1914 / 69 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 21 Mar 1914 18:00:01 GMT) scan diff

Budgetkommission ist keine sehr große Stimmung für die Unter⸗ stützung gewesen, und man hat von mir verlangt, ich möchte die Schul⸗ angelegenheit des Schutzgebiets näher erörtern, und ich habe zugesagt, im nächsten Jahre eine Denkschrift über das Schulwesen dem hohen Hause vorzulegen. (Bravo!) Ich komme nun zu einem sehr schwierigen Kapitel: dem Kapitel über die sogenannten großen Gesellschaften! Der Regierung ist der Vorwurf gemacht worden, daß sie in früheren Jahren in leichtsinniger Weise große Rechte in Form von Konzessionen fortgegeben hat. Ich möchte Sie aber zurückführen in jene Zeit, in der diese Konzessionen entstanden sind. In den Jahren, in denen wir diese Konzessions⸗ verträge abgeschlossen haben, war die Stimmung für Südwestafrika in Deutschland eine recht schlechte. Da wurde kaum geglaubt, daß aus diesem Lande überhaupt etwas zu holen ist; man hielt Südwestafrika für eine Sandbüchse, für ein Land, in dem nichts wächst; Mineralien hatte man nicht gefunden, an Diamanten war nicht zu denken. Des⸗ halb konnte man der Regierung einerseits nicht verargen, wenn sie alle Hände danach ausstreckte, Leute zu bekommen, die in diesem armen, hoffnungslosen Gebiete Geschäfte machen wollten. Als charakteristisch möchte ich mitteilen, daß, als ich damals n den neunziger Jahren als Assessor in die Kolonialabteilung des A. A. eintrat, gerade der Kolonialrat tagte und auf seiner Tagesordnung auch darüber beraten wurde, ob der Landeshaupt⸗ nann von Südwestafrika den Titel „Gouverneur“ bekommen sollte oder nicht. Als Grund gegen diese Titelerhöhung wurde angeführt, für diese Sandbüchse der Titel „Landeshauptmann“ lange gut genug sei! Ich erzähle das als Beispiel, wie damals die Stim⸗ mung über Südwestafrika war. Sie müssen diese Stimmung auch den großen Gesellschaften zugute halten, die Gelder aufwenden wollten für ein Land, von dem man nicht viel Meinung hatte. Nun hat sich herausgestellt, daß das Land mehr wert ist, als man früher glaubte, nd es hat sich herausgestellt, daß diese Konzessionsgesellschaften mehr oder weniger wie ein Pflock im Fleisch des Schutzgebiets sitzen. Ja, vas sollen wir machen? Von der einen Seite des hohen Hauses ist mir vorgeschlagen worden, die allerschärfsten Maßregeln gegen diese Gesellschaften zu treffen. Auf der anderen Seite ist betont worden, das könne die Regierung nicht tun, das könnte niemand von der kegierung verlangen. Die Regierung müsse sich auf den Standpunkt stellen, daß sie selbst zwar fälschlicherweise diese Konzessionen gegeben habe, daß dadurch wohlerworbene Rechte entstanden seien, und 1 sie jetzt, weil es ihr leid täte, früher etwas zu leichtsinnig vor⸗ gegangen zu sein, nicht mit brutaler Gewalt was mir ja bei einer nderen Gelegenheiten vorgeworfen worden ist den Konzessionsgesell⸗ schaften ihre Rechte wieder nehmen könnte. Meine Herren, ich glaube, das muß ich berücksichtigen. Ich werde prüfen, wie die Regierung der Unbequemlichkeiten Herr werden kann, die tatsächlich diese Gesell⸗ chaften durch ihre ungeheuren Areale dem Schutzgebiet bereiten.

Was den Gesetzentwurf betrifft, den Sie im Zusammenhang mit en Gesellschaften vorgelegt haben, so möchte ich mich mit der Fassung

ses Gesetzentwurfs im allgemeinen einverstanden erklären. Dieser Gesetzentwurf hat aber eine Tragweite, die die Kolonialverwaltung icht so schnell übersehen kann, wie Sie ihn zum Gesetz erhoben haben möchten. Ich neige mich deswegen dem Antrage der konservativen Hartei zu, die den Entwurf in Form einer Resolution wünscht, die den verbündeten Regierungen übergeben wird, damit sie Gelegenheit haben, die Tragweite dieses Gesetzentwurfs in Ruhe und genau zu prüfen. Als Handhabe gegen die Konzessionsgesellschaften, falls sie sich ver⸗ ständigen öffentlichen Interessen gegenüber widerstandsvoll ver al en würde mir die Fassung des Gesetzes sympathisch sein. Aber, wie ges glaube, wir dürfen uns dabei nicht übereilen. (Sehr richtig rechts.)

Es sind dann noch einige kleine Klagen vorgebracht worden, ich glaube, der Herr Abg. Waldstein ist besonders auf die Frage der Regelung der Staatsanwaltschaft und der Rechtsanwaltschaft ein⸗ gegangen. Wir glaubten, in der Lage zu sein, schon im vorigen Jahre dem Reichstag einen Entwurf über die Aenderung der Staatsanwalt⸗ schaft in den Schutzgebieten vorzulegen, es sind aber noch allerlei Be⸗ denken. Ich hoffe, Ihnen aber bald einen Entwurf vorlegen zu können.

Was nun die Beschwerde der Rechtsanwälte anbetrifft, daß il Zulassung jederzeit von dem Bezirksrichter zurückgenommen werden könne, so haben wir schon angeordnet, daß demnächst ein Erlaß nach Südwestafrika hinausgeht, wonach der Beschwerde eine aufschiebende Kraft gegeben werden soll.

Ferner ist gebeten worden, den Rechtsweg in Verwaltungssachen einzuführen. Ich habe auch in dieser Beziehung schon eine Erklärung abgegeben, daß es der Regierung durchaus notwendig erscheint, die schwierigen Verwaltungsfragen, die in unserem verschachtelten Kolo⸗ nialrecht entstehen, auf dem Rechtsweg soweit möglich entscheiden

lassen zu können.

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chon in der allgemeinen Dis⸗ kussion so weit ausgesprochen, ich glaube, im einzelnen nicht weiter t

darauf eingehen zu brauchen, falls nicht noch weitere Anregungen von den nachfolgenden Herren Rednern kommen. (Beifall.)

Abg. Mumm (wirtsch. Vag.): Daß das Ovamboland von der Besiedlung durch Weiße ausgeschlossen werden soll, hat hier verschiedent⸗

lich eine ablehnende Kritik gefunden. Nach meiner Kenntnis muß man

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aber dieses Land als ein dichtbevoölkertes erachten. Für Ansiedlungs⸗

zwecke gibt es noch anderswo weite geeignete Gebiete. Bei einer Be⸗ siedlung würden bei dem Unabhängigkeitssinn der Ovambos große S erigkeiten entstehen, sodaß das Verbot jetzt gerechtfertigt er⸗ eint. nit ist natürlich nicht die Möglichkeit ausgeschlossen,

iese Bestimmung später einmal geändert wird. Für die freung

nerkennung der Tätigkeit der Missionen seitens der verschiedenen Parteien kann man nur dankbar sein. Die Missionare haben zwar keine Kritik zu fürchten. Aber man muß doch der Ansicht entgegentreten, als ob sie infolge ihres Geschäftssinns den besten Teil des Landes für sich genommen haben. Gegenüber dem riesigen Landbesitz der Konzessions⸗ gesellschaften ist der der Missionen verschwindend gering. Man darf auch nicht vergessen, daß die Missionen ihr Land schon vor der Zeit der Besitzergteifung durch Deutschland erworben haben. Gerade diesem Umstande verdanken wir doch den Beginn unserer Kolonialpolitik. Die Missionsgesellschaften stecken alljährlich über 3 ½ Millionen in unsere Schutzgebiete. Ein verheirateter Missionar bezieht nur 3500 Ge⸗

alt, also weniger als die Unterbeamten des Reiches. Zudem ist ihnen jede Nebentatigkeit verboten. Auch müssen sie 12 bis 15 Jahre draußen bleiben. Wo Missionare Farmen betreiben, da geschieht es nur im Interesse der Eingeborenen. Die Missionen stehen auch nicht unter der Herrschaft der Kirche. Jhre Taätigkeit wird seitens freier Gemeinschaften ausgeübt. Man will elbstrdise. SEingehorenenkirchen einrichten, die sich selbst erhalten konnen. Die Missionen in Sudwestafrika haben auch mit gutem Erfolge die Ansiedlung der Buschleute begonnen. Die gute Behandlung der Eingeborenen durch die Misstonare hat ja selbst der Abg. Noske, ebenso wie früͤher der Abg. Bebel einmal, anerkannt, in⸗ dem er darauf hinwies, daß es für die Menschlichkeit der Missionare

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spräche, wenn sie von den Eingeborenen bei Aufständen geschonk wür⸗ den. Ich hoffe, der Abg. Hoch wird sich an den Ausführungen Parteifreundes Noske ein Beispiel nehmen und nach meinen Aus⸗ führungen offen seinen Irrtum eingestehen, indem er erklärt, daß der Vorwurf gegenüber den Missionaren, sie arbeiten nur in ihrem Inter⸗ esse, nicht zutreffend ist. In der „Kolnischen Zeitung“ wird nun leider die Tätigkeit der Missionare in einer Weise besprochen, die man in diesem Blatte nicht fur möglich halten sollte. Es geht doch nicht an, den Missionaren vorzuwerfen, daß sie die Kinder der Schwarzen zu ihren Gunsten ausbeuten. Das Reich muß auf jeden Fall die Kultur⸗ arbeit der Missionen anerkennen. Was der Staat jetzt gibt, bedeutet noch nicht 3 % dessen, was die Missionen selbst für die Schutzgebiete ausgeben. Hier sollte das holländische und englische System Anwendung finden. Was die Missionen besitzen, ist nicht in toter Hand. 8 Abg. Dr. Paasche (nl.): Der Artikel der „Kolnischen Zeitung

ist gewiß nicht die Meinung der nationalliberalen Partei; die Stellung meiner Freunde zu den Missionen ist ja bekannt. Niemand wird dem Reichstag den guten Willen absprechen können, der Kolonie zu helfen. Wir haben das Recht, zu erwarten, daß man draußen unsere Tätigkeit anders einschätzt, als es geschieht. Wir bemühen uns, die Auss rei⸗ tungen gegen Eingeborene zu bekämpfen selbst, wenn es einzelnen An⸗ 2 unbequem ist. Die Missionen haben getan, was in ihren Kräften steht, um auf die sittliche Anschauung der Eingeborenen einen wohltätigen Einfluß auszuüben. Die Missionare haben christliche Liebe gepredigt und Werke der Liebe getan, die man hoch anerkennen muß. Das hat das Ansehen der weißen Bevölkerung gehoben. Die Ein⸗ geborenen sollen zur Kultur an ihrem eigenen Leibe herangezogen wer⸗ den. Die Missionare haben den Grund dazu gelegt. Sie haben die Neger zu regelmäßiger Arbeit erzogen. Die deutschen Missionen haben ausgezeichnet gearbeitet, wirkliche Kulturarbeit geleistet. Die Neger haben gelernt, den Boden zu kultivieren. Das muß auch den Missionen zugute kommen, dafür sollte man doch dankbar sein. Unsere deutschen Missionare haben den großen Vorzug vor englischen und amerikanischen, daß sie nicht reiche Leute werden, sondern lediglich idealen Zwecken dienen wollen. Die englischen und amerikanischen Missionare sind zu⸗ leich Vertreter von Handelsgesellschaften und ziehen mit dem Muster⸗ offer im Lande umher. nsere Missionare errichten Kirchen und Schulen und Wohnungen für sich und ihre Familien. Sie arbeiten jedenfalls selbstlos; das möchte ich dem Artikel der „Kölnischen Zeitung

gegenüber ausdrücklich heworheben. Ich kann dies aus eigener Er⸗ fahrung sagen. Ich kann im Namen meiner politischen Freunde er⸗ klären, daß wir die Tätigkeit unserer Missionen anerkennen, und daß wir wünschen, daß sie weiter wie bisher in dieser segensreichen Tätigkeit fortfahren. Dankbar bin ich dem Abg. Oertel für die warme An⸗ erkennung unserer Farmer in Südwestafrika. Man hatte früher be⸗ fürchtet, daß gerade unsere Agrarier die Tätigkeit unserer Farmer nicht anerkennen würden. Wir im Reichstage sind nicht schuld an der Miß⸗ stimmung der Farmer da draußen. Wir haben seit Jahren gestrebt, für bessere Erschließung für Zuchttiere usw. zu sorgen. Der Reichstag ist der drängende, nicht der retardierende Faktor. Selbst die freisinnige Partei tritt warm für solche Förderung ein. Zu einer Miß

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so Mißstimmung gegen den Reichstag ist kein Anlaß vorhanden. Als der Krieg zu Ende war, hat der Reichstag mit Mitteln zugunsten der Farmer nicht gespart. Ich verweise ferner auf die Gewährung von durchschnittlich 500 zur Pension für jedes Farmerkind. Da können die Farmer doch nicht klagen, daß wir nicht genug tun. Eigentlich sind die 500 noch zuviel. Millionen werden für Wassererschließung bewilligt, für Wege zur Förderung der Pferdezucht usw. Wir tun also reichlich, was wir tun können, manchmal vielleicht sogar zuviel. Was die Schulpolitik be⸗ trifft, so mögen die Eltern mit der Regierung das Richtige finden. Kinder sollen Kinder des Landes sein und bleiben, eine höhere ulbildung schadet ihnen nichts. In bezug auf die Besiedlung des olandes können wir den Beschluß der Budgetkommission nicht ptieren. Das Land muß durch Weiße der Kultur erschlossen werden. Arbeiter dürfen dabei nicht übervorteilt, sie müssen ohne Zwang ir Arbeit herangezogen werden, aber den Weißen soll man den Weg nicht verschließen. Kein Mensch wird verlangen, daß man die Schwarzen hinausjagt. Ich bitte auch die Herren, die in der Kommission für die Resolution gestimmt haben, dies im Plenum nicht zu tun. Dem deutschen Kulturpionier darf der Weg nicht verschlossen werden. Abg. Dr. Doormann (fortschr. Volksp.) beantragt 10 Minuten vor 6 Uhr die Vertagung. Der Antrag wird gegen die Stimmen der Sozialdemokraten und der fortschrittlichen

Volkspartei abgelehnt. Abg. Henke (Soz.): Wir stehen insgesamt in der Beurteilung der christlichen Missionen auf dem Standpunkt, daß die Tätigkeit der Missionen eine erfreuliche ist. Mein Parteigenosse Noske wird sich in einer personlichen Bemerkung zu dem äußern, was der Abg. Mumm ihm vorgeworfen hat. Die Besiedlungsmöglichkeit in Südwestafrika ist eine außerordentlich schwache. Der Abg. Keinath und seine Freunde nehmen eine zu optimistische Stellung zu dieser Frage ein. Unsere Landwirte haben mehr das Interesse, ihr Vieh nach Südwestafrika auszuführen, als südwestafrikanisches Vieh von dort ausgeführt zu sehen. In bezug auf den Bau der Bahn hat der Staatssekretär wesentliche Forderungen, die wir gestellt haben, unberücksichtigt ge⸗ lassen. Er hat nicht davon gesprochen, wie verhindert werden soll, daß neue Plantagen gebaut werden sollen, er hat keine Garantier gegeben. Seine Versicherung einer menschlichen Behandlung der Arbeiter usw. nützt sehr wenig. Die Sterblichkeit in den Minen ist groß. Wie weit sind denn die Minen verpflichtet, erkrankte Ovambos arztlich behandeln zu lassen? Wenn sie die Kranken nach wenigen Tagen abschieben, dann sterben diese. Diese Fälle werden aber der Sterblichkeitsziffer auf den Minen nicht zugerechnet. Wer bürgt uns denn dafür, daß der gute Wille des Staatssekretärs auch bei den untergeordneten Stellen zum Ausdruck kommt? Wir haben alle Ursache anzunehmen, daß der Bau der Bahn das Wohl der Ovambos beeinträchtigen wird. Man beruft sich hier so gern auf die Autorität der alten Afrikaner. Neuerdings ist in zweiter Auflage das Buch eines zurzeit noch drüben befindlichen alten Afrikaners über die Verhält⸗ nisse der Farmer in Südwestafrika erschienen, das unsere pessimistische Auffassung durchaus bestätigt. In die Kolonien wird von uns nicht Kultur schlechthin, sondern kapitalistische Kultur getragen, die gegen die Arbeiterschaft erbarmungslos ist, ein Recht des Arbeiters über⸗ haupt nicht anerkennt. Die Eingeborenenkultur im Ovamboland, die in Ackerbau und Viehzucht besteht, wird durch den Bau der Eisen⸗ bahn der Vernichtung preisgegeben. Die Bevölkerungszunahme ist bei den Ovambos zurzeit noch bedeutend; damit hat es ein Ende, wenn diese Bevolkerung als Arbeiter ausgebeutet, als Lohndrücker ausgenutzt wird. Dieser Bahnbau scheint noch einen anderen Zweck zu verfolgen, über den bis jetzt Stillschweigen beobachtet wird. Man wollte ja früher schon die Ovambos zum Aufstande verlocken, um sie gleichzeitig mit den Hereros niederzuschlagen. Eine „friedliche Okku⸗ pation“ des Landes dürfte sich jedenfalls als eine große Täuschung herausstellen. Unter keinen Umstäanden können wir uns also für einen derartigen Eisenbahnbau erwärmen; wir befürchten im Gegenteil, daß alle Kolonialbauten mit Staatshilfe im letzten Grunde denselben Zweck verfolgen, vorhandene wirkliche Kulturen zu vernichten, um die apitalistische Ausbeuterkultur an die Stelle zu setzen. Die deutschen Arbeiter halten es für ihre Pflicht, für ihre schwarzen Brüder, die schwar⸗ zen Arbeiter, einzutreten, deren Lage sie ja am besten beurteilen können. Es ist darauf hingewiesen worden, daß wir eigentlich jetzt schon staat⸗ liche Arbeiteranwerber haben. Diese müssen aber das tun, was die großen Gesellschaften wollen. Deshalb haben auch die kleinen Farmer so oft unter Arbeitermangel zu leiden. Wir werden auf jeden Fall alles aufbieten, um die Arbeiterbevölkerung in Südwestafrika aufzu⸗ klären über die Gefahren, die ihnen von unserer jetzigen Kolonial⸗ politik drohen. Auf das unsinnige Verbot der Mischehen ist ja schon früͤher genug hingewiesen worden. Alle Gründe, die dagegen ange⸗ führt worden sind, wie der Begriff der Rassenreinheit, kommen gegen ein Naturgesetz nicht an. Und dieses wird sich überall durchsetzen. Wir sind nach wie vor —2 die geforderten Eisenbahnen, weil wir die Folgen genau übersehen können. Abg. 8 och (Soz.): Der Staatssekretär hat bereits gestern er⸗ klärt, er habe sich bemüht, auch einen Vertreter der Diamanten⸗ arbeiter in die Regie zu bringen. Ich verstehe diese Antwort nicht

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1“ 1“ 2 recht. Wenf man sich über eine Person berständigen will, damn mas man doch wissen, welche Person man im Auge hat. Der Staats⸗ sekretär hat dies gar nicht erst einmal festgestellt. Bei den Verhand⸗ lungen muß der Staatssekretär Leute hinter sich haben, die genau in⸗ formiert sind. Es ist bedauerlich, daß der Staatssekretär auf meine gestrigen Ausführungen nicht eingegangen ist; ich hatte geglaubt, er würde heute darauf zurückkommen, weil er sich überzeugt hat, daß seine gestern angegebenen Gründe nicht stichhaltig sind. Unsere Hoff⸗ nung kann nur erfüllt werden, wenn ein anderes System in die kolo⸗ nialamtlichen Verhältnisse hineinkommt, wenn es nicht vollständig dem Einfluß der großen Banken unterliegt. Die großen Banken erlauben sich alles und glauben, den Arbeitern den Daumen aufs Auge drücken zu dürfen. Die Vorwürfe 48 Staatssekretär die Oeffentlichkeit gedrungen, und deshalb ist es notwendig, daß der En Neftraecg auf die Fache eingeht. Er hat mir den Vorwurf gemacht, ich hätte die Regie verdächtigt. Das habe ich nicht getan; ich habe nur auf einen ganz bestimmten Vorgang hingewiesen. Der Staatssekretär irrt sich, wenn er meint, mit Stillschweigen so etwas aus der Welt schaffen zu können. Wir tun nur unsere Pflicht und Schuldigkeit, wenn wir das vorbringen, was wir vorzubringen für notwendig halten.

Staatssekretär des Reichskolonialamts Dr. Solf:*) d

Abg. Hoch (Soz.): Ich hätte gewünscht, daß der Staatssekretär sich hätte besser unterrichten lassen. Es handelt sich um etwas ganz anderes, als er eben gesagt hat. Es handelt sich um einen ganz anderen Fall. Es wurde dem Vorsitzenden des Aufsichtsrats vor⸗ geworfen, in einem ordnungswidrigen Verhältnis zu dem Antwerpener Syndikat zu stehen. (Staatssekretär Dr. Solf: Das ist dieselbe Sache!) Nein, das ist nicht dieselbe Sache. Der Vorsitzende des Aufsichtsrats hat darauf den Vorsitz niedergelegt. Warum hat der Staatssekretär als Vorsitzender der Regie nichts getan, um diese Sache aufzudecken? 4

Staatssekretär des Reichskolonialamts Dr. Solf:*è))

Abg. Hoch (Soz.) wendet sich zunächst sehr erregt gegen einen Zuruf, den ihm der Abg. Waldstein macht, und bleibt dabei, daß der Staatssekretär Auskunft hätte verlangen müssen, warum der Vor⸗ sitzende des Aufsichtsrats sein Amt niedergelegt hat.

Abg. Waldstein (fortschr. Volksp.): Ich habe dem Abg. Hoch zugerufen, er möchte uns doch mitteilen, über welche Tatsachen er von dem Staatssekretär Auskunft verlange. Ich habe ihm zu⸗ gerufen: Was wollen Sie, was meinen Sie eigentlich? Wenn der Abg. Hoch den Staatssekretär gefragt hat, warum Fürstenberg den Vorsitz niedergelegt hat, so brauchte der Staatssekretär ihm darauf nur zu antworten: Fragen Sie doch Fürstenberg selbst. Fürstenberg hat den

t h e s Vorsitz niedergelegt, weil die Streitigkeiten zu dem Punkte gediehen waren, daß eine andere Gestaltung der Verhältnisse eintrat. Im Herbst fand nun das Strafverfahren statt, von dem wir vorhin ge⸗ hört haben, und in dem die Angeschuldigten weh⸗ und demütig Abbitte geleistet haben. Nachher wurde dann die bekannte schwarz⸗weiß⸗rote Schrift veröffentlicht. Der Verfasser kleidete seine Angriffe in eine Form, die sich der gerichtlichen Ahndung entziehen sollte. Irgendeine bestimmte Tatsache hat er nicht angeführt, er hat nur behauptet, daß ein allzu intimes Verhältnis zwischen dem Vorsitzenden des Auf⸗ sichtsrats und dem Antwerpner Sovndikat bestehe. Ich glaube, der Abg. Hoch hat dieser Schrift allzuviel Ehre angetan und allzuviel Zeit des Reichstaas für diese Sache in Anspruch genommen.

g. Hoch (Soz.): Darüber, was ein Abgeordneter hier vorzu⸗ gen hat, steht ihm allein zu, zu entscheiden. Um die Machtstellung Großbanken hat sich der ganze Kampf der letzten Jahre gedreht, es s also keine nebensächliche Angelegenheit. Ich habe es für meine Pflicht gehalten, diesen am schwersten wiegenden Punkt hier zur

ache zu bringen. Der Abg. Waldstein hat selbst den Streitgegen⸗

d verschoben. Es wird in der Broschüre nicht behauptet, es bestebe

in Verhältnis unbestimmter Art; es wird vielmehr gesagt, in der ien bestimmte Tatsachen aufger. 6 die das Verhalltnis

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zum Antwerpener Syndikat belkeffen, und die ehze

n, r den Vorsitz niederlegte. Ich habe die ganz pras 8eIuaht⸗ getan: Ist daran etwas Wahres? Der Abg. Waldstein meinte, vu Fassung des Passus in der Broschüre sei so vorsichtig, daß sie nicht vor die Gerichte gebracht werden könne; gerade deshalb muß hier im Reichs⸗ tage die Aufklärung erfolgen. Es gibt ja schließlich auch zweifelhafte, aber nicht direkt strafbare Beziehungen, die nicht zum Gegenstand einer Klage gemacht werden können. Der Staatssekretär mußte doch er⸗ klären, es gebe absolut keine Beziehungen, die solche Verdächtigungen rechtfertigen. Der Abg. Waldstein war ja selbst Zeuge einer kurzen Unterhaltung, die ich mit dem Staatssekretär gehabt habe, wo ich ihn bat, mit wenigen Worten diese Sache gt a. ehe. Mir kann also

g. Waldstein am wenigsten vorwerfen, ich hätte bloß das Haus

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Abg (Soz.): Ich habe nichts Unrichtiges gegenüber den Missionen gt. (Redner spricht unter lauter Unruhe des Hauses weiter und wird häufig von dem Vizepräsidenten Paasche unterbrochen. Abg. Reißhaus ruft dabei dem Vielprasibensen eine beleidigende Aeußerung zu, weswegen er zur Ordnung gerufen wird.) Da Abg. Noske immer wieder von Dingen anfängt, die der Vizepräsident nicht für zulässig erachtet, bricht er schließlich mit den Worten ab: Ich habe sogar die Leistungen der Missionen auf dem Gebiet des Schulwesens anerkannt. Ich muß mich mit dieser Bemerkung begnügen, da ich an weiteren Feststellungen gehindert bin.

Abg. Mumm (wirtsch. Vgg.): Ich habe dem Abg. Noske ja auch direkt keine Vorwürfe gemacht.

Schluß 7 ½ Uhr. Nächste Sitzung Sonnabend? Uhr. (Notetat; Etat der Schutzgebiete; Petitionen.)

* Die Reden des Staatssekretärs des Reichskolonialamts können wegen verspateten Eingangs des Stenogramms erst am Montag im Wortlaut mitgeteilt werden.

Nr. 16 des „Zentralblatts für das Deutsche Reich“, herausgegeben im Reichsamt des Innern, vom 20. März 1914 bat folgenden Inhalt: 1) Konsulatwesen: Ernennungen; Exequatur erteilungen. 2) Militärwesen: Ermächtigung zur Ausstellung ärzt⸗ licher Zeugnisse über die Tauglichkeit von militärpflichtigen Deutschen in Spanien und Portugal; Erlöschen von Ermächtigungen desgl. wie vor. 3) Finanzwesen: Nachweisung von Einnahmen der Reichs⸗ post⸗ und Telegraphen⸗ sowie der Reichseifenbahnverwaltung für die Zeit vom 1. April 1913 bis zum Schlusse des Monats Februar 1914. Uebersicht der Eirnahmen an Zöllen, Steuern und Gebühren für die Zeit vom 1. April 1913 bis zum Schlusse des Monats Februar 888 4) Polizeiwesen. Ausweisung von Ausländern aus dem Reichs⸗ gebiete.

Nr. 9 des „Eisenbahnverordnungsblatts“, herausgegeben im Ministerium der öffentlichen Arbeiten, vom 19. März 1914 bat folgenden Inbalt: Bekanntmachung des Reichskanzlers vom 23. Fe⸗ bruar 1914, betreffend eine neue Ausgabe der dem Internationalen Uebereinkommen über den Eisenbahnfrachtverkehr beigefügten Liste. Nachrichten. Verzeichnis der im Deutschen Reiche bestehenden Handels⸗ und Landwirtschaftskammern nach dem Stande am Anfang des Jahres 1914.

Haus der Abgeordneten. izung vom 20. März 1914, Vormittags 11 Uhr.

(Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.) Ueber den Beginn der Sitzung ist in der gestrigen Nummer

d. Bl. berichtet worden. Das Haus setzt die erste Beratung des Gesetzentwurfs über Teilung land⸗ oder forstwirtschaftlicher Be⸗ sitzungen (Grundteilungsgesetz) fort in Verbindung mit der Beratung der Anträge der Abgg. Freiherr von Zedlitz (freikons.) und Boisly (nl.), betreffend Erhebungen über die Zusammenlegung von bäuerlichem Grundbesitz mit Groß⸗ besitz, und in Verbindung mit der ersten Beratung der von dem Abg. Ecker⸗Winsen (nl.) eingebrachten Gesetzentwürfe wegen Avsiedlung von Landarbeitern und Schaffung von Allmenden, wegen Schaffung von klein⸗ und mittelbäuerlichen Betrieben und wegen Förderung der inneren Kolonisation durch provinzielle Ansiedlungsgesellschaften, sowie des von dem Abg. Aronsoh n (fortschr. Volksp.) eingebrachten Gesetzentwurfs wegen Förderung der inneren Kolonisation.

Abg. Ecker⸗Winsen (nl.): In der Auffassung, daß die innere Kolonisation eine der wichtigsten Aufgaben der Gegenwart sei, stimmen

wir mit dem Vorredner durchaus überein. Wir sind auch mit ihm der Meinung, daß parteipolitische und konfessionelle Momente bei der Beurteilung der Frage gänzlich ausscheiden müssen. In Rußland hat der Ministerrat einen Gesetzentwurf beraten, der eine strenge Kon⸗ trolle der russischen Auswanderer durchführen soll. Was ein solches Fesetz in der Hand einer starken Regierung bedeutet, welche Kata⸗ hen es für unsere Landwirtschaft und in weite e für den deutschen Krieges gegen zwei Fronten ren kann,

ausgemalt zu werden. Helfen und schü⸗ agegen kann

ß man die Situation scharf ins Auge faßt und rechtzeitig vor⸗

beugt, und das kann nur geschehen durch eine zielbewußte und umfassende innere K Es gilt, den deutschen Bauernstand nicht nur zu

erhalten, sondern auch leistungsfähig zu erhalten. Die Statistik lehrt, daß es, wenn wir Bauern ansetzen wollen, des Neulandes bedarf. Die Besiedlung der Moore reicht nicht hin, auch nicht die Aufteilung von bleibt also nichts übrig, als eine Erleichterung der Grundteilung überhaupt. Was die Güterschlächterei betrifft, so rüßen wir die Vorschläge der Vorlage; d Er Sorge der Güterhandel nicht überhaupt unmöglich gemacht wird. Der hwerpunkt der Vorlage liegt aber in dem Vorkaufsrecht des . Hier sind wir mit dem Grundgedanken des Ent⸗ einverstanden. Das Vorkaufsrecht des Staates wird ins 4 einzige Mittel sein, den ungesunden Verhält⸗ nissen auf dem Gütermarkt mit Erfolg entgegenzuarbeiten. Der Grüund, und Boden ist zum reinen Spekulationsobjekt

vaeworden, wir müssen mit allen Mitteln zu verhindern suchen,

baß seine Mobilisierung noch weiter um sich greift. Die ungesunde Bewegung muß eingeschränkt werden, die Beschränkung auf die soge⸗ nannten Walzengüter würde nicht genügen, das würde nur einen Schlag ins Wasser bedeuten. Wir halten es aber nicht für zweck⸗ en Regierungspräsidenten die Genehmigung in die Hand zu 3 ist zu erwägen, ob man sie nicht ausschalten kann. Die Ost⸗ hat nicht eine Verdrängung der Polen, sondern nur die ütj s im Auge, es ist bloß ein Abwehrmittel. Zweifel, daß das Vorkaufsrecht der Ansiedlungskom⸗ osen eine willkommene Handhabe zur Forderung des üutschtums g kann. Leider hat sich der Bauernstand im Osten der Aera des Freiherrn vom Stein mit der Industrialisierung des gates in hohem Grade gelockert. Ganz anders in der Provinz Hanncver, wo eine gesunde Bodenbesitzverteilung vorhanden ist. Wir müssen dagegen kämpfen, daß, wie in Schlesien, in großem Umfange Bauernland in Gutsland übergeht, wir müssen das Bauernlegen verbindern. Diesem Zweck dient der Antrag Boisly, dem Herr von Reitzenstein soeben einige freundliche Worte gewidmet hat. Die Genehmigungspflicht und das Vorkaufsrecht sind nur wirksam, wenn sie verbunden sind mit einer Reform der Organisation und mit hin⸗ reichenden Geldmitteln. Wir wünschen, daß unsere Anträge, die darauf hinzielen, in das Gesetz hineingearbeitet werden. Ueber Einzel⸗ heiten dieser Anträge läßt sich ja reden. Was die Organisation be⸗ trifft, so ist es zweckmaßig, mit der Durchführung dieser Aufgabe nicht staatliche Kommissionen, sondern Ansiedlunasgesellschaften zu betrauen. Die Ansetzung von Landarbeitern und kleinen Bauern ist bei solchen Gesellschaften am besten aufgehoben. Wir wünschen, daß beim Ausbau dieser Gesellschaften der Staat führend eintritt und einen maßgebenden Einfluß hat, namentlich in bezug auf die Auswahl der leitenden Persönlichkeiten. Vor allem ist es erforderlich, daß Misß⸗ griffe vermieden werden. Anderseits wünschen wir nicht, daß bloß die großen Ansiedlungsgesellschaften zugezogen werden, sondern wir wollen, daß auch kleinere Vereinigungen zugelassen werden. Unbedingt ist es erforderlich, auch die lokalen Organisationen zu reformieren, damit sie ihren Aufgaben gerecht werden können. Die Kreise müssen dabei beteiligt werden. Man wünscht nun eine Zentralstelle für die innere Kolonisation im Landwirtschaftsministerium. An und für sich würde eine Zentralstelle nicht viel ändern an dem Betriebe der inneren Kolonisation; richtig wäre es, die Generalkommissionen zweck⸗ mäßig auszugestalten. Mit dem Entwurf sind wir darin einver⸗ standen, daß größere Mittel aufgewendet werden müssen für R gutsbildung; sie haben sich im allgemeinen bewährt. Nur gewünscht, daß die Vorlage noch etwas weiter gegangen wäre; lastungsgrenze der Rentengüter könnte noch weiter gezogen Verluste sind nicht zu befürchten. Die bisherige Grenze ist ganz anderen Geldwertverhältnissen gezogen worden. Ebenso wirk⸗ sam ist aber auch die Regelung des öffentlich⸗rechtlichen Verhaltnisses. Besondere Beihilfen müssen gegeben werden für Wegebauten, für Meliorationen und für den Bau von zweckmäßigen Wohnungen. Was die Allmenden betrifft, so hat der Vorredner ihnen sehr freund⸗ liche Worte gewidmet und sie so ausführlich begründet, daß ich mich weiterer Ausführungen enthalten kann. Das System der Allmenden muß tunlichst aufrecht erhalten und ausgebaut werden. Für alle diese Zwecke müssen hinreichende Mittel zur Verfügung gestellt werden. Die 75 Millionen für Zwischenkredite reichen nicht aus. Es handelt sich darum, auf allen diesen Gebieten stabile Verhältnisse zu schaffen. Die innere Kolonisation bedeutet doch eine Stärkung der Steuerkraft. Was auf der einen Seite ausgegeben wird, wird auf der anderen wieder eingenommen. Nordamerika, Canada, Australien und Süd⸗ afrika sind dauernd bestrebt, Bauernland zu schaffen; Rußland und Oesterreich haben in letzter Zeit Hunderttausende von Bauern an⸗ gesetzt, weil diese Länder wissen, daß die Schaffung eines starken Bauernstandes für die Nation von allergrößtem Wert ist. Wir müssen alle Fragen der inneren Kolonisation im Zusammenhange gründlich erörtern, und wir werden nicht eher ruhen, bis diese für die Nation so wichtige Frage endgültig gelöst ist. Abg. Freiherr von Zedlitz und Nenkirch (freikons.): Es ist kein Zweifel, daß die Einführung der Genehmigungspflicht für die Zerschlagung von Gütern und das Vorkaufsrecht des Staates schwere

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Zweite Beilage

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Eingriffe in die Freiheit des Grundeigentums darstellen.

Eingriffe sind nur im Anfange des vorigen Jahrhunde genommen worden. Angesichts dieser Sachlage ist es unsere besondere Pflicht, sorgfältig zu prüfen, ob die Voraussetzungen vorli ei denen in Preußen eine Minderung der Freiheit des Grundeigentums aus Gründen des öffentlichen Wohles zulässig ist. Wir werden mit den beiden Maßnahmen, der Einführung der Genehmigungspflicht mit dem Rücktrittsrecht und dem staatlichen Vorkaufsrecht, die Er⸗ reichung des agrarpolitischen Zieles in wirksamer Weise herbeizuführen suchen. Die innere Kolonisation mit ihren beiden Zielen, Ansetzung von Bauern und Vermebhrung der Zahl der Landarbeiter, ist eine Lebensfrage des preußischen Staates zur Gesundheit und Kraft unseres Volkes. Für solche großen Ziele rechtfertigt sich auch eine gewisse Beschränkung der Freiheit, allerdings nur, wenn die innere Koloni⸗ sationspolitik mit voller Stetigkeit und in großzügiger Weise geführt wird. Ich glaube, es kann ein Zweifel darüber nicht bestehen, daß alle diese Maßnahmen geeignet sind, die innere Kolonisation zu fördern. Sehr wichtig für das Gedeihen der inneren Kolonisation ist, daß durch die Einführung der Genehmigungspflicht die Ansiedlungen verhindert werden, die zugrunde gehen und verkümmern. Nichts wirkt ungünstige auf den Fortgang der inneren Kolonisation, als wenn sich eine Reihe von solchen Erscheinungen zeigt. Die innere Kolonisation wird nur dann gedeihen, wenn die Arsiedlungen so gemacht werden, daß die neuen Ansiedler ihr gutes Fortkommen finden. Eines der schwersten Hindernisse der inneren Kolonisation ist der übertriebene Preisstand des ländlichen Grundbesitzes, der zum Teil dadurch hervorgerufen ist, daß unsere Kaufleute und Industriellen geneigt sind, zum Vergnügen sich Güter zu er⸗ werben. Es kann keinem Zweifel unterltegen, daß die Beschränkung der Güterschlächterei und die Einführung des Vorkaufsrechts eine Verminderung der Nachfrage nach Grund und Boden und damit auch ein Sinken des Preises herbeiführen werden. Das Gesetz wird die Folge haben, daß die Landflucht mehr und mehr cingeschränkt und die Bevölkerung mehr bodenständig wird. Das ist ein Gesichtspunkt, der vom staaterhaltenden Standpunkte aus nicht hoch genug bewertet werden kann. Wenn aber diese Wirkungen erzielt werden sollen, so müssen die beiden Maßnahmen, die Einführung der Genehmigungs⸗ pflicht und das Vorkaufsrecht, in den richtigen Grenzen bleiben. Diese Maßnahmen dürfen nicht auf Gebiete ausgedehnt werden, auf denen sie schädlich wirken, und wo sie den Güterverkehr allzusehr ein⸗ schränken. Die Voraussetzungen, unter denen die Genehmigung versagt werden kann, müssen so präzis wie möglich gefaßt werden. Das unbedingte Vorkaufsrecht kann natürlich nur dann gegeven werden, wenn es sich um Güter handelt. bei denen die Genehmigungspflicht eingeführt ist. Naturgemäß müssen diejenigen Güter, die zur Förde⸗ rung der inneren Kolonisation dienen, anders behandelt werden als diejenigen, bei denen es sich lediglich um Marktware handelt. Es werd dafür zu sorgen sein, daß die Frist, innerhalb welcher die Be⸗ gegen den Bescheid des Regierungspräsidenten zulässig ist, eine angemessene ist. Ich glaube, die Erteilung der Genehmigung durch den Regierungspräsidenten und als letzte Instanz durch den Oberpräsidenten ist nicht geeignet, eine bolle Gewähr dafür zu bieten, daß die Angelegenheit sachgemäß geprüft und kein Mißbrauch stattsfinden wird. Bei einem derartig schweren Eingriff in das Privateigentum ist es notwendig, daß die Genehmigung nicht allein von dem Landrat, von dem Regierungspräsid nten und zuletzt von dem Oberpräsidenten abhängig ist. Wir müssen unter allen Umständen fordern, daß zu der Genehmigungeerteilung Personen herangezogen werden, die von dem besonde en Vertrauen de jenigen Kreise getragen werden, die von dem Vorkaufsrecht und der Genehmigungspflicht getroffen werden. Es muß also eine Instanz geschaffen werden, in der auch ein geeignetes Laienelement vertreten ist. Die innere Kolonisation muß noch mehr als bisher vom Staate gefördert werden. Die staatlichen Mittel, die bisher für iesen Zweck aufgewendet worden sind, reichen noch nicht aus. Vor

allen Dingen müssen die Ansiedlungsg⸗sellschaften von den Kosten der öͤffentlich⸗rechtlichen Einrichtungen entlastet werden. Bisher hatte der

Staat dafür eine bestimmte Summe ausgesetzt, es muß aber ge⸗ fordert werden, daß er die volle Höhe der Kosten der öffentlich⸗recht⸗ lichen Einrichtungen trägt. Auch wir stehen auf dem Standpunkte, daß bei neuen Ansiedlungen für Allmende gesorgt werden muß. Das liegt im Interesse der Erhaltung der ländlichen Arbeiter. Was die Höhe der Summe anlangt, die für alle diese Zwecke aus⸗ geworfen werden soll, so ist ja kein Zweifel, daß mit 300 Millionen recht Ansehnliches geschaffen werden kann; aber anderseits muß doch die Erwägung durchschlagen, daß bei einem so bedeutungsvollen Schritt ein vorsichtiges Vorgehen dringend geboten ist. Nach dem Antrage Boisly und Engelbrecht müssen wir vor allem klar sehen in der Grundbesitzbewegung; die Erhehungen über die Verschiebung zwischen Großgrundbesitz und bäuerlichem Grundbesitz in ihren Ur⸗ sachen und Wirkungen werden uns diese Klarheit schaffen. Und da wir alle ohne Parteiunterschied bereit sind, alles zu tun, was der Entvölkerung des platten Landes wirksam steuern kann, auch die Regierung sich des Ernstes der Frage, wie man den vorhandenen Bauernstand auf dem Lande besser als bisher erhalten kann, gewiß bewußt ist, so wird aus der Beratung des Entwurfs hoffentlich ein befriedigendes, dem Lande zum Segen gereichendes Gesetzgebungswerk hervorgehen.

Minister für Landwirtschaft, Domänen und Forsten Dr. Freiherr von Schorlemer:

Meine Herren! Dem an letzter Stelle von dem Herrn Vorredner ausgesprochenen Gedanken, in nähere Erwägung darüber einzutreten, inwieweit der vorhandene Bauernstand auf dem Lande seßhaft erhalten werden könnte, stehe ich, wie sie sich denken können, schon als Sohn der Roten Erde sehr sympathisch gegenüber. Ich glaube aber, darauf hinweisen zu müssen, daß bereits durch das Gesetz vom 8. Juni 1896, betreffend das Anerbenrecht bei Renten⸗ und Ansiedlungsgütern, die Möglichkeit geschaffen worden ist, ein Anerbenrecht bei den vor⸗ genannten Gütern einzuführen, und daß die Anerbengutseigenschaft auch schon in zahlreichen Fällen im Grundbuch eingetragen worden ist.

Anders steht es mit dem meiner Ansicht nach ebenso wichtigen Teile der ländlichen bäuerlichen Bevölkerung, mit den altansässigen Bauerngutsbesitzern, für die nach dieser Richtung noch wenig ge⸗ schehen ist.

1 Ich möchte glauben, daß der richtige Augenblick, dieser Frage näherzutreten, weniger bei der Beratung dieses Gesetzes gegeben ist. Wenn aber und die Zeit ist ja auch nicht fern dieses hohe Haus sich mit den Vorschlägen des Fideikommißgesetzentwurfs zu befassen haben wird, dann würde bei dieser Gelegenheit auch sehr gut die Frage erwogen werden können, inwieweit sich, natürlich nicht die gleichen, aber andere Bestimmungen zu dem Zwecke empfehlen, auch dem Bauernstand die Möglichkeit zu geben, sein Besitztum vom Vater auf Sohn, wenn auch nicht unter den strengen Formen des Fidei⸗ kommißrechts zu vererben. (Sehr gut! im Zentr.)

Ein Anfang nach dieser Richtung hin ist ja bereits mit der An⸗ erbengesetzgebung in Westfalen und Hannover gemacht. Es ist aber

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bisher noch nicht gelungen, die Bauern, soweit es auf deren Antrag ankommt, in größerer Anzahl dazu zu bringen, von den Vorteilen dieses Gesetzes für die Erhaltung ihres Besitzes Gebrauch zu machen.

Meine Herren, wohl alle bisherigen Redner stimmen darin überein, daß bei der Frage der inneren Kolonisation nicht allein die Ansetzung bäuerlicher Besitzer, sondern ebenso die Erhaltung und Ver⸗ mehrung des Landarbeiterstandes eine große Rolle spielt! Ich habe schon im vorigen Jahre auf die Schwierigkeiten hingewiesen, die der Massenansiedlung von ländlichen Arbeitern entgegenstehen und möchte Ihre Zeit mit ein Viederholung dieser Schwierig keiten in diesem Augenblick ni Anspruch nehmen. Aber auf Ausführungen, welche der Herr Abg. von Kries gestern gemacht hat und die ins besondere auf die Verminderung des Besitzes unter 2 Hektar Bezug nahmen, möchte ich doch mit einigen Worten eingeben:

Die Statistik erfaßt leider nur die Zeit von 1895 bis 1907. Interessant ist, daß gerade in diesem Zeitraum die kleinsten Betriebe bis zur Größe von 0,05 Hektar, also nur 500 Quadratmeter, eine nicht unerhebliche Zunahme zu verzeichnen haben! Das ist in der Haupt⸗ sache wohl darauf zurückzuführen, daß mehr als früher durch die ganze Bevölkerung das Bestreben geht, sich einen wenn auch kleinsten land⸗ wirtschaftlichen oder Gartenbetrieb zu sichern, ebenso auf die Zunahme der Laubenkolonien, die ebenfalls bei dieser Zählung, einer Zählung auch der kleinsten Betriebe, in Betracht kommen. Zurückgegangen sind in der Hauptsa ie Betriebe von 0,5 bis 2 Hektar, und zwar is hier zu bemerken, daß die Zahl der Betriebe stärker zurück⸗ zangen ist als die diesen Betrieben gewidmete Grundfläche. D utet auf eine Erscheinung hin, die wir auch durch andere Mitteilun⸗ en bestätigt finden, daß nämlich die sogenannten Zwergbetriebe den irtschaftlichen Arbeitern unsympathisch geworden sind; sie streben nach, einen größeren Besitz als den bisherigen zu erwerben.

Mit dieser meiner Angabe stimmt auch die Statistik überein, die den Nachweis erbringt, daß in den folgenden größeren Besitzklassen eine Zunahme stattgefunden hat! Ich komme auf diese statistischen Angaben nicht zurück, um die Ausführungen des Herrn Abg. Dr. von Kries zu entkräften, sondern um nochmals darauf hinzuweisen, daß wir, wenn wir mit der Arbeiteransiedlung weitere und größere Fort⸗ schritte machen wollen, das Bestreben der ländlichen Arbeiter nach einem größeren Besitze an Eigentum oder Pachtland auch entsprechend üunterstützen müssen. (Sehr richtig!)

Bis jetzt ist man im großen und ganzen von der Auffassung aus⸗ gegangen, daß ein ländlicher Arbeiter nur so viel Besitz bewirtschaften dürfe, daß er nebenbei nicht allein die Zeit, sondern auch die Not⸗

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wendigkeit fände, sich außerhalb seiner Betriebsstätte Arbeit zu suchen.

Das ist theoretisch auch ganz richtig; aber in der Praxis führt es dann dazu, daß solche Arbeiter wenigstens da, wo sie als freie Arbeiter an⸗ gesetzt sind, wo sie die Möglichkeit haben, sich selbständig ihre Arbeits⸗ gelegenheit zu suchen, nicht an derselben Betriebsstätte aushalten: sie verlassen dieselbe in dem Augenblick, wo sie anderweitig ein besseres Unterkommen und bessere Arbeitsgelegenheit finden. (Sehr richtig!) Ich stehe deshalb nach diesen Wa

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möglichst eine herbeizuführen (Sehr richtig!), ihnen die Möglichkeit zu verschaffen, von der kleineren Stelle auf die größere überzusiedeln und sich damit auch in ihrem Eigentum und in ihrem Besitz entsprechend zu vergrößern. Gerade diese Bestrebun⸗ gen würden wesentlich dann gefördert werden können, wenn es gelänge, bei der Gründung neuer Ansiedlungen nicht allein eine entsprechende Anzahl von Arbeitern anzusetzen, sondern ihnen auch aus dem aus⸗ gewiesenen Gemeindeland oder der Allmende entsprechende Teil⸗ stücke entweder als Pachtland oder als Eigentum im Laufe der Jahre zulegen zu können. Reservierung von Gemeindeland ist am besten und zweckmäßigsten bei der Ansiedlungskommission durchgeführt, die regel⸗ mäßig 5 %% der ausgelegten Betriebsfläche als Gemeindeland zurück⸗ behält! Auch die übrigen Ansiedlungsgesellschaften gehen allmählich dazu über, derartiges Gemeindeland zu reservieren. Sie stoßen aber natürlich, je höher die Landpreise steigen, desto mehr auf Schwierig⸗ keiten. Eine Besserung nach dieser Richtung wird aber voraussichtlich dadurch erreicht werden können, daß die Staatsregierung bekanntlich bei den Einlagen, welche sie bei den gemeinnützigen Siedlungsgesell⸗ schaften macht, auf eine Dividende verzichtet und dafür beansprucht, daß diese Dividende einem allgemein kolonisatorischen und Wohlfahrts⸗ zwecken dienenden Fonds zugeführt werden. Die Besiedlungsgesell⸗ schaften werden der Anfang damit ist schon gemacht aus diesem Fonds größere Landreserven zu schaffen suchen, aus denen dann den angesetzten Ansiedlern im Laufe der Jahre noch Land zuͤgelegt werden kann.

Denn, meine Herren, was bei den ländlichen Arbeitern, wie ich eben ausgeführt habe, zutrifft, gilt wohl in demselben Maße von den bäuerlichen Ansiedlern, die ebenfalls, wenn sie prosperieren, das Be⸗ dürfnis der Ausdehnung haben und infolgedessen, weil sie in ihrer näheren Umgebung kein Land mehr finden können, geneigt sind, ihre Stelle wieder zu verkaufen und sich auf einer anderen größeren Stelle wieder anzusiedeln. Damit steht eine Tatsache in Zusammenhang, die auch bei Besprechung der Denkschrift der Ansiedlungskommission vom Jahre 1913 noch erwähnt werden muß, daß verhältnismäßig eine sehr große Anzahl von Ansiedlern ihre Stellen wechseln, teilweise natürlich infolge von Todesfällen oder sonstigen Ereignissen, vielfach aber auch aus dem Grunde, weil die Ansiedler nicht in der Lage sind, sich an ihrer Stelle weiter auszudehnen, und infolgedessen vorziehen, anders⸗ wohin zu gehen, wo ihnen eine Ausdehnung des Besitzes und auch des Erwerbes ermöglicht wird!

Meine Herren, ich möchte mich nun noch zu den Ausführungen des Vertreters der Zentrumspartei, des Herrn Abg. von Reitzenstein wenden. Er hat zunächst bemängelt, daß das Zahlenmaterial, welches in der Begründung des Grundteilungsgesetzes mitgeteilt worden ist, anscheinend willkürlich zusammengestellt sei; er meint, man habe zweifellos diejenigen Provinzen genommen, aus denen das für die Be⸗ gründung des Gesetzentwurfes günstigste Zahlenmaterial hinsichtlich der

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