundlos; die Rumänen hätten sich in Ungarn nicht nur ziffernmäßig vermehrt, sondern auch materiell und kulturell einen großen Aufschwung genommen. „Ich begreife,“ sagte der Minister⸗ präsident, „daß die ungarländischen Rumänen den Aufschwung des Königreichs Rumäniens als die Verwirklichung ihrer nationalen Ideale mit Begeisterung begrüßen. Ich bin weit entfernt, dies als Irredentismus zu bezeichnen. Aber ich glaube, daß die ungarländischen Rumänen es ihrem Nationalgefühl schuldig sind, daß sie den ungarischen Staat lieben und seine Wohlfahrt fördern, da die Ungarn und die Rumänen den gleichen geschichtlichen Beruf haben, in brüderlichem Einvernehmen, gestützt auf das Germanentum, die Freiheit und die Kultur Europas gegen die Ausbreitung der panflawistischen Tendenzen zu verteidigen.“

Großbritannien und Irland.

Durch Königlichen Erlaß wird, wie „W. T. 8 meldet, die Einfuhr von Waffen und Schießbedarf sowie von deren Bestandteilen, wie leeren Patronenhülsen, Erplosivstoffen und Brennstoffen, die für kriegerische Zwecke geeignet sind, nach Irland verboten, außer wenn die Gewißheit gegeben ist, daß sie für Sportzwecke, Bergwerks⸗

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betriebe oder für andere unkriegerische Zwecke bestimmt sind Ein zweiter Erlaß verbietet den Transport 8 Sienahe Artikel längs der Küste mit den gleichen Einschränkungen.

Der Premierminister Asquith hat gestern in Manchester eine Rede gehalten, in der er betreffs der irischen Frage obiger Quelle zufolge erklärte:

Die Regierung würde zu nicht geringen Opfern bereit sein, wenn sie dadurch eine dauernde Regelung der irischen Frage dur Vereinbarung sichern könnte. Er bestritt, daß er in seiner letzten Rede in Leeds etwas von dem zurückgenommen habe, Zeit in Ladybank in Aussicht gestellt hätte. Er habe grundsätzlich gegen die von Sir Edward Carson kürzlich in seiner Rede in Manchester formulierten Bedingungen nicht viel einzuwenden 8 betrachte Carsons Erklärungen als ein günstiges Zeichen für die augenblickliche Lage. Frankreich. 9

Der Präsident Poincaré hat einer Meldung des „W. T. B.“ zufolge Jean Dupuy mit der Kabinetts bildung beauftragt. Dieser wird versuchen, ein Kabinett de Linken zur Einigung der Republikaner zu bilden.

Nach einer offiziösen Meldung hat der Generalrat des Brücken⸗ und Straßenwesens den Beschluß über Errichtung eines großen Hafens in Casablanca genehmigt und gleich zeitig auch die dem Parlament vorgelegten Pläne gutgeheißen.

Rußland.

Die Reichsduma verhandelte gestern über eine Inter⸗

pellation, betreffend die neuen Statuten der medizinischen Akademie. Nach längerer Debatte über die vom Kriegs⸗ minister abgegebenen Erklärungen nahm die Duma, wie „W. T. B.“ meldet, mit 139 gegen 78 Stimmen folgende von den Oktobristen eingebrachte Uebergangsformel an:

In Anbetracht dessen, daß die Einführung der neuen Statuten der medizinischen Akademie ohne Genehmigung der gesetzgebenden Institutionen direkt gesetzwidrig ist, und daß die Inkraftbelassung der Statuten trotz der Weigerung des Senats, sie zu veröffentlichen, eine dauernde Gesetzwidrigkeit darstellt, erachtet die Reichsduma die Er⸗ klärungen des Kriegsministers für ungenügend.

Spanien.

Der General Marina ist gestern aus Tetuan in Madrid

eingetroffen. Wie „W. T. B.“ meldet, hat der Ministerpräsident

anläßlich seiner Ankunft erklärt, es sei nicht beabsichtigt, den

Posten des Oberkommissars anderweitig zu besetzen. General Marina werde nach einem Meinungsaustausch über die marok⸗ kanischen Angelegenheiten in sein Amt zurückkehren.

WMPoontenegro. 1““ ie „W. T. B.“ meldet, haben die Serben Plewlje

ger äumt. Asien.

Nach einer Meldung des „W. T. B.“ aus Teheran ist es den Gendarmen unter Führung der Majore Uggla und

Lundberg nach viertägigem, heftigem Kampfe mit Stammes⸗

leuten gelungen, die Straße Buschir —Schiraz wieder frei zu machen. Karawanen können dort jetzt wieder frei verkehren.

Vier Mitglieder der mexikanischen Spezial⸗ gesandtschaft, die beauftragt ist, der japanischen Regierung den Dank für ihre Teilnahme an der mexikanischen Jahr⸗ hundertfeier auszusprechen, sind am 1. Dezember, von San Francisco kommend, in Tokio eingetroffen. Wie das „Reutersche Bureau“ meldet, sind sie seit ihrer Ankunft unaus⸗ gesetzt mit Verhandlungen wegen Ankaufs von Waffen und Munition von dem unter dem Namen Taiho Schokai kannten japanischen Syndikat beschäftigt.

Parlamentarische Nachrichten.

*

Der Reichstag setzte in der heutigen (184.) Sitzung, der der Staatssekretär des Innern Dr. Delbrück beiwohnte, die Besprechung der Interpellation der Sozialdemokraten, betreffend die Arbeitslosigkeit und die Arbeits⸗ losenversicherung, fort. .“

Abg. Sosinski (Pole): Ich halte eine reichsgesetzliche Regelung für nötig. Es müßte mindestens ein Normalstatut erlassen werden, wie die Arbeitslosenversicherung unter Hinzuztehung der Arbeiter⸗ verbände ins Leben zu rusen ist. Man klagt, daß soviel Arbeiter aus dem Lande in die Stadt ziehen und sich der Industrie zuwenden. Diese Abwanderung geschieht vielfach durch Maßnahmen der preußischen Regterung und der Behörden. So werden polnische Landarbeiter gezwungen, ihre Heimat zu verlassen und in die westlichen Industrie⸗ reviere zu ziehen. Dadurch gehen dann natürlich im Osten zahlreiche Arbeitskräfte dem Lande verloren.

Abg. Dr. Haegy (Els.): Die wirtschaftlichen Krisen werden nach⸗ gerade zu einer nationalen Kalamitäat. Wer das Elend in arbeitslosen Familien einmal kennen gelernt hat, der wird den tiefen und schmerßlichen Eindruck nicht wieder vergessen, daß hier ein wichtiges soziales Problem zu lösen ist. Durch Notstandsarbeiten wird keine durchgreifende Hilfe ge⸗ schaffen. Ebenso ist es mit der Ausschaltung der ausländischen Arbeiter. Diese kann höchstens für bestimmte Gegenden zeit⸗ weilig nutzen. Es ist gerade im letzten Falle sehr merkwürdig, daß die Soztialdemokratie, die doch sonst so eifrig für den Freihandel eintritt, in dieser Frage einen Schutzzoll für die inländtschen Arbeiter fordert. Das einzig wirksame Mittel gegen die Arbeitslosigkeit ist die Einführung einer Arbeitslosenversicherung. Sie ist der Schluß⸗ stein unserer ganzen sozialen Gesetzgebung. Man darf nicht vergessen, daß schon einzelne Steine für diesen Schlußbau vorhanden sind. Der Reichstag muß endlich einmal die Grundzüge für eine solche Versicherung aufstellen, denn es muß etwas geschehen, um diese Frage einer Lösung näher zu bringen. Andere Staaten sind vorangegangen, da kann doch wohl Deutschland, das bisher auf sozialem Gebiete führte, nicht zurückstehen. Bei allen sozialen Gesetzen müssen Jahrzehnte vergehen, ehe ihre volle Wirkung zutage treten kann. So wird es auch hier sein. Man kann deshalb nicht früh genug anfangen. Die Frage ist, ob das Reich allein in erster Linie berufen ist, diese Aufgabe zu erfüllen, indem es eine Ver⸗ sicherung nach Art der Kranken⸗, Unfall⸗ und Invaliden⸗ versicherung schafft. Gerade die Arbeitslosenversicherung ist ein so kompliziertes Problem, das nur gelöst werden kann unter Zusammenarbeit von Reich, Einzelstaaten und Kommunen. Die Städte allein können die Lasten einer Arbeitslosenversicherung nicht tragen. Es wäre Aufgabe des Reichs, einen gesetzgeberischen Rahmen zu schaffen, innerhalb dessen sich die Tätigkeit der Gemeinden und der einzelnen Landesregierungen zu bewegen hätte. Ob das Reich einen Zuschuß leisten kann, ist im höchsten Grade zweifelhaft, bei dem Stande seiner Finanzen. Im deutschen Lande ist der Aermste das Deutsche Reich. Besonders hinweisen möchte ich darauf, daß die Stadt Straßburg einen Versuch zur Lösung dieses Problems gemacht hat, ebenso einige andere elsässische Städte. Sache der Arbeiterorganisationen ist es, praktisch an der Durchführung der Versicherung mitzuwirken. In den Branchen mit chronischer Arbeits⸗ losigkeit müßten die Arbeiter zurücklegen, um aus ihren Ersparnissen

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weise können viel

Städten der Hauswirt den Mann exmittiert. Es ist nicht unwesentlich, wenn die christliche Liebestätigkeit beider Konfessionen, brüderlich geeint, jetzt 35 Arbeiterkolonien mit 4096 Maätzen

wendung finden,

regelmäßige Beiträge für die Versicherung zu leisten. Ebenso müßte

die Industrie dazu beitragen. Man müßte ihr sagen: tua res agitur. d. Iäetnärr 1e großen Gesellschaften können doch nicht bloß die hohen Gewinne einheimsen. Für die Zeiten der Arbeits⸗ lofigkeit müßte die Industrie eine Versicherungsreserve zurück⸗ legen.“ Die Arbeiter dürfen nicht bloß auf die Mild⸗ tätigkeit angewiesen bleiben. Die Landwirtschaft hat dieses Risiko bisher doch auch übernommen. Auch der Kleinbauer hat selbst bei katastrophalen Mißernten seine Arbeiter durchgehalten. Man ver⸗ weist darauf, daß die Arbeitslosenversicherung die Landflucht begünstigen könne. Dies ist kein Argument gegen die Versicherung. Der Zuschuß würde nicht so bedeutend sein, daß die Arbeiter auf dem Lande die Lust verspürten, in die Städte zu ziehen. Ebenso wenig ist der Einwand berechtigt, daß die Versicherung die Faulheit begünstige, daß das Selbstverantwortungsgefühl untergraben würde. Daß auch der Sparsinn nicht leiden würde, beweist die Alters⸗ und Invalidenversicherung, die Spareinlagen der kleinen Leute sind seitdem enorm gewachsen. Wir elsässischen Abgeordneten sind bereit, an der Lösung dieser gesetzgeberischen Aufgabe mitzuarbeiten im Interesse des Volkes, der Industrie und der Arbeiterschaft 1“

Abg. Mumm (Wirtsch. V.): Der sozialdemokratische Redner ist mir keineswegs als der Dr. Allwissend erschienen, der Allheil⸗ mittel gegen die Arbeitslosigkeit hat. Das sozialdemokratische Pro⸗ gramm versagt vollkommen gegenüber dem Problem der Arbeits⸗ losigkeit. Die marristische Sozialdemokratie hat für die Arbeitslosen nur den einen Trost: Wartet auf unsere Zukunftsgesellschaft, bis dahin wirds immer schlimmer. Einst wird aber die Zeit kommen für euch (Ruf bei den Sozialdemokraten: Karneval!). Das nennen Sie also Karneval, wenn ich Ihr Programm zitiere. Das sozialdemokratische Programm kennt nur die Verelendungstheorie, weiß nur, daß die Armee überflüssiger Arbeiter immer größer wird, bis dann in den Tagen der Zukunftsgesellschaft die höchste Wohlfahrt kommen wird. Bis dahin sollen die Arbeiter eben programmäßtg warten. Das Organ des sozialdemokratischen Zimmererverbandes äußert sich über den Jenaer Beschluß der Partet dahin, daß die ganze Agitation sich in Reden im Parlament erschöpfe, aber zu nichts führen wird. Der „Vorwärts“ sagt heute, daß die meisten Mitglieder dieses Hauses es gestern nicht der Mühe für wert gehalten hätten, den Verhandlungen beizuwohnen, ich stelle aber fest, daß, als der Abg. Giesberts, ein Arbeiter, sprach, von den 111 Soztaldemokraten nur 21 im Saale anwesend waren. Wenn es nach dem Programm des sozialdemokratischen Redners ginge, würde nur noch mehr die Masse der Landarbeiter in die großen Städte ziehen. Dank unserer Wirtschaft politik ist unser Reich trotz der Vermehrung der Kopfzahl um jährlich 850 000 aus einem Auswanderungsland zu einem Einwanderungsland geworden; während früher Hunderttausende alljährlich ins Ausland gingen, ist heute unsere Auswandererziffer auf 18 000 zurückgegangen, während 1 Million Ausländer bet uns arbeiten. Es ist nichts dagegen zu sagen, wenn Ausländer bei uns Arbeit finden, das hat sogar den Vorzug, daß wir bei Hochkonjunkturen die Arbeit leichter regulieren können, aber wir haben die nationale Pflicht, den deutschen Arbeitern Arbeitsgelegenheit zu schaffen und die Aus⸗ länder nur zu beschäftigen, wenn sie nicht Lohndrücker sind. Die Siegerländer Arbeiterschaft empfindet es z. B. sehr, wenn die Ausländer billiger arbeiten als die einheimischen Arbeiter. Niemals sollte eine öffentliche Behörde in der Absicht, die Löhne zu drücken, Ausländer beschäftigen, auch wenn es sich vielleicht nur um wenige Maurer handelt. Wollen wir wirklich national sein, so haben wir die Pflicht, ausländische Arbeiter zu entlassen, wenn deutsche Arbeiter zur Verfügung stehen. Die Reichsverwaltung selbst hat ein nationales Interesse daran. Verständig geleitete Arbeitsnach⸗ zur Regulierung der Arbeit tun, und wir wenn nach der Erklärung des

würden ganz zufrieden sein,

Staatssekretärs ein weiterer Ausbau der Arbeitsnachweise stattfände.

Darauf koͤnnen wir ja nach den gestrigen Erklärungen des Staats⸗ sekretärs hoffen. Die öffentliche Gewalt hat die Aufgabe, die Arbeits⸗ losigkeit zielbewußt auszugleichen. In solchen Zeiten sollte man großzügig Oedländereien in Kulturland verwandeln und Moore entwässern. Wenn manmAnleihen für soziale Zwecke aufnimmt, so handelt man wirtschaftlich recht. Notstandsarbetten werden ermög⸗ licht durch rechtzeitige Vorsorge durch Reservefonds, sodaß man recht⸗ zeitig zweckentsprechende Arbeit vergeben kann. Es ist durchaus erwünscht, daß die Betriebe nach Möglichkeit von Arbeiterentlassungen absehen; und es ist menschlicher, wenn zunächst die jungen Leute vor den älteren entlassen werden; gemindert wird aber dadurch nur wenig. Es ist dringend erwünscht, daß die für das Jahr 1915 vorgesehene Verschiebung der Altersgrenze in der Invalldenversicherung vom 70. auf das 65. Lebensjahr schon vorher eintritt und wenn dadurch der Arbeitsmarkt etwas entlastet wird. In großen führt die Arbeitslosigkeit sehr schnell dazu, daß

1 errichtet hat, die schon 254 157 Arbeitslosen ein Plätzchen gewährt haben. Viele mögen daru ter sein, die nicht mehr zur Freiheit des wirtschaftlichen Lebens urückkehren können. Was ist moderne Fürsorge? Ein Asyl für Obdachlose oder eine Kolonte Hoffnungsthal, die aus dürrem Sandboden eine Obstkolonie schaffen will. Nun fordert die Sozialdemokratie Arbeitslosenversicherung von Reichs wegen. Der Hinweis auf das Ausland zur ee der Schwierigkeiten ist ganz verkehrt, denn England hat nur einen kleinen Bruchteil und Dänemark nur halb o viel Arbeitslose im Verhältnis zu uns. Das Risiko für den

taat ist zu groß, weil jede statistische Grundlage, wie sie für

die anderen Versicherungen vorhanden ist, hier fehlt. Die Ver⸗ sicherung wäre nur möglich in Verbindung mit einem gewissen

Arbeitszwang und einer Beschränkung der Freizügigkeit. Die An⸗ nahme einer niederen Arbeit kann dazu führen, daß der Betreffende höhere überhaupt nicht mehr bekommt und deshalb lieber arbeitslos bleibt. Eine Reichsarbeitslosenversicherung würde, soweit es sich heute über⸗ sehen läßt, die Einschränkung der Arbeitsfreiheit und eine scharfe Ueberwachung der Gewerkschaften mit sich führen. Das würde den Herren der äußersten Linken freilich nicht angenehm sein. Ein Vorgehen von Reichs wegen ist nur möglich, wenn ein durchgearbeiteter Vorschlag hier eingebracht wid. Der Abg. Giesberts hat gestern die Scozialdemokratie in große Ver⸗ legenheit gebracht, als er sie aufforderte, doch dem Reichstage einen diee scecsgeeten Entwurf vorzulegen. Die Sozialdemokratie hat auf ihrem internationalen Kongreß den Beschluß gefaßt, daß die Kosten der allgemeinen obligatorischen Arbeitslosenfürsorge von den öffentlichen Gewalten wie von den Besitzern der Produktionsmittel zu tragen seien. Den Arbeiterorganisationen sollte die Verwaltung zu⸗ stehen. Damit können wir uns nicht einverstanden erklären. Auch wir wünschen, daß den Arbeitslosen nach Möglichkeit geholfen wird. Aber das Problem ist noch nicht derart geklärt, daß man zu einer gesetzlichen Regelung dieser Frage schreiten kann. Wir hoffen, daß die Meichseaerune alles tun wird, um der von Jahr zu Jahr größer werdenden Arbeitsnot entgegenzutreten.

Unterstaatssekretär im Reichsamt des Innern Dr. Richter: Ich möchte sofort die Anfrage des Vorredners beantworten, weshalb von den im Etat des Reichsamts des Innern für die Kultur von Oed⸗ ländereten ausgeworfenen 100 000 nicht eine größere Summe als 10 000 dem Verein für innere soziale Kolonisation zur Verfügung gestellt worden ist. Ich gehe auf die Anfrage umso lieber ein, als sie schon von verschiedenen Seiten dieses Hauses gestellt worden ist. Den Bestrebungen der inneren sozialen Kolonisation steht die Reichs⸗ verwaltung sehr sympathisch gegenüber. Ich besonders habe mir die größte Mühe gegeben, den Verein nach Möglichkeit aus den Mitteln des Dispositionsfonds zu unterstützen.é Aber diese 100 000 ℳ, die ausgeworfen sind, können selbs verständlich nur insoweit Ver⸗ als die Bestimmungen des Kaligesetzes dies zulassen, und da kann nach dem § 27 des Gesetzes eine Unterstützung des Vereins nur in Betracht kommen, wenn es sich um die Bestrebungen zur Hebung des Kaliabsatzes handelt. Diese Bestimmung des Gesetzes kann natürlich bei der Etatsberatung nicht geändert werden, und tatsächlich hat ja auch der Etat daran nichts geändert.

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Ich habe bereits ein sehr weites Gewissen gezeigt, wenn ich dem Verein für innere soziale Kolonisation diese 10 000 zugewiesen habe, denn der Verein hat nur 50 Morgen in Kultur. Ich kann aber in Aussicht stellen, daß weitere Düngerversuche gemacht werden unter Aufsicht des Kalisyndikats, und daß es von diesen Ergebnissen

abhängen wird, ob die Unterstützung des Vereins erhöht wird (Schluß des Blattes.)

Zur Arbeiterbewegung.

Aus Innsbruck wird der „Köln. Ztg.“ gemeldet, daß die

Aussperrung der Buchdruckergehilfen über die ganze Provinz

ausgedehnt worden ist. (Vgl. Nr. 283 d. Bl.)

Der Ausstand der Eisenbahner von Südwales ist, wie dem „W. T. B.“ aus London telegraphiert wird, beendet. (Vgl. Nr. 287 d. Bl.) .

Der allgemeine Ausstand in Comon (vgl. Nr. 283 d. Bl.) ist, wie die „Frkf. Ztg.“ erfährt, am 4. d. M. nach siebentägiger

Dauer durch einen Vergleich beendet worden.

Weitere „Statistische Nachrichten“ s. i. d. Zweiten Beilage. Kunst und Wissenschaft.

Das Koronium ist eins der merkwürdigsten Elemente in der Schatzkammer der Natur. Es besteht ein Vergleich mit dem be⸗ kannteren Helium insofern, als beide von der Wissenschaft in der Sonne gemutmaßt wurden, ehe wirkliche Beweise für ihr Vor⸗ handensein erbracht worden waren. Das Helium, der eigentliche „Sonnenstoff“, hatte sich zunächst nur durch eine Linie im Sonnen⸗ spektrum verraten. Erst viel später wurde es in einigen irdischen Mineralien und auch in der Atmosphäre entdeckt. Das Koronium wurde als der „‚Stoff betrachtet, aus dem die Sonnenkorona, die bei vollständiger Sonnenfinsternis sichtbar wird, zu⸗ sammengesetzt wird. Dieselbe Linie, die sich im Spektrum der Korona gefunden hatte, wurde dann vor einigen Jahren in den vulkanischen Ausatmungen des Vesuvs wahrgenommen. Im vorigen Jahre war es bei Gelegenheit der Sonnenfinsternis vom 17. April gelungen, das Gas auch in der Sonnenatmosphäre nachzuweisen. Uebrigens hatte auch das System der Elemente, das Mendelejeff vor mehr als 40 Jahren aufstellte, auf das Vorhanden⸗ sein eines Elements hingedeutet, das noch viel leichter ist als Wasser⸗ stoff und nunmehr in dem Koronium aufgefunden worden ist. Dr. A. Wegener hat ferner durch Forschungen über die Spektra von Nord⸗ lichtern und Meteoriten den Wahrscheinlichkeitsnachweis erbracht, daß das Koronium in einer Höhe von etwa 70 km über der Erdober⸗ fläche einen erheblichen Teil der Atmosphäre bildet, dann bis zu 200 km Höhe diese zu gleichen Teilen mit Wasserstoff zusammen⸗ setzt und in 400 500 km über der Erde wohl ausschließlich herrscht. Daran schließt sich nun die wahrscheinliche Folgerung, daß der Raum zwischen den Planeten und den Firsternen überhaupt mit Koronium erfüllt sei. Dies Gas würde dann also das vielumstrittene RKätsel des Weltäthers zur Lösung bringen; es würde der Wohltäter sein, der das Sonnenlicht durch den Welt⸗ raum zur Erde leitet. Wahrscheinlich ist es auch in den unteren Schichten der Atmosphäre vorhanden, aber in so außerordentlich geringer Menge, daß es chemisch bisher nicht zu beobachten gewesen ist. Wegener schätzt, daß es im Meeresspiegel vielleicht 58 Hundert⸗ tausendstel Volumprozent der Atmosphäre ausmacht.

. Literatur.

Die fortschreitende Vertiefung der wissenschaftlichen Forschung hat eine immer weitergehende Spezialisierung der einzelnen Forsehußgs. gebiete und eine Aussonderung begrenzter Gebiete innerhalb der Spezialwissenschaften notwendig gemacht. Diese Arbeitsteilung, die sich als eine Vorbevdingung für den Erfolg des modernen Wissenschafts⸗ betriebes erwiesen hat, drängte auch zu einer weitgehenden Speziali⸗ sierung der wissenschaftlichen Veröffentlichungen, ja man kann be⸗ haupten, daß ein Forschungsgebiet, dem kein eigenes Publikations⸗ organ zur Verfügung steht, das die Forscher sammelt und anregt und zugleich ihre Arbeit weiteren Kreisen zugänglich macht, bald der Ver⸗ ödung anheimfallen oder doch für die Gesamtwissenschaft sogut wie unfruchtbar bleiben muß. Aus diesem Gesichtspunkt wird man dem Erscheinen einer neuen Fachzeitschrift, die wissen⸗ schaftlich Gediegenes zu bringen verspricht, im engeren Fach⸗ kreise stets mir Interesse entgegensehen und diese Anteilnahme wird sich steigern und in weitere Kreise verbreiten, wenn in der Fach⸗ zeitschrift ein Gebiet bearbeitet werden soll, an dem die breitere Oeffentlichkeit ein Interesse hat. Dies trifft in hohem Maße für das von dem Geheimen Justizrat Emil Uhles herausgegebene, bei Paul Parey in Berlin verlegte Archiv für Fischereigeschichte zu, von dem kürzlich ein inhaltreiches erstes Heft erschienen ist. Das Archiv, das in der Regel halbjährlich in zwanglosen Heften von 10 bis 12 Bogen Umfang ausgegeben werden soll, scheint berufen, eine fühlbare Lücke in der Wirtschaftsgeschichte auszufüllen und auch auf andern wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Gebieten anregend und fördernd zu wirken. Denn abgesehen von dem wissenschaftlichen Wert, welcher der Durchforschung der Geschichte einer der ältesten Erwerbstätigkeiten des Menschen inne wohnt, könnte auch die vielfach bedrohte moderne Fischereiwirtschaft aus der Aufhellung früherer Verhältnisse wichtige Aufschlüsse und Anhalts⸗ punkte für den Ausbau ihrer Wirtschaftslehre gewinnen und die Neu⸗ belebung einer ehemals intensiveren Erwerbstätigkeit auf diesem Ge⸗ biete in die Wege leiten. Die systematische Durchforschung von Gegenden, in denen im Mittelalter eine blühende Teichwirtschaft be⸗ stand, und eine lückenlose Zusammenstellung alter, ein bestimmtes Ge⸗ wässer betreffender Fischereiverordnungen dürfte z. B. in dieser Hin⸗ sicht manches praktisch verwertbare Ergebnis liefern. Die Bedeutung einer wissenschaftlichen Durchforschung der fischereirecht⸗ lichen Verhältnisse ergibt sich auch aus der Tatsache, daß in weiten Gebieten die fischeretrechtlichen Zustände zweifelhaft und von seiten des Staats noch keiner Neuordnung unterzogen sind, sodaß vielfach die verstreuten, unzugänglichen Akten und Urkunden die Rechtsgrundlage bilden. Der Herausgeber weist in seiner Einleitung zum ersten Hefte des Archivs aber auch darauf hin, daß nicht nur Rechts⸗ und Wirtschaftshistoriker Nutzen aus den Quellen und Dar⸗ stellungen zur Fischereigeschichte ziehen werden, daß die Ent⸗ wicklung des Fischereirechts in den einzelnen Ländern auch inter⸗ essante Ausbeute für noch andere Wissensgebiete verspreche. In das Gebiet der Prähistoriker und Ethnologen falle die Vergleichung von ischereigeräten und „Bräuchen in vorgeschichtlicher und geschichtlicher

eit; ebenso könne die Rassenforschung (Fischerei und Slawentum

im ostelbischen Deutschland), die Sozialgeschichte (Fischereigenossen⸗ schaften, Innungen), die Sprachforschung (eigenartige Bezeichnungen der Geräte und Wasserfluren), die Siedlungsgeographie und die Anthro⸗ pologie, nicht zuletzt auch die Nationalökonomie, aus der Fischereigeschichte für ihre Sondergebiete mancherlei gewinnen. Das neubegründete Archiv soll nun allen das Gebiet bearbeitenden Forschern Raum für ihre Publikationen gewähren, Quellen zur Fischereigeschichte ver⸗ öffentlichen und auch die heute diesen Interessen noch ferner⸗ stehenden Fesgeteen aller Länder zur gelegentlichen Mit⸗ arbeit auf diesem Sondergebiet anregen; auch Arbeiten über die Fischereiwirtschaft der Gegenwart, soweit sie nicht einen rein naturwissenschaftlichen Charakter haben, werden willkommen sein. In jedem Heft wird auf möglichste Mannigfaltigkeit Bedacht genommen werden, und eine Literaturübersicht sowie Bücheranzeigen sollen den Leser über die auf dem Geblet neu erscheinenden Schriften unter⸗ richten. Urkunden von geringerem veesenc.eesgn ebenfalls in die Hefte aufgenommen werden; umfangreichere Darstellungen und Quellen⸗ sammlungen in Regestenform, wie sie seit längerer Zeit auf Ver⸗

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anlassung des Herausgebers für eine Reihe von Gegenden des In⸗ und Auslandes bearbeitet werden, sollen dagegen als Ergänzungsbände des Archivs zur Ausgabe gelangen. Die Hefte werden sowoht im Abonnement, das zur Abnahme von mindestens vier auf⸗ einanderfolgenden Heften verpflichtet, wie auch einzeln zu beziehen sein. Der Preis wird sich nach ihrem Umfange richten; der billigere Abonnementspreis wird je etwa 2 bis 4 betragen. Den Hauptinhalt des vorliegenden ersten Heftes bildet eine umfangreiche Arbeit des Dr. Friedrich Bestehorn über die geschichtliche Entwicklung des märkischen Fischerei⸗ wesens. Nach einem einleitenden geschichtlichen Rückblick, einem Abriß der Landschaftsgeschichte der Mark und Angaben über das Alter der märkischen Fischerei und den Fischreichtum in geschichtlicher Zeit, wird im 1. Kapitel das Fischereirecht behandelt. Die Darstellung ist in zwei Abschnitte gegliedert, in deren erstem das ischereirecht an Havel und Spree bis zur Reformationszeit (nach ebieten ge⸗ trennt) entwickelt wird, während der zweite eine Darstellung der neu⸗ zeitlichen Entwicklung des Fischereirechts, mit besonderer Berücksichti⸗ gung der Spandauer und Potsdamer Gewässer bietet. Im 2. Kapitel wird das Fischervolk des Gebiets aus verschiedenen Gesichtspunkten dargestellt, wobei u. a. interessante Streiflichter auf die Stellung der Slawen in der Mark in wirtschaftlicher und verfassungsrechtlicher Be⸗ ziehung fallen. Im 3. Kapitel werden die Ergebnisse eingehender Untersuchungen über den Fischschut, im 4. solche über den Fischhandel in der Mark mitgeteilt, während in einem An⸗ hang die fischereiwirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Mark in primttiv⸗ natürlichem Kulturzustande beleuchtet wird. An merkungen verweisen auf die von dem Verfasser urkundlichen und sonstigen Literaturquellen. Die Arbeit, die fort gesetzt werden und ein vollständiges Bild der märkischen Fischer geschichte liefern soll, ist mit wissenschaftlicher Gründlichkeit durch geführt, kann als ein wertvoller Beitrag zur Kultur⸗ und Wirt (Faftsechect. Brandenburgs gelten und bestätigt zugleich den Hi weis des Herausgebers, daß die Beiträge des Archivs über die eigen liche Fischereigeschichte hinaus auch in and

Einblicke erschließen würden. Neben dieser

lung enthält das erste Heft außer Literaturberichten noch einen kleinen Beitrag, in dem Dr. Bestehorn eine Potsdamer Fischereiurkunde aus dem Jahre 1464 mitteilt und

aus rein diplomatischen Gründen wie wegen mehrerer innerlicher Unwahrheiten als Fälschung nachweist. Das „Archiv für Fischerei⸗ geschichte“, für das eine Anzahl hervorragender Fachleute gewonnen ist, dürfte in weiten Kreisen lebhaftem Interesse begegnen. Die Auf⸗ merksamkeit auf das Unternehmen zu lenken, ist der Zweck dieser Zeilen. Das Archiv verspricht der Sammespunkt für die Arbeit auf einem wichtigen Gebiet der Wirtschaftsgeschichte zu werden, der ein solcher bisher fehlte; mit dem ersten Heft ist das dankenswerte Unter⸗ nehmen glücklich und verheißungsvoll eingeleitet worden. Noch sei darauf hingewiesen, daß das 2. Heft zu Anfang Januar k. F. er⸗ scheinen soll; es wird u. a. folgende Beiträge enthalten: „Blüte und Niedergang der landesherrlichen Teichwirtschaft in der ehemaligen Landgrafschaft Hessen“ von Dr. J. Schultze in Marburg, „Vor⸗ geschichtliche Fischerei am Bodensee“ von Oberstudienrat Dr. Lampert, „Frühneolithische Jagd. und Fischereigeräte aus der Provinz Posen“ von Schultze⸗Fahrenwalde und „Die fischereigeschichtliche Sescems in ihrer Bezlehung zur modernen Rechtsprechung“ von Dr. 2 estehorn.

Land⸗ und Forstwirtschaft. 11XX“ aatenstand und Getreide handel in Rußland.

Der Kaiserliche Generalkonsul in Odessa berichtet unterm 26. November: Während des Monats November war die Witterung im Konsulatsbezirke durchweg milde. Einige Niederschläge, welche die vorherrschende Trockenheit unterbrachen, kamen den Wintersaaten sehr zu statten. Die Berichte über den Stand der Wintersaaten lauten jetzt allgemein recht befriedigend.

In Verbindung mit den Klagen aus Argentinien hat sich die Nachfrage nach Weizen wesentlich gebessert. Wenn trotzdem größere Umsätze nicht zustande kamen, so lag dies an der Hals tarrigkeit der Verkäufer, die im Laufe des Winters bessere Preise zu finden hoffen. Inzwischen sind die vorhandenen Bestände noch weiter angewachsen. Einige Dampferladungen sind zwar von Cherson nach Großbritannien gehandelt worden; erhöhte Preisforderungen verhinderten jedoch weitere größere Verkäufe. 8

Für Noggen zeigt sich nur Frage zu gedrückten Preisen, und da die Verkäufer zu weiterem Entgegenkommen wenig geneigt sind, bewegt das Geschäft sich in den engsten Grenzen. Die sart gewichenen Preise für Gerste hatten in Rußland sehr große Zurückhaltung hervorgerufen und die Abladungen wesentlich vermindert. Der wieder erwachte Bedarf und große Deckungen im Auslande riefen jedoch bei steigenden 78-n ein lebhaftes Geschäft hervor. Rußland ist nur bei besseren Preisen im Markt. Erst in den letzten Tagen bei den erhöhten Preisen langten wieder größere Zufuhren aus dem Inlande an. Die Bestände in Odessa und Nikolajew sind zwar sehr bedeutend, aber die Inhaber der Ware geben nur bei besseren Preisen ab, sonst ziehben sie vor, abzuwarten. Der neue Mais ist gesund geboren; die Ware ist von sehr schöner Qualität. Ein größeres Geschäft wird sich jedoch erst bei kalter Witterung entwickeln. Das Geschäft in Hafer war in Odessa sehr klein, während Nikolajew größere Partien Schwarzhafer anbietet. Die Preise in Leinsaat ind nach dem rapiden Fall etwas gestiegen; aber die Nachfrage bleibt schwach, und es scheint nur wenig Aussicht auf Preisbesserung zu be⸗

ehen.

An der Odessaer Börse stellten sich die Preise am 25. No⸗ vember d. J., wie folgt: 8

Winterweizen. 90 114 Kop.) b bvbH. . 88— 112 Roggen. . 67 77 Gerse 8 . 62 78 eais 6 8 „8 frei an

Hafer. 66 —80 einsaat. 156

Kolza. 152

Hederich. 81

Vorräte betrugen am 1./14. November d. J.:

in 8 . . . .“ 1161“X“ 8 190

verschiedene Weizensorten 8 485

Weizen zusammen 517 084 dz, Roggen 135 954 Mais. 8 34 419 Gerste 3 805 343 Hafer 8 . 14 578 Hirse.

. 2 948 Kolza. . 2 457 Leinsaat 8

22 932 2 457 6 552

24 570

24 570

Fhenlest. onnenblumenkörner

Rübsen

Erbfen

Bohnen. 7 371

Linsen 3 276 8

„Die Verschiffungen aus Odessa und Cherson betrugen im Monat November:

5 000 000 Pud,

Weizen

Gerste 9 000 000 Roggen 1 000 000 Mais. 500 000 „.

Der Oelkuchenmarkt zeigte eine stark weichende Tendenz be ganz geringen Umsätzen.