Arbeiten geschaffen ist, dann dürfen natürlich die beiden großen Orga⸗ nisationen des Handwerks nicht beeinträchtigt werden. Die geplante Handwerksausstellung muß auf das kräftigste gefördert werden. Auf ihr wird zu sehen sein, welche Stellung das Handwerk in der deutschen Volkswirtschaft einnimmt. Hoffentlich beteiligt sich auch die Industrie daran, insbesondere durch Beschickung von Maschinen, die das Hand⸗ werk gebraucht. Dem Unwesen der Schwindelausstellungen sollte energisch zu Leibe gegangen werden. An der Spitze einer jeden Aus⸗ stellung müßte immer eine verantwortliche Persönlichkeit stehen, und die Handwerks⸗ und Handelskammern müßten vorher gehört werden, ob ein Bedürfnis für eine derartige Ausstellung vorhanden ist. Ebenso follte die Verleihung von Auszeichnungen der Genehmigung der Lan⸗ desbehörden unterstehen. Das Baugewerbe hat eine Anzahl besonderer Wünsche. Das Gesetz zur Sicherung der Bauforderungen hat seinen Zweck nicht erfüllt. Es wird deshalb die Inkraftsetzung des zweiten Teiles dieses Gesetzes verlangt. Die Berufsgenossenschaften sollten ihre Gelder, soweit möglich, für die Besserung der Lage des Bau⸗ marktes zur Verfügung stellen. In diesem Sinne findet die Reso⸗ lutton des Abg. Dr. Spahn, daß die Rücklagen der Berufsgenossen⸗ schaften für den genossenschaftlichen Personalkredit, namentlich für das Handwerk und sonstige kleine Gewerbetreibende, flüssig gemacht werden, unsere volle Unterstützung. Bei der Unterstellung der Gewerbe unter die Unfallversicherung sollte mit einer größeren Vorsicht vorgegangen werden, als es bei den Behörden der Fall ist. Durch die Ausdehnung der Unfallversicherung auf gewisse gewerbliche Krankheiten, auf die Tuberkulose usw., kann eine große Belastung der kleinen Gewerbe⸗ treibenden herbeigeführt werden. Der Staatssekretär hat über ver⸗ schiedene Punkte Erhebungen versprochen. Dies gilt auch von den Beamtenkonsumvereinen. Der preußische Handelsminister hat in einem Erlaß darauf hingewiesen, daß man den Beamten ebensowenig wie anderen Personen verwehren könne, gemeinschaftlich Waren ein⸗ zukaufen. Das ist richtig. Aber es ist ein gewaltiger Unterschied, ob die Beamten Waren nur an ihre Mitglieder absetzen, oder ob sie einen geheimen Warenhandel betreiben. Die Gewerbetreibenden, die ihre Steuern bezahlen müssen, werden durch diesen geheimen Warenhandel auf das empfindlichste getroffen. Große Verstimmung hat es auch erregt, daß verschiedene Offizierskasinos einen Handel mit Wein an Nichtmitglieder betreiben. Das kann nicht so weitergehen. Wir boffen, daß auch die Regierung uns in der Förderung des Mittel⸗ standes zur Seite stehen wird. D
irektor im Reichsamt des Innern Dr. Caspar: In bezug Fortführung der Arbeiten der Sozialpolitik hat der Staats⸗ schon verschiedene Mitteilungen gemacht, und ich habe nur inige Einzelheiten dazu nachzutragen. Was die Herabsetzung Altersgrenze in der Invalidenversicherung vom 70. auf das 65. Le⸗ jahr betrifft, so ist im Einführungsgesetz zur Reichsversicherungs⸗ 1 orgesehen, daß bis Ende 1915 eine Denkschrift über diese Frage dem Reichstage zugehen muß, in der überhaupt die ganzen Vermögensverhältnisse der Versicherungsanstalten dargelegt werden. Nach einer Resolution des Reichstages sollen auch die Erfahrungen des Jahres 1913 mit berücksichtigt werden. Danach wird man erst 1915 in der Lage sein, zur Beurteilung dieser Frage das neue zu be⸗ rücksichtigende Material beizubringen. Die Vorarbeiten zur Einrich⸗ tung der Fachausschüsse für die Hausarbeiter sind bereits seit längerer Zeit im Gange. Die Verhältnisse liegen aber doch sehr schwierig; es müssen eingehende Untersuchungen durch die Landesbehörden ange⸗ stellt werden. Hoffentlich kommt es in absehbarer Zeit dazu, daß man wenigstens fü V
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für einige Industrien dem Bundesrat eine Vorlage wird machen können. Es ist gewünscht worden, daß die Gastwirtsverordnung, die sich jetzt nur auf die Kellner und das Küchenpersonal bezieht, revi⸗ diert werden möchte. Es handelt sich dabei namentlich um die Haus⸗ diener und um die sonstigen Hilfspersonen. Ein dahingehender Antrag
ist im vorigen Jahre vom Reichstag abgelehnt worden. Es ist zweifel⸗ haft, ob diese Personen überhaupt gewerblich beschäftigt sind. Jeden⸗ falls ist die Sache schwierig, und diese Schwierigkeiten können zurzeit nicht überwunden werden. Das Bedauern des Abg. Giesberts daß in bezug auf die Erweiterung des Schutzes der jugendlichen Arbeiter nicht weitergehende, internationale Bestimmungen getroffen sind, kann ich namentlich insoweit teilen, als bei uns solche Vorschriften bis zum vollendeten 16. Jahre bereits in weiterem Umfange bestehen, als bei der internationalen Vereinbarung hat in Aussicht genommen werden konnen. Die Schwierigkeiten auf diesem Gebiete waren so groß, daß es nicht möglich war, zu einer einheitlichen Stellung zu gelangen. Einige Staaten haben ja den Schutz der Jugendlichen bis zum 18. Jahre ausgedehnt. Es erschien uns aber zweifelhaft, ob nicht unser Schutz bis zum 16. Jahre richtiger und wirksamer war als der der anderen Staaten, bei denen eine Anzahl von Ausnahmen auch für die Jugendlichen unter 16 Jahren möglich ist. Unsere Delegierten mußten deshalb aussprechen, daß unser Schutz besser sei. Entgegen⸗ treten muß ich der Meinung des Abg. Schmidt⸗Berlin, daß ein völliger Stillstand auf dem Gebiet der Sozialpolitik eingetreten sei. Ich verweise auf die Tätigkeit der Behürden im ganzen Deutschen Reich r Durchführung der Arbeiterversicherung. Ebenso sind auf Grund der Gewerbeordnung im ganzen Deutschen Reiche zahlreiche Behörden ind Beamte jahraus jahrein für den Arbeiterschutz tätig. Ein großer Stab von Beamten hat eine fachliche Vorbildung und entwickelt eine lachdrückliche Tätigkeit, die sicher von keinem anderen Lande über⸗ troffen wird. Ebenso befaßt sich eine große Anzahl von Angestellten der Korporationen mit dem Arbeiterschutz. Daß die Zahl der Ver⸗ Erdnungen nicht mehr so groß ist wie früher, liegt in der Natur der Sache. Erst mußten die dringenden Verhältnisse geregelt werden, nsofern dies leicht durchführbar war. Jetzt sind wir im Stadium s weiteren Ausbaues. Der Abg. Schmidt hat sich darüber be⸗ schwert, daß dem Beirat für Arbeiterstatistik seit langer Zeit keine neuen Aufgaben zuteil geworden sind. Die Ueberweisung neuer Auf⸗ gaben wird fortwährend im Auge behalten. Es sind aber auf diesem Gebiet medizinische Untersuchungen notwendig, und deshalb ist es weckmäßig, diese Fragen in Verbindung mit dem Reichsgesundheits⸗ amt zu behandeln. Sollten sich weitere geeignete Aufgaben für Unter⸗ suchungen ergeben, so wird es dem Beirat an weiteren Aufgaben nicht fehlen. Die Erhebungen im Transportgewerbe zeigen, wie verschieden die Verhältnisse hier sind, und daß es nicht möglich ist, eine gleich⸗ mäßige Regelung für das ganze Reich ins Auge zu fassen. Es ist aber den Einzelstaaten auf Grund des § 120 G. O. möglich, etwaigen Mißständen entgegenzutreten. Aehnlich liegt es beim Fleischerei⸗ gewerbe. Da es nicht möglich ist, die Nachtruhe bei der Binnen⸗ schiffahrt für alle Ströme gleichmäßig zu regeln, so hat man versucht, für den Rhein diese Regelung für die Arbeitsdauer und Nachtarbeit herbeizuführen. Es wurde ein entsprechender Entwurf ausgearbeitet. Es ergaben sich aber nachträglich wieder Schwierigkeiten, die darin liegen, daß es sich um zahlreiche Uferstaaten handelt. Die Frage bleibt aber fortgesetzt in Fluß. In den Ziegeleien haben die Brenner leider vielfach noch eine 24stündige Wechselschicht; man hat noch keinen besseren Weg finden können. Immerhin handelt es sich nur um eine Arbeitsbereitschaft mit zahlreichen Ruhepausen. Für die Müllerei ist durch Vorschriften gesorgt; die Erhebungen sind noch nicht abge⸗ schlossen. Das Sortieren von Lumpen wird nur in einem Bezirk von der Heimarbeit betrieben. Den Bleierkrankungen wird dauernd die größte Aufmerksamkeit zugewendet. Die Schutzvorschriften (Rein⸗ lichkeit, Waschen der Hände und des Gesichts) werden streng durchge⸗ führt. Daß eine wesentliche Verstärkung des Arbeiterschutzes in der Ausführung der Zinkhüttenverordnung auf Wunsch der Arbeitgeber ge⸗ strichen ist, ist nicht richtig. Arbeitgebern und Arbeitnehmern erschien es förderlicher, daß der betreffende Unternehmer hafte, als wenn man ihm die Möglichkeit gibt, seine Verantwortung auf den Betriebs⸗ leiter abzuwälzen.
Abg. Bartschat sfortschr. Volksp.): Am 19. Januar hat der Abg. von Graefe es in dieser Debatte nicht unterlassen können, die konservative Wirtschaftspolitik zu preisen und sich auch an der Fort⸗ schrittlichen Volkspartei, besonders an den Ausführungen meines Freundes Doormann, ein wenig zu reiben. Insbesondere hat er über den reichsdeutschen Mittelstandevorein gesprochen. Die dg. .,n die er über das Handwerk und unsere ganze Mittelstandspolitik ge⸗ äußert hat, sind nicht zutreffend. Der reichsdeutsche Mittelstandsver⸗ band, also auch das in diesem zusammengeschlossene Handwerk,
hat sich vereinigt mit dem Verband Deutscher Industrieller und
mit dem Bund der Landwirte. Merkwürdigerweise will niemand der
Vater dieser Organisation sein. Ihr Ziel ist, das Handwerk leistungs⸗ Fäbig zu erhalten und die 2 3 e,
erh reise im Handwerk zu erhöhen. Aber die
die die Konservativen dabei spielen, kommt mir so vor, wie die Rolle des Pharisäers gegenüber dem Zöllner. Die Art und Weise, mit der die Konservativen ihre Mittelstandspolitik betreiben, ist jedoch nicht zum Nutzen, sondern zum Schaden des Handwerks. Ich kann Ihnen Proben beibringen, in welcher Weise Sie (zu den Kons.) mittel⸗ standsfreundlich sind. Da treiben Sie den Boykott genau so, wie er von anderer Seite ausgeübt wird. Sie schädigen die Geschäftsleute, die zum Mittelstand gehören, wenn diese nicht konservativ wählen. Der Bund der Landwirte leugnet, daß der Boykott offiziell betrieben wird; aber ich kann Ihnen das Gegenteil an verschiedenen Beispielen beweisen. In Pommern hat der Vorsitzende eines fortschrittlichen Vereins darüber Klage geführt, daß die Konservativen Geschäftsleute direkt schädigen, daß sie zum Boykott direkt auffordern. Das ist u. a. in Halle und Liegnitz der Fall gewesen. Dort hat ein Redakteur ein Verzeichnis von 61 Geschäftsleuten zusammengestellt, bei denen ge⸗ kauft werden soll; alle übrigen wurden boykottiert. Die konservative Presse hat nachträglich erklärt, sie stehe nicht an, jenes Vorgehen des Redakteurs als höchst dankenswert anzuerkennen. Nun kann man es den Handwerkern natürlich nicht verdenken, wenn sie sich zusammen⸗ schließen, um dadurch höhere Preise zu erzielen. Was ist aber in Niederschlesien geschehen? Dort haben sich die Sattler und Stell⸗ macher zusammengeschlossen. Aber es hat sich gezeigt, daß es gerade die Großgrundbesitzer sind, die sich nicht dazu verstehen wollen, höhere
Preise zu bezahlen. Im Kreise Schweidnitz hat ein Agrarier bei
Sattlerarbeiten sogar erklärt, er würde sich eigene Sattler und Stell⸗ macher halten und zum Boykott schreiten müssen, wenn die Preise höher würden. Als man ihm antwortete, es sei doch alles teurer ge⸗ worden, da ließ er das nicht gelten und sagte, er müßte⸗sich erst orien⸗ tieren. Als man ihm weiter sagte, daß namentlich Lebensmittel und Fleisch teurer geworden seien, erwiderte der Graf sogar: Kaufen Sie doch keins. So sieht Ihre Mittelstandspolitik aus. Es ist inter⸗ essant, die heutige Rede des Staatssekretärs über die Lage des Hand⸗ werks mit seinen früheren Ausführungen zu vergleichen. Im Jahre 1910 hat der Staatssekretär ziemlich dieselben Fragen behandelt wie heute, besonders die Frage der Abgrenzung von Industrie und Hand⸗ werk. Die Ansicht des Staatssekretärs scheint sich im Laufe der Zeit erheblich geändert zu haben. 1912 hat er erklärt, er wolle wenigstens versuchen, durch eine Konferenz die Frage der Abgrenzung von Fabrik und Handwerk zu lösen. Im März vorigen Jahres hat er die Ein⸗ berufung einer Kommission zur Untersuchung der Verhältnisse des Kleingewerbes angekündigt. Später verlautete aber, daß die Zu⸗ sammenberufung der Kommission nicht in Aussicht genommen sei, da die Erwägungen noch nicht abgeschlossen wären, und heute sagt der Staatssekretär, daß man sich auf Einzelheiten beschränken müsse. Der Staatssekretär sprach davon, daß er 10 000 Fragebogen an die Hand⸗ werker verschickt hätte. Das ist aber bei einer Zahl von über einer Million Gewerbetreibenden nicht viel. Ich erkenne die Schwierig⸗ keiten dieser Materie vollkommen an, aber ich glaube doch, daß etwas mehr Dampf gemacht werden müßte. Der Kostenpunkt darf dabei nicht ausschlaggebend sein. Auch im Bundesrat schweben über unsere Beschlüsse von früher fast immer noch Verhandlungen. In dieser Beziehung hat der Staatssekretär auch keine bestimmten Zusicherungen gemacht. Ich wünschte aber, daß das Reichsamt des Innern mehr als bisher bemüht sein möchte, den Wünschen der Handwerker mehr ent⸗ gegenzukommen. Der Staatssekretär hat bei der Regelung des Sub⸗ missionswesens auf die Verordnungen hingewiesen. Aber diese werden ja nirgends befolgt. Bei der Bewilligung der Wehrvorlage ist direkt versprochen worden, daß bei der Vergebung der Arbeiten das Handwerk mehr berücksichtigt werden sollte. Das ist aber bisher nicht geschehen. Der Ministerialdirektor Caspar hat bezüglich der Hauptstelle für das Verdingungswesen darauf hingewiesen, daß Erhebungen angestellt verden. Da kann es aber leicht geschehen, daß, bis diese Erhebungen zu Ende geführt sind, alle Arbeiten längst vergeben sind. Der einzig gangbare Weg ist eben die Schaffung einer gesetzlichen Regelung. Zu der betreffenden Kommission müßten Vertreter aller Handwerks⸗ organisationen, also auch des Handwerksausschusses des Hansabundes hinzugezogen werden. Wie die Dinge sich entwickelt haben, sieht es nicht aus, als ob der Wunsch des Staatssekretärs bezüglich der Handelsverträge in Erfüllung geht. Er würde gut tun, sich möglichst bald mit den wirtschaftlichen Organisationen in Verbindung zu setzen. Da auch das Handwerk daran sehr interessiert ist, so müßten auch seine Wünsche gehört werden. Ganz besonders wird es beklagt, daß im wirtschaftlichen Ausschuß das Handwerk so ungenügend vertreter ist. Ein dringendes Verlangen herrscht auf schnellste Beseitigung des Scheckstempels. Dieser belastet geradezu den Mittelstand. Bezüglich der Handwerksausstellung in Dresden kann ich mich nur den Aus⸗ führungen des Kollegen Chrysant anschließen. Bezüglich der Einführung es zweiten Teils des Gesetzes zur Sicherung der Bauforderungen scheint die Regierung noch unschlüssig zu sein. Die Handwerkskammer von Berlin hat inzwischen eine Auskunftsstelle für das Bauwesen er⸗ richtet, durch die man erfährt, welche Verluste das Handwerk gerade hier in letzter Zeit erlitten hat. Schwer geklagt wird auch in Hand⸗ werkskreisen über die Konkurrenz der Geschäftshäuser des Beamten⸗ vereins und des Vereins für Heer und Marine. Gerade der letztere liefert nicht nur an Mitglieder, sondern er übernimmt sogar die voll⸗ ständige Einkleidung von Einjährigen, sodaß den Uniformschneidern eine Konkurrenz unmöglich gemacht wird. Daß der Abg. Korell sich auf dem fortschrittlichen Parteitag in Mannheim für Heraufsetzung der Zölle ausgesprochen habe, ist nicht zutreffend.“ Der „Bund der Handwerker“, der auch an den Reichstag mit Petitionen herangetreten ist, ist nicht, wie man vermuten sollte, eine große Korporation, sondern nur ein Verein mit recht kleiner Mitgliederzahl. Von diesem „Bund“ will sowohl die Organisation des deutschen Handwerks, als auch die deutsche Mittelstandsvereinigung nichts wissen, und zwar deshalb, weil dieser „Bund“ nicht etwa Handwerksinteressen vertritt, sondern bloß eine besondere politische Organisation einer Partei auf der Rechten dieses Hauses ist. Der Vorsitzende dieses „Bundes“ übt seinen weit⸗ reichenden Einfluß oft geradezu zum Schaden des Handwerks aus, sodaß ihm die Handwerker mehr und mehr den Rücken kehren. Es ist jedenfalls bedauerlich, daß ein Mann, der an der Spitze einer, wenn auch kleinen, Handwerksorganisation steht, bemüht ist, das Handwerk irrezuführen. (Vizepräsident Dr. Paasche ersucht den Redner, bei der Sache zu bleiben.) Jedenfalls hat der Herr sich in dem Sinne bei den Handwerkern bemüht, daß nur Abgeordnete gewählt werden sollten, die das Programm des Bundes der Landwirte unter⸗ schreiben. Ueberall, wo Organisation herrscht, geht das Handwerk vorwärts; also sollen sich die Handwerker an die vorhandenen kräftigen Handwerksorganisationen anschließen.
Abg. Kurzawski (Pole): Ueber eine Million fremder Arbeiter, die sogenannten Sachsengänger, die die deutsche Ernte einheimsen, ge⸗ nießen in Deutschland keinerlei wirklichen Schutz vor Ausbeutung und Mißbräuchen; der Herr „Nationalismus“ hat in Deutschland zu hinter⸗ treiben gewußt, daß diese Rechtlosigkeit gesetzlich beseitigt wurde. Be⸗ reits früher hat der Abg. Behrens eine Denkschrift über die Ein⸗ wanderung dieser Arbeiter und ihren Einfluß in sittlicher und wirt⸗ schaftlicher Beziehung gefordert. Diese Denkschrift läßt bis zum heutigen Tage auf sich warten. s Fraktion
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Auch ein Antrag unserer vom März 1911 auf Vorlegung eines Gesetzentwurfs und eine spätere Resolution wurden angenommen; der Bundesrat hat bisher aber nur geantwortek, daß die Erhebungen noch nicht abgeschlossen seien. Die vorjährigen Ausführungen des Abg. Brandys in derselben Frage hat man noch nicht einmal einer Antwort gewürdigt. Trotz der Tätigkeit der Feldarbeiterzentrale und der beiden polnischen Sekretariate werden die Aermsten aller Armen von gewissenlosen Anwerbern, Vorarbeitern und Agenten verschachert und verkauft. Die Deutsche Feldarbeiter⸗ zentrale gibt sich zwar Mühe, bessere Verhältnisse herbeizuführen. Das ist ihr aber bis jetzt noch nicht gelungen, weil sie leider nicht mit den
rganisationen im Auslande im Einvernehmen steht. Die Stellung des Deulschen Reiches läßt ein Eingreifen der Reichsinstanzen als unbedingt notwendig erscheinen. Die beiden polnischen Sekretariate in Berlin und Leipzig werden in ihrer Tätigkeit von den Polizei⸗
organen gehindert, weil sie politisch verdächtig sein sollen. ermächtigt, von dieser Stelle die Erklärung abzugeben, daß die ber⸗ polnischen Sekretariate nichts mit Politik zu tun haben. Die g. polnische Tätigkeit der Hakatisten wird auch dadurch beleuchtet der Deutsche Ostmarkenverein im Jahre 1912 die Anstellung zin⸗ polnisch ö Priesters verhindert hat. Für uns unterli es keinem Zweifel, daß sich die Tätigkeit dieses Verii⸗ im ganzen Reiche auch gegen die katholische Kirche richte Trotz des hakatistischen Geschreis werden sich die beiden poln Sekretariate und die preußische Feldarbeiterzentrale aber nicht; abhalten lassen, die Pflicht der Nächstenliebe zu üben. Besond dringlich erscheint mir der Schutz der Arbeiter mit Bezug auf Arbeitsverhältnis. Es müssen auch Vorschriften erlassen werd bezug auf die Löhne und für die Sicherung des religiösen Bedür und Wahrung der Sittlichkeit. Hier werden die primitivsten schriften in sittlicher und hygienischer Beziehung außer acht ge Stallungen werden zu Wohnungen eingerichtet, in denen Männ Weiber nebeneinander schlafen. Zahlreich sind auch die Klage die Beköstigung und die Zubereitung der Speisen. Die Beha der Arbeiter spricht allem Hohn. (Der Redner verliest einen der „Welt am Montag“.) t Vizepräsident Dr. Paasche: Es geht zu weit, wenn solche einzelne Fälle vorbringen, die einzelne Staaten betreffen. dürfen nur allgemeine Fälle besprechen. . Abg. Kurzawski (fortfahrend): Dann will ich nur daß diese Leute ihr Recht nicht fanden, trotzdem sie geschlage beschimpft wurden. Es ist einer Nation wie der deutschen würdig, die Leute so zu behandeln. Die Arbeitsbedingungen ste hart. Himmelschreiend ist der Mangel an religiöser Versorgu Sachsengänger. Solange wir ausländische Arbeiter beschäftigen man verlangen, daß ihre Arbeitsverhältnisse durch ein besondere setz einheitlich für das ganze Reich geregelt werden. Als Muß könnte das dänische Gesetz genommen werden, das u. a. nicht Lohn, Ruhezeit, Arbeitsverhältnisse bestimmt, sondern auch A nungsbücher vorschlägt. Es ist bezeichnend, daß die auslänl Arbeiter bei uns in einem Ministerialerlaß gewissermaßen als ländische Landstreicher bezeichnet werden. Bezeichnend ist aber die Unempfindlichkeit der österreichischen Regierung gegenüber Beschimpfungen eines Teils ihrer Untertanen. Wir hoffen, bei Regelung dieser Frage die Unterstützung des Hauses zu finden wollen uns nicht trösten mit dem Sprichwort der alten R in magnis magna voluisse sat est, sondern wir wollen in magnis magna petisse sat est.
Um 714 Uhr vertagt das Haus die Weiterberatung Stag 1 Uhr.
Haus der Abgeordneten. 13. Sitzung vom 28. Januar 1914, Nachmittags 12 ½ Uhr (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)
Der Präsident Dr. Graf von Schwerin eröffnet Sitzung mit der Mitteilung, daß er Seiner Majestät Kaiser und König zu Allerhöchstdessen Geburtstag die Glüt wünsche des Hauses dargebracht hat, daß Seine Majesit diesen Glückwunsch entgegengenommen haben und dem Halte dafür Seinen Dank aussprechen lassen.
Dann wird die zweite Beratung des Etats der land⸗ wirtschaftlichen Verwaltung bei den einmaligen um außerordentlichen Ausgaben fortgesetzt.
Zur Förderung der nicht gewerbsmäßigen lanmd wirtschaftlichen Arbeitsvermittelung sind 45 000 % ausgeworfen.
Abg. Hofer (Soz.) weist unter großer Unruhe des Ha der nur Bruchstücke seiner Ausführungen auf der Beri tribüne verständlich werden, wiederholt unterbrochen von dem spruch der rechten Seite des Hauses, auf die Unzulänglichkeit di Arbeitsvermittlung hin und bemängelt namentlich die niedrigen Letn der Landarbeiter und die Wohnungen, die ihnen von den Gutsbesitzen geboten werden. Die Sozialdemokratie habe das Verdienst, an diesem Gebiete aufklärend und bessernd zu wirken. Der Redme führt dann weiter aus, daß es schwer sei für einen Landarbeiter, Ret⸗ zu finden. Dies rühre aber daher, daß eine Krähe der anderen nict die Augen aushacke. Es wird dann weiter auf die Zustände auf da Ebhardtschen Gütern hingewiesen. Dort würden die Arbeiter au behandelt und gut bezahlt, sodaß es keine Landflucht gebe. Auch! Gesiindeordnung werde dazu benutzt, die Landarbeiter in möglichst Abhängigkeit zu halten. Schlimm sei besonders die Lage der Frau der Landarbeiter, die neben der Berufsarbeit auch noch die Hausarbe zu verrichten hätten. Man könne es da niemandem übel nehmen, we er das Verlangen habe, in die Stadt zu ziehen. Gegen die aus dischen Arbeiter sei an sich nichts einzuwenden, doch würden sie nu benutzt, um die Löhne der hiesigen Arbeiter noch mehr drüc zu können.
Abg. von der Osten k(kons.): Hier ist soeben eine Anklagerde gegen die ländlichen Arbeitgeber gehalten worden. Der Vorred scheint wenig Kenntnis von den wirklichen Verhältnissen zu haben (Zuruf von den Sozialdemokraten: Arroganter Kerl!) 8
Präsident Dr. Graf von Schwerin: Ich weiß nicht, ver den Zwischenruf getan hat, vielleicht der Abg. Liebknecht (der A⸗. Ströbel meldet sich), dann rufe ich den Abg. Ströbel wegen dieses Ausdrucks zur Ordnung.
Abg. von der Osten ffortfahrend): Es zeigt sich, wohin 4 führt, wenn man einen ganzen großen Stand für Ausschreitungen ein⸗ zelner verantwortlich macht. Die Löhne der Landarbeiter haben s den letzten 20 Jahren um 200 bis 300 % erhöht, während eine raumes, in dem sich der Preisstand für landwirtschaftliche Produkte eren erniedrigt hat. Darauf können die ländlichen Arbeitgeber stolz se
unter diesen Umständen eine solche Lohnerhöhung bewilligen zu konnee
Der Vocredner hat auch die Wohnungsfrage behandelt. Gewiß, dn Anforderungen an die Wohnungen sind gestiegen: Wohnungen, d” früher vollkommen genügten, genügen heute nicht mehr, und es ist ds eifrige Bestreben nicht nur der Regierung, sondern auch der län
Arbeitgeber, der Wohnungsfrage fortdauernd ihr Augenmerk zung⸗ wenden. Niemand ist ernster und im tiefsten Herzen gründlicher davre⸗ überzeugt, wie wichtig die Frage der Wohnungen für die ländlich Arbeiter ist, als gerade der ländliche Arbeitgeber. Ich muß den Vo wurf auf das entschiedenste zurückweisen, als hätten die ländlichen dr⸗ beitgeber nur ihre Portemonnaieinteressen im Auge. In große Kreisen des ländlichen Grundbesitzes ist die Ueberzeugung verbreue daß der ländliche Grundbesitz ein soziales Amt ist. Die Sozialdene kratie benutzt ein so ernstes Problem, wie die Vermittlung der Ar⸗ beiter auf dem Lande, nicht dazu, um den Arbeitern zu helfen, sonden dazu, ihre politischen Ziele zu fördern. Das zeigt, daß die Scziunl demokratie durchaus mit Unrecht sich eine Arbeiterpartei nennt. T⸗ gegen protestieren wir. Wir sind am letzten Ende wenigstens ebeme gut eine Arbeiterpartei. Die Schwierigkeiten bei der ländlichen? beitervermittlung sind außerordentlich groß. Das Mittel des Zeitunge⸗ inserats ist verhältnismäßig teuer und dabei unpersönlich. Ich bitk⸗ den Minister, eine Statistik über die gewerbsmäßige Vermittlur⸗ von ländlichen Arbeitern zu veranstalten. Der Abg. Hirsch hat iis am vorigen Sonnabend zum Klassenstandpunkte bekannt. 89 er hinzugefügt, daß dieser Klassenstandpunkt nicht ausschließe, daß de Interessen der anderen Klassen auch gewahrt würden. Dann schelm er über die Ansichten, die sonst unter den Führern seiner Parsn herrschen, doch nicht sehr genau orientiert zu sein. So sagt 5.8 Kautsky: Nur innerhalb der Klasse kann bei dem Klassenkampf der einem sittlichen Gebot die Rede sein. Und an einer anderen Fieles
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(Fortsetzung in der Zweiten Beilage.) 8
vohl interessierten Männern geleitet werden, die nötige finanzielle
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Wo das Interesse seiner Klasse die Verletzung der sittlichen Gebote fordert, wird der Arbeiter sie verletzen. Wenn in einer Partei die Verletzung der sittlichen Gebote im Interesse des Klassenkampfes nicht nur entschuldigt, sondern geradezu gefordert wird, kann man wirklich nicht erwarten, daß die Interessen anderer Klassen unparteiisch gewahrt werden. Nicht die Kämpfe fördern die soziale Lage unseres Volkes, sondern das Bestreben, Harmonie herzustellen. Deshalb halten wir
nicht nur die Arbeitnehmerorganisation für unerwünscht, sondern auch die Organisation der Arbeitgeber. Wir wünschen unparteiische Are beitsnachweise auf kommungler Grundlage. Der preußische Verband der Arbeitsnachweise hat sich 1913 gebildet. Der Zweck des Ver⸗ bandes ist vornehmlich die Bildung eines Netzes gemeinnütziger Ar⸗ beitsnachweise, um unter Ausschluß der gewerbsmäßigen Arbeitsver⸗ mittlung den Bedarf an Arbeitern ausgleichend zu decken. Die ge⸗ meinnützigen Arbeitsnachweise haben bereits sehr segensreich gewirkt; im Jahre 1909 sind es bereits 61 132 Arbeiter gewesen, die durch diese Vermittlungsstellen Arbeit erhalten haben. Es ist auch ein Zweck der landlichen Arbeitsnachweise, die Abwanderung von ländlichen Arbeitern unter Ausgleichung des Arbeitsmarktes auf dem Lande zu verhindern. lur durch diese Arbeitsnachweise ist es möglich, die Interessen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer auszugleichen. Es sind Anzeichen dafür (vorhanden, daß, wenn diese Bestrebungen, die von für das Gemein⸗
dos
(Unterstützung des Staates erhalten, sie auch zum vollen Erfolge auf diesem Gebiete führen werden. Der Minister hat sich über diese Ar⸗ beitsnachweise etwas skeptisch geäußert. Es ist aber bereits jetzt ein erhebliches Anwachsen der ländlichen Arbeitsnachweise eingetreten. Auch in Bayern wird diese Frage jetzt mit staatlicher Unterstützung in Angriff genommen. Auch bei uns muß unter Wahrung des Ge⸗ dankens der Selbstverwaltung diese Sache durch Rat und auch durch fmanzielle Beihilfen gehegt und gepflegt werden. Mit dieser Frage steht die Beschäftigung der Arbeitslosen im Zusammenhang; sie ist aller⸗ ings nicht geeignet, die Frage der Arbeitslosenfürsorge zu lösen. Aber wenn es gelingt, auch nur einen Teil der Arbeitslosen nach dem Lande nwziehen, oder die Abwanderung vom Lande in die Städte hintanzu⸗ balten, wird dem Staate ein außerordentlicher Dienst erwiesen sein,
Prer erst in Zukunft einmal in seiner ganzen Wirkung zum Ausdruck kommen wird. Deshalb möge der Minister seine besondere Fürsorge auch diesem Gebiete zuwenden, und insbesondere dafür sorgen, daß die
etzten Mittel, wenn sie nicht mehr genügen, erhöht werden: er eauch die Frage prüfen, ob es nicht angezeigt ist, diesen Titel in
das Ordinarium zu übertragen, wie es bereits im Handelsetat ge⸗ Abg. von Oertzen (reikons.): Der Abg. Hofer bemängelt die lechten Wohnungen, die niedrigen Löhne, die lange Arbeitszeit und die schlechte Behandlung der Arbeiter auf dem Lande. Er befindet sich in allen Punkten in “ Irrtum. Nach meiner langjährigen ge⸗ nauen Kenntnis der Arbeiterverhältnisse überall auf dem Lande stehen e besten Wohnungen der Arbeiter in den großen Städten noch weit binter den schlechtesten Wohnungen der Arbeiter auf dem Lande zurück. Sie werden mir doch zugeben, daß in den Großstädten die meisten
Arbeiter in einem Zimmer wohnen, auf dem Lande aber wird man kaum inen Arbeiter bekommen, dem man nicht mehr Zimmer gibt. Der Arbeitgeber würde ja gegen sein eigenes Interesse handeln, wenn er keine guten Arbeiterwohnungen herstellt, denn er braucht die Arbeiter, und unzufriedene Arbeiter können ihm schweren Schaden an dem
enden und toten Inventar bereiten. Darum wird er immer bemüht sen, gute Arbeiter zu haben, und eben darum sind gute Wohnungen pten. (Zwischenruf des Abg. Dr. Liebknecht.) Sind Sie denn alein vernünftig? Gewiß gibt es auch manche unvernünftigen Leute. ie Sozialdemokraten vergleichen ferner immer die baren Löhne in der tadt mit den baren Löhnen auf dem Lande; wenn man aber die Naturalleistungen hinzurechnet, sind die Löhne auf dem Lande viel döber als in den Städten. (Zwischenruf bei den Sozialdemokraten:
Warum gehen sie denn fort?) Das will ich Ihnen sagen: die jungen Leute gehen vielfach vom Lande fort, weil sie glauben, daß die scheinbar
boben Löhne in der Stadt ihnen neben der Befriedigung der Lebens⸗ bedürfnisse auch noch Gelegenheit zum Vergnügen bieten. Vielfach haben mich Arbeiter, die in die Städte gezogen waren, gebeten, ich möchte ihnen wieder Gelegenheit verschaffen, aufs Land zu ziehen, weil sie sich da besser stehen. Auf dem Lande sind die Arbeiter unabhängig von der ganzen Preisbildung, sie bauen ihre Kartoffeln, ihren Kohl, haben ihr Schwein, ihre Milch, ihre Butter, das sind alles große Annehmlichkeiten, und der Löhne wegen gehen die Arbeiter nicht fort. Bei der Arbeitszeit ist doch ein großer Unterschied zwischen der länd⸗ lichen Arbeit und der Fabrikarbeit. Bei Schnee oder Regen, bei jedem Wetter kann der Arbeiter in der Fabrik sitzen; leider können wir aber Inpiter Pluvius nicht beeinflussen, daß er mit dem Regen so kommt, wie es den Leuten paßt. Gerade zur Erntezeit regnet es oft lange. Im Winter haben die ländlichen Arbeiter viel weniger Arbeit als die städtischen. Aber in der Erntezeit kann man die Arbeit nicht be⸗ schrüänken, bei gutem Erntewetter müssen die Leute arbeiten. Die Ar⸗ beiter selbst, die Anteil an der Ernte haben, wollen bei gutem Wetter so lange wie möglich arbeiten, damit die Ernte nach Hause kommt, und schließlich schlechte Behandlung läßt sich heute kein Arbeiter mehr gefallen. Im Gegenteil, besonders der kleine Besitzer hat vielfach unter den Arbeitern zu leiden. Selbstverständlich gibt es auch gute Arbeiter. Der Arbeitgeber würde ein Tor sein, wenn er sich mit seinen Arbeitern berumzankte; diese können ihm viel schaden. Die Arbeiter können dem
Arbeitgeber die teuren Maschinen oder das teure Material ruinieren oder Pferde und Vieh schädigen, ohne daß er es ihnen nachweisen kann. Es wäre also Unsinn, wenn der Arbeitgeber seine Leute schlecht behan⸗ delte. Die Sozialdemokraten kennen die Verhältnisse wirklich nicht genug, sie hören nur etwas von dem einen oder anderen unzufriedenen Arbeiter. Liebknecht hat hier neulich nur zwei Fälle von schlechter Behandlung ländlicher Arbeiter vorgebracht, aber behauptet, er hätte noch eine Unmenge Fälle zu Hause. Ich bin zu ihm gegangen, er hat mich in liebenswürdiger Weise empfangen, ich wollte sein Material einsehen,
aber er brachte mir nur gerade die beiden Fälle, die er hier schon be⸗
Hrochen hatte. Ich sagte ihm, es wäre doch bedauerlich, wenn er andere Parteien immer so heftig in Superlativen angriffe; darauf sagte er, das wäre nun einmal so, im politischen Leben müsse man das in Kauf nehmen. Seine Beweisführungen sind jedenfalls irrig gewesen. Gerade auf dem Lande wird jeder vernünftig denkende Besitzer alles daran setzen, seine Arbeitskräfte sich zu erhalten und dafür zu sorgen, daß sie gesund bleiben. In den Städten ist das ganz anders. Hier konnen die Arbeitgeber damit rechnen, daß sie bald wieder Ersatz be⸗ kommen. Wir haben das allergrößte Interesse an der Gesundheit der ländlichen Arbeiter. Ich muß dies hier sagen, damit die Uebertrei⸗ bungen und Irreführungen des sozialdemokratischen Redners nicht un⸗ widersprochen ins Land gehen. Wir können auf dem Lande nicht ohne Zuzug von ausländischen Arbeitern fertig werden. Aber die Zeit wird kommen, wo wir ausländische Arbeiter nicht mehr erhalten werden. Besonders ist zu befürchten, daß sich in nächster Zeit die russischen Verhältnisse ändern werden, und daß dann die russischer Arbeiter in ihrer Heimat bleiben. Der Minister hat zwar alle Be⸗ denken zerstreut, aber ich fürchte doch, daß uns eine Gefahr von Ruß⸗ kand her in dieser Beziehung droht. Die Eisenbahnlinien werden in Rußland vermehrt, und dazu werden die russischen Arbeiter gebraucht.
Es wird also bald die Zeit nahe sein, wo unsere Landwirtschaft wieder schr unter der Arbeiternot zu I den haben wird. Wir koönnen dieser
Zweite Beilage
29. Januar
Gefahr nur dadurch vorbeugen, daß wir die innere Kolonisation noch mehr als bisher fördern, und daß wir die Arbeiterwohnverhältnisse noch mehr ausgestalten. Darum bitte ich den Minister, möglichst hohe Mittel für die innere Kolonisation in dem Etat bereit zu stellen, damit die Frage der Leutenot auf dem Lande möglichst bald gelöst wird, ehe das Unglück kommt.
Abg. Hofer (Soz.): Ich habe hier nur Tatsachen gebracht, ich habe eine Tatsache an die andere gereiht. Es ist mir unbegreiflich, wie der Abg. von der Osten dies eine Hetzrede nennen kann. Wenn die Löhne auf dem Lande in der letzun Zeit um 100 bis 200 % ge⸗ stiegen sein sollen, dann müßten ja die Landarbeiter früber umsonst gearbeitet haben. Es ist auch unrichtig, daß die ländlichen Wohnungen besser seien als die städtischen. Dem widerspreche ich ganz entschieden. Gerade die ausländischen Arbeiter wohnen außerordentlich schlecht, und sie tragen dazu bei, daß die deutsche Arbeiterschaft keine besseren Wohnungsverhältnisse bekommt. b
Abg. Hirsch⸗Berlin (Soz.): Ich habe schon früher einmal nachgewiesen, daß Kautsky falsch zitiert worden ist. Auch dem Abg. von der Osten muß ich den Vorwurf machen, daß er nicht richtig zitiert hat. Er hat den Satz ausgelassen: Wer wollte etwa von den streikenden Arbeitern verlangen, daß sie den Kapitalisten Auskunft geben über den Bestand der Streikkasse? Wenn sie in dieser Be⸗ ziehung den Kapitalisten täuschen, so ist das berechtigt. Dieser Satz ändert den Sinn des Zitats vollkommen. Im übrigen handelt es sich nicht um Richtlinien für die Sozraldemokratie, sondern nur um eine theoretische Betrachtung über das Wesen des Klassenkampfes. Ich überlasse es dem Urteil des Hauses, ob hier die Wahrheitsliebe des Abg. von der Osten oder das Verständnis ihn verlassen hat.
Die Debatte schließt.
Die Ausgaben für die Förderung der nicht gewerbs⸗ mäßigen landwirtschaftlichen Arbeitsvermittlung und für die Durchführung einer kleineren Viehzählung werden bewilligt.
Persönlich bemerkt
Abg. Dr. Liebknecht (Soz.), daß seinerzeit vor zwei Jahren der Abg. von Oertzen sich nicht vorher bei ihm angemeldet habe, sodaß er nicht in der Lage gewesen sei, ihm das gewünschte Material vor⸗ zubereiten.
Bei dem Titel „Neubau des Landwirtschaftsministeriums“, 2. Rate, befürwortet
Abg. von Kessel (kons.) die Einrichtung einer Blumenanlage im Zusammenhange mit dem Neubau.
Der Titel wird bewilligt.
Bei den Ausgaben zur Einrichtung baumeisterstellen wünscht
Abg. Gerhardus (Zentr.) eine Besserstellung der Wiesen⸗ baumeister im Interesse einer Förderung und des Ausbaues des Meliorationswesens.
Bei den Ausgaben zur Förderung der Kultivierung der Niederungsmoore begrüßt
Abg. Tourneau (Zentr.) die hierfür ausgeworfenen 500 000 ℳ und bemerkt: Der Ertrag der Moore kann sehr gehoben werden. Der Kaiser hat selbst auf dem Krongut Schmolsin ein gutes Beispiel gegeben. Hoffentlich wird dieser Fonds nach Bedarf auch erhöht werden.
Der Titel wird bewilligt.
Bei dem Titel „Förderung der Land im Eichsfelde“ bespricht
Abg. von Strombeck (Zentr.) den zur Verfügung gestellten Fonds und die in Aussicht genommene Tätigkeit der zur Verwaltung eingesetzten Kommission. Eine möglichst weitgehende Heranziehung der landwirtschaftlichen Kreise zur Beratung dieser Kommission sei erwünscht. Er befragt den Minister über den Stand einzelner Projekte.
Ministerialdirektor Wesener: 600 000 ℳ sind zur Verfügung gestellt worden. Der Vorredner hat Vorschläge gemacht über die Verwendung und Verwaltung des Fonds. Der Landwirtschafts⸗ inspektor wird die Aufgabe haben, die laufenden Geschäfte zu führen und den Interessenten mit Rat zur Seite zu stehen. Es besteht die Absicht, unter Beteiligung der Landwirte der drei Kreise die Aus⸗ führung des ganzen Planes in die Wege zu leiten, und wir dürfen boffen, daß es auf diesem Wege gelingt, alle Beteiligten heranzuzichen, daß sie sich mit Lust und Liebe der Angelegenheit hingeben. Einzelne Projekte sind noch nicht fertiggestellt worden.
Abg. Tourneau (Zentr.): Ich begrüße es, daß auch die Land⸗ wirte der Kreise in diese Verwaltungsbehörde hineingezogen werden sollen. Die Meliorationen tragen dazu bei, den Rückgang der länd⸗ lichen Bevölkerung aufzuhalten. Wir haben noch nichts darüber ge⸗ hört, ob eine Versuchsstation für das Eichsfeld geplant ist. Das Eichsfeld hat unter Hochwasser immer wieder schwer zu leiden ge⸗ habt. Durch Erbauung einer Talsperre könnte da Abhilfe geschaffen werden.
Der Titel wird bewilligt. Als Beihilfen zu den Bewässerungsanlagen für die Obst⸗ grundstücke in Werder a. d. Havel sind 168 000 ℳ angefordert. Abg. Graue (fortschr. Volksp.): Ich möchte hierüber meine Befriedigung aussprechen und die Staatsregierung bitten, der Stadt Werder das Wohlwollen zu echalten. Wir müssen den Obstbau überall fördern, damit wir uns vom Auslande unabhängig machen. Die Bewohner von Werder haben gezeigt, wie weit man auf diesem Gebiete gelangen kann. Auch die Obstbauausstellungen dieses Jahres haben viel zur Hebung des Obstbaues beigetragen. Man hat Werdersches Obst sogar als französisches Obst verkauft. Die Herren sollten sich im Frühjahr selbst davon überzeugen, wie vorzüglich in Werder die Kulturen im Gange sind, wie dort die Bevölkerung von einem Areal von 6 Morgen noch nicht einmal besonders guten Bodens leben und sogar zu gewissem Wohlstande kommen kann.
Abg. von Oertzen (freikons.): Der Obstbau in Werder muß unterstützt werden, das geschieht am besten durch das zu bauende Wasserwerk. Die Stadt selbst übernimmt aus eigenen Mitteln 536 000 ℳ. Die Stadt wird unter dieser Anleihe schwer zu leiden haben. Ich möchte deshalb bitten, die Summe von 168 000 ℳ, die wirklich nicht groß ist, zu bewilligen. / .
Abg. Adolf Hoffmann (Soz.): Ich möchte den Land⸗ wirtschaftsminister bitten, auch dort, wo sozialdemokratische Ardeiter bemüht sind, Obstbau zu treiben, diese Leute zu unterstützen, wie das hier mit der Wasserleitung geschieht. .
Der Titel wird bewilligt.
Zur Beschaffung von Versuchseinrichtungen für die Land⸗ wirtschaftliche Hochschule in Berlin werden als erste Rate 200 000 ℳ angefordert. Diese Einrichtungen sollen auf einem forstfiskalischen Gelände in der Nähe des Hauptbahnhofes in Potsdam geschaffen werden, und zwar sollen zunächst ein Institut für Pflanzenbau und Pflanzenzüchtung und ein In⸗ stitut für allgemeine Vererbungslehre und Züchtungslehre er richtet werden.
Hierzu liegt der Antrag des Abg. Bethge⸗Schackens leben (kons.), der auch von freikonservativen, Zentrums⸗
von Kreiswiesen⸗
und Forstwirtschaft
und
zeiger und Königlich Preußischen
nationalliberalen Abgeordneten unterstützt ist, vor, die Re⸗ gierung zu ersuchen, behufs erweiterter Ausgestaltung de „Instituts für Allgemeine Vererbungslehre und Züchtungs⸗ lehre“ in den nächstjährigen Etat die nötigen Mittel ein⸗ zustellen.
. Abg. Bethge⸗Schackensleben (kons.): Die te d Pflanzenzucht sind nicht in der Hauptsache auf die Aera Capriv zurückzuführen, sondern darauf, daß man in den 80 er und 90 e Jahren Forschungen anstellte über die Ertragsfähigkeit des Bodens Auch die Fortschritte, die man in dem Zuckerrübenbau gemacht hat sind durch wissenschaftliche Forschungen begründet. Es ist zu begrüßen, daß die deutsche Landwirtschaftsgesellschaft sich ‚die Förderung der Pflanzenzucht so warm angelegen sein läßt. Da die anbaufähige Fläche sich in Deutschland mehr und mehr durch die Ausbreitung der Städte und die Ausdehnung der Industrie ver⸗ ringert, so muß der zur Verfügung stehende Boden so behandelt weroen, daß er möglichst ertragsfähig ist. Hier die Mittel und Wege zu finden, ist Aufgabe der Wissenschaft. Viel zu wenig Bedeutung wird noch immer der Vererbungs⸗ und Züchtungslehre in der Land⸗ wirtschaft beigemessen. Hier kann durch eine einzige Entdeckung dem ganzen Volke außerordentlich viel Nutzen gebracht werden. Wir begrüßen es, daß die landwirtschaftliche Verwaltung 75 000 ℳ fur das Institut für allgemeine Vererbungslehre und Züchtungslehre im Etat ausgeworfen hat. Aber wir halten diesen Betrag angesichts der Bedeutung, die dieses Institut zu beanspruchen hat, für viel zu gering und bitten den Minister, daß er in den nächst⸗ jährigen Etat höhere Mittel einstellt. Wir wünschen nicht, daß die Entwicklung dieses neuen Instituts durch Mangel an Mitteln gehemmt wird. Das Ausland ist uns in dieser Beziehung überlegen, und wir müssen so schnell wie möglich das Versaͤumte nachholen. Die Mittel, die hier angelegt werden, werden sich tausendfach verzinsen, und die Wohlfahrt des gesamten Volks wird dadurch sichergestellt werden.
Abg. Freiherr von Loe (Zentr.): Die Flächen, die der Land⸗
wirtschaft zur Verfügung stehen, werden von Jahr zu Jahr kleiner. Wir suchen ja hier durch die innere Kolonisation, insbesondere durch Kultivierung von Mooren und Oedländereien Abhilfe zu schaffen, aber das ist nicht das einzige Mittel, welches die Landwirtschaft fördern kann. Hier muß die Wissenschaft eingreifen, es ist deshalb zu be⸗ grüßen, daß die landwirtschaftliche Verwaltung dem Institut für all⸗ gemeine Vererbungslehre und Züchtungslehre ihr volles Interesse zu wendet. Aber die Mittel, die hierfür ausgeworfen sind, reichen nicht aus. Es scheint, daß das Ausland uns auf dem Gebiete des Pflanzen⸗ baues überholt hat, und da ist es Pflicht der Regierung, die Pflanzenzucht noch mehr als bisher zu fördern. Ich bitte den Minister, zu erwägen, ob es nicht möglich ist, im Osten ein ähnliches Institut zu errichten. Die Mittel, die hier aufgewendet werden, werden sich hoch verzinsen. Minister für Landwirtschaft, Domänen und Forsten Freiherr von Schorlemer: Meine Herren! Ich stehe den Anregungen der Herren Vorredner durchaus freundlich gegenüber, aber ich möchte, was die Bedürfnis⸗ frage angeht, doch darauf aufmerksam machen, daß wir in Preußen vielleicht anderen Ländern gegenüber den großen Vorzug haben, daß schon seit einer Reihe von Jahren tüchtige Männer in der Praxis sich mit den in Frage stehenden Forschungen eingehend befaßt haben. Was die Pflanzenkunde und Vererbungslehre angeht, so brauche ich nur an die Züchtungsresultate bekannter Landwirte, an die Namen von Lochow, Dippe, Cimbal, Arnim⸗Crieven, Rimpau, Beseler, Struve erinnern, um damit den Beweis zu liefern, daß wir es auf dem Gebiete der Pflanzenzucht zu einer Vollkommenheit gebracht haben, die auch im Auslande volle Anerkennung findet. Vielleicht ist das der Grund gewesen, weswegen die Staatsregierung wissenschaftlichen Lehrinstituten nicht die Aufmerksamkeit zugewandt hat, wie das in anderen Ländern schon früher der Fall war.
Ein Ersatz soll ja nunmehr geschaffen werden durch das Institut, welches an der Landwirtschaftlichen Hochschule Berlin errichtet werden soll. Schon länger ist in dem Kaiser Wilhelm⸗Institut in Bromberg ein besonderer Saatzuchtleiter angestellt, auch in Poppelsdorf ist schon eiu Institut für Pflanzenbau und Bodenkunde, das nur einiger Ausgestaltung bedarf, um ebenfalls die Aufgaben zu erfüllen, die dem Berliner Institut zugedacht sind. Mittel sind für Zwecke dieser Art, allerdings in der Regel für mehr praktische als wissenschaftliche Arbeit, seitens der landwirtschaftlichen Verwaltung auch in früheren Jahren schon ausgegeben worden. Der Fonds, der im Ordinarium ausgewiesen ist, im Kap. 107 Tit. 1, findet auch für die Zwecke der Pflanzen⸗ kunde und auch für Vererbungs⸗ und Züchtungslehre Verwendung. Man wird abwarten dürfen, ob es sich schon im nächsten Jahre als notwendig erweist, für dieses Institut größere Mittel in den Etat einzustellen: denn die Voraussetzung für eine gedeihliche Wirksamkeit dieses Instituts ist ja auch die Beschaffung der Versuchsfelder, die vielleicht im nächsten Jahre noch nicht so weit gediehen sind, um erhöhte Mittel beanspruchen zu können. Deshalb kann man sich ir landwirtschaftlichen Kreisen für den Augenblick mit der Zusicherung begnügen, daß wir der Ausbildung dieser Forschungswissenschaft unsere volle Aufmerksamkeit zuwenden, und auch bereit sind, sie nötigenfalls nit größeren Mitteln zu unterstützen. (Bravo!)
Der Antrag wird angenommen.
Der Rest des Etats der landwirtschaftlichen Verwaltung wird ohne Debatte bewilligt, ebenso der Etat des Landes⸗
wasseramtes, das auf Grund des am 1. April d. J. in
Die Fortschritte de
Dr.
Kraft tretenden Wassergesetzes errichtet wird.
Es folgt der Etat der Gestütverwaltung. Berichterstatter Abg. von Kessel (kons.) referiert kurz über die Kommissionsverhandlungen.
Abg. Dr. Becker (Zentr.): In der Vollblutzucht und Halbblut zucht haben wir in Preußen Fortschritte gemacht, unsere Remonten haben sich in Krieg und Frieden bewährt. Auch in der Kaltblutzucht sind wir vorwärts gekommen, sowohl qualitativ wie quantitativ. Unsere Pferdeeinfuhr ist zurückgegangen, unsere Pferdeausfuhr hat zugenommen, aber trotzdem ist es traurig, daß wir noch eine sehr große Menge von Pferden einführen müssen; 1912 haben wir für 44 Millionen Mark Vollblut und Halbblut und für 20 Millionen Mark Kaltblut eingeführt. Erfreulich ist es, daß die Gestüts verwaltung die Durchschnittspreise für Halbblut und Kaltblut von 4200 auf 5000 ℳ erhöht hat. Die Produktions⸗ kosten sind ja auch immer böher gestiegen. Die uns vorgelegte Ueber⸗ sicht über die Aus⸗ und Einrangierung von Hengsten in den Land⸗ gestüten ist leider nicht übersichtlich genug, sie läßt insbesondere nicht recht den Fortschritt der heimischen Pferdezucht erkennen. Nach der Schätzung Her on Podbielski gehen jährlich wenigstens
des H