1914 / 55 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 05 Mar 1914 18:00:01 GMT) scan diff

B Elsaß⸗Lothringen.

In der Zweiten Kammer des Landtags wurde gestern die Etatsberatung fortgesetzt.

Bei der Debatte über den Etat der Gefängnisverwaltung klagte der Abg. Dr. Didio (Zentr.), wie „W. T. B.“ berichtet, über den Zustand des Landesgefängnisses in Straßburg, in dem ein gesetzmäßiger Strafvollzug ve sei. Das Gebäude sei feuer⸗ gefährlich, schlecht kanalisiert und dabei überfüllt; es besitze nur fünfzehn Einzelzellen und die übrigen Räume seien zu stark belegt. Die Regierung möge im nächsten Jahre einen Reformentwurf und eine Art Bauprogramm vorlegen. Der Staatssekretär Graf von Roedern erwiderte, der Appell an die Regierung sei nicht vergebens, sie werde den vorgebrachten Be⸗ schwerden besondere Aufmerksamkeit schenken. An der Finanzfrage solle die Remedur nicht scheitern. Der Antrag auf Vorlegung einer Denkschrift über ein Programm für die Gefängnisbauten wurde ein⸗ stimmig angenommen. Im weiteren Verlaufe der Beratung wies der Abg. Hr. Didio (Zentr.) in entschiedener Weise die von gewissen Seiten erhobenen Angriffe gegen die Oberlehrer zurück; es sei nicht der geringste Grund vorhanden, ihre nationale Zuverlässigkeit in Zweifel zu ziehen.

Nachdem noch mehrere Redner über die Schulfrage ge⸗ sprochen hatten, beantragte der Abg. Boehle im Interesse der Stenographen Vertagung. Nach längerer Geschäftsordnungs⸗ debatte wurde der Vertagungsantrag abgelehnt. Darauf ver⸗ ließen sämtliche Pressevertreter den Saal, was die Abgeordneten Peirotes und Dr. Müller (Zentr.) bestimmte, auf das Wort zu verzichten. Die Kammer erledigte ohne wesentliche Debatte den Rest des Unterrichtsetats und nahm unter anderem eine Resolution des Abg. Hauß (Zentr.) und Genossen an, die sich für eine größere Berücksichtigung des französischen Sprach⸗ unterrichts in den Elementar⸗, den höheren Schulen und den Lehrerbildungsanstalten aussprach. ““

Oesterreich⸗Ungarn.

Die „Wiener Zeitung“ veröffentlicht ein Allerhöchstes

andschreibenan den Statthalter von Galizien Dr. von Kory⸗ towski, worin der Kaiser seiner hohen Befriedigung über den erfolgreichen Abschluß der Wahlreformverhandlungen in Galizien Ausdruck gibt und dem Statthalter für seine von patriotischem Geiste erfüllte hingebungsvolle Tätigkeit, für seine hervorragende Mitwirkung bei dem Zustandekommen des Einigungswerkes seine besondere Anerkennung und seinen wärmsten Dank ausspricht.

Der deutsche Nationalverband hat in seiner gestrigen Vollversammlung eine Entschließung angenommen, in der er den Abbruch der von der Regierung eingeleiteten Aus⸗ gleichsverhandlungen in Böhmen zur Kenntnis nimmt und nach einer Meldung des „W. T. B.“ erklärt, daß der deutsche Nationalverband mit aller Entschiedenheit dafür eintreten werde, daß den gerechten Forderungen des deutschen Volkes in Böhmen Rechnung getragen werde. Er erwarte, daß die nationale Solidarität des gesammten deutschen Volkes in Böhmen für alle Fälle und für alle Zukunft bestehen und sich auch unter den schwierigsten Verhältnissen bewähren werde.

Der Fürst und die Fürstin von Albanien sind heute morgen in Triest eingetroffen und mit fürstlichen Ehren empfangen worden. Wie „W. T. B.“ meldet, batten sich auf dem Staatsbahnhof zur Begrüßung des Fürsten⸗ paares eingefunden der Statthalter Prinz zu Hohenlohe, der Podesta von Triest Dr. Valerio, der Eskaderkomman⸗ dant, Konteradmiral Franz Löfler, der kommandant, Generalmafor Edler von Hinke, der Seebezirks⸗ kommandeur, Konteradmiral Baron Koudelka, die Schiffs⸗ kommandanten der im Hafen liegenden Eskaderschiffe sowie die der fremden Kriegsschiffe, der Erzbischof von Durazzo Bianchi, der Bischof von Triest Dr. Karlin, der Domherr von Durazzo Monsignore Kaciori sowie die Spitzen der Zivilbehörden, ferner das Konsularkorps, die Vertreter des österreichisch⸗albanischen Komitees und die in Triest weilenden albanischen Missionen. Vom Bahnhof, wo auch eine Ehrenkompagnie mit Fahne und Musik aufgestellt war, hegab sich das Fürstenpaar, begleitet von den erschienenen Persönlichkeiten, im Automobil zur Landungsstelle, von wo die Einschiffung auf die Kriegsjacht „Taurus“ erfolgte.

Im schlesischen Landtage widmete gestern der Landeshauptmann dem Kardinal von Kopp einen überaus warm empfundenen Nachruf und hob insbesondere hervor, daß der Kardinal stets die Beziehungen zwischen der Kirche und der staatlichen Gewalt so zu gestalten gewußt habe, daß beide Teile nicht gegen einander, sondern miteinander an der Lösung ihrer hohen ethischen Aufgaben hätten wirken können.

Die ungarische Regierung hat, obiger Quelle zufolge, den Vertrag mit dem Schiffahrtspool gekündigt.

Der zm 8 en öS 82 meldet, vor der Senatskommission für Einkommensteuer seinen neuen’ Entwurf. Die Kommission nahm davon Kenntnis, daß Caillaux in dem Artikel 1 die französische Rente von der Einkommensteuer befreit.

Rußland.

Der Ministerrat befaßte sich gestern, wie „W. T. B.“ meldet, mit einem Entwurf, durch den Putilow ermächtigt wird, eine Eisenbahngesellschaft zu gründen, um einen Normal⸗ schienenweg von der Station Aljat an der transkau⸗ kasischen Bahn nach Astara an der persischen Grenze zu bauen.

Der Reichsrat hat die von der Reichsduma ange⸗ nommene Regierungsvorlage über das Verhältnis der Handlungsgehilfen zu ihren Arbeitgebern ohne Spezialdebatte mit 72 gegen 64 Stimmen abgelehnt. 1

Italien.

In der Deputiertenkammer hielt gestern der Ministerpräsident Giolitti bei der Beratung der Ausgaben für Libyen eine Rede, in der er laut Bericht des „W. T. B.“ ausführte: “] 8

Die Erörterung habe die völlige Einmütigkeit über die absolute Notwendigkeit, in Libyen zu bleiben, ergeben, wodurch den andern Nationen gegenüber das Vorgehen der Regierung in Libyen gerecht⸗ fe tigt werde. Er wolle diesen Gegenstand, der über jeder ministeriellen Erwägung stehe, nicht zum Gegenstand einer Vertrauensfrage machen. Der Gedanke der Eroberung Libyens habe im Bewußtsein des italteni⸗ schen Volkes gelebt, und die Regierung habe sich im geeigneten Moment dazuentschlossen. Wenn Italien das nicht getan hätte, hätten andere Mächte seinen Platz eingenommen. An diplomatischer Vorbereitung habe es nicht gefehlt, was dadurch bewiesen werde, daß keine Regiernng das italienische Vorgehen in irgend einer Form gehindert habe. Das Souveränitätsdekret sei eine absolute Notwendigkeit gewesen. Es

Militärstations⸗

habe Europa klar gemacht, daß Italien niemals wieder aus L

U

ibyen zurückweichen wolle. Es habe die Suzeränität des Sultans begrenzt und die Kapitulationen ausgeschlossen. „Wir wollten“, fuhr Giolittt fort, „die Türkei nicht in vitalen Teilen angreifen, weil wir die Verantwortung nicht auf uns nehmen wollten, einen Balkan⸗ brand zu entfachen. Es war unser höchstes Interesse, beim Entstehen des Balkanbundes Richter und nicht Beteiligte zu sein, wie wir es auch gewesen sind, zumal wir an dem Problem der Unabhhängigkeit Albaniens großes Interesse hatten. Auch würden wir auf dem Balkan nicht bloß die Interessen des ottomanischen Reiches, sondern auch die Interessen anderer Nationen verletzt haben. Unser Ziel ist die schnelle Befriedung der Kolonie und unsere Sorge ist, daß die Bedürfnisse der Kolonie nicht die wirt⸗ schaftlichen Interessen des Mutterlandes schädigen. Die Eingeborenen⸗ bevölkerung muß so behandelt werden, daß sie anerkennt, daß wir ihr Bestes wollen und daß wir wünschen, daß sie die Wohltaten der ivilisation genießen soll. Das italienische Volk bleibt der festen Ueberzeugung, dic man in Libyven mit Würde bleiben muß. Da ich nicht möchte, daß diese so nationale Frage zum Gegenstand eines Vertrauens⸗ oder Mißtrauensvotums wird, schlage ich vor, zur Er⸗ örterung der einzelnen Artikel überzugehen. Die Kammer wird so am besten ihren Willen zum Ausdruck bringen, in Libyen zu bleiben und der Regierung die nötigen Gelder zur Verfügung zu stellen.“

Darauf wurde gemäß dem Antrag Giolitti der Uebergang zur Erörterung der einzelnen Artikel mit 361 gegen 83 Stimmen bei vier Stimmenthaltungen angenommen. Dagegen stimmten die Sozialisten, die Republikaner, ein sozialer Katholik und

81“ 5 Türkei. 8 8 2 1““ 8

Der bulgarische Generalpostdirektor Stojanowitsch hat mit dem türkischen Minister für Post und Telegraphen die Ver⸗ handlungen über den Abschluß einer türkisch⸗bulgarischen Post⸗ und Telegraphenkonvention und über die Ein⸗ führung von Begünstigungstarifen begonnen.

Da die griechische Regierung, wie „W. T. B.“ meldet, angekündigt hatte, daß sie die Einkünfte aus den Steuern und Zöllen aus Saloniki und Cavalla für die 500 Millionen⸗Anleihe bestimme, so berieten die türkischen Mitglieder der Pariser Finanzkommission gestern über die so geschaffene Lage. Denn diese Einkünfte waren schon für ver⸗ schiedene Anleihen, die vorher von der Türkei aufgenommen waren, bestimmt. Infolge dieser Beratung telegraphierte der Finanzminister an Dschavid Bei nach Paris und erhob formell Einspruch gegen eine Bestimmung dieser Einkünfte, die den Rechten der Bondholders und der Türkei zuwiderlaufe, die unangetastet bleiben müßten bis zur endgültigen Regelung der Anteilsfrage an der türkischen Staatsschuld. Der Finanz⸗

minister beauftragte Dschavid Bei, die französische Regierung um die Wahrung der Rechte der Bondholders zu bitten, die grundsätzlich durch die S

mmission bestätigt word

In der Skupschtina stand gestern die Gesetzesvorlage über das Budgetprovisorium für März 1914 zur Ver⸗ handlung.

Nach dem Bericht des „W. T. B.“ erklärte der jungradikale Parteiführer Draskovic, daß seine Partei zum Zeichen des Ein⸗ spruchs gegen das verfassungswidrige Vorgehen der Regierung in der Budgetfrage an der Verhandlung der Gesetzesvorlage nicht teilnehmen werde. Sämtliche jungradikalen Abgeordneten verließen hierauf demonstrativ den Sitzungssaal. Der nationalistische Partei⸗ führer Veljkovice schloß sich der Erklärung Draskovic an und verließ gleichfalls mit seinen Parteigenossen den Saal. Der Fortschrittliche 9 Jovanovic gab namens der fortschritt⸗ sschen Partei die Erklärung ab, daß auch diese die Politik der Regie⸗ rung in entschiedenster Weise verurteile und deshalb gegen das Budgetprovisorium stimmen werde. Der Berichterstatter der Mehr⸗ heit Nincic bezeichnete die von der Opposition gegen die Gesetzes⸗ vorlage erhobenen Einwendungen als unbegründet, da sie in voll⸗ kommen korrekter Weise im Parlament eingebracht worden sei.

Die Skupschtina nahm hierauf die Vorlage über das Budgetprovisorium mit 82 gegen 7 Stimmen in erster Lesung an und ging hierauf zur Spezialdebatte des Invalidengesetzes über, an der auch die Opposition wieder teilnahm.

16 Albanien. Meldungen des „W. T. B.“ zufolge haben die griechis Truppen am Montag Santi Quaranta geräumt und sind nach Prevesa befördert worden. Als der letzte Soldat den Boden Albaniens verlassen hatte, wurde von den Führern der Menge die Autonomie der von den griechischen Truppen geräumten Gebiete unter dem Namen Nordepirus pro⸗ klamiert. Sodann bildeten die Führer eine vorläufige Re⸗ gierung. Als Wappen der autonomen Gebiete wurde ein großes weißes Kreuz in blauem Felde mit einem schwarzen Adler in der Mitte aufgestellt. Bei einem darauf abgehaltenen großen Umzuge wurden Hochrufe auf Griechenland und die

Autonomie von Nordepirus ausgebrachhtt(.

Amerika. Beide Häuser des amerikanischen Kongresses haben beschlossen, heute mittag eine gemeinsame Sitzung abzuhalten, in der der Präsident Wilson persönlich eine Botschaft ver⸗ lesen wird, in der er, wie „W. T. B.“ meldet, auf Aufhebung der Bestimmung dringen wird, die die amerikanische Küsten⸗ schiffahrt von den Panamakanalgebühren befreit. Zur Untersuchung des Falles Benton hat der General Carranza eine dreigliedrige Kommission ernannt. 8 Asien.

MNach einer Meldung des „W. T. B.“ aus Teheran ist Nasr⸗i⸗Diman, der Führer der Aufständischen in Kazerun, von der Gendarmerie mit seinen Anhängern aus der Stadt vertrieben worden. Einem amtlichen persischen Telegramm zu⸗ folge ist der schwedische Major Olson in den Kämpfen bei Kazerun nicht gefallen, wie vor einigen Tagan gemeldet worden ist. 1 .

Wie „W. T. B.“ aus Tripolis meldet, hat die Kolonne Miani vorgestern vormittag Murzuk besetzt und ist von den Behörden und der Bevölkerung feierlich empfangen worden. Die italienische Fahne wurde gehißt und das ganze Fezzan für italienisches Gebiet erklärt, was die einheimische Behörde anerkannte.

Parlamentarische Nachrichten. Die über die gestrigen Sitzungen des

Kemminghausen mit 11 gegen 8 Stimmen.

Der Reichstag setzte in seiner heutigen (228.) Sitzung,

welcher der Staatssekretär des Reichspostamts Kraetke und der Staatssekretär des Reichsschatzamts Kühn beiwohnten, die Spezialberatung des Etats für die Reichspost⸗ und Te⸗ legraphenverwaltung bei den dauernden Ausgaben: „Be⸗ soldungen für die Zentralverwaltung“ fort.

Bei den Besoldungen für die mittleren Beamten

im Reichspostamt bemerkte der

Abg. Werner⸗Hersfeld (Wirtsch. Vgg.): Eine Reihe mittlerer Beamten zum Reichspostamt verrichtet ständig Dienste höherer Be⸗ amten. Da sind deren Forderungen nicht unberechtigt, daß sie auch im Gehalt aufgebessert werden. Zum Titel Ausgaben für die Postagenten be⸗ merkte der 8 . Abg. Werner⸗Hersfeld (W. Vgg.): Der Staatssekretär hat ja erklärt, die Wünsche der Postagenten wohlwollend prüfen zu wollen. Diese sind ja auch für das flache Land außerordentlich wichtig. Man darf aber nicht vergessen, daß viele Postagenturen so umfangreich sind, daß sie kaum noch als Nebenbetrieb angesehen werden können. Das trifft ganz besonders da zu, wo auch der Telegraphendienst hinzukommt. In diesem Falle müssen die Famtlienangehörigen mit aushelfen. Da ist doch die vorgesehene Entschädigung viel zu gering. Die Post⸗ agenten beschweren sich auch darüber, daß in vielen Fällen bei Neu⸗ besetzung der Stellen nicht mit den alten Agenten allein verhandelt wird, sondern auch mit anderen, um die Stelle billiger vergeben zu können. b

Abg. Dr. Neumann⸗Hofer (fortschr. Volksp.): Beschwerden sind aus verschiedenen Orten eingelaufen, wo es mehrere Kaufleute gibt. Es ist vielfach vermutet worden, daß der betreffende Kaufmann, der die Postagentur bekommt, die Stelle benutzt, um die Geheimnisse seiner Konkurrenten zu erforschen. Gerade aus meinem Wahlkreise sind solche Beschwerden laut geworden. Bei der Vergebung der Post⸗ agentenstellen sollte die Postbehörde darauf Rücksicht nehmen. Es ist tatsächlich vorgekommen, daß in solchen Fällen die Kaufleute des be⸗ treffenden Ortes ihre Briefe lieber durch die Postagentur eines anderen Ortes besorgen ließen.

(Schluß des Blattes.)

Auf der Tagesordnung für die heutige (42.) Sitzung des Hauses der Abgeordneten, welcher der Minister für Handel und Gewerbe Dr. Sydow beiwohnte, stand zunächst die zweite Beratung des Gesetzentwurfs, betreffend die Erweiterung des Stadtkreises Dortmund und Aenderung der Amtsgerichtsbezirke Castrop und Dortmund.

Die verstärkte Gemeindekommission hat der Eingemeindung von Dorstfeld, Huckarde, Wischlingen, Rahm, Deusen und Lindenhorst einstimmig zugestimmt, derjenigen von Eving und Mit derselben Mehrheit wurde die Bestimmung angenommen, daß die Land⸗ gemeinde Deusen bis zum ersten Tage des auf den Tag der Verkündung dieses Gesetzes folgenden Monats bei dem Amts⸗ gericht in Castrop verbleibt und von diesem Tage ab unter Abtrennung von dem Bezirke ihres bisherigen Amtsgerichts dem des Amtsgerichts in Dortmund zugelegt werden soll.

Die Abgg. Badicke und Genossen (kons.) beantragen,

Gemeinden Eving und Kemminghausen von der Eingemein⸗ ung auszuschließen.

Abg. Hasenclever (nl.) berichtet über die Verhandlungen der Kommission. .

Abg. Dr. von Gescher (kons.): Die Mehrheit meiner Freunde hat sich nicht davon überzeugen können, daß die Vereinigung der Orte Eving und Kemminghausen mit Dortmund geboten erscheine. Wir werden daher gegen diese Eingemeindung stimmen. Im übrigen werden meine Freunde für die Vorlage stimmen, wenn sie auch der Meinung sind, daß die Ziele, die die Stadt Dort⸗ mund erstrebt, vielleicht besser auf dem Wege des Zweck⸗ verbandes hätten erreicht werden können. Die Notlage der Stadt Dortmund erkennen wir an; wenn wir von den acht Gemeinden, die eingemeindet werden sollen, sechs geben, so haben wir doch reichlich genug getan. Wir bitten Sie, unseren entsprechenden Antrag anzunehmen. Ein Vorurteil gegenüber den großen Städten liegt uns fern. Wer uns vorwirft, daß wir aus Feindschaft gegen die großen Städte gegen die Eingemeindung sind, ver⸗ steht uns nicht oder will uns nicht verstehen. Wir wünschen ihnen alles Gute, aber wir sind gegen die künstliche Züchtung von Großstädten. Wir sind für Eingemeindung nur insoweit, als sie un⸗ abweisbar ist, und wir sind gegen sie, wenn die betreffenden Kom⸗ munalzwecke auf anderem Wege zu erreichen sind. Gegen die Ein⸗ gemeindung à tout prix kann man nur sagen: Landgraf werde hart!

Geheimer Oberregierungsrat Freiherr von Zedlitz und Neu⸗ kirch wendet sich gegen den Antrag Badicke. Für die beiden Ge⸗ meinden, namentlich fuͤr Eving, sei das Bedürfnis der Eingemeindung besonders dringend. Die zwischen der Stadt und den Gemeinden abgeschlossenen Verträge verlören ihre Grundlage, wenn ein Teil der Gemeinden ausgeschlossen werden solle. Es würde sich fragen, ob der Kreis oder die Stadt nicht eine andere Stellung hinsichtlich der Ab⸗ findung eingenommen hätte, wenn eine Gemeinde ausgeschlossen würde.

Abg. Schweckendieck (nl.): Ich bin darüber erfreut, daß der Abg. von Gescher und seine Freunde die Notlage der Stadt Dort⸗ mund wenigstens anerkannt haben. Auf dem Wege des Zweck⸗ verbandes können aber die Ziele nicht erreicht werden, die durch die Eingemeindung von Eving und Kemminghausen erreicht werden sollen; werden diese beiden Ortschaften ausgenommen, so wird der abgeschlossene Vertrag und damit das ganze Gesetz hinfällig. Eving ist mit Dortmund baulich und wirtschaftlich ver⸗ wachsen, der Hauptkanal der Stadt Dortmund geht durch Eving hindurch. Aehnlich verhält es sich mit Kemminghausen. Es handelt sich hier um eine großzügige Melioration im Interesse der Stadt Dortmund, die seit Jahrzehnten als eine Notwendigkeit erkannt ist und dem Landkreise zugute kommen wirrde. 8

Abg. Hué (Soz.): Was über die wirtschaftliche Seite der Frage der Eingemeindung von Eving vorhin gesagt worden ist, kann ich aus eigener Kenntnis bestätigen. Lassen Sie Eving aus der Eingemein⸗ dung heraus, so fehlt der ganzen Operation das Kernstück. Die Kon⸗ servativen sind, wie wir hören, nicht grundsätzlich, sondern aus ge⸗ wissen praktischen Gründen gegen die Eingemeindung der beiden Orte. In der „Kreuzzeitung“ klang es vor einigen Tagen anders. Da hieß es, die Eingemeindung in Dortmund werde etwas sportmäßig be⸗ trieben, die Bevölkerung interessiere sich gar nicht dafür. Im Falle Dortmund verhält es sich anders. Die Eingemeindung soll dazu helfen, die Wohnungznot in Dortmund zu beheben durch eine großzügige Bebauung des einzugemeindenden Areals. Die Wohnungs⸗ misere in Dortmund ist zu einer öffentlichen Kalamität geworden; das wachsende Wohnungselend dort ist durch die amtlichen Organe konstatiert. Wie verträgt sich übrigens diese Tat⸗ sache mit den Lobreden auf unsere Wirtschaftspolitik, die die Lohn⸗ und Arbeitsverhältnisse der Arbeiter so sehr gebessert habe? Die Mietspreise stehen zu den Wohnräumen und ihrer polizei⸗ widrigen Beschaffenheit in einem schreienden Mißverhältnis. Der Arbeiter muß 30 40 % seines Lohnes für die Miete opfern. Auch die Eingemeindung wird diese Wohnungsnot nicht be⸗ seitigen, wenn nicht in absehbarer Zeit eine erhebliche Ver⸗ billtgung der Lebenshaltung eintritt. Unter allen Umständen wende ich mich gegen die Ueberlassung von Kommunalgrund⸗ eigentum zu Werkskolontebauten, weil diese nicht nur geeignet sind, das Selbstbestimmungsrecht der Arbeiter zu beschneiden, sondern auch dazu benutzt werden, der Arbeiterschaft den Einzug in die Stadt⸗ und Ortsvertretungen zu verwehren, indem

Reichstags und des Hauses der Abgeordneten befinden sich in der Ersten und Zweiten Beilagge.

die Zechen⸗ und Hüttenverwaltuvngen durch unerhörten Druck auf

eschildert wurde,

die Arbeiterschaft die Wahl von Zechenbeamten auch in der dritten Klasse durchzusetzen verstehen. (Rufe rechts: zur Sache!) In der Kommission ist über die Frage ob durch die Ein⸗ gemeindung die Zechenverwaltungen das Heft in die Hand bekommen würden, eingehend diskutiert worden. Es wird von den Zechenverwaltungen der brutalste Terrorismus geübt. In unseren Bergbauindustriegemeinden sprechen in der Gemeindevertretung schon jetzt Interessenten des internationalen Großkapitals mit; wird das geltende Dreiklassenwahlrecht nicht bald ge⸗ ändert, so wird der plutokratische Zug in den Gemeinde⸗ vertretungen sehr rasch die Oberhand gewinnen. Gegen einen Zweck⸗ verband sind wir nicht grundsätzlich; hier aber kaänn er uns nicht helfen. In dem Bericht wird wiederholt von der Armut der Bevölkerung im Zusammenhang mit der zunehmenden Industrialisierung gesprochen; das stimmt mit den Lobreden auf die Schutzzollpolitik und mit dem Hinweis auf die steigenden Löhne auch nicht überein. Tatsächlich wächst die Armenlast in Dortmund ebenso wie in den anderen Industriezentren, so in Hamborn, beträchtlich an. Wie ist das möglich bei den Reichtümern, die dieses Industriegebiet abwirft? Mit dem Vordringen der Industrie wird die Masse der Bevölkerung in steigendem Maße der Verarmung und werden die Ge⸗ meinden ständigem Ansteigen der Armenlasten ausgesetzt; dazu kommt die große Gesundheitsschädigung der Bevölkerung durch die Industriebe⸗ triebe. Die Zechen haben es durch den Kunstgriff der Substanzverminderung vortrefflich verstanden, sich von den Kommunalsteuern vollständig zu drücken. Wir werden ja neue große Eingemeindungsvorlagen be⸗ kommen, z. B. für Essen. Diese Eingemeindungen dürfen aber nicht im Interesse der Zechenverwaltungen erfolgen. Die Gemeinden müssen große Sorge haben um die Verkümmerung ihrer staatsbürger⸗ lichen Rechte. Die Zechen schrecken vor keiner Brutalität und Ver⸗ gewaltigung der wirtschaftlich Schwachen zurück. Dort sitzen die eigentlichen Vertreter des Terrorismus.

8 Abg. Dr. Bredt (freikons.): Meine politischen Freunde werden für die Vorlage stimmen. Solche Vorlagen müssen vom Stand⸗ punkte des öffentlichen Interesses aus beurteilt werden. Wir wünschen aber, daß möglichst wenig kommunale Wohnungspolitik getrieben wird; wir wollen diese Sachen der privaten Tätigkeit vor⸗ behalten. Den Zusammenhang von Schutzzollpolitik usw. mit dieser Eingemeindung sehe ich nicht ein. Ich halte es für verfehlt, von uns aus Vorschläge zu machen, wie die kommunalen Interessen besser gewahrt werden. Entwässerung, Straßenbahnen usw. lassen sich auf dem Wege des Zweckverbandes sehr gut machen. Richtig ist aber, daß ein gemeinsames Interesse von Dortmund und den Vor⸗ orten an einem gemeinsamen Bebauungsplan vorliegt. Deshalb müssen wir für die Eingemeindung stimmen; dem Antrag Badicke können wir nicht zustimmen, weil er die ganze Vorlage gefährden würde. Gerade in den beiden Gemeinden sollen Arbeiterwohnungen in großem Umfange gebaut werden, diese Orte müssen also ein⸗ gemeindet werden. Nimmt man diese beiden Gemeinden aus, so fällt der Vertrag und mit ihm die Vorlage. Es liegt ein öffentliches und staatliches Interesse vor, der Eingemeindung zuzustimmen.

Abg. Gronowski (Zentr.): Wir stimmen für die Regierungs⸗ vorlage. Vor allen Dingen muß die Wohnungsnot gemildert werden. Niemals ist einer Gemeinde die Eingemeindung so leicht gemacht worden wie in diesem Falle; aber auch niemals ist die Notwendigkeit einer so stark nachgewiesen worden wie gerade hier.

8 Abg. Traub (fortschr. Volksp.): Ich bitte um einmütige An⸗ nahme der Regierungsvorlage. Wir lehnen den Antrag der Kon⸗ servativen ab.

Unter Ablehnung des Antrags Badicke wird die Vorlage unverändert angenommen. Bei der sich sofort anschließenden dritten Lesung gelangt sie ohne weitere Debatte zur Annahme.

(Schluß des Blattes.)

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Handel und Gewerbe.

Heute vormittag 11 ½ Uhr fand die diesjährige ordentliche Generalversammlung der Reichsbankanteilseigner

statt. Der Präsident des Reichsbankdirektoriums Havenstein,

der in Vertretung des Reichskanzlers den Vorsitz führte, teilte den wesentlichen Inhalt des gedruckten Verwaltungsberichts für das Jahr 1913 mit und erklärte die Dividende von 8,43 Proz. Hierauf wurden die Ersatzwahlen für die ausscheidenden Mit⸗ glieder des Zentralausschusses vorgenommen.

Dritten Beilage.

Statistik und Volkswirtschaft.

11X“X“ Zur Arbeiterbewegung.

Aus Solingen meldet die „Rh.⸗Westf. Ztg.“, daß die Waffenarbeiter am 3. d. M. zu dem Aussperrungsbeschluß des Waffenfabrikantenvereins (vgl. Nr. 52 d. Bl.) Stellung nahmen. Die Versammlung beschloß einstimmig, den Ausstand bei der Firma Karl Eickhorn nicht aufzuheben und den Kampf fortzusetzen. In Marseille sind „W. T. B.“ zufolge infolge des Aus⸗ stands der Maschineningenieure der Dampfschiffahrtsgesellschaft Messageries Maritimes fünfzehn Postdampfer, die sonst den Verkehr nach Aegypten, dem Schwarzen Meer, Madagascar und dem fernen Osten versehen, gegenwärtig außer Dienst gestellt. (Vgl. Nr. 53 d. Bl.)

Auf den Putilowwerken in St. Petersburg sind, wie „W. T. B.“ berichtet, gestern 15 000 Arbeiter in den Ausstand getreten, um dadurch gegen die Vorschrift eine Kundgebung zu veranstalten, den Gedenktag der Befreiung der Bauern nicht zu feiern. In der Schrapnellröhrenfabrik wurde gestern früh der Chef der Werkstätten, Gardehauptmann von Stahl hinterrücks von einem Meister überfallen und durch zwei Schläge mit einer Eisenstange auf den Kopf 1 Der Mörder flüchtete und warf sich in eine elektrische Maschine, von 1“ wurde. Es handelt sich um einen persönlichen Racheakt.

Weitere Nachrichten über „Handel u. Gewerbe

(Weitere „Statistische Nachrichten“ s. i. d. Dritten Beilage.)

Kunst und Wissenschaft.

b A. F. In der 334. Versammlung des Berliner Vereins für Luftschiffahrt (Februar) sprach Dr. Barkow⸗Potsdam, Teil⸗ nehmer an der Filchnerschen deutschen Südpolarexpedition, unter Be⸗ gleitung vieler Lichtbilder über „Die deutsche antarktische Urpedition 1911/12 und ihre aerologischen Arbeiten“. Es ist an dieser Stelle leider nicht tunlich, von dem trefflich ge⸗ gliederten, inhaltreichen und erschöpfenden Vortrag mehr als einen urzen Bericht über das zu bringen, was der zweite Teil des vom Redner ge⸗ wählten Themas verhieß, nämlich „über die aerologischen Arbeiten“. Nur ruürz erwähnt kann werden, daß die Einleitung eine gedrängte, aber lücken⸗ ose Uebersicht über die Geschiche der Südpolarforschung, beginnend mit der oßschen Forschungsreise in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts bis zum Jahre 1911 brachte, daß dann die besonderen geographischen ufgaben Erläuterung fanden, die sich die Expedition gestellt, und erner ausführlich der von mancherlei ungünstigen BSa fe. gegen die gehegten Hoffnungen beeinflußte und zur Nichteinhaltung des rsprünglichen Programms zwingende Verlauf des Unternehmens das sich von der Weddellsee aus, gegenüber dem klantischen Ozean, in das antarktische Festland einzudringen vorgesetzt hatte, hieran aber durch die unbesiegbaren, unglücklichen Eisverhält⸗ se gehindert wurde. Aus dem fesselnden Vortrage ausgewählt sei im folgenden somit ausschließlich, was sich auf die Anwendung

bezieht, die von Ballons, Drachen und schaftlichen Zwecke der Expedition e. g- b

m 11. Dezember 1911 hatte der Aufbruch von Süd⸗Georgien aus nach der Antarktis stattgefunden. Das Wetter war Schon nach 3 Tagen traf das Schiff unter 57° s. B. das erste Treibeis, das, dichter und dichter werdend, bereits auf 620° s. B. zu 10 tägigtan Stilliegen zwang. Das Stilliegen bot den ersten Anlaß, Pilotballonaufstiege auszuführen, vom Schiff oder von Eis⸗ schollen aus, recht erheblich erschwert durch die fortwährenden Drehungen der Schollen und des darin liegenden Schiffes. Bald nachher folgten die für gleichzeitige Drachenaufstiege „international“ vereinbarten Januartage, wofür rechtzeitig alle Vorbereitungen getroffen worden waren. Gleich der erste Versuch glückte. Wegen zu schwachen Windes erreichte der Aufstieg aber nur 400 m Höhe, der nächste ging bis 1100 m und brachte die ersten Aufzeich⸗ nungen einer Inversion mit herab. Der dritte erreichte bereits die stattliche Höhe von 2400 m. Dies waren die ersten Aufstiege, die im Südpolargebiet, ja sogar südlich vom 50. Breitengrade an über⸗ haupt gemacht worden sind. Die 5 Aufstiege, welche während der Südfahrt zustande kamen, wurden aushilfsweise mit der Tiefseelot⸗ maschine gemacht, da die eigentliche Drachenwinde noch nicht aufgestellt werden konnte. Eine kritische Lage, auch für die aerologischen Hilfs⸗ apparate, brachte die Katastrophe, welche von dem erreichten südlichsten Punkte aus das Schiff Deutschland“ zur Umkehr nötigte. Man hatte hier unter 770 45 beschlossen, in der am 31. Januar neu entdeckten und nach dem Kapitän des Expeditionsschiffes „Vabsel⸗Bucht“ benannten Bucht zu über⸗ wintern. Ein Platz für das Stationshaus war ausgesucht und mit dem Hausbau begonnen worden; 8 Leute wohnten schon während des Haus⸗ baues in einem Zelte. Das Haus war fertig und sollte in den nächsten Tagen bezogen werden, da trat am Morgen des 18. Februar eine Springflut ein, brach den Teil der Eisbarriere, auf dem das Haus stand, und begann diesen Teil hinwegzuschwemmen. Alles von Bord bereits in das Haus Gebrachte mußte schleunigst geborgen und wieder an Bord gebracht werden, was zum Glück ohne Verlust gelang. Noch hoffte man auf einen Witterungsumschlag zu milderem Wetter, aber das Gegenteil trat Ende Februar mit einer andauernden Frost⸗ periode bis zu 20° C. ein, und das Schiff war im Jungeis eingeschlossen. Schweren Herzens sah man sich nach sorg⸗ fältigen Beratungen zur Umkehr genötigt. Am 6. März dampfte das Schiff nach Norden ab, nachdem man noch die beiden Herren wieder an Bord genommen, die, mit wissenschaftlichen Arbeiten be⸗ ginnend, seit mehreren Tagen auf dem Inlandeis gewohnt hatten. Bis 73 ° 45“ hatte das Schiff och Bewegungsfreiheit, dann war es bei dem überraschend schnellen Zufrieren des offenen Meeres damit vorbei, man konnte weder vorwärts noch rückwärts und mußte sich vom Eise treiben lassen. In der Zeit des Verweilens in der Vahsel⸗ Bucht bis zu jenem Einfrieren, also vom 31. Januar bis gegen Mitte März konnte zu Wind⸗ und Wetterbeobachtungen von den Pilotballons reichlich Gebrauch gemacht werden, um festzustellen, daß die Winde vor⸗ herrschend östlich bis nordöstlich, also ablandig und vielfach Fall⸗ winde von nur geringer vertikaler Mächtigkeit, doch oft stark böig und stürmisch waren. Die häufige Klarheit der Luft bezeugte unter anderem, daß die erreichte Mittelhöhe der Pilotballons in der Vahsel⸗Bucht über 8000 m betrug, ja der Vortragende konnte bei einer Totalentfernung von 64 km das Platzen eines Ballons in 12 000 m Höhe beobachten. Diese Aufstiege deuteten zum ersten Male darauf hin, daß die sogenannte obere Inversion auch in der Antarktis vorhanden ist, im Sommer ungefähr in 9000 m Höhe. Die Windverhältnisse zeigten, daß ein nach Westen gerichteter Gradient vorhanden sein muß. Andere Aufstiege zeigten Südwinde bis zu großen Höhen: es können also auch über das Eishochland der Antarktis Depressionen hinwegziehen. Nachdem die Expedition Mitte März 1912 darüber im klaren war, daß man sich für die Ueberwinterung vorbereiten müsse, wurden alle erforderlichen Schritte getan, auf den miteingefrorenen vorjährigen Eisschollen Holzhütten für magnetische und astronomische Messungen errichtet und hier aus den Ueberresten des Stationshauses ein Schuppen zur Beherbergung eines gefüllten Fesselballons und mehrerer Drachen erbaut. Derzeit bestand die aerologische Ausrüstung noch außer der jetzt an Deck aufgestellten Drachenwinde aus 25 Drachen Lindenberger Bauart, 3 Fesselballons, 8 dazu gehörigen Registrierinsttumenten sowie 40 Stahlflaschen mit 6 cbm. Wasserstoff. Alles bewährte sich im Durchschnitt gut. Nur das unebene Packeis hinderte vielfach die Bewegungsfreiheit, sodaß man gerade im entscheidenden Augenblick, z. B. beim Drachenauffang, stolperte und der Drachen zerbrach. Weniger erfreulich waren die Fesselballons. Auf Grund grönländischer Erfahrungen war statt ge⸗ firnißten gummierter Stoff gewählt worden; doch ließ die Ballonhülle so viel Gas durch, daß die Hoffnung, einen gefüllten Fesselballon für mehrere Aufstiege zu benutzen, fehlschlug. Offenbar traten kleine Risse in der Gummischicht ein. Viel Tragkraft ging auch durch Reifansatz an die Hülle in der Ballonhalle ver⸗ loren. Es blieb deshalb nichts übrig, als den Ballon jedes⸗ mal von dem ihm noch verbliebenen kleinen Gasrest ganz zu entleeren und ihn im geheizten Raume aufzubewahren. Dennoch wurden nach Möglichkeit mehrere Aufstiege an einem Tage gemacht, wenn irgend geeignetes Ballonwetter ser dtr. Das war nun leider nicht allzu häufig der Fall. Meist war es unten ruhig, oben stärker windig, sodaß nur geringe Höhen erreichbar waren. Die Haupt⸗ arbeit blieb also den Drachen. Bei einer mittleren Windgeschwindigkeit am Boden von 7—8 m und seltenem Vorkommen von Stürmen herrschte in der Regel guter Drachenwind. Die durch das Schiff mit seiner Takelage erzeugten Windwirbel heischten große Vorsicht beim Auflassen und Einholen des Drachens und verursachten viel Bruch⸗ schaden. Ein mitgenommener Benzinmotor versagte den Dienst, sodaß man sich auf Handbetrieb angewiesen sah, der 4—6 Matrosen be⸗ schäftigte. Die Gefahr, durch ein Abreißen des Drachens in großer

8 Flugzeugen für die wissen⸗ so ausgiebig und andauernd als

Höhe Drachen und Instrument zu verlieren, ist nebenbei sehr viel größer als auf dem Lande; denn es ist sehr schwer, einen ins Packeis

niedergefallenen Drachen wiederzufinden. Gegen Ende des Winters vermehrten sich die Schwierigkeiten durch den Rauhreif bei tief hän⸗ genden Wolken und meist bedecktem Himmel. Das Einholen gelang denn, selbst bei recht frischen Winden, nur selten trotz schnellsten, aber durch Rauhreif und Glatteis erschwerten Arbeitens. Dennoch wurde durchschnittlich an jedem Wochentage ein Drachenaufstieg gemacht, im ganzen 135 Drachen⸗ und Fesselballonaufstiege. Die mittlere er⸗ reichte Höhe beträgt 1100 m, die Maximalhöhe 2750 m, Höhen von 2000 m wurden jeden Monat mehrere erreicht. Außerdem stiegen während des Jahres noch 120 Pilotballons mit einer Durchschnitts⸗ höhe von rund 4000 m auf.

Dr. Barkow schaltete hier einige die vertikale Temperatur⸗ verteilung kennzeichnende Kurven ein. Selten sind die gleichmäßigen Temperaturabnahmen von 0,6 ° auf 100 m. Die typische Winter⸗ kurve zeigt gewaltige Temperaturzunahmen mit der Höhe, unter z. B. 29,3 °,„ in 600 m nur 13 ½0, höher hinauf ein Gleichbleiben oder ganz langsame Abnahme der Temperatur. Fast immer scheint es im Winter in 2000 m Höhe wärmer als am Boden. Die größte beobachtete Inversion zeigt der Aufstieg vom 17. Juni 1912 im Betrage von 19 ½ , während bei 1000 m starker Sturm herrschte. Gegen Ende des Winters zeigte sich häufig eine Temperatur⸗ eingelagert zwischen zwei Schichten mit starker Temperatur⸗ abnahme. Eine Merkwürdigkeit ist festzustellen: die Pilot⸗ aufstiege konnten auch mitten in der Polarnacht bewerkstelligt werden. Obwohl die Sonne während 2 ½ Monaten nicht sichtbar war, war es doch in der Mittagszeit so hell, daß sich die Ballons gut von dem hellen Nordhimmel abhoben. So konnten, bei anhaltendem Südwinde, selbst im dunkelsten Monat Juni mehrfach Höhen von 5000 m erreicht werden. Auch die Drachenaufstiege wurden meist ohne künstliche Beleuchtung emacht. Diese gerologischen Arbeiten erforderten einen sehr beträcht⸗ schen Teil der verfügbaren Zeit und gehörten im Winter bei frischen Winden und 30° Kälte nicht gerade zu den größten Annehmlichkeiten. Der Weg, den das im Eise festgefrorene Schiff zwangsweise seit Mitte

März zurückgelegt, bis es endlich am 26. November freikam und

die „Deutschland“ ihr altes Lager, das sie etwa 9 Monate innegehabt, verlassen konnte, war sehr beträchtlich, auf täg⸗ lich mindestens 10 km zu schätzen, aber auch, wie im August, ein auf 108 km in 3 Tagen anwachsender. Das Schiff trieb zunächst

nach Westen, dann nach Norden und zuletzt nach Nordosten; im ganzen legte es 11 Breitengrade zurück. Liegt, wie aus den meteoro

logischen Beobachtungen ersichtlich, in der Weddelsee ein Tiefdruck

gebiet, so ist die Eistrift ungefähr parallel den Isobaren verlaufen, die Eisbewegung unterliegt wesentlich dem Windeinfluß. Am 17. De⸗

zember, ein Jahr und 3 Tage, nachdem das Schiff das erste Eis getroffen, verließ es das Eis wieder unter derselben Breite von 57 °südlicher Breite wie damals, am 19. Dezember traf man in Süd⸗ Georgien ein, dessen ganze Küste man von Tausenden von Eisberge

blockiert fand; doch konnte am Nachmittage der Hafen von Grytwiken glücklich gewonnen werden. Es ist gewiß schmerzlich, der Schilderung so unsäglicher Mühen und Leiden gegenüber, die selbst vorliegender Auszug entrollt, eingestehen zu müssen, daß ein voller Erfolg der Expedition,

wie er den Hoffnungen der Unternehmer entsprach, nicht er

zielt worden ist, wenn auch die Summe der wissenschaftlichen Ergebnisse beträchtlich ist. Die zweite deutsche Südpolar⸗ expedition teilt diese Enttäuschung mit manchen anderen. Die Frage liegt nahe und darf, veranlaßt durch das jüngste in den Einzel⸗ heiten seines Fehlschlages bekannt gewordene Scottsche Unternehmen, mit noch stärkerer Betonung gestellt worden: Ist der Betrieb der gemeinsamen großen Aufgabe der gründlichsten Erforschung der Erde z. Z. nicht unvollkommen und verbesserungsbedürftig? Die Zeit scheint reif für eine von der ganzen Kulturwelt zu dotierende, jadeit lang immer sicherer vorwärts dringende Erforschung der noch un⸗ bekannten Teile der Erde. Jedenfalls ist die Sache allzu ernst, als daß sie Gegenstand eines Wettlaufs werden dürfte, dessen Zeuge die Welt vor kurzem gewesen und auch in diesem Augenblick ist.

Altes und Neues vom Saturn. Das größte Wunder im lanetensystem ist der Saturn mit seinen Ringen und seinen vielen Monden. Die Geschichtsforschung hat es wahrscheinlich gemacht, daß schon die alten Chaldäer über irgend ein Mittel zur Bewaffnung des Auges verfügten, das hinreichend scharf war, um den Ring des Saturn sichtbar zu machen. Außerdem liegen freilich Gründe zu der Annahme vor, daß der 5 des Saturn vor 3 bis 4 Jahrtausenden deutlicher sichtbar war als heute oder in der Zeit, als Galilei das erste Fern⸗ rohr auf ihn richtete. Im Altertum wurde der Planet Chronos ge⸗ nannt, und erst später warde der lateinische Name desselben Gottes dafür eingesetzt. Die Bahn des Saturn, soweit sie von der Erde aus am Himmelszelt erscheint, vollzieht sich in einem verwickelten System von Schleifen, die einerseits durch die Bewegung der Erde um die Sonne, andererseits durch die Neigung der Saturnbahn gegen die Erdbahn entstehen. Galtlei hatte für seine Beobachtungen, die eine Wissenschaft des Planeten zuerst anbahnten, nur ein Ferarage von 32 maliger Vergrößerung, und deshalb erkannte er den Ring nicht, sondern hielt ihn für zwei Körper, die dem Planeten seitlich benachbart wären. Der Entdecker des Rings war Huyghens im Jahre 1659. Wegen öö Entfernung wissen unsere AÄstronomen von den be⸗- sonderen Eigenschaften dieses Weltkörpers nicht viel, aber auch dies ist von wunderbarster Art. So sind zeitweilig Schwankungen des Durchmessers der Saturnkugel beobachtet worden, die entweder eine wirkliche Ausdehnung des Planetenkörpers oder ein Auffallen seiner Atmosphäre andeuten. Auch die farbigen Bänder, die auf seiner Oberfläche zu erkennen sind, erleiden erhebliche jahreszeitliche Ver⸗ änderungen. Aus diesen und anderen Gründen dürfte der Saturn für eine Besiedlung mit Lebewesen recht ungeeignet sein. Das ist auch vielleicht deshalb gut, weil ein Saturnmensch 24 618 Tage auf die Wiederholung seines Geburtstages, nach dem Saturnjahr gerechnet, warten müßte. Andererseits ist der Saturntag sehr kurz, denn er dauert nur 10 ½ Stunden. Außerdem dürfte man seinen Wohnplatz auf dem Saturn nicht gerade im Schatten des Rings wählen, weil dann 6 Jahre und 236 Tage vergehen können, ohne daß man das Tageslicht erblickt. Diese Erwägungen sind aber schon deshalb ganz müßig, weil sich der Saturn sicher noch in einem geschmolzenen Zu⸗ stand befindet. Gegenwärtig steht der Saturn so günstig am Himmel, wie es in 60 Jahren nicht wieder der Fall sein wird, indem die Ringe fast die größte Oeffnung zeigen, die sie überhaupt darbteten können. Zu ihrer Wahrnehmung gehört eine 50 fache Vergrößerung. Bei 150 facher werden sie deutlicher, aber erst bei 200 facher wird die sogenannte Cassinische Teilung sichtbar. Die nach dem Berliner Astronomen Encke benannte Teilung ist nur in sehr großen Fern⸗ rohren erkennbar. Daß die Ringe gleichfalls eine Drehung besitzen, gilt jetzt als sicher erwiesen, während um ihre Entstehung immer noch estritten wird. Die neueste Theorie zu ihrer Erklärung ist die von Birkeland, der ihre Bildung auf elektromagnetische Kräfte zurück⸗ führt. Sie zeigen auffällige Veränderungen im Glanz und auch in der Breite. An dem sogenannten Florring wurde zum ersten Male vor 50 Jahren ein deutliches Hellerwerden festgestellt, und Farbenwechsel sind später oftmals ermittelt worden. Daß der Ring keine solide Masse sein kann, ist aus der Erwägung zu schließen, daß er dann von der Anziehung des Planeten einerseits und der Zentrifugalkraft andererseits auseinander⸗ gerissen werden müßte. Er kann auch nicht aus einer größeren Zahl fester Ringe bestehen, sondern nur aus einzelnen Teilchen zusammen⸗ gesetzt sein. In diesem Zustand muß er schon deshalb fortgesetzten Veränderungen unterliegen, weil die 10 Monde des Saturn je nach ihrer Stellung eine Anziehungskraft auf ihn ausüben, ab⸗ eg davon, daß auch der Jupiter Störungen als Nachbar bereitet. Die einzige Art, wie der Saturnring sich denken läßt, ist ein System einer unendlichen Zahl von Teilchen, die mit verschiedener Ge⸗ schwindigkeit je nach ihrem Abstand um den Planeten herumrasen. Uebrigens besteht die Aussicht, daß nächstens noch ein elfter S mond entdeckt werden wird.

Verkehrswesen.

Zahlungen an Postkassen durch Schecks. Zur Förderung der bargeldlosen Zahlungen nehmen an Reichsbankplätzen die Post⸗ anstalten außer Postichece und Reichsbankschecks auch Schecks auf Banken, Genossenschaften und Sparkassen in Zahlung. Die Bank usw., auf die der Scheck gezogen ist, muß ihre Geschäftsstelle im Orte und ein Girokonto bei der Reichs⸗ bank haben. Die Schecks sind verwendbar bei Einzahlungen auf Postanweisungen und Zahlkarten, beim Einkaufe von Brief⸗ marken im Betrage von mindestens 20 ℳ, bei Entrichtung von Fernsprechgebühren, gestundeten Portobeträgen und Telegramm⸗ gebühren, Zeitungsgeld, Schließfachgebüähren. Die mit Scheck eingelieferten Postanweisungen und Zahlkarten werden von der Postanstalt abgesandt, sobald die Reichsbank den Betrag der Postkasse gutgeschrieben hat. Hat der Absender bei der Post⸗ anstalt eine Sicherheit hinterlegt, so werden die Postanweisungen und Zahlkarten schon vorher abgesandt, ebenso werden die gewünschten Wertzeichen sogleich ausgehändigt. Von öffentlichen Behörden, Kassen und Anstalten, von Sparkassen der Kreise, der Stadt⸗ und Land⸗ gemeinden wird eine Sicherheit nicht beansprucht, wenn sie mit der Postanstalt eine Verabredung über das ein für allemal zu beobachtende Einlieferungsverfahren getroffen haben.

Im Verkehr zwischen Deutschland und dem Postamt in Rabaul (Deutsch Neuguinea) ist vom 1. April d. J. ab auf Postpaketen bis 5 kg und auf Postfrachtstücken bis 10 kg, die nicht durch Vermittlung von Spediteuren befördert werden, Wert⸗ angabe zulässig, die bei den über Bremen zu leitenden Postpaketen und Postfrachtstücken 2400 ℳ, bei den über Italien zu leitenden Post⸗ Fareten 800 nicht übersteigen darf. Nähere Auskunft erteilen die

ostanstalten.