1914 / 13 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 16 Jan 1914 18:00:01 GMT) scan diff

T

Auhe moöglich, und 16 Stadte haben sie schon eingeführt. In den Land⸗ und Kleinstädten ist der Betrieb an den Wochentagen äußerst gering.

Publikum in die Arme des Haus

daß ein großer Teil der Staatsbeamten,

Rücksicht genommen werden, daß die Angestellten den Gottesdienst

11“

dürfnisse der einzelnen Orte könnte auch von einer höheren Behörde genommen werden. Die Genehmigung der Ortsstatute müßte einer höheren Behörde übertragen werden. Ich glaube, daß es auf dem Boden dieses Entwurfs möglich sein wird, den verschiedenen Inter⸗ essen Rechnung zu tragen. Im großen und ganzen ist die Vorlage als Fortschritt zu begrußen. 1 Abg. Graf von Carmer⸗Zieserwitz (dkons.): Dieser Gesetzentwurf bringt gegenüber dem Entwurf von 1907 eine ganze Menge Vorteile. Er stellt sich nicht auf den Standpunkt der völligen Sonntagsruhe, die, so wünschenswert sie an sich ist, doch zu einer Reihe von Bedenken Anlaß gibt. Dadurch, daß diese Ma⸗ terie nicht eine Novelle zur Gewerbeordnung darstellt, ist es er⸗ möglicht worden, die verschiedensten Gewerbe mit hineinzunehmen. Der Reichskanzler führte 1908 aus, daß, wie sich die Bestimmungen üͤber die Sonntagsruhe so schnell eingelebt hätten, es auch gegenüber der vollen Sonntagsruhe der Fall sein würde. So einfach liegen die Dinge nicht. Die Verhältnisse in den Großstädten und in den Land⸗ städten sind zu verschieden. In Großstädten ist völlige Sonntags⸗

Die Geschäftsleute in den kleinen Städten sind auf die Landleute angewiesen, und diese, ganz besonders, soweit es sich um kleine selbständige Existänzen handelt, sind auf den Sonntagseinkauf angewiesen. Schwer ins Gewicht fällt dabei auch noch der herr⸗ schende Arbeitermangel auf dem Lande. Auch die wie Pilze empor⸗ schießenden Waren⸗ und Kaufhäuser bereiten dem Mittelstande in den kleinen Städten immer mehr Konkurrenz. Besonders schlimm daran sind die Orte in der Nähe einer Großstadt. Die dortigen Warenhäuser versenden durch riesige Automobile ihre Waren weit in das Land. Durch die völlige Sonntagsruhe wird auch das kleine Hausierhandels getrieben. Ein erfreu⸗ licher Fortschritt ist, daß die Polizeibehörde für weitere vier Sonn⸗ tage im Jahre als bisher die fünfstündige Verkaufszeit zulassen kann. Das wird im großen und ganzen meines Erachtens genügen. Der Privatangestellten hat man sich in letzter Zeit erfreulicherweise sehr angenommen. Da sollte man doch auch an den selbständigen Elementen des Mittelstandes nicht vorübergehen. Die Privatange⸗ stellten sollten bei ihren jetzigen Klagen doch auch nicht vergessen, so die Post⸗, Telegraphen⸗ und Eisenbahnbeamten, häufig recht schweren Sonntagsdienst haben. Der Sonntagsdienst der Bureauangestellten läßt sich vielleicht weiter einschränken, ja sogar vielleicht aufheben. Es ist erfreulich, daß von einer Schematisierung abgesehen worden ist bezüglich der Stunden, während welcher am Sonntag die Beschäftigung gestattet werden soll. Die Verhältnisse in den Städten sind sehr verschieden. Sie richten sich nicht nach der Einwohnerzahl, sondern sie richten sich nach den lokalen Bedürfnissen. Auf jeden Fall muß aber darau besuchen können. Ich bin damit einverstanden, daß in dieser Be⸗ ziehung auch den Wünschen der orthodoxen Judenschaft entgegen⸗ gekommen wird. Gerade diese hat ihren Standpunkt bisher mit schweren pekuniären Opfern aufrecht erhalten. Es gibt eine ganze Reihe von Gewerben, die an Sonntagen dasselbe Geschäft wie an Wochentagen machen. Diese haben zweifellos ein Recht auf Be⸗ rücksichtigung. Sie werden sicher geschädigt, wenn die Restau⸗ rationen ihre Waren Sonntags über die Straße verkaufen. In dem einen Falle erhält man zum Beispiel angeblich für sofortigen Genuß 10 Zigarren, im anderen nur eine. Wir werden mitarbeiten, daß in der Kommission etwas Brauchbares zustande kommt. Abg. Gunßer (fortschr. Volksp.): Die Vorlage findet auf keiner Seite volle Anerkennung. Die Interessenten haben uns von beiden Seiten mit einer Flut von Material für und gegen die Aus⸗ dehnung der Sonntagsruhe überschüttet. Eine Petition aus den Kreisen der Angestellten trägt 44 000 Unterschriften. Es wäre ein leichtes gewesen, in gleicher Weise Unterschriften in zehnfacher Zahl von Ladeninhabern zu sammeln, die von der Erweiterung der Sonn⸗ tagsruhe nichts wissen wollen. Für die völlige Sonntagsruhe sind von den Ladeninhabern nur ganz wenige zu haben; die größte Mehr⸗ heit stellt sich nicht aus Abneigung gegen die Angestellten gegen die vwöllige Sonntagsruhe, sondern nur unter dem Zwang der Zeitver⸗

hältnisse. Vor der Arbeit und Mühe, die sich die Angestelltenorgani⸗

sationen geben, um die ihnen anvertrauten Interessen zu vertreten, kann man nur Achtung haben; aber auch auf der anderen Seite liegen

berechtigte Wünsche vor, die einer gründlichen Würdigung be⸗ dürfen. Der Mittelstand, das Gewerbe ist heute wahrlich nicht auf Rosen gebettet; ich verweise auf Württemberg, wo das Gewerbe ganz außerordentlich leidet und von Steuern usw. fast erdrückt wird. Ich stimme dem Abg. Erzberger bei, daß der für die Einbringung gewählte Zeitpunkt der allerungünstigste ist; wir leben in einer Periode stark weichender Konjunktur, die dem Mittelstande ohnehin die schwersten Wunden schlägt. Die Eingabe der Konditoren be⸗ sagt, daß eine weitere Ausdehnung der Sonntagsruhe für ihr Gewerbe geradezu ruinös sein werde. Es müssen Ausnahmebestimmungen ge⸗ troffen werden, um diesem Erwerbszweig die Existenz zu erhalten. Daß die weitere Ausdehnung der Sonntagsruhe die weitere Ueber⸗ handnahme des Hausierhandels und der Konkurrenz der großstädtischen Warenhäuser zur Folge haben würde, ist selbstverständlich. Auf dem platten Lande und in den kleinen Städten würde der Entwurf, wenn er dunverändert Gesetz wird, geradezu verheerende Wirkungen ausüben; die Rufe, die von dort her zu uns dringen, dürfen wir nicht ungehört ver⸗ hallen lassen. Alle Beteiligten werden sich eine gewisse Reserve aufer⸗ legen und einen Teil ihre Wünsche zurückstellen müssen, dann wird auch aus diesem Entwurf etwas Brauchbares herauskommen. Das End⸗ ziel läßt sich eben nicht auf einem Sprung erreichen, auch hier muß schrittweise vorgegangen werden. In Württemberg hält man die in § 1 vorgeschlagene drei⸗, höchstens vierstündige Arbeitszeit gegen über den jetzigen fünf Stunden für völlig ausreichend. Den lokalen Bedürfnissen muß dadurch Rechnung getragen werden, daß den Ge⸗ meinden statutarisch entsprechende Anordnungen zu treffen und Aus⸗ nahmen zuzulassen freigestellt wird. Hinsichtlich der Kontore sind die Wünsche der Angestellten durch die Vorlage beinahe restlos erfüllt worden: meiner persönlichen Ansicht nach würde eine Stunde Ar⸗ beitszeit genügen. Mit dem Kollegen List wünsche ich, daß die Ar⸗ beitszeit mit Ausnahme der Kirchzeit nicht unterbrochen wird. Un⸗ bedingt sollte auch ein Endtermin, etwa 2 Uhr Nachmittags, fest⸗ gelegt werden; dann bleibt dem Angestellten immer noch eine schöne Zeit zur Erholung übrig. Der § 3, betreffend die jüdischen Ange⸗ stellten, birgt doch in sich eine gewisse Gefahr. Es könnte doch ein⸗ treten, daß die Geschäftsinhaber diese Leute am Sonnabend um 6 Uhr antreten lassen und sie bis 10 Uhr beschäftigen, um sie sodann auch noch an Sonntagen fünf Stunden in Anspruch zu nehmen. Damit würde Geschäftsleuten ein Vorzug vor den anderen eingeräumt

führung der vollen Sonntagstuhe unmöglich. Ausnahmen von der

8 6 8 8 8

Sonntagsruhe für Vergnügungszwecke, zum Beispiel für Krieger⸗ vereinsveranstaltungen, sollten .5 zugelassen werden. Anders steht es mit der kaufmännischen Juge udpflege. Leider werden den Jugend⸗ vereinen der Polen Schwierigkesten in den Weg gelegt, die auf po⸗ litischem Gehiet liegen. Wir ltimmen der der Vor⸗ lage an die Gewerbekommission zZu. Unsere endgültige Entschließung behalten wir uns vor.

Abg. Warmuth (Rp.): CSicherlich wäre das Idealste, wenn die Handlungsgehilfen die volle Sonntagsruhe hätten, um sich körper⸗ lich und geistig erholen und ihre religiösen Bedürfnisse voll be⸗ friedigen zu konnen. Leider ist dies nicht möglich. ie großen Städte können es sich ja leisten. Nur eine kleine Zahl von Städten hat von der ortsstatutarischen Bestimmung Gebrauch gemacht. Aus den kleinen Städten ist nur eine geringe Zahl von Prinzipalen für die volle Sonntagsruhe eingetreten. Ich hätte gewünscht, daß der Entwurf die grotzen Städte anders gestellt hätte als die kleinen, daß er eine Trennung der Städte von über und unter hunderttausend Einwohnern vorgenommen hätte. Das Gesinde auf dem Lande hat überhaupt wenig Zeit übrig, um seime Einkäufe in der Stadt zu machen. Mir haben kleine Kaufleute in kleinen Städten versichert, daß sie ruiniert werden würden, wenn die volle Sonntagsruhe ein⸗ geführt würde. Ich kann in dieser Beziehung nur dem Abg. Erz⸗ berger zustimmen. Die ngalprer der kleinen Handwerker, der Gastwirte usw., würden ebenfallss gefährdet werden. Die Ein⸗ führung der vollen Sonntagsruhe würde lediglich den Totengräbern des Mittelstandes, den Warenhüusern, Hausierern usw., zugute kommen. Wenn wir einen Daunm aufrichten wollen gegen die großkapitalistische Sturmflut, dang dürfen wir unter keinen Um⸗ ständen die volle Sonntagsruhe zulassen. In dem Entwurf ver⸗ misse ich die Bemessung der Arbcitszeit nach oben. Die Arbeits⸗ zeit darf nicht zerrissen werden. Et wäre gut, wenn die Sonntags ruhe in den einzelnen Orten einheitlicher geregelt würde. Die höheren Verwaltungsbehörden sollten die Interessenten hören und ihre Entschließung vielleicht von einer Zweidrittelmehrheit der. Inter⸗ essenten abhangig machen. § 3 ist daraufhin zu prüfen, ob die christ⸗ lichen Geschäfte durch diese Bestimmung nicht eine übermäßige Kon⸗ kurrenz erleiden. Meiner Meinung nach ist das nicht der Fall. Es wäre ungerecht, die Juden dadurch zu schädigen, daß sie neben ihren eigenen Feiertagen auch die christligzen feiern müssen. Nach § 14 sollen auch die Apotheken von den Bestimmungen des Gesetzes aus⸗ genommen werden. Es ist nicht einzusehen, warum nicht auch die Drogisten unter diesen Paragraphen fallen sollen. Der Entwurf hat vor allem den Fehler, daß er die Interessen der Großstädte nicht von denen der kleinen Städte sondert, Immerhin enthält er eine brauchbare Grundlage, auf der etwas Segensreiches für die Ange⸗ stellten geschaffen werden kann. 8 Abg. Mumm (wirtsch. Vgg.): Es hat 25 Jahre gedauert, bis wieder ein neuer Schritt auf diesem Gebiete gemacht wird. Aber der Entwurf bringt außerordentlich wenig. Ich weiß, daß Sonn⸗ tagsruhe noch keine Sonntagsheiligung ist. Aber diese hat jene zur Vorausfetzung. Das Gesetz muß sich auf die Einführung der Sonn⸗ tagsruhe beschränken. Nicht die staatlichen oder städtischen Behörden, sondern lediglich die kirchliche Behöorde kann die Stunde des Gottes⸗ dienstes festseten. Das Ausland, vor allem Nordamerika und Eng⸗ land, sind uns in der Sonntagsruhe voraus. Einzelne Großstädte haben die volle Sonntagsruhe eingeführt, auch einige Mittelstädte, ohne daß es Handel und Verkehr geschadet hat. Das Publikum hat sich daran gewöhnt. § 3 ist ein Ausnahmegesetz gegen die christlich⸗ deutschen Kaufleute. Man kann eine Sympathie dafür haben, daß der orthodoxe Jude den Vorschriften seines Glaubensbekenntnisses nachkommen l Fs gibt aber andere Gewissenskonflikte, für die man sich nicht so ins Zeug gelegt hat, als für die immerhin kleine Gruppe der Juden. Hier handelt es sich um eine Bestimmung, die weitgreifenden Bedenken unterliegt. Es wird zwar zunächst der kleine Finger gefordert, es taucht aber schon das Verlangen auf, daß auch das christliche Personal fünf Stunden an Sonn⸗ und Festtagen be⸗ schäftigt werden darf. Wie lange dauert denn überhaupt der Sabbat? Es ist zu befürchten, daß den Juden durch diese Gesetzesbestimmung ein Vorsprung von 24 Stunden erwächst. Könnten nicht die in Deutschland lebenden Mohammedaner usme dielben Ausnahmen für sich verlangen? Das Bedenkliche dieser Ausnahmen haben auch jüdische Gelehrte erkannt. Solche Ausnahmen erschweren es uns auch, einmal zu einer pölligen Sonntagsruhe zu kommen. Je weniger Ausnahmen im deutschen Vaterlande wir haben, um so besser. Besser einen tüchtigen Schritt vorwärts, als gar keinen. Es ware schon viel erreicht, wenn wir wenigstens in den Kontoren die volle Sonntagsruhe hätten. Hand in Hand mit diesem Gesetz muß auch das Gesetz über den Hausierhandel erledigt werden. Eine ge⸗ sunde Mittelstandspolitik muß auf diesem und anderen Gebieten ge⸗ trieben werden. b 1

Hierauf wird um 6 Uhr die w eitere Beratung auf Freitag 1 Uhr pünktlich vertagt. Vorher kurze Anfragen und schleuniger Antrag der Nationalliberalen wegen weiterer Hinausschiebung des Termins der Vermögenserklärung zum Wehrbeitrage. 8

Preußischer Landtag. 8 Haus der Abgeordneten. 2 4. Sitzung vom 15. Januar 1914, Vormittags 10 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.) Ueber den Beginn der Sitzung, in der die erste Beratung

des Entwurfs des Staatshaushaltsetats für 1914 fortgesetzt wird, ist in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet

worden.

Abg. Dr. von Heydebrand und der Lasa (kons.) fährt in seiner Rede fort: In der braunschweigischen Frage haben meine Freunde für den Wunsch des braunschweigischen Landes wieder ein Mitglied des angestamm⸗ ten He rscherhauses auf dem Thron zu sehen, von unserer monarchischen Staatsauffassung aus volles Verständnis. Niemals haben wir an der Lovalität des Herzogs von Braunschweig gezweifelt, niemals haben wir geglaubt, daß er nach seinen Erklärungen über diese Sache jemals seine Hand dazu bieten könnte, etwas zu tun, was gegen die Interessen Preußens und Deutschlands sein könnte. Wir sind deswegen gar nicht darüber erstaunt gewesen, daß er zu den Erklärungen seine ausdrückliche Zustimmung gegeben hat, die in dieser Richtung der Ministerpräsident dor einigen Tagen abgegeben hat. Aber was uns mit Sorge erfüllt

sein; eine Kontrolle wäre ganz unmöglich. Kommt § 3 zustande, so könnte leicht im Volke der Antisemitismus von neuem auflodern. Wir hoffen, daß der Antisemitismus mit der Zeit ganz verschwindet. Der § 3 wird jedenfalls in der Kommission eingehend geprüft werden müssen. Nach § 15 sind den Gehilfen die Prokuristen nicht zuzurechnen. Die Angestellten fürchten, daß die Kaufleute, um das Gesetz zu umgehen, Gehilfen zu Prokuristen machen werden. Ich glaube, sie sehen darin doch zu schwarz. Die Einführung der Sonn⸗ tagsruhe ist auch für die Apotheken eine Notwendigkeit. Leider fehlt in dem Gesetz eine Bestimmung über den definitipen Laden⸗ schluß, es müßte über den Endtermin noch eine Viertelstunde kon⸗ zediert werden, wie es bei dem Postschalterdienst üblich ist. Meine politischen Freunde werden dafür eintreten, daß eine Verschlechterung des bestehenden Zustandes für die Beteiligten vermieden wird. Wir werden im Sinne der Versöhnung der widerstreitenden Interessen an der Vorlage mitarbeiten. Wir werden für die Bildung einer besonderen Kommission von 28 Mitgliedern stimmen.

Abg. Dombek (Pole): Von einem plötzlichen Sprung zur vollen Sonntagsruhe, wie es die Eingaben der Verbände der kauf⸗ männischen Angestellten wollen, kann nach der Meinung meiner po⸗ litischen Freunde nicht die Rede sein. Es muß nicht nur auf die Interessen der Arbeitnehmer, sondern auch auf die der Arbeitgeber, auf vie Varschiedenheit in Staot und Land, in Groß⸗ und Kleinstädten Rucksicht genommen werden. Die Großstädte vertragen allerdings eine volle Sonntagsrube. Wir sind für den sozialen Fortschritt, aber

hat, die nach den Erklärungen, welche die Welfenpartei jetzt nach den Aeußerungen des Ministerpräsidenten abgegeben hat, berechtigt war,

das war doch das neue Aufflackern der welfischen Bewegung, die eine recht bedenkliche Sache ist, und es war uns zweifelhaft, ob hier unsere Regierung alles getan hat, was möglich war, um diese Be⸗ wegung zu verhindern. Dabei bin ich für meine Person nicht so weit gegangen, einen Verzicht des Herzogs von Cumberland als absolut notwendig anzusehen; es ist schwer, so etwas zu verlangen, man kann die subjektiven Motive verstehen. Das war also nicht zu entscheiden, aber erwünscht wäre es doch gewesen, daß die Sache in einer anderen Form zur Erledigung gekommen wäre. Es ist ja sehr schwer für uns, die wir die ganzen Vorgange nicht zu übersehen vermögen, ein Urteil abzugeben; ob es möglich gewesen wäre, mehr zu verlangen, das wollen wir dahingestellt sein lassen. Wir wissen ja auch nicht, was die Zukunft bringt, das müssen wir abwarten. Wir wollen die Hoff⸗ nung aussprechen, daß diese Entwicklung der Zukunft unter der schweren Verantwortung, die die preußische Regierung mit ihrem Schritt über⸗ nommen hat, keinen Schaden für unser Land bringen wird, und daß die Freude, die sich ganz allgemein über die eheliche Verbindung in unserem Königshause hekundet hat, uns dauernd ungetrübt erhalten bleibe. Abg. Adolf Hoffmann (Soz. Sie stimmen doch wieder für die Welsen!) Warten Sie doch ab. In der elsässischen Sache muß ich doch gegenüber dem Ministerpräsidenten sagen, daß wir auch im

““ 1“ .“

fassungsänderung in Elsaß⸗Lothringen stattgefunden, die nicht zustande kommen konnte, ohne daß die preußischen Stimmen im Bundesrat dafür abgegeben wurden. Dieser Schritt ist von Anfang an von uns, auch durch meinen Mund, als höchst bedenklich bezeichnet worden, und ich stehe nicht an, zu sagen, daß die weitere Entwicklung doch, wie mir scheint, uns recht gegeben hat. Der Ministerpräsident meint, das süddeutsche Wesen könne nicht ohne weiteres mit dem preußischen Maßstab gemessen werden; das verstehen wir vollständig. Aber wir 8 uns schon damals, die Hauptsache sei doch die, ob das Land in einer Bevölkerung bereits diejenige enge Verbindung mit unserem deutschen Vaterlande in seinem ganzen Denken und seinen Auffassungen bekundet, daß man wagen darf, diese immerhin doch ein Experiment bleibende freie Entwicklung anzubahnen, die zweifellos mit Gefahren verbunden war. Das ist doch bedenklich, wenn man sieht, daß in diesen zwei oder drei Jahren eine Reihe von Verordnungen erlassen werden mußte, die darauf abzielen, den immer drohender werdenden französisierenden Tendenzen entgegenzutreten. Das läßt auf Fehler schließen, die man da macht. Jetzt sieht man, daß doch die ganze Or⸗ ganisation der Behörden einen Bestand gewonnen hat, der uns nicht befriedigen kann.

Wenn die Behörden an ihrem Platze gewesen waren, so hätte diese ganze große Sache nicht solche Dimensionen an⸗ nehmen können. Das muß doch jeder zugeben, der die Sache verfolgt hat. Noch eins: es sind preußische Soldaten, die in dieser schweren Situation Wache halten für unser deutsches Vaterland. Haben Sie wirklich das Empfinden gehabt, daß die elsässische Bevölkerung dieser pflichttreuen preußischen Macht, die dazu da ist, auch sie zu schützen vor der französischen Macht und dem französischen Einfluß, ganz ge⸗ 8 recht geworden ist? Nein, meine Herren, das ist nicht der Fall ge⸗ wesen. Wir, die wir hier wie ein Mann hinter unserem preußischen Heere stehen, haben nicht die Empfindung, daß seitens der elsaß lothringischen Bevölkerung dies der Fall gewesen ist. Das aber hätte sein müssen, wenn man in solcher Situgtion ganz deutsch ist, wie wir doch erwarten. Es ist doch wirklich eine Sache, die uns zu denken gibt. 200 Jahre hat dieses Elsaß in französischer Herrschaft unter einem Regime gelebt, gegen das das preußische System der reine Waisenknabe ist. Man hat ihm in den Zeiten der französischen Revo⸗ lution Schulen und Kirchen genommen, man hat das Land verwüstet, und dabei sieht diese Bevölkerung, die ihrem Kerne nach immer noch zum großen Teil deutsch ist, immer wieder nach Frankreich hinüber. Wir haben den Eindruck, daß man dort unsere deutschen Truppen doch nicht in der Weise behandelt und versteht, wie man es müßte. Darüber besteht gar keine Frage. Es macht meinen politischen Freunden Sor⸗ gen, daß sich an diese Vorgänge Voten im Reichstag angeknüpft haben, die wir nicht billigen können. Ich freue mich darüber, daß aus den Ausführungen von Dr. Röchling hervorzugehen schien, daß das Votum der nationalliberalen Partei ihr nachträglich mehr oder

doch jetzt auf diesen Standpunkt gestellt, und er hat, was mir eigent lich leid tut, dabei die Schuld etwas auf den Reichskanzler abzuladen 8 gesucht. Ich bin ja nicht der Vertreter des Reichskanzlers, aber die Wahrheit muß auch der Regierung gegenüber gewahrt bleiben, und da muß ich doch sagen: so können Sie den Reichskanzler doch nicht als Entschuldigung in der Debatte erscheinen lassen. Vergessen Sie nicht, daß der Reichskanzler Ihnen an Verfehlungen der Militärbehörden mehr konzediert hat, als nachträglich das Urteil festgestellt hat Wenn ich Ihnen einen Rat geben darf, so wäre es in dieser Situation das Beste, ganz offen zu sagen: wir haben in der Eile der Verhand⸗ lungen mehr getan, als wir nachher verantworten konnten; die Ver⸗ hältnisse kannte man ja nicht; wir haben uns etwas übereilt. Das verstehen wir ja schließlich. (Zuruf: Und das Zentrum?) Ich spreche ja von den Ratlonalliberalen. Nun muß ich mich mit den Dar legungen beschäftigen, die der Ministerpräsident vorgestern an die Adresse meiner politischen Freunde gerichtet hat, über unser Verhalten gegenüber der Besitzsteuervorlage und der ganzen Ent⸗ wicklung des letzten Sommers. Der Ministerpräsident hat ja selbst gesagt, daß ihm diese Besitzsteuergeschichte und das Vermögenszuwachs steuergesetz doch auch sehr bedenklich erschienen und daß er das doch nu sehr ungern entgegengenommen habe. Man kann das schließlich verstehen Wenn er aber den Versuch gemacht hat, dafür uns verantwortlich z machen, so meine ich, daß er doch da uns nicht ganz gerecht geworden ist. Der Ministerpräsident hat meine Ausführungen zitiert, die ich selbst vor einigen Jahren im Reichstag gemacht habe, und wo ich aus⸗ gesprochen habe, daß wir bereit sein würden, für des deutschen Vater kandes Ehre und Schutz jedes Opfer auf den Altar des Vaterlande zu legen. Ich habe nicht verstanden, was diese Erklärung eigentlich hier für einen Zweck haben sollte. Das haben wir doch getan, das haben wir in vollstem Maße getan. Es ist eine ganz falsche Dar⸗ stellung, die besonders von der linken Seite ausgeht, als hätten wir durch unsere Ablehnung der Besitzsteuervorlage dem Reiche etwas ver⸗ sagt. Wir haben ja nicht nur jeden Mann, sondern auch jeden Groschen bewilligt (Stürmische Zurufe). Das will ich Ihnen gleich auseinander⸗ setzen. Sie scheinen das nicht zu wissen. Sie wissen wahrscheinlich nicht, daß, auch wenn die Besitzsteuervorlage abgelehnt worden waäre, durch die bereits gefaßten Beschlüsse eine Sicherung jeder militärischen Forderung bis zum 1. Januar 1916 gegeben war und daß es sich nur darum handeln konnte, etwa bis zum 1. Januar 1916 noch andere ge⸗ setzliche Bestimmungen zustande zu bringen, und daß, wenn dies nicht geschähe, dann etwas in Kraft trat, was unsere Reichsverfassung be⸗ reits gesetzlich vorsieht, nämlich die Erhebung von Matrikularbeiträgen. Es bleibt also dabei, wir haben dem, was damals von mir im Namen meiner politischen Freunde erklärt worden ist, in vollstem Maße genügt. Eine andere Darstellung lehnen wir aufs allerbestimmteste nochmals ab. Nun ist der Ministerpräsident zurückgegangen in der Darlegung der Entwicklung dieser Verhältnisse bis zum Jahre 1906, und er hat hervorgehoben, wie die Einbringung des damaligen Erbschaftssteuer⸗ gesetzes die bedenkliche Entwicklung angebahnt hat, die zu den Besitz⸗ steuergesetzen geführt hat. Ich muß darauf dem Ministerpräsidenten sagen: Ja, das war der erste Fehler, der in der Sache gemacht worden ist. Wir haben ihn ja nicht mitgemacht. Wir haben uns damals da⸗ gegen gewandt, und wenn auch ein großer Teil meiner politischen Freunde schließlich für das Gesetz gestimmt hat, so habe ich doch schon damals meinen Freunden gesagt: Seht euch vor, die Sache hat Konse⸗ quenzen. Man muß aber überdies unterscheiden zwischen Menschen und Staatsmännern. Man kann Exrklärungen und Versicherungen eines Staatsmannes über die Zukunft doch nur einen gewissen be⸗ dingten Wert beimessen. Das ist etwas absolut Natürliches. Kein Staatsmann kann unter solchen Verhältnissen garantieren, was die Zukunft vielleicht auch ihm selbst als notwendig erscheinen lassen wird; und darum mußte man einen gewissen Vorbehalt in diese Dinge hinein⸗ tragen, das geht gar nicht anders, das würden auch Sie (nach links) nicht um ein Haar anders machen können, wenn Sie an der Regierung wären, dazu brauchen Sie gar keinen Tag von Damaskus. Der Mehr⸗ heit meiner politischen Freunde stand aber noch zur Seite, daß Fürst Bülow damals aussprach, daß die Ausdehnung auf die Aszendenten und Deszendenten niemals kommen würde. War es da so wunderbar, daß ein Teil meiner Freunde diesen Weg mitging? Nun kam aber 1909, die Aufgaben des Reiches forderten neue Mittel, und es kam das Erbschaftssteuergesetz mit dieser Ausdehnung. Da hat es mich etwas gewundert, wenn in dieser Beziehung der Ministerpräsident das Wort „verhängnisvoll“ gebraucht hat. Wenn er selbst die ganze Erbschafts⸗ steuergeschichte von 1905 für eine proton pseudos hingestellt hat, kann man doch von der Ablehnung des Gesetzes von 1909 nicht als von einem Verhängnis sprechen, und der Ministerpräsident vergißt doch auch, daß nur durch die Ablehnung dieser Erbschaftssteuer die große Reiche finanzreform von 1909 erst zustande gekommen ist. Die Linke hat doch damals erklärt: Auch wenn ihr hundertmal die Erbschaftssteuer annehmt, so ist damit noch lange nicht gesagt, daß wir die übrigen 400 Millionen bewilligen. Also gerade durch die Ablehnung war eine Mehrheit für jene aroße nationale Tat gegeben. Glauben Sie denn wirklich, daß unser Reichsetat, unsere gewaltige Rüstung zu Lande und u Wasser sonst auch nur annäbernd möglich gewesen wäre? Ich be⸗ daupte also bis zum Beweise des Gegenteils, daß es nicht gerecht ist und nickt der Entwicklung der Dinge entspricht, jene Ablehnung als

für ein schrittweises Vorgehen. Auf dem platten Lande ist die Ein⸗

preußischen Landtag ein gewisses Recht haben, über diese Pinge zu

sprechen, denn wie ist die Sache gekommen: Es hat doch eine Ver⸗

eine verhängnisvolle hinzustellen, das glaube ich vor dem Lande konsta⸗ 1 tieren zu müssen. Der Ministerpräsident führte dann aus, daß der

weniger bedenklich geworden ist. Der Abg. Bassermann selbst hat sich 8

gemacht. Der Staatssekretär hat in der Kommission die Regierungs⸗

bloß ein Arbeiter zu sein, um recht zu haben. Die Stunde kann kom⸗

8 16“ 1“ 16 . 8 Antrag Bassermann⸗Erzberger 1912 für die Regierung gewissermaßen eine Zwangsnotwendigkeit geschaffen habe, die ganzen Rüstungsvor⸗ lagen mehr oder weniger auf die Grundlage dieser allgemeinen Besitz⸗ steuer zuzuschneiden. Ich glaube, der Ministerpräsident würde wenn er die ganzen Verhandlungen nochmals durchsähe, doch in diesem Punkte bedenklich werden. Den Antrag hat eine Mehrheit bürgerlicher Parteien beschlossen, aber sofort als dieser Beschluß gefaßt wurde, hat vom Zentrum der Abg. Spahn und Graf Westarp für meine politischen Freunde erklärt, daß sie nicht den Zweck mit dem Antrage verbänden, wie die Nationalliberalen und Fortschrittler, daß sie darunter auch vieles andere verständen, insbesondere auch eine andere Aufbringung der Matrikularbeiträge, wie sie später auch in einer Vorlage Gestalt gewonnen hat. Der Antrag enthielt also keineswegs das, was jetzt der Ministerpräsident glaubt darin finden zu müssen. Am 10. April 1913 hat Graf Westarp im Reichstage ausdrücklich gesagt: Glauben Sie nicht, daß der Antrag Bassermann⸗Erzberger einen Freibrief enthält alle zukünftigen Vorlagen in diesem Rahmen zu planen. Er hat nach⸗ gewiesen, daß dieser Antrag nur für 1912 einen gewissen, be⸗ schränkten, bescheidenen Maßstab gab, also keineswegs in dem Umfange, wie es jetzt der Ministerpräsident angenommen hat. Man sollte meinen, daß man im Bundesrat über diese Frage eine einigermaßen einheitliche Auffassung hätte; das ist nicht der Fall. Ich er⸗ innere an Aeußerungen des Schatzsekretärs Kühn und des sachsischen Bevollmächtigten im Bundesrat. Dieser hat noch im November vorigen Jahres auf das bestimmteste erklärt, daß der Antrag Basser⸗ mann⸗Erzberger durchaus nicht die zwingende Notwendigkeit enthielt, die Vorlage so zu machen, wie sie gemacht wurde. Hiernach stehen die Deduktionen des Reichskanzlers gegen uns doch auf schwachen Füßen; das muß ich der Wahrheit gemäß konstatieren. Nun hat der Reichs⸗ kanzler geglaubt, die schwere Verantwortung für den Gang, den di Dinge im Reichstage genommen haben, unserer Partei zuschreiben zu sollen. Er hat gesagt, wir Konservative wären dem Verlangen der verbündeten Regierungen von Anfang an mit einem „Unannehmbar“ entgegengetreten. Nein, das ist nicht geschehen. Ein solches „Unan⸗ nehmbar“ ist von meinen politischen Freunden nicht ausgesprochen worden. Es wäre aut gewesen, wenn der Reichskanzler die Erklä⸗ rung des Grafen Westarp, die er verlesen hat, weiter verlesen hätte. Graf Westarp sagte damals, wir halten also die Vorlage der verbün⸗ deten Regierungen für eine durchaus geeianete Grundlage für weitere Verhandlungen, und wir können den Entschluß aussprechen, auf dieser Grundlage mitzuarbeiten. Das ist doch kein „Unannehmbar“. Wer im parlamentarischen Leben steht, weiß, daß Erklärungen, die eine Partei in der ersten Lesung abgibt, wenn sie nicht von allen guten Geistern verlassen sein soll, fast niemals ein solches „Unannehmbar“ enthalten können. Die Vertreter der verbündeten Regierungen können sich ja viel leichter ein Urteil über eine Vorlage bilden. Es sind einzelne Menschen, aber eine Partei kann sich doch nicht in kurzer Zeit eine definitives Urteil bilden. Eine Partei von hundert Mann kann, ehe nicht im einzelnen eine Durchberatung stattgefunden hat, nicht wissen, wie sie letzten Endes stimmen wird. Das ist praktisch unmöglich. Also ein solches „Unannehmbar“ kommt vielleicht nie⸗ mals vor, ist in dieser Form nicht vorgekommen. Jedenfalls ist es von unserer Seite nicht ausgesprochen worden. Trotz der großen Schwierigkeiten, die sich gezeigt haben, sind wir doch immer mehr an die Regierungsvorlage herangetreten, und Graf Westarp hat in der Kommissionssitzung vom 18. Juni vorigen Jahres das am nachdrück⸗ lichsten für die Begründung der Regierungsvorlage gesagt, was über⸗ baupt gefägt werden konnte, und in einem späteren Stadium haben Graf Schwerin und Graf Westarp erklärt, daß wir bereit gewesen wären, für die Regierungsvorlage einzutreten. Nun meinte der Mi⸗ iisterpräsident, es sei das von uns mit der Bedingung geschehen, daß wir der Besteuerung des Kindeserbes niemals zustimmen könnten. Das ist in dieser Absolutheit auch nicht geschehen. Wir wollten dieser Be⸗ steuerung nur nicht in der definitiven Form zustimmen, in der absolut reichseigenen Form, wohl aber waren wir für eine Besteuerung für eventuelle Fälle. Ein absolutes „Unannehmbar“ liegt also auch hier nicht vor. Ich kann also nicht zugeben, daß unsere Partei der Regie⸗ rung in dieser Frage besondere Schwierigkeiten bereitet hat. Nun sagt freilich der Ministerpräsident, wir hätten ihn im allgemeinen nicht genügend unterstützt. Es ist so eine eigene Sache mit der allge⸗ meinen Unterstützung. Vielleicht ist es die nationalliberale Politik, die der Reichskanzler meint. Der Abg. Bassermann hat doch selbst gesagt, daß der Reichskanzler nationalliberale Politik treibt. Daß die Nationalliberalen diese Politik unterstützen, ist selbstverständlich. Diese Unterstützung nimmt allerdings mitunter manchmal Formen an, die etwas auffallen. Die Regierung scheint es für selbstverstäno⸗ lich zu halten, daß wir alles unterstützen, was sie vorschlägt. Gewiß ware es uns am liebsten, wenn wir die Regierung hier und im Reich überall unterstützen könnten, denn nach unserer ganzen historischen vntwicklung können wir uns nur sehr schwer dazu entschließen, andere Wege zu gehen, wie sie die Regierung vorschlägt. Aber unsere Ueber⸗ zeugung können wir nicht aufgeben. Wir halten es für unsere ver⸗ dammte Pflicht und Schuldigkeit, nach unserer Ueberzeugung zu han⸗ deln, natürlich muß dies in einer Form geschehen, die der Regierung das Zusammengehen mit uns nicht erschwert. Eine Politik, die sich von vornherein sagt, ich kann nicht weiterkommen, weil mich die Konservativen nicht unterstützen, würde nicht richtig sein. Die Art und Weise, wie die Regierungsvorlage vor dem Reichstag vertreten worden ist, hat Graf Schwerin als eine solche bezeichnet, die er in seinem ganzen parlamentarischen Leben noch nicht gesehen hat. Die Begründung der Regierungsvorlage hat zwar einen guten Eindruck

8

vorlage ganz gut vertreten, aber dieses Auftreten des Staatssekretärs erregte die Heiterkeit der Mehrheit der Kommission. Der „Lokal⸗ Anzeiger“ und die „Tägliche Rundschau“ teilten bereits damals mit, daß ein Kompromiß einer Mehrheit vorlag, das war aber nicht der Fall. Ich bin weit davon entfernt, zu behaupten, daß die Lage der Regierung in der vorigen Session eine leichte war; es war durch die Beschluß⸗ fassung Bassermann⸗Erzberger ungemein schwierig, eine Vorlage zu⸗ sammenzubringen mit so kolossalen Summen. Man weiß, daß vieles dabei nicht ganz den Beifall der Parteien fand, aber es war nicht anders zu machen. Hatte man aber mal die Sache so gemacht, um das Moglichfte zu erreichen, dann mußte man den Entschluß auch mit einer gewissen Entschiedenheit vertreten. Hätte man den Eindruck hervorgerufen, daß man Mißtrauen zur eigenen Sache hätte, so würde ich mich gar nicht gewundert haben, wenn alles drunter und drüber gegangen wäre, und wenn Richtungen und Strömungen auf die Vor⸗ 88 Einfluß ausgeübt haben würden. Die Regierung, die die Strö⸗ vähagen im Volke doch kennen muß, konnte unbedingt verlangen, daß alles, was die Rüstungsvorlage bringt, bewilligt werden würde, sonst hätte ich mich gar nicht gewundert, wenn die Regierung die Volks⸗ vertreter zum Teufel gejagt hätte. Die Regierung hätte noch etwas ganz anderes verlangen können, als sie verlangt Hat; das alles hätte 8 Volksvertretung bewilligen müssen. (Zuruf bei den Soz.) Meine Herren Sozialdemokraten, Sie haben in dieser Sache ein Riesen⸗ schwein gehabt. Es war Ihnen sogar ermöglicht, für ie Vorlage zu stimmen, obwohl es eine Sache war, die Sie eigentlich grundsätzlich ablehnen. (Zuruf bei den Soz.) Ich nehme gar keine Partei aus, es gab keine Partei, die der Regierung ihre Macht nicht hätte zeigen wollen. Nach der Lage, die jetzt ent⸗ hamde glaubt die Sozialdemokratie, daß jede neue Steuer auf Uen Besitz gelegt werden kann, daß es eine legislatorische Kleinigkeit ist, alles, was man braucht, einfach auf den Befsitz zu legen. (Zuruf des Abg. Adolf Hoffmann.) Abg. Hoffmann, Sie sind sonst ein lluger Kopf, wenn Sie auch nicht viel gelernt haben. Ich verstehe rollständig, daß die Sozialdemokratie für ihre Leute draußen heraus⸗ was sie kann. Aber ich muß doch sagen, daß es Fraktio⸗ Vn. gibt, die den Besitz hochhalten, daß es Männer gibt, denen der Besitz nicht bloß zugefallen ist, sondern die ihn erarbeitet haben, daß 8 Arbeit ein Faktor allerersten Ranges ist. Von dieser besitzenden tehitt leben sehr viele Arbeiter, das müssen Sie sich doch selbst sagen. Sie wissen nichts von der Arbeit, die die Besitzenden leisten, und von den Vorschriften der Behörden, die ihnen das Leben nicht leicht machen. Heutigen Tages meint man sogar vielfach, man brauche

111“ I men, und sie ist nicht mehr weit, wo es mit der Belastung des Besitzes nicht mehr so weiter geht. Dann ist aber unsere ganze Kultur und unsere Zukunft auf das tiefste gefährdet. Jedermann, der, wie ich, mitten im besitzenden Leben steht, weiß, daß es so nicht mehr weiter⸗ gehen kann. Es ist eine Torheit, die Dinge zu weit zu treiben. Ebenso ist es, wenn ein Staatsmann oder eine staatserhaltende Partei auf die Dauer Dinge zuläßt, die die Grundlage unseres gesamten Staats⸗ wesens untergraben müssen. Das muß aber eintreten, wenn die Ein⸗ zelstaaten in ihrer Selbständigkeit durch das Reich immer weiter ge⸗ fährdet werden. Wenn die Einzelstaaten nicht mehr die Möglichkeit haben, ihre Aufgaben zu erfüllen, wenn sie nicht mehr für ihre Inter⸗ essen, für ihre Kultur, für ihr Gewerbe und für die Beamten sorgen können, dann ist das Ende der staatlichen Selbständigkeit gekommen die das Reich groß gemacht hat. Wir sind gute Deutsche, und wir wissen ganz genau, was wir am Deutschen Reiche haben. Wir denken nicht daran, einzugreifen in das, was dem Reiche durch die Verfassung gegeben ist. Wir können aber nicht dulden, daß das Reich in die Rechtssphäre der Einzelstaaten eingreift. Wir haben keinen Anlaß, diese Rechte aufzugeben und sie in die Hände des Reichstags zu legen. Wir sind überzeugt, daß dies nicht zum Segen des Reiches ausschlagen kann. Das ideale Ziel, das wir bisher erreicht haben, kann nur er⸗ halten bleiben, wenn seine Grundlagen bestehen bleiben. Mögen wir auch an den Handlungen unserer preußischen und deutschen Regierung noch so viel auszusetzen haben, mögen wir auch einen noch so großen Komplex manchmal ablehnen, wir wissen, daß wir letzten Grundes an⸗ gewiesen sind, auf diejenigen Instanzen, die mit uns am Heile des Vaterlandes arbeiten. Wir wissen aber auch, daß wir zum Erreichen unserer Ziele auf wirtschaftlichem Gebiete es nötig haben, Hand in Hand mit anderen Erwerbsständen zu arbeiten. Wir sind aber auch davon überzeugt, daß die Grundlagen des Reiches letzten Endes auf der Grundlage Preußens ruhen. Trotz alledem, was wir ausgesprochen haben, so bin ich doch überzeugt, daß, wenn sowohl die preußische Staatsregierung wie die Reichsregierung Wege wandeln, die Preußen und unserem Deutschen Reiche dienlich sind, sie die Unterstützung meiner politischen Freunde haben werden. (Lebhafter Beifall rechts und Händeklatschen.) Präsident Dr. Graf von Schwerin: Es ist in diesem Hause nicht üblich, den Beifall durch Händeklatschen auszudrücken. . Abg. Dr. Bell (Zentr.): Ich werde mich bemühen, mit der⸗ selben Ruhe, aber auch mit derselben Entschiedenheit, mit der der Abg. von Heydebrand seinen Standpunkt betont hat, auch den unsrigen zu vertreten. (Das Haus ist andauernd unruhig, sodaß der Präsi⸗ dent sich wiederholt bemüht, dem Redner Ruhe zu verschaffen.) diesjährige Etatsberatung trägt u. g. auch das charakteristische zer räge, daß in einem ungewöhnlichen Maß über die Zuständigkeit der zum Reiche gehörigen Dinge verhandelt wird. Man hat manch⸗ mal das Gefühl, sich in einer Vorstellung des Sommernachtstraumes zu befinden mit einer drehbaren parlamentarischen Bühne. Ich lege besonders Wert darauf, namens meiner Fraktionsfreunde zu erklären daß wir unsere gesamte Politik im Reichstage und auch im Landtage weder zuliebe noch zuleide des jeweiligen Reichskanzlers und Minister⸗ präsidenten einrichten, sondern daß wir uns dabei lediglich von unserer e und. Ueberzeugung leiten lassen. In bezug auf den preußischen dhe tteee ich an den Eisenbahnminister die Frage zu richten, ob die Au ung der Einnahmen aus dem Eisenbahnetat noch einer Er⸗ gänzu na bedarf, und gegebenenfalls in welchem Punkte dies notwendig ist 8 Wir würden dem Eisenbahnminister dankbar sein, wenn er uns darüber Mitteilung macht. Bei der Erörterung des preußischen Wahl⸗ rechts hat gestern der Abg. Hirsch ausgesprochen, er traue meinem Fraktionsfreunde Herold in dieser Frage nicht. Dieses Mißtrauens⸗ votum erschüttert uns nicht. Wir lassen uns grundsätzlich in unseren politischen Maßna hmen nicht durch die Stellungnahme der sozialdemo⸗ kratischen Partei beeinflussen. Der Abg. Hirsch hat sehr richtig und sehr bezeichnend dargelegt, daß nach der gesamten Konstellation des preußischen Abgeordnetenhauses die Bestrebungen nach Einführung des Reichstagswahlrechts keine Aussicht auf Erfolg haben. Er hätte noch hinzufügen können, um diese Aussichtslosigkeit näher zu prä⸗ zisieren, daß die Haltung des Herrenhauses, wie auch der Re⸗ gierung in dieser Frage klar und durchaus ablehnend ist. Aber daraus sollte man auch die nötigen Konsequenzen ziehen. Mir ist es voll⸗ kommen unverständlich, daß hier immer Anträge auf Reform des Dreiklassenwahlrechts eingebracht werden, die selbst nach Ansicht der Antragsteller vollständig aussichtslos sind. Unsere Stellung in der Wahlrechtsfrage ist die: wir erstreben eine ge⸗ sunde Verbesserung des Wahlrechts. Sache der Regierung ist es, eine Wahlrechtsvorlage einzubringen. Die Aussichten hier auf eine Ver⸗ ständigung unter den bürgerlichen Parteien scheinen allerdings nach den bisherigen Ergebnissen und auch nach den gestellten Anträgen wenig günstig. Unseren Standpunkt zur Drittelung der Urwahlbezirke haben wir schon früher in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise deutlich dargelegt. Jede Verschlechterung des Wahlrechts, namentlich jede plutokratische Verschiebung lehnen wir unbedingt ab. Die Vermögens⸗ zuwachssteuer hat einen sehr breiten Raum in der Etatsberatung des preußischen Abgeordnetenhauses eingenommen. Mein Fraktionsfreund, der Abg. Herold, hat ja den Standpunkt der Reichstagsfraktion des in dieser Frage ausführlich dargelegt. Danach waren die Meinungen meiner Fraktionsfreunde in dieser Frage geteilt. Mit dem größeren Teil meiner Fraktion habe ich für die Vermögenszuwachs⸗ steuer gestimmt. Ich lege aber Wert darauf, zu erklären, daß ich das nur schweren Herzens getan habe, der Not gehorchend, nicht dem eigenen Triebe, denn der Verabschiedung des Besitzsteuergesetzes in dieser Form standen mancherlei Bedenken entgegen. Der Abg. Herold hat auch die Ueberzeugung des zweiten Teiles unserer Fraktionsfreunde in diesem Punkte dargelegt, die dahin ging, daß die Regierungsvorlage hätte durchgebracht werden können, wenn sie von den verbündeten Regie⸗ rungen nur energisch verteidigt worden wäre. Meine übrigen Frak⸗ tionsfreunde teilen aber mit mir die Ansicht, daß, wie sich die Dinge zugespitzt hatten, ein anderer Ausweg nicht gefunden werden konnte. Dabei haben wir allerdings das als Nachteil angesehen, was der preußische Finanzminister als Vorteil ansieht, die Besteuerung des Kindeserbes. Dagegen haben wir geschlossen mit wenigen Ausnahmen gestimmt. Mir schien allerdings, daß die Vertreter der verbündeten Regierungen sich bei diesem Gesetz in der Rolle der Offizialverteidiger befunden haben, die für mildernde Umstände plädieren. Bei den ver⸗ schiedenen Phasen dieser Gesetzgebung hat man von der Regierung oft die Worte zu hören bekommen: „Nie darfst Du mich befragen“, und wenn man der Stellungnahme der Regierung in den verschiedenen Zeiten nachgeht, so scheint man sich in dem Castanschen Irrgarten zu befinden. Der Aba. Wiemer meinte, der Reichskanzler hätte in der Erbschaftssteuer fest bleiben und nicht den anderen nachgeben sollen. Ebenso könnte man auch sagen, der Reichskanzler hätte mit der Erb⸗ schaftssteuervorlage 1909 nicht kommen sollen, denn durch sie ist erst der heftige jahrelange Streit entstanden. Mit der Schaffung neuer Steuern kann es allerdings jetzt nicht so weiter gehen, wir erwarten, daß für absehbare Zeit keine neuen Steuern mehr gemacht werden. Was das Kartell der schaffenden Stände anbetrifft, so begrüßen wir es gewiß mit Freuden, wenn alle Stände und Erwerbsgruppen, namentlich auch Industrie und Landwirtschaft, zu gemeinsamem Wirken sich zu⸗ sammentun., Wenn dieses gegenseitige Sichverstehenlernen möglich würde, so würden wir uns manchen Streit ersparen und die sozial politischen Aufgaben besser lösen können. Jedenfalls darf dieses Kartell nicht antisozial wirken. Die Aufrechterhaltung unserer bewährten Wirtschaftspolitik wird dem Vaterlande zum Segen gereichen. Ein unerfreuliches Thema ist die schon von meinen Freunden beklagte Disparität in der Besetzung der höheren Beamtenstellen zuungunsten der Katholiken. Es gibt im ganzen preußischen Staate eine schreiende Imvarität bei den höheren und mittleren Beamten. Der katholische Volksteil kann sich diese unerträgliche Zurücksetzung auf die Dauer nicht gefallen lassen. Wenn wir gut genug sind, an den gesetzgeberischen Arbeiten in den Parlamenten mitzuarbeiten, um des Volkes Wohl zu fordern, so müßte das Gerechtigkeitsgefühl schon dazu veranlassen, ung bei der Besetzung der Aemter entsprechend zu berücksichtigen. Wir ver⸗ langen sicherlich keine mechanische Parität, aber es darf kein katholischer Bewerber wegen seiner Konfession von einem Amte ausgeschlossen

liegt, brauche ich nicht zu erörtern. Wie viele katholische Regierungs

herrsche, und behauptet, daß es in den letzten Jahren schon besser ge⸗ worden sei. Jedenfalls sind nur bescheidene Anfange einer Besserung zu bemerken gewesen. Wir wollen hoffen, daß damit fortgefahren

die in der braunschweigischen Frage erfolgt ist, betrachten auch wir als eine erfreuliche Erledigung der herrschenden Situation, und schon die

9 1 8 Br., N 1 . Braunschweig gefunden haben, geben von der Stimmung der dortigen Bevölkerung ein anschauliches Bild. Das Klarste, was in dieser ganzen Frage geschehen ist, ist im Deutschen Reichstag geschehen, als der braunschweigische Regierungsvertreter darlegte, daß das braun⸗

Wirkungen. Dieser Fall gehört zur Zuständigkeit des Reichstags. Nachdem aber meist die Stellungnahme meiner Freunde einer scharfen Kritik unterzogen worden ist, die wir nicht als zutreffend anerkennen können, sebe ich mich gezwungen, unseren Standpunkt hier klarzu stellen. Dabei halte ich mich von jeder leidenschaftlichen Beurteilung der Sache fern. Zunächst muß ich feststellen, was die Reichs tagsfraktion in dieser Sache getan hat, das hat sie allein zu verantwor⸗ ten, und wir haben keine Veranlassung, hier eine Verteidigungsrede zu halten. Es sind aber an dieses Verhalten so mißgünstige Kritiken ge⸗ knüpft worden, daß ich wohl annehmen muß, daß die Kritiker ohne besseres Wissen gehandelt haben. Wenn man sich klar darüber gewesen wäre, warum es sich bei jenen Reichstagsverhandlungen eigentlich ge⸗ handelt hat, dann würde man wohl anderer Ueberzeugung werden. Um diese Unklarheit auszuräumen und die Bahn zu ebnen für eine ge⸗ rechte Würdigung, muß ich kurz auf die damaligen Reichstagsverhand⸗ lungen zurückkommen. Mein Fraktionsfreund Fehrenbach hat als unser einziger Fraktionsvertreter klar zum Ausdruck gebracht, daß er eine ganz andere Disposition für seine Rede bereitgehabt hätte, und daß diese Disposition ihm durch die Erklärungen des Reichskanzlers und des Kriegsministers umgestoßen worden sei. Er hat ausgeführt, die Aufgabe des Parlamentes sei, die Meinung des Volkes zum Aus⸗ druck zu bringen, und zwar ohne alle Beschönigung. Herr Fehrenbach hat sicherlich gar keine Veranlassung, von dieser ruhigen und sach⸗ lichen Rede irgend etwas zu bedauern oder zurückzunehmen. Die Schuldfrage hat er selbstverständlich offen gelassen. Dann ist nun beschlossen worden, daß die Behandlung dieser Angelegenbeit durch den Reichskanzler der Auffassung des Reichstages nicht entspricht. Also 8 handelte sich für meine Fraktion lediglich um das Vorgehen des Reichskanzlers und keineswegs um einen Eingariff in die Schuldfrage. Wenn aber der Reichkanzler mit der Entschiedenheit, die er gestern hier gezeigt hat, und wie er es vor einigen Tagen im Herrenhause ge⸗ tan hat, die Situation beherrscht hätte, dann wäre es zu einem solchen Votum nicht gekommen. Ein Moment ist doch wohl bisher nicht ge⸗ nügend beachtet worden. Der Standpunkt, den Oberst von Reuter ein⸗ genommen hat, gründet sich auf eine Kabinettsorder von 1820. Es ist sehr interessant und bezeichnend, daß in der ganzen Verhandlung und in den ganzen Ausführungen des Reichskanzlers und Kriegs⸗ ministers von dieser Kabinettsorder mit keiner Silbe die Rede war. Hätte der Kanzler sie gekannt, dann hätte er sie uns nicht vorenthalten dürfen. Der Kanzler vertrat den Standpunkt, daß die gesetzlichen Grenzen nicht innegehalten worden sind. Er meinte, daß zu der Ver⸗ haftung der Bürger von Zabern eine gesetzliche Bestimmung nicht vorlag. Sie hätte nach seiner Meinung überhaupt nicht erfolgen dürfen. Der Reichskanzler führte sogar aus, daß eine Festnahme nur dann rechtlich zulässig war, wenn es sich um eine Ertappung auf frischer Tat handelte. Er hat dabei gleichzeitig ausdrücklich hervor⸗ gehoben, daß die Festgenommenen vom Obersten von Reuter sofort an die Polizeiorgane hätten abgegeben werden müssen. Aus diesem Zusammenhange geht klar hervor, daß der Reichskanzler bei Würdi⸗ gung der ganzen Rechtslage überhaupt von keiner einzigen gesetzlichen Bestimmung, geschweige denn von einer Kabinettsorder vom Jahre 1820, gesprochen hat. Ich glaube, daß der Reichskanzler in seiner Meinung über das Verhältnis der Zivilbehörde zu den Militärbehörden durch die gegenwärtigen Ergebnisse wesentlich belehrt ist. Ich will in eine Nachprüfung des Verhaltens oder Verschuldens der Zivil⸗ und Mili⸗ tärbehörden nicht eintreten: ich hebe aber mit allem Nachdruck hervor, daß die Ausführungen des Abg. von Zedlitz, daß die Sozialdemokratie die Führung übernommen habe, und daß die anderen Parteien sich hätten ins Schlepptau nehmen lassen, unzutreffend sind. Diese Behaup⸗ tung steht den Tatsachen unvermittelt gegenüber. Wir machen unsere Stellungnahme weder in dieser noch in einer anderen Frage davon ab⸗ hängig, wie die Sozialdemokratie denkt. Uns hat nichts ferner ge⸗ legen, als irgend eine antimilitaristische Stimmung auszudrücken, wir denken nicht daran, ein Parlamentsheer zu schaffen. Das haben wir bei mehr als einer Gelegenheit mit voller Ueberzeu⸗ gung zum Ausdruck gebracht. Wir werden das Offizierkorps und die Armee in vollem Umfange zu schützen wissen, sobald sie angegriffen werden! Es ist bedauerlich, daß solche unerhörten Entgleisungen in Zabern vorgekommen sind. Aber für solche Ausschreitungen die ganze Bevölkerung Zaberns oder Lothringens verantwortlich zu machen, das geht nicht. Ich bin auch der Ueberzeugung, daß man dort in weiten Kreisen diese Ausschreitungen in höchstem Maße bedauert. Wir sprechen die Hoffnung aus, daß der Fall Zabern, der Gott sei Dank in 40 Jahren der einzige seiner Art ist, für alle Zeit allein steht. Es ist aber für den Fall der Wiederholung in irgend einem anderen Orte Preußens erforderlich, in strittigen Fragen möglichst bald eine Klärung herbeizuführen. Ueber zwei Fragen ist die nötige Klärung zu geben, zunächst über die Frage, welche Rechte der Offizier und der Soldat hat, wenn er tätlich angegriffen und beleidigt wird. Die zweite Frage ist, unter welchen Voraussetzungen und Bedingungen die Mititärbehörde berechtigt ist, die Policeigewalt zu übetnehmen. Nach dem bestehenden Rechfe und den hestebenden Verordnungen ist der Offizier und der Soldat, sobald sie tätlich angeariffen werden, berechtigt und verpflichtet, von der Waffe Gebrauch zu machen. Das wird niemand dem Offizier und dem Soldaten streitig machen; denn des Königs Rock muß vor jeder Ver⸗ unglimpfung geschützt werden. Sobald aber der Offizier vor einer vollendeten Beleidigung steht, oder sobald ihm eine Be⸗ leidigung bevorsteht, ist er dem geltenden Recht unterworsen. Es ist kein Zweifel, daß in Anbetracht der besonders erponierten Stellung des Offiziers die Zivilbehörden verpflichtet sind, Vorkehrungen zu treffen, um die Beleidiaungen, Ver⸗ unglimpfungen oder sogar Tätlichkeiten gegen den Offizier oder den Soldaten wirksam zu verhüten. Versagen da die Zivilbebörden, so ist es Sache des Garnisonältesten oder des Regiments, bis zur höchsten Stelle hinauf, für Abhilfe zu sorgen. Es würde nur einen Zeitraum von wenigen Stunden bedeuten, um in unserem Zeitalter des Tele⸗ phons und Telegraphen die Militärbehörde zum Einschreiten zu ver⸗ anlassen. Nach dem bestehenden Rechte darf sich das Militär die Polizeigewalt nur dann aneignen. wenn ein Auflauf erfolgt und die Zivilbehörden nicht imstande sind, für Ruhe und Ordnung zu sorgen; dabei kommt es nicht darauf an, ob es sich um Angriffe auf Militärbebörden handelt. Auch wenn die Zivil⸗ behörden das Militär reqguirieren, ist dieses zum Ein⸗ schreiten befugt. Nun ist über das Einschreiten der Militär⸗ bebörden eine Kabinrttsorder vom 17. Oktober 1820 ergangen. Man hat sich über die Gültigkeit der Kabinettsorder von 1820. ge stritten. Ich will mich darüber jedes Urteils enthalten, aber so viel will ich doch sagen, daß die Ausführungen des Professors Anschütz über die Urgültigkeit der Kabinettsorder mich nicht vollständig über⸗ zeugt haben. Jedenfalls ist eine Entscheidung in dieser Beziehung aktuell und dringend notwendig. Wir wünschen auch, daß zunächst die zuständigen Militärbehörden, also die Regimentsobersten, offiztell Kenntuns von dem Bestehen dieser

werden. Je höher das Amt, desto weniger hat der Katholik Aussicht

Kabinettsorder erhalten, damit sie die in dieser Kabinettsorder

darauf. Welche Beleidigung für den katholischen Volksteil darin

referendare werden heute noch angenommen und wie viele werden ab⸗ G gelehnt. Der Minister des Innern bestreitet, daß ein System darin

werden wird. Wir werden den weiteren Verlauf der Dinge abwarten und gegebenenfalls wieder dazu unsere Stellung nehmen. Die Klärung,

g 5 N. * . . . 2 3 freudige Aufnahme, die der junge Herzog und die Kaisertochter in

schweigische Volk einen Anspruch darauf habe, daß diese Angelegenheit endlich zu einer befriedigenden Lösung geführt würde. Der Fall Zabern ist nach meiner Meinung in einer Richtung höchst erfreulich, sowohl in seiner Ursache wie auch in seinen Begleiterscheinungen und in seinen

1e““