1“
Justizministerium.
Der Rechtsanwalt Püschel in Frankfurt a. O. ist zum
Notar für den Bezirk des Kammergerichts mit Anweisung seines Amtssitzes in Frankfurt a. O. ernannt worden.
Finanzministerium. „Der bisherige Regierungskanzlist Silberberg von der Direktion für die Verwaltung der direkten Steuern in Berlin ist zum Geheimen Kanzleisekretär beim Finanzministerium er⸗ nannt worden. .“ v
2*
Evangelischer Oberkirchenrat.
Dem Superintendenten Grude in Gottswalde ist das Ephoralamt der Diözese Danziger Werder übertragen worden.
8 “ 66“
Bekanntmachung.
Nach Vorschrift des Gesetzes vom 10. April 1872 (Gesetzsamml.
S. 357) sind bekannt gemacht:
1) der am 12. Januar 1914 Allerhöchst vollzogene Nachtrag zu dem Statute für den Deichverband an der unteren Oder in Greifenhagen i. Pomm. vom 11. April 1907 durch das Amtsblatt der Königlichen Regierung in Stettin Nr. 6 S. 45, ausgegeben am 7. Februar 1914; 1 das am 2. Januar 1914 Allerhöchst vollzogene Statut für die Be⸗ und Entwässerungsgenossenschaft Schmolsin in Schmolsin im Kreise Stolp durch das Amtsblatt der Königlichen Regierung in Köslin Nr. 9 S. 55, ausgegeben am 28. Februar 1914; der Allerhöchste Erlaß vom 26. Januar 1914, betreffend die Verleihung des Enteignungsrechts an die Staatsbau⸗ verwaltung für die Ausführung der Kanalisierung des von Offenbach bis Aschaffenburg, durch die Amts⸗
ätter
dder Königlichen Regierung in Cassel Nr. 9 S. 113, aus⸗ gegeben am 28. Februar 1914, und
der Königlichen Regierung in Wieebaden Nr. 9 S. 95, ausgegeben am 28. Februar 1914;
das am 2. März 1914 Allerhöchst vollzogene Statut für
die Samitzer Ent⸗ und Bewässerungsgenossenschaft in
Samitz im Kreise Goldberg⸗Havnau durch das Amtsblatt
der Koͤniglichen Regierung in Liegnitz Nr. 12 S. 93, aus⸗
gegeben am 21. März 1914.
Die von heute ab zur Ausgabe gelangende Nummer 7 der Preußischen Gesetzsammlung enthält unter
Nr. 11 338 das Gesetz, betreffend die Zuständigkeit der Gerichtsschreiber der Amtsgerichte für die öffentliche Be⸗ glaubigung einer Unterschrift, vom 18. März 1914, und unter
Nr. 11 339 die Verfügung des Justizministers, betreffend die Anlegung des Grundbuchs für einen Teil des Bezirks des Amtsgerichts Diez, vom 16. März 191141.
rlin W. 9, den 26. März 1914.
Königliches Gesetzsammlungsamt. Krüer.
Nichtamtliches.
Deutsches Reich.
Preußen. Berlin, 27. März 1914.
Ihre Königlichen Hoheiten der Prinz Ferdinand mit seiner Gemahlin und der Prinz Carol von Kumänien sind, wie „W. T. B.“ meldet, gestern abend nach St. Peters⸗ burg abgereist.
Das Königliche Staatsministerium trat heute zu einer Sitzung zusammen. 8 8
In der am 26. d. M. unter dem Vorsitz des Staats⸗ ministers, Staatssekretärs des Innern Dr. Delbrück ab⸗ gehaltenen Plenarsitzung des Bundesrats wurde den vom Reichstag angenommenen Entwürfen von Gesetzen, be⸗ treffend die vorläufige Regelung des Reichshaushalts und des Haushalts der Schutzgebiete für das Rechnungsjahr 1914, zu⸗ gestimmt. Die Zustimmung erhielten ferner die vom Reichstag angenommenen Entwürfe von Gesetzen, betreffend die Fest⸗ stellung eines dritten Nachtrags zum Reichshaushaltsetat für das Rechnungsjahr 1913 und eines Nachtrags zum Haushalts⸗ etat für die Schutzgebiete auf das Rechnungsjahr 1913. Zur Annahme gelangten die Vorlage über die Gewährung von Aufwandsentschädigungen an Familien für im Reichsheer usw. eingestellte Söhne, die Vorlage, betreffend benachbarte Orte im Wechsel⸗ und Scheckverkehr, und betreffend die Orte, die im Sinne der §§ 499, 604 Z.⸗P.⸗O. als ein Ort anzusehen sind, und die Vorlage, betreffend Aenderung des Gesetzes vom 4. Dezember 1899 über die gemeinsamen Rechte der Besitzer von Schuldverschreibungen. Demnächst wurde über die Besetzung von drei neuen Reichsgerichtsratsstellen und über verschiedene Eingaben Beschluß gefaßt.
Ddie vereinigten Ausschüsse des Bundesrats für Justiz⸗ wesen und für Rechnungswesen hielten heute eine Sitzung.
In Ergänzung des Verzeichnisses der mit dem Kontrollstempel versehenen ausländischen Inhaber⸗ papiere mit Prämien (zu vergl. Nr. 297 des Jahrgangs 1909 des „Reichs⸗ und Staatsanzeigers“) wird nachstehend der 13. Nachtrag zu diesem Verzeichnisse bekannt gegeben.
B. Italien.
3) Mailand, Städtische Anleihe von 1866. (Matländer 10 Lire⸗Lose von 1866.) 8 Seite 33: Serie 6169 Nr. 45, 6923 Nr. 89. 4) Venedig, Städtische Anleihe von 1869. (Venetianer 30⸗Lire Lose.) Seite 51: Serie 13005 Nr. 19, 14619 Nr. 4. D. Oesterreich⸗Ungarn. 1) Staats⸗Prämienanlehe von 1860. (Oesterreichische 5 % 1860er Lose.) C. Stücke zu 100 Guld
2) Donau⸗Regulierungsanleihe von 1870 (Donauregul. 5 % 100⸗Gulden Lose) Seite 101: Nr. 29913. 4) Ungarische Prämienanleihe von 1870. (Ungarische 100⸗Gulden⸗Lose von 1870.) Seite 128 flg.: Serie 1045 Nr. 48 II, 3415 Nr. 29 I, II, 4261 Nr. 26 1, II. 6) Oesterreichische Creditanstalt, Eisenbahnanleihe von 1858 (Oesterreichische Creditlose zu 100 Gulden..) Seite 164: Serie 3818 Nr. 77. 1
E. Rußland. 2) Russische zweite Staatsprämienanleihe v (Russische 5 % 100⸗Rubel⸗Lose von 1866. Seite 178: Serie 4815 Nr. 232. 8 H. Türkei.*) Ottomanische Prämienanleihe von 1870. (Türkische 3 % 400⸗Franken⸗Lose.)
Seite 256 fla.: Nr. 49177 69797 178514 179757 245104 248962 338793 475261 476126 518770 614531 617854 785488 846637 848338 849661 856364 365 366 873855 861 862 863 867 872 875 100 4164 1005146 558 1026137 975 1028556 1031854. 1072903 1074029 1093259 1116114 1147445 1150322 1156633 1165027.
*) Das Los Nr. 249962 ist zu streichen und dafür Nr. 248962 nachzutragen.
Anlage C zur Eisenbahnverkehrsordnung.
G 82 Grund der Schlußbestimmung in Anlage C zur Eisenbahnverkehrsordnung hat das Reichseisenbahnamt unterm 12. d. M. einige Aenderungen der Nummer Ia verfügt:
In den Eingangsbestimmungen A. Sprengmittel, 1. Gruppe a sind die Sprengstoffe Gelatine⸗Prosperit, Rivalit und Wetter⸗Walsroder nachgetragen.
Das Nähere geht aus Nas⸗Mekanntmachung in Nr. 12 des Reichsgesetzblatts vom vnv. 1099. hervor. 1
1898 100 1Dal⸗
Laut Meldung des „W. T. B.“ sind am 26. März S. M. S. „Jaguar“ in Futschau und S. M. S. „Tiger“ in Hankau eingetroffen. 8
Oldenburg.
Die Uebernahme der Bahnstrecke Oldenburg — Wilhelmshaven von Preußen auf den oldenburgischen Staat für 23 Millionen Mark ist, wie „W. T. B.“ meldet, vom Landtag mit großer Mehrheit angenommen worden. Die Verzinsung der Summe wird etwa auf 900 000 ℳ angenommen und ein Ueberschuß von etwa 500 000 ℳ soll zur Deckung der Staatsschuld verwandt werden. Mit der Strecke Oldenburg — Wilhelmshaven hat Oldenburg die gesamten Eisenbahnstrecken, die auf seinem Grund und Boden liegen, in seinen Besitz
gebracht. Elsaß⸗Lothringen.
Die Erste Kammer stimmte gestern der Vertagung des Landtags bis zum 12. November zu. Sodann fand die dritte Lesung des Etats siatt.
Nach dem Bericht des „W. T. B.“ kritisierte das Mitglied der Kammer Blumental den Erlaß des Oberschulrats betreffend den Gebrauch der deutschen Sprache an den höheren Schulen, der im Lande Aufsehen und eine gewisse Erregung hervorgerufen habe. Der Staatssekretär Graf Roedern erwiderte, der Vorredner habe selbst erklärt, daß er mit dem materiellen Inhalt des Erlasses im wesentlichen einverstanden sei. Schon das Berrchtigungswesen und die der Examina zwinge dazu, der Praxis der anderen Bundes⸗ taaten zu folgen. Es handele sich um ein Internum der Schulverwaltung, und er könne nur dem Bedauern darüber Ausdruck geben, daß ein solches Internum der Schulver⸗ waltung anscheinend von einem höheren Beamten in die Zeitungen gebracht worden sei. Diese Uebung sei ihm bisher unbekannt gewesen. Die Regierung werde sich das Recht, über das Verhalten der Lehrer innerhalb der Schule zu wachen, nicht nehmen lassen. Er frage den Vorredner, aus welchen Worten des Erlasses er die Folgerung ziehe, daß der Erlaß zur Bespitzelung der Lehrer untereinander führen könne. Er habe volles Vertrauen zu den Di⸗ rektoren und Lehrern, daß sie den Erlaß richtig verstanden hätten und anwenden würden.
— In der Nachmittagssitzung der Zweiten Kammer begründeten die Redner des Zentrums, der Lothringer ufkd Liberalen Anträge, wonach die Regierung ersucht werden soll, sich dafür zu verwenden, daß den Elsaß⸗Lothringern, die bis 1890 wegen Verletzung der Wehrpflicht bestraft worden sind, die Strafe, soweit sie nicht bereits verbüßt, verjährt oder erlassen worden ist, im Hinblick auf die in der inzwischen verflossenen Zeit eingetretene Aenderung der Ver⸗ hältnisse in Gnaden erlassen werde.
Großbritannien und Irland.
Gestern fanden Besprechungen der Generale im Kriegsamt, an denen der Feldmarschall French teilnahm sowie der Minister Asquith, Seely und Churchill statt.
— Im Unterhaus fragte gestern der unionistische Ab⸗ geordnete Pole⸗Carew, ob der Feldmarschall French und der Generalleutnant Ewart, die führenden Mitglieder des Armeerates, um ihre Entlassung ersucht hätten. Wie „W. T. B.“ meldet, haben die beiden Offiziere mit dem Kriegsminister Seely die dem General Gough übergebene Erklärung unterzeichnet, für deren Schlußsatz das Kabinett die Verantwortung abgelehnt hat. Der Kanzler der Schatzkammer Lloyd George erwiderte in Vertretung des Premierministers Asquith, daß dieser in der nächsten Sitzung des Hauses eine Erklärung abgeben werde. Lloyd George kündigte ferner an, daß die Beratung der Homerulebill am 31. d. M. wieder⸗ aufgenommen werden würde.
Frankreich.
Die Deputiertenkammer nahm gestern einen Gesetz⸗ entwurf an, durch den die Regierung von Französisch Aequatorialafrika ermächtigt wird, eine Anleihe von 175 Millionen Franks für den Bau von Eisenbahnen auf⸗ zunehmen, und beriet dann über die Vorlage, die den Kriegs⸗ und den Marineminister zu einmaligen Ausgaben zur Deckung der Bedürfnisse für die nationale Verteidigung er⸗ mächtigt. Es handelt sich um 1143 500 000 Fr. für die Armee und um 765 Millionen für die Marine.
Nach dem Bericht des „W. T. B.“ bestand der Abg. Den vs Cochin hinsichtlich der für Pulver und Salpeter vorgesehenen
vierzehn Millionen auf der Notwendigkeit, die Schießübungen mit den aus Nitroglyzerin zusammengesetzten Pulvern fortzusetzen, und zwar vuf Kanonen mit Kaliber 305 bis zu deren völliger Abnützung. Der General Gaudin, der Direktor der Abteilung für Schießpulver, rechtfertigte die angeforderten Kredite. Die Werkstätten arbeiteten seit drei Jahren und lieferten die böchstmögliche Menge. Dabei bestände täglich die Gefahr, daß sich Unglücksfälle ereigneten. Gaudin fügte hinzu, daß, wenn er unter denselben Bedingungen weiter arbeiten sollte, er jede Verantwortung ablehnen würde, und erklärte zum Schlusse, daß man Kredite brauche, um neue Werkstätten zu bauen und die bestehenden zu vergrößern. Der Marineminister Gauthier sagte, daß sich sein Ministerium den Proben mit Nitroglyzerin nicht widersetze. Diese seien angefangen worden mit Kanonen vom Kaliber 75. Diejenigen mit dem Kaliber 305 würden 1 ½ Millionen kosten. Der Admiral Lebris, der Kommissar der Regierung, sagte, die Marine sei bereit, zwei Kanonen vom Kaliber 305 zur Verfügung zu stellen, um auf der einen mit Nitrozellulose und auf der zweiten mit Nitroglyzerin Versuche anzustellen, sobald das Pulver im Auslande gekauft sei. Der Kriegs⸗ minister Noulens erkannte an, daß diese Proben dringlich seien. Sie sollen in acht bis zehn Monaten stattfinden. Der Abg. Benazet führte als Berichterstatter aus, daß 754 Millionen der geforderten Kredite für Vervollkommnung des Krieg materials bestimmt seien. Im Anfang des Jahrhunderts habe man unter dem Einflusse des Traumes der allgemeinen Verbrüderung den Unterschied zwischen den deutschen und französischen Artilleriestreit⸗ kräften zunehmen lassen und außer im Jahre 1906/07 seien die Forderungen der Verwaltung von den Kriegs⸗ und Finanzministern beschnitten worden. Die jetzige Vorlage sei zusammen mit dem Drei⸗ jahrsgesetz und dem Kadregesetz dazu bestimmt, das Land gegen An⸗ griffs⸗ und Kriegsgelüste besser zu schützen. Der Kriegsminister Noulens richtete einen dringenden Appell an die Abgeordneten, nicht nur für die Ausgaben zur Besserung der sanitären Verhältnisse unter den Truppen zu stimmen, sondern auch für die Ausgaben für die schwere Artillerie, die Grenzbefestigungen, die Scheinwerfer usw. usw. Besonders die Sozialisten forderte der Minister auf, diese materielle Stärkung zu bewilligen, die eine moralische Stärkung und Zutrauen geben würde.
Hiermit war die allgemeine Besprechung beendet. Es wurde ein von der Regierung und der Kommission gebilligter Zusatzantrag des Sozialisten Thomas angenommen, wonach ein Unterausschuß aus fünf Mitgliedern der zuständigen Aus⸗ schüsse der Kammer und des Senats die Ausgaben kon⸗ trollieren soll.
Mehrere Sozialisten erhoben Einspruch dagegen, daß das Gesetz nicht von Angaben über die finanzielle Deckung begleitet sei, wie dies bei der deutschen Militärvorlage der Fall wäre. Der Kriegsminister Noulens antwortete, die Regierung beabsichtige, die Müttel zur Deckung durch Steuern auf den erworbenen Reichtum aufbringen zu lassen. Sie werde eine Vorlage sogleich nach der Wiederaufnahme der parlamentarischen Arbeiten einbringen.
Die Vorlage wurde darauf in ihrem ganzen Umfange mit 394 gegen 95 Stimmen angenommen.
— Der Gesundheitsausschuß der Kammer hat seine Untersuchungen über die Zustände in den Kasernen beendet und den Kriegsminister ersucht, eine Reihe von unerläßlichen Verbesserungen in den alten Kasernen vorzunehmen.
Die „France Militaire“ veröffentlicht eine Statistik über den Gesundheitszustand in der Armee im Januar d. J., wonach die Zahl der Kranken bei weitem größer war als seit langem. In den Spitälern allein waren 21 900 Kranke unter⸗
gebracht, 8— 30 auf Tausend, während im vorhergegangenen
Monat 14 auf Tausend entfielen.
— Die Rochettekommission der Kammer hat gestern die Verhöre beendet. Heute wird die Kommission wieder zu⸗ sammentreten, um Anträge auszuarbeiten. Ueber den Verlauf der gestrigen Sitzung berichtet „W. T. B.“, wie folgt:
Der Staatsanwalt Lescouvé brachte die nach dem Verschwinden Roch ttes bei ihm eingegangenen Klagen zur Svprache, die verschiedene Geschäfte betreffen. Einem Untersuchungsrichter wurden vierzehn darüber eingelaufene Informationen überwiesen. Lescouvé erklärte, es set unzweifelhaft, daß Rochette persönlich und die Leute, die sich vorbereiteten, seine Geschäfte zu übernehmen, ein Interesse an seiner Freiheit gehabt hätten. Lescouvé bielt seine Ueberzeugung aufrecht, daß auf den Generalstaatsanwalt Fabre seitens der Regierung ein Druck ausgeübt worden und dieser Druck auf einen Wunsch des da⸗ maligen Finanzministers zurückzuführen sei. Der Justizminister Bien⸗ venu Martin sagte aus, er habe, nachdem er auf der Kanzlei den Bericht des Oberstaatsanwalts Fabre, von dem in den Blättern die Rede gewesen, nicht gefunden habe, Fabre zu sich rufen lassen. Dieser habe ihm gesagt, es handle sich um eine einfache, von ihm selbst geschriebene Notiz. Fabre habe ihm diese Notizs nicht gezeigt und auch nicht deren Inhbalt mitgeteilt, den er lediglich aus der Verlesung durch Barthou kennen gelernt habe. Nachdem er telephonisch darauf bestanden hätte, diese Notiz gleich seinem Vorgänger Briand kennen zu lernen, habe Fabre sie ihm zu⸗ gesagt. Dann habe Fabre jedoch wieder auf seiner Ablehnung beharrt, indem er sich auf den persönlichen Charakter der Notiz berief. Er habe, fügte Bienvenu Martin hinzu, daraufhin nicht auf seiner Forderung bestanden, da er nicht den Anschein erwecken wollte, als übe er einen Druck aus. Briand erklärte, er sei Justizminister ge⸗ wesen, als Rochette vorübergehend freigelassen worden sei. Die Freilassung sei gewährt worden trotz Ministerium und Staats⸗ anwaltschaft und habe einem Wunsche entsprochen, den die Unter⸗ suchungskommission in einem Bericht ausgesprochen hätte, in dem sie die Haltung des Gerichts Rochette gegenüber zu hart gefunden habe. Der Gerichtshof habe geglaubt, Rochette in Freiheit setzen zu müssen, der die Gelegenheit benutzt habe, um neue Betrügereien auszuführen. Als Rochette gesehen, daß er vethaftet werden würde, habe er sich nach Mexiko begeben in der Hoffnung, er würde nicht ausgeliefert werden. Damit waren die Verhöre beendet.
Rußland.
Der Ministerrat hat der Einbringung eines Gesetzent⸗ wurfs des Handelsministers in die Duma zugestimmt, durch den die Westgrenze und die Häfen des Schwarzen Meeres zeitweilig für die Ausfuhr von Pferden ge⸗ schlossen werden, weil die in der letzten Zeit erfolgte starke Ausfuhr nach Oesterreich⸗Ungarn, den Balkanstaaten und anderen Ländern den Preis von Remontepferden außerordentlich gesteigert hat, wodurch das Kriegsministerium gezwungen worden ist, die dafür im Budget angesetzten Kredite beträchtlich zu überschreiten.
— Der Seniorenkonvent der Duma hat eine amt⸗ liche Mitteilung des Ministerpräsidenten Goremykin zur Kenntnis genommen, in dem dieser, wie „W. T. B.“ meldet, erklärt, daß es ihm unmöglich sei, die von der Duma an ihn gerichteten Fragen zu beantworten, denn Artikel 33 des Ver⸗ fassungsgesetzes gebe der Duma nur das Recht, Körperschaften und Personen zu interpellieren, die der Aufsicht des Reichsrats unterständen. Weder der Ministerpräsident noch das Gesamt⸗ kabinett unterstände jedoch einer solchen Aufsicht.
— In der gestrigen Sitzung der vereinigten Duma⸗ kommissionen des Krieges und der Marine für Ver⸗ kehrsanlagen wurden obiger Quelle zufolge die Kredite für den Bau von strategischen Chausseen nach der Westprenze angenommen. Es wurde sodann die Erörterung der Vorlage, betreffend den Bau von strategischen Chausseen in Trans⸗
H
kaukasien, begonnen, die von dem Flecken Igdyr zum Bahnhof Kerkala und zum Paß von Tschinguir führen sollen.
— Die Budgetkommission, die den Etat der Ab⸗ teilung für Bergbau und Industrie beriet, erörterte die Frage des Mangels an flüssigem Brennmaterial.
Der Handelsminister Timaschew erklärte, es würden in nächster Zeit Zusätze zu dem Gesetz über die Verpachtung von Terrains zur Ausbeutung von Naphthaquellen eingeführt werden. 1914 werde eine große Menge solchen Gebiets verpachtet werden. Das Ministerium sammele augenblicklich die Erfahrungen, die an einem großen Handels⸗ platz mit der Verwendung von Torf als Brennmaterial gemacht werden.
Die Kommission sprach sich dahin aus, daß es notwendig wäre, die von der Regierung vorgeschlagene fiskalische Naphtha⸗ produktion noch mehr auszudehnen. e
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Die „Hohenzollern“ mit Seiner Majestät dem Kaiser an Bord ist, wie „W. T. B.“ meldet, heute früh von Venedig nach Miramare in See gegangen und dort kurz vor 11 Uhr unter dem Salut des daselbst ankernden österreichisch⸗ungarischen Geschwaders eingetroffen.
8 Griechenland.
MNach einer Meldung der „Agence d'Athénes“ hat die Pforte an den griechischen Gesandten in Konstantinopel eine Anfrage betreffs Einleitung direkter Besprechungen mit Griechenland über die Inselfrage gerichtet und die Bitte ausgesprochen, Griechenland solle einige Opfer bringen, um die öffentliche Meinung in der Türkei zu beruhigen. Es wurde geantwortet, Griechenland wäre geneigt, der Türkei gefällig zu sein, aber über die Inselfrage bestände bereits eine Entscheidung der Mächte, nach der Griechenland sich richte.
Bulgarien.
Die griechische Regierung hat dem Vorschlag Bulgariens einer Meldung des „W. T. B.“ zufolge zugestimmt, daß der griechisch⸗bulgarische Streit über die Grenzbefestigung in der Umgebung von Oxrilar durch den Schiedsspruch eines belgischen Offiziers erledigt werden soll.
Amerika. 8
Der amerikanische Senat hat gestern die Beratung der Bill begonnen, durch die die Gebührenfreiheit amerikanischer Küstenschiffe im Panamakanal auf⸗ gehoben wird. Im Repräsentantenhause wurde der Beginn der Beratung der Bill durch Obstruktionsmanöver ver⸗ zögert.
— Das Repräsentantenhaus des Staats Massachusetts hat gestern, wie „W. T. B.“ meldet, mit 164 gegen 39 Stimmen ein Amendement zur Staatsverfassung angenommen, wonach das Wort „männlich“ in den Be⸗ stimmungen über die Wahlberechtigten weggelassen werden soll. Das gleiche Amendement ist im Senat bereits angenommen worden.
— Das merxikanische Kriegsamt hat obiger Quelle zufolge eine Depesche erhalten, in der die Niederlage der Rebellen unter General Villa vor Torreon bestätigt wird. Nach einer der mexikanischen Gesandtschaft in Washington zuge⸗ gangenen Nachricht aus Mexiko sind die Aufständischen vorgestern abermals bei Gomez Palacio geschlagen und zurückgeworfen worden. Auch bei Arteage nahe Saltillo haben heftige Kämpfe stattgefunden, in denen 247 Aufständische gefallen sein sollen.
— Der Erste Vizepräsident der Republik Peru Roberto Leguia hat einer Meldung des „W. T. B.“ zufolge auf die Präsidentschaft der Republik verzichtet. Es wird jetzt ein neuer Staatsrat gebildet werden, um das Datum der Wahlen zur Präsidentschaft anzusetzen. Die Ruhe ist wieder hergestellt.
— Der Belagerungszustand in Rio de Janeiro ist bis zum 30 April verlängert worde
n 4
v11411414141664“
Nach einer vom „W. T. B.“ verbreiteten Meldung aus Rabat hat der General Liautey dem Sultan angekündigt, daß demnächst die Verbindung zwischen Ost⸗ und West⸗ marokko über Taza hergestellt sein werde. Man erblickt hierin ein Anzeichen, daß der Vormarsch der französischen Truppen von Ostmarokko nach Taza unmittelbar bevorstehe. Aus Udschda wird berichtet, daß die ostmarokkanische strategische Bahn, die eine Länge von 200 km und 15 be⸗ Bahnhöfe hat, nunmehr bis zur Feste M'sun fertig⸗ gestellt ist. 8
Koloniales.
Schiffbarkeit der Flüsse JIwindo und Karagua im südlichen Neukamerun.
Von den zahlreichen Flußläufen des südlichen Neukameruns sind Iwindo und Karaguag durch Leutnant Bock von Wülfingen auf ihre Schiffbarkeit untersucht worden. Es sind zwei Wasserläufe, die sich bei Mwine vereinigen und dem Libumba und da⸗ durch dem Ogowe zuströmen. Bock von Wülfingen faßt in einem im Deutschen Kolonialblatt“ veröffentlichten Bericht sein Urteil über die Schiffbarkeit des IFwindo⸗Karagua⸗Systems dahin zusammen, daß der Jwindo zu jeder Jahreszeit aufwärts bis an den Uebergang westlich von Alati, aber weiter aufwärts nur bedingt schiffbar ist bis zu einer Tagesfahrt. Der Karagua ist während hohen Wasserstandes, von September bis Januar einschließlich und von Ende April bis Mitte Juni, kis Ngarabinsam aufwärts unbedingt schiffbar, dagegen ist er während der übrigen Monate als Wasserstraße ungehindert erst dann zu benutzen, wenn sein Bett von den zahlreichen Baumstämmen gereinigt ist.
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Parlamentarische Nachrichten.
Der Bericht über die gestrige Sitzung des Reichstags 86 der Schlußbericht über die gestrige Sitzung des Hauses r Abgeordneten befinden sich in der Ersten Beilage.
— Das Haus der Abgeordneten erklärte in der heutigen (59.) Sitzung, welcher der Finanzminister Dr. Lentze beiwohnte, zunächst eine Reihe von Petitionen entsprechend den Anträgen der Kommissionen für nicht zur Erörterung im Plenum geeignet und setzte dann die zweite Beratung des Etats der Verwaltung der direkten Steuern, und zwar die allgemeine Besprechung der Einnahmen aus der Ein⸗ kommen⸗ und der Ergänzungssteuer in Verbindung mit der Diskussion über die Ausga für die Einkommen⸗
steuerveranlagungskommissionen und mit der Er⸗ örterung der dazu gestellten, im Bericht über die vorige (58.) Sitzung mitgeteilten Anträge fort.
„Abg. von der Osten⸗Warnitz (köns.): Die gestrigen Aus⸗ führungen der Abgg. Sträbel und Dre. Pachnicke nötigen mich auch zu einer parteipolitischen Auseinandersetzung, ohwohl diese eigentlich garnicht hierher gehört. Man hat den Aagrariern Steuerdrückebergerei vorgeworfen. Man hat aber keine Namen genannt, sodaß keine Mög⸗ lichkeit besteht, derartige Dinge nachzuprüfen. Ein Fall ist mir allerdings aus meinem Kreise bekannt, wo einem Großgrundbesitzer vorgeworfen wurde, er habe seit Jahren keine Steuern gezahlt. Er wurde zur gerichtlichen Verantwortung gezogen, und da steltte es sich heraus, daß er in den letzten zehn Jahren nie unter 3000 ℳ Steuern gezahlt hatte. So sehen diese Dinge aus, wenn sie ge⸗ richtlich beleuchtet werden. Im übrigen ist, glaube ich, das Uebel der Steuerhinterziehung interfraktionell. Man hat uns gefragt: Warum sträuben Sie sich denn dagegen, daß im Osten dasselbe geschiebt wie im Westen in der Frage der Einführung der staatlichen Veranlagungskommissare? Da hat man offenbar die Zahlen in unserem Antrage nicht gelesen. Wenn man uns vorwirft, wir legten keinen Wert auf unseren Kredit bei der Regierung, so scheint man zu vergessen, daß es auch in der Politik Gewissensfragen gibt, in denen man vielleicht gegen seinen eigenen Wunsch genötigt ist, gegen die Regierung zu stimmen. Man spricht immer und immer wieder von der Teuerung und dem Elend und der Not der unteren Volkeschichten. Hierbei darf man zunächst schon die verminderte Kaufkrast des Geldes nicht vergessen. Wenn man aber weiter sieht, welche ungeheuren Summen in die Kassen der gewerkschaftlichen Organisationen und der Sozial⸗ demokratie fließen, dann kann man sich nicht der Auffassung an⸗ schließen, daß sich die Lebenshaltung der Massen nicht gehoben habe. Gewiß stimme ich darin mit dem Abg Ströbel, vielleicht zu seiner eigenen Ueberraschung, überein, daß die steigende Produktivität auch der Masse zugute kommen soll. Ein ehrlicher Phantast hat in den Jahren 1893 bis 1895 in Paraguay versucht, einen sozialistischen Musterstaat einzurichten. Aber dieser löste sich nach einigen Jahren wieder auf und wandelte sich von neuem in eine kapitalistische Gesellschaft um, weil es sich zeigte, daß der gesunde Erwerbstrieb im menschlichen Leben nicht ausgeschaltet werden kann. Man darf, wenn man für den Osten dieselben Maßnahmen fordert wie für den Wosten, nicht vergessen, daß der Osten ganz änders gegliedert ist als der Westen. Im Westen haben wir eine hochentwickelte Industrie. Nun hat der Abg. Pachnicke behauptet, es seien wohl Rücksichten anderer Art, welche die Rechte dazu führten, den Landrat als Steuerkommissar nach Möglichkeit fest. zuhalten. Wir können das nicht anders auffassen als dahin, daß uns in diesen Worten der Vorwurf gemacht werden sollte, daß wir die Staatsgewalt zu politischen Zwecken mißbrauchen wollten. (Abg. Dr. Pachnicke: Ich habe gesagt: um die Stellung des Landrats zu stärken!) Das ist allerdings eine andere Deutung. Aber Sie haben wörtlich gesagt, es seien Rücksichten anderer Art. Wenn Sie heute eine andere Deutung geben wollen, so will ich das gern berücksichtigen. (Abg. Dr Pachnicke: Ich habe das schon gestern gesagt!) Dann habe ich mich darin vielleicht ge⸗ täuscht. Aber im Lande wird uns diese Unterstellung, die der Abg. Pachnicke nicht beabsichtigt hat, doch gemacht. Wie schnell würde sich aber ein Landrat in seiner Stellung unmöglich machen, wenn er seine Stellung zu politischen Zwecken mißbrauchte! Der Landrat, der so etwas tut, ver⸗ scherzt sich sein Ansehen und das Vertrauen der Bevölkerung seines Kreises. Die Frage der Nexveinrichtung von Veranlagungskommissarstellen ist für uns eine Gewissensfrage. Wir können uns in einem konsti⸗ tutionellen Staate nicht das Recht nehmen lassen, wenn wir in einem Punkte anderer Meinung sind als die Regierung, auch in diesem Falle in aller parlamentarischen Form das ausmsprechen, was uns unsen Gewissen vorschreibt. Bei der gestrigen Rede des Abg. Dr. Pachnicke hat der Abg. Pohl in einem Zwischenruf den Vorwurf gegen uns erhoben daß der Adel sich gern von der Steuer drücken möchte. In einem Augenblick, in dem der Abg. von Hennigs⸗Techlin namens meiner Partei mit allem Nachdruck eine gerechte Besteuerung aller Klassen gefordert hat, in einem Augenblick, wo wir eine Einkommenbesteuerung haben, die im Einverständnis mit meiner Partei die schwachen Schultern entlastet und die stärkeren progressiv belastet, in einem Augenblick, wo wir eine Novelle beraten haben, die mit allem Ernst die vorhandenen Un⸗ gleichheiten und Härten in der Steuergesetzgebung beseitigen will, in einem derartigen Moment hält es der Abg. Pohl für angezeigt, einer großen Partei einen solchen Vorwurf zu machen. Wenn in einer Volks⸗ versammlung in der Hitze des Wahlkampfes eine Bezirksvereinsagröße dritter oder vierter Ordnung einen derartigen Vorwurf erhebt, so würde man sagen: er weiß nicht, was er spricht. Wenn aber in einem Parlament von einem Abgeordneten, der auf der Höhe der Bildung steht, ein derartiger Vorwurf erhoben wird, so fehlt meinen Freunden für eine solche Handlungsweise der parlamentarische Ausdruck, um dies gebührend zu kennzeichnen. Ich halte es für meine Pflicht, ein derartiges Verfahren eines Abgeordneten hier festzunageln. Für die Annahme des Antrages Kardorff können wir uns nicht erklären. Die Höhe des Bedarfs an Steuern wird fortwährend wachsen; es stehen uns unabsehhare Ausgaben bevor, deren Döhe sich auch nicht annähernd ziffernmäßig angeben läßt. Die phantastischen Angaben und Hoffnungen der Zeitungen über die Höhe des Wehrbeitrages werden sich kaum erfüllen. Dauernden Ausgaben müssen dauernde Einnahmen gegenüberstehen. Lediglich die Form der Zuschläge war das Provisorische, die Erhöhung der Steuer nicht. Wir müssen uns für die Zukunft vollkommen freie Hand vorbe⸗ halten. Wir halten es nicht für richtig, die Zahl der Steuerkommissare erheblich zu vermehren. Aus dem Antrage der Pationalliberalen geht ale Tendenz eine fortschreitende Spezialisierung hervor. Der Spezialist sieht nur das, was seine Spezialwissenschaft betrifft. Nichts ist gefährlicher als gerade das Spezialistentum auf dem Verwaltungswege; der Verwaltungsbeamte muß alle Verhältnisse im Auge behalten. Im allgemeinen können wir die Stellung des Ministers teilen. Wir sind mit der Regierung darüber einig, daß die Ver⸗ anlagung möglichst gerecht geschieht; die Höhe der Steuer kommt erst in zweiter Linie. Wir müssen es dem Minister danken, daß er sich bemüht, dieser Frage gerecht zu werden. Es fragt sich aber sehr, ob in den Stellen fuͤr Steuerkommissare die notwendigen Voraussetzungen geschaffen sind, diese Aufgabe zu er⸗ füllen. Wir wollen keinen Unterschied zwischen Stadt und Land haben; wir sind bestrebt, den Interessen der Städte gerecht zu werden. Die Bürgermeister in den Städten sind, ebenso wie die Landräte auf dem Lande, als Steuerkommissare am besten geeignet. Aus dem uns vorgelegten Zahlenmaterial ziehen wir den Schluß, daß die kleinen Leute zu scharf angefaßt worden sind. In dem Jahre 1913, in dem eine außerordentliche Teuerung aller Lebensmittel herrschte, hat man es verstanden, einen großen Prozentsatz der Personen mit unter 900 ℳ Einkommen bis über 900 ℳ heraufzubringen. Das liegt daran, daß die Leute mit einem Einkommen von 900 bis 3000 ℳ nur in den allerseltensten Fällen in der Lage sind, sich den Zugriffen des Steuerfiskus auf dem Wege der Schaͤtzung durch ausreichendes Beweismaterial zu entziehen. Sie sind mehr oder weniger auf Gnade oder Ungnade dem Steuer⸗ fiskus ausgeliefert. Der Steuerkommissar ladet eine schwere Ver⸗ antwortung auf sich, wenn er in einem Jahre, wie es 1912/13 war, eine derartige Anspannung der Steuerkraft von leistungs⸗ schwachen Zensiten vornimmt, die sich ihrer nicht erwehren können. Der Minister hat sich während seiner Amtszeit bemüht, genügend neue Steuersekretäre anzustellen; es sind aber nicht genug angestellt worden vor seiner Amtszeit. Das ist das Entscheidende. Haß ein Bedürfnis nach mehr Steuersekretären vorliegt, unterliegt keinem Zweifel. Das Wirtschaftsleben und die Steuerkraft der Bevölkerung haben sich in den letzten zwanzig Jahren so außerordentlich gehoben, daß eine entsprechende Mehr⸗ belastung der Steuerbehörden eintreten mußte. Bei der Steuer⸗ veranlagung beruht sehr viel auf Schätzungen, und daher ist es für einen Steuerkommissar, der böbere Steuerzahlen
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Isnatz Waghalte
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(Der Präsident bittet das immer unruhiger werdende Haus um Ruhe.) Es fragt sich aber, ob ein derartiges Vorgehen des Steuerkommissars gerecht ist oder nicht. Uebrigens kann man überhaupt nicht behaupten, daß die nebenamtlichen Steuer⸗ kommissare schlechter arbeiten als die hauptamtlichen. Wir nehmen hier gar nicht die Interessen der Landräte oder der Bürgermeister, sondern die Interessen der Bevölkerung wahr. Man bemängelt die persönlichen Beziehungen des Landrats zu der Bevölkerung. Soll denn aber der hauptamtliche Steuerkommissar in Klausur leben, muß er nicht auch mit der Bevölkerung verkehren? Sind denn persönliche Beziehungen überhaupt mit einem Mangel an Objektipität verbunden2 Gerade durch die persönlichen Beziehungen des Landrats können etwaige Bevorzugungen zum Ausgleich kommen. Der Land⸗ rat kann zu den Zensiten sagen: „Alter Freund, so geht das nicht! Steuere eirmal anders!“ Der hauptamtliche Steuerkommissar dagegen wird lediglich mit Zablen arbeiten. Es ist für uns unmäöglich, diesen Teil der Verwaltungsgeschäfte von den anderen Verwaltungsgeschäften zu trennen. Das ist gerade unser größtes Bedenken gegen die hauptamtliche Tätigkeit, daß eine solche Loslösung der Steuergeschäste nur zum Schaden der allgemeinen Verwaltung erfolgen kann. Wir wollen nicht die Interessen der Bevölkerung in die Hände von Beamten legen, die mehr oder weniger von den wirtschaft⸗ lichen Interessen der Bevölkerung losgelöst sind, sondern wir wollen sie in die Hände derjenigen legen, zu denen als zuverlässigen und tüchtigen Beamten die Bevölkerung Vertrauen hat. (Zwischenruf.) Wenn die Landräte den Soztial⸗ demokraten ein Dorn im Auge sind, so kann ihnen das nur zur Ehre gereichen. Die Analogien der Geschichte lassen sich nicht von der Hand weisen. Es ist schon von anderer Seite hervorgehoben worden, wie unsere Zustände sich mehr und mehr denen vor Ausbruch der französischen Repolution nähern (lebhafte Zwischenruse). Ich vermag mein Urteil über politische Dinge nicht anders zu bilden, als indem ich versuche, die Analogien der Geschichte zu erkennen und zu werten. Unzweifelhaft ist ja, daß damals eine ungleiche steuerliche Belastung zugleich mit vielen anderen Dingen in der französischen Bevölkerung wirksam gewesen ist und daß ein großer Komplex von Erscheinungen und Gründen aller Art mit⸗ gespielt hat. Wenn ich eine Parallele mit der französischen Steuerveranlagung jener Zeit ziehe, so ist selbstverständlich das tertium comparationis der Gedanke, daß damals die Ein⸗ ziehung der Steuern in den Händen der Steuerpächter gelegen hat, die weiter nichts im Auge hatten als das Eintreiben einer möglichst großen Summe von Steuern. Es ist mir wohl bekannt, daß es sich da um indirekte Steuern handelte, nicht um direkte. Es handelte sich aber vor allem um die Art der Eintreibung, weil die Steuerpächter das wirtschaftliche Interesse hatten, möglichst hohe Steuerbeträge einzuziehen. Das tut der Landrat nicht, denn er ist der Vertrauensmann seiner Bevölkerung. Ich weiß, daß es nicht den Intentionen der Regierung ent⸗ spricht, wenn die Steuerkommissare in einer solchen Weise ihr Amt aus⸗ üben. Ich weiß, daß die Regierung mit allem Ernste derartigen Aus⸗ wüchsen entgegentreten würde. Aber wir fürchten, daß die Verhältnisse in dieser Richtung stärker sind als die besten Absichten. Nach den Erfahrungen zeigt es sich, daß die wohlwollendsten Absichten von oben durch die Ausfuhrung der unteren Organe vereitelt werden können. Es ist gestern schon mit ernsten Worten auf diese Frage hingewiesen worden. Es liegt mir vollkommen fern, aus der Konstatierung dieser Tatsache auch nur den leisesten Vorwurf gegen die Regierung herzuleiten. Der Minister hat ganz zutreffend in der Kommission ausgeführt, daß dieser Vorwurf in gleichem Maße diejenigen trifft, die fortwährend nach neuen Gesetzen drängen. Es muß offen ausgesprochen werden: Wir befinden uns auf einem gefährlichen Wege, wenn wir derartigen Tendenzen weiterhin Rechnung tragen. Wir übersehen nur allzu leicht, daß von den objektiven Rechtsnormen, die wir hier feststellen wollen, bis zum subjektiven Rechtsbewußtsein in der Bevölkerung ein hemmelweiter Weg ist, der langer Jahre und langer Erfahrungen bedarf, um zursückgelegt zu werden; und weil diese Tatsache übersehen wird, sind wir heute zu einem Zustande gekommen, der unerträglich genannt werden muß. Wir würden unsere Pflicht nicht tun, wenn wir hier im Abgeordnetenhause als die berufenen Ver⸗ treter der Bevölkerung nicht auf diese Tatsache hinweisen würden. Ich fürchte, es besteht bei der Zentralinstanz ein bedauerlicher Mangel an Kenntnis davon, wie weit die Stimmung im Lande gediehen ist. Die Berührung mit dem Lande ist, glaube ich, eine der wichtigsten Aufgaben der praktischen Polttik, und wenn wir dieser Aufgabe weiter in geringerem Maße gerecht werden, als es bis jetzt geschehen ist, so wird die Früchte eines derartigen Verhaltens diejenige Partei ernten, die heute bereits auf eine Anzahl angewachsen ist, die garnicht den wirk⸗ lichen Auffassungen in der Bevölkerung entspricht Die große Mehrheit des Volkes ist viel zu vernünftig, um sozialdemokratischen Utopien nach⸗ zujagen. Die Stimmung in der Bevölkerung muß durch praktische Maßnahmen wieder gehoben werden. Nun hat der Minister ausgeführt, daß es mehrjähriger Arbeit bedürfen würde, um in Nordhausen Ordnung zu schaffen. Es mag zutreffen, daß dies notwendig ist. Wir glauben aber, daß diese Forderung durch einen anderen Kommissar, den Landrat, erfüllt werden kann; wir glauben nicht, daß es eine capitis deminutio der Stadt ist, wenn der Landrat die Steuerveranlagung leitet. In einer Stadt, die 29 000 Einwohner hat, würde diese Tätigkeit einen amtlichen Kommissar auf die Dauer nicht voll in Anspruch nehmen können. Das würde dahin führen müssen, daß der benachbarte Landkreis seiner Tätigkeit angegliedert werden muß. Aus diesen prinzipiellen Bedenken heraus können wir die Stelle nicht bewilligen. Ich habe versucht, Ihnen darzulegen, daß die Stellungnahme meiner Freunde nicht durch Parteirücksichten begründet ist, sondern daß es uns im wesentlichen darauf ankommt, eine gerechte Veranlagung vorzunehmen, und zwar durch Beamte, die nicht nur theoretisch und wissen⸗ schaftlich genug vorgebildet sind, sondern auch in dauernder Berührung mit allen Lebensinteressen der Bevölkerung stehen. Wir glauben, daß der Schutz der Schwachen im wesentlichen Auf⸗ gabe der Volksvertretung ist, und wir glauben, daß wir darin uns mit der Regierung in Uebereinstimmung befinden. In der Streichung der Stellen darf ein prinzipieller Angriff gegen die Regierung nicht erblickt werden. Wir tun dies aus dem Zwange des politischen Ge⸗ wissens und im Bewußtsein der schweren Verantwortung, die auch wir vor dem Volke tragen. 8 —
(Schluß des Blattes.)
Bei der gestrigen Reichstagsersatzstichwahl im Wahlkreise Borna⸗Pegau erhielten, wie „W. T. B.“ meldet, nach vorläufigen amtlichen Ermittlungen der Generalleutnant z. D. von Liebert (Reichspartei) 12 731 und der Parteisekretär Ryssel (Sozialdemokrat) 14 321 Stimmen. Ryssel ist somit
gewählt. Kunst und Wissenschaft.
Die Galerie Eduard Schulte eröffnet am Sonnabend eine
eue Ausstellung mit Werken von E. M. Cubells v Ruiz⸗Madrid,
Arthur Grimm⸗Karlsruhe, Hermann Groeber⸗München, Franr Hoch⸗
München, Gust. Hofmann⸗Gröͤtzingen, Jul. Jungheim⸗Düsseldorf,
Friedr. v. Keller⸗Stuttgart, H. E. Linde⸗Walther⸗Berlin, Hans
Mevyerkassel⸗Cassel, J. M. Lopez⸗Mezquita⸗Madrid, Paul Quente⸗ Berlin, Rud. Sieck⸗Pinswang und Alfred Sohn⸗Rethel⸗Berlin.
Theater und Musik.
NYp à „ 1 5 Deutsches Opernhaus.
Das Deutsche Opernhaus schickt sich nun an, das gewaltige Werk des „Ringes des Nibelungen“ von Richard Wagner in seinen Spielplan einzureihen. Der wirkungsvolle Anfang wurde gestern mit der Erstaufführung von „Rheingold“gemacht, die in mancher Hmwsicht besser gelang als unlängst die der „Meistersinger“. Der musitali, 2
it Erfolg bestrebt, die Klangkraft de
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