1914 / 16 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 19 Jan 1914 18:00:01 GMT) scan diff

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. Sitzung vom 17. Januar 1914, Vormittags 11 Uhr.

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(Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)

Ueber den Beginn der Sitzung ist in der vorgestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden.

Es folgt die erste Beratung des Entwurfs ei Wohnungsgesetzes. 8

Minister für Handel und Gewerbe Dr. Sydow:

Durch die Einbringung des Gesetzentwurfs, der jetzt den Gegen⸗

stand der Besprechung bildet, kommt die Königliche Staatsregierung en Wünschen nach, die von dem hohen Hause in drei Resolutionen um Ausdruck gebracht worden sind: einer Resolution der Abgg. von Brandenstein und Genossen aus dem Jahre 1911 und den Reso⸗ utionen der Abgg. Dr. Arendt (Mansfeld) und Genossen und der Abgg. Frank, Linz, Dr. Wuermeling und Genossen aus dem Jahre 1912, die sämtlich von der Königlichen Staatsregierung die Vor⸗ legung eines Wohnungsgesetzes verlangen. Bei den der Annahme der Resolutionen vom Jahre 1912 vorangegargenen Erörterungen wurde all⸗ gemein anerkannt, daß in der Wohnungsfrage ohne ein gesetzliches Ein⸗ greifen nicht merklich weiter zu kommen sei. Es reichen ja die Bemühungen, auf anderem Wege dem Problem der Unterbringung der minder⸗ bemittelten Bevölkerungskreise in gesunden und preiswürdigen Woh⸗ nungen beizukommen, weit zurück; es ist das ein Problem, das seit etwa einem halben Jahrhundert durch die zunehmende Industriali⸗ sierung gewisser Teile unseres Vaterlandes, durch die Verbesserung der Verkehrsbeziehungen und durch die Freizügigkeit hervorgerufen worden ist. Es ist bekannt, wie seit Jahrzehnten gemeinnützige Gesellschaften und Vereine zur Vermehrung der kleinen Wohnungen beizutragen sich bemüht haben. Es ist bekannt, wie im Jahre 1901 die Thronrede auf die in dieser Beziehung bestehenden Schwierig⸗ keiten und darauf hinwies, daß erwogen werden müsse, wieweit sie administrativ, wieweit sie auf gesetzlichem Wege zu lösen seien. Es kam dann im März 1901 der ebenfalls bekannte Ministerialerlaß, der die Verwaltungsbehörden veranlaßte, die Aufmerksamkeit der Städte in ihrer Bodenpolitik auf die zur Versorgung des Wohnungsbedürf⸗

nisses der kleinen Leute erforderlichen Maßnahmen, insbesondere auch auf die Förderung der Baugenossenschaften, hinzulenken.

Nach allen Richtungen ist seitdem manches geschehen, und eine Besserung ist wohl nicht zu leugnen; aber ein befriedigender Zustand ist doch noch lange nicht erreicht. Ich möchte glauben, daß man diese Tatsache, besonders soweit es sich um die großen Städte und um die Industriebezirke handelt, fast als notorisch bezeichnen kann, will aber doch nicht unterlassen, hier ein paar Zahlen aus den verschiedenen dabei in Betracht kommenden Städtegruppen anzuführen, weil sie ein scharfes Schlaglicht auf die bestehenden Zustände werfen.

Zunächst ein Beispiel aus einer Berliner Vorortgemeinde, aus Schöneberg. Die Zahlen beruhen sämtlich auf amtlichen Veröffent⸗ lichungen. In Schöneberg waren im Jahre 1905 das ist die letzte Statistik, die zu Gebote steht; es hat sich aber seitdem sicher nicht viel geändert elwa drei Zehntel aller Woh⸗ nungen solche, die nicht mehr als höchstens ein heiz⸗ bares Zimmer besaßen, davon wieder der siebente Teil solche, die keine besondere Küche hatten, bei denen also die ganze Wohnung aus der Wohnküche bestand. Diese Wohnungen waren alle stark belegt; denn von den Einzimmer⸗ wohnungen waren 8 bis 9 % mit mehr als 5 Bewohnern besetzt, von den Zweizimmerwohnungen fast der fünfte Teil. Ein Viertel aller Bewohner war überhaupt in Wohnugen von höchstens einem heiz⸗ baren Zimmer untergebracht, weitere drei Zehntel in Wohnungen mit zwei Zimmern. Dabei waren diese kleinen Wohnungen teuer und die kleinen Leute genötigt, einen unverhältnismäßig großen Teil ihres Einkommens auf die Miete zu verwenden. Von 16 000 Familien mit einem versteuerten Einkommen von nicht mehr als 1200 das waren damals zwei Füaftel der Bevölkerung Schönebergs mußte die Hälfte mehr als 300 ℳ, das heißt mehr als ein Viertel ihres versteuerten Einkommens, für die Miete aufwenden. Der Anteil der kleinen Wohnungen an den leerstehenden Wohnungen war ungewöhnlich gering, viel geringer als bei den mittleren Wohnungen, ein Zeichen, daß sich die Bautätigkeit ungern auf die Errichtung von Häusern für Kleinwohnungen ausdehnte. Das war der Vorort einer großen Stadt.

Nun eine ältere Stadt mittleren Umfangs: Kiel! Hier sind im Jahre 1909 1352 Wohnungen untersucht worden. Davon waren 274 von Bauvereinen gebaut worden und blieben im wesentlichen unbe⸗ anstandet. Von dem Rest von 1078 Wohnungen mußten 434 wegen erheblicher gesundheitlicher Mängel beanstandet werden. (Hört, hört! bei den Sozialdemokraten.)

Und nun auch ein Beispiel aus dem Industriegebiet! Hier ist ja besonders schlimm die Ausbildung des Schlafgängerwesens. Eine Untersuchung im westfälischen Industriegebiet im Jahre 1905, die sich besonders auch auf die Dreizimmerwohnungen erstreckt hat, hat dort ergeben, daß 14 bis 16 % dieser Wohnungen an vielen Orten mit 3 Schlafgängern, bis 18 % der Dreizimmerwohnungen mit 4, 5 und mehr Schlafgängern belegt waren. Hört, hört! Es handelt sich nicht bloß um Orte, in denen etwa der Kohlenbergbau die arbeitende Bevölkerung beschäftigt, wo ja durch den Schichtwechsel die Sache vielleicht noch etwas anders aussieht, sondern es sind auch Orte darunter, die mit dem Kohlenbergbau selbst nichts zu tun haben.

Also man wird wohl anerkennen müssen, daß durchgreifende Maß⸗ regeln nötig sind. Um vorwärts zu kommen, sind auch bereits einzelne Bundesstaaten ich nenne Hamburg, ich nenne Hessen auf dem gesetzlichen Wege eingeschritten; auch im Reiche ist, wie Sie wissen, ein starkes Drängen, insbesondere im Reichstage, auf Eingreifen der Reichsgesetzgebung auf diesem Gebiete. Um so dankbarer begrüßt es die Königliche Staatsregierung, daß der preußische Landtag sich bereit erklärt hat, die Maßregeln, die in der Zuständigkeit der preußischen Gesetzgebung liegen, mit zustande bringen zu helfen.

Was kann nun geschehen, um die Herstellung preiswerter und gesunder Wohnungen für die Minderbemittelten in genügender Zahl herbeizuführen? 1

Das Erste ist natürlich die Beschaffung der Mittel. Das Bauen kostet Geld und nochmals Geld und nochmals Geld. Die Frage des Realkredits ist auch für die Lösung des Wohnungsproblems grund⸗ legend. Siec läßt sich nicht allcin auf dem Wege der Landesgesetz⸗

gebung, nicht allein auf dem Wege der Reichsgesetzgebung lösen, beide müssen dabei eingreifen. Auf dem Wege der Reichsgesetzgebung liegt auch der Ausbau des Erbbaurechts, liegt die Frage einer anderweiten gesetzlichen Regelung für die Baugenossenschaften, die deren besonderen Bedürfnissen entspricht; auf dem Wege der Landesgesetzgebung liegt unter anderem der Erlaß eines Schätzungsgesenes, mit dessen Vor⸗ bereitung die Königliche Staatsregierung beschäftigt ist.

Im Reiche ist augenblicklich eine Kommission in Tätigkeit, die

der Herr Reichskanzler einberufen hat, die aus Vertretern der ver⸗ bündeten Regierungen, des Parlaments und aus Sachverständigen be⸗ steht, und die die Autgabe hat, die Frage des städtischen Realkredits Diese Frage muß ich also hier aus⸗

im Zusammenhange zu erklären. scheiden.

Im übrigen kann geholfen werden, indem die Möglichkeit ge⸗ schaffen oder erleichtert wird, preiswürdiger als bisher zu bauen, ein⸗ mal durch Verbilligung des Baugeländes, dann durch Verbilligung des Bauens selbst. Endlich aber sind staatliche Anordnungen in Aussicht zu nehmen, die auf die Einrichtung und Erhaltung gesunder Woh⸗ nungen unmittelbar hinwirken.

Diese beiden letzten Maßnahmen: die Möglichkeit, preiswürdiger zu bauen, und staatliche Anordnungen zur Herstellung und Er⸗ haltung gesunder Wohnungen hat sich der vorliegende Eesetzentwurf zur Aufgabe gemacht. In erster Linie steht dabei die Fürsorge für die Beschaffung preiswürdigen Baugeländes. Nirgends sind in Europa die Preise des Baugeländes in dem Er⸗ weiterungsgebiet der großen Städte wohl so hoch wie in Deutschland. Nach den Feststellungen Eberstadts beträgt der Preis für den Quadrat⸗ meter des Bodens in Deutschland, soweit es sich um Berlin handelt, Stadterweiterungsgebiet, 60 bis 80, auch 100 ℳ, in anderen Städten 30 bis 60 ℳ. Vergleichen wir damit andere Staaten, die in viel höherem Maße Industriestaaten sind wie Deutschland, also England und Belgien, dort sind die Fosten bei London 8 bis 10 ℳ, in der Provinz 5 bis 6 für den Quadratmeter, in Belgien in den großen Städten 10 Francs, in der Provinz 4 bis 5 Francs für den Quadrat⸗ meter. Wie kommt das? Das hängt in der Hauptsache zusammen mit der Stockwerkhäufung, mit der Erbauung der hohen und tiefen Mietshäuser, die bei uns nun leider einmal zur Gewohnheit geworden ist. Das steht wieder im Zusammenhang mit der Einteilung des Baugeländes in große und tiefe Baublocks. Die Erbauung von großen Mietshäusern wirkt steigernd auf den Bodenpreis, denn der Erbauer nutzt den Boden in höherem Maße aus, und umgekehrt wirkt die Aussicht, solche Häuser erbauen zu können, auf den Preis ein.

In gewisser Beziehung hat das Fluchtliniengesetz die Veran⸗ lassung zur Schaffung dieser großen Baublocks gegeben, indem es keine Maßregeln enthält, welche darauf hinweisen, daß für Wohnzwecke kleinere Bauabschnitte, welche die flache Bau⸗ weise ermöglichen, vorgesehen werden. Nach dieser Richtung hin sucht der Entwurf Abhilfe zu schaffen. Er weist in Nr. 2 der der Ziffer I des Artikels 1 darauf hin, daß die Baublöcke nach dem verschiedenen Wohnungsbedürfnis verschieden groß hergestellt werden sollen und daß auch, was wichtig ist, die Straßen in verschiedener Breite herzustellen sind. Beides wird geeignet sein, Terrain zu erschließen für kleinere und billigere Bauten zu billigeren Preisen.

Dann kommt noch ein Umstand hinzu. Das Fluchtlinien⸗ gesetz hat in einem Maße, wie es, soviel ich weiß, kein ausländisches Gesetz tut, die Einwirkung der Regierung auf die Regelung der Fluchtlinien beschränkt und eine überaus weitgehende Selbständigkeit der Gemeinden geschaffen. Nun ist es nicht zu bestreiten, daß der starke Einfluß, den meiner Ansicht nach aus guten Gründen die städtischen Hausbesitzer in den kommunalen Vertretungen ausüben, die Wirkung gehabt hat, daß sie einer Erweiterung der Bau⸗ und Wohngelegenheit nicht immer in dem wünschenswerten Maße ent⸗ gegengegekommen sind. Es ist das menschlich naheliegend; ihre eigenen Interessen stehen in gewissem Widerspruch mit einer weitgehenden Vermehrung der Wohnungsgelegenheit. (Hört, hört! bei den Sozialdemokraten.) Die Polizei kann auf die Festsetzung von Fluchtlinien zurteit nur insoweit drängen, als polizeiliche Gesichtsvunkte im engeren Sinne, d. h. namentlich die Sorge für die öffentliche Gesundheit und die Förderung des Verkehrs, dafür in Betracht kommen. Das Wohnungsbedürfnis gibt ihr keine Handhabe zum Eingreifen. Es ist ja nicht einmal im Gesetze selber festgestellt, daß die Gemeinden gehalten sind, aus Rücksichten auf die Befriedigung des Wohnungsbedürfnisses neue Baufluchtlinien festzu⸗ setzen. Nach beiden Richtungen sucht der Entwurf in Artikel 1 Ab⸗ hilfe zu schaffen. Er stellt es als Pflicht der Gemeinde auf, das Wohnungsbedürfnis bei der Feststellung der Fluchtlinien zu berück⸗ sichtigen, also Fluchtlinien festzulegen, wenn es das Wohnungs⸗ bedürfnis erfordert, und gibt der Polizei die Möglichkeit, aus diesem Grunde die Festsetzung von Fluchtlinien zu fordern. Ich sagte: der Polizei. Richtiger sage ich vielleicht: der Kommuna laufsichtsbehörde; denn die Polizei hat diese Befugnis nach dem Gesetzentwurfe nur mit der Genehmigung der Kommunalaussichtsbehörde, die Entscheidung liegt also in letzter Linie bei dieser.

Um im Notfall mehr Baugelände als bisher für die Er⸗ schließung zur Verfügung zu haben, sieht der Entwurf ferner einen Dispens von dem Bauverbot vor, das statutarisch nach § 12 des Fluchtliniengesetzes in bezug auf Straßen erlassen werden kann, die noch nicht vollständig hergestellt sind. Auch da liegt die Erfahrung vor, daß manche Gemeinden dieses Bauverbot entweder im rein fiska⸗ lischen Interesse oder in der Richtung benutzt haben, um eine weniger steuerkräftige Bevölkerung sich fernzuhalten (sehr richtig! bei den Sozialdemokraten), und daß dadurch es ließen sich ja einzelne Beispiele in der Kommission geben die Entstehung von Klein⸗ wohnungen erschwert worden ist. Im übrigen ist auch dieser Dispens nur sehr vorsichtig zugelassen; er soll nur erteilt werden, wenn ein Wohnungsbedürfnis besteht und der Eigentümer Gewähr dafür bietet, daß diesem Bedürfnis durch den Bau gesunder und zweckmaßig ein⸗ gerichteter Wohnungen Rechnung getragen wird, und wenn ferner keine berechtigten Gemeindeinteressen dem Bauen an der gewählten Stelle entgegenstehen. Ueberdies entscheidet in Streitfällen der Be⸗ zirksausschuß, sodaß ich nicht glaube, daß man hier von einem un⸗ berechtigten Eingriff in die Selbstverwaltung sprechen kann.

Endlich schlägt der Entwurf dem hohen Hause vor, das Gesetz über die Umlegung von Grundstücken in Frankfurt a. M., die so⸗ genannte lex Adickes, auf das ganze preußische Staatsgebiet auszu⸗ dehnen. Das war bereits vor 12 Jahren vorgeschlagen worden, fand

l aber damals mit Rücksicht auf die Neuheit der Materie nicht die

Zustimmung des hohen Hauses. Inzwischen hat sich fast von Jahr zu Jahr die Notwendigkeit ergeben, das Gesetz auf einzelne andere Gemeinden auszudehnen, und mir ist nicht bekannt, daß auch nur einer dieser Vorschläge der Staatsregierung hier im Hause auf Wider⸗ spruch gestoßen ist, sodaß es nun wohl an der Zeit ist, diesem Gese eine allgemeine Geltung zu geben.

Neben der Ermöglichung der Beschaffung von preiswertem Bau⸗ gelände kommt zweitens in Betracht die Ermöglichung billigeren Bauens gesunder Wohnungen durch Vorschriften der Bau⸗ ordnung. Die Erkenntnis ist ziemlich allgemein durch⸗ gedrungen, daß es nicht nötig ist, die Vorschriften über die Feuersicherheit und die Standfestigkeit der Häuser über⸗ all schematisch in gleicher Weise aufrecht zu erhalten. Für große, oft von 100 und mehr Menschen bewohnte Häuser müssen andere Anforderungen gestellt werden, als wenn es sich um Kleinwohnungen handelt. Ferner muß in bezug auf die Herstellung und die Unterhaltung der Straßen zwischen Wohnstraßen und Ver⸗ kehrsstraßen differenziert werden. Die ersteren können leichter und billiger hergestellt sein als die letzteren. Was das für den Preis des Bauens ausmacht, wird aus einem Beispiel klar, das ich kürzlich in einer Schrift eines am Berliner Terraingeschäft betelligten Mannes gefunden habe. Dieser rechnet aus, daß, wenn auf das Quadratmeter Baugelände in Berlin als Einkaufspreis 100 kommen, dann pro Quadratmeter Nettobauland an Straßenherstellungskosten noch 193 hinzutreten. Also eine Erleichterung nach dieser Richtung hin wird das Bauen felbst erleichtern.

Endlich ist in dem Gesetzentwurf ausdrücklich vorgesehen, daß es sich empfiehlt, besondere Wohnungsviertel herzustellen. Alles, was ich über die Erleichterung des Bauens sage, ist ja schon an einigen Stellen im Wege der Bauordnung eingeführt, aber noch nicht all⸗ gemein genug. Außerdem will der Gesetzentwurf für alle diese Maß⸗ nahmen eine feste gesetzliche Grundlage geben, die jetzt nicht ganz un⸗ zweifelhaft feststeht.

Durch die in den Artikeln 1 und 2 für das Baugelände und für die Bauordnungen vorgesehenen Vorschriften sollen also gewisse Hemmnisse, die sich dem billigeren Bauen entszegenstellen, beseitigt werden. Daneben aber sind auch positive Vorschriften für die Er⸗ richtung und Erhaltung gesunder Wohnungen nötig. Deese finden sich in den Artikeln 3 und 4, welche sich auf die Wohnungsordnungen und auf die Wohnungsaufsicht beziehen.

Zunächst die Wohnungsordnungen. Hier sieht der Gesetzentwurf den obligatorischen Erlaß von Wohnungsordnungen in Gemeinden von mehr als 10 000 Einwohnern vor. Dies ist Sache der Polizei. Der Entwurf verzichtet darauf, wie es der Entwurf von 1904 getan hatte, bestimmte Minimalanforderungen festzulegen, und zwar deshalb, weil dazu der Bereich des preußischen Staates zu groß ist; das muß sich nach den einzelnen örtlichen Verhältnissen richten. Dagegen gibt er einen Hinweis auf die dabel zu beachtenden einzelnen Punkte.

Zur Durchführung der Wohnungsordnungen ist eine geordnete Wohnungsaufsicht unentbehrlich. Sie ist Sache der Gemeinden. Der Entwurf schlägt Ihnen vor, in Gemeinden mit mehr als 100 000 Einwohnern die Errichtung eines Wohnungsamtes obligatorisch zu machen. Dieses Wohnungsamt ist eine Vereinigung von Wohnungs⸗ aussicht und Wohnungspflege, eines so wichtig wie das andere. Die Organisation im einzelnen wird den Gemeinden überlassen. Wenn sich die Wohnungsaufsicht auf die Durchführung der Wohnungsord⸗ nungen zu erstrecken hat, so hat die damit unzertrennlich zu verbindende Wohnungspflege hauptsächlich den Zweck, die Beteiligten zu beraten, ihnen zu helfen bei der Beseitigung von Mängeln, die Verschlechterung neuer Wohnungen zu verhüten, die Bevölkerung über die Wohnungs⸗ hygiene aufzuklären. Es ist das eine sehr dankbare und, glaube ich, sehr fruchtbare Aufgabe, bei der auch die Frauen sich mit großem Erfolge werden betäatigen können, wie sie es schon in einzelnen Städten tun. Erst wenn aller guter Rat nicht hilft, dann ist es Zeit, das Einschreiten der Polizei herbeizuführen.

Endlich sieht auch der Entwurf, wo ein Bedürfnis besteht, die Einsetzung von staatlichen Bezirkswohnungsbeamten vor, wie wir seit 12 Jahren einen solchen in Düsseldorf haben. Dieser Bezirkswohnungs⸗ beamte ist der Berater nicht bloß des Regierungspräsidenten, sondern auch der Kommunen in bezug auf den Wohnungsbau, und ich kann nur feststellen, daß seine Tätigkeit im Bezirk Düsseldorf sehr segens⸗ reich gewirkt hat, so daß darin wohl eine Ermunterung liegt, damit weiter vorzugehen.

Man hat wohl den Einwand gemacht, daß es doch nicht möglich sei, den Gemeinden gesetzlich bestimmte Vorschriften in bezug auf die Wohnungsaufsicht aufzuerlegen; sie werden das schon freiwillig tun. Die Erfahrung spricht leider nicht dafür, daß man in der Beziehung sich lediglich auf den guten Willen verlassen kann. Ich erkenne gern an, daß besonders im Westen die Gemeinden in der Beziehung viel getan haben. Aber wenn man die Gesamtzahl ansieht, so sieht man doch, daß eine gesetzliche Vorschrift hier nicht zu entbehren ist. Ich möchte besonders hervorheben, daß z. B. eine Stadt wie Berlin erst jetzt, ich möchte sagen, unter den Auspizien des neuen Gesetzentwurfs, zur Einrichtung einer geregelten Wohnungsaufsicht übergegangen ist. Und wenn wir die Gesamtzahlen ansehen, so stehen die preußischen großen Städte in dieser Hinsicht doch erbeblich ungünstiger als die im ganzen Reich. Wir haben Städte mit 50 000 bis 100 000 Einwohnern im Reich: 55. Davon haben 23 eine systematische Wohnungsaufsicht und 19 besondere Aufsichtsbeamte.

In Preußen sind von den 55 Städten 37 gelegen, von denen bis jetzt nur 13 eine systematische Wohnungsaufsicht und nur 7 be⸗ sondere Beamte haben. Was die Städte über 100 000 Einwohner betrifft so hat das Deutsche Reich deren 50, von denen 30 eine systematische Wohnungsaufsicht haben. Von den 50 Städten entfallen auf Preußen 34 und davon haben wieder nur 19 eine solche Wohnungsaufsicht. Also eine gesetzliche Aufmunterung dürfte hier am Platze sein.

Es kommt noch ein anderer Umstand hinzu, der eine gesetzliche Regelung zweckmäßig erscheinen läßt. Nämlich die Wohnungsaufsicht ist nicht durchzuführen, wenn nicht das Recht, die Wohnung zu be⸗ treten, gepeben ist, und zwar wegen des Schlafgängerwesens auch in den späten Abendstunden und in den frühen Morgenstunden. Ein solches Recht hat bis jetzt nur die Polizei bei der Verfolgung der Missetaten auf handhafter Tat, sonst nur unter den Voraussetzungen, die die Strafprozeßordnung für die Durchsuchung gibt.

Die Resolutionen, auf die ich zu Anfang meines Vortrages Bezug nahm, knüpften an die Aufforderung zur Vorlegung eines Wohngesetzes die Einschränkung, zunächst einmal zur Besserung der Wohnungsverhältnisse für die Großstädte und Industriegegenden vor⸗

zugehen. Wir haben geglaubt, diese Einschränkung in den Entwurf wenigstens in der Weise nicht aufnehmen zu sollen. Es ist nicht zu leugnen, daß, wenn auch nicht in demselben Maße und in derselben Häufigkeit, wie in den Großstädten, auch in den mittleren und in den kleineren Städten Zustände vorkommen, die ein gesetzliches Ein⸗ schreiten rech fertigen. (Sehr richtig!) Ferner ist es schwer, den Begriff „Industriegegend“ gesetzgeberisch abzugrenzen. Da nun das Fluchtliniengeset in allen Gemeinden gilt, ist es schon an sich geboten, auch die Abänderung des Fluͤchtlinien⸗ gesetzes auf alle Gemeinden zu erstrecken, wenn man anerkennt, daß möglicherweise im Prinzip bei allen Arten von Gemeinden ein Bedürfnis zu einer Abänderung vorliegen kann. Wohl aber differenziert der Entwurf bei der Frage der Wohnungsordnung und bei der Frage des Wohnungsamts nach der Größe der Gemeinden Er geht davon aus, daß nur bei Gemeinden von mehr als 10 000 Einwohnern der Erlaß einer Wohnungsordnung obligatorisch sein soll, ebenso soll nur bei Gemeinden über 100 000 Einwohner die Einrichtung eines besonderen Wohnungsamts Platz greifen, weil bei kleiveren Gemeinden ein derartiger Apparat wohl nicht nötig ist.

Lassen Sie mich mit einigen Worten schließen, die sich auf die Bedeutung der Wohnungsfrage im allgemeinen beziehen. Die Lösung der Wohnungsfrage ist von der größten Bedeutung für die körperliche und für die sittliche Gesundheit unseres Volkes, insbesondere des heranwachsenden Geschlechts. Wie soll sich ein gesunder Nachwuchs entwickeln, wenn die Menschen in engen Räumen mit wenig Luft⸗ zufuhr zusammengepfercht leben, ohne Sonne, mit dem Ausblick auf Höfe, die man oft nur Luftschächte nennen kann, und in Wohnungen, die der Herd von Krankheitskeimen sind. Und ernster noch als die gesundheitlichen sind die sittlichen Gefahren, die sich aus der engen Belegung der Räume bei Tag und Nacht und aus der Belegung der⸗ selben Räume mit Personen verschiedenen Geschlechts ergeben.

Wie soll sich auch ein Familienleben entwickeln, wenn die Menschen so eng zusammengedrängt leben, daß die Kinder auf die Straße gedrängt werden und daß die Erwachsenen in das Wirtshaus zu gehen alle Versuchung haben. Und ohne ein gesundes Familienleben würde eine der festesten Grundlagen unseres Staatswohls fehlen. Zu vergessen ist auch nicht, daß die Möglichkeit für eine Reihe von minderbemittelten Leuten, sich eigenen Besitz zu verschaffen, dazu beiträgt, die seßhafte Bevölkerung und die Anzahl der Menschen zu vermehren, die auch durch ihre persönlichen Interessen an die Gemeinde und an den Staat fester geknüpft sind Es ist nicht zu viel gesagt, wenn man an anderer Stelle ausgesprochen hat, die Wohnungsfrage ist eine Kulturfrage allerersten Ranges. (Sehr richtig!)

Und so bitte ich das hohe Haus, dieses Gesetz wohlwollend zu prüfen und bald zu verabschieden. Ich halte es auch vom polttischen Standpunkt aus für wichtig, daß der preußische Landtag beweist, daß er in der Lage und gewillt ist, im Rahmen der Zuständigkeit der preußischen Gesetzgebung die Wohnungsfrage in die Hand zu nehmen und zu lösen, und daß insoweit für ein Eingreifen der Reichsgesetz⸗ gebung, was ja in den Reichstagskreisen auf das lebhafteste gewünscht wird, kein Raum ist. (Lebhafter Beifall.)

Abg. von Hassell k(kons.): Wir haben erhebliche Bedenken dagegen, daß die Wohnungsordnung auch für das platte Land Geltung haben soll. Wir wünschen, daß die Bestimmungen des Gesetzes auf das platte Land keine Anwendung finden, denn wir können nicht an⸗ erkennen, daß die Mißstände, wie sie in den großen Industriegebieten vorliegen, auch in diesem Umfange auf dem platten Lande herrschen. Ich gebe ohne weiteres zu, daß auch auf dem platten Lande die Wohnungsverhältnisse nicht überall solche sind, wie sie sein könnten. Aber ein großer Unterschied zwischen den Wohnungsverhältnissen auf dem Lande und in der Stadt liegt doch vor, nämlich der, daß die Arbeiter und Kleinbauern auf dem Lande täalich draußen in der frischen Luft sind, während die meisten Industriearbeiter gezwungen sind, durch die Art ihrer Beschäfti⸗ gung tage⸗ und wochenlang auf die frische Luft zu verzichten. Es wird oft die Meinung ausgesprochen, daß die Landflucht zum Teil zurückzuführen sei auf die Wohnungsverhältnisse auf dem Lande. Das ist eine ganz irrige Auffassung. Wenn die schlechten Wohnungs verhältnisse auf dem Lande die Gesundheit der Landarbeiter und kleinen Bauern so außerordentlich schädigen würden, wie man immer be⸗ hauptet, wie kommt es dann, daß das Land in immer höherem Grade die Massen unserer Soldaten stellt? Es ist bekannt, daß die Familien der Arbeiter, die gesund vom Lande in die Stadt kommen, in wenigen Generationen ausgestorben sind. Das führt doch zu dem Urteil, daß die Verhältnisse auf dem Land nicht so schlecht sind, wie sie immer geschildert werden Wir werden in der Kommission dafür eintreten, daß das platte Land ausgeschlossen wird von den Bestimmungen des Gesetzes, weil für eine gesetzliche Regelung der Wohnungsverhältnisse auf dem Lande absolut kein Bedürfnis vorliegt. Anders liegen die Verhältnisse in den Groß⸗ städten und in den Industriebezirken, wenngleich ich auch anerkenne, daß von seiten der Indust ie ganz außerordentlich viel geschieht, um gesunde Arbeiterwohnungen zu schaffen. Es ist ganz zweifellos, und das zeigt auch die Statistik, daß die Verhältnisse in den Städten besonders in den letzten 28 Jahren sich allmählich gebessert haben. Daß in den Städten aber noch große Notstände vorliegen, beweist die Tatsache, daß etwa 52 % aller Wohnungen als Normalwohnungen nicht anzusprechen sind. Wir sind gern bereit, nach Kräften mit⸗ zuwirken an der Abstellung aller dieser zweifellos vorhandenen großen sozialen Schäden. Der Entwurf eines Wohnungsgesetzes ist ja bereits im Jahre 1913 veröffentlicht worden. Diese frühzeitige Veröffent⸗ lichung hat zur Folge gehabt, daß an dem Entwurf von sebr vielen Seiten eine Süezbige Kritik geübt wurde. Die eine Kritik, die alles oder nichts wollte, kam zu dem Ergebnis, das einer von den Herren in den Worten ausdrückte: Das Unzulängliche, hier wird's Ereignis. Eine andere Art von Kritik wurde von den preußischen Städtetagen geübt, und diese scheint mir deoch viel beachtenswerter zu sein, als die Kritik, die alles oder nichts will. Der preußische Städtetag hat sich dabin ausgesyrochen, daß eine gesetz⸗ liche Regelung der Wohnungsverhältnisse einen Eingriff in die Rechts⸗ sphäre des Hauseigentümers und Hypothekengläubigers bedeutet. Wenn der Abg. Schiffer hier früher behauptet hat, daß die ganze Vorlage gewissermaßen eine capitis diminutio der Städte sei, so glaube ich doch, daß diese Kritik etwas zu weit geht. Aber das bleibt doch bestehen, daß der Gesetzentwurf einen tatsächlichen Cingriff in die persön⸗ liche Rechtssphäre des einzelnen bedeutet. Es ist wohl der größte Eingriff in die persönliche Rechtssphäre, den wir bisher überhaupt gehabt haben. Wir müssen dagegen protestieren, daß es den Beamten gestattet werden soll, jederzeit die Wohnungen zu kontrollieren. Wit sind bereit, mit⸗ zuwirken an dem Zustandekommen des Gesetzes, das wir im all⸗ gemeinen för unbedingt norwendig erachten, aber wir wünschen, daß die berecht gten Interessen des Mittelstandes gebührend gewahrt werden. Wir bitten, die Vorlage einer Kommission von 21 Mit⸗ gliedern zu überweisen, wollen uns aber auf diese Zahl keineswegs festlegen.

Abg. Dr. Würmeling (Zentr.): Wir wünschen eine Kom⸗ mission von 28 Mitaliedern. Die Bedeutung und Wichtigkeit dieser Frage muß auch in der Kom missionszusammensetzung be⸗ rücksichtigt werden. Wir stehen der Frage des Wohnungs wesens durchaus sympathisch gegenüber und sind gern bereit,

mit allem Ernst an dem Versuch ihrer Lösung mitzuarbe ten. In den Verhandlungen der letzten Jahre ist klar zutage getreten, wie dieses weitschichtige Gebiet sowohl vom Standpunkte des Reichs⸗ rechts, wie auch vom landesrechtlichen Standpunkte aus behandelt werden kann. Ich freue mich, wenn hier die preußische Staats⸗ regierung Hand in Hand mit dem Reiche geht. Wir legen jedoch Wert darauf, daß diese Fragen, die in diesem Entwarfe behandelt sind, wesentlich vom Stanovunkte des Landesrechts und nicht vom Standpunkte des Reichsrechts behandelt werden. Man hat zwar gemeint, daß es erwunscht wäre, wenn die Einzelstaaten all mählich immer mehr vom Reich aufgesogen und ihrer Selb⸗ ständigkeit entkleidet würden. Das Zentrum hat aber in dieser Frage immer das föderative P iantip ve teeten Wir wollen in diesem Falle die Selbständigk it der Emzelstaaten erhalten. Wenn eine solche Idee wie die Wobnungsfrege, in den staats⸗ erhaltenden Kreisen sich Bahn geb ochen hat, wenn das Be⸗ dürfnis nach einer gesetzlichen Regelung in so weitem Umfange hervorgetreten ist, daß im Reichstage alle Parteien einschließlich der Konservativen sich für die Regelung im Reiche ausgesprochen haben, falls die Einzelregierungen diesen Aufgaben nicht genügen, dann kann ich verstehen, daß naturgemäß die öffentliche Meinung schließlich dahin kommt, vom Reichstage diese Regelung zu erwarten. Wir wollen nicht halbe Arbeit machen, sondern ein Gesetz zustandebringen, das allen Fragen Rechnuag trägt. Die Lösung steht mit der Volksgesundheit, der Wehrkraft, der Leistungsfähigkeit der Industrie, der Süttlichkeit, der Bodenständigkeit, dem Familienleben in allerengstem Zusammenhang. Wir können in unserer Zeit nichts Besseres tun, als daß wir im Volke die Bodenständigkeit und mit ihr die Liebe zur Heimat fördern. Die sittliche Frage ist einer der Hauptpunkte, der mit dem Gesetz erreicht werden soll. Eine große Rolle spielt in diesem Gesetzentwurf die Frage der Konkurrenz des Staates mit den Gemeinden. Es ist nicht zu verkennen, daß die staatliche Polizei wesentlich verstarkt wird durch die Tätigfeit auf dem Gebiete der Wohnungsfrage, es wäre deshalb zu verstehen, wenn die Polizei auf die Gemeinden übertragen würde. Es hancelt sich um die Gebiete der Baupolizei und der Wohlfahrts⸗ polizei. Es kommt ja hierbei in Betracht, daß die Gemeinden durch die Bestimmungen dieses Entwurfs erheblich belastet werden, da wollen sie auch mitzureden haben. Sehr wesentlich ist auch die Entscheidung darüber, ob der Entwurf nur in den Großstädten und den Industriestädten oder auch auf dem platten Lande Geltung haben soll. Meine Parteifreunde erkennen voll und ganz an, daß die Verhältnisse platten Landes in sehr vielen Beziehungen von denen der ã verschieden sind. Ob nun aber hieraus die Konsequenz zu ziehen ist, den Geltungs⸗ bereich des Gesetzes von vornherein nicht auf das platte Land auszu⸗ dehnen, ob man nar einzelne Bestimmungen dem platten Lande anpassen will oder aber eventuell differenzieren soll zwischen den Städten und dem platten Lande, da stehen wir auf dem Standpunkte der Reso⸗ lution, die im vorigen Jahre vom Reichstag gefaßt worden ist, und die auch die Konservativen angenommen haben. Da wünschten die Konser⸗ vativen eine Regelung von Reichs wegen mit Differenzierung. Ich lege mich in dieser Beziehung nicht fest, sondern mache nur darauf aufmerksam, daß die Herren von der Rechten für die Unter⸗ scheidung zwischen Stadt und Land gewesen sind. Wir sind für eine gesunde Selbstverwaltung der Gemeinden, aber wir haben in manchen Gemeinden eine wahre Gemeindebureaukratie, die unter Um⸗ ständen noch viel unangenehmer empfunden wird als die Staats⸗ bureaukratie. Andererseits müssen wir dafür sorgen, daß die Rechte der Gemeinden und auch der einzelnen Personen gewahrt werden. Wir treten daher mit Vorsicht an den Entwurf heran. Die deutschen Mittelstaaten sind uns in der Wohnungsfrage voran: das soll kein Vorwurf für den preußischen Staat sein, denn in den kleinen Staaten liegen die Verhältnisse einfacher. Den Bestimmungen der Vorlage, welche die polizeilichen Befugnisse auf das Wohnungs⸗ bedürfnis erstrecken, stehen wir nicht ablehnend gegenüber, be⸗ balten uns aber die weitere Erwägung im einzelnen vor. Wichtig ist die Ausdehnung des Frankfurter Umlegungsgesetzes auf den ganzen Staat ohne Rücksicht auf die Unterschiede zwischen Stadt und Land. Obwohl wir dem Frankfurter Gesetz zugestimmt haben, müssen wir es doch bei der Ausdehnung auf den ganzen Staat noch⸗ mals Paragraph für Paragraph in der Kommission prüfen. Ferner müssen wir in der Kommission darüber beraten, ob gewisse Mindestforderungen für die Wohnungen gesetzlich festgelegt und welche Bestimmungen darüber obligatorisch gemacht werden sollen. Bei den Bestimmungen über die Unterbringung von Arbeitern müssen auch die Mißstände für die Saisonarbeiter beseitigt werden. Grundsätzlich sind wir auch für die Bestimmungen der Vorlage über die Wohnungs⸗ aufsicht, denn wenn wir einmal Vorschriften für die Wohnungen geben, müssen wir auch für die Kontrolle ihrer Befolgung sorgen. Einzelheiten will ich jetzt nicht kritisieren. Wir wollen etwas Positives schaffen. Wenn auch nicht alle berechtigten Interessen be⸗ friedigt werden können, so müssen wir lieber das nehmen, was wir bekommen können, als daß wir jetzt den Entwurf ablehnen. Ich hoffe, daß wir in der Kommission zu einer befriedigenden Lösung kommen werden.

Abg. Künzer (nl.): Der Ruf an die Staatsregierung nach einem Eingriff in die mißlichen Wohnungsverhältnisse ist ein allgemeiner geworden, auch in diesem hohen Hause. Der frühere Entwurf der Regierung vom Jahre 1904, der damals der öffentlichen Kritik unter⸗ breitet wurde, fand ziemlich allgemeine Ablehnung. Demgegenüber können wir mit Genugtuung feststellen, daß dieser Entwurf eine viel brauchbarere Grundlage darstellt. Die wichtigste Frage freilich ist die Beschaffung der Mittel. Ich vermisse allerdings Bestimmungen, wie sie in Gesetzen ausländischer Staaten über die Sanierung älterer un gesunder Stadtteile enthalten sind. Wir müssen den vorliegenden Entwurf zunächst nur als eine Abschlagszahlung betrachten, und wir hoffen, daß die Regierung uns bald Vorschläge macht betreffs der dringenden Besserung des städtischen Realkredits, der Beschaffung der zweiten Hypotheken. Wir beantragen die Ueberweisung an eine Kommission von 21 Mitgliedern und hoffen, daß in der Kom mission noch wichtige Verbesserungen erreicht werden können. Die Gemeinden kommen in dem Entwurf recht schlecht weg, und ich freue mich darüber, daß der Handelsminister heute immerbin warme Töne gefunden hat für das, was die Gemeinden in der Wohnungsfrage bereits zu erreichen versucht haben. Für sehr bedenklich halte ich den Einariff in die Selbstverwaltung der Gemeinden in der Frage der selbständigen Festsetzung von Baufluchtlinien, indem diese der Ortspolizeibehörde übertragen werden soll. Das Interesse der Hausbesitzer, von dem der Mmister hier gesprochen hat, bietet in diesem Punkt, soweit meine langjährigen Erfahrungen reichen, keine Schwieri keiten. Ein moderner Bebauungsplan ist ein reines Kunstwerk, und es gehört dazu neben künstlerischem Verständnis auch reiche Erfahrung, und übder diese werden die Ortspolizeibehörden schwerlich verfügen. Schon im Jahre 1892 ist von dem damaligen Minister des Innern

das Versp echen gegeben worden, daß allen Städten, die es wünschen,

die Wohlfahrtspolizei übertragen werden koönnte; Ausnahmen würden nur bezüglich der Städte Berlin, Charlottenburg und Potsdam gemacht. In demselben Sinne bat sich damals auch der Finanzminister im Herrenhause ausgesprochen. Ich hoffe, daß dieses Versprechen nun endlich auch erfüllt werden möge. Mit der im Gesetzentwurf vorgeschlagenen Form der Wohnungsaufsicht bin ich garnicht einverslanden. Die Wohnungsaufsicht soll hier als eine Art staatliche Anstalt organisiert werden, die von den Gemeinden bezahlt werden foll. Ich hoffe, daß in der Kommission hier Aenderungen errcicht werden können. Ich verstehe nicht, warum die Wohnungsaufsicht auf Gemeinden beschränkt bleiben soll, die mehr als 10 000 Einwohner haben. Auch in kleineren Städten wäre eine Wohnungsfürsorge sehr angebracht. Die Uebertragung der sogenannten Lex Adickes ist unzweifelhaft segensreich. In den wenigen Städten, auf die sie bisher übertragen wurde, ist sie noch nicht so recht zur Durchführuna gekommen. Die Grundstücksinteressenten huben ihren früͤheren Widerspruch gegen die Lex Adickes fallen lassen. Nach allem halten meine politischen Freunde trotz einzelner Bedenken die Vorlage für eine durchaus geeignete Grundlage zur weiteren Beratung in der Kommission. Ich hoffe, daß bei

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der Beratang in der Kommission ein brauchbares Gesetz herauskommt. Ich glaube, daß dies geschehen wird, wenn wir nicht nur mit dem Verstand, sondern auch mit dem Herzen an die Arbeit herantretern Wenn wir uns mit der Frage beschäftigen, so bitte ich, sie möglichst wenig als Parteisache aufzufassen, sondern dies in dem Bewußtsein zu tun, daß das Produkt unserer Arbeit der großen Masse der Be völkerung zugute kommen soll, von deren körperlicher und sittlicher Gesundbeit die Lebenskraft der Nation und des Staates abhängt. gb

Abg Lüdicke (freikons.): Meine politischen Freunde halten allerdings eine Kommission von 21 Mitgliedern für ausreichend. Da aber die Zentrumspartet eine solche von 28 Mitgliedern beantragt und die konservative Partei erklärt hat, sie wolle sich nich auf eine Kommission von 21 Mitgliedern f stlegen, so werden wir für die Einsetzung einer Kommission von 28 Mitgliedern stimmen. Auch wir unterstützen die Wohnungskfürsorge überall da, wo irgend möglich. Wir haben schon zu wiederholten Malen zum Ausdruck ge bracht, daß wir die Regelung des Wohnungswesens für eine der wichtigsten Aufgaben des Staates halten. Wir wollten damals, als der Zweckverband gegründet wurde, die Regelung des Wohnungs wesens mit zu einer Aufgabe des Zweckverbandes machen. Leider ist vom Herrenhause dagegen Widerspruch erhoben worden. Wir haben nichts dagegen, daß die Geltung des Umlegungsgesetzes auf das ganze Staatsgebiet ausgedehnt wird. Allerdings erschein uns die Regelung des Wohnungswesens in den Industriegebieten und Gcroßstädten besonders der Beachtung wert. Die Ordnung des Wohnungswesens gehört zweifellos zu den vornehmsten Auf⸗ gaben der Landesgesetzgebung. Auch der Staatesekcetär Delbrück hat sich im Reichstage dahin ausgesprochen, daß die Oednung des Wohnungswesens nicht der Reichsgesetzgebung, sondern den Einzel⸗ staaten zu überlassen sei. Die beiden großen Richtlinien des Wohnungs⸗- gesetzentwurfs wird man als richtig anerkennen müssen. En plan⸗ mäßiges Einschreiten gegen ungesunde Wohnungen und die Förderung der flachen und niedrigen Bauweise ist durchaus notwendig. In der Begründung des Gesetzentwurfs ist manches, was besser nicht darin gestanden hätte. Es wird von einer ungesunden Bodenspekulation gesprochen. Es ist doch aber eine festgestellte Tatsache daß man bei der Berechnung eines Kaufwertes eines Grundstückes etwa 15 % auf den Grund und Boden zu verxanschlagen hat, während die anderen 85 % auf die Arbeitslöhne entfallen. Daß die Arbeitslöhne immer höher werden, ist eben eine Tatsache, mit der man sich abfinden muß. Jedenfalls ist es sehr bedenklich, wenn diese Behauptung von der ungesunden Bodenspekulation in solcher All⸗ gemeinheit aufgestellt wird, wie es in der Begründung gesch hen ist. Man sollte doch hierin etwas vorsichtiger sein. Auch dem preußischen Forstfiskus kann man den Vorwurf machen, daß er mit seinen Waldungen um Berlin Terrainspekulation treibt. Wenn man den Entwurf liest, so muß man zu der Auffassung kommen, daß man in Preußen eigentlich recht teuer wohnt. Das ist aber keines⸗ wegs richtig. Nirgends lebt man so billig und gut wie in Groß⸗Berlin. Kleine und mittlere Wohnungen mit allem Komfort sind hier in solcher Fülle zu haben wie nirgendwo. Ich hätte erwartet, daß der Entwurf sich über die Wohnungsnot im allg meinen ausgesprochen hätte. Es wurde ja behauptet, als der Zweckoerband in Wirksamkeit trat, in Groß Berlin gebe es 600000 Woh⸗ nungen, in denen jedes Zimmer von 5 und sechs Personen besetzt sei. Ich hätte gewünscht, daß uns auch hierüber eine statistische Mit⸗ teilung gemacht werde. Der Entwurf geht mit einer leichten Be⸗ merkung über die Tätigkeit der Kommunen auf dem Gebiete der Wohnungsfürsorge hinweg. Das halte ich nicht für richtig. Die Stadt Berlin hat ja allerdings lange auf sich warten lassen, ehe sie für das Wohnungswesen Sorge getragen hat, aber das sollte man doch auch anerkennen, daß die Stadt Berlin in jüngster Zeit für Hebung des Wohnungswesens ganz außerordenklich viel geleistet hat. Ich erinnere nur an das Scheunenviertel. Der Entwurf sagt, daß es keine großen Mittel sind, die verlangt werden, sondern daß zunächst versucht werden muß, eine Einwirkung auf die Art der Bebauung auszuüben. Hierbei kommt zunächst das ortsstatutarische Bauverbot in Frage. Hier liegt eine Beschränkung der Selbstverwaltung vor. Es mog hin und wieder vorgekommen sein, daß die Gemeinden das Baugelände mißbräuchlich benutzt haben. Die Städte dürfen aber nicht in der Lage sein, die Bebauung schlechthin zu hindern. Durch die Bestimmungen über die Bau⸗ masken, die sog. Schikanierstrecken, sind die Gemeinden in der Lage, auf eine bessere Bauweise hinzuwirken. Mir ist aber zweifel⸗ haft, ob die Bestimmungen des Gesetzentwurfs ausreichend sind. Der gegenwärtige Zustand im Straßenbau stellt eine Begünstigung der Terraingesellschaften dar. Diese Gesellschaften sind in der Lage, selbständig Straßen zu bauen, was die Privatleute nicht können. Der heutige Zustand leidet sehr unter den Anliegerbeiträgen die eine öffentliche Last und als solche nicht im Grundbuch eintragungsfähig sind. Das führt namentlich zu Schwierigkeiten bei der Zwangsversteigerung und bedeutet manchmal eine finanzielle Erschütterung des Erwerbes. Der Entwurf steht auch mit der lex Adickes nicht ohne weiteres im Einklang. Die Erfahrung hat gezeigt, daß sich der Magistrat und die Interessenten gewissermaßen gegenseitig aushungern. In bezug auf die polizeilichen Vorschriften wäre auch zu erwägen, ob man nach dem Vorgange der süddeutschen Staaten und des König⸗ reichs Sachsen nicht ein neues Baugesetz schaffen koͤnnte. Es könnte ein Rahmengesetz geschaffen werden, dessen weitere Ausgestaltung im Wege des Orts tatuts erfolgen könnte. Dadurch würde der Selbst⸗ verwaltung ein berechtigter Spielraum überlassen. Bei der baulichen Ausnutzbarkeit muß auch eine gewisse Schonung wohlerworbener Rechte eintreten. Ich erinnere nur an die Brücke, die die Stadt Charlottenburg über die Havel gebaut hat. Hier wurde der Eigentümer ruiniert, und auch die Hypothekengläubiger erlitten Verluste. Was die Wohnungsordnung und Wohnungsaufsicht anbetrifft, so ist das nach unserer Ansicht Sache der volizeilichen Regelung. Die anzustellenden Wohnungspfleger haben sich hauptsächlich auf gute, sachgemäße Vorschläge zu beschränken. Man darf hier nicht allzuweit gehen. Das wäre ein Gebiet, auf dem die Tätigkeit der Frau wohl am Platze wäre: denn die Frau ist die beste Wohnungspflegerin. Auch muß eine gewisse Freiheit inbezug auf die Anzahl der Personen in den einzelnen Wohnungen obwalten. Die Praxis darf z. B. nicht dahin führen, daß wegen Hinzutritts eines Kindes die Wohnung zu räumen ist. Dann ist mir zweifelhaft, ob man mit einer großen Anzahl von Wohnungsaufsehern vorgehen soll. Anfänglich werden diese Leute allerdings viel zu tun haben, wenn sie aber später weniger zu tun haben, so könnten sie in einer gewissen Arbeitswut etwas heraus⸗ suchen, was man sonst passieren läßt. Ich würde empfehlen, daß die Gemeinden nicht zu viele Wohnungspfleger anstellen. Man hat bisher in den Gemeinden mit der ehrenamtlichen Tätigkeit gute Erfahrungen gemacht. Der Gesetzentwurf bedeutet zweifellos einen Fortschritt, ob aber alle erwarteten Erfolge eintreten werden, z. B. inbezug auf die Herabsetzung der Mieten, ist uns allerdings zweifelhaft. Der Mensch sen 5 Aristoteles nicht nur glücklich wohnen, sondern auch glück⸗ 1 eben.

Ministerialdirektor Dr. Freund: Es ist gesagt worden, daß die Regierung anfangs der 90 er Jahre die entgegenkommende Er⸗ klärung abgegeben habe, daß die Baupolizei in den Städten, wo Staat und Stadt sich in die Polizei teilen, in möglichst weitem Um⸗ fange der Stadt überwiesen werden soll, daß aber diese Zusage noch nicht genügend erfüllt sei. Ich will die tatsächlichen Verhaltnisse feststellen, damit man weiß, wie weit der Regierung ein Vorwurf ge⸗ macht werden kann. Berlin zunächst hat um sich die funf Städte Wilmersdorf, Charlottenburg, Schöneberg, Neukölln und Lichtenberg; es war bisher nicht möglich, hier die Baupoltzei auf die Stadt zu übertragen, ohne die zu einer energischen Führung der Baupolizei notwendige Einheitlichkeit zu beeinträchtigen. Daher ist in Berlin und Umgebung die Baupolizei dem Staate zu überlassen. Darüber hinaus aber ist in weitestem Umfange die Bau⸗ polizei den Städten übertragen worden. Abgesehen von Potedam, fehlen nur noch sechs Städte Cassel, Koblenz, Danzig, Wies⸗ baden, Fulda und Saarbrücken. In Cassel und Koblenz schweben augenblicklich noch die Verhandlungen darüber, ob ihnen die Baupolizei überlragen werden kann. In Danzig handelte es sich

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