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drotestieren. Die Bevölkerung dort ist religiös in jeder S. Daß in einem einzelnen Fall einmal nur sieben oder neun 8 esucher in der Kirche sind, kann vorkommen, aber wenn in Berlin prozentual so viele Leute in die Kirche gingen wie in der Altmark, dann würden die Berliner Kirchen lange nicht ausreichen. Ich möchte das im Namen der Altmark sagen. 8 1
Abg. Dr. Dittrich (Zentr.): Wir haben für den Antrag Cassel
volles Verständnis, wir werden ihn in der Kommission genau hüüsen⸗ um die Wege zu suchen und hoffentlich auch g finden, die die Erfüllung des Wunsches möglich machen. Nach dem Material, das für den An⸗ trag beigebracht ist, ist das Bedürfnis anzuerkennen. Wir werden auch die rechtlichen Voraussetzungen und die Grundlagen des Antrages prüfen. Die Leistungen des Staates für die Kirchen beruhen doch auf rechtlicher Grundlage, einmal wegen des ““ und ferner infolge der Säkularisation. Die Güter, die die Kirche seit usend Jahren besessen hat, sind rechtlich erworben, aber das Ver⸗ langen, die Rechtstitel aufzuweisen, ist ja unmöglich zu erfüllen. Es ist auch nicht ohne Eindruck geblieben, daß eine ganze Reihe von deutschen Staaten die armen jüdischen Gemeinden unterstützt. Aller⸗ dings müssen wir uns auch die Konsequenzen klar machen, daß auch andere rellgröse Sekten ähnliche Ansprüche machen könnten Abg. Dr. von Campe (nl.): Ich freue mich, daß der Antrag allgemein diese Aufnahme gefunden hat, und hoffe auch, daß es in der Kommission gelingt, die konservative Partei von ihren Bedenken ab⸗ zubringen, denn es handelt sich um eine Forderung der Billigkeit. Daß die Sozialdemokraten den Antrag ablehnen würden, wußten wir nach ihrer Stellungnahme im vorigen Jahre. Auf die freireligiösen Probleme des Abg. Hoffmann gehe ich nicht ein, aber wenn er meint, eine Kirche, die Gottvertrauen e werde bestehen, eine andere untergehen, so klingt eine solche Bemerkung vom Munde des Abg. Hoffmann recht eigentümlich. Von dem Standpunkt der Billigkeit aus werden wir offentlich aus dem Antrag etwas Ersprießliches zusammenbringen. Fon allen Seiten wird anerkannt, daß der Art. 14 der Verfassung eem Antrage nicht entgegen steht. Die Ansprüche der christlichen Religionsgemeinschaft an den Staat mögen aus der Säkularisation und aus der geschichtlichen Entwicklung herausgewachsen sein, aber die Abmessung der Staatsunterstützungen kann man jetzt nicht mehr allein zuf die Säkularisation stützen. Gewiß können nun andere Religions⸗ 8 gemeinschaften vielleicht dieselben Ansprüche erheben, aber der 2 ntrag wird nicht die Konsequenz haben, daß jede einzelne kleine Sekte An⸗ sprüche an den Staat erhebt. Das müßten wir ablehnen. Es fragt ich, ob die betreffende Relig ionsgemeinschaft diejenige Bedeutung für en Staat nach ihrem religiösen Gehalt, nach der Zahl und dem An⸗ sehen ihrer Anhänger und nach ihrer Vergangenheit hat, daß daraufhin in Anspruch erhoben werden kann. Für die jüdische Religionsgemein⸗ schaft bejahen wir diese Frage unumwunden. Man kann sogar sagen, daß es nicht nur eine Billigkeitsforderung, sondern auch eine Anstands⸗ pflicht des Staates ist. Auch vom Standpunkt des sozialen Ausgleichs werden wir hoffentlich in der Kommission aus dem Antrag etwas Segensreiches machen können. “ Abg. Adolf Hoffmann (Soz.): Die ganze Altmark würde nicht langen, um nur die Hälfte der Berliner Kirchen aufzunehmen. Wenn der Nachweis der rechtlichen Erwerbung der Kirchengüter nicht möglich ist, so ist er gerade notwendig, denn wenn er unmöglich ist, so beweist das, daß der rechtmäßige Erwerb nicht nachzuweisen ist. Gerade ein Prediger der katholischen Kirche in Paris hat erklärt, daß vier Fünfte des Kirchenbesitzes unrechtmäßig erworben seien, und daß für das fünfte Fünftel der rechtmäßige Besitz nicht nachzuweisen sei. Als in der Toleranzkommission des Reichstages das Zentrum nichts gegen die Trennung von Staat und Kirche hatte, sagte gerade der liberale Schrader, das hieße, das Rückgrat der Kirche nehmen, wenn die Staatsunterstützung fortfiele. Nach den Ausführungen des Abg. Campe soll also die Kirche dafür, daß sie dem Staat dient, bezahlt werden. Der Antrag Cassel wird der Budgetkommission über⸗ wiesen. Die Einnahmen und Ausgaben für „Kultus und
Unterricht gemeinsam“ werden bewilligt.
Es folgt der Abschnitt „Evangelischer Oberkirchenrat,
evangelische Konsistorien, evangelische Geistliche und Kirchen“.
Die Einnahmen und Ausgaben dafür beantragt die Budget⸗ kommission unverändert zu bewilligen.
Abg. Graue (fortschr. Volksp.): Der Evangelische Oberkirchen⸗ rat erfreut sich überall eines erechtigten Ansehens. Der Umstand, daß er hier nur indirekt durch den Kultusminister vertreten ist, legt mir eine gewisse Reserve auf, wenn ich auf den Fall Traub zurück⸗ komme. Ich fordere vom Evan elischen Oberkirchenrat, daß er
Traub, der soeben mit der theo ogischen Doktorwürde geschmückt worden ist, auf Grund des § 49 des Gesetzes, betreffend Dienstver⸗ gehen der evangelischen Kirchenbeamten, die Rechte des evangelischen Geistlichen wieder beilegt. Diese Forderung kann ich nicht einseitig von kirchlichen Gesichtspunkten aus begründen. Die Abgg. D. von Campe und Viereck, zwei Richter, haben im vorigen Jahre aus⸗ geführt, daß das Verfahren des Evangelischen Oberkirchenrats gegen Traub formell nicht den Kirchengesetzen widersprochen hat, tatsächlich aber nur durch die Lückenhaftigkeit der kirchlichen Disziplinargesetz⸗ gebung möglich wurde. Der Kultusminister hat das Verhalten des Evangelischen Oberkirchenrats zu entschuldigen gesucht, hat aber das Verlangen für berechtigt erklärt, daß Traub gründlich hätte vernommen werden müssen. Der Evangelische Oberkirchenrat hat eine ganz selt⸗ same staatsrechtliche Stellung, die der gesetzlichen Regelung bedarf. Er steht in mancherlei Verbindung mit den Staatsbehörden; aber verantwortlich ist er weder dem Landtag noch der Generalsynode, sondern nur der Krone. Er hat einfach einen Mann beseitigt und ihm noch einen Makel angehängt, dessen Kritik der Kirchenforschung ihm unangenehm war. Ich wünschte, jeder Deutsche besäße Traubs Unwahrhaftigkeit, dann wären wir das wahrheitsliebendste Volk der Welt. Ich fordere vom Evangelischen Oberkirchenrat, daß er Traub die Ehre, die ihm gebührt, erweist, indem er ihm die Rechte des geist⸗ lichen Standes wieder zuerkennt. Das Gesetz gibt ihm dazu die Hand⸗ habe; dazu braucht er seine Entscheidung gar nicht aufzuheben. Das kann ihm nur zur Ehre gereichen. Fast überall in der Geschichte des Evangelischen Oberkirchenrats, trotz der Versuchungen seiner staats⸗ rechtlichen Stellung, ist das Bestreben deutlich erkennbar gewesen, eine Stätte der Gerechtigkeit zu sein. Dem Abg. Viereck bin ich dank⸗ bar dafür, daß er im vorigen Jahre den Verdacht zurückgewiesen hat, daß der Oberkirchenrat nur deswegen gegen Traub so entschieden hätte, um einem Lehrprozeß aus dem Wege zu gehen. Dieser Verdacht be⸗ steht aber trotzdem noch heute in weiten Kreisen der Bevölkerung. Noch viel ausschlaggebender für die Wiederbeilegung der Rechte des Geistlichen an Traub ist das Interesse des Staates selbft. Auf dem Boden der evangelischen Kirche ist es unvermeidlich, daß sich Gegen⸗ sätze zwischen orthodox und liberal aufgetan haben. Das ist kein Zeichen der Schwäche, sondern ein Zeichen innerer Selbstgewißheit und geistigen Reichtums. Diese religiösen Kämpfe werden aber eine Gefahr für die Grundlagen des Lebens, wenn sie mit den Mitteln der Staatsgewalt ausgekaämpft werden, wenn die Pfarrer zu bloßen Beamten herabgedrückt werden. Ich kenne kein höheres Gut als den auf innerster Ueberzeugung aller Staatsbürger sich gründenden Staat; und um dieses uns heiligen Gutes willen will. ich den Evangelischen Oberkirchenrat darum gebeten haben, seinem Urteil durch Rehabili⸗ tierung Traubs die unnötige Schärfe wieder zu nehmen. Dadurch wird er sich den Dank weitester Kreise verdienen; denn auch positivp⸗ orthodoxe Männer haben die Rehabilitierung Traubs für notwendig erklärt. Er wird dem religiösen Frieden und der Zukunft unseres Vaterlandes damit dienen.
Abg. Dr. von Campe nl.): Gegenüber einer Bewegung wie der Kirchenaustrittsbewegung kann man nicht mit äußerlichen Mitteln vorgehen. Die Kirche wird sich nur aus sich selbst heraus helfen koͤnnen. Es kann der Kirche nur geholfen werden mit einer ernsten Einkehr und mit ernster Ueberlegung aller der Instanzen, denen das Wohl und Wehe der Kirche am Herzen liegt, und denen das Wohl und Wehe der Kirche zur Pflicht gemacht ist. Der Vorredner hat darauf hingewiesen, daß tatsächlich eine gesetzliche Bestimmung vor⸗ banden ist, nach der es möglich ist, Remedur zu schaffen in einem Falle wie dem Falle Traub. Ich habe im vorigen Jahre dem Falle
Einspruch erhoben,
8 11 — ““ ““ Traub eine wenn auch zurückhaltende Kritik gewidmet. Ich will jet nicht kritisieren, sondern an den Oberkirchenrat appellieren. Der Ober⸗ kirchenrat hat im Gegensatz zu der unteren Instanz in Breslau an⸗ nommen, daß die Absicht der Beleidigung seitens Traubs vorge⸗ egen habe. Ich habe im vorigen Jahre erklärt, daß, wenn die untere Instan 11 einer solchen Beurteilung kommt, die obere Instanz doch ” ohne weiteres das Gegenteil annehmen darf, ohne wenigstens den Angeschuldigten selbst gehört und gesehen zu haben. Gewiß hatte der Oberkirchenrat nicht die prozessuale Verpflichtung, aber er hatte das Recht, Traub selbst zu vernehmen, und daß er von diesem Rechte nicht Gebrauch gemacht hat, ist das Tiefbedauerliche. Es ist gewiß zuzugeben, daß ein kirchliches Disziplinarverfahren nicht ohne weiteres mit irgendeinem Prozeß verglichen werden kann. Aber der Grundsatz, daß man einen Angeschuldigten nicht verurteilen darf, ohne ihn gesehen zu haben, ein ethischer Grundsatz. Und wieviel mehr muß ein solches Moment hier in einem Verfahren be⸗ rücksichtigt werden, wo es darauf ankommt, den Charakter des Mannes zu beurteilen. Wenn man jetzt die ganze Frage ruhiger prüft, dann kann man wohl zu dem Schluß kommen, daß der Weg, den der Kollege Graue vorgeschlagen hat, ein gangbarer ist. Ich will den Ober⸗ kirchenrat nicht kritisieren, sondern nur die tatsächlichen Grundlagen feststellen. Aber das muß ich doch sagen: es handelt sich um die oberste Stelle der evangelischen Landeskirche in Preußen. Diese Stelle muß getragen sein vom allgemeinen Vertrauen, und dieses Vertrauen hat in weitestem Maße Schaden gelitten. Es handelt sich um eine Stelle, die jenseits des theologischen Streites stehen soll und muß, um eine Stelle, die jenseits der Erregung des Tages stehen soll. Es handelt sich um eine Stelle, die, weil sie die oberste ist, gerade des⸗ halb dazu berufen ist, allen religiöbsen Empfindungen nach Möglich⸗ keit gerecht zu werden. Wenn der Evangelische Oberkirchenrat den Weg beschreitet, den der Abg. Graue angedeutet hat, dann übt er nur eine Weitherzigkeit, die am allermeisten die Pflicht einer solchen obersten Stelle ist. An diese Weitherzigkeit moͤchte ich noch einmal mit allem Nachdruck appellieren.
Abg. Adolf Hoffmann (Scoz.): Es ist doch sehr merk⸗ würdig, wenn wir hier vom Ministertische immer hören müssen, daß der Minister keinen Einfluß auf die kirchlichen Behörden habe, aber trotzdem gewissermaßen gezwungen werden, das Geld für die Kirche zu bewilligen. Die Nichtbestätigung des Pfarrers Fuchs als Nach⸗ solger Traubs in Dortmund beweist, daß es gar nicht möglich ist, die Kirche von innen heraus zu reformieren. Denn die Gemeinde kann zwar wählen, wen sie will, aber der Mann wird dann einfach nicht bestaͤtigt. In Stahnesdorf ist der Pastor Luther auf Grund einer Widerklage wegen Beleidigung zu 150 ℳ Geldstrafe verurteilt worden. Also nur eine Geldstrafe, aber in dem Urteil heißt es, daß die Beleidigungen des Pastors an bewußte Verleumdungen grenzen. In dem Urteil wird festgestellt, wie er sich über die Kirche und über die kirchlichen Behörden geäußert hat; das seien alles Schleicher und Heuchler und solche Trottel, daß man ihnen immer nur mit ein paar Bibelsprüchen zu kommen brauche, das seien Leute, die auch schon Diebstähle auf dem Gewissen hätten usw. Trotzdem ist dieser Pastor Luther in sein Amt in Stahne dorf wieder eingeführt worden. Selbst eine Beschwerde dagegen ist erfolglos geblieben, alles nur, weil der Mann orthodox ist. Solche Leute behält man im Amte, während Männer wie Jatho und Traub aus dem Amte gestoßen werden. Diese Tatsache verschafft uns viel mehr Kirchenaustritte als alle unsere schönsten Reden. Was für Zustände in den Kassenbüchern der Kirche herrschen, das ist kaum glaublich. Katholiken und Dissidenten bekommen wahlles die Veranlagung zur Kirchensteuer, ebenso Leute, die schon jahrelang im Grabe liegen. Ich kenne einen Fall, in dem einem Manne, der seit mehr als 10 Jahren krank im Bette lag, die letzte Kommode aus der Wohnung geholt worden ist wegen 40 ₰ Kirchensteuer. Der Sekretär des Komitees „Konfessionslos“ ist schon vor 21 Jahren aus der Kirche ausgetreten, und jetzt hat er plötzlich die Aufforderung bekommen, seine Kirchensteuer zu zahlen. Wenn solche Fälle vor⸗ kommen, dann wird erklört, der Betreffende habe nicht rechtzeitig also sei die Steuer verfallen. So etwas assen sich die Leute natürlich nicht ohne weiteres gefallen; das werden dann die eifrigsten Agitatoren für die Austrittsbewegung. Gegenüber den Herren vom Zentrum will ich übrigens auch noch feststellen, daß die Zahl der Kaiholiken, die aus der Kirche ausgetreten sind, in Berlin prozentual größer ist, als die der Evangelischen. Wer von Ihnen wird einem kleinen Geschäftsmanne, der seine Bücher unordentlich führt, auch nur eine Mark geben für seine Geschäftszwecke? Aber der Kirche, deren Kassenbücher unordentlich geführt werden, gibt man Millionen. Es erregt Unmut in der Be⸗ völkerung, daß die Herren Geistlichen keinen Pfennig zur Kirchensteuer beitragen, und daß sie wie die Fürsten Steuerfreiheit verlangen. Wenn gesagt wird, daß die aus der Landeskirche Ausgetretenen zum größten Teil steuerfrei waren, so beweist dies doch, daß die Leute aus Ueberzeugung ausgetreten sind, und daß für sie die Steuer nicht ausschlaggebend war. Das beste Gegengift gegen diese Bestrebungen des Komitees „Konfessionslos“ ist, daß Sie nicht nur von dem Christentum reden, sondern auch wahrhaft christlich handeln. Von den Kirchenauskehrkarten sind wir nicht so sehr entzückt, da sie mit dem Bildnis Friedrichs des Großen versehen sind, und dieser König meistens so gehandelt hat, wie es ihm paßte. Auf diesen Kirchenauskehrkarten sind einzelne Aussprüche von Schiller, Goethe und Friedrich dem Großen angeführt so ein Ausspruch Friedrich des Großen, der zeigt, daß er im Falle Traub und Jatho anders gehandelt haͤtte. Ein Landpfarrer wurde bei Friedrich dem Großen denunziert, weil er an die Auferstehung nicht glaubte. Der König erwiderte, wenn er am nächsten Tage nicht aufstehen will, dann soll er liegen bleiken. Es ist uns bis jetzt noch nicht eingefallen, zum Austritt aus der Synagoge aufzufordern, aber wenn der Antrag Cassel angenommen wird, so werden wir auch dies tun. Neben den Klrchenauskehrkarten gibt es jetzt auch schon Kircheneinkehrkarten. Mit fetten Buchstaben ist darauf zu lesen, daß der Kircheneintritt keinerlei Kosten verursacht. Leichter kann man es den Leuten doch wirklich nicht machen. Die Berliner Stadisvnode hat behauptet, die Zahlen über die Aus⸗ tritte seien nicht richtig, und es seien auch 843 Rücktritte erfolgt. Auf eine Anfrage hat der Vorsitzende der Synode den Konfessions⸗ kosen eine Auskunft darüber verweigert. Viele Juden werden erst freireligies, um dann und nicht als Juden direkt zum Christentum überzutreten. Wir geben auf diese Bekehrungen nichts. Ein Geist⸗ licher hat selbst auf die Mißstände in der evangelischen Landeskirche bingewiesen und erklätt, die jetzige Form der Landeskirche könne nicht bleiben, weil sie viel zu sehr Pastoren⸗ und zu wenig Gemeindekirche sei. Bei der Hinrichtung eines Bergarbeiters wegen Mordes in Metz ging der Beilhieb nur durch die Wirbelsäule, der Kopf blieb noch hängen, da zog der Scharfrichter sein Taschenmesser und schnitt den Kopf vollends ab; ein anderer mußte noch einmal vom Richtblock aufstehen, und erst sein Holzbein abschnallen, bevor er hingerichtet wurde; einem Dienstmädchen in Gumbinnen wurden fast alle Kleider vom Leibe gerissen, und es wurde fast nackt zur Hinrichtung geschleppt. Und das alles geschieht in einem christlichen Staate, der unter der Devise der christlichen Nächstenliebe stebt. (Lachen rechts.) Daß Sie dabei lachen können, zeugt von einer Rohbeit des Gemüts, die man nicht für möglich halten sollte. (Vizepräsident Dr. von Krause: Sie dürfen nicht eine solche Kritit gegen Mitglieder des Hauses aussprechen. Sie können auch nicht alle Dinge, die
hnen verwerflich scheinen, mit der Kirche in Zusammen⸗ hang bringen, sonst könnten Sie alle Gebiete der Politik und Kultur hierbei besprechen; ich bitte Sie, sich an das Thema zu halten.) Ich wäre schon fertig, wenn ich nicht so viel unterbrochen würde. (Zwischenruf des Abg. von Pappenheim.) Ja, Abg. von Pappenheim, Strafpredigten hört man nicht gern. Ein Fall, in dem ein Mann, der Mitkämpfer im Kriege gewesen ist, der seine Beiträge an den Kriegerverein gezahlt hat, nicht auf einem Leichenwagen, sondern auf einem Karren zum Kirchhof gebracht und ohne jede Teilnahme wie ein Hund begraben wurde, veranlaßte Hunderte in der betreffenden Gegend zum Austritt aus der Kirche. Austritts⸗ versammlungen in Oberschlesien wurden mit kläffenden Kötern
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gestört. Das sind die Mittel, mit denen Sie (rechts) kämdfe wenn Sie so verfahren, wird die Austrittsbewegung nicht abfiag
Wenn Sie die Austrittsbewegung beseitigen wollen, so trennen 8 Staat und Kirche.
Minister der geistlichen und Unterrichtsangelegenheis D. Dr. von Trott zu Sols;:
Meine Herren! Sie werden es vielleicht nicht für erforden halten, daß ich auf die Ausführungen des Herrn Abgeordneten Hgß mann erwidere. (Sehr richtig!) Es war eine Rede, wie wir sit⸗ schon öfter gehört haben, ja, wie wir sie alljährlich hören, in der 9. Abgeordneter Hoffmann als temperamentvoller Gegner der Kirch⸗ 2 fanatischer Vertreter des Austritts aus der Kirche auch hier aufte und seine Ansichten entwickelt. Er tut das ja bekanntlich nicht n hier, sondern auch draußen; er ist auch draußen auf das äußent tätig, den Austritt aus der Kirche zu unterstützen. Ich halte es halb nicht für erforderlich, darauf etwas zu erwidern. Das ist
wohl Ihre Ansicht, meine Herren. Wenn ich es doch tue, so gesc 4 es, um einige tatsächliche Angaben richtig zu stellen, die ich doch iis
unwidersprochen lassen möchte.
Der Herr Abg. Hoffmann ist in seinen Ausführungen auf Fall eines Geistlichen hier in der Nähe von Berlin eingeganger hat mitgeteilt, welche Verfehlungen sich dieser hat zuschulden komm lassen, und hat dann hinzugefügt: trotz dieser Verfehlungen ist die Geistliche in seinem Amte, in seiner Gemeinde geblieben. Herren, das ist nicht zutreffend. Er ist auf dem Wege des Diszir verfahrens versetzt worden. (Rufe: Versetzt! und hört, hört! k Sozialdemokraten.) Eine strengere Strafe ist gegen ihn deshal erkannt worden, weil durch ein Urteil von ärztlichen Sachverste festgestellt war, daß er zu der Zeit, in welcher er sich jene Verfeh hat zuschulden kommen lassen, schwer nervenleidend war, so für seine Aussprüche nicht verantwortlich gemacht werden konnt war der Grund, weshalb die Angelegenheit so erledigt worden ist es geschehen ist, und dagegen wird sich nichts einwenden lassen wird vielleicht auch dem Herrn Abgeordneten Hoffmann lie wenn er nun über diesen Fall in wirklich zutreffender Weise or worden ist, und ich hoffe, daß er ihn in Zukunft dementspreche stellt, wenn er es überhaupt für notwendig hält, ihn noch zu ern
Er ist dann darauf eingegangen, daß in der Kassenverwalte Berliner Stadtsynode Unregelmäßigkeiten beständen. Es ist daß dort vor einiger Zeit Unregelmäßigkeiten bestanden haben, dort untreue Beamte gefunden haben, und daß infolgedessen 1 mäßigkeiten vorgekommen sind. Es ist damals eine eingehende suchung der Sache veranlaßt worden, und es ist Remedur ge worden, und die Verhältnisse sind seitdem völlig geordnet. übrigens mal solche Versehen, wie sie der Herr Abgeordnete Hoffme angeführt hat, hier in Berlin vorkommen können, bei der außerotten lich starken Bevölkerung, bei dem vielen Hin⸗ und Herziehen der wohner, das ist wohl nicht zu verwundern und wohl auch entse
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Also, wenn Sie glauben, daß Sie mit solchen Gründen ei rechtigten Austritt aus der Kirche belegen könnten, so ist das nicht zutreffend, und dann schlagen Sie, meine Herren, sich doch ne einer solchen Begründung selbst in das Gesicht, wenn Sie sagen, C aus solchen äußeren, doch nebensächlichen Gründen gegenüber der Wih tigkeit des Schrittes sich Menschen bestimmen ließen, der Kirche! Rücken zuzukehren. (Sehr richtig!) Das wollen Sie doch uch eigentlich auch nicht behaupten, aber Sie drehen sich selbst im Kn herum. Auf der anderen Seite haben Sie wieder gesagt: aus ldecl Gründen verlassen wir die Kirche! Das sind keine idealen Grund wenn man sich darüber ärgert, daß man zu Unrecht zur Steuer R. anlagt ist. Deshalb sollte man der Kirche doch wohl nicht den Rü⸗ drehen, selbst nach Ihrer Auffassung, meine Herren. (Bravo]
Abg. Freiherr Schenk zu Schwein sberg (kons.): A. Abg. Hoffmann geht davon aus: je mehr Hiebe der Kirche aus ent werden, um so größer ist das Interesse der Zuschauenden an diee Schauspiel. Wir haben keine Ursache, den Vorredner von dies Postament herunterzuziehen; wir köͤnnen ihn getrost da siehen lasth Es trägt die Unterschrift: Gott sei Dank, daß wir nicht so sind, n die schwarzen Leute da drüben. Der Abg. Traub hat gegen qr parlamentarische Gepflogenheit verstoßen, indem er eine Aeußemn von mir in der Budgetkommission unter Nennung meines Nant hier vorgetragen hat. Es ist nicht üblich, die Namen der Kommiffics redner hier zu zitieren. Der Abg. Traub hat unter Hinweis auf einert ihm mifverstandene Aeußerung, daß 90 % der Abiturienten Atbeit seien, einen durchsichtigen Appell an die Religionslehrer gerich Ich habe mich nur gegen eine Verflachung des Unterrichts gevet nicht aber gegen die Religionslehre. Im Interesse einer Vertier des Unterrichts babe ich gebeten, den Religionslehrern keine Schu in keiten in den Weg zu legen, wenn sie Vorlesungen usw. besuch wollen. Der Abg. Graue sagt von seinem Kollegen Traub: En cinen solchen Mann hat der Oberkirchenrat abgelehnt! M muß aber berücksichtigen, daß der Abg. Traub zu Mitteln † griffen hat, die ich als einwandfrei nicht bezeichnen is Ein solcher Hinweis war also nicht angebracht. Wir gewohnt gewesen, die Interessen der evangelischen Krf in anderer Weise, als er es tat, vertreten zu sehen. Wenn die G. wicklung dahin gehen sollte, alles, was wir überkommen haben.⸗ nicht maßgebend zu betrachten, so ist das ein Weg, den die vosi⸗ Richtung nicht mitmachen kann. Der Abg. Traub trat auch für g Verschiebung der Grundlagen der evangelischen Kirche auf nationale und kulturelle Basis ein. Dann wäre es auch an der * die christlichen Embleme aus der evangelischen Kirche hinauszusche⸗ und durch Embleme zu ersetzen, die die Staatshoheit darstes vielleicht durch die phrogische Mütze. Er ist allerdings 1o sichtig gewesen, die nationalen Embleme nicht zu bezeiche Was gestern über das Verhältnis von Staat und Kirche ge worden ist, war durchaus unzutreffend. Die Liberalen haben immer die Presbyterialverfassung für die Kirche verlangt. As 2 unsere Herrscher daran gingen, dem Volke ein Mitbestimmu in der Kirche zu gewähren, und eine svnodal⸗presbyteriale Vertang einführten, da mußten sie doch eigentlich annehmen, daß alle Wümh erfüllt seien. Aber die Liberalen sind wieder nicht einverstan⸗ Jetzt ist auch das wieder nicht recht, und man ruft nach einer anee Verfassung, nach der Staat und Kirche vollständig voneinander; trennt werden sollen. In Wirklichkeit besteht gar kein Bedür⸗ nach einer Aenderung des Verhältnisses von Staat und Kir einander, und es ist bedauerlich, wenn wir hier solche Dinge müssen. 8
Abg. Johanssen F(freikons.): In Schleswig hat der 9 ½ Tonnesen in Hoptrup in Nordschleswig vor etwa 20 Jabren eine wegung unter der Bezeichnung „Innere Mission“ ins Leben gem Dies war ursprünglich eine rein kirchliche Bewegung, aber allmär⸗ ist sie ganz in politisches Fahrwasser hineingekommen, undo bauptsächlich durch die Laienbrüder und Laienboten, die der zae Tonnesen beschäftigt, die ihr geistliches Amt mißbraucht haben. Seit zwei noch mebr zugespitzt, liche, die bisber mit Pastor Tonnesen zusammen Lerr. haben, öffentlich ihren Austritt erklärt und sich von ihm losgelo
e CEortsetzung in der Zweiten Beilage.) 1
für politische 85 1 Jahren haben sich die s sodaß schließlich zwölf nordschleswigf
(Fortsetzung aus der Ersten Beilage.)
Sie haben sich einmal wegen seines kirchlich⸗religiösen Standpunktes von ihm getrennt, vor allen Dingen aber deshalb, weil die ganze Bewegung in ein nationalpolitisches Fahrwasser gekommen war. Schon vor 14 Jahren ist dem Pastor Tonnesen vom Konsistorium in Kiel mitgeteilt worden, daß es fraglich sei, ob seine Tätigkeit für die Innere Mission“ mit seiner Amtstätigkeit vereinbar sei. Der Pastor Konnesen kümmert sich gar nicht um die Grenzen der Pfarrbezirke,
sondern bricht ohne weiteres in Gemeinden ein, in denen er noch keine Anhänger hat, ohne sich vorher mit dem zuständigen Pfarrer zu verständigen. zehn Jahren ist eine Art Parochialrecht fest⸗ gestellt worden, wonach ein Geistlicher, wenn er in einer anderen als der ihm zugewiesenen Gemeinde wirken will, die Zustimmung des zuständigen Pfarrers haben muß. Dieses Parochialrecht hat Pastor Tonnesen nicht respektiert. Es ist ihm im letzten Winter auf Be⸗ schwerde von neuem mitgeteilt worden, daß dieses Parochialrecht noch sctebt, und daß er es zu respektieren habe. Gleichzeitig ist aber im „Schleswig⸗Holsteinischen Kirchen⸗ und Schulblatt’“ ein Artikel vom Generalsuperintendenten Kaftan erschienen, der zwar aus dem Bestreben heraus, Frieden zu schaffen und zum Frieden zu ermahnen, geschrieben worden ist, der aber doch mit Recht Anlaß zu Mißverständnissen gegeben hat, weil der Generalsuperintendent dort davon spricht, daß man
andere Geistliche in seiner Gemeinde ruhig gewähren lassen sollte. Dieser Widerspruch ist von allen deutschen Geistlichen sehr schmerz⸗ lich empfunden worden. Nun kommt außer dieser Frage des Parochial⸗ rechts auch noch das politische Moment insofern hinzu, als Pastor Tonnesen jetzt möglichst auch in die dänischen Versammlungshäuser eht und dort arbeitet und hört. Das geht doch nicht an. Wenn der Geistliche in seiner eigenen Gemeinde auch in das Versammlungs⸗ haus gehen darf, so sollte ihm doch nach meiner Auffassung ver⸗ boten werden, in Versammlungshäuser in fremden Gemeinden zu gehen. Ich bitte daher den Minister, auf das Konsistorium in Kiel dahin zu wirken, daß es energischer auf die strikte Innehaltung des Parochialrechts achtet u d dafür sorgt, daß dieses nicht von Pastor Tonnesen und seinem Anhang einfach ignoriert wird. Und ich bitte den Minister weiter, den Geistlichen Nordschleswigs womöglich zu untersagen, in die rdänischen Versammlungshäuser in fremden Gemeinden zu gehen.
Minister der geistlichen und Unterrichtsangelegenheiten D. Dr. von Trott zu Solz:
Meine Herten! Ich habe über die Stellung der Geistlichen in Nordschleswig in diesem hohen Hause mich schon vor mehreren Jahren einmal ausführlich ausgelassen. Ich habe damals ausgeführt, daß ich die schwierige Lage, in der sich die dortigen Geistlichen befinden, voll anerkenne, und daß gegenüber dieser schwierigen Lage ich ihnen nur den dringenden Rat geben könne, sich von jeder politischen Agitation femzuhalten. Ich bin der Meinung, daß man unter den schwierigen Vechältnissen in der Nordmark von den Geistlichen nicht erwarten kann, daß sie sich dort in den Dienst der deutschen Agitation stellen. Die Geistlichen haben es in ihren Gemeinden mit Deutschen und mit Dänen zu tun, und müssen beiden Geistlicher und Seelsorger sein. Wenn ich das aber meine, dann ist es ganz selbstverständlich, daß die Geistlichen sich erst recht davon fernhalten müssen, etwa im Dienste der dänischen Agitation sich zu betätigen, oder auch nur den Schein zu erwecken, als ob sie das täten.
Ich habe auch Gelegenheit genommen, diese meine Auffassung den Geistlichen durch das Konsistorium mitteilen zu lassen, und habe dabei auch auf die Volkshäuser hingewiesen, von denen der Herr Vorredner sprach, die vielfach der Mittelpunkt der dänischen Agitation im Norden sind. Ich habe den Geistlichen zugleich zu verstehen gegeben, daß ich das Vertrauen hätte, daß sie von selbst nach diesen Gesichtspunkten ihr Verhalten einrichten würden.
Meine Herren, in diesem Vertrauen bin ich nicht getäuscht wor⸗ den. Die bei weitem größte Mehrzahl hat demgemäß ihr Verhalten eingerichtet, hat sich von einer Beteiligung an der politischen Agitation im Norden zurückgehalten, und hat auch die dänischen Versammlungs⸗ häuser gemieden. Ich muß allerdings zugeben, daß das nicht ausnahms⸗ los geschehen ist, daß in der Tat einige wenige Geistliche das Ver⸗ trauen nicht gerechtfertigt und sich nicht so verhalten haben, daß man ihnen nicht den Vorwurf machen konnte, daß sie sich an der dänischen Agitation beteiligten, oder den Schein erweckten, daß sie das täten. In einem solchen Fall, wo das zu meiner Kenntnis kam, ist, nachdem das Konsistorium bereits eingeschritten war, dann auch meinerseits Remedur eingetreten. Es ist dem Ermessen des betreffenden Geist⸗ lichen der Besuch von dänischen Versammlungshäusern nicht mehr frei⸗ gelassen worden.
Ich habe in diesem Falle — ich möchte das hier wörtlich wieder⸗ geben — folgendes ausgeführt:
Es ist, wie des Königlichen Konsistoriums, so auch mein dringender Wunsch, daß die nordschleswigschen evangelischen Geist⸗ lichen ihren seelsorgerischen Aufgaben in vollem Maße gerecht wer⸗ den und allen ihren Gemeindegliedern, deutsch⸗ wie dänischsprechen⸗ den, in gleicher christlicher Liebe dienen. Darum bin ich, wie ich schon in der Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 19. April 1910 (St. Ber. S. 4226) öffentlich ausgesprochen und auch in einem Erlasse an das Königliche Konsistorium in demselben Jahre zum Ausdruck gebracht habe, der Ansicht, daß die nordschleswigschen Geist⸗
chen sich von dem dort herrschenden politischen Streite fernhalten
llten. Wenn den Geistlichen hiernach eine agitatorische Tätigkeit
r das Deutschtum im kirchlichen Interesse nicht anzusinnen ist, so
sind sie aber um so mehr verpflichtet, ihr kirchliches Amt und das Ansehen ihrer Person nicht zur Förderung der dänischen staatsfeind⸗ chen Bewegung mißbrauchen zu lassen. Diese Forderung schließt es aus, daß ein Geistlicher der evangelischen Landeskirche sich an Veranstaltungen oder Einrichtungen beteiligt, die auch nur den Anschein erwecken, als sollten sie im letzten Ende der Unterstützung der dänischen Propaganda dienen. Damit, glaube ich, kann ich diesen Teil der Ausführungen meines Herrn Vorredners als erledigt ansehen.
Wenn er sodann von einem Aufsatz des Herrn Generalsuperinten⸗ denten Kaftan gesprochen hat, so ist das eben eine schriftstellerische Aus⸗ lassung des Herrn Generalsuperintendenten, die aber natürlich nicht hs. kirchenregimentliche Verfügung ersetzen oder aufheben kann. Die Bestimmung des Kirchenregiments, des Konsistoriums, daß ein Geist⸗
“
Vor
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„Donnerstag, den 30. April
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licher, welcher im Interesse der inneren Mission in einer Gemeinde auftreten will, dazu die Genehmigung des zuständigen Pfarrers haben muß, bleibt bestehen und wird von dieser Auslassung des Herrn Generalsuperintendenten Kaftan nicht berührt. Wenn er sie gemacht hat, so ist das offenbar geschehen in der Absicht, versöhnend zu wirken und ausgleichend tätig zu sein. Das ist aber ganz gewiß die Aufgabe eines Generalsuperintendenten, und daraus wird man ihm einen Vor⸗ wurf nicht machen können, zumal, wenn man sich vergegenwärtigt, daß in diesem Fall daneben die Bestimmung des Konsistoriums zu Recht besteht. (Bravo! rechts.)
Abg. D. Traub (ortschr. Volksp.): Der Abg. Schenk zu Schweinsberg hut erklärt, ich hätte keinen Grund, mich der Religions⸗ lehrer anzunehmen. Ich wäre froh, wenn das zutreffend wäre. Aber gerade der Fall des Oberlehrers Mugler in Siegen beweist, wie not⸗ wendig der Schutz der liberalen Religionslehrer ist. Sie gerade sind diejenigen, die es heute verstehen, den Sinn für Religion dort zu wecken, wo man die Einheit mit der Bildung und der Kultur der Zeit nicht verlieren will. Ich halte es für meine Ehrenpflicht, der Pfarrer Stier und Luther zu gedenken, obgleich ich weder deren theo⸗ logischen Standpunkt teile, noch mit deren Verhalten einverstanden bin. In beiden Fällen hat der Oberkirchenrat wieder von seinem Recht nicht Gebrauch gemacht, eine mündliche Verhandlung anzu⸗ beraumen, und beide sind verurteilt worden, ohne persönlich vor dem Oberkirchenrat verhört zu werden. Besonders Pfarrer Stier hatte ausdrücklich einen Antrag auf persönliche Vernehmung gestellt. In einer Zeit, in der die Kirche so vielfach angegriffen wird, muß auch jeder Schein einer Rechtsunsicherheit vermieden werden. Vor allem möchte ich im Auftrage der Pfarrwahlkommission der Reinoldi⸗ gemeinde in Dortmund den Fall Fuchs zur Sprache bringen. Es liegt doch im staatlichen Interesse, das Band, das die verschiedenen Staats⸗ kirchen in Deutschland zusammenhält, durch Zurückweisung auswärtiger Pfarrer nicht zu zerschneiden. Die Einheitlichkeit unseres deutschen ö muß heute doppelt gewahrt werden. Dazu kommt das irchliche Interesse. Im Vordergrund der Beurteilung eines Pfarrers müssen religiös⸗t und kirchlich⸗praktische Befähigung und Wirk⸗ samkeit stehen. Der Beamtencharakter hat in die zweite Linie zu rücken. Gegen diesen Fundamentalgrundsatz ist bei der Behandlung des Pfarrers Fuchs verstoßen worden, ganz abgesehen von den rechtlichen Bedenken, die in der Verweigerung des Kolloquiums vorliegen. Das ÜUrteil über meinen verstorbenen Freund Jatho wird heute als Fehl⸗ urteil betrachtet. Möge der kirchliche Protestantismus vor solchen Erschütterungen ferner bewahrt bleiben.
Minister der geistlichen und Unterrichtsangelegenheiten D. Dr. von Trott zu Solz:
Meine Herren! Es ist bisher in diesem hohen Hause üblich ge⸗ wesen, bei der Debatte sich weite Zurückhaltung aufzuerlegen, wenn es sich um innere Angelegenheiten der evangelischen Kirche handelte. (Sehr richtig! rechts.) In diesem Jahre scheint mir die Neigung vor⸗ zuwiegen, an dieser alten Uebung nicht festzuhalten, und tiefer in die inneren Angelegenheiten der Kirche mit der Kritik einzugreifen. Das veranlaßt mich, doch darauf hinzuweisen, daß die Verwaltung der An⸗ gelegenheiten der evangelischen Landeskirche nach Artikel 21 des Ge⸗ setzes vom 3. Juni 1876, betreffend die evangelische Kirchenverfassung, in den älteren Provinzen, soweit solche von dem Minister der geist⸗ lichen Angelegenheiten und von den Regierenden geübt wird, auf den Evangelischen Oberkirchenrat und die Konsistorien als Organe der Kirchenregierung übergegangen ist. In den Generalsynoden und Provinzialsynoden sind kirchliche Instanzen geschaffen, in denen Klagen und Beschwerden über die Verwaltung der kirchlichen Angelegenheiten vorgebracht werden können. Die Fälle, in denen eine Mitwirkung oder Aufsicht der Staatsbehörde geblieben oder neu⸗ eingerichtet ist, sind in dem Gesetz festgestellt. Darüber hinaus eine Stellungnahme der Staatsregierung eintreten zu lassen, würde als ein Eingriff in die ge⸗ setzlich gewährleistete Selbständigkeit de Landeskirchen und ihrer be⸗ rufenen kirchlichen Organe empfunden werden können. (Sehr richtig! rechts.)
Das verpflichtet mich, auch mir nach wie vor weitgehende Zurück⸗ haltung aufzuerlegen. Ich würde dankbar sein, wenn die Herren diesem Beispiel folgen würden. Ich glaube in der Tat, daß es nicht richtig ist, diese Angelegenheiten hier vor einem interkonfessionellen Parlament zu behandeln, während sie vor die geordneten Synoden, vor die Generalsynode und die Provinzialsynoden gehören. Denn damit ist es nicht geschehen, daß man im Einzelfalle sucht, irgend einen Zusammen⸗ hang mit dem Staatsinteresse zu deduzieren. Das läßt sich immer leicht machen; aber schließlich kommt es doch darauf hinaus, daß man die inneren Angelegenheiten der evangelischen Kirche hier zur Er⸗ örterung bringt, und das möchte ich im Interesse unserer Kirche ver⸗ mieden sehen. (Bravo! rechts.)
Abg. Braun (Soz.): Wenn wir hier die Kosten der Kirche bewilligen müssen, dann muß uns auch das Recht zustehen, über die Angelegenheiten der Kirche zu sprechen. Der Pfarrer Naubereit in Königsberg hat ganz unerhörte Angriffe gegen den Vorstand einer sozialdemokralischen Organisation erhoben. In dem von ihm redigierten Wochenblatt wirft er dem Vorstande vor, daß er Sterbe⸗ gelder nicht ausgezahlt habe, sondern si⸗ der Parteikasse überwiesen hätte. Er knüpft daran dann die ungeheuerlichsten Beschuldigungen, indem er von Leichenschändung, Heuchelei und Diebstahl spricht. Der Pfarrer Naubereit ist zwar vom Gericht zu einer Geldstrafe verurteilt worden, aber es ist doch nötig, daß man das Treiben dieses Herrn hier einmal festnagelt.
Abg. Heckenroth (kons.): Es widerstrebt uns, auf die Dinge einzugehen, die der Herr Vorredner vorgetragen hat. Ich will nur sagen, daß nach Ansicht weiter evangelischer Kreise Herr Fuchs nicht der Mann war, um als Pfarrer zu amtieren. Er war auf⸗ gefordert, eine Erklärung über seine Stellungnahme abzugeben, und diese ist allerdings so ausgefallen, daß er von seinen Aussprüchen gegen das Spruchkollegium nichts zurückgenommen hat. Nach dieser seiner Stellungnahme konnte er nicht mehr Pfarrer in der evangelischen Landeskirche bleiben. Der Abg. Traub konnte seine Rede wohl in einer Synode halten, im Landtag war sie zwecklos. Der Mipister kann nur den stenographischen Bericht dem Evangelischen Ober⸗ kirchenrat zuschicken; weiter kann er nichts tun. In der Angelegen⸗ heit des Pfarrers Naubereit habe ich mich auf eine Nottz des „Grenz⸗ boten“ bezogen. Naubereit ist nur wegen formaler Beleldigung ver⸗ urteilt worden; aber das Gericht erkannte an, daß die Verwendung von Geldern der Witwen und Waisen zu Parteizwecken unsittlich ge⸗ nannt werden kann.
Abg. von Trampezynski (Pole) beschwert sich über die Be⸗ handlung der Polen durch einen Geistlichen in Posen. Der Minister möge dafür sorgen, daß dieser Mann einen ruhigeren Posten erhalte.
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nzeiger und Königlich Preußi
Minister der geistlichen und Unterrichtsangelegenheiten D. Dr. von Trott zu Sols:
Meine Herren! Ich will auf die Ausführungen meines Herrn Vorredners nicht näher eingehen; aber es veranlaßt mich doch, im Gegensatz zu dem, was er ausgeführt hat, hier öffentlich von einer Stelle aus einer Druckschrift Kenntnis zu geben, die, soviel ich weiß, von polnischer Seite stammt und auch hier in diesem hohen Hause verbreitet worden ist. Dort ist zu lesen:
Wie sollen diese Volksmassen an Gott glauben, wenn sie sehen, daß Ihr seine Gebote mit Füßen tretet, indem Ihr in ab⸗ scheulicher Weise das Volk verfolgt, dessen einzige Schuld darin besteht, daß es an seinen Gott glaubt, seine heiligen Gebote hält und unter seinem Segen in sittlicher und materieller Beziehung an Kraft zunimmt. Na, watet nur ruhig weiter in diesem Sumpf, in welchen euch das heidnische Staatsinteresse geführt hat.
Das ist die Sprache, die von polnischer Seite geführt wird. (Abg.
von Trampezynski: Das mißbilligen wir auch!) Es scheint
deshalb doch nicht berechtigt zu sein, wenn sich der Herr Vorredner über eine Sprache beschwert, die von anderer Seite geführt sein soll. Das wollte ich bei dieser Gelegenheit doch zur Kenntnis bringen, um dafür zu sorgen, daß allgemein bekannt wird, in welcher Sprache man sich hier von polnischer Seite bei Angriffen gegen die Regierung b wegt. (Bravo! rechts.)
Abg. Nissen (Däne): Ich verstehe nicht, wie sich der Abg Johanssen über den Pfarrer Tonnesen beschweren kann, der in seinem Bezirk außerordentlich beliebt ist. Allerdings kann man von den Geistlichen nicht verlangen, daß sie deutsche Politik machen.
Abg. Braun (Soz.): In den Unterlagen des Abg. Heckenroth ist von Objektivität keine Rede. Das Gericht hat festgestellt, da alle Vorwürfe des Pfarrers Naubereit, die sich auf die Verwendun des Fonds für Witwen und Waisen bezogen, unrichtig sind.
bg. von Trampczynski (Pole): Dem Minister möchte ich erwidern, daß es ein großer Unterschied ist, ob ein Volk um seine Existenz ringt oder nicht. Mit demselben Recht hätte der Minister den „Vorwärts“ zitieren können.
Abg. von Bonin⸗Stormarn (freikons.): Die Pfarrer in Nordschleswig müssen sich darüber klar sein, daß sie durch die Art, wie sie den Unterricht erteilen, das Deutschtum in schärfster Weise schädigen. Das können wir nicht zulassen; dagegen hat sich der Abg. Johanssen mit Recht gewandt.
Abg. Nissen (Däne); Wir nehmen für uns das Recht in An⸗ spruch, daß die deutschen Geistlichen in unsere Versammlungen kommen. Das hat der Pfarrer Tonnesen nur getan.
Damit schließt die Debatte.
Persönlich bemerkt
Abg. Adolf Hoffmann (Soz.), daß er sich darüber freue, wenn die Belästigungen durch die Steuerlisten abgestellt werden, wie der Minister sagte. Im übrigen habe der Minister nach dem e gehandelt: Was ich nicht widerlegen kann, darauf gehe ich nicht ein.
Des Kapitel des Evangelischen Oberkirchenrats wird be⸗ willigt.
Um 5 ½¼ Uhr vertagt das Haus die Weiterberatung des Kultusetats auf Donnerstag 11 Uhr.
Handel und Gewerbe.
Wagengestellung für Kohle, Koks und Brike am 29. April 1914. Ruhrrevier Oberschlesisches Revier Anzahl der Wagen . 30 743
. 9997 Nicht gestellt...
— In der am 28. d. M. abgebaltenen Generalversammlung der Vereinigten Fabriken enal. Sicherheitszünder, Draht⸗ und Kabel⸗Werke Akt. Ges. Meißen i. Sa. wurde die Bilanz nebst Gewinn⸗ und Verlustrechnung für das Jahr 1913 ge⸗ nehmigt und der Verwaltung Entlastung erteilt und beschlossen, eine Dividende von 20 %, die sofort zahlbar ist, zu verteilen sowie das Aktienkapltal um 225 000 ℳ zu erhöhen. Die neuen Aktien, welche für das Jahr 1914 voll dividendenberechtigt sind, werden von der Dresdner Bank, der Deutschen Bank und der Mitteldeutschen Privat⸗Bank zum Kurse von 145 % übernommen und sollen den Aktionären zum Kurse von 150 % in der Weise angeboten werden, daß auf je 4500 ℳ nominal alte Aktien eine neue Aktie im Betrage von 1500 ℳ nominal bezogen werden kann.
— Laut Meldung des „W. T. B.“ betrugen die Einnahmen der Anatolischen Eisenbahnen vom 2. bis 8. April 1914: 226 715 Fr. (gegen das Vorjahr mehr 8581 Fr.). Seit 1. Januar 1914: 3 039 734 Fr. (mehr 162 960 Fr.).
Ottawa, 29. April. (W. T. B.) Heute wurde der Beschluß der Regierung des Dominion bekannt egeben, der die Ausgabe von Bonds der Canadian Northern Railway Co. vorsieht, die durch die Regierung garantiert werden sollen. Die Emission soll sich auf 45 Millionen Dollar belaufen und der Erlös ist zur Vollendung und zum Ausbau des transkontinentalen Eisen⸗ bahnsystems bestimmt. Die Regierung übernimmt, falls nötig, die Zahlung der Zinsen auf die neuen Bonds und garantiert die Erfüllung des Zinsendienstes für die Dauer von drei Jahren nach Eröffnung des Durchgangsverkehrs zwischen Montreal und der Pacifischen Küste. Das Akttenkapital der Canadian Northern Railway Co. und ihrer Untergesellschaften, das sich auf 145 Millionen Dollar beläuft, wird auf 100 Millionen Dollar reduziert und bildet das Kapital einer neuen Gesellschaft, die die verschiedenen Unter⸗ gesellschaften zusammenfaßt. Die Fesier. erhält 40 Millonen Dollar zum Nennwert mit Einschluß der 7 Millionen Dollar, die ihr seinerzeit auf Grund des in der letzten Parlamentstagung gefaßten Beschlusses bezüglich der Unterstützungsgarantie übermittelt worden sind. Als Sicherheit für die zu leistende Garantie erhält die Regierung eine Hypothek auf die Linien der Canadian Northern Ry., die die drei Prärteprovinzen durchziehen und deren Länge ungefähr 5000 Meilen beträgt. Zu den Untergesellschaften, die in der neuen Gesellschaft zusammengeschlossen werden, gehören verschiedene Eisen⸗ bahngesellschaften, die Terminal Co., Telegraphen⸗, Expreß⸗ u. Ele⸗ vatoten⸗Gesellschaften und die Canadtan Northern Steamship Co. Der Besitz der Firma Mackenzie u. Mann Ltd. in den drei Prärie⸗ provinzen wird der Regierung gleichfalls als Sicherheit für die Ueber⸗ nahme der Garantie überschrieben. Der Gesetzentwurf für die ge⸗ nannte Trausaktion wurde heute in einer Versammlung der Regierugs⸗ partei genehmigt.