1914 / 45 p. 6 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 21 Feb 1914 18:00:01 GMT) scan diff

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88 wird mit dem Antrag des Grafen von Behr an⸗ Antrag Mitzlaff wird abgelehnt.

esagt:

e kann nur verlangt werden, wenn Tatsachen vorliegen, nach denen zu besorgen ist, daß der Gegenstand wesentlich verschlechtert wird, oder daß er der inländischen Denkmalpflege oder Wissenschaft verloren geht.“

Herr Dr. von Dziembowski befürwortet einen Antrag, die Einleitung so zu fassen: „Die Ablieferung kann nur verlangt oder versagt werden, wenn“ usw.

Minister der geistlichen und. Unterrichtsangelegenheiten D. Dr. von Trott zu Solz:

Meine Herren! Der § 9 hat den Zweck, den Grundbesitzer zu schützen gegen die Entziehung von den hier in Frage kommenden Gegenständen in solchen Fällen, wo er selbst Interesse an diesen Gegenständen hat und sie selbst aufbewahren will. In einem solchen Falle soll nur dann die Entziehung des Gegenstandes zulässig sein, wenn Tatsachen vorliegen, nach denen zu besorgen ist, daß der Gegenstand wesentlich verschlechtert wird oder der inländischen Denkmalpflege oder Wissenschaft verloren geht. Wenn man dem Gedanken nachgehen will, den Herr von Dziembowski soeben hier erörtert hat, so würde ich glauben, daß ihm an einer anderen Stelle des Gesetzentwurfs Rech⸗ nung getragen werden müßte, denn er unterscheidet sich ganz wesentlich von dem von mir soeben stizzierten Zwecke des § 9. Herr von Dziem⸗ bowski will Sicherheit dagegen haben, daß nicht etwa eine ungeeignete Gemeinde von dem Ablieferungsrechte Gebrauch macht, den Gegen⸗ stand erhält und ihn dann verschlechtert oder nicht würdig aufbewahrt. Ich glaube, daß die Praxis kaum eine derartige Be⸗ stimmung nötig haben wird; handelt es sich um einen wirklich wertvollen Gegenstand und um solche kann es sich ja nur handeln, wenn das hier vorgesehene Verfahren angewendet werden soll dann werden mit der Gemeinde in Konkurrenz treten die anderen Körperschaften, Kreis, Provinz oder Staat, und da wird eben auch für den Provinzialrat, der dann unter diesen die Wahl zu treffen hat, mit maßgebend für seine Entscheidung sein, ob der betreffende Antragsteller die Garantien bietet, daß der Gegenstand in seinem Besitze vor Verschlechterung bewahrt ist. Ich meine, daß darin schon genügender Schutz liegt und daß wir einen anderen Schutz in dem Gesetz nicht brauchen. Ich glaube daher, daß dem Gedanken des Herrn von Dziembomski keine Folge gegeben zu werden braucht, und jedenfalls könnte es, wenn es geschehen follte, nicht hier bei dem § 9 geschehen, weil das sonst sehr leicht Verwirrung geben könnte.

Herr Dr. von Dziembowski zieht den Antrag zu § 9 zurück und behält sich vor, bei §. 12 darauf zurückzukommen.

§ 10 soll im ersten Satz nach dem Kommissionsantrag, wie folgt, gefaßt werden: „Die Ablieferung kann nicht mehr verlangt werden, wenn seit der Anzeige der Entdeckung drei

Monate oder, falls eine Verpflichtung zur Anzeige nicht besteht,

seit der Entdeckung 12 Monate verstrichen sind.“ Diese Fassung wird angenommen. Im zweiten Absatz

wird auf Antrag des Grafen von Behr folgende Fassung beschlossen:

„Der Eigentümer kann den Erwerbsberechtigten die Ab⸗ lieferung des Gegenstandes, unbeschadet der Entscheidung, ob der Gegenstand ablieferungspflichtig ist oder nicht, anbieten.“ 8

§ 12 lautet im ersten Absatz:

„Der Bezirksausschuß des Bezirks, in dem der Gegenstand ent⸗ deckt worden ist, beschließt auf Antrag eines Beteiligten, ob die Voraussetzungen der Ablieferungspflicht vorliegen. In Zweifelsfällen wird der zuständige Bezirtsausschuß durch den Minister der geist⸗ lichen und Unterrichtsangelegenheiten bestimmt.“

Hier beantragt Herr Dr. von Dziembowski, statt „Ablieferungspflicht“ zu sagen „Ablieferung“.

Minister der geistlichen und Unterrichtsangelegenheiten

Dr. von Trott zu Solz:

Ich glaube nicht, daß durch den Antrag, den Herr von Dziem⸗ bowski gestellt hat, der von ihm in diesem Antrag bezweckte Gedanke wirklich zum Ausdruck kommt. Nach dem Entwurf haben allgemein die Provinzen, Kreise und Gemeinden das Recht, von der Ablieferung Gebrauch zu machen. Der Bezirksausschuß hat darüber zu ent.

scheiden, ob die Voraussetzungen vorliegen, unter denen die Ab⸗

lieferung durch das Gesetz zugelassen ist. Dabei hat er aber nicht zu prüfen, ob nun die hetreffende Gemeinde geeignet ist. Denn die Gemeinden sollen, wie ich erwähnte, allgemein dieses Recht durch den Gesetzentwurf erhalten. Darauf erstreckt sich also das Befinden des Bezirksausschusses nicht. Dafür, daß nicht eine ungeeignete Ge⸗ meinde in einem solchen Falle auftritt, wird exentuell die kommunale Aufsichtsbehörde zu sorgen haben; denn die Gemeinde muß ja Mittel aufwenden, um den Gegenstand zu erwerben. Vor allen Dingen aber ist, wie ich vorhin schon erwähnte, eine Sicherheit gegeben in der Konkurrenz der anderen Verbände, Staat, Provinz und Kreis; andere Gemeinden werden ja nicht in Betracht kommen, da sich das Recht nur auf den Gemeindebezirk bezieht. Aber Kreis, Provinz und Staat würden in Konkurrenz treten können. Auf diese Weise wird verhindert werden, daß ein kulturwissenschaftlich wert⸗ voller Gegenstand in den Besitz einer Gemeinde gelangt, wo er nicht gut aufgehoben wäre. Daß aber eine sorgsamere Aufbewahrung von jeder Gemeinde zu geschehen hat, die einen solchen Gegenstand erwirbt, dafür hat die kommunale Aufsichtsbehörde zu sorgen. Ich glaube also, daß in der Tat ausreichende Kautelen gegen die befürchteten Nachteile gegeben sind, und daß es nicht nötig in, ist dem Gesetz noch weitere Vorsichtsmaßregeln nach dieser Richtung hin zu treffen.

Herr Dr. Freiherr von Rheinbaben: Unzuverlässigen Gemeinden würde nach meiner Ansicht nach der ganzen Tendenz des Kelches das Ablieferungsrecht überhaupt nicht zugestanden werden önnen.

Minister der geistlichen und Unterrichtsangelegenheiten D. Dr. von Trott zu Solz:

Ich kann mich leider nicht zu der Auffassung des Herrn Frei⸗ herrn von Rheinbaben bekehren. Ich muß an der vorhin von mir vertretenen festhalten. Es wäre doch wohl auch nicht möglich, daß man die Prüfung nach der Zuperläfsigkeit der Körperschaft, die eventuell diese Rechte erhalten soll, auf die Gemeinden beschränkt; man würde das dann ebensowohl ausdehnen müssen auf die Kreise und die Provinzen. Dazu dürfte aber doch gewiß kein Anlaß gegeben sein. Man wird ohne weiteres annehmen müssen, daß Provinzen und Kreise auf diesem Gebiete die erforderliche Garantie bieten. Aber es ist doch eine un⸗ bequeme Differenzierung, wenn man nun bezüglich der Gemeinden anders verfährt und dort unter Umständen eine Unzuverlässigkeit voraussetzt und dagegen Schutz sucht. Ich glaube, daß wir in der T ch unsere bestehenden übrigen Gesetze ausreichenden Schutz

haben, daß hier unerwünschte Erscheinungen nicht hervortreten. Darin stimme ich ja mit dem Herrn Antragsteller überein, daß es nicht erwünscht wäre, einer wirklich unzuverlässigen Gemeinde wertvolle Gegenstände im Wege des Zwanges in die Hände zu geben. Aber ist es denn wirklich zu befürchten, daß eine solche Gemeinde sich dazu entschließt, teure wertvolle Objekte zu kaufen, um sie aufzubewahren? Das ist kaum anzunehmen. Ich glaube also in der Tat, daß diese Befürchtungen nicht so schwerwiegend sind, um mit diesem Vorschlage einen neuen Gedanken in das Gesetz hineinzubringen, der sich in die ganze Konstruktion nicht recht einfügt und namentlich dem Gedanken widerspricht, daß wir uns nun doch einmal darüber schlüssig gemacht haben, den öffentlichen Korporationen dieses Recht einzuräumen; man sollte doch dieses Recht in dem Rahmen dieses Gesetzes nicht wieder auf solche Weise beschränken.

Dr. Johansen ⸗Crefeld: Auch durch die Annahmezdes An⸗ trages würde an der Sachlage nichts geändert.

§ 12 wird mit dem Antrage von Dziembowski an⸗ genommen, ebenso ohne Diskussion der Rest des Gesetzes und letzteres darauf bei der Gesamtabstimmung. Die sechs ein⸗ gegangenen Petitionen werden für erlediat erklärt.

In einmaliger Schlußberatung erledigt sodann das Haus noch die Gesetzentwürfe 1) über die Aenderung der Landesgrenze gegen das Königreich Bayern am Lochbach längs der preußischen Gemeinde Grumbach, Kreis St. Wendel, und der bayerischen Gemeinde Lauterecken, Bezirksamt Kusel (Referent Herr von Bruch⸗ hausen), 2) über die Aenderung der Landes⸗ grenze längs der Provinz Ostpreußen gegen das Kaiserreich Rußland vom Memelstrom bis zum Pissekfluß (eferent Herr Tortilowicz von Batocki, 3) über die Ausdehnung des Moorschutzgesetzes vom 4. März 1913 auf die Provinzen Pommern und Schleswig⸗Holstein (Referent Graf zu Rantzau), 4) über die Erweiterung des Stadtkreises Danzig (Referent Herr Dr. Rive) ohne Diskussion durch unveränderte Annahme.

Schluß nach 2 ½ Uhr. Nächste Sitzung Freitag, 27. Fe⸗

bruar, 1 Uhr. (Landesverwaltungsgesetz; kleinere Vorlagen.)

Haus der Abgeordneten. 32. Sitzung vom 20. Februar 1914, Vormittags 11 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)

Ueber den Beginn der Sitzung ist in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden.

Das Haus setzt die zweite Beratung des Etats des Ministeriums des Innern, und zwar zunächst die Be⸗ sprechung des Kapitels „Polizeiverwaltung in den Pro⸗ vinzen“ und der hierzu gestellten A nträge eines Antrags der Abgg. Graf von der Gröben und Genossen (kons.) auf Vorlegung eines Gesetzes, betreffend die Regelung der Stadtrezesse der neuvorpommerschen Städte, und eines Antrags der Abgg. Braun und Genossen (Soz.) auf Einleitung einer Untersuchung darüber, ob und in welchem Umfange auch bei anderen Polizeiverwaltungen ähnliche Mißbräuche bestehen wie in Cöln, und Mitteilung der da⸗ gegen etwa getroffenen Maßnahmen fort.

Abg. Korfanty (Pole): Es würe besser, wenn der Minister selbst hier sein und unsere Klagen anhören würde. Die Polizei in Mpslowitz hat ihre Pflicht und Schuldigkeit nicht voll und ganz erfüllt. Wie ist es möglich gewesen, daß der Lobelski jahrelang sein Treiben fortsetzen konnte? Er hat monatelang unter den Augen der Myslowitzer Polizei gewohnt. Er ist nicht einmal die 10 Minuten über die Grenze nach einem benachbarten österreichischen Ort gegangen, und die Polizei hatte von alledem keine Ahnung. Lobelski ist ein internationaler, hekannter Mensch, der sogar von Deutschland aus⸗ gewiesen worden ist. Aber die Polizei gibt sich ja mit solchen Kleinig⸗ keiten nicht ab. Der Polizeirat Meder ist an dem ganzen Treiben mitschuldig. Da hatte man wirklich den Bock zum Gärtner gemacht. Aber der Herr steht ja in hoher Gunst bei den Staatsbehörden. de. Peliirat ist, wie ich wiederhole, mitschuldig an dem Ver⸗ rechen.

Präsident Dr. Graf von Schwerin: Sie dürfen einen Polizeirat nicht als Verbrecher hinstellen; ich rufe Sie zur Ordnung.

Abg. Korfanty (Pole), fortfahrend: Es ist doch genug, wenn ein Polizeibeamter sich durch einen Gerichtsvorsitzenden sagen lassen muß, daß erst durch sein Gebaren der Mädchenhandel möglich geworden sei. Der Myslowitzer Mädchenhandel besteht schon seit Jahren, und das wußte die Polizei ebenfalls nicht. Sie hatte keine Ahnung davon, daß hier eine Reihe von verbrecherischen Taten ständig passiert. Der Polizeibeamte Halemba war den Mädchenhändlern unbequem, weil er den Lobelski in Oesterreich wegen Mädchenhandels zur Anzeige brachte. Er wurde deshalb ständig von diesen Leuten verfolgt und ist unter der Verfolgung fast zusammengebrochen. Er wurde später vom Polizeidienst enthoben. Halemba hat selbst ge⸗ äußert, daß ihm von einem Polizeibeamten mitgeteilt sei, daß er wegen seines Vorgehens in der Angelegenheit des Lobelski in den Magistratsdienst versetzt worden sei. Halemba war der einzige Beamte in Myslowitz, der hinter das Treiben der Mädchenhändler gekommen war. Halemba hat auch ausgesagt, daß, als Lobelski un⸗ schädlich gemacht werden sollte, Weichmann und Ballin herausge⸗ rechnet haben, daß dann die Hamburg⸗Amerika⸗Linie 1 Million Mark, die sie am Auswandererverkehr verdient, verlieren würde. Darauf habe Ballin sich an den Minister des Innern gewandt, und dieser habe die Aktion vereitelt. Ich habe das für unglaublich gehalten und den Minister des Innern gebeten, die Sache aufzuklären. Aber der Minister hat es bis jetzt nicht für nötig gehalten, diesen Gerüchten entgegenzutreten. Als Weichmann erfuhr, daß ein Zeuge bei der

olizei gegen ihn ausgesagt habe, instruierte er sieben Schwerver⸗ recher aus Russisch⸗Polen und schickte sie auf die Polizei, wo diese unter Eid gegen den betreffenden Zeugen Verleumdungen ausgesagt haben, um ihn zu diskreditieren. Es ist Weichmann auch gelungen, diesen Zeugen wirtschaftlich vollständig zu ruinieren. Der Unter⸗ bEö hat hier neulich gesagt, er kenne z. B. den Polizeirat

eder persönlich ich beneide ihn um diese Bekanntschaft nicht —, und darin liege eine gewisse Garantie für die Integrität dieses Be⸗ amten. Wie sieht der Unterstaatssekretär heule ausn Meder hat unter Eid zwar bestritten, von Lobelski Geschenke bekommen zu haben, aber er mußte schließlich doch zugeben, daß Weichmann ihm Ge⸗ schenke gegeben hat. Er hat gesagt, er sei mit Weichmann befreundet, und dieser habe ihm zur silbernen Heöcheit und zur Hochzeit seiner Tochter und ein anderes Mal zur 2 iederherstellung seiner Gesund⸗ heit namhafte Geschenke gemacht, alles aus purer reundschaft atsnlich Wenn alles im Polizeiressort rein wäre, so könnten der⸗ artige Dinge nicht vorkommen. Solche Giftpflanzen wachsen nur auf einem Boden, der entsprechend gedüngt und bearbeitet ist. Wir sehen ja, daß diese Giftpflanzen daa im Westen wuchern; in Berlin kommen dieselben Dinge vor. Es handelt sich nicht um Einzel⸗ fälle, sondern um ein System. Als anständige Menschen müssen Sie alle einstimmig für die Resolution der Sozialdemokraten stimmen, damit endlich einmal hinter diese Dinge geleuchtet wird⸗

Ministerialdirektor Dr. Freund: Gegenüber den Behaup⸗ tungen, daß Halemba ausgesagt habe, der Generaldirektor der Ham⸗ burg⸗Amerika⸗Linie habe auf den Minister des Innern dahin ein⸗

8-

dieser Beamten aufzubessern. 1 unabhängig gestellt werden; soweit er Die stwohnung hat, muß diese

gewirkt, daß Halemba aus dem Polizeidienft in den Magistratsdienst zurückgeführt werde, damit die ädchenhändler weiter freies Spiel hätten, muß ich erklären, daß der Generaldirektor der Hamburg⸗ Amerika⸗Linie mit dem Minister des Innern niemals in dieser An⸗ elegenheit irgendwelche Verbindung gehabt hat. Wenn hier das

Verlangen gestellt worden ist, daß wir jetzt sofort mit Suspension heamte vorgehen sollten, so 8

vom Amt und mit Bestrafungen gegen appelliere ich an alle gerechtdenkenden Herren in diesem Pause, zu bedenken, daß es durchaus unrichtig wäre, mit derartigen Maßregeln vorzugehen, ehe man auch nur die Akten eingesehen hat. Wir be⸗

halten uns vor, die Akten in dieser Angelegenheit einzufordern, und

versichern, daß überall, wo es notwendig erscheinen sollte, einge⸗ schritten werden wird. .

Abg. Dr. Flesch (fortschr. Volksp.): Die gestrige Rede des Abg. Heins beweist, wie tief innerhalb der parlamentarischen Rede⸗ freiheit das Niveau des Parlamentarismus herabgesetzt werden kann; sie hat in dieser Beziehung einen Rekord vollbracht, der sobald wohl nicht übertroffen werden kann. dem Redner parlamentarische Gastfreundschaft geboten hat, sich mit

ihm darüber auseinanderzusetzen, ob durch derartige Reden den Inter⸗

essen der Allgemeinheit und der Würde des Hauses gedient wird. Die Beleidigungen, die er gegen die jüdischen Mitbürger unseres Staates geschleudert hat, weisen wir mit Entschiedenheit und Ent⸗ rüstung zurück. Zu sachlichen Auseinandersetzungen bietet die Rede überhaupt keinen Anlaß. In dem Essener Fall ist festgestellt worden, daß der Polizeiassessor von dem Zechenverbande Geld angenommen hat, und er ist deshalb ja auch bestraft worden. Die Wohlfahrts⸗ polizei muß den Städten übertragen werden. Es geht nicht an, daß z. B. die Kinderfürsorge teils von der Polizei, teils von der Armen⸗ verwaltung ausgeübt wird.

Der Antrag Braun wird gegen die Stimmen der So⸗ zialdemokraten und Polen abgelehnt.

Der Antrag des Abg. Grafen von der Gröben wird angenommen. 3

Abg. Dr. Wendlandt inl.): In dem Berliner Einwohner⸗ meldeamt ist eine ganze Anzahl Herren im Alter von über 40 Jahren noch immer diätarisch beschäftigt. Ich bitte den Minister, daß er dafür sorgt, daß diese Herren nun endlich fest angestellt werden. Das liegt auch im Interesse des Staates, denn die Beamten sind die stärkste Stütze des Staates.

Das Kapitel der E““ in den Provinzen wird bewilligt, ebenso ohne Debatte das Kapitel der Zucht⸗ und Dressuranstalten für Polizeihunde bei Grünheide.

Zu dem Kapitel der Polizeidistriktskom⸗ missare in der Provinz Posen liegt ein Antrag der Abgg. Aronsohn sfortschr. Volksp.) und Genossen vor:

Die Regierung wird ersucht, eine Verstaatlichung der Bureaus

der Distriktsämter baldigst vorzunehmen.

Abg. Leinert (Sene; In dem Reichsvereinsgesetz ist aus⸗ drücklich erklärt, daß die hründung von Vereinen stempelfrei sei. Trotzdem ist von einem Distriktskommissar für die Gründung eines sozialdemokratischen Vereins eine Steuer erhoben worden. Auf die Beschwerde wurde dem betreffenden Verein mitgeteilt, daß die Grün⸗ dung eines Vereins allerdings steuerfrei sei, daß aber die Bescheinigung hierüber steuerpflichtig sei. Das widerspricht direkt dem Reichs⸗ vereinsgesetz. Ich bitte den Minister, dafür zu sorgen, daß auch die Erteilung der Bescheinigung über Vereinsgründungen steuerfrei bleibt.

Minister des Innern Dr. von Dallwi t Diese Sache ist eine Angelegenheit, die das Finanzressort angeht, und ich möchte deshalb anheimstellen, die Sache beim Finanzressort zur Sprache zu bringen. Im übrigen ist es dem Vereinsvorsitzenden nicht benommen, seinerseits Beschwerde einzulegen; dann erst wird wohl eine Stellungnahme der letzten Instanz ergehen können.

Abg. Kindler sfortschr. Volksp.): Die von uns beantragte

Verstaatlichung der Distriktsämter ist notwendig. Die Be⸗ amten der Distriktsämter werden sehr schlecht bezahlt. Es muß eine Dienstordnung aufgestellt werden, damit festgestellt wird, was von Amts wegen zu leisten ist und was Extraarbeit ist. Ich hoffe, daß unser Antrag vom Hause eingehend geprüft wird, und daß Sie ihm dann zustimmen werden. Die Distriktskommissare bekommen mit allen Nebeneinnahmen nicht mehr als 2200 ℳ. Auch die Ent⸗ schädigung für die Gespannhaltung ist viel zu gering. Andere Be⸗ amten werden ja höher für ihre Gespanne entschädigt. Da es sich im ganzen nur um 179 Beamte handelt, wären die Kosten für eine

bessere Entschädigung sehr wohl zu erschwingen. Ich hoffe also,

daß die Budgetkommission dem Antrage zustimmen wird. 8

Abg. Dr. Levy (nl.): Ich kann mich den Ausführungen des Vorredners durchaus anschließen und kann im Namen meiner poli⸗ tischen Freunde den Antrag auf Ueberweisung an die Budgetkom⸗ mission unterstützen.

Abg. Dr. Busse k(kons.) befürwortet in kurzen Worten di Ueberweisung des Antrages an die Budgetkommission.

Hierauf schließt die Besprechung; der Antrag Aronsoh wird der Budgetkommission überwiesen.

Bei dem Kapitel der Landgendarmerie bemerkl

Abg. Hammer (kons.): Es ist bedauerlich, daß die Ober wachtmeister nur der berittenen Gendarmerie und nicht auch de Fußgendarmerie entnommen werden. der Gendarme lassen noch viel zu wünschen viel sollen die Gendarmen auch Telephonanschluß bekommen allerdings muß auch in kleineren Pöstverwaltung so eingerichtet werden, daß die auch Anschluß bekommen können, wo es nötig ist. Die Erhöhung der Dienstaufwandsentschädigung von 192 auf 250 ist zu gering

Man hat außerdem gleichzeitig die Fahrradentschädigung von 100 auf Die Räder sind zwar billiger geworden, aber Die Gendarmen sollen militärisch straff gehalten die Distrikts⸗ Man sollte den

75 herabgesetzt. nicht besser. werden, aber in der Behandlung könnten offigtere doch etwas mehr entgegenkommen. Gendarmen mehr Freifahrkarten zur Verfügung

ihnen

stellen oder

wenigstens die Benutzung von Militärfahrkarten zugestehen. Auch

die 2 semontegelder der Gendarmen sind jetzt zu niedrig, nachdem

die Preise üranse der Heeresvermehrung in die Höhe gegangen sind.

Ein Hauptwunsch der Gendarmen, dessen Berechtigung auch von allen Seiten anerkannt worden ist, ist der nach einem dienst⸗ freien Tage in der Woche. Dieser nutzt ihnen aber nichts, wenn sie auf Reisen mit ihren Familien die Uniform tragen und Ehrenbezeigungen erweisen müssen. Es sollte deshalb den Gendarmen erlaubt sein, an dienstfreien Tagen Zivilkleidung anzulegen. Ebenso müßte man ihnen erlauben, wie das auch bei den Schutzleuten der Fall ist, während des Dienstes Lokale zu besuchen. Ich bin dem Minister dankbar dafür, daß er die Selbstladepistole an Stelle des schweren Armeerevolvers eingeführt hat. Ich war der erste, der diese Forderung, und zwar aus der Praxis heraus, erhoben hat. Den jetzigen Säbel halte ich für unpraktisch; er ist zu schwer und meist eine nutzlose Waffe. Die Gendarmen müßten einen Säbel bekommen, der dem Marine⸗ offizierssäbel ähnlich ist. Sc unterstütze auch die Forderung der be⸗ rittenen Gendarmen, den Säbel unterschnallen zu duͤrfen, das ist den Beamten bequemer und hindert sie auch nicht bei Ausübung ihres Amtes. Die Oberwachtmeister wünschen silberne Achselklappen und eine Uniform, die derjenigen der Kapellmeister nachgebildet ist. Hoffentlich kommt der Minister den Wünschen der Gendarmerie⸗ beamten nach.

Abg. H (freikons., Hosp): Wir können leider eine Reihe von Stellen für Gendarme nicht besetzen, weil nicht genug An⸗ wärter dafür vorhanden sind. Es wird notwendig sein, die Verhältnisse Der Gendarm muß in jeder Beziehung

8 h1“““

Wir überlassen es der Fraktion, die

Die Wohnungsverhältnisse übrig. Möglichst

Orten der Dienst von der Gendarmen

Dienstwohnung seinen Verhältnissen angemessen sein. Die Gendarmen begrüßen die Erhöhung ihrer Dienstaufwandsentschägtgung auf 250 mit großer Freude. Den alten Wunsch nach einem bequemeren Seitengewehr unterstütze auch ich. Es soll vorkommen, daß Vorgesetzte Wert darauf legen, von den Gendarmen eine bestimmte Anzahl von Anzeigen zu erhalten. Ich bin der Meinung, daß es weniger auf die Anzeigen ankommt, als darauf, daß die Beamten sonst in getigneter Weise ihre Dienstpflichten aus⸗ üben. Den berittenen Gendarmen sollten die Gehaltsabzüge bis zur Rückzahlung verzinst werden. Die Zwitterstellung, die die Gendarmen innerhalb des Beamtenkörpers einnehmen, müßte beseitigt werden. Der Wunsch nach Abschaffung der Arreststrafen wird vom ganzen Hause geteilt. Ich weiß ja, daß diesem Wunsche Schwierig⸗ teiten entgegenstehen mit Bezug auf die militärische Organisation der Landgendarmerie. Die Verhältnisse der Landgendarmerie liegen aber doch erheblich anders, als die des stehenden Heeres. Der Geist inner⸗ halb der Landgendarmerie ist zwar viel zu gesund, als daß die Dienst⸗ frendigkeit unter den jetzigen Verhältnissen leiden könnte; aber es ist doch notwendig, die Gendarmen so zu stellen, wie es unseren Zeit⸗ verhältnissen entspricht. 3

Abg. Delius (fortschr. Volksp.): Die in einer neuen Ver⸗ fügung festgesetzten Reisekosten und Tagegelder der Gendarmen sind nicht ausreichend; durch die anderweite Berechnung der Entfernungen kommt es vor, daß sie als Zeugen vor Gericht keine Entschädigung be⸗ kommen. Gendarmen, die vom Osten nach dem Westen versetzt sind, haben mir geklagt, daß sie trotz der Stellenzulage wegen der teureren Verhältnisse im Westen nicht auskommen können. Bei der Heranziehung zu Schießübungen mussen die Gendarmen für die Benutzung der Schieß⸗ stände aus ihrer TDienstaufwandsentschädigung Zahlung leisten; das ist eine Sache, die als eine dienstliche behandelt werden müßte, deren Kosten vom Staat zu tragen wären. Die Aufhebung der Arreststrafe ist auf jeden Fall erforderlich; für ganz geringe Vergehen bekommen die Gendarmen Arreststrafe. Ein alter Wunsch ist auch der, daß die Gendarmen im Dienste die Litewka tragen dürfen. Die Zwitter⸗ stellung der Gendarmen wird sich ja schwer beseitigen lassen, aber man könate in anderer Beziehung den Gendarmen Erleichterungen schafen. Warum soll der Gendarm immer in Uniform gehen müssen, auch wenn er in seinem Hause beschäftiat ist? Warum soll er nicht z. B. Schnürschuhe tragen dürfen? Warum soll er nicht in einem Kriegerverein sein dürfen?

Geheimer Oberregierungsrat Schneider: Die Vermehrung der Gendarmen kann nur nach Maßgabe des Bedürfnisses und unter Rücksichtnahme auf die Finanzlage erfolgen. Nach dem jetzigen Etat werden im ganzen über 4100 Gendarme eigene Wohnungen haben, sodaß von 5630 Gendarmen und Oberwachtmeistern im Dienst nur 1500 noch nicht mit Dienstwohnungen versehen sein werden. Was die Dienst⸗ aufwandsentschädigung betrifft, so wird allerdings der eine oder andere Gendarm, der einen ausgedehnten Stationsbezirk mit ungünstigen Verkehrsverhältnissen hat, recht sparsam sein müssen, um damit aus⸗ zukommen; es ist aber unmöglich, bei den 6000 Beamten für jeden einzelnen eine spezielle, gewissermaßen inditviduelle Fest⸗ setung der Dienstaufwandsgelder vorzunehmen, man muß viel⸗ mehr mit einem Durchschnitt operieren. Dieser Durchschnitt ist auf Grund der eigenen täglichen Anschreibungen der Ober⸗ wachtmeister und Gendarmen ermittelt und nach oben abgerundet worden. Dadurch ist schon eine erhebliche Verbesserung eingetreten. Die Differenz zwischen besonders ungünstigen und vorteilhaften Stellen wird ihren Ausgleich ohne weiteres beim Stellenwechsel finden. Die Herabsetzung der Fahrradgelder ist erfolgt, weil durch sehr günstige Leferungsverträge eine Herabsetzung der Fahrradpreise eingetreten ie Wir mußten dem Wunsche der Oberrechnungskammer Rechnung tragen, die auf das außerordentliche Ansteigen der Fahrradkonten hingewiesen hatte. Nach neueren Ermittlungen ist der jährliche Aufwand für das Fahrrad auf 75 festgestellt worden. Die Reisekosten⸗ und Lagegeldersätze beruhen auf dem vor zwei Jahren vom Hause be⸗ sclossenen Gesetz über die Reisekosten und Tagegelder der Beamten. Quch die Berechnung der Entfernungen von der Grenze des Dienst⸗ oltes ab werden die Gebühren der Gendarmen, wenn sie als Zeugen oder Sachverständige auftreten, nicht geändert. Die Kommandozulagen entsprechen den Bestimmungen über die Reisekosten und Aufenthalts⸗ entschädigungen für die anderen Beamten, außerdem werden in erheb⸗ lichem Umfange Zulagen zu den Kommandogeldern gegeben, wo damit nicht auszukommen ist. Für die Gewährung der Militärfahrkarten für Dienstreisen ist eine Aenderung infolge der Reform der Militäreisenbahnordnung in Aussicht genommen; das Ministerium des Innern kann nur deim Reichseisenbahnamt für die Wünsche der G ndarmen eintreten, hat aber keinen Einflouß auf den Zeitpunkt, in welchem diese Aenderung erfolgen wird. Für eine Erhohung der Remontegelder konnte nach den neueren Berechnungen der durch⸗ schnittlichen Pferdeankaufspreise ein Bedürfnis nicht anerkannt werden. Sollten die Pferdepreise weiter ansteigen, so werden wir wieder neue Ermittlungen anstellen. Die Arreststrafe kann für die militärisch organisierte Truppe der Gendarmen nicht entbehrt werden; eine Aenderung kann nur auf reichsgesetzlichem Wege erfolgen, da die Gendarmen unter dem Militärgesetz stehen. Für die Uniform ist jetzt ein Sommerrock gefunden worden, der als Ideal angesprochen werden kann. Er wird in diesem Sommer eingeführt werden.

Bei dem Kapitel der allgemeinen Ausgaben im Interesse der Polizei bemerkt

Abg. Paul Hoffmann (Soz.): Es werden immer wieder un⸗ moralische Mittel angewandt, um Leute zu verbrecherischen Hand⸗ lungen anzustiften. Jeder anständige Mensch rückt von dem Ge⸗ sindel ab, das aus dem Geheimfonds der Poltzei gespeist wird, nur nicht das Berliner Polizeipräsidium. Lauter lichtscheues Gesindel wird aus dem Geheimfonds gespeist. Ich erinnere nur an den russischen Juden, der im Dienste der Polizei stand und dem die Polizei einen falschen Paß ausgestellt hat. Das war eine behördliche Urkunden⸗ fälschung schlimmster Art. Schon früher hat der Abg. Leinert hier speztelle Fälle angeführt, wo Beamte der politischen Polizei auf ausdrückliche Anordnung Spitzeleien vorgenommen haben, aber eine ausreichende Antwort ist darauf nicht erfolgt. Auch der Abg. Pachnicke hat des öfteren auf das schmutzige Treiben der Polizeispitzel hingewiesen, ohne daß der Minister darauf erwidert hat. Es ist daher notwendig, immer und immer wieder das schmutzige Treiben der Polizeispitzel zu kennzeichnen. Ich erinnere hier an den berüchtigten Polizerspitzel Keiling, der wegen Kuppelei, Betrügerei und Mordes zu erheblichen Zuchthausstrafen verurteilt wurde.

Minister des Innern Dr. von D allwitz:

Meine Herren! Der Herr Abg. Hoffmann hat zwar keine Fälle aus der Vergangenheit angeführt, aber eine Anzahl Vorkommnisse und Fälle, über die er mir eine vorhergehende Benachrichtigung nicht hat zugehen lassen. Herr Abg. Hoffmann hat es versäumt, mir so recht⸗ zeitig Mitteilung von den Dingen, die er zur Sprache bringen wollte, z machen, daß ich in der Lage gewesen wäre, mich über den Sach⸗ verhalt zu informieren und heute meinerseits dazu Stellung zu nehmen.

Wie unzuverlässig derartige auf unkontrollierbare Nachrichten hin hier vorgebrachte Fälle vielfach zu sein pflegen, das ergibt sich daraus, er heute wieder von einem Mann namens Keiling, der in Desterreich verhaftet ist, gesprochen hat und behauptete, daß er ein Polizeisp itzel gewesen sei. Ich habe inzwischen, weil, wie ich glaube,⸗ der andere Herr Hoffmann kürzlich schon einmal den Namen genannt hat, den Sachverhalt feststellen lassen, und erfahren, daß dle Polizei mit dem Mann in keiner Weise etwas zu tun gehabt hat. Der Mann, der hier be⸗ streft worden ist und die Strafe verbüßt hat damtt hat die Polizei nichts zu tun —, vermittelte Arbeitswillige und ist mit einem Trans⸗ vort Arbeitswilliger nach Oesterreich gegangen. Dort ist er von Streikenden überfallen, er hat sich zur Wehr gesetzt und mit seinem Revolver einen Streikenden verletzt oder erschossen. Jedenfalls ist er

dann wegen dieser Straftat in Oesterreich verhaftet worden. Etwas

weiteres ist der Polizei über Keiling nicht bekannt.

Ferner hat der Abg. Hoffmann erwähnt, daß eine Bespitzelung von Gastwirten stattgefunden hätte, und neulich ist gesagt worden, ich hätte auf eine dahin gehende Anfrage des Abg. Dr. Pachnicke nichts erwidert. Ich kann demgegenüber feststellen, daß ich auf die Anfrage des Abg. Pachnicke damals hier im Plenum einen Erlaß vorgelefsen habe, in dem ich infolge eines Antrages des Vereins Berliner Gastwirte bereits im April vorigen Jahres die Provinzialbehörden ersucht habe, die Beamten der Polizei⸗ verwaltungen darauf hinzuweisen, daß es unter allen Umständen unzulässig sei, wenn sie selbst oder durch Dritte, sei es gegen Entgelt oder ohne Entgelt Personen zur Begehung strafbarer Handlungen zu veranlassen suchen, um dadurch einen bestehenden Verdacht bestätigt zu erhalten. Also, meine Herren, auch das ist unrichtig, daß ich Herrn Abg. Dr. Pachnicke keine Antwort erteilt hätte.

Schließlich aber, meine Herren, kommt es doch darauf an, daß wir wie jeder andere größere Staat gar nicht in der Lage sind, eine polttische Geheimpolizei zu entbehren, solange Einzelpersonen oder organisierte Personenmehrheiten im In⸗ und Auslande verbrecherische oder anarchistische Taten planen und Unternehmungen dieser Art gegen uns begehen. (Sehr richtig!) Meine Herren, auch sonstige staats⸗ feindliche Bestrebungen werden von Einzelpersonen und Personen⸗ mehrheiten unterstützt, und da ist es uns wie jedem anderen Groß⸗ staate unmöglich, ohne solche Agenten auszukommen. Aus diesen Gründen bitte ich, den hier beantragten Betrag zu bewilligen. (Bravo!)

Abg. Adolf Hoffman n (Soz.): Die Leute werden erst von den Polizeispitzeln zu verbrecherischen und anarchistischen Taten an⸗ gestiftet. Die Spitzel werden von der Polizei bezahlt, und sie sollen etwas dafür leisten. Da sie nun nichts finden, so müssen sie eben etwas erfinden. Es ist nicht wahr, daß Keiling in keiner Beziehung zu der Polizei stand. Es ist in Gerichtsakten festgestellt, daß er Polizeiagent gewesen war. Er hat sich sogar damit gerühmt und ge⸗ sagt, er habe schon wiederholt Leute niedergeschossen, ihm könne aber weiter nichts passieren.

Abg. Hirsch⸗Berlin (Soz.): Die Ergebnisse der Fürsorge⸗ erziehung sind sehr viel schlechter, als die Berichte vermuten lassen. Ein Richter bat sogar selbst einmal gesagt, die Erfolge seien recht dürftig; da ist aber sofort eine Verfügung von oben gekommen, daß man eine solche Kritik unterlassen solle. Die Fürsorgeerziehung bezweckt in erster Linie nur, den Trotz und den Willen der Zöglinge zu brechen. Es wird das Gegenteil von Arbeitsfteudigkeit erzielt, das haben Personen gesagt, die im vorigen Jahre auf Einladung der Deutschen Zentrale für Jugendfürsorge eine Erziehungsanstalt besichtigt haben. Diese Anstalten sollen die Kinder erziehen, sie dürfen keine Straf⸗ anstalten sein. Die Kinder müssen nicht nur geistig, sondern auch körperlich erzogen werden. Es ist nichts Seltenes, daß entlaufene Für⸗ sorgezöglinge Verbrechen begehen, um ins Gefängnis zu kommen, weil sie in die Anstalt nicht wieder zurück wollen. Die Prügelstrafe ist dort gang und gäbe. Die Vorsteher sollen keine Zuchthausvorsteher sein, sondern einfache Anstaltsdirektoren. Die Arreststrafe muß gleich⸗ falls abgeschafft werden. Arreststrafen werden verhängt bis zu einem Zeitraume von 14 Tagen. Das sind Zustände, die auf die Dauer un⸗ haltbar sind, an deren Beseitigung jedermann ein Interesse haben sollte. Die Arrestzellen sind zum Teil die reinen Zuchthauszellen, die Fenster Zuchthausfenster, im ganzen Raum ist häufig nur ein Quadratmeter Bewegungsfretheit. Die ärztliche Behandlung erkrankter Fürsorge⸗ zöglinge läßt außerordentlich zu wünschen übrig. Gewöhnlich sind die sozialen Verhältnisse der Eltern die Ursache davon, daß die Kinder ver⸗ wahrlosen und de 1cieergerrstehuge anheimfallen. Einen großen Prozentsatz der Fürsorgezöglinge stellen auch die unehelichen Kinder. Daraus geht hervor, wo man den Hebel zur Besserung ansetzen muß. Das Fürsorgeerziehungsgesetz bedarf dringend der Abänderung. Das politische Moment bei der Unterbringung muß ausscheiden. Einem jungen Manne wurde z. B. angedroht, daß er in Fürsorgeerziehung gebracht werden würde, wenn er nicht aus einem Arbeiterturnverein austreten würde. Es ist auch vorgekommen, daß Gutebesitzer von den Bestimmukngen des Fürsorgeerziehungs⸗ gesetzes Gebrauch machen, um sich billige Arbeiter zu sichern. Ein solcher Fall ist mir aus Ostpreußen bekannt. Das ist ein Miß⸗ brauch des Gesetzes. Dazu ist das Gesetz nicht geschaffen, sondern um jugendliche Arbeiter vor Verwahrlosung zu schützen. Das Gesetz wird auch auf dem Lande dazu benutzt, um die Unfallrenten herab⸗ zusetzen. Das ist in Gumbinnen vorgekommen. Natürlich wurde die Sache da anders hingestellt; aber im Grunde handelte es sich doch nur um die Herabsetzung der Unfallrente. Die Fürsorgezöglinge müssen zu wirklich brauchbaren Gliedern der Menschheit erzogen werden; sorgen Sie mit uns dafür, daß die Fürsorgeanstalten wirklich zu Erziehungsanstalten werden. 8

Geheimer Oberregierungsrat S chlosser: Die Regierung ist stets bemüht, Uebelstände auf diesem Gebiet abzustellen. Es sind außer⸗ ordentlich schwierig zu behandelnde Elemente, die in die Anstalten kommen. Wir können lediglich mit gesetzlichen Maßnahmen hier nicht viel erreichen. Wenn wirklich einmal von der Prügelstrafe Gebrauch ge⸗ macht wird, so war das wohl am Platze gewesen. Diese Elemente müssen wirklich erst einmal lernen, sich unterzuordnen; das wird jeder ver⸗ ständige Mensch zugeben müssen. Die einzelnen Zimmer wie die Arrest⸗ zellen sind im allgemeinen genügend geräumig Auch die ärzt⸗ liche Behandlung ist ausreichend. Wenn uns berechtigte Klagen zu Ohren gekommen sind, so haben wir stets dauernd Abhilfe geschaffen. Es ist zu bedauern, wenn der Vorsitzende eines Gerichts gesagt hat, die Fürsorgeerziehung habe mangelhafte Früchte gezeitigt. Es ist erforderlich, die Meinung, daß unsere Fürsorgeerziehung als solche un⸗ günstig wirke, zu bekämpfen. Wir alle haben ein Interesse an einer moralischen Jugend. Wenn 68,9 % der entlassenen Fürsorgezöglinge jahrelang sich nichts zuschulden kommen lassen, so rechtfertigt das

„wirklich nicht den Vorwurf der mangelhaften Fürsorgeerziehung. Wenn

wir der Frage weiterhin unser Augenmerk zuwenden, so werden wir auch fernerhin gute Resultate damit erzielen.

Der Fonds für die Förderun g der Bestrebungen zur Fürsorge für die gefährdete oder ver⸗ wahrloste Jugend ist auf 100 000 ℳ, d. h. um 70 000 gegen das Vorjahr, erhöht worden.

Abg. Dr. W uermeling (Zentr.) Es ist sehr erfreulich, daß dieser Fonds erhöht ist. Die freie Liebestätigkeit für die Jugend muß sich frei entfalten können, sie darf nicht behindert werden, sondern Staat und Gemeinde müssen sie fördern. Die Be⸗ rufsvormundschaft hat gewiß große Vorteile, aber es wäre besser gewesen, an der Einzelvormundschaft zu bessern, ehe man sie in Grund und Boden verurteilte. Eine besondere Bedeutung hat die Frage, wo die Berufsvormundschaft enden soll, ob sie sich nur für das Säuglingsalter eignet, etwa bis zur Schulpflichtigkeit des Kindes, oder bis zum 14. Lebensjahre, wo das Kind in die Lehre kommt, bis zum 16. oder bis zum 21. Lebensjahre, wo die Vormundschaft ohnedies aufhört. Das muß nach örtlichen Verhältnissen ent⸗ schieden werden. Wir weisen die Berufsvormundschaft nicht ganz von uns, aber wir sagen: eine gutgeführte Einzelvormundschaft ist stets besser. Die Berufsvormundschaft der Gemeinde muß einen Familiencharakter haben. Sie ist sonst viel zu sehr der Bureau⸗ kratisierung ausgesetzt, und es fehlt die persönliche Beziehung zwischen Mündel und Vormund. In vielen großen Gemeinden unseres Vater⸗ landes fehlt zudem die Gewähr für die sittlich⸗religiöse Erziehung der Kinder. Gerade auf diesem Gebiete ist die freie Liebestätigkeit von besonderer Bedeutung,

Abg. Dr. von Gescher (kons.): Die Berufsvormundschaft oder besser: die amtliche Kommunalvormundschaft ist eine ausgezeichnete

Sache, wenn sie nur da eintritt, wo man keinen geeigneten Einzel⸗ vormund findet, und wenn es sich nur um die vermögensrechtliche Seite handelt. Die Sorge für die vermögensrechtliche Angelegenheit ist aber nicht die einzige und nicht die wichtigste Aufgabe der Vormund⸗ schaft, sondern die wichtigste Aufgabe ist die Sorge für die Person, für die sittlich⸗religiöse Erziehung des Mündels. Diese Aufgabe kann vollkommen nur durch einen Einzelvormund erfullt werden. Es bietet sich die Gelegenheit, geeignete Vormünder in den charitativen Vereinen der organisierten Einzelvormundschaft

zu finden. Durch gemeinsamen Erlaß des Justizministers und des

Ministers des Innern sollten die Vormundschaftsrichter dringend auf diese charitativen Vormünder hinweisen und gleichzeitig die Kommunal⸗ behörde angewiesen werden, ihren Apparat hierfür zur Verfügung zu stellen. Die Angelegenheit ist wichtiger, als sie vielleicht auf den ersten Blick erscheint. Minister des Innern Dr. von D allwitz: Der Herr Abg. von Gescher hat die Erhöhung, die im Kap. 95 Tit. 8 eingetreten ist, für nicht genügend erachtet, um all den Zwecken, denen sie dienen soll, gerecht zu werden. Es trifft zu, daß der Herr Abg. von Wenden im vorigen Jahre eine namhafte Erhöhung des Titels in Anregung gebracht hat. Er bezog sich aber nicht nur auf die gefährdete und verwahrloste Jugend, sondern auf die Fürsorge der Jugend überhaupt. In diesem Umfange konnte in dem Etat des Ministeriums des Innern dem Antrag von Wenden nicht Rechnung getragen werden, weil wir hier lediglich mit der verwahrlosten und gefährdeten Jugend zu tun haben, während die nicht verwahrloste gefährdete Jugend dem Kultusministerium untersteht und dort Mittel ausgeworfen werden müßten, um sie zu fördern, um sie zu unterstützen. Der Abg. Wuermeling hat den Erlaß, den ich am 3. September 1913 an die Provinzialbehörden herausgegeben habe, zwar bis zu einem gewissen Grade anerkannt, aber doch nur in sehr bedingtem Umfange, weil er in erster Linie von den Berufsvormundschaften, die von den Kommunen eingerichtet sind, handelt. Ich habe zunächst als

Kommunalaufsichtsbehörde mit den Berufsvormundschaften der Kom⸗

munen und mit den Aufgaben der Waisenräte zu tun, während die

Auswahl der Vormünder selbst und zwar sowohl der Berufs⸗

wie der Einzelvormünder wohl eher Sache des Justizministers sein würde und die nähere Regelung deshalb wohl beim Etat des

Justizministeriums zur Sprache gebracht werden müßte.

Nun möchte ich noch ganz kurz darauf hinweisen, daß die kommunalen Berufsvormundschaften die Folge eines ziemlich stark hervortretenden Bedürfnisses sind, insofern als tatsächlich eine ge⸗ nügende Anzahl von Einzelvormündern sich häufig in den größeren Städten nicht findet. Es ist mithin notwendig, für die Waisen und unehelichen Kinder, um die es sich handelt, zur Berufsvormundschaft zu greifen, und Herr von Gescher hat auch anerkannt, daß in vielen Fällen es nicht gut möglich sein wird, die Einzel⸗ vormundschaft durchzuführen, weil die dazu bereiten und ge⸗ eigneten Persönlichkeiten nicht immer in ausreichender Zahl vor⸗ handen sind. Für diesen Fall habe ich in meinem Erlaß aus⸗ drücklich darauf hingewiesen, daß es sich empfehlen wird, bei der Auswahl der betreffenden Beamten in den Städten, wo eine größere Anzahl von Berufsvormündern angestellt werden, auch der Konfession der Mündel Rechnung zu tragen oder aber in Verhältnissen, wo sich Gelegenheit dazu bietet, die charitativen Vereine beziehungs⸗ weise einzelne besonders dafür geeignete Mitglieder der⸗ selben als Berufsvormünder heranzuziehen und sich nicht bloß die Ordnung der Vermögensverhältnisse und der äußeren Lebenshaltung, sondern auch die religiös⸗ sittliche Erziehung der Mündel angelegen sein zu lassen. Aber das eine möchte ich doch hervorheben, daß die Unterlage für eine Er⸗ ziehung der Kinder doch auch die materiellen Mittel bilden, und daß da allerdings die Berufsvormünder vielfach besser in der Lage sein werden, die vermögensrechtlichen Interessen der Kinder wahren, als dies bisweilen von sonst sehr geeigneten Einzel⸗ vormündern geschehen kann. Es wird ihnen eher möglich sein, die Alimentationsklagen durchzuführen, Lohnbeschlagnahmen herbeizuführen und dazu beizutragen, daß die Mittel bereit⸗ gestellt werden, welche unbedingt notwendig sind, um den Kindern nachher eine geordnete Erziehung zu geben. Für kleinere Städte, in denen nur ein Berufsvormund vorhanden ist, habe ich aber in dem bereits erwähnten Erlasse empfohlen, neben den Berufs⸗ vormund einen Mitvormund zu bestelleu, dem dann die Erziehung des Kindes anzuvertrauen wäre, während die Ueberwachung der Ver⸗ mögensverhältnisse des Kindes dem Berufsvormund anheimfallen würde. Ich glaube, daß die in dem Erlasse gemachten Vorschläge doch schon sehr weit nach der Richtung hingehen, die der Abg. Dr. Wuermeling angedeutet hat, bin aber bereit, die Gesichtspunkte, die er heute erneut in den Vordergrund gestellt hat, meinerseits nach⸗ mals zu prüfen und im Auge zu behalten.

Abg. Lieber (nl.): Meine politischen Freunde begrüßen es, daß der Fonds zur Förderung der Bestrebungen der Fürsorge für die ge⸗ fährdete und verwahrloste Jugend um 70 000 auf 100 000 erhöht worden ist. Aber wir halten diese Erböhung nicht für ausreichend, um eine wirksame Jugendpflege zu üben. Die Grundsätze in der Verteilung des Geldes müssen geändert werden. Wenn man hier einem Stenographenverein 25 ℳ, da einem Turnderein wiederum 25 und dann einem anderen Verein 40 gibt, so kann man dadurch keine besondere Förderung für Jugendpflege erwarten. Ich bin der Ansicht, daß man den in Betracht kommenden Vereinen

laufende Betraͤge geben muß. Wir wollen, daß die

Abg. Dr. Flesch (fortschr. Volksp.): Berufsvormundschaft nur einen subsidiären Charakter hat. Nur wenn sich kein geeigneter Einzelvormund finden läßt, soll man auf die Berufsvormundschaft zurückgreifen; daß die religiöse Seite bei der Wahl des Vormundes berücksichtigt wird, halte ich für selbstverständlich. Wenn man dieses Moment außer acht ließe, so würden sich daraus große Unzuträglichkeiten er⸗ geben. Es ist falsch, allzuviel auf die charitativen Vereine zu bauen. Die Zahl derer, die sich ernstlich den charitativen Bestrebungen widmen, nn b8. man eine Vormundschaft überweisen kann, ist außerordent⸗ gering.

Abg. Dr. Wuermeling (Zentr.): Ich freue mich, daß von verschiedenen Seiten dieses Hauses erklärt wurde, daß die Berufs⸗ vormundschaft grundsätzlich nur einen subsidiären Charakter haben soll. Diese Feststellung ist um so wertvoller, als sie auch von der linken Seite des Hauses kommt. Die Richter halten sich naturgemäß bei der Wahl von Vormündern an die Vorschläge der Waisenräte. Die Waisenräte aber scheinen heutzutage ihre Pflicht, sich nach den einzelnen Vormündern zu erkundigen, mehr und mehr zu vernachlässigen. Hier also muß der Hebel angesetzt werden, und ich bitte den Minister, hierauf sein Augenmerk zu richten.

Der Titel wird bewilligt. Um 5 ¼ Uhr wird die Weiterberatung des Etats des Ministeriums des Innern auf Sonnabend, 10 Uhr, vertagt.