1914 / 19 p. 6 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 22 Jan 1914 18:00:01 GMT) scan diff

wir dann überhaupt noch Schutzzölle? Deumach müßte doch auch der Genußmitteiverbrauch zugenommen haben. Der ist aber überall zurück⸗ gegangen. Die Besserung der Lage der Arbeiter geschah nur durch Einschränkung der Geburtenziffer. Auch die Zunahme der erwerbenden Frauen ist kein Beweis für steigenden Wohlstand. Der Staats⸗ sekretär will keine Zolltarifnovelle einhringen. Er fürchtet Geister zu rufen, die er nicht wieder los wird. Der Abg. Weilnböck hat ja eine ganze Reihe von agrarischen Forderungen erhoben. So hat er den Schutz für Meerrettich verlangt. Er soll ja bekanntlich den Geist hell machen durch seine Schärfe. Davon werden ganze 403 Doppelzentner einge⸗ führt, also 1 % der Ausfuhr an Rettich. Man sieht, was der Zoll⸗ gedanke alles anrichtet. Diesen hohen Standpunkt unserer Wirtschafts⸗ politik hat schon Treitschke vorausgesehen. Den Arbeitern und beson⸗ bers den Landarbeitern muß ein menschenwürdiges Dasein verschafft werden. Das aber ist nicht möglich, wenn die Gesindeordnung be⸗ stehen bleibt und ihnen das Koalitionsrecht versagt wird. Der Ab⸗ geordnete Dr. Böhme vollführte da eine Art Springprozession, aber nach rückwärts. Er will den Forstarbeitern das Koalitionsrecht geben. Er pergißt, daß viele Landarbeiter im Winter in den Forsten arbeiten. Er sollte die Rednerschule besuchen, die der Abg. von Graefe benutzt hat, dann würde er lernen, wie man so etwas mit der nötigen Entschieden⸗ heit und Unverfrorenheit vorbringt. Der Abg. von Graefe wollte allen Arbeitern das Koalitionsrecht zugestehen, nur nicht da, wo es in seine Interessensphäre schlägt. Wir wollen für die Arbeitgeber auch Ellen⸗ bogenfreiheit, aber diese muß doch auch dem Arbeiter zugebilligt wer⸗ den. Für eine verständige Sozialpolitik sind auch wir. Der Begriff „verständig“ ist jedoch schwer zu definieren. Jeder versteht das darunter, was er will. Antworten des Bundesrats auf die Beschlüsse des Reichstags der Bueo⸗

getkommission zugehen.

Den Beschluß über das Koalitionsrecht hat

der Bundesrat dem Reichskanzler überwiesen. Der Reichskanzler von

e Bethmann hat ja nun im Herrenhause das Schicksal derartiger Reso⸗ lutionen und Anträge klargestellt. Unsere ganze innere Politik wird ja eben vom Abgeordnetenhause und vom Herrenhause gemacht, von Par⸗ lamenten, die allerdings nicht eine so gemischte Gesellschaft darstellen, wie der Deutsche Reichstag. Wir sind eine gewählte Gesellschaft, sogar eine sehr gewählte Gesellschaft. Und deshalb sind wir etwas mehr. Wir vertreten das, was das Volk verlangt. Es ist erstaunlich, was auf dem Preußentage alles vorgebracht worden ist, und wie diese Herren von und zu und mit hohen Titeln so ganz ihre Kinderstube vergessen zu haben scheinen. Dort waren nicht die Preußen, die das in sich fühlen, was das Volk in sich fühlt. Denen, die den preußischen Par⸗ tikularismus großziehen wollen, möchte ich entgegenhalten, was in der großen Zeit, als Preußen noch moralische Eroberungen machte, Wilhelm I. Preußen als Programm mit auf den Weg gab. Wir haben einen Reichskanzler, der ein Kulturmensch ist. Wie ernst es ihm damit ist, davon zeugt der Brief, den er an einen anderen Kultur⸗ menschen, den Professor Lamprecht, gerichtet hat: Dafür sind jene Preußen noch nicht reif. Für diese Sorte Preußen möchte ich auf das Wort hinweisen, das seinerzeit ein deutscher und preußischer Dichter dem König von Preußen zurief: Wag's um den höchsten Preis zu

werben und mit der Zeit, dem Volk zu gehen.

Direktor im Reichꝛamt des Innern Müller: Der Abg. Gothein hat ausgeführt, daß der Sraatssekretär des Reichsamts des Innern die Ergebnisse der Handelspolitik zu sehr in den Vorder⸗ grund gestellt häͤtte; auf die günstige wirtschaftliche Lage hätte auch eine Rethe ganz anderer Faktoren, beispielsweise die Errungea⸗ schaften der Naturwissenschaften, die Fortschritte der Technik, ein⸗ gewirkt. Der Staatssekretär hat gestern auch diese anderen Faktoren mit berücksichtigt. Es ist ganz. klar, daß die Handels⸗ und Zollpolitik nicht allein ausschlaggebend ist I urteilung der Entwicklung wirtschaftlicher Ve hältnisse. Es handelt sich doch bei dem Streit der Meinungen ledig⸗ lich darum, ob unsere derzeitige Zoll⸗ und Handelspolitik die

Grundloge mit abgegeben hat für die Entwicklung der Verhältnisse, wie sie sich bei uns gestoltet haben, ob sie den inneren Markt be⸗ festigt hat und ob darunter unsere Industrie auf dem Auslandsmarkt konkurrieren konnte. In diesem Punkte werde ich mich mtt dem Abg. Gothein nicht verständigen. Er steht auf dem Standpunkt, daß unsere Zoll⸗ und Handelspolitik, kurz gesogt der Bülow⸗Tarif, es jehr er⸗ schwert hätte, unsere industriellen Erzeugnisse auf dem ausländischen Markte unterzubringen. Unsere Ausfuhr hat sich in der Periode, von der gestern der Stchtesekretär gesprochen hat, um 31 % gesteigert, die von Frankreich hloß um 20 %, die der Schweiz um 18 %, die der Vereinigten Staaten um 17 %, die von Oesterreich um 11 %. Gewiß sind darunter auch Roh⸗ und Halbfabrikate, aber auch die Ausfuhr von Fertigfabrikaten hat sehr erheblich zugenommen. Die Frage, was eigentlich ein Fertigfabrikat ist, ist sehr umfstritten. Nun ist ja zuzugeben, daß die Ausfuhr von Fertigfabrikaten bei ein zelnen Industriezweigen zurückgegangen ist. Bei einer ganten Reihe großer Industriezweige ist aber die Ausfuhr sehr stark gestiegen. So haben wir zum Beispiel bei den Seidenwaren seit 1909 eine erbeb liche Zunahme der Ausfuhr zu verzeichnen; dasselbe gilt von Baum⸗ wollenwaren, von der Maschinenindustrie, von feinen Lederwaren, von chemischen Erz⸗ugnissen, von der keramischen Industrie, von Musik⸗ instrumenten usw. (Der Redner führt zum Beweise der Zunahme der Ausfuhr eine große Anzahl von statistischen Belegen an). Wenn diese Zunahme der Ausfuhr nicht eine so starke wäre, so würde man sich in österreichischen Blättern nicht so sehr beklagen über den Duuck, den unsere Ausfuhr in Fertigfabrikaten nach Oester⸗ reich ausübt. Was die Frage der Umäaͤnderung der Warenwerte be⸗ trifft, so sind wir seit dem 1. Januar 1911 von dem frühere Schätzungsverfahren abgeagangen Wir stehen auf dem Standpunkt, daß die Angabe unserer Interessenten über den Wert der Ausfuhr eine richtigere ist als das frühere Schätzungsverfahren. Daß die Interessenten zu hohe Angaben machen, ist nicht zu befürchten, weil dieses zolltechnische Nachteile für sie hätte. Das Statistische Amt hat die Frage, ob das neue Verfahren eine allzustarke Steigerung der Werte berbeiführe, nach eirgehender Prüfung verneint. Unter der etzigen Zollpolitik hat sich auch die Bedeutung des inneren Marktes gehoben. Unsere Ausfuhr ist in den Artikeln, die ich angeführt habe, nicht bloß hinsichtlich ihrer Werte, sondern auch der Menge gestiegen. Es ist auch nicht richtig, daß der Verbrauch der Genußmittel nicht zugenommen habe, wie der Abg. Gothein behauptet hat. Daß die schlecte Ernte von 1911 auf die Ergebnisse der Viehzählung von 1912 maßgebend eingewirkt hak, kann nicht b⸗stritten werden.

Abg. Dr. Arendt (Rp.): Auch die heutige Rede des Abg.

Gothein hat trotz ihrer Länge nichts Neues gebracht; es war im wesentlichen die schöne, alie Rede, die er uns recht oft schon gehalten

at. Ich verstehe es ja vollkommen, daß er, die lente Säule der einstigen so stolzen Freihandelspartei, noch immer das Bedürfnis

hlt, deren Standpunkt zu vertreten; die letzte Säule, denn auch in einer Partei fängt die Erkenntnis zu dämmern an, daß es mit dem Schutzzoll nicht so schlimm ist. Einer der Kandidaten dieser Partei hat in einem württembergischen Wabhlkreise nicht mehr von Abbau, sondern von Aufrechterhaltung der Zölle gesprochen; vielleicht könnte also das Abbröckeln der Zölle später eintreten als das Abbröckeln der Fortschrittler zum Schutzzoll. Ich hatte neben dem Abg. Gothein in der Zolltarifkommission von 1902 zu sitzen den Vorzug; damals hat der Abg. Gothein wahre Schreckbilder vorgeführt von der Zu⸗ kunft, wenn dieser Zolltarif zustande käme, kein Handelsvertrag würde auf solcher Basis zustande kommen. Heute sprach der Abg. Gothein von dem großen Aufschwung unserer Ausfuhr seit 1907. Früher prophezeite man unserer Industrie den Ruin durch den Schutzzoll: welche Widerlegung hat diese Vorhersage durch die gestrige Rede des Staatssekretärs erfahren! Als Fürst Bismarck 50 Getreidezoll beantragte und der Reichstag 1 beschloß, wurde von den freihändlerischen Bamberger, Rickert, Richter usw. he⸗ hauptet, das Volk würde dann verhungern müssen. Die Tatsachen haben die Entscheidung gebracht und überzeugend gebracht. Sie (links) wagen es ja auch gar nicht mehr, die Beseitigung der Schutzzölle zu fordern, nur die Sozialdemokraten wollen das noch, die Fortschrittler wollen nur abbauen. Das Festhalten an unserer Zoll⸗ politik wird von der öffentlichen Meinung gefordert, weil diese Politik sich bewährt hat! Wenn sich die Abbaufläche des Getreides stark

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Auch wir sind damit einverstanden, daß die,

vermehrt und außerdem die Intensität, die Produktivität der Land wirtschaft außerordentlich gestiegen ist, ist auch eine Steigerung der Güterpreise naturnotwendig. Wenn der Ertrag eines Gutes um 100 % gestiegen ist, ist es doch mehr wert geworden. (Abg. Gothein: Dann brauchen Sie doch keine Zölle!) Aber Herr Gothein, dann wäre dech die Preoduktivität nicht gestiegen! Ipre Weisheit kommt mir immer so vor, als ob man eine melkende Kuh tötet in der Hoff⸗ nung, daß man dann umsonst dauernd Milch kriegt. Es gilt hier auch das Wort: hat der Bauer kein Geld, dann hat auch niemand im Lande Geld. Wenn die Bauern ihre Verkäufe einschränken müssen, weil sie nicht angemessene Preise erhalten, dann muß die gesamte Volkswirtschaft darunter leiden und für die Arbeiter gibt es dann nicht nur kein billiges Brot, sondern gar kein Brot, weil sie auch das billigste Brot nicht kaufen können. Die Lehre vom angemessenen Preise wird sich durchsetzen; der angemessene Preis ist aber nicht bloß nötig für den Mittelstand, sondern auch für den Landwirt und für jede industrielle Produktion. Wollen die Arbeiter ihren angemessenen Lohn finden, dann müssen sie auch bereit sein, angemessene Preise für die Arbeit anderer zu zahlen. Unsere Volkswirtschaft ist einheitlich, und es ist nicht möglich, daß ein Teil von ihr Opfer von dem anderen fordert; das Wohlergehen der Landwirt⸗ schaft ist also keine einseitige, sondern eine nationale Forderung. Das wichtigste Ergebnis der bishe igen Etatsberatung war die Er⸗ klärung des Staatssekretärs über unsere Handelsvertragspolitik. Der Abg. Gothein hat diese in seiner langen Rede sehr stiefmütterlich behandelt. Die Handelsverträge sind eine eigentümliche Sache Sie werden dadurch nicht günstig vorbereitet, wenn man den Schaden der Kornzölle für Deutschland behauptet und nachweist, daß man zu der Caprivischen Zeit besser daran war. Diese „rettende Tat“ hat aber die Interessen der deutschen Landwirtschaft nicht genügend wahr⸗ genommen, sie war einseitig. Sie hat die schwere und verhängnisvolle Notlage der Landwirtschaflt verschuldet. Wenn sie nicht ganz zu⸗ grunde ging, so lag das daran, weil die Schutzzollpolitik des Fürsten Bismarck einen derartigen Ausschwung geschaffen hatte, den die Caprivische Handelsvolitik nicht ganz abtöten konnte. Gegen⸗ über der Erklärung des Staatssekretärs meinen wir nur, ob es nötig war, daß wir das Ausland jetzt schon in unsere Karten sehen lassen. Bei den neuen Handelsverträgen sind auch Wünsche der Industrie zu erfüllen. Schon 1902 wurden in der Kommission Aenderungen am Zolltaref vorgeseben, die aber für das Plenum nicht mehr in Betracht kamen, weil der Zeolltarif en bloc angenommen wurde. (Zuruf des Abg. Dr. Müller⸗Meiningen.) Wir waren dazu durch den Wirer⸗ stand der Linken gezwungen. Zu begrüßen ist es, daß der Staats⸗ sekretär nachdrücklich den Standpunkt betont, unsere Wirtschafts⸗ politik müsse erbalten bleiben. Ebenso stimmen wir ihm zu, daß nach den großen sozialen Gesetzen der letzten Zeit jetzt eine Ruhepause eintreten muß. Es muß bei der Sozialpolitik auch die Leistungs⸗ fähigkeit der Unternehmer berücksichtigt werden. Arbeitgeber und Arbeitnehmer sind auf Gedeih und Verderb miteinander verbunden. Die Sozialdemokratie will hier aber einen Gegensatz schaffen und ihn immer mehr verschäcfen. Daß man das in Arbeiterkreisen erkennt, zeigt das Anwachsen der wirtschaftsfriedlichen Arbeiterbewegung. Sie stellt sich auf den allein richtigen Standpunkt, daß Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinsam das gemeinsame Unternehmen zu fördern haben. Ich möchte nur wünschen, daß zwischen den christlichen Ge⸗ werkschaften und den wirtschaftsfriedlichen Arbeitern bessere Beziehungen eintreten, als es jetzt der Fall ist. (Zuruf des Abg. Giesberts.) Sie winken zwar ab; Sie vergessen aber, daß beide gemeinschaft⸗ liche Gegner und gemeinschaftliche Grundlagen haben. Die R ichs⸗ versicherungsordnung ist das größte soziale Werk, dem das Ausland nichts an die Seite stellen kann. Es haben bei der Beratung eine Reihe von Kompromissen stattfinden müssen, die wir lieber vermieden hätten. So ist es vielleicht bald möglich, die Alters⸗ grenze auf 65 Jahre herabzusetzen. Der Abg. Gothein hat die Land⸗ krankenkassen besonders heftig angegriffen und die Ortskrankenkassen gelobt. Aber gerade über diefe sind in der letzten Zeit die schwersten Klagen erhoben worden. Ich erinnere nur an Schöneberg. Die Richte hatte gewünscht, die Dienstboten außerhalb der Krankenkassen zu persichern, weil sie ein nicht so großes Risiko wie die gewerblichen Arbeiter haben. ß

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Wir haben uns nur ungern dem Kompromiß gefügt. Wir meinten, daß die Gemeinden seibst erkennen, die Landkrankenkassen seien das beste für die Dienstboten. Das geschah bis auf die Reichs⸗ hauptstadt. Es ist für die Gesetzgebung wesentlich, daß die Leistungen des Gesetzes erfüllt werden, aber nicht das Wie. Man sollte da vielleicht durch genossenschaftliche Bildung den 'm Lebenskampf stehenden mittleren Klassen die Möglichkeit einer Erleichterung gewähren. Die Errichtung von Landkrankenkassen war schon deshalbd vielfach außerordentlich nützlich, um die Bureaukratie der Ortstrankenkassen einzuschränken. Es handelt sich hier auch uvm eine Mittelstandsfrage.

Die Aufrecht⸗ erhaltung eines lebenskräftigen Mittelstandes ist eine Forderung, die im Gesamtinteresse der anderen liegt. Der städtische Hauebesitz gehört auch zum Mittelstande: für ihn ist gesetzgeberisch nichts geschehen, man hat ihm nur neue Steuern auferlegt. Die Beseitigung der Wertzuwachssteuer, soweit das Reich in Betracht kam, war durch⸗ aus richtig. Leider wollen Bavern und Württemberg die Steuer weiter erheben. Es ist zu hoffen, daß die dortigen Volksvertretungen diesen Fiskalismus nicht mitmachen werden. Die wirtschaftliche Krise ist viel weniger scharf hervorgetreten als sonst. Ich führe das zurück auf unsere Wirtschartspolitik und auf unsere gute Ernte. Die eigerung des Zinsfußes ist ein typisches Beispiel für den Auf⸗ chwung unserer wirtschaftlichen Unternehmum en. Man braucht dazu Kopital, wendet sich an die Banken und der Diskont steigt. Das Sinken der Kurse der Staats⸗ und Reichsanleihen war eine natür⸗ liche Folge der internationalen Zinssteigerung. Wenn jetzt die Unternehmungslust nachläßt, so die Ursache der

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hört damit auch Zinssteigerung auf und es ist zu hoffen, daß wir in dieser Beziehung eine Besserung erleben. Die Reichsbank hat eine doppelte Aufgabe: unsere Valuta zu schützen und unsere Kreditverhältnisse zu ordnen. Es ist mir eine besondere Freude, festzustellen, daß wir heute den Reichsbankpräsidenten von Havenstein ge esen vor uns sehen. Er hat sich große Verdienste darum erworben, daß die Ver⸗ häaltnisse der Reichsbank sich verbessert haben. Ganz so glänzend ist allerdings das Bild nicht, wie es gestern der Staats⸗ sekretär entrollte. Die Steigerung des Goldvorrats der R ichs⸗ bank ist mitbewirkt durch die Vermehrung der kleinen Noten. Wir haben allen Grund, uns über den günstigen Stand der Reichs⸗ bank zu freuen. Hat man doch während der Zeit der kriegerischen Verwicklungen im Auslande auf einen Zusammenbruch der deutschen Finanzpolitik gerechnet. Diese Hoffnung ist zuschanden geworden. Allerdings, ein Diskont von 6 % beinahe ein Jahr lang ist etwas, was man kaum ertragen kann. Deshalb hätte die Reichsbank diese 6 % schon etwas früher aufheben sollen; es wäre vielleicht auch ge⸗ schehen, wenn der Reichsbankpräsident von Havenstein nicht krank ge⸗ wesen wäre. Es hätte im August geschehen sollen. Wir sind jetzt start genug, um uns nicht mehr in dieser Beziehung in das Schlepp⸗ tau Englands nehmen zu lassen. Ich hoffe, daß der Diskont in der nächsten Zeit nech weiter ermäßigt wird. Die Notensteuer ist eine lästige Fessel, sie muß beseitigt werden. Auch das Depositenwesen muß gründlich untersucht und gesetz ich geregelt werden. Erfreulich ist die Art, wie die preußische Staats⸗ regierung jetzt eine Anleihe aufzunehmen im Begriff ist. Wir haben wiederholt darauf hingewi⸗sen, daß gerade in der jetzigen

Zeit die Konsolform sich für Anleihen nicht empfi hlt, und daß man dem Publikum die Gewähr geben muß, daß es an den Konsols nichts verliert. Das ist nur möglich durch amortisable Papiere. Desbalb ist der Schritt der preußischen Regierung zu begrüßen. An⸗ gesichts der wirtschaftlichen Erschemungen der Gegenwart sind wir zu der Hoffnung, ja zu der Zuversicht berechtigt, daß unsere wirtschaft⸗ lichen und sozialen Zustände sich nicht im Rückaange befinden, fondern daß wir auf eine Besserung rechnen können. Die Voraussetzung dafür aber ist das Festhalten an unserer Wirtschafts⸗ und Handelsvolitik, an der nicht gerührt werden darf, wenn nicht der beisviellose Auf⸗ schwung, den Deutschland seit dem Beginn der Bismarckschen Politik des Schutzes der nationalen Arbeit genommen hat, aufs schwerste beeinträchtigt werden soll.

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Nach 6 ½¼ Uhr wird

8 die Fortsetzung der Beratung Tonnerstag 1 Uhr vertagt.

Haus der Abgeordneten. 8. Sitzung vom 21. Januar 1914, Vormittags 11 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)

Ueber den Beginn der Sitzung ist in der gestri

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Nummer d. Bl. berichtet worden. sig Das Haus setzt die zweite Beratung des Etats det landwirtschaftlichen Verwaltung bei dem Kapitel landwirtschaftlichen Lehranstalten fort. Zu diesem Kapitel liegt der Antrac

bender (Zentr.), Johanssen (freikons.), von Kessel (kon und Westermann inl.) vor:

die Regierung zu ersuchen, bei dem Reichskanzler dahin wirken, daß entsprechend der vom Reichatage angenommenen Reit lution vom 26. April 1913 möglichst bald dem Reichstage ein t⸗ Grundgedanken des Nahrungsmittelgesetz es sinngemäß nach gebilde Gesetzentwarf vorgelegt werde, welcher, dem Schutze der Landwin schaft ebenso wie demjenigen des reellen Handels Rechnung tragen geeignet erscheint zur Beseitigung der auf dem Gebiete d Handels mit Futtermitteln, Düngemitteln n; Sämereien herrschenden Mißstände.

Die Abgg. Dr. Porsch (Zentr.) und Genossen beantragen die Regierung zu ersuchen, möglichst bald ein großes umfassende Institut zur wissenschaftlichen Erforschung mtlichen auf milchwirtschaftlichem Gebiete auftretenden Fragen zu errichten.

8 Minister für Landwirtschaft, Domänen und Forsten Dr. Freiherr von Schorlemer:

Meine Verwaltung hat die Mißstände auf dem Gebiete z Handels mit Dünge⸗ und Futtermitteln und mit Säͤmereien söer seit Jahren anerkannt und ebenso auch das Bedürfnis, diesen Ni ständen abzuhelfen. Es hatten sich aber bei den bisherigen Va⸗ handlungen Schowierigkeiten dadurch ergeben, daß seitens des Handel bezüglich der in Aussicht genommenen gesetzlichen Regelung B⸗ denken erhoben wurden, deren Beseitigung zunächst noch nicht gelan Inzwischen ist sowohl in Kreisen des Handels wie auch in da Oeffentlichkeit, ich möchte sagen, ein Umschwung der Meinungen ei⸗ getreten; denn auch die Erfahrungen, die man inzwischen mit den Nahrungsmittelgesetz gemacht hat, lassen es erwünscht erschelnen, auz in diesem Gesetze schärfere Bestimmungen aufzunehmen und durch ein Ergänzung des Gesetzes auch bezüglich der Nahrungsmittel bo stimmte Eigenschaften festzulegen, ohne deren Vorhandensein de Verkauf unzulässig und strafbar ist. (Sehr richtig! rechts.) Dant würde in dem Nahrungsmittelgesetz, um zunächst dabei zu bleiben auch der jetzt erforderliche Tatbestand des Betruges, der Uebervan teilung, der Verfälschung und der Nachahmung nicht immer aus schlaggebend bleiben, und es würde möglich sein, auch dem jenigen zu bestrafen, welcher Nahrungsmittel in den Verkaf bringt, welche die gesetzlich vorgeschriebenen Eigenschaften vnict besitzen. In gleicher Weise haben der Herr Handelsminister un mein Ressort sich darüber geeinigt, dem Reichsamt des Innern Var⸗ schläge dahin zu machen, daß durch eine besondere Gesetzgebung de Handel mit Dünger, mit Sämereien und mit Futtermztteln in in Weise geregekt werde, daß objektiv die notwendigen und erforderlicha Eigenschaften für die einzelnen Verkaufsartikel im Gesetze festge werden und der Verkauf derjenigen Artikel, welche diesen Eigenschaste nicht entsprechen, an sich verboten und strafbar ist. Ich nehme a⸗ daß seitens der Reichsinstanzen keine weiteren Bedenken erhobe werden, und ich glaube deswegen die Hoffnung aussprechen zu könne, daß den Wünschen der Antragsteller auf eine gesetzliche Regelung de in Frage stehenden Handels stattgegeben werden kann. (Brapx. rechts und im Zentrum.)

Abg. Brors (entr.) bemerkt Auf dem in F kommenden

es gar Deutschen Reiches in

zu dem Antrag Faßbender⸗ Gebiete stehen Interessen zes ganzen Deutschen s Frage, namentlich unsen Landwirtschaft im Rheinlande ist durch die Verfälschung in gan enormer Weise geschädigt. Aus einer Uebersicht über die Jabhn 1906 bis 1912 ergibt sich, daß von den zur Untersuchung der Versuchs⸗ station eingesandten Proben nicht weniger als der siebente Teil dur Verfälschung als zu Futtermittelzwecken ungeeignet bezeichnet wurde Hauptsächlich wird der Kruziferensamen zur Verfälschung benutzt, de mamentlich für das Kleinvieh schädlich ist. Die Vermischung und Ner⸗ fälschung der Futtermittel schreitet im Rheinlande beständig fort. Vi⸗ Gerstenschrot hat sich über die Hälfte aller eingesandten Proben as verfälscht erwiesen. Um die Feststellung dieser Verfälschungen hat sic besonders Dr. Haberkorn, der Winterschuldirektor in Crefeld, verdient gemacht, der sich die Proben verschafft und der Versuchsstation in Bom eingesandt hat. Eine Genossenschaft im Landkreise Crefeld bezog den einer Firma „prima reines Leinmehl“, erhielt dafür aber Leinmehl mit Rizinus vermischt. Ein von dem Geschädigten angestrengter Proie schwebt beim Amtsgericht in Uerdingen schon seit 1910 bis auf der heutigen Tag, da die Firma jede Entschädigung abgelehnt hat. I einem anderen Falle war „prima reines Leinmehl“ mit 21 —% Krun⸗ ferensamen gemischt. Dieses Maß der Verfälschungen ist nur daduns möglich geworden, daß die Konsumenten gegenüber solchen Manipuls⸗ tionen ganz wehrlos sind. Wenn die Gesetzgebung in dieser Beziehum nicht bald reformiert wird, werden diese Fälschungen noch weiter umn sich greifen zum Schaden der Landwirtschaft. Die Staatsanwalr schaften lehnen heute alle Anträge auf Strafverfolgung von Händlem, die verfälschte oder verdorbene Futtermittel liefern, ab. Auch in zibl rechtlicher Beziehung versagt unsere Gesetzgebung. Die Vermehrum des Viehstandes und die Fleischversorgung erfordern gleichmäßig da Erlaß eines Reichsfuttermittelgesetzes.

. Abg. Dr. Becker (Zentr.): Der bestehende Rechtszustand genürt nicht, um die deutsche Landwirtschaft vor Nachteil zu beschützen. G ist eine empfindliche Lücke in unserer Gesetzgebung. Bei dem heutige Aufschwung der Landwirtschaft gehen die Aufwendungen für die Futter⸗ mittel in die Millionen, und dementsprechend groß sind die Verlut durch den Kauf schlechter Mittel. Die Zustände auf diesem Gebicte sind vielfach geradezu skandalös. Die Abwehr dieser Manipulationen ist sehr schwer; denn es muß der Nachweis geliefert werden, daß der Verkäaufer bewußt minderwertige Futtermittel geliefert hat, und diesen Nachweis ist meist nicht zu liefern. Deshalb muß auch die Fahrlässis⸗ keit unter Strafe gestellt werden. Nur so kann auch der kleine Land⸗ wirt vor Schaden Seha. werden. Wenn heutzutage der Händler s⸗ möglichst wenig um die Qualität seiner Waren kümmert, so kan ganz ungestört seinen Schwindelbetrieb fortführen. Di Regierung sollte möglichst bald im Bundesrat einen darauf bez

Gesetzentwurf einbringen.

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(Fortsetzung in der Zweiten Beilage.)

für sehr bedeutungsvoll und werden ihn daher unterstützen.

(Fortsetzung aus der Ersten Beilage.)

Abg. Dr. von Campe (nl.): Es ist bei uns immer noch nicht gestattet, daß diejenigen Tierärzte, die in der Schweiz die Würde eines Dr. med. vet. erworben haben, diesen Titel hier führen. Früher hieß es, bei uns gebe es den Titel nicht. Jetzt haben wir 8 den Titel, und nun wird als

Grund angegeben, daß der Titel „Dr. med. vet.“ ohne das Maturitäts⸗ examen erworben worden ist.

Wir haben aber selbst in Deutschland eine ganze Reihe von Immaturendoktoren. Ich will die akademische Bedeutung des Doktortitels gewiß nicht herabdrücken, aber es handelt sich hier gar nicht um eine prinzipielle Frage, sondern es handelt sich darum, einer gewissermaßen absterbenden Klasse etwas zu gewähren, was ihr nach Recht und Billigkeit zukommt. Man hat diesen Herren seinerzeit gesagt, sie könnten ja im Auslande den Doktortitel erwerben. Nachdem sie das unter Aufwendung von Kosten und Mühe getan haben, werden ihnen nun bei uns Schwierigkeiten gemacht. Der Landwirt⸗ schaftsminister hat sich ja in der Budgetkommission in dieser Frage unseren Wünschen gegenüber nicht ablehnend verhalten; da ist es ihm vielleicht nicht unerwünscht, wenn das Haus sich in demselben Sinne ausspricht; dann kann er im Staatsministerium dafür eintreten. In anderen Bundesstaaten steht man in dieser Frage auf einem anderen Standpunkte. Der berechtigten Unzufriedenheit in den beteiligten Kreisen sollte die preußische Staatsregierung entgegenkommen.

Präsident Dr. Graf von Schwerin⸗Löwitz macht darauf aufmerksam, daß die Ausführungen über diesen Punkt zum Kapitel „Tierärztliche Hochschulen“ gehören.

Abg. Dr. Wendlandt (nl.): Dem Antrage Faßbender stellen sich immerhin erhebliche Schwierigkeiten entgegen. Vor allen Dingen ist zu befürchten, daß der Landwirtschaft die Dinge, die sie braucht, sehr verteuert werden, und davor möchte ich doch dringend warnen.

Abg. Hofer (Soz.): Den Antrag Faßbender unterstützen wir gern; ich meine aber, die fiskalischen Kaliwerke könnten ihre Produkte auch billiger abgeben als jetzt, denn sie verdienen 100 *% bei der Abgabe an die Konsumenten.

Abg. Höveler (Zentr.): Viele Millionen gehen Jahr für Jahr für Produkte der Milchwirtschaft an das Ausland. Wenn wir die in⸗ ländische Milchwirtschaft durch Errichtung eines Instituts, wie es in dem Antrage Porsch vorgesehen ist, heben, so werden diese Summen dem Inlande erhalten bleiben. Wir beantragen daher, so bald wie möglich ein großes, umfassendes Institut zur wissenschaftlichen Er⸗ forschung sämtlicher auf milchwirtschaftlichem Gebiet auftretenden Fragen zu errichten.

Abg. Baerecke kkons.): Wenn irgendein Produkt der Förderung bedarf, so ist es die Milch. Daher begrüßen wir den Antrag Porsch auf das freudigste. Wir erwarten von der Schaffung dieser Zentral⸗ stelle eine wesentliche Hebung der gesamten Milchwirtschaft in unserem

Vaterlande. Wir bitten aber, daß nicht nur Laboratorien und Hör⸗

säle in dem Institut geschaffen werden, sondern daß damit auch eine Meierei verbunden ist. Ich beantrage, den Antrag Porsch an die Budgetkommission zu überweisen. Abg. Hoff (fortschr. Volksp.): Auch wir halten den Antrag Porsch Wir wollen es aber der Regierung überlassen, auf welchem Wege sie diese Frage praktisch löst. Ob sie eine Reichsanstalt oder eine Anstalt nur für Preußen errichtet, ist uns vorderhand gleichgültig. Allerdings geht der Wunsch der Landwirtschaftskammern dahin, eine Reichsanstalt zu errichten. Es wird von den Landwirtschaftskammern betont, daß ein Institut für physikalisch⸗technische Forschungen als Reichsanstalt bereits besteht, und daß es daher billig wäre, auch ein Institut zur Förderung der Landwirtschaft, insbesondere der Milchwirtschaft, im Reiche zu errichten.. Was für die Industrie recht ist, müßte auch für die Land⸗ wirtschaff billig sein. Jedenfalls geben wir dem Antrag Porsch unsere Zustimmung und hoffen, daß er dazu beitragen wird, diese wichtige Frage möglichst bald praktisch zu lösen.

Abg. Westermann (nl.) erklärt, daß seine Freunde mit dem Antrag einverstanden seien, und beantragt die Ueberweisung des An⸗ trages an die Agrarkommission.

Minister für Landwirtschaft, Domänen und Dr. Freiherr von Schorlemer:

Meine Herren! Es ist Ihnen ja wohl allen bekannt, daß die Frage der Errichtung eines milchwirtschaftlichen Zentralinstituts schon seit Jahren Gegenstand der Erörterung, insbesondere auch in den landwirtschaftlichen Körperschaften gewesen ist. Die Wünsche sind zunächst auf die Errichtung eines Reichsinstituts gegangen. Die Gründe, weswegen diesen Wünschen nicht stattgegeben worden ist, will sch hier nicht weiter erörtern. Aber auch aus den Ausführungen der Herren Vorredner geht m. E. zur Genüge hervor, daß der Ge⸗ danke der Errichtung eines solchen Instituts gewiß erwägenswert ist, daß aber der Ausführung auch in Preußen größere Schwierigkeiten entgegenstehen, als man allgemeln annehmen möchte. Ich darf darauf aufmerksam machen, daß gegenwärtig staatliche Institute für die Zwecke der Forschung auf milchwirtschaftlichem Gebiete nicht bestehen, dagegen eine⸗ ganze Reihe provinzieller Institute bei den einzelnen Landwirtschaftskammern. Alle diese Institute dienen der wissenschaft⸗ lichen Forschung mit mehr oder weniger Erfolg. Sie sind teilweise deswegen nicht genügend, weil ihre Leiter meistens auch anderweitig als Molkereiinstruktoren oder sonst in Anspruch genommen sind und so wissenschaftlich oder gründlich nicht arbeiten können, wie es an sich in einem Zentralinstitut möglich wäre. Aber ich muß dabei doch be⸗ merken, daß diese Institute jetzt ungefähr 109 000 an Staats⸗ zuschüssen beziehen, und daß es kaum möglich sein würde, neben der Unterstützung dieser Institute noch ein großes Zentralinstitut ins Leben zu rufen, ohne gleichzeitig die Staatszuschüsse bei einzelnen 4 28 .

Landwirtschaftskammern erheblich zu kürzen.

Meine Bestrebungen werden nun darauf gerichtet sein, zuerst nochmals mit den Leitern der Landwirtschaftskammern zu verhandeln und eine Zentralisterung der milchwirtschaftlichen Forschung anzu⸗ streben, sei es durch die Gründung eines einzigen großen Instituts oder dadurch, daß einzelne der vorhandenen Institute zu wirklichen Zentralinstituten ausgebaut werden. Ob das möglich ist, das müssen die weiteren Verhandlungen ergeben. Ein Zentralinstitut für ganz Preußen hat immerhin den Nachteil, daß es leicht Gefahr läuft, die lebendige Verbindung mit der Praxis zu verlieren, die den einzelnen mehr lokalen Instituten innewohnt! Und gewiß kommt es auf die Unterstützung durch die Praxis, auf die fortwährende Ver⸗ bindung mit der Praxis auf diesem Gebiete ganz besonders an!

Einer der Herren Vorredner hat schon hervorgehoben, daß man sich bei einem wissenschaftlichen Zentralinstitut nicht auf Forschungs⸗ räume beschränken könnte, sondern daß es auch notwendig sein würde, einen Stall mit Milchkühen einzurichten, um auf diese Weise die Forschung zu erleichtern und zu vertiefen. Das kostet natürlich sehr

Forsten

Zweite Beilage

zeiger und Königlich Preußischen Staatsan

Berlin, Donnerstag, den 22.

Januar

viel Geld, und es bedarf noch der Erwägung, wie den großen Ansprüchen an ein solches Institut Rechnung getragen werden kann. Jedenfalls dürfen Sie davon überzeugt sein: ich werde dies Angelegenheit im Auge behalten und sie so, wie es den Wünschen der Landwirtschaft entspricht, auch zu erledigen versuchen. (Bravo!)

„Der Antrag Porsch wird der Agrarkommission über⸗ wiesen, der Antrag Faßbender wird angenommen.

Bei den Ausgaben für die Le⸗ hranstalt für Obst⸗ und Gartenbau in Proskau und die Lehranstalt für Wein⸗, Obst⸗ und Gartenbau in Geisen⸗ heim bemerkt Abg. Dr. Dahlem (Gentr.): D Staate noch weiter verbreitet und nach Anleitung durch Sachver⸗ ständige gefördert werden. Bei dem Rückgang des Weinbaues, hervor⸗ gerufen durch die schlechten Ernten und die Rebschädlinge, muß der Obstbau häufig als Ersatz für den Weinbau dienen. Er muß des⸗ halb gefördert werden. Hier praktisch einzugreifen, ist die staatliche Anstalt in Geisenheim ganz besonders geeignet. Das muß selbstver⸗ ständlich mit der nötigen Energie und Stetigkeit geschehen. Der Minister muß die Anstalt anweisen, ihrerseits die Initiative zu er⸗ greifen. Die Unterweisung der Weinbauern durch die Herren in Geisenheim muß an Ort und Stelle geschehen. Die Kostenfrage spielt dabei gar keine Rolle. Viele Weinbauern sind in den letzten Jahren vollständig verarmt. Die Rheinschiffahrt ist durch die Rauch⸗ belästigung den Weinbergen sehr schädlich gewesen. Es ist anzu⸗ erkennen, daß sich jetzt die Rheinstrombauverwaltung bemüht, auf möglichste Abstellung dieses Uebelstandes hinzuwirken. Die Anstalt in Geisenheim wird von der Reblausforschung geflissentlich ferngehalten. Man muß aber den Herren dieser Anstalt Gelegenheit geben, ihre Theorien praktisch zu verwerten.

Zu dem Etattitel der Zuschüsse für ländliche Fort⸗ bildungsschulen liegt der Antrag des Abg. von Pappenheim k(kons.

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hvor: die Regierung zu ersuchen, dort, wo auf Antrag der Gemeinden religiöse Unterwei⸗ sung in den Lehrplan der Fortbildun gsschulen auf⸗ genommen wird, die Genehmigung des Lehrplans lediglich aus diesem Grunde nicht zu versagen.

Abg. Wolff⸗Lissa (fortschr. Volksp.): Es besteht eine erheb⸗ liche Disparität zwischen der Lage der ländlichen und der städtischen Fortbildungsschullehrer. Die ländlichen Fortbildungsschullehrer sind noch immer recht schlecht gestellt, und es ist an der Zeit, daß hier eine Besserung eintritt.

b Abg. von Pappenheim k(kons.): Bei den Beratungen über die Fortbildungsschulen im Jahre 1911 ergab sich ein sehr lebhafter prinzipieller Dissens zwischen uns und einer anderen großen Partei im Hause über die Aufgabe der Fortbildungsschulen. Diese Partei, das Zentrum, beantragte die obligatorische Einführung des Religions⸗ unterrichtes in den Fortbildungsschulen. Wir erklärten damals, daß wir diese Forderung auf keinen Fall unterstützen würden, wir wollten die Entscheidung über die Frage, ob Religionsunterricht in den Fort⸗ bildungsschulen einzuführen sei, den Trägern dieser Fortbildungs⸗ schulen, den Gemeinden, überlassen. Wir hielten es nicht für richtig, einen Zwang auf die Gemeinden auszuüben, wie wir überhaupt vor⸗ sichtig vermeiden, in die Entscheidung der Selbstverwaltungskörper ein⸗ zugreifen. (Zurufe links: Na, na!) Es ist mir ganz lieb, wenn Sie solche Zwischenrufe machen; ich erinnere Sie in dieser Beziehung an viele Fälle, in denen ich mich gerade mit Ihren Parteigenossen Schulter an Schulter bewagt habe. Ich habe seinerzeit besonders betont, daß wir wünschten, die Selbständigkeit nach ganz bestimmten und wichtigen Richtungen hin den Städten vorbehalten zu wissen. Ich erinnere Sie an die Verkehrsverhältnisse von Berlin, die damals er⸗ schwert wurden durch Verlängerung des Vertrages über die Straßen⸗ bahn; und die Vertreter von Berlin haben unsere Haltung auch an⸗ erkannt. Wir haben uns grundsätzlich auf den Standpunkt gestellt, daß wir entsprechend unserem Programm und der ganzen Geschichte unserer Partei gern bereit sind, den Religionsunterricht in den Fortbildungs⸗ schulen zu unterstützen und dahin zu wirken, daß der ganze Unterricht vom christlichen Geiste durchdrungen wird. Es ist keine Frage, daß wir hier durchaus konsequent und entsprechend der ganzen Entwicklung unserer Stellung in dieser Frage gehandelt haben. Seitens unserer Vertreter wurde damals der Antrag gestellt es handelte sich hierbei um das Gesetz über die obligatorischen Fortbildungsschulen, das aus uns nicht bekannten Gründen noch keine Gesetzeskraft erlangt hat —, hinzuzufügen: „Den staatlich anerkannten Religionsgesellschaften kann durch Beschluß des Schulvorstandes eine angemessene Zeit zur religiösen Unterweisung zur Verfügung gestellt werden; der Beschluß bedarf der Genehmigung der Aufsichtsbehörde.“ Nachdem der Handelsminister eine längere Diskussion über diesen Antrag mitangehört hatte, erklärte er, daß er nicht generelle Anordnungen geben weroe, daß die Auf⸗ sichtsbehörden die Genehmigung zu einem derartigen Beschlusfe ver⸗ sagen, sondern es werde sich lediglich um die Beurteilung der vor⸗ liegenden Verhältnisse von Fall zu Fall handeln. Wir waren damit durchaus zufrieden, und auch bei den gewerblichen Fortbildungsschulen haben wir den Standpunkt eingenommen, daß ein Zwang nicht aus⸗ geübt werden solle. Bei dem gewerblichen Fortbildungsschulgesetz

wurde der Lehrplan zum Gegenstand der Beratungen gemacht, bei dem

ländlichen wurde ausdrücklich davon Abstand genommen. Das hatte seinen guten Grund, denn die gewerbliche Fortbildungsschule ist eine obligatorische, während bei den ländlichen die Einführung eine fakul⸗ tative ist. Deshalb konnte bei den fakultativen Bestimmungen eine Festlegung des Lehrplans nicht erfolgen. Wir durften aber der An⸗ sicht sein, daß der Minister den Gemeinden bei der Beratung des Lehr⸗ planes keine Schwierigkeiten machen würde. Deshalb waren wir sehr überrascht über eine Mitteilung des Landwirtschaftsministers vom vorigen Jahre, die sich dann auch in die Tat umsetzte in den Aus⸗ führungsbestimmungen vom 16. August 1913. Es war nach unserer Auffassung keine glückliche Stunde, in der diese Ausführungsbestim⸗ mungen erlassen wurden. Beide Häuser des Landtages hatten mit überwiegender Majorität Resolutionen angenommen, die ausdrücklich im Widerspruch stehen mit dieser Verordnung. Es heißt in den Aus⸗ führungsbestimmungen: Bei den Einwirkungen der Schulaufsichts⸗ behörde auf den Lehrplan sei zu beachten, daß die Einführung von Religionsunterricht in den Lehrplan der ländlichen Fortbildungsschulen nicht zulässig ist, insbesondere sei es also auch nicht statthaft, daß eine derartige Einführung in dem Ortsstatut oder in den Beschlüssen der Kreisausschüsse über den Schulzwang vorgesehen werde. Die Resolution des Herrenhauses ist wörtlich hier im Abgeordneten⸗ haus angenommen worden. Darin heißt es, die sittliche Hebung der schulentlassenen ländlichen Jugend bedinge auch die religiöse Fort⸗ bildung; die Königliche Staatsregierung werde daher ersucht, die Er⸗ füllung dieser Aufgabe in einer entsprechenden Form zur Geltung zu bringen. Damals haben wir uns mit aller Bestimmtheit gegen die Wünsche und Forderungen des Zentrums auf Einführung des obliga⸗ torischen Religionsunterrichts gewandt. Aber mit derselben Be⸗ stimmtheit habe ich auch ausgesprochen, daß wir für die Grundlage der Fortbildungsschulen den Religionsunterricht ansehen müssen un daß wir erstreben müssen, daß die Gemeinden nach dieser Richtung hin ihren Schulplan ausdehnen. Ich habe auch dabei die Hoffnung aus gesprochen, daß nicht nur der Religionsunterricht, sondern der ganze

Unterricht in den Fortbildungsschulen von einem ernsten religiösen

Geiste getragen werden soll und daß dieser Geist die Grundlage der weiteren Entwicklung unserer Fortbildungsschulen sein soll. Wir stehen heute auf demselben Standpunkte und haben Ihnen deshalb zur Beschlußfassung eine Resolution vorgeschlagen, die in wünschens⸗ werter Klarheit die Ziele, die wir in dieser Frage erstreben, zum Ausdruck bringt. Nun hat der Landwirtschaftsminister gestern erklärt, er, wünsche keinen Zwang. Der Ausdruck Zwang kommt immer wieder, und ich möchte doch nun einmal klarstellen, ob in der von un erstrebten oder in der vom Minister gebilligten Ausführungsbestimmung der größte und intensivste Zwang ist. Ist denn der Zwang ent⸗ scheidender, der das Gewissen der Eltern, das Verantwortlichkeitsgefühl der Vertreter der Gemeinden erhalten soll, um die religiöse Ausbildung in den Fortbildungsschulen zu erreichen, ist dieser Zwang ein ein⸗ greifenderer und tieferer, oder der Zwang, der auf die vierzehnjährigen Kinder ausgeübt werden soll? Wir sind so reaktionär, daß wir die Wünsche und das Verantwortlichkeitsgefühl der Eltern höber setzen als die modernen Ansichten. Mit dem Landwirtschaftsminister haben wir das dringende Verlangen, die Fortbildungsschulen möglichst zu unterstützen, möglichst einzuführen und sie zu populären Institutionen zu machen. Wir hoffen, daß wir den Widerstand, den die Gemeinden uns wegen der Kosten entgegensetzen werden, überwinden. Bei der Ueberlastung der Gemeinden sind es ja Tropfen, die den Becher zum Ueberfließen bringen können. Jedenfalls werden wir bei allen Maß⸗ nahmen darauf achten, daß in die Selbstverwaltung der Gemeinden nicht eingegriffen und die freie Entschließung der Gemeinden nicht behindert wird. (Zuruf des Abg. Hoffman n, Soz.) Abg. Hoff⸗ mann, was Sie freie Entschließung nennen, deckt sich keineswegs mit dem, was wir unter freier Entschließung verstehen. Sie wollen nur die Freiheit für eine Entschließung, die in Ihrem Sinne ausfällt. Wir wollen jeden Eingriff in die Selbstverwaltung auf das scharfste zurückweisen. Durch die Entscheidung des Ministers wird unzweifel haft das Aufblühen der Fortbildungsschulen einen starken Rückschlag erhalten. Der Minister will zur Ausführung dieses Gesetzes bei den Pfarrern Hilfe erstreben. Ich glaube, diese Absicht des Ministers wird undurchführbar sein, wenn er den religiöbsen Unterricht als quantité négligeable ansieht. Der Landwirtschaftsminister glaubt mit dem fakultativen Religionsunterricht dasselbe Ziel zu erreichen, wie wir. Aber der Minister könnte zu uns, die wir mitten im Leben auf dem Lande und den Verhältnissen nahestehen, das Vertrauen haben, daß wir das Richtige beschließen werden. Wir meinen, daß die Zwecke des Schulunterrichts nur erreicht werden, wenn der Reli⸗ gionsunterricht ein integrierender Bestandteil des Lehrplans ist. Nur in Fällen, wo Bedenken bestehen, muß die Entscheidung bei der Auf⸗ sichtsbehörde bleiben. Es lassen sich überall Fälle konstruieren, wo Reibungen zwischen den Konfessionen bestehen und den Religionsunter⸗ richt im Lehrplan nicht als erwünscht erscheinen lassen. Wir wollen aber wegen dieser einzelnen Fälle nicht das Kind mit dem Bade aus⸗ schütten und den Religionsunterricht nicht ganz aus der Fortbildungs⸗ schule herauslassen. Das würde die Ziele, die wir mit der Fort⸗ bildungsschule im Interesse der Jugend erstreben, nicht nur er⸗ schweren, sondern überhaupt in Frage stellen. Deshalb bitte ich, unserer Resolution zuzustimmen.

Abg. Dr. Kaufmann (Zentr.): Nach wie vor steht unsere Fraktion auf dem Standpunkt, daß der Religionsunterricht obliga⸗ torischer Unterrichtsgegenstand in allen Fortbildungeschulen sein muß. In allen sonstigen Schulen ist dieser Unterricht integrierender Bestandteil des Lehrplans, in den letzten Jahren hat sich aber die Regierung zum ersten Male entschlossen, bei einer Schulform, den Fortbildungsschulen, davon abzusehen. Wir halten an dem obligatorischen Religionsunterricht fest und sehen diesen Antrag nur als minimale Abschlagszahlung an. Die Fortbildungs⸗ schule hat sich in zwei Formen entwickelt, die eine ist die allgemeine Fortbildungsschule als Fortsetzung der Volksschule, die andere diejenige, die für den Beruf vorbereitet. Gerade die allgemeine Fortbildungsschule hat den Religionsunterricht nötig. Die Fortbildungsschule muß sich die Fortbildung der konfessionellen religiösen Kenntnisse zur Aufgabe machen, wie das auch in der Resolution des Herrenhauses zum Ausdruck kommt. Die An⸗ weisung von 1913 bringt nichts Neues. Sie ist keine Antwort auf die Resolntion des Herrenbauses und die des Abgeordnetenhauses. Abg. von Pappenheim hat nicht gesagt, daß das Herrenhaus einen Zwang auf die Gemeinden ausgeübt haben wollte. Die Anordnung des Lehrplanes ist Sache der Schulaufsicht. De Schulaufsichts⸗ behörde darf nicht die Möglichkeit genommen werden, auf die Aufnahme des Religionesunterrichts in den Lehrplan der Fortbildungsschule hinzuwirken. Man will einen neuen obliga⸗ torischen Lehrgegenstand in den Fortbildungsschulen zur Einführung bringen: das Turnen. Der Religionsunterricht ist aber viel wichtiger als das Turnen. Deshalb müßte auch für ihn Zeit vorhanden sein. Man kann es der Geistlichkeit nicht zumuten, den Religionsunterricht in fakultativer Form zu erteilen, die ihn in den Augen der Leute herabsetzt. Es ist eine staatsrechtliche Frage, ob durch eine ministerielle Anweisung die Rechte der Schulaufsichtsbehörde beschränkt werden können. Die Fortbildungsschule will auch die Jugend bewahren vor politischen und sittlichen Gefahren, namentlich vor den Gefahren der Sozialdemokratie. Die Soialdemokratie benutzt aber gerade die Fortbildungsschule, um ihre Ideen in die Jugend hinein zu tragen. Die Einführung des obligatorischen Religionsunterrichts ist das beste Mittel, um den sozialdemokratischen Bestrebungen entgegenzuwirken. Die Sozialdemokratie weiß sehr wohl, daß durch die möglichste Be⸗ schränkung des Religionsunterrichts in den Fortbildungsschulen ihr Weizen blüht. Wir haben aber alle Veranlassung, die Autoritäten zu stützen, und wir haben die Aufgabe, weiten Kreisen klar zu machen, daß die Entwicklung der Fortbildungsschule einen unrichtigen Weg geht, der nicht zum Heile des Staates und des Christentums aus⸗ schlägt.

Minister für Landwirtschaft, Dr. Freiherr von Schorlemer:

Meine Herren! Ich möchte zunächst dem Herrn Vorredner er⸗ widern, daß ich in der Besprechung der uns gegenwärtig beschäfti⸗ genden Angelegenheit in der Sitzung vom 19. Januar 1914 nicht be⸗ hauptet habe, daß eine künstliche Erregung in die westliche Be⸗ völkerung hineingetragen worden wäre. Meine diesbezüglichen Worte lauten folgendermaßen:

Wenn den Gemeinden und der Schulaufsichtsbehörde das Weitere überlassen und nicht durch allgemeln bindende Beschlüsse von außer⸗ halb in die Verhandlung eingegriffen wäre, dann wären auch in Westfalen und in der Rheinprovinz sehr bald Verhältnisse ein⸗ getreten, die auch Sie vollkommen befriedigen würden.

Nachdem der Herr Vorredner auf diese meine Aeußerung zurück⸗ gegriffen hat, nehme ich keinen Anstand, zu erklären, daß ich diese Aeußerung mit Bezug auf bestimmte, mir bekannt gewordene Vor gänge gemacht habe, mit Bezugnahme darauf, daß bereits in verschiedenen Kreisen nach mir gewordenen Mittei⸗ lungen der Landräte die Ortsgeistlichkeit sich über die Einrichtung der Fortbildungsschule und die Erteilung des Religions unterrichts mit den Behörden verständigt hatte und ausdrücklich er⸗

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Domänen und Forsten

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