sässige Bevölkerung im Osten haben. Graf Moltke und mit ihm die
anze Rechte haben daruber gelacht, daß mein Freund Hué von Bauernfreundlichkeit gesprochen hat. Inbezug auf Bauernfreundlich⸗ keit nehmen wir es mit Ihnen auch auf. Der Bauer wird infolge der Vergewaltigung durch die konservatiden Gutsbesitzer zum Sozial⸗ demokraten. Wenn man wünscht, daß die Sozialdemokratie sich auf eine einsame Insel zurückzöge, so muß ich sagen, daß erstens diese Insel sehr groß sein müßte, und zweitens würden wir dann auf dieser Insel nicht eine solche Kultur treiben, wie sie manche andere Kreise treiben.
Abg. von Trampcezynski (Pole): Wir mißgönnen unseren deutschen Mitbürgern nicht, daß ihre Lage verbessert werden soll, aber wir empfinden es als ein schweres Unrecht, daß wir von Wohl⸗ taten, zu denen wir ebenfalls Steuern za len müssen, vollkommen ausgeschlossen werden. Uebrigens mwess ich verschiedene Fälle, daß Deutsche auch von polnischen Banken Kredit erhalten haben.
Damit schließt die Diskussion. Der Antrag der Abgg. Kandler und Gen. wird der Budgetkommission überwiesen, der
dispositionsfonds der Oberpräsidenten zur Förderung des
utschtums in Höhe von 21½ Millionen Mark im Ordinarium und die beiden Posten im Extraordinarium, zweite Rate der Beteiligung des Staates bei der deutschen Pfandbriefanstalt in Posen in Höhe von 1 Million Mark und elfte Rate von einer Million Mark für Erwerb und Erschließung des Um⸗ wallungsgeländes der Stadt Posen, werden bewilligt. 8
Bei den Ausgaben für die Reisekosten der Oberpräsi⸗ denten und der Regierungspräsidenten führt
Abg. Dr. von Brüning (kons.) aus, daß ein Teil seiner Freunde sich nicht von der Notwendigkeit der Haltung von Automobilen für die betreffenden Beamten überzeugt habe, daß sie aber mit Rück⸗ sicht darauf, daß nur bei größeren Regierungen und nur, wo dies aus örtlichen und sachlichen Gründen sich als notwendig erwiesen hat, die Bereithaltung von Automobilen von der Regierung in Aussicht ge⸗ nommen sei, dieser Position nicht widersprechen wollen.
Ausgaben für die Verwaltung des Tiergartens in Berlin erkennt “
Abg. Dr. Pachnicke (fortschr. Volksp.) an, daß die Tier⸗ gartenverwaltung sehr viel für die Verschönerung dieses Tiergartens getan habe. Namentlich der Rosengarten müsse jeden Blumenfreund entzücken, und er würde es auch dann, wenn er ohne Standbilder ge⸗ blieben wäre. Eine Fortsetzung dieser Tätigkeit für die Verbesserung der Verhaltnisse im Tiergarten sei nur zu wünschen und auch zu er⸗ warten. Dagegen müsse lebhaft Klage geführt werden darüber, daß die Fasanerieallee sich in einem sehr trostlosen Zustande befinde, daß diese Verkehrsstraße mitunter geradezu einen Morast bilde. Hoffent⸗ lich werde auch hier bald eine Besserung geschehen. Redner tritt dann noch dafür ein, daß die Arbeitskräfte der Tiergartenverwaltung in bezug auf Urlaub und Arbeitszeit den städtischen Gartenarbeitern gleichgestellt werden.
Der Rest des Ordinariums und das Extraordinarium werden ohne Debatte unverändert bewilligt.
Ueber den Etat der Staatsschuldenverwal⸗ tung berichtet im Namen der Budgetkommission der Abg. Dr. von Campe (nl.).
Gleichzeitig beraten wird der 65. Bericht der Staats⸗
denkommission über die Verwaltung des Staatsschulden⸗
wesens. Abg. von Kardorff (freikons.): Wir haben eine ganze Reihe von Gesetzen gemacht, durch welche Gesellschaften gezwungen werden, einen bestimmten Teil ihres Bestandes in Staatspapieren anzulegen. Eine solche Bestimmung ist auch in das Sparkassengesetz aufgenom⸗ men worden. Man hat uns damals die Zusicherung gegeben, daß, wenn dieses Gesetz zustande käme, man auch auf die Versicherungsgesell⸗ schaften einen Zwang ausüben würde. Es sollen nun Erwägungen darüber schweben. Es wäre jetzt wahrlich an der Zeit, die Er⸗ wägungen aäbzuschließen und das damals abgegebene Versprechen ein⸗ zulosen. Je größer der Betrag ist, der jedes Jahr von festen Händen aufgenommen wird, desto besser ist der Kursstand. Dann wurde Klage geführt über sehr große Verluste, die die Sparkassen durch den Rückgang der Staatspapiere erlitten haben. Das sollte Anlaß zum Nachdenken geben. Auf jeden Fall weist diese Tatsache mit Not⸗ wendigkeit darauf hin, in Zukunft nur amortisierbare Anleihen aus⸗ zugeben.
Abg. von Ditfurth lkons.): Ich bitte den Minister um Auskunft darüber, was das Wort Domänenprästantiarien zu be⸗ deuten hat. Ich bitte doch, in Zukunft Ausdrücke zu wählen, die einem jeden geläufig sind.
Abg. Dr. Pachnicke (fortschr.² ob jetzt der geeignete Zeitpunkt fi gekommen ist. Der Vermögensstarn preußischen Staates ist so glanzend wie der keines anderen Staates der Welt. Unseren Schulden von 10 Milliarden steht fast das Doppelte an Vermögen gegenüber. Eine dringende Veranlassung zur Schuldentilgung liegt nicht vor. Es kommt hinzu, daß wir jetzt schon über das gesetzlich festgelegte Maß hinaus Schulden tilgen. Wir dürfen doch nicht vergessen, daß der jetzige Zeitpunkt uns auch gar nicht einen richtigen Ueberblick über Stand unserer Finanzen geben kann. Wir wissen nicht, was ge des Wehrbeitrages alles einkommt. Auch steht nicht fest, wieviel wir für die Altpensionäre gebrauchen. Ehe wir nicht pöllige Klarheit über unsere Finanzverhältnisse der Zukunft haben, können wir keinen derartigen Beschluß fassen.
Abg. Dr. Gottschalk⸗Solingen (nl.): Wir haben bereits in der Budgetkommission zu erkennen gegeben, daß der Tilgungsplan des Finanzministers etwas Verlockendes an sich hat. Der Finanz⸗ minister hat insbesondere auf das schöne Vorbild des Reiches ver⸗ wiesen. Es ist gewiß erwünscht, daß im Reiche reichlich Schulden getilgt werden, und wir wollen hoffen, daß das Reich immer die Mittel dazu zur Verfügung hat. Das Reich hat ja nun nicht so viel Schulden werbender Natur aufzunehmen wie Preußen. Jede Tilgung von Schulden ist gut, und es ist gewiß ein Ideal, alle Schulden zu — Wohl niemand in Preußen denkt daran, an der gesetzlichen Festlegung von ½ *% etwas zu ändern. Die Notwendigkeit einer
hõ Schuldentilgung können wir aber nicht anerkennen;
dig, so müßten wir uns doch auch über den Umfang Der Finanzminister rechnet einen Schuldenbetrag von heraus, der stärker getilgt werden müsse. Der Kollege
Pacht hat schon nachgewiesen, daß die meisten preußischen
taatsschulden werbender Natur sind. Auch wenn man ihm nicht in en Punkten folgen kann, so wird sich doch höchstens eine halbe illiarde herausrechnen lassen, bei der eine stärkere Schuldentilgung tracht zu ziehen wäre. Es ist aber auch gesetzlich die Möglichkeit außerordentlichen Schuldentilgung vorgesehen, nämlich nach dem von 1903. Diese gesetzliche Bestimmung ist aber fallen ge⸗ rworden, indem wir das Eisenbahnabkommen trafen, den Aus⸗ und dieses Abkommen ist ja jetzt wieder um re verlängert worden. Hätten wir das Abkommen nicht ge⸗ so würden wir alles in allem 150 Millionen außerordentlich haben tilgen können. Das wäre bei der Schätzung einer halben Milliarde nicht werbender Anleihen ein ganz erheblicher Betrag. Mit einem anderweiten Antrage, der einer weiteren gesetzlichen Rege⸗ lung vorarbeiten wollte, sind wir in der Kommission nicht durch⸗ gedrungen. Wir werden nunmehr dem von dem Finanzminister im Etat gemachten Vorschlag, die Zinsersparnis von 2 376 000 ℳ zur Preriftien Schuldentilgung zu verwenden, keine Bedenken ent⸗ gegenstellen.
bg. Wallenb größte Teil meiner Freunde kann sich in 2 Finanzministers Vorschlag einer verstärkten Staat lden nicht einverstanden er⸗ kläten und zwar besonders nicht, weil der Finanzminister noch
Bei den
einer Abschaffung der Steuerzuschläge großen Widerstand ent⸗ Der Berichte
ünde für unsere Stellung⸗
“ Ich möchte mir die Frage erlauben,
nahme eingehend dargelegt, und sie sind auch in der Budgetkommission ausführlich erörtert werden. 1 ö“
Finanzminister Dr. Lentze: “ ob die Besprechung über Ich
die außerordentliche Schuldentilgung geschlossen ist oder nicht. konnte es bei der außerordentlichen Schnelligkeit nicht verfolgen.
Meine Herren, ich habe schon in meiner Etatsrede darauf hin⸗ gewiesen, daß nach der Ansicht der Königlichen Staatsregierung die Tilgung unserer Staatsschulden bei weitem nicht ausreicht und daß es dringend erwünscht ist, daß neben den bisherigen Tilgungen eine Ver⸗ stärkung, wenn auch nur in bescheidenem Umfange eintritt. Unsere Staatsschulden werden bekanntlich nach dem Gesetze von 1897 nur mit % % von dem jeweils validierenden Kapital getilgt ohne Hinzu⸗ rechnung der ersparten Zinsen. Meine Herren, das ist ein Tilgungs⸗ modus, der sonst nirgendwo besteht; fast alle sonstigen Schulden, im Reich, in anderen Staaten und in den Kommunen werden so getilgt, daß das ursprüngliche Schuldkapital zugrunde gelegt wird, und man auch noch die ersparten Zinsen hinzunimmt. Nur wir tilgen in dieser durchaus geringen Form, daß von dem jeweils validierenden Ka⸗ pital nur ein Betrag von % getilgt wird.
Meine Herren, als dieses Gesetz erlassen wurde, nahmen die Staatsschulden bei weitem nicht in dem Maße zu, als es heute der Fall ist. In den früheren Jahren gehörten Anleihesummen in der Höhe, wie wir sie jetzt alljährlich aufzulegen genötigt sind, zu den Ausnahmen. Es kam sehr selten vor. Dadurch ist es gekommen, daß ein großer Teil unserer Staatsschulden, welcher nur zum Teil zu werbenden Zwecken aufgenommen ist, doch nicht in dem Maße Zinsen bringt und abgetragen wird, als es erwünscht ist. Im Reich hat man eingesehen, daß zu einer gesunden Finanzwirtschaft unbedingt auch eine regelmäßige und starke Schuldentilgung gehört und infolge⸗ dessen hat man im Reiche die gesamten Reichsschulden, die bis zum 1. Oktober 1910 aufgelaufen sind, einer starken Tilgung unterworfen, einer Tilgung von 1 % vom ursprünglichen Anlagekapital plus der ersparten Zinsen. Dadurch werden die Reichsschulden, die bis dahin aufgelaufen waren, am 1. Oktober 1953 sämtlich verschwunden sein. Damit nun die schlechte Finanzlage beim Reich nicht wieder einreißen kann, ist zu gleicher Zeit ein Gesetz erlassen, daß sämtliche neuen Reichsschulden ebenfalls einer starken Tilgung unterliegen; und zwar, soweit die Schulden werbenden Zwecken dienen, soll eine Schuldentilgung von 1,9 % plus ersparte Zinsen und, soweit sie nicht werbenden Zwecken dienen, sogar von 3 % plus ersparten Zinsen stattfinden Meine Herren, das sind Summen, die ganz außer⸗
ne
ordentlich hoch sind, die von Jahr zu Jahr immer höher werden,
sodaß in ganz kurzer Zeit, bei den werbenden Anlagen nach 30, und bei den nicht werbenden Anlagen sogar schon nach 23 Jahren die Reichsschulden getilgt sind. Meine Herren, das ist ein großes Sicher⸗ heitsventil für die Reichsfinanzen. Denn wenn auch neue Anleihen beim Reich aufgenommen werden, so kann man immer den Zeitpunkt absehen, wann hinterher diese Schulden wieder verschwinden. Nur bei uns in Preußen ist das vollständig ausgeschlossen, hier verschwindet die Staatsschuld niemals; denn eine Tilgung von ¾ % von der je⸗ weiligen Schuld kann mathematisch niemals zu Ende kommen und tut es auch nicht.
Nun, meine Herren, besitzen wir zurzeit nicht die Mittel, eine große starke Schuldentilgung in Preußen zur Durchführung zu bringen. Denn bei unserer hohen preußischen Staatsschuld von über 10 Milliar⸗ den würden ganz erhebliche Beträge notwendig sein, um wirklich eine fühlbare Amortisation herbeizuführen. Wenn wir auch die ersparten Zinsen überall heranholen und das ursprüngliche Anlagekapital zu⸗ grunde legen wollten, würden Summen herauskommen und unseren Etat belasten, daß wir unsere Finanzen ganz anders anspannen müßten. Diesem Vorschlage will ich auch gar nicht nähertreten. Aber, meine Herren, es ist doch unbedingt notwendig, daß wenigstens derjenige Teil der Staatsschuld, der nicht werbender Natur oder jedenfalls nur so beschaffen ist, daß er nur geringere Zinsen aufbringt, in etwas stärker getilgt wird, als das bisher der Fall war. Unsere Eisenbahnschulden werden zwar auch nur mit den bekannten drei Fünfteln getilgt. Aber man kann doch immerhin sagen, daß in der Gestaltung unseres Eisenbahnextraordinariums von 1,15 % des statistischen Anlagekapitals eine Abschreibung liegt, und infolgedessen kann man darüber eher hinwegsehen. Unsere Bergschulden haben auch besonders Tilgungsmodalitäten; die sollen auch nicht in Betracht ge⸗ zogen werden. Aber unsere ganzen übrigen Schulden müssen stärker getilgt werden. Unter diesen Schulden, die noch 2,3 Milliarden be⸗ tragen, ist ein sehr großer Posten von Defizitanleihen, die absolut nicht für werbende Zwecke, sondern für die Fehlabschlüsse des Staats⸗ haushaltetats aufgenommen sind. Außerdem befinden sich unter ihnen eine ganze Menge Schulden, die sich geringer verzinsen. Ich ver⸗ weise nur auf die Anleihen für Siedlungszwecke, Wohnungspolitik usw., wo allerdings, wie Herr Abg. Dr. Pachnicke ganz zutreffend hervor⸗ gehoben hat, Einnahmeposten erscheinen, die uns jedoch nur eine so geringe Einnahme bringen, daß man, um sie voll zu verzinsen, aus den übrigen Etatsmitteln noch hinzulegen muß, die also keine volle Verzinsung bringen.
Nun verfolgt der jetzige Antrag einen doppelten Zweck. Es soll erstens periodisch in mäßiger Weise eine verstärkte Schuldentilgung eingeführt und zweitens die Möglichkeit eröffnet werden, daß dem Staate von Zeit zu Zeit immer wieder eine Einnahme zur Verfügung steht, die bis dahin anderen Zwecken dienen mußte, der Staat also periodisch die Mittel für plötzlich auftretende, unvorhergesehene größere Ausgaben erhält.
Nun meinte Herr Abg. Dr. Pachnicke, der Zeitpunkt, in dem man damit vorgehen wollte, wäre durchaus ungeeignet, denn die ganzen Verhältnisse wären doch ungeklärt, man könnte nicht wissen, welche Forderungen für die Altpensionäre entstehen, welche Forde⸗ rungen für den Schullastenausgleich und welche sonstigen Forderungen uns noch bevorständen, und deswegen wäre es ganz unangebracht, jetzt mit einer solchen Maßregel vorzugehen. Meine Herren, ähnliche Er⸗ wägungen haben mich veranlaßt, davon abzusehen, Ihnen einen Gesetz⸗ entwurf vorzulegen; eine direkte Bindung hielt die Staatsregierung in diesem Augenblicke auch nicht für tunlich; es wäre auch nach unserer Ansicht nicht richtig, jetzt mit einem solchen Gesetzentwurf an den Landtag heranzugehen, weil man tatsächlich nicht weiß, was für Aus⸗ gaben für uns in nächster und übernächster Zeit bevorstehen. In⸗ folgedessen soll diese Maßregel versuchsweise eingeführt werden, indem Regierung und Landtag ein Programm aufstellen, nach welchem, wenn keine besonderen Verhältnisse dazwischen kommen, für die nächsten
zehn Jahre verfahren werden soll.
sprechen, was der Herr Abg. Dr.
Meine Herren, dem einen muß ich aber ganz entschieden wider⸗ Pachnicke ausgesprochen hat. Er hat gesagt: Unser Staatsvermögen ist so groß, und unsere sonstigen Einnahmen sind so sicher, daß unsere sämtlichen Schulden erstklassig fundiert sind, sodaß es überhaupt absolut überflüssig ist, unsere Schul⸗ den stärker zu tilgen. Meine Herren, daß unser Staatsvermögen groß und sicher ist, erkenne ich dankbar und freudig an. Der preußische Staat ist, Gott sei Dank, so fundiert, daß er über ein großes Ver⸗ mögen verfügt, und ebenso sind sämtliche Schulden, die der preußische Staat aufgenommen hat, absolut sicher. Das ist alles richtig. Aber, meine Herren, es ist doch ein vollständig falscher volkswirtschaftlicher Grundsatz, daß man ein gut fundiertes Vermögen immer mehr ver⸗ schuldet. (Sehr richtig! rechts.) Unsere Schulden wachsen, aber unser Vermögen wächst nicht in dem Maße. Es ist deshalb volkswirtschaft⸗ lich unrichtig, daß man das kräftige Vermögen durch Schulden all⸗ mählich verschulden läßt. (Sehr richtig! rechts.) Da muß man, wenn man volkswirtschaftlich richtig verfahren will, auch für eine Wieder⸗ beseitigung der Schulden Sorge tragen, selbst wenn alle Schulden so sicher sind, wie sie es heute sind, und selbst, wenn die Gläubiger, wie bei uns, niemals Angst zu haben brauchen, daß sie nicht wieder zu ihrem Gelde kommen.
Aus diesem Grunde möchte ich doch bitten, daß sie dem Vor⸗ schlage der Königlichen Staatsregierung Folge geben und darein willigen, daß der Versuch mit dieser bescheidenen Verstärkung der Schuldentilgung gemacht wird. Der Etat wird nicht sonderlich da⸗ durch belastet; auf der anderen Seite haben wir aber nach 10 Jahren über 140 Millionen außerordentlich getilgt, und wenn die Zeit vor⸗ über ist, haben wir obendrein dann einen Betrag, der bis dahin schon im Etat vorhanden gewesen ist, für andere bis dahin noch nicht vor⸗ gesehene Zwecke verfügbar. Das ist ungemein wichtig. Gerade diese allgemeine Reserve fehlt uns in unserem Etat vollständig, und mancke Frage muß von der Staatsregierung zurückgestellt werden, weil sie sich sagen muß, dafür haben wir zurzeit überhaupt keine Mittel, wir wissen nicht, wie wir Deckung schaffen sollen. Aber, meine Herren, wenn wir periodisch im Etat selbst immer wieder solche allgemeinen Reserven
haben, ist unserem Etat für solche Zwecke wesentlich geholfen. Wir
haben also zwei Folgen, wenn Sie diesen Vorschlag stattgeben: ein⸗ mal, daß wir eine besondere Reserve für zukünftige Bedürfnisse er⸗
halten, und zweitens, daß wir unsere Schulden schwächer anwachsen lassen, indem wir, wenn auch bescheiden, so doch in stärkerem Maße
tilgen als bisher. (Bravo!)
Abg. Dr. Pachnicke (fortschr. Volksp.): Wir halten es im ge⸗ genwärtigen Augenblick nicht für angezeigt, eine erhöhte Schuldentil⸗
gung vorzunehmen. Fi
Der Unterschied zwischen den Schulden im Reich und denen in Preußen liegt auf der ““ und wird auch vom Finanzminister nicht übersehen. In Preußen handelt es sich in erster Linie um Schulden werbender
—
Natur, im Reiche dagegen um Schulden unproduktiver Art, in erster
Linie namentlich um Schulden für militärische Zwecke. Daß bei der Tilgung solcher Schulden unproduktiver Art ein schnelleres Tempo ein⸗
geschagen wird, ist selbstverständlich, aber daß es notwendig ist, auch für
die preußischen Schulden ein schnelleres Tempo einzuschlagen, dafür ist
uns der Finanzminister den Beweis schuldig geblieben. Eine Aende⸗ rung in dieser Richtung halten wir erst für wünschenswert, wenn sich die Verhältnisse klar übersehen lassen.
Damit schließt die Besprechung. Ein Antrag des Abg.
Dr. Pachnicke, den Ausgabetitel „Zur Verstärkung der gesetz⸗
lichen Schuldentilgung durch ersparte Zinsen 2 376 000 Mark“
zu streichen, wird nach Probe und Gegenprobe abgelehnt. Der
Titel wird durch eine Mehrheit, bestehend aus der Rechten und den Nationalliberalen, bewilligt, ebenso der gesamte Etat der Staatsschuldenverwaltung. 1
Es folgt der Etat des Hauses der Abgeord⸗ neten.
Berichterstatter Abg. Dr. Pachnicke verweist bezüglich der Ver⸗ handlungen der Budgetkommission auf den ausführlichen schriftlichen Bericht.
„Es liegt zu dem Etat folgender, von dem Abg. Dr. Dittrich⸗Braunsberg (Zentr.) gestellter und von Mit⸗ gliedern der freisinnigen Volkspartei, von Nationalliberalen und Freikonservativen unterstützter Antrag vor:
„Die Königliche Staatsregierung wird ersucht, den liedern des Hauses der Abgeordnete
bdauer der jedesmaligen Legislaturperiode und für di
Monarchie ein Fahrkarte zur freien Fahrt in beliebi
Wagenklasse auf en preußisch⸗hessi
Staatsbahnen zu gewähren.“ 1
Abg. Dr. Dittrich (Zentr.): Ich kann diesen Antrag um so unbefangener und objektiver empfehlen, als ich so gut wie gar nicht reise, schon deshalb nicht, weil ich wegen meines hohen Alters eine zehn⸗ bis zwölfstündige Fahrt im D⸗Zuge kaum noch aushalte. Die Freikarte nach der Heimat (nach dem Wahlkreise) liegt besonders im Interesse derjenigen Abgeordneten, die einen freien Beruf ausüben, der Landwirte, Rechtsanwälte, Geschäftsleute. Sie versäumen und ver lieren durch ihre dauernde Anwesenheit in Berlin außerordentlich viel. Sie müssen häufig nach Hause reisen, um dort Anordnungen zu treffen Die Freikarte verlangen wir aber auch zu dem Zwecke der Infor⸗
mationsreisen. Jeder Abgeordnete hat das Bedürfnis und die Pflicht,
mit seinen Wählern in Fühlung zu bleiben. Das erfordert seine ganze Stellung. Um diese erfüllen zu können, ist es mindestens sehr wün schenswert, daß er eine Freikarte auch nach seinem Wahlkreise hat, aber nicht bloß bis an die Grenze seines Wahlkreises, sondern auch innerhalb des ganzen Wahlkreises. Der Abgeordnete ist aber nach der Verfassung nicht nur der Vertreter seines Wahlkreises, sondern des ganzen Landes Er ist der Vertreter aller Volksschichten und aller Berufsstände. Dar⸗ aus folgt mit notwendiger Konsequenz, daß er sich im ganzen Lande in⸗
formieren muß. Will er das in ausreichendem Maße tun, dann muß er eben eine Freikarte durch das ganze Land haben, aber nicht nur
für die Dauer der Session, sondern für die ganze Legislaturperiode, denn er muß seine Informationen in die parlamentsfreie Zeit ver⸗ legen. Die Freikarte ist aber auch notwendig im Interesse der Agi⸗ tation im Lande. Wer die Fahne seiner Partei hochhält, muß ihr auch Anerkennung verschaffen, nicht bloß in seinem Wahlkreise, sondern auch in den weitesten Kreisen, im ganzen Lande. Das Recht der Agitation ist auch allgemein anerkannt, sie ist allgemein üblich und auch notwen dig, auch im Interesse des Staates. Der Agitation der nichtstaats⸗ erhaltenden Partei muß eine Agitation der staatserhaltenden Parteier entgegentreten können, und das ist notwendig und wünschenswert im Interesse des Staates. Auch deshalb muß der Staat die Freikarte für die Dauer der Legislaturperiode gewähren. Aus allen diesen Grün den bitte ich Sie, unseren Antrag anzunehmen.
Unterstaatssekretär im Ministerium des Innern Dr. Drews: Der Minister des Innern hat mich beauftragt, zu dem vorliegenden Antrage nachstehende Erklärung abzugeben: „Ich bin nicht in der Lage, die Zustimmung des Königlichen Staatsministeriums zu dem Antrage Dr. Dittrich⸗Braunsberg, betreffend die Bewilligung von Eisenbahn⸗ freikarten während der ganzen Legislaturperiode an die Mitglieder des Hauses der Abgeordneten, in Aussicht zu stellen. Die Frage der Ab⸗ anderung 1 b — letzten Session der vorigen Legislaturperiode in eingehenden Beratug
ig Die Argumente, die der Finanzminister für eine verstärkte Schuldentilgung angeführt hat, können uns nicht überzeugen.
8 8 8 8
der Vorschriften über Diäten und Reisekosten war in de
„„zrtert worden. Das Ergebnis der hierbei vorgenommenen Ab⸗ 1ee. eröffnet nicht die Moglichkelt, eine entsprechende Neurege⸗ lung mit dem für die Königliche Staatsregierung in vorderster Resh⸗ stehenden Ziele der Verbesserung der Präsenzstärke des hohen Hauses in Einklang zu bringen. Damit entschwindet die erste Grundlage für ein Vorgehen der Königlichen Staatsregierung, der in dieser Frage eine besonders sorgfältige Prüfung um so mehr auferlegt ist, als damit eine Veränderung der verfassungsrechtlichen Vorschriften verbunden sein
würde.“ Abg.
—₰
von Bockelberg (kons.): Die eben gehörte Erklärung wird die Diskussion abkürzen. Ein Teil meiner politischen Freunde wird dem Antrage zustimmen, der größere Teil, zu dem auch ich ge⸗ höre, lehnt ihn ab. Der ehrenamtliche Charakter, den die preußische Verfassung dem Abgeordneten zuweist, erleidet unbedingt Einbuße, wenn dem Abgeordneten aus der Staatskasse Vorteile erwachsen, die nicht unbedingt notwendig sind, um sein Mandat pflichtgemãß und gewissenhaft ausüben zu können. Der Antrag selbst ist nicht neu, er enthält aber in diesem Jahre ein Reihe von Erweiterungen. Der Antrag enthält aber keinerlei Mittel, damit sein Zweck auch erreicht wird. Es scheint die Absicht der Antragsteller zu sein, dahin zu wir⸗ ken, daß der Abgeordnete häufiger, als es jetzt vielfach der Fall ist, anwesend ist. Wenn man auf die Freifahrtkarten der Reichstags⸗ abgeordneten hinweist, dann muß man auch daran denken, daß immer⸗ hin doch ein Unterschied besteht. Als die Freifahrtkartenberechtigung für die Mitglieder des Reichstages eingeführt wurde, wurden An⸗ wesenheitsgelder eingeführt. Man darf auch nicht vergessen, daß die Abgeordneten Vergnügungsreisen auf Grund ihrer Freifahrtkarten unternehmen. (Zuruf des Abg. Hoffmann: Woher wissen Sie denn das?) Das brauche ich Ihnen nicht zu sagen. Das Bedürfnis nach Besichtigungen im Inlande kann durch die gemeinsamen Reisen der Abgeordneten unter facarnde ge. Führung ausreichend gestillt werden. Der Abgeordnete soll nicht bloß, wie es heißt, für seinen Wahlkreis, sondern auch für das ganze Land da sein, er soll es deshalb auch kennen lernen. Man hätte auch hinzusetzen können, daß es vielleicht auch im Interesse des Staates ist, wenn dem Abgeordneten Gelegen⸗ heit gegeben wird, in seinem Wahlkreis zu agitieren. Logischerweise müßte man ihm dann auch Entschädigungen für die Auslagen auf dieser Reise gewähren. Es könnte dahin kommen, daß in der Be⸗ völkerung der Anschein erweckt wird, als ob der Abgeordnete ein ganz besonderes Privilegium genießt, und daß er deshalb seine Reise nicht zu bezahlen braucht. (Zuruf des Abg. Hoffmann: Jeder Eisenbahn⸗ beamte hat doch freie Fahrt!) Es läßt sich allerdings nicht leugnen, daß diejenigen Herren, die nicht um Berlin herum wohnen, materiell sehr viel schlechter gestellt sind. Es hat sich aber bisher noch nicht feststelen lassen, ob die freie Fahrt, die wir jetzt schon haben, die Prasenz des Hauses verbessert oder verschlechtert hat. Auf jeden Fall ist das Bedürfnis, eine solche Aenderung herbeizuführen, nicht nach⸗ gewiesen.
Abg. Dr. Levy (nl.): Die Mehrzahl meiner Freunde stimmt dem Antrage zu. In der Verfassung ist direkt gesagt, daß die Ab⸗ goordneten nach Maßgabe des Gesetzes Diäten beziehen. Darin ist doch vorgesehen, daß der Abgeordnete für seinen durch das Amt not⸗ wendigen Aufwand entschädigt ist. Daß diese Entschädigung auch über die Sitzungsdauer hinaus gewährt werden muß, hat ja ein früherer Präsident dieses Hauses der Oberrechnungskammer gegenüber direkt vertreten. Wir haben heute die Freifahrkarte vom Wohnsitz des Abgeordneten nach Berlin. Aber es ist notwendig, daß der Ab⸗ geordnete auch mit seinen Wählern Fühlung nimmt, deshalb muß ihm die Freifahrkarte auch nach seinem Wahlkreis gewährt werden. Dann geht es doch auch nicht an, daß man dem Abgeordneten außer⸗ dem noch die Reiseroute vorschlägt. Werden wenigstens diese Be⸗ schrankungen aufgehoben, dann sind wir von der Gewährung der Frei⸗ fahrkarten auf allen Linien der preußisch⸗hessischen Eisenbahngemein⸗ scheft nicht mehr weit entfernt. Daß ein Mißbrauch mit diesen Fahr⸗ karten getrieben wird, glaube ich nicht. Eine finanzielle Belastung des Eisenbahnetats wird auch kaum eintreten, dann könnten ja die uuu.“ die jetzt für die Abgeordneten gezahlt werden, fort⸗ fallen.
Abg. Lippmann ffortschr. Volksp.): Heute sind hier selt⸗ same Dinge passiert. Eine große Anzahl Abgeordnete, an ihrer Spitze Führer großer Parteien, halten es für erforderlich, im Inter⸗ esse der Geschäfte der Abgeordneten und des Hauses zu verlangen, daß die Freifahrkartenberechtigung, die bis jetzt eine beschränkte ge⸗ wesen ist, ausgedehnt werden soll. Die Staatsregierung gibt nun eine Erklärung ab, sie wartet nicht einmal, bis wir hier einen Beschluß gefaßt haben, sondern ein Minister — ich weiß nicht, welcher — gibt hier eine Erklärung ab, daß die Wünsche des Hauses nicht berücksichtigt werden und zwar, weil nach Ansicht des Herrn Ministers (Zuruf: Welcher?) die Frequenz des Hauses durch die Erteilung der Frei⸗ fahrtberechtigung nicht gefördert werden würde. Das dürfte in keinem enderen Lande und keinem anderen Parlamente möglich sein, daß ein Minister dem Hause den Vorwurf ins Gesicht sagt, wenn Ihr diese Freifahrkarten erst haben werdet, dann werden die Geschäfte des Hauses darunter leiden. Uns wird also indirekt gesagt, wir würden dann unsere Pflicht nicht mehr erfüllen. Noch etwas Seltsameres ist es, daß für eine große Partei des Hauses der Abg. von Bockelberg erklärt hat — er hat eine ganze Anzahl verständiger Mitglieder seiner Partei ausgenommen —, daß seine Partei die Befürchtungen des Herrn Ministers teile. Woher hat denn der Abg. von Bockelberg diese Er⸗ fahrung? Von uns doch nicht. Soll das vielleicht eine Liebens⸗ würdigkeit gegenüber seinen Freunden oder ein Mißtrauen sein? Ich Laube, es ist das letztere. Ich aber habe mehr Vertrauen zu seinen Freunden. Wir haben die Ueberzeugung, daß die Männer, die in das Haus gewählt sind, die Freifahrkartenberechtigung zu den Zwecken benutzen werden, zu denen sie hierher gesandt sind. Was für lahme Gründe sind das alles! Es soll ein Priviles der Abgeordneten sein, wenn sie freie Fahrt haben. Das Privileg, Abgeordneter zu sein, wird von den meisten von uns mit großen Opfern an Zeit und auch an Geld erkauft. Es ist nicht jeder in der glücklichen Lage, Landrat zu sein, daß er hier ruhig seiner Pflicht nachgehen kann, ohne daß dem Staate daraus ein Nachteil erwächst. Es geht da nicht an, uns zu sagen, wir wollten uns nur vor den Verhandlungen im Hause Frücken. Die Reichstagsabgeordneten haben freie Fahrt in ganz Deutschland, Aerdings noch etwas beschränkt. Diese fahren überall auf den preußischen Bahnen. Jedes deutsche Land, das selbst über⸗ aupt über einen Eisenbahnbetrieb verfügt, hat seinen Abgeordneten bereits stattgegeben, was wir erst noch bekommen sollen. Bavern, Sachsen, Baden und andere Staaten haben den Abgeordneten bereits 8 Freikarten gegeben in dem Umfange, in dem wir sie wünschen. Ist 8 Tätigkeit im preußischen Abgeordnetenhause weniger wichtig als ng t der Landtagsabgeordneten dieser kleinen Staaten? Und st das Bedürfnis, sich zu informieren, im preußischen Landtage weniger groß als in jenen Landtagen? Es ist ja oft hier mit Stolz eworgehohen worden, im preußischen Abgeordnetenhaus werde gründ⸗ ich gearbeitet. Ich bin der Letzte, der das bestreiten würde, aber man kann nur gründlich arbeiten, wenn man sich informiert, und eine Information an Ort und Stelle ist oft unumgänglich nötig. Die
Rechte macht uns oft den Vorwurf, wir verständen die Verhältnisse
doresten zu we Sehen Sie, wir haben das Bedürfnis, uns auch kort zu informieren. (Zuruf des Abg. Ad. Hoffmann: Das ist sedie Angfs!) Deshalb wollen wir auch diese Freikarten. Hinter nser Ablehnung steckt kein sachlicher Grund, sondern parteipolitische tomente. Es entspricht aber doch nicht der Würde des Abgeordneten⸗ lauses, wenn man derartige parteipolitische Momente entscheiden aßt 18 1 Frage, in der ein Parlament einig sein müßte. Abg. Hirsch⸗Berlin (Soz.): Ich habe mich im Gegensatz zu sen Kollegen Dr. Levy über die heutige Erklärung des “ seenmissars gefreut, denn die Regierung hat sich damit doch wenig⸗ stels 9 dieser Erörterung schon vorweg beteiligt, was sie bisher Freif 8 gelehnt hat. Vor 4 Jahren wurde durch die Regierung die eetfahrkartenfrage noch als eine politisch höchst bedeutsame bezeichnet; en ie aen. mehr geschehen. Wir haben es allerdings nur mit ten g schiedserklärung des Ministers von Dallwitz zu tun. Minister u Dollwitz, wie wir ihn kennen, verleugnet sich auch in dieser Erkläxung
im Osten zu wenig.
nicht. Die Verquickung der Frage mit der Frequeng des Hauses ist absolut nicht am Platze. Wir stimmen für den Antrag Dittrich. Die Argumente des Abg. von Bockelberg sind bereits von einer großen Mehrheit des Hauses mit Nachdruck zurückgewiesen worden; sie haben namentlich auch nicht das geringste dazu beitragen können, die Ueber⸗ zeugung von der Notwendigkeit ausgiebigster Informationen der Ab⸗ eordneten an Ort und Stelle zu erschüttern oder zu entkräften. Zum
ergnügen fährt niemand auf der Bahn, solcher komischen Menschen dürfte es nur äußerst wenige geben; von einem Mißbrauch oder gar von einer Vernachlässigung der parlamentarischen Geschafte infolge der Gewährung von Freifahrtkarten in dem geforderten Umfange kann nicht die Rede sein. In anderen parlamentarisch regierten Staaten verliert man über solche Dinge überhaupt kein Wort; in Preußen ist es anders. Das Haus muß der Regierung zeigen, daß die große Mehr⸗ heit auf dem Boden des Antrages steht, dann kann sie später sich darauf berufen, daß im Hause selbst keine Einigkeit darüber besteht.
Abg. Dr. Bredt (freikons.): Es ist wohl kein Zweifel mehr vor⸗
haͤnden, welche Aufnahme der Antrag Dittrich, wenn er angenommen werden sollte, bei der Regierung finden wird. Ich möchte jetzt die Aufmerksamkeit des Hauses auf die Lage unserer Bibliotheksgehilfinnen lenken, die noch immer auf tägliche Kündigung angestellt sind.
Präsident Dr. Graf von Schwerin unterbricht den Redner und weist darauf hin, daß jetzt nur noch über den Antrag, betr. die Freifahrkarten, verhandelt werden soll.
Persönlich bemerkt Abg. von Bockelburg kkons.): Ich habe nicht gesagt, daß die Frei⸗ fahrkarten eine Verminderung der Frequenz des Hauses herbeiführen würden; gesagt habe ich es nicht, was ich darüber denke, ist ja eine andere Frage.
Abg. Lippmann f(fortschr. Volksp.): Der Abg. von Bockel⸗ berg hat Wendungen gebraucht, die mich berechtigen, anzunehmen, daß er allerdings das gesagt hat, was er denkt. Nachdem er aber diese Er⸗ klärung hier abgegeben hat, fällt das, was ich gegen ihn gesagt habe, weg; aber ich kann jetzt feststellen, daß das, was der Regierungsvertrete gesagt, bei keinem Redner Beifall gefunden hat, auch nicht bei Herrn von Bockelberg.
Der Antrag Dittrich wird gegen die Stimmen größeren Teils der Konservativen angenommen.
Abg. Lippmann (fortschr. Volksp.): Im Hause muß noch mehr für bessere Ventilation gesorgt werden, besonders wenn jetzt die Praxis der Achtstundensitzungen mehr einreißt, denn auch die feinsten Leute verderben die Luft. Bei der Anschaffung neuer Telephonzellen bitte ich auf größere Schallsicherheit zu achten. Es ist angeregt worden, daß wir am Schluß der Session die stenographischen Berichte unserer Sitzungen in gebundenem Exemplar bekommen. Es besteht ein großer Unterschied in der Ausstattung der Räume für die Journalisten im Reichstag und hier im Abgeordnetenhause. Es könnten da ganz kleine Bequemlichkeiten geschaffen werden, die den Journalisten, deren Mit⸗ arbeit wir alle hochschätzen, ihre Tätigkeit erleichtern würden. Es ist in letzter Zeit wiederholt vorgekommen, daß in Veranstaltungen, für die unser Plenarsaal zur Verfügung gestellt worden ist, gegen einzelne Par⸗ teien lebhaft polemisiert worden ist. Das ist eine Taktlosigkeit, die unbedingt vermieden werden muß. Es kommt hier dazu, daß unsere Es wäre sehr wünschenswert,
Auch das Anstellungsverhält⸗
eines
Schubfächer nicht verschließbar sind. wenn hier Schlösser angebracht würden. nis der Leute muß reformiert werden.
Abg. Adolf Hoffmann (Soz.): Auch wir haben schon längst auf eine anderweitige Regelung der Anstellung der Boten hingewirkt.
Abg. Dr. Bredt (freikons.) bespricht im Namen der Bibliotheks⸗ kommission die Anstellungsverhältnisse der Bibliotheksgehilfinnen und hebt hervor, daß ihre Lage hinter derjenigen der staatlichen Beamtinnen zurückstehe.
Damit ist der Etat des Hauses der Abgeordneten erledigt. Ohne Debatte wird der Etat des Herrenhauses angenommen.
Eine Reihe von Petitionen, zu denen Wortmeldun⸗ gen nicht vorliegen, wird ohne Diskussion nach den Anträgen der Petitions⸗ bzw. Agrarkommission erledigt.
Schluß 6 Uhr. Nächste Sitzung Sonnabend 11 Uhr: Nach⸗ tragsetat für 1913 (Ankauf des Grundstücks neben dem Abge⸗ ordnetenhause), Eisenbahnanleihegesetz.
Parlamentarische Nachrichten.
Der Entwurf eines Ausführungsgesetzes zum § 1 des Reichsgesetzes über Aenderungen im Finanz⸗ wesen vom 3. Juli 1913 ist nebst Begründung dem Hause der Abgeordneten zu⸗
gegangen. Er lautet, wie folgt:
Das Recht zum Erlaß von ortsstatutarischen Vorschriften (Steuer⸗ ordnungen) gemäß § 1 Abs. 5 des Reichsgesetzes über Aenderungen im Finanzwesen vom 3. Juli 1913 (Reichsgesetzbl. S. 521) steht nur den Kreisen, den Stadtgemeinden und denjenigen Landgemeinden zu, welche mehr als 5000 Einwohner haben oder in denen eine Wert⸗ zuwachssteuer schon vor dem 1. Januar 1911 in Kraft war. Durch Steuerordnungen können auch die Satzungen abgeändert oder aufge⸗ hoben werden, welche auf Grund einer gemäß § 1 Abs. 4 Ziffer 2 des genannten Reichsgesetze; erlassenen Anordnung Geltung haben Die Vorschriften der §§ 18 Abs. 2, 77 Abs. 3 des Kommunalabgaben⸗ gesetzes sowie der §§ 19 Abs. 1 Ziffer 1 und 20 des Kreis⸗ und Pro⸗ vinzialabgabengesetzes finden Anwendung.
Im übrigen behält es bei den Vorschriften der §§ 13 des Kom⸗ munalabgabengesetzes und 6 Abs. 1 Ziffer 1 des Kreis⸗ und Provinzial⸗
abgabengesetzes mit folgenden Maßnahmen sein Bewenden:
1) Die Erhebung der Zuwachssteuer durch eine kreisangebörige Gemeinde auf Grund einer eigenen Steuerordnung schließt für sie die Erhebung der Zuwachssteuer durch den Kreis aus; die Erhebung der Zuwachssteuer durch einen Landkreis auf Grund einer eigenen Steuerordnung schließt die Erhebung von Zuwachssteuer auf Grund des Reichszuwachssteuergesetzes durch die kreisangehörigen Gemeinden aus.
Ddie auf Grund einer Steuerordnung (§ 1 Abs. 1) zur Erhebung gelangende Zuwachssteuer wird vom Kreisausschuß oder vom Gemeinde⸗ vorstand veranlagt, je nachdem die Ordnung vom Kreise oder von der Gemeinde beschlossen worden ist.
Die vom Kreisausschuß veranlagte Zuwachssteuer ist an die Kreis⸗ kommunalkasse, die vom Gemeindevorstand veranlagte an die Gemeinde⸗ kasse unbeschadet der Vorschrift des § 3 zu zahlen.
5
Erhebt ein Landkreis oder eine Gemeinde eines Landkreises Zu⸗ wachssteuer auf Grund einer Steuerordnung (§ 1 Abs. 1), so wird das Steueraufkommen zwischen dem Kreise und der Gemeinde, in der sich der Steuerfall ereignet hat, so geteilt, daß letztere, sofern sie nicht mehr als 15 000 Einwohner hat, zwei Drittel, sofern sie mehr als 15 000 Einwobner hat, drei Viertel erhält.
Die Vorschriften des § 4 Abs. 2 bis 4 des Ausführungsgesetzes zum Reichszuwachssteuergesetz vom 14. Juli 1911 (Gesetzsamml. S. 95) finden entsprechende Anwendung.
§ 4. Wenn in einer Gemeinde eines Landkreises, in dem Zuwachssteuer auf Grund des Reichszuwachssteuergesetzes vom 14. Februar 1911 (Reichsgesetzbl. S. 33) erhoben wird, die Besteuerung des Wertzu⸗ wachses beseitigt wird, so hat die Gemeinde die Summe, die im Durchschnitt der drei verflossenen Steuerjahre aus Zuwachssteuerfällen
8
in der Gemeinde an den Kreis gefallen sind, jährlich an ihn abzu⸗ b Kreis und Gemeinde können auch anderweite Vereinbarungen treffen.
Wenn in einem Landkreis die Besteuerung des Wertzuwachses beseitigt wird, so treten die Vorschriften des § 4 des Ausführungs⸗ gesetzes zum Reichszuwachssteuergesetz sowie die Vorschriften des § 3 Abs. 1 des gegenwärtigen Gesetzes und des vorstehenden Absatzes außer Anwendung, bis der Kreis eine Besteuerung wieder einführt.
§ 5. Die Vorschrift des § 2. des Ausführungsgesetzes zum Reichs⸗ zuwachssteuergesetze findet, auch wenn Zuwachs steber auf Grund einer S euerordnung (§ 1 Abs. 1) erhoben wird, mit der Maßgabe An⸗ wendung, daß nach Inkrafttreten der Nov lle zum Landesverwaltungs⸗ gesetze an die Stelle des Bezirkseausschusses die Kammer für Abgaben⸗ sachen tritt. § 6 Die §§ 38 und 41 des Reichszuwachssteuergesetzes werden außer Kraft gesetzt 8 Der nach § 3 Abs. 2 des Ausführungsgesetzes zum Reichszuwachs⸗ steuergesetze dem Staat vorbehaltene Bet ag von 5 vom Hundert des Ertrags der Zuwachssteuer triit dem den Eemeinden und Gemeinde⸗ verbänden verbleibenden Betrage hinzu.
2—— 8
S 6. 8 “ “
Die Berechtigung, die nach dem Reichszuwachssteuergesetz fällige Abgabe aus Btlligkeitsgründen zu erlassen (§ 66 Abs. 1 des Reichs⸗ zuwachssteuergesetzes) geht auf die veranlagende Kommunalbehörde über.
Für das Strafverfabren wegen Zuwiderhandlungen gegen § 50. Abs. 2 des Reichs uwachesteuergesetzes gilt § 81 Abs. 2 und 3 des Kommunalabgabengesetzes Bei Veranlogung der Zuwachssteuer durch den Kreis tritt an die Stelle des Gemeindevorstandes der Kreisaus⸗ schuß. Im übrigen gelten für das Strafverfahren wegen Zuwider⸗ handlung gegen das Reichsmwachssteuergesetz die §§ 82 Abs. 2 des Kommunalabgabengesetzes beziehungsweise 17 Abs. 2 des Kreis⸗ Provinzialabgabengesetzes. G
§ 9.
Dieses Gesetz tritt mit dem Tage der Verkündung in Kraft.
In der dem Gesetzentwurf beigegebenen Begründung wird ausgeführt:
Bis zum Erlaß des Reichszuwachssteuergesetzes hatten die Gemeinden gemäß § 13 des Kommunalabaabengesetzes, die Kreise gemäß § 6 Abs. 1 Ziffer 1 des Kreis⸗ und Peovinzialakgabengesetzes das Recht, beim Uevergang von Grundstücken und ihnen gleichstebenden Rechien eine indirekte Steuer nach Maßgabe des dabei erzielten Wert⸗ zuwachses zu erheben. 159 Städte, 129 Landgemeinden und 13 Land⸗ kreise hatten entsprechende Steuerordnungen erlassen, als das Reich dieses Gebiet für seine Gesetzgebung in Anspruch nahm. Durch § 72 des Zuwachssteuergesetzes sind alle diese Steuerordnungen grundsätzlich befeitigt worden. Nur in den Gemeinden Erfurt, Emden, Gelsen⸗ kirchen und Essen bestehen noch die alten Ordnungen auf Grund des § 1 Abs. 4 Ziffer 2 des Reichzsgesetzes über Aenderungen im Finanz⸗ wesen vom 3 Juli 1913 fort.
Das Zuwachssteuergesetz verfolgte in erster Linie den Zweck, dem Reiche eine Einnahme zuzuführen. Durch § 1 Abs. 3 des Gesetzes über Aenderungen im Fiaganzwesen vom 3. Juli 1913 ist es dieses Zweckes entkleidet worden. Seine gänzliche Aufhebung schien nur deshalb bedenklich, weil es eine Hälfte des Ert ages zum kleineren Teile den Bundesstaaten, zum sehr viel größeren den Gemeinden und Gemeindeverbänden überwiesen hatte (§ 58). Diesen letzteren Be⸗ rechtiaten konnte das Reich ihre Einnahmen aus dem Gesetz ohne schwere Erschütterung der Finanzverhaltnisse zahlreicher Kommunen nicht entziehen. Es ließ daher das Zuwachssteuergesetz noch in Kraft und setzte nur den Reichsanteil außer Hebung.
Nunmehr hat das Reichsgesetz über Aenderungen im Finanzwesen dem Landesrecht die Befugnis zur Regelung dieses Gebiets wieder zurückgegeben. Die Vorschrift des § 1 Abs. 5 daselbst ermächtigt zu⸗ nächst die Landesgesetzgebung zu freier Verfünung über das Reichs⸗ recht hinsichtlich der Besteuerung des Wertzuwachses, und zwar um⸗ faßt diese freie Verfügung ebensowohl das Recht zu völliger Aufhebung der Besteuerung (vergl Sten. Ber. des Reichstags vom 27. Juni 1913 S. 5867 — B —) wie zur Abänderung von Einzelheiten der Regelung. Die Vorschrift des § 1 Abs. 5 geht aber noch weiter. Insoweit das Landesrecht „ortsstatutarische Vorschriften“ auf diesem Gebiet zuläßt, sollen auch diese die freie Verfügung über die Regelung der Zuwachsbesteuerung haben. Die durch § 72 a. a. O. aufgebobenen „Satzurgen der Gemeinden und Gemeindeverbände“ sind nicht wieder aufgelebt; wohl aber können die Gemeinden und Gemeindeverbände neue derartige Satzungen er⸗ lassen, soweit ihnen nach Landesrecht Autonomte zusteht. Die Ge⸗ meinden und Kreise sind also durch den § 1 Abs. 5 des Reichsgesetzes vom 3. Juli 1913 in Verbindung mit § 13 des Kommunalabgaben⸗ gesetzes und § 6 des Krris⸗ und Provinzialabgabengesetzes unmittelbar ermächtigt, die Besteuerung des Wertzuwachses entweder aufzuheben oder abweichend vom Reichsrecht zu gestalten.
In der Literatur ist allerdings von einigen Stellen die Auffassung vertreten worden, daß noch ein neues Landesgesetz ergehen müsse, um für die Gemeinden die erforderliche Rechtsunterlage zu schaffen. Durch § 72 des Zuwachssteuergesetzes seien diejenigen Landesgesetze, welche die Zuwachssteuer betreffen, aufgehoben. Ju Preußen fielen unter diese Vorschrift die §§ 13 des Kommunalabgabensetzes und 6 Abs. 1 Ziffer 1 des Kreis⸗ und Provinzialabgabengesetzes, insoweit sie die gesetzliche Unterlage für die Gemeinden und Kreise zur Besteuerung des Zuwachses abgeben. Insoweit seien diese Paragraphen also durch das Zuwachssteuergesetz oufgehoben. Nirgends seien sie wieder in Kraft gesetzt. Es fehle daher in Preußen zurzeit an einer landes⸗ recht ichen Regelung, welche die Unterlage für ortsstatutarische Vor⸗ schriften über die Besteuerung des Wertzuwachses abgeben könnte. 8 Diese Ausführungen gehen fehl. Zunächst sind die §§ 13 des Kommunalabgabengesetzes und 6 Abs. 1 Ziffer 1 des Kreis⸗ und Provinzialbagabengesetzes keine Landesgesetze der von § 72 des Zu⸗ wachssteuergesetzes betroffenen Art. Sie sind durch letzteren unberührt geblieben. Unter „Landesgesetzen, welche die Besteuerung des Zu⸗ wachses bei der Veräußerung von Grundstücken betreffen“, können nur besondere Zuwachssteuergesetze, nicht aber all⸗ gemeine landesgesetzliche Vorschriften verstanden werden, die unter anderem auch bei Einführung einer Zuwachssteuer in Anwendung kommen (vergl. Hoeniger: Das Zuwachssteuer⸗ gesetz vom 14. Februar 1911, Anmerkung 1 zu § 72, wo als Staaten, in denen Landesgesetze der g⸗dachten Art vorbanden sind, nur Hessen, Lippe, Hamburg und Lübeck genannt werden). Bei § 13 des Kom munalabgabengesetzes hat auch zum Ueberfluß der eigene Wort⸗ laut von vornherxein die Möglichkeit einer Erfassung durch das Reichsrecht verhmdert. Er erteilt die Ermächtigung an die Ge⸗ meinden ausdrücklich nur „innerhalb der durch die Reichsgesetze ge⸗ zogenen Grenzen“. Er hätte in derselben Form gerade so gut nach Erlaß des Reichszuwachssteuergesetzes als Landesgesetz erlassen werden können. Wie soll er da durch dieses teilweise beseitigt sein? Wenn das Zuwachssteuergesetz die im § 13 selbst erwähnten Grenzen enger steckte, so wurde er dadurch nicht teilweise beseitigt, sondern es wurde nur sein Wirkungskreis verkleinert. Mit dem Fortfall der engeren Grenze erweitert sich dieser automatisch. Im § 6. des Kreis⸗ und Provinzialabgabengesetzes fehlt allerdings der ausdrückliche Vorbehalt des Reichsrechts. Dennoch ist er in vorliegender Frage dem § 13 gleichzustellen, denn jener Vorbehalt hat nur deklaratorischen, nicht konstitutiven Charakter. Der Gesetzesbefehl geht, auch ohne daß dies ausdrücklich erwähnt wird, nicht über die reichsrechtlichen Grenzen hinaus und kann reichsverfassungsgemäß nicht über sie hinausgehen.
Auch die Absicht des Reichsgesetzgebers spricht für die hier ver⸗ tretene Auffassung. Ursprünglich war die fragliche Vorschrift des Finanzgesetzes folgendermaßen formuliert: „Durch die Landesgesetz⸗ gebung oder in Gemäßheit derse. en durch ortsstatutarische Vor⸗ schrift..“ (vergl. Drucks. 1126 des Reichstages 13. Legislatur⸗