Petition entschieden werden könnte. Die Frauen sind sich selbst in dieser Frage nicht einig; die Mehrzahl von ihnen würde das Stimm⸗ recht als ein Danaergeschenk betrachten. Es sollte bloß ein Witz sein, wenn der Abg. Cohn meinte, durch eine Kabinettsorder könnte das Wahlrecht der Frauen eingeführt werden. Das wäre ein Staats⸗ streich. Jede Abänderung des bestehenden Wahlrechts ist ein Rütteln an dem bestehenden Gesetz, eine Beschrankung der Rechte der jetzigen Wähler. Meine Partei hat sich den Bestrebungen der Frauen stets sehr entgegenkommend gezeigt. Wir haben dies bei dem B. G. B. beim Eherecht usw. bewiesen. Wir werden darin fortfahren. Wir wünschen, daß die Frauen sich kulturell, wirtschaftlich und nationgl immer weiter entwickeln. Aber wir müssen sagen, daß wir das politische Frauenwahlrecht nicht tragen können. Was soll denn die Ueberweisung der Petition an den Reichskanzler zur Kenntnisnahme? Es ist eigentlich nur eine höfliche Form der Ablehnung. Im Lande könnte aber diese Stellungnahme die Agitation für das Frauenstimmrecht be⸗ günstigen, und das möchte ich nicht. Ich bleibe auf dem Beschluß von 1908 stehen und werde für den Antrag der Konservativen stimmen.
Abg. Meyer⸗Herford (nl.): Die überwiegende Mehrheit meiner Fraktion wird für den Uebergang zur Tagesordnung stimmen. Wir wollen den Frauen gern eine Ausdehnung ihrer Tätigkeit auf sozialem Gebiete zugestehen, aber auf den politischen Gebieten können wir ihnen die verlangte Konzession nicht machen. Es ist gewiß zu erwägen, ob nicht selbständigen Frauen eine Einwirkung bei den Wahlen zu Handwerkskammern zu geben ist, aber zur vollen Gleich⸗ stellung der Frauen mit den Männern in politischer Beziehung unsere Zustimmung zu geben, sind wir nicht in der Lage.
Abg. Dr. Cohn⸗Nordhausen: Die bürgerlichen Parteien haben also für die Petition alle sonst nicht viel übrig. Ein wirkliches Stimmrecht haben bisher die Frauen nur auf einem einzigen sozial⸗ politischen Gebiete, nämlich bei den Krankenkassen; und auch dieses Recht hat lediglich die unausgesetzte Agitation der Sozialdemokraten errungen. In allen Ländern des Frauenstimmrechts hat sich die Wirksamkeit der Frauen bei der Bekämpfung des Alkoholismus ganz besonders segensreich erwiesen. Ueber den von mir empfohlenen „Staatsstreich“ brauche ich mich wohl mit den Abg. Dr. Bell und Dr. Arendt nicht weiter auseinanderzusetzen.
Abg. Dr. Bell: Der Vorredner hat doch, wohl etwas unvor⸗ sichtig, von einer Kabinettsorder, also von einem „Staatsstreich“, ge⸗ sprochen. Ich habe meinerseits mich nur dagegen gewandt, daß man so schlankweg mit einem Husarenritt in das Parlament einbricht, um das Frauenstimmrecht durchzusetzen.é Auf kulturellem, sozialem und wirtschaftlichem Gebiete wird hoffentlich die Mitwirkung der Frauen in immer ausgedehnterem Maße gefördert werden.
Damit schließt die Diskussion.
Nach einer persönlichen Bemerkung des Abg. Dr. Arendt (Rp.) wird der Antrag der Sozialdemokraten .“ dafür stimmt auch etwa die Hälfte der Fortschrittspartei. Der Kommissionsantrag wird angenommen.
Die Petition des Verbandes der Männervereine zur Bekämpfung der öffentlichen Unsittlichkeit wegen Aufnahme von Bestimmungen über postlagernde Sendungen in die Postordnung soll dem Reichs⸗ kanzler, zur Kenntnisnahme überwiesen werden. Ein Antrag Spahn (Zentr.) geht auf Ueberweisung zur Berücksichtigung.
Abg. Dr. Marcour (Gentr.): Leider hat die Reichspostver⸗ waltung noch immer sich nicht veranlaßt gesehen, dem Mißbrauch, der gerade auch durch die Jugend mit postlagernden Sendungen getrieben wird, und den sittlichen Gefahren, die sich daran knüpfen, durch ent sprechende Anordnungen zu steuern. Sie hat erklären lassen, die Reichs vostverwaltung sei keine Erziehungsanstalt und könne die Sittlichkeit weder fördern, noch schädigen. Gewiß ist die Post kein Institut zur Förderung der Sittlichkeit, aber noch viel weniger eines zur Gefährdung der Sittlichkeit oder gar zur Förderung der Unsitt⸗ lichkeit. Im Staate New York und in der Schweiz sind “ in Kraft, wie sie von den Petenten verlangt werden, nämlich, daß diese Sendungen stets die volle Adress des Empfängers tragen sollen und nur gegen Vorzeigen einer Postausweiskarte ausgehändigt werden dürfen. Man wird doch nicht behaupten wollen, daß der Ver⸗ kehr unter einer solchen Maßregel zu leiden haben würde; die Post würde sich ja damit geradezu ein Armutszeugnis ausstellen, wenn sie sich außerstande erklärte, zu leisten, was andere Staaten leisten. Nehmen Sie unsern Antrag an, Sie werden sich dadurch den Dank von Tausenden von Eltern verdienen. .
Entgegen dem Kommissionsantrage beschließt das Haus gegen die Stimmen der gesamten Linken nach dem Antrage Spahn. 1
Der Hotelier Unger in Burg bei Magdeburg beschwert sich, daß über sein Lokal unmittelbar nach der vorjährigen Reichstagswahl der Militärboykott verhängt worden sei, weil er als Vorsitzender des ört⸗ lichen Vereins der Gastwirte, der dem Deutschen Gastwirtsverbande angehört, in einigen Wählerversammlungen seine Berufsinteressen vertreten und vor der Wahl eines konservativen Kandidaten gewarnt habe, da die konservative Partei in Steuerfragen eine Stellung ein⸗ genommen habe, durch die sich weite Erwerbskreise schwer ge⸗ schädigt und benachteiligt fühlen. Der Petent will der Sozialdemo⸗ kratie durchaus ferne stehen, in seinem Lokal auch keine sozialistischen Zeitungen ausliegen haben. Seine Versuche, das Militärverbot wieder aufzuheben, sind vom Regimentskommandeur, vom Generalkommanoo und vom Krixgsministerium abgelehnt worden. Das Verbot ist jedoch, wie der Kommissar der Militärverwaltung in der Kommission erklärt hat, seit dem 24. Juli 1912 aufgehoben.
Die Kommission schlägt vor, über die Petition zur Tagesordnung überzugehen.
Abg. Thiele (Soz.) kritisiert das Vorgehen der Militärver⸗ waltung als ungesetzlich und verweist darauf, daß ähnliche Fälle auch in Sachsen vorgekommen seien. Jahr für Jahr werden über den Militärboykott Beschwerden geführt, ohne daß es besser geworden sei. In Ilmenau sei ein Gastwirt boykottiert worden, weil er in einem sozialdemokratischen Blatt inseriert habe: Militärkonzert! (Vize⸗ präsident Dove: Wir haben es hier nur mit einem Spezialfalle zu tun; andere Fälle können Sie beim Militäretat vorbringen, aber nicht hier.) München, Stuttgart und andere Orte kennen den Militärboykott nicht. Habe deswegen die Disziplin gelitten? Man habe es hier lediglich mit einer Ueberhebung und Anmaßung des Militärs zu tun. Niemand werde die Militärverwaltung für so dumm halten, daß sie glauben könne, mit derartigen Maßregeln der Sozialdemokratie Abbruch zu tun. Es könne doch nicht so weiter⸗ gehen, daß jeder beliebige Reuter oder sonstige Oberst einfach sagen könne: L'Etat c'est moi. (Vizepräsident Dove: Die Petition stammt aus Burg, sie hat mit Zabern nichts zu tun.)
Generalmajor Wild von Hohenborn: Es lag vor den Reichstagswahlen der Verdacht vor, daß in dem Lokale des Wirts Unger Soldaten disziplinschädigenden Einflüssen ausgesetzt würden. Deshalb wurde sein Lokal verboten. Dieses Verbot ging von dem Garnisonkommando aus. Das Kriegsministerium hat den Unger nicht abschlägig beschieden. Das Generalkommando war bei der Angelegen⸗ heit nicht beteiligt worden. Da diese Instanz vorläufig zuständig war, wurde die Eingabe vom Kriegsministerium dorthin abgegeben. Das Generalkommando lehnte das Gesuch ab. Eine Engscheibung des Kriegsministeriums unterblieb, da gegen diesen Bescheid kein Einspruch erhoben wurde. Es ist unzutreffend, daß das Verbot aus politischen Rücksichten vervängt wurde. Niemals verbietet eine Militärbehörde ein Lokal, weil jemand seinem Rechte entsprechend sich bei der Wahl so oder so betätigt. Der springende Punkt ist lediglich die disziplin⸗ schädigende Wirkung, der die Soldaten ausgesetzt sind. Die politische Richtung des Inhabers des Lokals ist dabei gleichgültig. Die Sache ist dann weiter gegangen und schließlich ist das Verbot aufgehoben worden. Irgend welche Bedingungen sind an diese Rücknahme nicht geknüpft worden. Der Wirt Unger hat sein früheres Verhalten be⸗ dauert. Bei der Gelegenheit möchte ich konstatieren, daß alles, was am 19. Juli Generalleutnant Wandel bezüglich der Vorkommnisse bei der Wahl des Abg. Haupt hier gesagt hat, durchaus zutreffend ist, auch bezüglich der halben Tonne Bier. Der Vorredner sprach von mili⸗ tärischem Dünkel, Ueberhebung, Anmaßung, unlauterem Wettbewerb, Brutalität der Militärverwaltung, und es wurde dazu noch Sehr richtig!
gerufen. Ich habe keine Veranlassung, darauf noch näher einzugehen. Ich will diese Ausdrücke nur festnageln. Ich will nur nochmal wieder hervorheben, daß wir die politische Gesinnung nicht treffen wollen. Ein Militärboykott existiert überhaupt nicht. Der Bovpkott ist eine wirt⸗ schaftlich⸗politische Maßregel. 8 Verbot des Lokals ist eine uns aufgezwungene Maßregel, um die Disziplin zu schützen, und sie wird von uns nur im äußersten Falle mit aller nur billigen Schonung aus⸗ geführt. Auch einzelne Wohnungen werden nur im Notfalle verboten, wo es im Interesse der Disziplin nicht anders geht. .
Abg. Thiele (Soz.): Es ist uns nicht mitgeteilt worden, worin die Disziplinschädigung gelegen hat.
Generalmajor Wild von Hohenborn: Ob ein begründeter Verdacht auf eine Disziplinschädigung vorliegt, das kann allein die Ortsbehörde entscheiden. Die höhere Militärbehörde hat dann keinen Grund, hierin eine Aenderung eintreten zu lassen.
Abg. Schöpflin (Soz.): Es ist neu, daß die politische Ge⸗ sinnung eines Wirtes ohne Einfluß auf die Bopkottierung sein soll. Bei der Beratung des Militäretats werden wir Line ganze Reihe derartiger Fälle anführen. Das Kriegsministerium mag vielleicht dieser Ansicht sein, aber in der Praxis ist es anders. Der Urheber eines jeden Boykotts ist die Polizei, auf die sich dann die Militär⸗ behörde immer bezieht. Von hundert Fällen von Boykott sind es sicher 99, bei denen eine Disziplinschädigung nicht nachgewiesen werden kann. Auch der freisinnigen Volkspartei gegenüber ist man so verfahren. Das Verbot soll allerdings nur einen Tag bestehen es wird jedoch häufig dauernd aufrecht erhalten. Man boykottiert sogar Zigartenläden. 1 1
Abg. Thiele (Sees.). Hätten wir vorher gehört, daß der Boykott auf Mittei ung der Polizeibehörde verhaͤngt worden ist, dann hätten wir unsere Anfrage nicht gestellt. 8
Das Haus geht über die Petition zur Tagesordnung über. Eine Reihe von Petitionen betrifft die Ausübung des Wandergewerbes. Sie verlangen zum Teil bedeutende Verschärfung der geltenden Be⸗ stimmungen der Gewerbeordnung; zum Teil Milderungen. Die Kom⸗ mission beantragt Ueberweisung als Material.
Abg. König (Soz.): Durch Verschärfung der bestehenden Be⸗ stimmungen wird das Wandergewerbe direkt unterbunden. Jeder Polizeibeamte kann dann willkürlich verfahren und sogar die politische Ueberzeugung des Betreffenden nachprüfen. Ein Teil der Industrie ist direkt auf das Wandergewerbe angewiesen. Wir können uns nur gegen seine Auswüchse wenden. Das Hausiergewerbe darf nicht weiter eingeschnürt werden. Uebrigens haben wir ja eine Kommission für
die Abänderung der Gewerbeordnung eingesetzt, die über diese Fragen verhandeln und sich hoffentlich in unserem Sinne entscheiden wird. Der Kemmissionsantrag wird angenommen und darauf um 53½ Uhr die Fortsetzung der Beratung der Petitions⸗ kommissionsberichte auf Mittwoch 1 Uhr vertagt
Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 2. Sitzung vom 13. Januar 1914, Vormittags 10 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)
Ueber den Beginn der Sitzung ist in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden.
Bei der ersten Beratung des Entwurfs des Staats⸗ haushaltsetats für das Rechnungsjahr 1914 ent⸗ gegnet auf die daselbst auszugsweise wiedergegebenen Aus⸗ führungen des Abg Winckler (kons.) der
Präsident des Staatsministeriums, Reichskanzler Dr. von Bethmann Hollweg:
Meine Herren! Ich möchte zunächst ein Speziale aus den Aus⸗ führungen des Herrn Vorredners vorwegnehmen. Der Herr Abg. Winckler hat seine und seiner Freunde Unzufriedenheit mit den Er⸗ klärungen des Herrn Staatssekretärs des Innern über die Arbeits⸗ losenversicherung hier ausgedrückt. Meine Herren, daß der Herr Staatssekretär des Innern eine Reichsarbeitslosenversicherung für eine verhältnismäßig nahe Zeit oder überhaupt in sichere Aussicht gestellt habe, beruht auf einer Verkennung seiner Worte. Selbst wenn man die Frage der Arbeitslosenversicherung rein akademisch betrachtet, ist sie nicht spruchreif. Ihre praktische Durchführung durch das Reich halte ich für absehbare Zeit für unmöglich. (Sehr richtig!)
Meine Herren, der Herr Vorredner hat mir an einer längeren Stelle seiner Rede Vorwürfe der Passivität gemacht in verschiedener Beziehung: gegenüber der Sozialdemokratie, gegenüber den Zuständen an den Grenzen des Reiches, bezüglich meiner Haltung zum Reichs⸗ tag usw. Ueber meine Haltung zum Reichstage habe ich am vorigen Sonnabend im Herrenhause gesprochen. Gegen allgemein gehaltene Vorwürfe der Passivität lege ich Verwahrung ein. Solche Vorwürfe müßten im einzelnen begründet werden. (Sehr richtig! bei den Nationalliberalen.) Ich gehe deshalb nur auf diejenigen Ausführungen des Herrn Vorredners ein, in denen er einen Beweis für die Vorwürfe zu führen gesucht hat. Das ist seine Kritik an der Reichssteuergesetz⸗ gebung des vorigen Jahres. 4
Meine Herren, daß die Vermögenszuwachssteuer eine Last ist, die von den Einzelstaaten schwer, sehr schwer zu tragen ist, darüber besteht wohl nirgends eine Meinungsverschiedenheit. Die Frage ist nur die, ob das Reich auf andere Weise seinen zwingenden Geldbedarf decken konnte.
Meine Herren, die reinliche Scheidung zwischen den Finanzen des Reiches und denen der Einzelstaaten war gewiß ein sehr viel glück⸗ licherer Zustand. Die Grenzlinie ist verwischt worden, als im Jahre 1906 Reichserbschaftssteuern eingeführt wurden. (Sehr richtig! rechts.) Auf eine retrospektive Kritik dieses Schrittes, auf eine Würdigung der Gründe, die die verbündeten Regierungen damals zu dieser Maßregel bewogen haben, gehe ich nicht ein. Es liegt mir nur daran, diejenigen Herren, die so scharfe Kritik an den Vorgängen des Jahres 1913
machen, die zu der Situation von 1913 geführt hat. (Sehr richtig!) Dann, meine Herren, kam das Jahr 1908/1909. Bei dem außer⸗ gewöhnlich hohen Geldbedarf des Reiches glaubten die verbündeten Regierungen, die erforderlichen Mittel nicht lediglich aus indirekten Steuern herausholen zu können, sondern den Besitz treffen zu müssen, und zwar auf demselben Gebiete, das bereits im Jahre 1906 ange⸗ schnitten worden war. Die von den verbündeten Regierungen vorgelegte Ausdehnung der Erbschaftssteuer auf Deszendenten und Aszendenten fand keine Annahme im Reichstage. (Rufe links: Leider!) Ich habe diesen Wendepunkt der Dinge immer für einen verhängnisvollen ge⸗ halten. (Sehr richtig! bei den Nationalliberalen.) Auch hier, meine Herren, enthalte ich mich jeglicher Kritik. Die Parteien mögen noch so verschieden die Besteuerung des Kindeserbes beurteilen — und man kann in dieser Beziehung unzweifelhaft sehr verschiedener Ansicht sein —, an der Tatsache kommen wir nicht vorbei, daß die Ablehnung der Erbschaftssteuer den Andrang auf Reichsbesitzsteuern verstärkt (sehr richtig! links), und leider zugleich verbittert hat. (Sehr richtig!
links.)
— — —
üben, auf die geschichtliche Entwicklung der Dinge aufmerksam zu⸗
—
Meine Herren, diesem Andrang haben sich doch auch die Kon⸗ servativen im Reichstage nicht entzogen. (Sehr richtig!) Ich er⸗ innere an die Worte, die Herr Abg. Dr. von Heydebrand am 9. November 1911 gesprochen hat. Damals sagte der Herr Abg. Dr. von Heydebrand:
Meine Herren, das habe ich hier im Namen meiner sämt⸗ lichen politischen Freunde zu erklären, daß wir bereit sind, wenn vie Stunde und das Land und unsere Ehre es fordern, nicht hloß die Opfer zu bringen an Blut, sondern auch an Gut.
(Hört, hört! links.) Und auf einen Zuruf von der linken Seite fuhr Herr Dr. von Heydebrand fort:
Gewiß! Und wenn es von uns gefordert wird und die nötigen Einnahmequellen nicht vorliegen, sind wir auch bereit, das Ver⸗ mögen der Besitzenden auf den Altar des Vaterlandes zu legen.
(Hört, hört! links.)
nicht das der
Geh ichhk edé 4“*“ Glauben Sie, daß ich das ebenso gut weiß wie Sie, daß man
auch wegen der Erbschaftssteuer verschiedener Meinung sein kann. Aber der Meinung sind wir, daß, nachdem wir gesehen haben, daß zwei Jahre lang hier eine Kluft sich aufgetan hat zwischen der bürgerlichen Gesellschaft und es zu einem Streit gekommen ist, durch den die bürgerliche Gesellschaft gespalten war von einem Ende zum andern zum Schaden unseres ganzen deut⸗ schen Vaterlandes und unseres Volkslebens, nicht eine neue Kluft dieser Art aufgetan, ein neuer Streit entfacht werden darf, wenn eine nationale Tat daraus geboren werden soll.
(Sehr richtig! bei den Kons.) In Konsequenz dieser Anschauungen
hat auch die konservative Partei des Reichstages für den Antrag
Bassermann⸗Erzberger gestimmt (Sehr richtig! im Zentrum), der
eine allgemeine, den verschiedenen Besitzformen gerecht werdende Be⸗
sitzbesteuerung im Reiche forderte.
So, meine Herren, war es communis opinio geworden, daß im Reiche eine Besitzsteuer eingeführt werden sollte, wenn auch die Ansichten über die Formen dieser Besitzsteuer weit auseinander gingen. Bekanntlich waren in dieser Beziehung bei der Beratung des An⸗ trages Bassermann⸗Erzberger die Ansichten der Konservativen von denen des Zentrums und von denen der Nationalliberalen weit ver⸗ schieden. Also diese Verschiedenheit bestand. Aber nach der lex Bassermann⸗Erzberger sollte eine Besteuerung des Besitzes durch das Reich erfolgen, auch wenn das Reich kein neues Geld bedurfte. Bei dieser Situation waren doch die verbündeten Regierungen, als die Wehrvorlage des Jahres 1913 mit ihrem enormen Geldbedarf kam, absolut gezwungen, in erster Linie den Besitz mitanzugreifen (Sehr richtig! links) — ganz abgesehen von den übrigen Erwägungen, welche auf denselben Weg hinwiesen.
Was für Formen einer allgemeinen Besitzsteuer standen denn nun zu Gebote? Daß eine reine Reichsvermögens⸗ oder Reichsein⸗ kommensteuer unmöglich war, das stand von vornherein fest; ich und der Reichsschatzsekretär haben sich über die Gründe, welche gegen diese Steuern sprechen, sie absolut ausschließen, im Reichstage aus⸗ führlich ausgesprochen, und diese Gründe werden ja unzweifelhaft von der überwiegenden Mehrheit dieses Hauses nicht angefochten werden. Am nächsten hätte — meine Herren, was ich jetzt sage, das sage ich ganz ohne Polemik — unzweifelhaft eine Wiedervorlage der Aszen⸗ denten⸗ und Deszendentenerbschaftssteuer gelegen. (Sehr richtig! bei den Natlib.). Dann wären wir wenigstens nicht über den Rahmen hinausgegangen, der 1906 gespannt worden war. Meine Herren, ich habe mir im Jahre 1912 und 1913 alle erdenkliche Mühe gegeben, die prinzipiellen Gegner der Erbschaftssteuer von ihrem Widerspruch abzubringen im Hinblick auf die nationale Notwendigkeit einer um⸗ fassenden Wehrverstärkung. (Hört, hört! links.) Diese meine Ver⸗ suche sind leider fehlgeschlagen. (Lebhaftes Hört, hört! links.) Aus den Gründen — da beziehe ich mich auf die Worte des Herrn Abg. von Heydebrand, die ich vorhin verlesen habe aus den Gründen, die Herr von Heydebrand da angeführt hat, konnte und wollte ich bei der Vorlage der Heeresverstärkung den alten Kampf nicht wieder er⸗ neuern, der zum Unheil unseres Vaterlandes unser ganzes politisches Leben jahrelang vergiftet hatte. (Sehr wahr!)
Deshalb sind die verbündeten Regierungen gezwungen gewesen, nach einem Ausweg zu suchen, und dieser Ausweg sand seinen Aus⸗ druck in der Regierungsvorlage, die eine primäre Landesbesitzsteuer, sekundär eine Reichsvermögenszuwachssteuer vorsah.
Meine Herren, diese Regierungsvorlage war für eine große Reihe von Bundesstaaten, darunter in allererster Linie Preußen, durchaus zweckmäßig. Sie war zweckmäßig für alle Bundesstaaten, welche die Sicherheit dafür hatten, daß sie sich mit ihren Landesvertretungen über die primäre Landesbesitzsteuer leicht einigen könnten. Dann waren diese Staaten in ihrer Selbständigkeit nicht bedroht; sie konnten die Sache arrangieren; die Aufbringung der Steuer vom Besitz war ge⸗ währleistet. 1
Meine Herren, ganz anders standen aber eine ganze Reihe von anderen Bundesstaaten: alle diejenigen Bundesstaaten — und sie waren zahlreich —, bei denen die Sicherheit einer Einigung mit ihren Landesvertretungen absolut problematisch war. Diese Stanten legten — und, wie ich glaube, mit voller Berechtigung — einon entscheiden⸗ den Wert darauf, daß ihnen die Regierungsvorlage Sicherheit gab, daß und wie sie zu ihrem Gelde kommen würden für den Fall, daß ihnen eine Einigung mit ihren Landesvertretungen über die Landesbesitzsteuer nicht gelang. Ohne diesen Zusatz konnte eine große Anzahl von Bundesstaaten für die Regierungsvorlage absolut nicht stimmen. Auch das Reich hatte ein eigenes Interesse daran, daß die Steuern, welche auf die Einzelstaaten gelegt wurden, für das Reich absolut gesichert waren. So, meine Herren, ist das Vermögenszuwachssteuergesetz in die Regierungsvorlage hineingekommen.
Nun, meine Herren, Sie von der Rechten machen den verbündeten Regierungen Vorwürfe daraus, daß sie diese Regierungsvorlage nicht durchgesetzt haben. Darauf konzentrierten sich wohl die Hauptangriffe des Herrn Vorredners. (Sehr richtig! rechts.) Aber wie haben sich denn nun die Parteien im Reichstage zu dieser Regierungsvorlage ge⸗ stellt? Ich habe seinerzeit in der konservativen Presse mehrfach ge⸗ lesen, ja, die Regierung hätte nur zugreifen sollen, denn die Re⸗ gierungsvorlage hätte im Reichstage eine durchaus freundliche Auf⸗ nahme gefunden. Meine Herren, ich habe einen ganz entgegengesetzten Gindruck gewonnen. Wenn die Herren die Güte haben wollen, die Verhandlungen des Reichstages in erster Lesung der Wehr⸗ und Deckungsvorlage nachzulesen, so werden Sie jinden, daß sowohl die
Rationalliberalen wie auch das Zentrum bei der eisten Lesung die allerschwersten Bedenken gegen die Regierungsvorlage erhoben haben. Diese beiden Parteien wollten den Umweg über die Einzelstaaten in keiner Beziehung; sie erhoben auch schwere Bedenken gegen das Siche⸗ rungsgesetz. Ihre Haltung war durchaus unfreundlich. Und die fort⸗ schrittliche Volkspartei und die Sozialdemokratie lehnten natürlich die Regierungsvorlage von vornherein schlankweg ab. Und wie haben sich die Konserbativen des Reichstags zu der Regierungsvorlage in der ersten Lesung gestellt? Herr Graf Westarp, der der Wortführer der tonservativen Partei war, erklärte, daß seine Freunde zwar nicht ein⸗ sehen könnten, weshalb neben dem Wehrbeitrag noch eine Besitzsteuer eingebracht würde; er meinte, die Verpflichtung, die die verbündeten Regierungen bei der lex Bassermann⸗Erzberger eingegangen seien, sei durch den Wehrbeitrag ganz abgelöst. Das ist eine Ansicht, zu der man sich im Bundesrat nicht hat bekennen können. Ich habe bei den damaligen Ausführungen des Grafen Westarp auch einen Vorschlag vermißt, wie wir sonst das Geld hätten erlangen können. Der Graf Westarp erklärte sich mit dem Umweg über die Einzelstaaten einver⸗ standen, erklärte die Regierungsvorlage für die durchaus geeignete Grundlage Ihrer Mitarbeit. (Widerspruch rechts.) — Meine Herren, lassen Sie mich nur zu Ende kommen: aber er erklärte, daß das Sicherungsgesetz für die Konservativen unannehmbar sei. (Hört, hört! links.) Er sagte, meine Herren:
Die weiteren Besitzsteuerbestimmungen des Gesetzentwurfs über die Aenderungen des Finanzwesens können nun aber unsere Zustimmung nicht finden. Wir können es nicht für richtig halten, daß den Vor⸗
schriften, die die Einzelstaaten zur Aufbringung des auf sie entfallen⸗ den Anteils von 1,25 ℳ pro Kopf der Bevölkerung verpflichten, der 8 Zusatz hinzugefügt wird, daß am 1. April 1916 in denjenigen Einzel⸗
staaten, die ihrer Verpflichtung nicht nachkommen, ein Besitzsteuer⸗ gesetz in Kraft treten soll.
Mieeine Herren, ich habe mir nun erlaubt, vorhin darzulegen, daß
für eine ganze Reihe von Bundesstaaten dieses Sicherungsgesetz eine
absolute Notwendigkeit war, und daß es ganz unmöglich war, den Bundesrat für die nachherige Regierungsvorlage überhaupt zu ge⸗ winnen, wenn diese Sicherung nicht ausgesprochen wurde. Nun, meine Herren, diese Sicherung wurde uns von der konservativen Fraktion des Reichstags gleich im ersten Momente als unannehmbar bezeichnet. Das war doch keine freundliche Aufnahme des Regierungsentwurfs! Sehr richtig! links.) So stellte sich heraus, daß — vielleicht abge⸗ sehen von der Deutschen Reichspartei — die sämtlichen Parteien die schwersten Bedenken gegen das Gesetz hatten, und daß uns die Kon⸗ servativen das Stück aus der Regierungsvorlage herausschlagen wollten, das wir unbedingt brauchten.
Meine Herren, nun hat sich diese ablehnende Haltung des Reichs⸗ tages im Laufe der weiteren Verhandlungen verschärft, wobei — ich will die Sache absolut darstellen, wie sie sich tatsächlich zugetragen hat — die Konservativen im Reichstage ihren Widerspruch gegen das Sicherungsgesetz allerdings langsam abschwächten. (Zuruf rechts: Na also!) — Jawohl, meine Herren, aber die Konservativen stellten dann immer noch die weitere Bedingung, daß aus dem Sicherungsgesetz die Besteuerung des Kindeserbes unter allen Umständen herausgestrichen würde. (Hört, hört! links.) Wenn das geschah, war dieses Sicherungs⸗ gesetz für diejenigen Bundesstaaten, die es brauchten, inhaltlich wesen⸗ los geworden. Das sind Fragen, die wir im Bundesrat sehr ausführ⸗ lich seinerzeit erörtert haben: ein Sicherungsgesetz mit Ausschluß des Erbes bedeutete nichts.
Also auch in dem letzten kritischen Moment haben doch die Kon⸗ servativen des Reichstags nicht der Regierung diejenige Unterstützung zuteil werden lassen, welche es jetzt rechtfertigen könnte, zu sagen: Re⸗ gierung, du hättest nur fest zugreifen müssen, dann hättest du die ganze Sache bekommen! Meine Herren, ich weiß wirklich nicht, wie man an⸗ gesichts des Ganges der Dinge, den ich soeben zu schildern versuchte, diese Behauptung aufrecht erhalten kann. (Sehr richtig! links.) Jedenfalls ist die preußische Regierung und ist der Bundesrat der An⸗ sicht gewesen, daß die Regierungsvorlage leider nicht durchzusetzen ge⸗ wesen ist. Ja, meine Herren, Sie können verschiedener Ansicht darüber
sein; aber ich möchte Sie doch bitten, zu bedenken, wie die allgemeine 1 ; 5
politische Situation damals war: die Annahme der Wehrvorlage war gesichert, wenn gleichzeitig eine Einigung über die Deckung erfolgte. Meine Herren, die Durchführung der Wehrvorlage konnte nicht hinaus⸗ geschoben werden; dafür hätte ich nie und nimmer die Verantwortung tragen können. (Bravol bei den Nationalliberalen.) Deshalb mußte — mußte, das ist keine Kapitulation —, es mußte eine Einigung über die Deckung gefunden werden. (Bravo! bei den Nationalliberalen.)
Meine Herren, es gibt Momente, so schwer sie auch für die Regierung sein mögen, wo Kompromisse geschlossen werden müssen. Ich erinnere Sie daran, daß Bismarck sehr oft über Kompromisse mit dem Reichstag gesprochen hat, er selber hat ja auch manche Kom⸗ promisse mit dem Reichstag tatsächlich geschlossen. Er hat wiederholt ausgeführt, daß die Regierung ja nicht absolut immer auf ihrem Scheine bestehen könne. Gewiß könne sie es tun, wenn die Sache so läge, daß aufgelöst werden könne, oder wenn es sich um einen Gesetz⸗ entwurf handle, den sie zurückstellen könne, wo sie nach dem Bismarck⸗ schen Rezept sagen könnte: ich lasse mir vom Reichstag eine Quittung erteilen, ich habe meine Pflicht getan, ich halte das Gesetz im Staats⸗ interesse für notwendig, du, Reichstag, bist anderer Ansicht gewesen, du trägst die Schuld daran, daß aus der Sache nichts wird; ich habe meine Pflicht getan. Bismarck hat das sehr häufig in sehr schwerwiegenden Situationen getan. Aber hier, meine Herren, sollte ich mir die Wehrvorlage ablehnen lassen, weil wir uns über die Steuern nicht einigen konnten, sollte ich in der Situation, in der sich das Reich damals befand und immer befinden wird, daß es seine gesamte Wehrkraft zur Hand haben muß, um sich zu verteidigen, — sollte ich in diesem Moment sagen: ich nehme alle die Gefahren der Zukunft auf mich, weil ich mich über die Deckungsvorlagen nicht einigen kann? Meine Herren, es lag eine Zwangslage vor, und nicht aus Nachgiebigkeit gegen das Parlament, nicht aus einer Sucht, zu kapitulieren, nicht aus Passivität haben sich die verbündeten Re⸗ gierungen damit einverstanden erklärt, schließlich im letzten Moment die Vermögenszuwachssteuer anzunehmen, sondern lediglich in dem Gefühl ihrer schweren und ernsten Verantwortung gegenüber dem Reiche. (Bravol bei den Nationalliberalen.)
Meine Herren, ich möchte wünschen — ich will auf die Details der Sache nicht weiter eingehen —, daß bei der weiteren Aussprache üher diese Fragen doch auch diese Motive, die mich bewogen haben, die die preußische Staatsregierung bewogen haben, die den Bundesrat bestimmt haben, auch von der preußischen Volksvertretung gewürdigt — 8 — “ “ 8 v“
werden. Meine Herren, ich wiederhole, — ich brauche es nicht zu wiederholen, es liegt ja klar auf der Hand. Im Interesse der Einzel⸗ staaten beklage auch ich diese Vermögenszuwachssteuer in jeder Be⸗ ziehung; aber ich habe es für ein nobile offlcium gehalten, auch die schwersten Opfer auf sich zu nehmen, wenn sie notwendig sind, um die Stärke und Unabhängigkeit der Nation zu verbürgen. (Lebhafter Bei⸗ fall bei den Nationalliberalen.)
Abg. Herold (Zentr.): Ich möchte zunächst namens meiner politischen Freunde unser großes Bedauern aussprechen über die schwere Katastrophe, die einen Teil unseres preußischen Vaterlandes in diesen Lagen getroffen hat. Auch wir hoffen, daß es gelingen wird, die Wunden, die da geschlagen worden sind, nach Möglichkeit zu lindern. Nun hat der Abg. Winckler über den Eingriff geklagt, der durch die Reichsgesetzgebung des letzten Sommers in das Gebiet der Einzel⸗ staaten gemacht worden ist. Wir haben dem zugestimmt, aber ich erkläre, daß wir sowohl für das Reich als auch für Preußen auf dem Boden der Verfassung stehen und die Verfassung hoch halten. Wir sind der Auffassung, daß das, was im vorigen Sommer geschaffen worden ist, eine Ausnahme bleiben wird. Der Finanzminister hat seine ver⸗ änderte Stellung in der Frage am Donnerstag zu begründen versucht. Im April v. J. hat er sich selbst noch gegen eine direkte Besteuerung durch das Reich ausgesprochen. Meine politischen Freunde im Reichs⸗ tag hatten beantragt, daß die Erbschaftsbesteuerung von der Ver⸗ mögenszuwachssteuer ausgenommen werden sollte. Im Jahre 1906 hatte freilich der Reichstag einer Erbschaftssteuer zugestimmt. Wenn damals die Zustimmung des Reichstags erfolgte, so geschah das im Hinblick auf die Erklärungen des damaligen Reichskanzlers, daß die Erbschaftssteuer nicht auf die Aszendenten und Deszendenten ausgedehnt werden sollte. Dieser Standpunkt ist dann aber im Jahre 1909 von derselben Regierung, welche die feierliche Erklärung abgegeben hatte, verlassen worden. Bedauerlich ist es, daß die Regierung im letzten Sommer ihre eigene Vorlage so schwach verteidigt hat. In meiner Fraktion waren die Meinungen über die Vorlage der verbündeten Re⸗ gierungen geteilt, davon wußte auch die Regierung; auch bei den anderen Fraktionen war die Stellungnahme nicht von vornherein ein⸗ heitlich. Ein Teil des Zentrums wünschte allerdings, daß das Reich die Besteuerung vornehme, der größere Teil aber stand auf dem Boden der Regierungsvorlage. Erst als das Kompromiß abgeschlossen war und man annahm, daß nunmehr auf andere Weise eine Besitzsteuer nicht mehr zur Durchführung gelangen konnte, hat auch dieser Teil dem Kompromiß zugestimmt. Ein kleiner Teil hat sich der Abstimmung enthalten. Nachdem jetzt aber durch den Finanzminister die Absicht, durch die Vermögenszuwachssteuer die Erbschaftssteuer auch im Reich einzuführen, so klar zum Durchbruch gekommen ist, wird die Haltung der Fraktion auch in weiteren Kreisen nur noch mehr Billigung finden. Einstimmig war sie der Meinung, daß eine Besitzsteuer eingeführt werden sollte, daß aber, wenn im Reich die indirekten Steuern nicht mehr ausreichen und auf direkte Steuern zurückgegriffen werden muß, dies auf dem Umwege über die Einzelstaaten geschehen muß, weil die direkten Steuern in einer Hand bleiben müssen und nicht gleichzeitig von zwei verschiedenen Seiten in Anspruch genommen werden können. Im Jahre 1909 haben wir einstimmig in der Kommission beantragt, daß, um den Besitz zu erfassen, 150 Millionen durch die Einzelstaaten für das Reich aufgebracht werden sollten. Auf diese Weise war es möglich, die Selbständigkeit der Einzelstaaten völlig aufrecht zu er⸗ halten. Nun ist ja hier die Versicherung abgegeben worden, in Zu⸗ kunft werde man an die Einkommensteuer und die Vermögenssteuer von Reichs wegen nicht herantreten. Wir haben in diesem Programm für die Zukunft seitens des Finanzministers vermißt, daß eine weitere Ausdehnung der Erbschaftssteuer und der Vermögenszuwachssteuer nicht erfolgen werde. Nach § 24 der Ausführungsbestimmungen zum Wehrbeitragsgesetz soll bei der Veranlagung des Grund und Bodens der gemeine Wert zugrunde gelegt werden, statt des Ertragswertes, der ja die Regel bildet, wenn in absehbarer Zeit andere als landwirtschaft⸗ liche oder forstwirtschaftliche Nutzung zu erwarten ist. Eine Er⸗ läuterung zu dem Gesetz enthält diese Bestimmung ganz gewiß nicht, denn im Gesetz heißt es, wenn sie dauernd für landwirtschaftliche Zwecke genutzt werden. In der Zugrundelegunt des gemeinen Wertes soll man nicht zu weit gehen. Wenn man von dem Ertragswert ab⸗ sehen will, dann muß wirklich schon feststehen, daß das Land wirklich als Bauplatz vorgesehen ist; nur dann kann eine Ueberlastung des Grundbesitzes vermieden werden. Wir legen großen Wert darauf, daß die innere Kolonisation mehr zunimmt. Diese wird aber in ihrer Entwicklung gehemmt, wenn die Schätzung zur Steuer — und in diesem Jahre wird gleichzeitig mit der Schätzung des Wehrbeitrages die Schätzung zur Erganzungssteuer vorgenommen — von falschen Ge⸗ sichtspunkten ausgeht und dadurch den Grund und Boden zu schwer belastet. Der Etat stellt diesmal ein günstiges Bild dar. Der Aus⸗ gleichsfonds und das Ordinarium sind recht reichlich dotiert worden. Außerdem sind noch eine Reihe stiller Reserven vorhanden. Den hohen Stand des Ordinariums begrüße ich aber gerade diesmal, weil es wichtig ist, daß in der Zeit der abflauenden Konjunktur Arbeits⸗ gelegenheit geschaffen wird. Gerade in diesen Zeiten soll man intensiv die Eisenbahnbauten fördern, dagegen in der Zeit der Hochkonjunktur nur die notwendigsten Arbeiten vornehmen, um den Arbeitsmarkt nicht zu überspannen. Der Finanzminister sprach wieder von der un⸗ günstigen. Schuldentilgung, aber ich mache wieder darauf aufmerksam, daß bei der Eisenbahnkapitalschuld eine Tilgung überhaupt nicht nötig ist. Darin liegt ja gerade das Vermögen des Staates. Wenn wir von solcher Eisenbahnschuld absehen, so haben wir eine Schulden⸗ tilgung von 2,7 %. Die Eisenbahneinnahmen sind weiter gestiegen, aber auch der Betriebskoeffizient ist gestiegen. Der Minister be⸗ fürchtet auch für die Zukunft ein Steigen desselben, aber ich meine, wenn erst die kostspieligen Bahnhofsumbauten und sonstige Bahn⸗ anlagen fertiggestellt sein werden, dann wird der Betriebskoeffizient wieder zurückgehen. Bei der hohen Belastung durch den Wehrbeitrag und die anderen neuen Steuern hätte ich gewünscht, daß der Finanz⸗ minister auf die Einkommensteuerzuschläge verzichtet hätte. Keiner hat daran gedacht, daß diese Zuschläge dauernd sein würden, und ich bin fest überzeugt, wenn wir die Steuerzuschläge nicht bewilligt hätten, würde der Etat auch jetzt balancieren können. Die hohen Kommunalsteuern müssen vor allem beseitigt werden. Die Beamten⸗ vermehrung, die allerdings in der Zunahme der Bevölkerung begründet liegt, hat einen sehr gewaltigen Umfang angenommen. Für die Be⸗ amtengehälter, Remunerationen usw. wird jetzt insgesamt eine Mil⸗ liarde aufgewendet. Eine schreiende Ungerechtigkeit liegt in der Zurück⸗ setzung der Katholiken gegenüber den Evangelischen, namentlich in bezug auf die Besetzung der höheren Beamtenstellen. Diese Ungerechtigkeit hat auch Fürst Bülow in seinem bekannten Werk anerkannt. Hier muß Wandel geschaffen werden. Es liegt hier ein Mißstand vor, den schon im vorigen Jahrhundert Oberpräsident von Vincke an den Staatskanzler Fürsten Hardenberg hervorgehoben hat. Wenn die Auswahl für die höheren Stellen eine geringere ist, so liegt dies daran, daß die Katholiken sich sagen, sie kämen doch nicht in die höheren Stellen hinein. Wir wünschen von der Regierung Auskunft, wie viel Referendare denn bei der Bewerbung um die Verwaltungslaufbahn von der Regierung berück⸗ sichtigt werden, die der katholischen Konfession angehören. Die Verantwortung trifft hier lediglich die Regierung, denn die Katholiken eignen sich für den höheren Verwaltungsdienst geradeso gut wie die Evangelischen. Die Katholiken verlangen auch hier Gleichberechtigung. Auch von der linken Seite wird über Zurück⸗ setzung ihrer Kandidaten geklagt. Wollte man aber das Parteiver⸗ hältnis zum Maßstab nehmen, so wäre das Verhältnis für die An⸗ hänger des Zentrums noch viel ungünstiger. Denn in die höheren Verwaltungsstellen nimmt die Regierung nur dann Katholiken, wenn sie voraussetzt, daß sie dem Zentrum nicht nahe stehen. Was Handel und Gewerbe betrifft, so hat sich in den letzten Jahren ein erhebliches Steigen der Produktion, namentlich der Eisen⸗
roduktion auch im Verhältnis zu England, gezeigt. Auch in der andwirtschaft hat sich die Produktion ganz verbaftis gesteigert. Die gleiche günstige Entwicklung zeigt unsere Getreideproduktion. Die letzte Ernte ist als eine Rekordernte, als die beste Ernte innerhalb der letzten zehn Jahre bezeichnet worden. Das trifft zu, aber es hat
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sich überhaupt ein allmählich ansteigendes Ergebnis unserer Ernten, unserer Getreideptoduktion gezeigt, natürlich abgesehen von durch die Witterungsverhältnisse verursachten Rückschlägen. Diese Steigerung ist nur möglich durch vermehrte Aufwendung von Arbeit und Kapital und durch eine intensivere Wirtschaft, die natürlich auch größere Kosten macht. Neben der Tatkraft unserer Bevölkerung in Fnduftrie und Landwirtschaft ist diese günstige Entwicklung in erster Linie auf unsere Wirtschaftspolitik Hnüchasts ren; darum follte auch die preußische Regierung darauf Bedacht nehmen, daß dieses bewährte Wirtschafts⸗ system in allen seinen Einzelheiten aufrecht erhalten wird, daß ferner nach Möglichkeit auch die Ausfuhr gestärkt wird durch zweckent⸗ sprechende Handelsverträge. Um diese Ziele zu erreichen, muß nicht nur die Regierung vorgehen, sondern müssen auch die Berufsstände sich zu gemeinsamem Handeln verbinden. Es sind ja auch schon solche Vereinigungen angebahnt oder versucht worden; Industrie, Land⸗ wirtschaft und Mittelstand sind zu dem Kartell der schaffenden Stände zusammengetreten. Diese drei Berufsstände sollten noch einen vierten einbeziehen, und was nicht geschehen ist, kann ja noch nachkommen, nämlich die christlichnationale Arbeiterschaft, die für die wirtschaft⸗ lichen Verhältnisse volles Verständnis hat, die weiß, daß nur eine rentable Industrie und Landwirtschaft ausreichende Löhne gewähren kann. Wenn beim Schutz der Arbeitswilligen wiederum über die jetzt
bestehenden Gesetze hinausgegangen werden soll, dann werden meine
politischen Freunde ihre Zustimmung dazu nicht geben, weil wir meinen, daß die heutige Gesetzgebung ausreicht, wenn nur ihre Be⸗ stimmungen richtig angewendet werden, die größten Be⸗ drückungen sind gesetzlich überhaupt nicht faßbar. Hier kann nur Abhilfe geschaffen werden durch die Zusammenarbeit der christlich⸗ nationalen Arbeiterschaft mit den Arbeitgebern. Die letzte Wahl⸗ rechtsvorlage ist gefallen, und zwar nicht ohne Schuld der Regierung. Sie hätte eine neue Vorlage bringen müssen. Wenn eine neue uns vorgelegt wird, dann verlangen wir, daß das bestehende Wahlrecht nicht verschlechtert wird, namentlich nicht durch Aufhehung der Drittelung in Urwahlbezirke, anderseits muß das geheime Wahlrecht darin enthalten sein. „Es wäre zu erwarten gewesen, daß nach den Erklärungen von Regierungsseite im vorigen Jahre den Gemeinden keine Schwierigkeiten gemacht werden, die bei ländlichen Fortbil⸗ dungsschulen die religiöse Unterweisung in den Lehrplan aufnehmen wollten. Eine derartige Bestimmung für das Gesetz aufzunehmen, wurde abgelehnt, weil sie nicht in seinen Rahmen paßte. Jetzt müssen wir es erleben, daß in dieser Beziehung aber Schwierigkeiten gemacht werden. Bei Schaffung eines Gesetzes für die gewerbliche Fortbildungsschule in den Gemeinden wird diese Frage im Auge zu behalten sein. Es muß dafür gesorgt werden, daß hier der Religions⸗ unterricht obligatorisch gleich von Anfang an in den Lehrplan ein⸗ gefügt wird. Auch sonst hat man ja in der Schule leider das Be⸗ streben, immer mehr die Religion auszuschalten. Bei eintretenden Vakanzen und bei Schaffung neuer Stellen in der Schulinspektion übergeht man immer mehr die Geistlichen. Ueber die Ausführung des Jesuitengesetzes will ich heute nicht sprechen. Ich muß jedoch hervorheben, daß das Verlangen nach Aufhebung des Jesuitengesetzes eine Forderung des gesamten katholischen Volkes ist. Das Jesuiten⸗ gesetz ist das einzige Ausnahmegesetz das wir im Deutschen Reiche haben. Das Ausnahmegesetz gegen die Umsturzbestrebungen ist auf⸗ gehoben worden. Gerade die Jesuiten sind doch die erbittersten Feinde des Umsturzes. (Lachen bei den Soz.) Lachen Sie nicht, es kann niemand die Tatsache bestreiten, daß gerade die Jesuiten sich das größte Verdienst um die Verteidigung der bestehenden Gesellschaft erworben haben. Schon 1848 waren es die Jesuiten, welche sofort gegen die revolutionären Bestrebungen Front machten. Wenn man das Jesuitengesetz nicht der Jesuiten wegen aus Gerechtigkeit auf⸗ heben will, so tue man es im Interesse des Staates. Wenn die preußischen Stimmen im Bundesrat für die Aufhebung des Gesetzes instruiert werden, ist eine Majorität im Bundesrat dafür vorhanden; die Entscheidung liegt also bei Preußen. Mit Freuden treten wir nachdrücklich dafür ein, daß die preußische Regierung sich für die Auf⸗ hebung dieses gehässigen Gesetzes entsche det. Die katholische Be⸗ völkerung ist nicht mehr in der Lage, diese schreiende Ungerechtigkeit zu ertragen. Versuchen Sie es doch mit den Jesuiten ein Jahr. Wenn man die Jesurtten erst aus ihrer eigenen Anschauung kennen lernen wird, wird die gesamte Bevölkerung einsehen, wie ungerecht das Gesetz gewesen ist. Der Ministerpräsident hat gesagt, daß die Ausführungsbestimmungen des Bundesrats keine Verschärfung ent⸗ halten sollen, aber tatsächlich ist doch eine Verschärfung eingetreten. Bei der Beantwortung der kleinen Anfragen im Reichstage über die Aufhebung des Gesetzes hatte man den Eindruck, daß die Antwort geradezu komisch war. Mit der Aufhebung des Jesuitengesetzes wird sich der Ministerprasident den Dank aller objektiv denkenden Menschen erwerben, denn das Gesetz ist und bleibt eine Ungerechtigkeit.
Abg. Dr. Röchling (nl.): Ich möchte zu Beginn meiner Ausführungen im Namen meiner politischen Freunde dem Bedauern darüber Ausdruck geben, daß der Kollege Dr. Friedberg leider ver⸗ bdindert ist, bei der ersten Lesung zum Etat zu sprechen. Wir boffen, daß „zer recht bald in der Lage sein wird, hier wieder zu erscheinen. Ich werde im Geiste der Versöhnlichkeit und Mäßigung sprechen, muß aber doch bedauern, daß der Landtag so spät einberufen worden ist. Die Aufstellung des Etats von 1914 und die Uebersicht der zinnahmen und Ausgaben aus dem Jahre 1912 lassen erkennen, daß wir uns in einer fortgesetzten günstigen Entwicklung der Etatsverhältnisse befinden. In den Ausgleichskonds sind volle 173 Mellionen Mark geflossen, während u sprünglich nur 57 Millionen Mark dafür vorgesehen waren. Auch die Ertäg isse es Jahres 1913 zeigen, daß es ein Rokordjahr der wirtschaftlichen Entwicklung ist. Diese Etats sind der Anfang zur Besserung unserer Verhältnisse aus viel, viel schlechteren Zustä den, wie wir sie im An⸗ fang dieses Jahrhunderts und im Jahre 1906 noch gehabt haben. Diesen Fortschritt haben wir zu verdanken in erster Linie dem Wirtschaftsleben, aber auch der vorsichtigen Politik des Herrn Finanz⸗ ministers, dem wir dafür danken. In die etwas flotte Art, in der wir im Anfang dieses Jahrhunderts neue Auegaben gemacht haben, für lauter schöne und gute Dinge, in der Er⸗ wartung auf Mehrerträgnisse der Eisenbahnen und der Steuern, dürfen wir nicht wieder zurückfallen. Ander⸗ seits aber müssen wir die Sparsamkeit nicht zu weit treiben. Denn wirkliche Bedürfnisse der Ressorts können zwar zurückgest llt werden, aber nicht auf die Dquer versagt werden. Der Gesamt tat des Jahres 1914 en’'hält in Einnahme und Ausgabe die koleossale Summe von 4,8 Milliarden Mark, 250 Millionen Mark mehr als im Vorjahre. Nun ist ja im Jahre 1905 ein Abkommen getroffen worden, wonach eine systematische Trennung der Eis’nbahn⸗ und der allgemeinen Staatsfinanzen, die früher völlig vermist wurde, ingeführt worden ist Damals ist der Zuschuß der Eisenbahnen zum ordentlichen Etat auf 2.10 % des statistischen Anlogek⸗pitals beschränkt worden. Dadurch sind den Ressorts in ihren Wünschen gewisse Grenzen e⸗ zogen. Unser Wunsch, daß der ECisenbahnetat in einen Be⸗ triebsetat und einen Bauetat zerlegt werden sollte, ist bis heute noch nicht erfüllt worden. Aber ich bin fest überzeugt, daß er theoretisch richtig ist, und daß er auch mit der Zeit erreicht werden wird. Ich glaube, daß grundsätzliche Einwendungen dagegen nicht er hoben werden konnen. Der Finanzminister sprach von dem steigenden Betriebskoeffiztenten. Ich fürchte mich nicht so sehr vor einem Steigen des Betriebskoeffizenten. Wir haben früher den Au bau von Hauptbahnen vernachlässigt. Dadurch ist die Notwendigkeit ent⸗ standen um Verkehrestörungen zu überminden au ganz außerodent⸗ lichen Ausgaben zu schreiten, die natürlich die Finanzen aufs ä ßerste beeinflussen mußten. Sind wir einmil über diese Zeit hinaus gekommen die uns Unbequemlichkeiten in finanzieller Beziehung ver⸗ ursacht, dann muß der Bet iebskoeffizient wieder heruntergehen. Der Finanzmi ister hat hingewiesen auf dae Anteigen des Extra erdinari ms und hat dies guf die außererdentlien Unkosten der Eisenbahnverwaltung zurückeführt. Es handelt sich doch aber bei di ser Frage lediglich darum, ob die Mittel für die Eisenbahn⸗ verwaltung durch das Extraordinarium oder durch Anleiben auf⸗ gebracht werden. diesem Zusammen⸗
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