hange von einem finanziellen Festfahren. Ein wirkliches finanzielles Festfahren wäre doch nur dann vorhanden, wenn wir aus unseren Steuern Zinsen für Eisenbahnschulden bezahlen müßten. Ob die 1,15 % des statistischen Anlagekapitals als Bemessung für das Extraordinarium richtig gegriffen waren, ob sie nicht vielleicht noch erhöht werden sollen, um für eine Reihe von Jahren gesichert zu sein, dürfte reiflicher Erwägung wert sein. Dagegen scheint mir die Begrenzung von 2,10 % des stateistischen An⸗ läagekapitals zu Zwecken der Verwendung für allgemeine Staatszwecke zu hoch gegriffen, denn die Eisenbahnen sind nicht dazu da, Mittel für allgemeine Staatszwecke zu erzielen. Es wird uns zurzeit nichts anderes übrig bleiben, als das Abkommen über den Ausgleichsfonds noch zu verlängern; im Zusammenhange mit dieser Frage steht auch die der Einkommensteuerzuschläge. Die Einkommensteuer hat bedeutend mehr ergeben. Durch den Wehrbeitrag und die De⸗ klarationspflicht aus diesem Anlasse werden diese Steuerquellen voraussichtlich noch ergiebiger fließen. Ich möchte bei dieser Gelegenheit auch dem Wunsche Ausdruck geben, daß die Frist für die Deklaration für den Wehrbeitrag noch verlängert wird. Aus Anlaß der Reichsvermögenssteuer sind auch Vorwürfe gegen unsere Partei im Reichstage erhoben worden. Ich habe dem, was der Reichskanzler in dieser Beziehung schon gesagt hat, eigentlich nichts hinzuzufügen. Diese Ausführungen haben die Notwendigkeit dieser Besitzsteuer eklatant erwiesen. Die Vorlage der Regierung wollte ja die Aufbringung der Steuer den Einzelstaaten überlassen. Es ist doch aber nicht richtig, daß das Reich immer neue Ausgaben beschließt und die Deckung den Einzelstaaten überträgt. Wir haben aber schließ⸗ lich das Interesse des Staates und des Reiches über unsere speziellen Steuerinteressen gestellt. Aber der Wehrbeitrag und die Vermögenszuwachssteuer müssen jedenfalls ein Unikum bleiben. Der Abg. Bassermann hat verschiedentlich hervorgehoben (Zurufe rechts).. Sie haben keine Veranlassung, zu glauben, daß der Abg. Bassermann heute anderer Anschauung ist als gestern; über die Be⸗ steuerung des Gatten⸗ und Kindeserbe waren allerdings in unserer Fraktion lange Jahre Meinungsverschiedenheiten, auch in der konser⸗ vativen Partei, aber ich möchte jeden bitten, daß wir diesen alten Streit fallen lassen und einmütig alle mit der Reglerung dahin wirken, daß der Wehrbeitrag und diese Besitzsteuer nur einmal dagewesen sind. Die Steuerzuschläge neben der festen Einkommensteuer sind eine etwas eigentümliche Methode. Wir wollen die Hoffnung nicht aufgeben, daß es gelingen wird, die Steuerzuschläge wieder zu beseitigen. In der Frage der Altpensionäre haben die Konservativen bisher gerade keine Energie in der Richtung der gesetzlichen Regelung bewiesen. Wir wünschen jedenfalls dringeud die gesetzliche Regelung. Auch dahin wollen wir alle Bemühungen richten, daß die schwierige Frage der völligen Gleichstellung aller Lehrergehälter gesetzlich gelöst wird. Wir halten es ferner für eine der wichtigsten Aufgaben, die Landflucht zu beseitigen. Das beste Mittel dazu ist die Bauernansiedlung. Bis⸗ her haben sich weit mehr Arbeiter als Bauern zur Ansiedlung ge⸗ meldet. Wir müssen vor allem die Ansiedlung von Bauern fördern. In dieser Beziehung darf Geld nicht gespart werden. Die Schaffung eines kaufkräftigen Bauernstandes liegt auch im Interesse der Städte und selbst des Großgrundbesitzes. Innere Kolonisation und Beschränkung der Fideikommisse müssen zu⸗ sammenarbeiten. Für unsere Industrie ist das wertvollste der innere Markt, und dieser wird durch die Erhaltung einer kaufkräftigen Land⸗ wirtschaft gestärkt. In der Wirtschaftspolitik wollen wir nach wie vor den Schutz der nationalen Arbeit im Bismarckschen Sinne fördern. Das liegt auch im Interesse der Arbeiter. Darin laufen die Interessen der Arbeitgeber und der Arbeiter parallel, wenn es auch sonst Gegensätze zwischen ihnen gibt. Eine weise Politik sucht die Gegensätze auszugleichen nach der Bedeutung des Einzel⸗ s für die Gesamtheit. Wir müssen die Landwirtschaft schützen, damit sich unser Volk mit der nötigen Nahrung ver⸗ sorgen kann. Diese Politik des maßvollen Schutzes ist so oft be⸗ gründet worden, daß ich mir weitere Ausführungen sparen kann. Die Herren von der Rechten haben leider nicht immer das Ver⸗ ständnis für unsere Stellungnahme gehabt, das man von ihnen er⸗ warten könnte. Ich erinnere Sie nur an die Stellungnahme der Konservativen in der Frage des Schleppmonopols. Eme Schutzzoll⸗ politik, die eine gewisse Absperrung des inländischen Marktes vom Auslande mit sich bringt, muß dadurch begleitet sein, daß dem In⸗ lande ermöglicht wird, möglichst billig zu fabrizieren, und dazu sind möglichst billige Transportmittel erforderlich. Deehalb müssen die Eisenbahnfrachten weiter ermäßigt werden. Das wird die Staats⸗ kasse nicht schädigen, sondern es wird ihr selbst Vorteil bringen. Ein Kauf⸗ mann, der gar nichts riskiert, kommt überhaupt nicht vorwärts. Namens meiner Freunde habe ich sodann der Meinung Ausdruck zu
geben, daß ein besserer Schutz der Arbeitswilligen notwendig ist. Man wendet dagegen ein, daß es sich um ein Ausnahmegesetz handeln soll. Das Ausnahmegesetz ist bei uns zum Schlagwort geworden. Wenn Sie überhaupt kein Ausnahmegesetz haben wollen, so müssen Sie por allem die Arbeiterschutzgesetze abschaffen, die Ausnahmegesetze gegen die Arb itgeber sind. Aber ich frage, ob es denn eines neuen Gesetzes bedarf. Es liegen Anträge vor, das Streikpostenstehen gesetzlich zu verbieten. Die Polizei hat schon auf Grund des allgemelnen Landrechtzs das Recht und die Pflicht, bei allen Störungen der öffentlichen Ordnung einzugreifen, und die Recht⸗ sprechung hat anerkannt, daß auch schon bei der Besorgnis von Gewaltfamkeiten die Polizei die Pflicht hat, einzuschreiten. Ist dieser Zustand rechtegültig, so scheint mir für Preußen der Erlaß ennes Verbots des Streikpostenstehens überflüssig zu sein; wir hätten nur die Regierung aufzufordern, von dieser Befugnis zwar nicht wahllos, aber energisch Gebrauch zu machen. So wenig wir die Arbeiter, die streiken wollen, polizeilich davon abhalten wollen, o wenig können wir dulden, daß Arbeiter, die sich frei⸗ villig dem Streik nicht anschließen wollen, durch Zwangs⸗ maßregeln ihrer Kollegen dazu gezwungen werden. vürde vielleicht noch zweckmäßig sein, diesen Zustand, der bei uns besteht, auch in anderen Bundesstaaten einzuführen, denn ein ein⸗ heitlicher Arbeitsmarkt muß auch ein einheitliches Recht haben. Ich mache diese Ausführungen nicht im Interesse der Großindustrie, denn bei der ist der Arbeitswilltgenschutz schon vorhanden, sondern gerade m Interesse der kleinen Gewerbetreibenden, der Handwerker und der Arbeiter selbst. Der kommunalen Arbeitslosenversicherung stehen meine skeptisch, der staatlichen Arbeitslosenversicherung ab⸗ 1 gegenüber. Diese Versicherung würde zur Folge haben, daß die Gewerkschaften ihre Mittel schonen können, sie privilegiert die gewerkschaftlich organisierten Arbeiter, und dazu sehen wir eigentlich gar keinen Grund. Die Ge⸗ werkschaften haben erbebliche Mittel, sie mögen für ihre Mitglieder sorgen. Die kommunale Arbeitslosenversicherung führt noch mehr als das Wirtschaftsleben an sich zur Ansammlung der Arbeitermassen in den Großstädten. Wir würden unser Bestreben auf dem Gebiete der inneren Kolonisation lahmlegen. Mit dieser Versicherung müßte auch ein Arbeitszwang verbunden sein, und die Einführung eines Arbeitszwanges für alle, die Regulierung des Wirt⸗ schaftslebens von einer Zentralstell us halte ich für ganz unmöglich. Niemand kann übersehen, wie da über die Arbeitskräfte zu verfügen ist. Das müssen wir dem Wirtschaftsleben selbst überlassen, der freien Betatigung des Bürarrs im Kampf ums Dasein. Selbst⸗ verantwortlichkeit und eigene Tätigkeit sind die besten Triebkräfte. Eine Reform des preußischen Wahlrechts ist uns bisher nicht wieder in Auesicht gestellt worden. Ich möͤchte jedegfalls feststellen, daß durch die letzten Wahlen, die eine geriege Verschiebung gebracht haben, die Aussicht auf eine Verwirklichung der Reform etwas gestiegen ist Es kann gleichzeitig festgestellt werden, daß das starke Drängen auf Einführung des Reichstagswahlrechtes in Preußen in der letzten Zeit nachagelassen hat. (Widerspruch bei den Sozialdemokraten.) Ich hatte gedacht, Sie (zu den Sozialdemokraten gewendet) hätten allmählich begnffen, daß dafür in Preußen gar keine Aussicht vorhanden ist. Meine politischen Freunde lehnen es ab, das Reichstagswahlrecht auf Preußen zu übertragen. Anderselts muß festgestellt werden, daß mancherlei Mäncel, die das geltende Wahlrecht hat, durch Ein⸗ führung der Fristwahl und anbderer kleiner Verbesserungen nur un⸗
erheblich gemindert worden sind, und es entsteht daher nicht nur in weiten Kreisen dieses Hauses, sondern, wie ich glaube, auch bei der Staatsregierung die Ansicht, daß das Wahlrecht verbesserungsbedürftig ist. Wir haben in der letzten Session sowohl wie auch im Wahl⸗ kampfe die Ueberzeugung vertreten, daß eine Reform, um Aussicht auf Erfolg zu haben, davon absehen müsse, neue und nicht bewährte Systeme auf den Boden des preußischen Rechtes zu übertragen, z. B. das Plural⸗ wahlrecht oder die Verhältniswahl. Ein Versuch kann nur dann erfolgreich sein, wenn er sich beschränkt auf die Verbesserung unseres Klass nwahlrechts, welches als System gar nicht so schlecht ist. Wir haben daher den Antrag eingebracht, mit Anknüpfung an das geltende Wahlrecht die hauptsächlichsten Mängel zu beseitigen. Da bin ich allerdings der umgekehrten Ansicht wie der Kollege Herold; meine politischen Freunde betrachten die Drittelung der Urwahlbezirke als schlimmsten Fehler. Wir fordern außerdem die Einführung der direkten und der geheimen Wahl. Trotz Ablehnung unserer Anträge haben wir sie doch wieder eingebracht, und zwar in der Hoffnung und Erwartung, daß die Erkenntnis von ihrer logischen Begründetheit sich mit der Zeit durchsetzen wird und die Staatsregierung veranlassen wird, den Antrag aufzunehmen. Die Staatsregierung wird sich hoffentlich dabin aussprechen, daß sie auch in der Frage des Wahl⸗ rechts die führende Hand behalten will. Prinz Ernst August von Braunschweig und Lüneburg bat den Thron seiner Väter bestiegen, nachdem er in engste Familienbeziehungen zu unserem Kaiser getreten ist. So wenig wir die politische Bedeutung dieser Familienbeziehungen verkennen, so werden wir uns freuen, daß der Rechtsanspruch des Welfenhauses auf den braunschweigischen Thron verwirklicht worden ist, wir bedauern aber doch, daß die Beschlüsse des Bundesrats erfolgt sind lediglich auf Grund der Erklärung des Herzogs, daß er nichts tun werde, was den Bestand Preußens ändern würde. So wenig wir an seiner Loyalität zweiseln, so schien uns seine Er⸗ klärung doch um deswillen ungenügend, weil zu erwarten war, daß die Welfenpartei sie dahin deuten würde, der Herzog halte die vermeintlichen Ansprüche seines Vaters aufrecht. Diese Erwartung unserer Freunde hat sich bestätigt. Auf einer Versammlung des hannoverschen Vereins hat der Führer der Welfen, der Vertrauensmann des Herzogs von Cumberland, der Freiherr von Scheele, eine Rede gehalten, in der er sagte: unser Kampf wird sich jetzt konzilianter gestalten, jedoch ist abzuwarten, ob wir durch die preußischen Behörden freundlicher behandelt werden; sonst nehmen wir kein Blatt vor den Mund. Er wies dann weiter darauf hin, daß der Herzeg von Cumberland allein der Träger der Ansprüche auf Hannover sei, und daß sein Sohn daher einen Verzicht gar nicht aussprechen könne. Solange unser Herzog lebt, heißt es dann, ist er der Träger unserer Hoffnungen, und er wünscht die Fortsetzung des Kampfes. Bei aller Loyalität steht der Prinz auf dem Standpunkte seines Herrn Vaters. Wir bedauern, daß die Regierung nicht in der Lage war, in Elsaß⸗ Lothringen zur rechten Zeit eine vollkommen zweifellos klare Lage nicht nur in rechtlicher, sondern auch in politischer Beziehung zu schaffen. Wir können uns der Besorgnis nicht entschlagen, daß hier⸗ aus eine Gefahr für unseren Frieden entstehen könnte. Wenn gesagt wird, daß diese Besorgnis nur in nationalliberalen Kreisen der Provinz Hannover geteilt wird, so möchte ich darauf hinweisen, daß sie auch von der Landtags⸗ und Reichstagsfraktion zum Ausdruck gebracht worden ist. Den Fall Zabern will ich vom politischen Standpunkt aus behandeln; auf das Urteil will ich nicht weiter eingehen. Es kommt gar nicht darauf an, ob Reuter, Schad und von Forstner recht oder unrecht haben. Ich will auch nicht auf den Fall Jagow eingehen, da ich mir von dieser Kritisierung nichts verspreche. Es widersteht mir auch persönlich, einen Mann anzugreifen, der sich selbst hier nicht verteidigen kann. Ich werde daher nur die grundsätzlichen Gesichtspunkte hervorheben. In den Grenzlanden gilt es als eine Art Sport und als ein harmloses Sonntagsvergnügen, die Altdeutschen durch Schmähungen und Beleidigungen zu verletzen. Preußische Offiziece und preußische Soldaten werden mit böhnischen Worten, Lachen, Pfeifen und Johlen begrüßt. Wenn Osffiziersdamen gemeinsam einen Spaziergang durch die Stadt unternehmen, so wird dies als eine Provokation aufgefaßt, selbst auch von Gebildeten, ja, von in amtlichen Stellungen befindlichen Personen. Nächtliche Ueberfälle auf preußische Soldaten werden ausgeübt. Dies alles geschieht, ohne daß von den Behörden energisch zugegriffen wird, und ohne daß das Uebel an der Wurzel gefaßt wird. Wie weit man in den Schmähungen geht, zeigen die anonymen Briefe, die dem Obersten von Reuter geschickt worden sind. (Redner verliest einige derartige Briefe. Zuruf des Abg. Dr. Liebknecht: Und das alles sagt ein Richter!) Ich fühle mich dadurch gar nicht verletzt. Ich bin ein preußischer Richter. Man kann ja verstehen, daß die Bürger und Arbeiter, die in Zabern im Peandurenkeller eine Nacht unfreiwillig zubringen mußten, ohne sich einer Schuld bewußt zu sein, den Verlust ihrer persön⸗ lichen Freiheit bitter empfinden mußten. Man kann alles mögliche menschliche Mitleid mit diesen Betroffenen haben. Aber wenn auch ein aanz Unschuldiger seiner persönlichen Freiheit beraubt worden sein sollte, so darf man doch bei der Beurteilung des Falles Zabern nicht vergessen, daß der Schutz der persönlichen Freiheit hier allein nicht in Betracht kommt. So hoch die Rechte einzelner stehen, so steht doch turmboch darüber das Schicksal der Nation, und das Schicksal der Nation hängt letzten Endes allein von der Verfassung unseres Heeres und von dem Geiste ab, der in unserem Offizierkorps und in unseren Mannschaften herrscht. (Zuruf des Abg. Dr. Liebknecht: Gesetzlosigkeit! Vizepräsident Dr. Porsch: Lassen Sie doch diese Störungen! Abg. Dr. Liebknecht: Man soll nicht so provozieren!) Das Selbstverantwortlichkeits⸗ und das hochgespannte TEhrgefühl, welches das preußische Offizierkorps von jeher ausgezeichnet hat, müssen unter allen Umständen erhalten bleiben. Die Hauptschuld im Falle Zabern liegt doch zweifellos an der Zivilverwaltung. Die Zivilverwaltung hat es nicht verstanden, den berechtigten Beschwerden der Armee abzuhelfen. Der tiefere Grund aber scheint mir doch darin zu liegen, daß preußische Elemente in der reichsländischen Beamtenschaft beinahe vollständig fehlen. Der Ministerpräsident hat im Reichstag ausgeführt, daß bei dem Wider⸗ spruch der Anschauungen zwischen Zivilverwaltung und Militär er nicht entscheiden könne, wer im Recht oder Unrecht sei, und er wisse nicht, ob jemals eine Entscheidung darüber herbeigeführt werden könne. Das ist bei aller Hochachtung vor dem Gerechtigkeitsgefühl des Reichskanzlers ein Standpunkt, der für einen leitenden Staatsmann bedenklich ist. Der preußische Geist muß wieder in die elsaß⸗lothrin⸗ gische Regierung getragen werden. Die Regierung soll nicht nach sentimentalen, sondern nach sachlichen Gesichtspunkten handeln. Wenn wir diese Forderung an den Ministervräsidenten stellen, so geschieht es nicht nur im Interesse Elsaß⸗Lothringens, sondern im Interesse des Ansehens und der Würde Preußens.
Präsident des Staatsministeriums, Reichskanzler Dr. von Bethmann Hollweg: Herren! Vorredner hat am Schlusse seiner Ausführungen über Erscheinungen gesprochen, welche im Reichslande anläßlich der Vorgänge in Zabern hervorgetreten sind. Er hat seine Berechtigung zur Besprechung dieser Angelegenheiten in diesem Hause daraus hergeleitet, daß Elsaß⸗Lothringen Reichsland ist, und daß infolgedessen jeder einzelne Bundesstaat ein Interesse daran hat, wie es dort zugeht. Ich will nicht bestreiten, daß unter diesem Ge⸗ sichtspunkt eine Besprechung von Mißständen einzelner Art hier im Hause vorgenommen werden kann, wie es durch den Herrn Vorredner geschehen ist. Ebenso habe ich volles Verständnis dafür, daß das Empfinden jedes Preußen sehr scharf und unangenehm durch manches berührt worden ist, was dort vorgefallen ist. (Sehr richtig! bei den
Töö Der Her
Meine
gesprochen, gegen die ich trotzdem hier
Angelegenheit hier zum Gegenstande der Kritik gemacht werde. Ich bin dort nicht als preußischer Ministerpräsident aufgetreten, sondern ich bin dort als Reichskanzler aufgetreten, und die Kritik über das, was ich als Reichskanzler tue — nicht in meiner Eigenschaft als stimmführender Bundesratsbevollmächtigter Preußens, nicht in meiner Eigenschaft als preußischer Ministerpräsident —, kann nur im Reichs⸗ tage gefällt werden (Widerspruch bei den Natlib.), und Sie setzen mich ja nicht in die Möglichkeit, mich gegen die Angriffe zu verteidigen, die Sie hier gegen mich richten (Abg. Dr. Schifferer (Hohenwarte): Herrenhaus!) — Nein, meine Herren, wenn Sie das Herrenhaus anziehen, so ist das ein unrichtiger Vergleich. Im Herrenhaus ist darüber geklagt worden — meiner Ueberzeugung nach mit Unrecht —, daß die verbündeten Regierungen es zuließen, daß die staatsrechtlichen Verhältnisse der Einzelstaaten im Reiche verschoben würden. Wenn dieser Vorwurf zutreffen sollte, dann würde ich als stimmführendes Mitglied des Bundesrates für Preußen allerdings mit daran schuld sein, und diese meine Haltung als preußischer Bundesratsbevollmäch⸗ tigter würde der Kritik des Landtages unterliegen. Im Reichstage aber bin ich bei der Besprechung der Zaberner Vomänge, bei der Interpellation nicht als preußischer Bundesratsbevollmächtigter auf⸗ getreten, sondern als Reichskanzler, und eine Kritik über meine Tätigkeit als Reichskanzler kann ich in diesem Hause nicht annehmen, meine Herren.
Der Herr Vorredner hat in dieser Beziehung ein paar Worte Verwahrung einlegen will, weil ich sie für unrichtig halte.
Meine Herren, ich habe im Reichstage, als ich die Zaberner Vor⸗ gänge darstellte, gesagt: ich stütze mich bezüglich der Vorgänge am 28. November auf die Meldungen des Militärs. Danach habe ich die Situation dargestellt; ich habe ausgeführt: das Militär ist zum Einschreiten gekommen, weil es der Ansicht war, daß das Zivil ver⸗ sagt habe. Ich habe weiter hinzugefügt: die Zivilbehörden wider⸗ sprechen dieser Auffassung des Militärs auf das allerentschiedenste; wer von den beiden recht hat, weiß ich nicht und werde ich vielleicht auch niemals wissen können.
Nun, meine Herren, sagt der Herr Vorredner, das wäre eine Stellung, die eines Staatsmannes unwürdig wäre. (Widerspruch des Abg. Dr. Röchling.) Meine Herren, haben Sie denn gewußt, die Herren, die sich beteiligt haben — es ist ja nicht der Herr Vor⸗ redner, aber seine Freunde im Reichstag —, die sich beteiligt haben an dem — — Votum (stürmische Heiterkeit) — haben denn die Herren, als sie das Votum abfaßten, gewußt, ob das Militär oder das Zivil in seiner Auffassung recht hatte? (Zurufe: Darum dreht es sich gar nicht!) Meine Herren, haben Sie denn nicht die Ver⸗ handlungen jetzt in Straßburg gelesen? Haben Sie nicht den Ein⸗ druck gehabt, daß da manche Leute, die damals der Ansicht waren: nein, das Zivil hat ganz recht, das Militär hat unrecht, die Solda⸗ teska herrscht — eines Besseren belehrt worden sind? (Sehr wahr! rechts.) Mir scheint doch auch, daß die Freunde des Herrn Vor⸗ redners zum Teil eines Besseren belehrt worden sind (Große Heiter⸗ keit), wenn sie es vielleicht auch nicht zugeben wollen. Aber wenn Sie nun mit dieser Kritik recht hätten, daß ich nicht staatsmännisch gehandelt hätte, wie Sie das gesagt haben —, meine Herren, nennen Sie mir den Staatsmann, der am 3. und 4. Dezember genau wissen konnte, wie die Dinge sich abgespielt haben, ob das Zivil versagt hätte oder nicht! (Abg. Adolf Hoffmann: Röchling!) Es gibt keinen; auch Herr Abg. Röchling kann es nicht gewußt haben.
Wenn Sie nun aber durch diese Darstellung der Situation eine Begründung für das Votum herausziehen — na, meine Herren, wir wollen hier nicht darüber sprechen; im Reichstag. (Heiterkeit.) Ich glaube, wir versuchen es besser dort.
Und, meine Herren, ebenso, wie ich der Ansicht bin, daß meine Haltung als Reichskanzler nicht der Kritik des Abgeordnetenhauses unterliegt, so unterliegt auch nicht die Haltung der Verwaltungs⸗ behörden in Elsaß⸗Lothringen derjenigen Kritik, die der Herr Vor⸗ redner an diese Tätigkeit, an diese Haltung der Verwaltungsbehörden angelegt hat. (Sehr richtig! bei der fortschr. Volksp.) Meine Herren, auch dies ist ein Gegenstand, über den ich nur im Reichstag sprechen kann. (Sehr richtig! bei der fortschr. Volksp.)
Ich bitte dringend, verschieben Sie doch die Kompetenzen nicht in dieser Beziehung, namentlich nicht in einer Frage, die leider Gottes zu einer so hochpolitischen geworden ist wie der Zaberner Fall. Meine Herren, das eine will ich noch hinzufügen, auch um die Kompetenz⸗ grenzen noch einmal festzustellen: das ist selbstverständlich, daß die Vorgänge in Elsaß⸗Lothringen eine sehr ernste Sorge der Reichsregie⸗ rung bilden, und daß es eine ernste Sorge der Reichsregierung ist, wie diesen Vorgängen für die Zukunft zu steuern ist. (Bravo!)
Meine Herren, über die Frage des Arbeitswilligen⸗ schutzes, die der Herr Vorredner auch ziemlich eingehend besprochen hat, will ich mich hier nicht äußern. Ich will nur in tatsächlicher Be⸗ ziehung einen Irrtum richtigstellen, der dem Herrn Vorredner, wenn ich ihn recht verstanden habe, untergelaufen ist. Er meinte, wenn ich recht gehört habe, ich sei im Reichstage zu dem Schlusse gekommen, daß ein verstärkter Schutz der Arbeitswilligen unmöglich sei, weil ich ein Ausnahmegesetz ablehnte. Meine Herren, so habe ich mich durchaus nicht ausgesprochen. Ich habe gesagt: gewiß — ich will die Einzel⸗ heiten nicht ausführen —, die Entwicklung hat sich so gestaltet, daß ein erhöhter Schutz der Arbeitswilligen in manchen Beziehungen not⸗ wendig ist; ich habe abgelehnt, das auf dem Wege eines Ausnahme⸗ gesetzes zu machen, sondern auf dem Wege des gemeinen Rechts. Das ist der Kernpunkt meiner Ausführungen gewesen. In dieser Aus⸗ führung liegt doch nicht, daß ich einen Schutz der Arbeitswilligen ab⸗ lehne, weil er nur durch ein Ausnahmegesetz zu erzielen wäre.
Meine Herren, der Herr Abg. Röchling hat die Wahlrechtsfrage besprochen und hat am Schlusse seiner Ausführungen an mich die Auf⸗ forderung gerichtet, die Staatsregierung müsse die Sache in die Hand nehmen und nicht etwa das Parlament in der Frage arbeiten lassen. Meine Herren, die Staatsregierung ist durchaus nicht der Ansicht, daß sie sich vom Parlament eine Wahlreform bringen lassen solle. wenig wie die Staatsregierung den Versuch machen wird, dem Parla⸗ ment eine Wahlreform zu oktroyieren, ebensowenig wird sie sich vom Parlament eine Wahlreform aufoktroyieren lassen. (Bravo! rechts.) So gut wie die Staatsregierung seinerzeit selbst die Initiative ergriffen hat, so gut wird sie die Initiative ergreifen, wenn sie selbst den Zeit⸗ punkt für gekommen erachtet, (Lebhafte Rufe links: Wann ?!), um mit einer Wahlreform vorzugehen. (Wiederholte Rufe: Wann?) — Ja,
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Natlib.) Aber, meine Herren,
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Sie sehen, meine Herren! (Große Heiterkeit.)
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zum Deutschen Reichsanzeiger und Königlich Preußi
(Fortsetzung aus der Ersten Beilage.)
Bei dieser Gelegenheit muß ich mich mit einer in Schrift und Wort vielfach gebrauchten agitatorischen Wendung auseinandersetzen. Diese? Vendung betrifft das „uneingelöste Königswort“. Meine Herren, eine Thronrede ist, staatsrechtlich genommen, ein Regierungsakt wie andere Regierungsakte, (Sehr richtig! rechts), und für das, was in der Thronrede gesagt wird, trägt allein die Königliche Staatsregierung die Verantwortung. (Sehr richtig! rechts.) Das will ich gegenüber dem Mißbrauch des Wortes „uneingelöstes Königswort“ hiermit ein für allemal namens der Königlichen Staatsregierung festgestellt haben. Lebhafter Beifall rechts — Unruhe und Zurufe bei den Soz.) Meine Herren, der Ankündigung, die der mit Allerhöchster Sanktion in der Thronrede von 1908 aufgenommene Passus enthält, ist durch die Vor⸗ lage der Wahlreformnovelle vom Jahre 1910 entsprochen worden. Sehr richtig! rechts — Unruhe links.) Daran, daß diese Wahlr orm nicht zustande gekommen ist, trägt die Königliche Staatsregierung keine Schuld. (Sehr richtig! rechts — Widerspruch links.) Die Wahl⸗ reform ist nicht zustande gekommen, weil sich der Landtag nicht darüber einigen konnte. Bei dieser Situation ist es lediglich dem Ermessen der Königlichen Staatsregierung anheimgestellt, wann sie glaubt, den Versuch mit Aussicht auf Erfolg wiederholen zu können. Jedenfalls ist die Königliche Staatsregierung der Ansicht gewesen, daß es nicht angebracht war, dem neugewählten Abgeordnetenhause in seiner ersten Tagung eine Vorlage über die Reform des preußischen Wahlrechts, die immer eine Matcrie von größter politischer Bedeutung ist, vor⸗ zulegen. (Zurufe bei den Soz.) —
Der Herr Vorredner hat dann noch meine Haltung in der braun⸗ schweigischen Frage angegriffen. Lassen Sie mich noch darüber kurz sprechen; lange werde ich Ihre Zeit nicht in Anspruch nehmen! Ich habe mich über die braunschweigische Frage, über das braunschweigische Recht, über die Bundesratsbeschlüsse von 1885 und 1907, über das Ver⸗ hältnis der letzten Entscheidung des Bundesrats zu diesen beiden Be⸗ schlüssen, über die Bedeutung des Verzichts ausführlich im Reichstage ausgesprochen, und ich wüßte nicht, was ich dem, was ich dort gesagt habe, hinzufügen könnte. Ich habe auch in den Worten des Herrn Vorredners eine Widerlegung dessen, was ich im Reichstage gesagt habe, nicht finden können. Wohl aber geben mir die Ausführungen des Herrn Vorredners erwünschten Anlaß, meine Darlegungen im Reichstage noch in einer Beziehung zu ergänzen: das ist die Einwirkung der Regelung der braunschweigischen Frage auf die welfische Partei in Hannover. 3
Meine Herren, da muß ich nun zunächst daran erinnern, daß die Aussicht auf die Lösung der braunschweigischen Frage, die nun zur Tat geworden ist, als sie öffentlich bekannt wurde, fast ganz allgemein die lebhafteste Zustimmung fand, auch in konservativen und auch in nationalliberalen Kreisen. Auch in nationalliberalen Kreisen wurden die Garantien, die Prinz Ernst August gegeben hatte, anfänglich für auskömmlich erachtet. (Widerspruch bei den Natlib.) Der Umschwung ist erst eingetreten, als die hannoverschen Welfen anfingen, die Be⸗ deutung dieser Garantien in Zweifel zu ziehen. Meine Herren, die Welfen in Hannover mögen sagen und schreiben, was sie wollen; an der Bedeutung dessen, was der jetzt regierende Herzog von Braunschweig gesagt und getan hat, können sie nicht rütteln und nicht deuteln. Das Wort eines Ehrenmannes wird nicht durch Auslegungen angetastet, welche unberufene Dritte ihm geben zu können glauben. (Sehr richtig! rechts.) Nun ist es allerdings richtig, daß die hannoverschen Welfen fortgesetzt diesen Versuch gemacht haben, und es ist richtig, daß, wie der Herr Vorredner das hier ausgeführt hat, in einer Welfenversamm⸗ lung in Nienburg im Dezember v. Js. Aeußerungen gefallen sind, welche nicht anders gedeutet werden können und wohl auch so gedeutet werden sollten, als entspreche es dem Willen und den Wünschen des regierenden Herzogs von Braunschweig, daß die hannoverschen Welfen ihren Kampf um die Wiederherstellung des Königreichs Hannover fortsetzten. Meine Herren, ich bin von Seiner Königlichen Hoheit dem regierenden Herzog ausdrücklich ermächtigt (Hört, hört!), vor diesem Hause und vor dem anzen Lande festzustellen, daß jede Berufung auf den Herzog für die Betätigung der Bestrebungen der deutsch⸗hannoverschen Partei nicht nur dem Willen Seiner Königlichen Hoheit nicht entspricht, sondern diesem Willen direkt widerspricht. (Lebhafter allseitiger Beifall.) Meine Herren, diese Willensmeinung des regierenden Herzogs ist so bündig und so unmißverständlich, daß, wenn Mitglieder der deutsch⸗hannover⸗ schen Partei fortfahren sollten, den Herzog für sich in Anspruch zu nehmen, jedermann wissen wird, was davon zu halten ist. (Bravo! rechts und bei den Natlib.) Für den Herzog sind derartige Versuche, wenn sie noch fortgesetzt werden sollten, mit seiner Erklärung ein für allemal abgetan. (Lebhafter Beifall rechts, im Zentr. und bei den Natlib.)
Meine Herren, die Fortdauer der welfischen Bewegung in Han⸗ fover ist ja das Hauptargument, mit welchem die Angriffe gegen die den mir vertretene Politik geführt werden. Sollte ich etwa die Ein⸗ willigung Preußens in die Thronbesteigung des jetzt regierenden Herzogs davon abhängig machen, daß die welfische Partei sich vorher eder unmittelbar darauf auflöste? Ich meine, man kann Politik nur nit realen Möglichkeiten und nicht mit irrealen Fiktionen treiben. sein verständiger Mensch hat erwarten können, daß sich die deutsch⸗ hannoversche Partei sofort auflösen würde. Eine Partei, die 47 Jahre üsammengehalten hat, obwohl es vom ersten Augenblick an absolut zusgeschlossen war, daß sie jemals das Ziel ihrer Bestrebungen erreichen wuürde, löst sich nicht auf einen Schlag auf. Daran aber, meine Herren, daß wir diese Partei sehr wesentlich gestärkt haben würden, wenn wir den Prinzen Ernst August zum Heros und zum Märtvrer der Partei gemacht hätten, und daß wir im Gegensatz dazu die Partei in ihren Grundlagen jetzt geschwächt haben, daran sollte man ruhigen Hinnes nicht zweifeln (Zurufe links: Seit heute!), daran, meine Verren, sollte man nicht zweifeln auch angesichts der Versuche unver⸗ säßnlicher Agitatoren, die Existenzberechtigung der Partei durch eine chöhte Tätigkeit nach außen hin zu begründen. (Sehr richtig!) Die
Zweite Beilage
Berlin, Mittwoch,
den 14. Januar
und gemäßigten Elemente der Partei — und auch solche sind in der Partei — in versöhnlichem Sinne gewirkt, und ich zweifle nicht daran, daß diese Elemente fortan nicht mehr in steriler Opposition beiseite stehen, sondern sich in praktischer Mitarbeit den Aufgaben der Gegen⸗ wart widmen werden. (Sehr richtig!) Aber neben diesen besonnenen und ruhigen Elementen gibt es auch unversöhnliche, die unbelehrbar sind oder um ihrer Agitationslust willen unbelehrbar sein wollen. Mit diesen Elementen haben wir zu rechnen. Ich glaube jedoch wirklich, daß ich die Sicherheit des preußischen Staates nicht gefährde, wenn ich der Ansicht Ausdruck gebe, daß man die Bedeutung dieser Elemente nicht höher schätzen soll, als sie in Wirklichkeit ist. Das ist im Ver⸗ laufe der letzten Monate aber in einem Teile der Presse unzweifelhaft geschehen, und ich habe den bestimmten Eindruck, daß gerade durch solche Uebertreibung der Bedeutung der welfischen Umtriebe das Selbstbewußtsein und die Agitationslust der unversöhnlichen Elemente wesentlich gestärkt worden ist. (Lebhafter Widerspruch bei den Natlib.) Meine Herren, wo einzelne Mitglieder der Partei sich tatsächlich im staatsfeindlichen Sinne betätigen sollten, da wird selbstverständlich die preußische Staatsregierung mit derselben Energie einschreiten, mit der sie es getan hat. — Im übrigen aber, ich wiederhole es, sollten wir die Träumereien dieser Männer nicht zu tragisch nehmen, unter denen es Leute gibt, die im Jahre 1870 mutig für Deutschlands und Preußens Ehre gefochten haben. (Sehr richtig!) Meine Herren, auch für diese Männer wird der Tag kommen, wo sie ihre Träume ausgeträumt haben werden, die Träume, daß Hannover jemals wieder vom preußischen Staate getrennt werden könnte. (Lebhafter Beifall.) Der Präsident schlägt dem Hause vor, tagen.
Persönlich bemerkt
Abg. Dr. Röchling: Den Ausführungen des gegenüber kann ich nur bemerken, daß ich den Ausdruck „unwürdig eines Staatsmannes“ ihm gegenüber nicht gebraucht habe. Ich habe mich vielmehr bei all meinen Ausdrücken immer der Achtung be⸗ fleißigt, die ich dem Reichskanzler und seiner Stellung schuldig bin
Präsident des Staatsministeriums, Reichskanzler Dr. von Bethmann Hollweg:
Ich nehme Kenntnis von der Aeußerung, die der Herr Abg. Dr. Röchling soeben getan hat. Ich bedaure es, wenn ich in der Kritik seiner Ausführungen einen Ausdruck zitiert habe, den er tatsächlich nich gebraucht hat. Herr Dr. Röchling wird mir aber nachfühlen können, daß ich allerdings in einige Erregung versetzt werde, wenn der Reichs⸗ kanzler vor einem Forum angegriffen wird, vor dem er sich ausgiebig nicht verteidigen kann.
Hierauf vertagt das Haus die Weiterberatung auf Mitt⸗ woch Vornittgas 10 Iihhh. —* e1“
Schluß 3 ³ Uhr. 1
sich zu ver—
Reichskanzlers
Technik.
A. F. In der Dezembersitzung des Berliner Vereins für Luftschiffahrt sprach der Ingenieur Ansbert Vorreiter über „die neuesten Flugzeugmotoren mit besonderer Berück⸗ sichtigung des Umlaufmotors“. Aus den lehrreichen und interessanten Ausführungen ist folgendes von allgemeinem Interesse: Die an einen Flugzeugmotor gestellten Anforderungen sind in den letzten drei Jahren bedeutend vermehrt worden, weil ein gegen früher viel gestiegener Dauerlauf allgemein verlangt wird. Schon der Motorenwettbewerb um den Kaiserpreis verlangte einen Dauerlauf von 7 Stunden. Heute laufen ohne Unterbrechung oder nur mit kurzer Unterbrechung zur Betriebsstoffaufnahme die französischen Flug⸗ zeugmotoren bis über 10 Flugstunden. In Deutschlond wird meist von dem festen „wassergekühlten- Motor, in Frankreich von dem luftgekühlten“ Umlaufmotor Gebrauch gemacht. Der Grund dieser Verschiedenheit liegt darin, daß die Militär und Marinebehörden in dem Augenblick, mwo das Flunz ug für ihre Zwecke genügend entwicke’t schien in Frankreich einen brauchbaren Umlaufmotor, in Deutschland einen zuverlässigen Motor mit festem Zylinder vorfanden. Da die genannten Instanzen, als zurzeit fast einzige Abnehmer, maßgebend sind, und da es nötig erscheint, in einem so wichttgen Bestandteil des Flugzeugs, wie es zweifellos der Motor ist, vom Ausl nde unabhängig zu sein, so unterstützte man hüben wie drübden das Beste, was man im eigenen Lande fand, und brachte bei uns den festen, drüben der Rotationsmotor auf eine hohe Stufe der Entwicklung. Theoretisch sollte diese, als das geringste Baugewicht ermöglichend, zum Ein⸗ zylindermotor führen, doch bewahrte davor die Ueberlegung, daß er zur Erreichung gleichmäßiger Beweagung ein verhältnismäßig schweres Schwungrad bedürfe und zur Vermeidung starker Erschütterungen im Flugzeug ein schweres verüst das letztere nötig machte. So gelangte man über den 4-Zylindermotor, der indessen einen befriedigenden Ausgleich der hin⸗ und herbewegten Massen noch nicht vollständig erreichte, zum 6⸗Zylindermotor, wie er heute von den deutschen Firmen Argus, Benz, Daimler, N A. G. u. a. in den Handel gebracht wird. Dieser Motor zeigt einen hervorragend erschütterungsfreien Lauf, nur bringt er den Nachteil einer großen Baulange des Motors wegen der in einer Reihe angeordneten 6 Zylinder und erschwert hierdurch die Vereinung der Gewichte des Flugzeuges möglichst an einem Punkte (Zentrierung). Diesem Mangel zu begegnen ist mehrfach versucht worden. Schon Levavasseur, dessen Antoinette⸗Motor lange Zeit als der brauchbarste galt, ordnete je 2 oder 4 Zylinder im Winkel zu⸗ einanderstehend und je zwei Pleuelstangen auf eine gemeinsame Kurbel wirkend an. Aehnliche Gedanken wurden bei Körting, Pipe, Renault, Rumpler verwirklicht. Einen Schritt weiter ging u. a. die Schweizer Maschinenfabrik „Oerlikon“, als sie die Zylinder paarweise gegenüber⸗ stellte und so die halbe Baulänge er eichte, doch erschwerte die Breite dieser Konstruktion den Einbau namentlich in den Eindecker, auch den vollständigen Massenausgleich. So gelangte man zu dem Ausweg, alle Zylinder sternförmig im Kreise um eine einfach oder doppelt ge⸗ kröpfte Kurbelwelle anzuordnen. So entstand die kürzeste Bauart eines Motors, sich für die leichten wendigen Flugzeuge bestens be während. Drei Bewegungsmöglichkeiten bieten sich für einen solchen „Sternmotor“: Entweder bleiben die Zylinder fest und es rotiert die allen Kolben gemeinsame Kurbelwelle, oder die Zylinder laufen um die feststehende Kurbelwelle herum, oder endlich, es bewegt sich beides, Heln ger und Kurbelwelle. Alle drei Bewegungsarten wurden in der
raxis bereits mehrseitig erprobt. Ein Sternmotor der zweiten Art — umlaufender Zvlinder und feststehende Kurbel — ist der selt 1909 in Frankreich hochgeschätzt Gnommotor Er stellt in seiner Normaltype einen luftgekühlten Siebenzylindermotor mit feststehender, einmal gekröpfter Kurbelwelle dar, um welche die Zylinder mit dem Gehäuse sich drehen. Die im DPurchmesser beson⸗
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Ereignisse des letzten Jahres haben unzweifelhaft auf die ruhigen
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führt dem Motor das Benzingemisch in das Gehäuse zu, aus dem es durch automatische Einlaßventile im Kolbenboden in die Zylinder ge⸗ langt. Die gesteuerten Auslaßventile befinden sich außen am Zylinder⸗ kopf. Jeder Zylinder mit sei en messerdünnen Kühlrippen, aus einem einzigen Stahlblock von etwa 30 kg Gewicht gedreht, wiegt fertig nur 2,8 kg. Bei den mit Rücksicht auf die Zentrifugalkraft und sehr hohe seitliche Drucke besonders leicht ausgeführten Kolben dient Guß⸗ eisen als Material. Zum Schmieren dient Rizinusöl, das hohen Temperaturen standhält. Aus befonders hartem Metallolech sind die Kolbenringe gefertigt. Als ein Hauptvorzug des Gnommotors ist neben verhältnismäßig großer Leistung bei geringem Gewicht, geringer Baulänge, einfacher, ausreichender Luftkühlung der vorzuügliche Massenausgleich besonderer Hervorhebung wert, als Nachteil andererseits sein großer Brennstoff⸗ und Oelverbrauch; denn während ein normaler, wassergekühlter Flogzeuamotor für die Pferdekraft⸗Stunde etwa 225 g Benzin und 20 g Oel braucht, frißt der Gnom 400 g Benzin und 70 — 120 g Oel. Grund hierfür ist teil⸗ weise der zwar jehr einfache aber schlecht zu regelnde Vergater. Die beste Tyve der Gnomwerke leistet 80 PS.: eine für leichte Flugzeuge genügende, für schwere mehrsitzige dagegen erheblich zu ger nge Leistung. Klar ist im übrigen, daß Umlaufmotoren stets mehr Brennstoff als feste Motoren verbrauchen müssen, weil ein Teil der Arbeit (etwa 12 %) durch den Luftwiderstand der umlaufenden Zylinder verzehrt wird. Der diesjährige Pariser Aerosalon brachte einen neuen Rotations⸗ motor der Gnomwerke mit nur einem Ventil für jeden Zylinder, das zugleich als Ein⸗ und Auslaß dient. Angesaugt wird nur Luft, Benzindampf oder dunst gelangt durch eine seitliche Bohrung direkt in den Zylinder. Reguliert wird dieser Motor durch Aenderung des Zeitpunktes, an dem das Ventil beim Einsaugen schließt oder den Ventilhub verändert. Kein Zweifel, eine recht sinnreiche Verbesserung! Reiche Betriebserfahrungen stehen den Werken ja zur Verfügung, in den verschiedensten Flugzeugen seit Jahren gewonnen. Fast alle Flug⸗ rekorde sind mit Gnommotor aufgestellt. Ueber die Patentansprüche der Motorwerke wird fast ebensoviel gestritten, wie über die Wrightsche Tragdeckverwindung Geschützt ist in Deutschland vor allem ein “ 2 ggesteuerte Auspuffventil im Zylinder in erselben Achse (zentral) über dem automatischen S entil i veeüt en fhatls e tomatischen Saugventil im Eine sehr beachtenswerte Konstruktion ist der amerikanische „Gyro⸗ motor“, bei dem die Saugventile im Kolbenboden zur Erreichung ihres sicheren Arbeitens durch die schwingende Bewegung des Pleuel⸗ kopfes gesteuert werden. Die Dichtung der Kolben erfolgt durch das Anpressen der elastischen Kolbenwand an den Zylinder und entsprechend der unteren Totpunktstellung sind im Zylinder Schlitze angebracht, die einen „freien Auspuff“ ermöglichen Am weitesten entwickelt bei uns in Deutschland dürfte der „Stahlherz“⸗Motor von Schwade⸗Erfurt sein. Beim Kaiserpreis. Wettbewerb begegnete ihm das Ungemach, bei kaltem Regenwetter erprobt zu werden. Es bildete sich Eis am Vergaser, und die Prüfung konnte nicht zu Ende geführt werden, da mit den durch die
hat versicherungsordnung ganz bedeutet erweitert.
Bestimmungen zulässigen Mitteln der Vereisung nicht abgeholfen werden konnte. Die Auslaßventile sind seitlich angeordnet, jeder Zylinder ist einzeln vom Gehäuse abzunehmen: ein unbedingtee Vorteil gegenüber dem Gnom
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„Die bayerische Motoren⸗Fabrik mit zwei automatischen Saugventilen in den Kolbenboden. Dadurch wird ohne Verletzung des Gnom⸗Patents der freie
Ventilquerschnitt größer, das Gasgemisch, besonders bei hoher Tourenzahl, weniger gedrosselt und eine bessere Füllung des Zylinders erzielt. Diese doppelte Ventilanordnung besitzt auch der französische „Verdet. Motor“. Hier liegen je 2 Auslaß⸗ und 2 Ein⸗ laßventile im Zplinderkopf. durch denselben Hebel gesteuert. Aehnlich
jedoch nur mit 2 Ventilen, ist der „Lo Rhône⸗Motor“ her⸗ gestellt, in Frankreich nächst dem Gnommotor am meisten ein
geführt. — Bei der Wahl der Zylinderabmessungen für luftaekühlte Umlaufmotoren ist man heute mit 130 mm Bohrung bereits über die als zulässig zu erachtende obere Grenze hinausgegangen. Ginge man weiter, würde das Verhältnis von Zylinderinhalt zu Zylinderoberfläche eine nur noch ungenügende Kühlung der Zylinder und damtt auch der Kolben herbeiführen, und es bestände die Gefahr der Selbstzündung. Eine Erhöhung der Zvlinderleistung ist aber erwünscht, besonders da die zweireihtgen Umlaufmotoren mit 14 oder 18 Zylindern nicht den gleichen günstigen Wirkungsgrad ergeben wie die einreihigen. Früher oder später wird man da zur „indirekten“ Kühlung (z. B. Wasser⸗ kühlung) kommen müssen, um die Leistung zu erhöhen. Die anfänglich bestehende Schwierigkeit der Zu⸗ und Ableitung der warmeaufnehmenden Flüssigkeit zu den rotierenden Zylindern darf als dorch die Konstruttion von Windhoff überwunden gelten. Hans Windhoff, der bekannte Spezialist in Kühlvorrichtungen, umgibt jeden Zylinder mit einem Flüssigke tsmantel, worin die Kuhtflüssigkeit durch die verschteden starken zentrifugalen Kräfte auf kalte und folglich schwerere und heiße, folglich leichtere Flüssigkeiten eine Zirkulation von der Zylinderwandung zum Kühlmantel in radialer Richtung ausführt. Dieser Motor besitzt Zylinder von 145 mm⸗Bohrung, und da der volumetrische Wirkungsgrad infolge der besseren Kühlung gut ist, lassen sich schon bei 7 Zylindern Leistungen von 175 PS. erzielen. Die Anordnung der Ventile ist die gleiche wie beim „Le Rhone⸗Motor“, heide Ventile sind gesteuert. Eine weitere Ver⸗ besserung ist die Vorwärmung der Luft im Kurbelgehäuse. Es wird o nicht nur eine gute, vom Wetter unabhängige Vergasung des Brennstoffes erzielt, sondern auch eine Kühlung des Kurbelgehäuses bezw. der Lager. Es scheint, daß der Windhoffsche Gedanke, begründet auf seine interessante Beobachtung der Vorgänge in einer Kühlfl
keit, als besonders glücklich anzusprechen ist. 1.
Wohlfahrtspflege.
Der Umfang der Hinterbliebenenfürsorge
sich im zweiten Jahre nach dem Inkrafttreten der Reichs⸗ Die Zahl der bei der eingegangenen Anträge gestiegen, hat sich also um Die Witwenrentenanträge haben an die Waisenrentenanträge um 60 % und die Voraussichtlich ist auch
einen Umlaufmotor
Landesversicherungsanstalt Berlin ist von 1157 im Jahre 1912 auf 1901 mehr als 60 % vergrößert. Zahl sich verdoppelt, Witwengeldanträge um 73 % zugenommen. im neuen Jahre mit einer wesentlichen Vermehrung von Hinter⸗ bliebenenfürsorgeanträgen zu rechnen, da in die Reihen der Bezugs⸗ berechtigten immer mehr die Hinterbliebenen von Rentnern einrücken. Damit steigt auch die Belastung der Versicherungsanstalten von Jahr zu Jahr, und es erscheint als verfruht, aus den kleinen Ausgaben für Hinter⸗ bliebenenrenten im Jahre 1912 einen Rückschluß auf die Zukunft zu ziehen.
Der 2. Landfrauentag findet gelegentlich der Landwirtschaft⸗ lichen Woche am 17. Februar d. J. im Saal des Herrenhauses geg. dem Porsitz der Frau Gräfin von Schwerin⸗Löwitz statt. Das be⸗ herrschende Thema wird sein: Die Ausrüstung der weiblichen Jugend. Die Vorträge: „Wirischaftliche Ausbildung’ und „Die innerliche Hebung“ haben Frau von Rohr⸗Wahlen⸗Jürgaß, Schloß Mevyenburg, und Frau von Arenstorff⸗Zahren übernommen. Anfragen sind zu richten an das Bureau des Evangelischen Verbandes zur Pflege der
Deutschlands, Berlin, Tieckstraße 17. “
ders starke Kurbelwelle, Hauptträger der Maschine, ist durchvohrt und
weiblichen Jugen