1914 / 105 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 05 May 1914 18:00:01 GMT) scan diff

handen waren und ich habe immer anerkannk, daß an einer Reihe von Schulen das Extemporale in durchaus angemessener und ver⸗ ständiger Weise behandelt würde —, da ist in der Tat durch den Erlaß etwas wesentlich Neues nicht herbeigeführt worden. 8

Derselbe Herr Abgeordnete hat dann bemerkt, daß es wesentlich von dem Können und Pflichteifer des Lehrers abhänge, ob dieser Erlaß in dem von ihm beabsichtigten Sinne zur Ausführung ge⸗ bracht würde. Auch das ist zutreffend. An das Können und die Wirksamkeit der Lehrer stellt er in der Tat höhere Anforderungen. Ich habe aber bei seiner Herausgabe Vertrauen in die Lehrerschaft gehabt: der Erlaß enthält geradezu eine Vertrauenskundgebung von mir für die Oberlehrer. Ich habe dies Vertrauen noch heute, und ich bin überzeugt, daß ich es auch in Zukunft haben kann.

Dann ist der Vorwurf, von dem ich soeben sprach, damit be⸗ gründet worden, daß auf eine Verfügung hingewiesen wurde, die kürzlich von dem hiesigen Provinzialschulkollegium ergangen ist. Ich habe schon in der Kommission gesagt, daß ich es lieber gesehen hätte, wenn das Provinzialschulkollegium seine Verfügung nicht an ein bestimmtes Vorkommnis angeknüpft hätte.

In der Sache selbst ob eine Rangordnung in den einzelnen Klassen angemessen ist oder nicht hat die Unterrichtsverwaltung nicht Stellung genommen. Es wird in dieser Beziehung verschieden verfahren, und die Meinungen der Pädagogen über diese Maßregel gehen auseinander. Das hat ja auch die gegenwärtige Debatte ge⸗ zeigt. Deshalb ist es wohl das richtigste, wenn das Befinden darüber den Schulen überlassen wird. (Sehr gut!) Das ist auch bisher hier in Berlin und in Brandenburg der Fall gewesen; denn schon vor dem Erlaß des Provinzialschulkollegiums war hier an einzelnen Schulen die Rangordnung beseitigt. Beseitigt ist sie, soviel ich weiß, durch⸗ gehends im Westen. Ich lege, wie Sie aus meinen Ausführungen entnehmen können, auf diese Frage überhaupt kein großes Gewicht, und bin, wie gesagt, der Ansicht, daß man es den Schulen überlassen soll, wie sie die Angelegenheit regeln wollen.

Dann ist getadelt worden, daß auf unseren höheren Schulen zu keichte Versetzungen stattfänden. Meine Herren, wir wollen keine leichten und auch keine strengen Versetzungen; wir wollen gerechte Versetzungen (Sehr gut!), und gerecht wird eine Versetzung dann sein, wenn die über die Versetzung befindende Stelle sich die Frage vorlegt, daß der Schüler die Reife gewonnen hat, um der Aufgabe, die in der nächstfolgenden Klasse gestellt wird, gerecht zu werden. Das ist der einzige Gesichtspunkt für die Versetzung: nur der Schüler soll versetzt werden, der die Reife besitzt, um die in der folgenden Klasse gestellten Aufgaben zu erfüllen. Wird ein Schüler ohne diese Reife versetzt, so wird ihm ein schlechter Dienst geleistet; denn er wird eben der Aufgabe in der folgenden Klasse nicht gerecht werden können, und das wird dann für seine spätere Entwicklung nur von Nachteil sein. Demgemäß sind auch die Vorschriften über die Ver⸗ setzung gehalten, und in dem Sinne sind sie auszulegen. Die Ent⸗ scheidung ist neuerdings in die Hand des Lehrerkollegiums unter der Leitung des Direktors gelegt, und das ist wohl auch die richtige Stelle für diese Entscheidung. Das Lehrerkollegium muß die Ver⸗ antwortung tragen, und ich zweifle nicht, daß die Lehrerkollegien sich der großen Verantwortung voll bewußt sind, die ihnen damit zu⸗ gewiesen ist, und daß sie diese Frage mit Ernst erledigen werden, worauf allerdings im Interesse unserer Schulen der größte Wert zu legen ist. 1—

Meine Herren, wenn wir unseren Schulen so hohe Ziele stecken und stecken müssen, wie es geschieht, dann können diese Ziele nur erreicht, es kann ihnen nur dann wenigstens immer näher gekommen werden, wenn wir uns auf eine ihren Aufgaben in vollem Umfange gewachsene Lehrerschaft stützen können. Auch von der Tribüne dieses Hauses ist zu meiner Freude ausdrücklich anerkannt worden, daß in den letzten Jahren für die äußere Stellung der Oberlehrer viel ge⸗ schehen sei, und daß das auch in ihren Kreisen anerkannt und dank⸗ bar aufgenommen worden sei. Immerhin sind hier noch einige Wünsche geltend gemacht worden.

Nun haben die Herren Oberlehrer ja das Erkenntnis wegen der dielerwähnten Zwölfstundenklausel erstritten, und wir sind augenblick⸗ lich dabei, die Konsequenzen aus diesem Erkenntnis zu ziehen. (Bravo!) Ich hoffe, daß die Verhandlungen, die ich mit dem Herrn Finanz⸗ minister darüber eingeleitet habe, zu einer befriedigenden Lösung führen werden.

Dann ist wieder von der Frage die Rede gewesen, ob die Ober⸗ lehrer an städtischen höheren Schulen mittelbare oder unmittelbare Staatsbeamte seien. Ich habe mich früher schon einmal dahin aus⸗ gesprochen, daß ich dieser Frage eine große Bedeutung nicht beizu⸗ messen vermöchte. Unbestreitbar ist, daß diese Oberlehrer keine Gemeindebeamte sind, daß sie lediglich unter der Disziplin der staat⸗ lichen Schulbehörden stehen. Diese Frage läßt sich aber, wie mir sckeint, auch nicht wohl für sich allein gesetzlich regeln, sondern nur im Anschlus an andere gesetzliche Maßnahmen, die in einer gewissen Beziehung zu den Oberlehrern stehen. So war auf meine Veran⸗ laffung in den Entwurf zu dem Kommunalabgabengesetz eine Be⸗ stunmung aufgenommen worden, die die Stellung der höheren Lehr⸗ anstalten in den Kommunen klarstellen sollte. Leider ist, wie ich hore, dieser Satz in Ihrer Kommission gestrichen worden. Ich würde mich freuen, wenn er doch in dem Gesetze stehen bliebe. Denn dann würde auch wieder im Sinne der von mir berührten Frage Klarheit geschafft worden sein, indem daraus, daß die Anstalten keine kommu⸗ nalen Einrichtungen sind, hervorgeht, daß auch die an ihnen Beschäf⸗ tigten, keine Kommunalbeamten sein können.

Wenn wir aber die äußere Stellung der Oberlehrer wesentlich verbessert haben, so werden wir um so mehr auch berechtigt sein, an ihre Leistungen höhere Anforderungen zu stellen. Ich denke dabei nicht etwa an die Zahl der Stunden, die sie geben sollen, sondern an den Inhalt ihres Unterrichts und an ihre erzieherische Einwirkung auf Unsere Jugend, nicht an die Quantität, sondern an die Qualität ihres Wirkens. Wir haben in der Vergangenheit gewisse hervorragende Padagogen und Gelehrte an unseren höheren Schulen gehabt. Wer von uns erinnerte sich nicht mit Dank manches seiner früheren Lehrer! Aber das wird man, glaube ich, doch sagen koönnen, daß das Niveau unserer Oberlehrerschaft im ganzen jetzt durchgehends ganz erheblich gehoben ist. Darauf, meine Herren, wird man weiterhin zu wirken haben, und das wird man namentlich auch dadurch tun müssen, daß man auf den Nachwuchs unserer Lehrerschaft einzuwirken sucht.

Die hierüber bestehenden Bestimmungen sind nun nicht überall so, daß sie voll befriedigten. Das hat mich veranlaßt, einer Revision dieser Bestimmungen näherzutreten. Dabei stehe ich in enger Fühlung

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mit der Oberlehrerschaft, in Sonderheit mit ihrer Delegierkenkonfe⸗ renz. Wenn ich mich hierbei selbstverständlich vornehmlich stützen werde auf die mir zur Seite stehenden hervorragenden und erprobten Schulmänner, so habe ich doch die Absicht, den vorläufigen Entwurf, der jetzt nach eingehender Prüfung fertiggestellt ist, noch an die Provinzialschulkollegien hinauszugeben und an einzelne mit diesen Dingen wohl vertrauten Herern mit der Bitte, sich gutachtlich zu diesem Entwurf zu äußern. Alsdann wird eine erneute Prüfung nach allen Richtungen hin eintreten, und nur dann würde ich mich zum Erlaß einer Neuordnung entschließen, wenn ich die Ueberzeugung ge⸗ winne, daß durch sie wirklich etwas Besseres an die Stelle des Bestehenden gestellt werden soll.

Dabei das möchte ich doch noch hinzufügen wird ein wesent⸗ licher Gesichtspunkt sein die praktische Einführung der jungen Schul⸗ amtskandidaten in ihren Beruf, daß sie was auch in der Debatte hervorgetreten ist angeleitet werden zu der erzieherischen Tätigkeit, die sie in der Schule zu entwickeln haben.

Nun, meine Herren, ist von den Hindernissen die Rede gewesen, die einem erfolgreichen Schulbetrieb entgegenstehen. Da ist vor allen Dingen die Ueberfüllung der Klassen, die Ueberfüllung der Schulen überhaupt, und damit auch die der Universitäten hervorgehoben worden. Meine Herren, das ist völlig zutreffend. Unter dieser Ueberfüllung leidet der Schulbetrieb ganz außerordentlich, durch diese Ueberfüllung wird er in seiner vollen Entfaltung sehr erheblich gehemmt. Aber die Schulverwaltung ist außerstande, auf diese Erscheinung einen ausschlag⸗ gebenden Einfluß auszuüben. Diese Erscheinung ist nicht auf Maß⸗ nahmen der Schulverwaltung, sondern auf ganz andere Dinge zurück⸗ zuführen, die außerhalb des Einwirkungsgebietes der Schule liegen. Nehmen Sie doch die ganze Entwicklung unserer Verhältnisse, die gerade die Eltern dazu treiben, ihre Kinder, ihre Söhne in die höheren Schulen zu schicken! Heutzutage wollen alle Beamter werden. (Sehr richtig! und Rufe: Leider!) Jeder Vater denkt für seinen Sohn an ein zukünftiges Amt, wo er in Ruhe und Behaglichkeit ein gesichertes Leben und Alter findet. (Sehr richtig! und Rufe: Leider!) Darin liegt eine große Gefahr für unsere allgemeine Entwicklung, und der Vaterlandsfreund kann dieser Entwicklung nur mit großer Besorgnis gegenüberstehen. (Sehr richtig!) Dabei ist nun wieder das Bestreben in allen Berufen, die Anforderungen an die Ausbildung der Bewerber zu steigern. Wer früher mit der Bescheinigung, eine Sekunda besucht zu haben, angenommen wurde, muß heute das Primanerzeugnis vor⸗ legen, und wer früher ein Primanerzeugnis vorlegen mußte, muß heute das Abiturientenexamen bestanden haben. Das sind Maßnahmen, die die einzelnen Stellen und nicht nur die einzelnen Behörden im Privotleben ist es gerade so (Sehr richtig!), anwenden, um sich vor der Flut der Bewerber zu schützen, um aus ihnen die Auswahl leichter treffen zu können. Daß für viele Stellen ein solches Zeugnis nicht der geeignete Gradmesser für die Beurteilung der Frage ist, ob der Be⸗ treffende sich für eine Stelle eignet, ist wohl unbestreitbar. Da kommen andere Eigenschaften in Betracht, die für viele Berufsstellungen be⸗ stimmend sind (Sehr richtig!), nicht aber die Frage, ob der Bewerber Sekundaner oder Primaner gewesen ist. Aber, wie gesagt, meine Herren, das sind Dinge, auf die die Unterrichtsverwaltung keine Ein⸗ wirkung hat. Soweit mir die Möglichkeit gegeben ist, mich bei den Behörden gegen ein solches Steigern der Anforderungen zu wenden, habe ich schon von ihr Gebrauch gemacht, und ich werde noch weiter davon Gebrauch machen. (Sehr gut!) Aber einen durchschlagenden Er⸗ folg kann das nicht haben. Es müssen sich unsere allgemeinen Verhält⸗ nisse verändern, wenn hier wirklich eine Besserung der Dinge eintreten soll. Das aber möchte ich noch einmal hervorheben: es ist einfach un⸗ möglich, daß von der Unterrichtsverwaltung innerhalb des Schulbe⸗ triebes Maßnahmen getroffen werden, die den übertriebenen Zufluß zu den höheren Schulen einzudämmen vermögen.

Es ist hervorgehoben worden, daß man Mittelschulen gründen sollte. Das ist ein Mittel, das auch von der Unterrichtsver⸗ waltung ergriffen worden ist. Sie werden sich erinnern, meine Herren, daß im Jahre 1910 neue Bestimmungen über die Mittelschulen von mir erlassen worden sind. Das hatte gerade den Zweck, zwischen die Volksschule und die höhere Schule eine Schule für das praktische Leben, für Eltern zu setzen, die ihren Kindern eine weitergehende Bil⸗ dung geben wollen, als sie die Volksschule vermitteln kann, die aber ihren Sohn nicht in die höhere Schule, sondern in eine für das praktische Leben zugeschnittene Schule schicken wollen. Das ist die Aufgabe der Mittelschule, und namentlich da, wo sie in ihrer Reinheit eingeführt ist, wird sie diesen Zweck auch erfüllen. Sie gehört meiner Auffassung nach namentlich in diejenigen Städte, die eine höhere Schule haben.

Nun aber haben wir, wenn auch ungern, den kleineren Städten bei der Aufstellung der Mittelschulpläne eine Konzession machen müssen. In den kleineren Städten, die sich keine höhere Schule leisten können, besteht doch das Bedürfnis, wenigstens für die unteren Klassen eine Möglichkeit zur Unterweisung der Schüler zu haben, um diese nicht schon im jüngsten Alter an eine höhere Schule in der Fremde schicken zu müssen. Es ist die Konzession gemacht worden, daß die Pläne der Mittelschule auch so eingerichtet werden können, daß auch durch sie die Vorbereitung für die höhere Schule vermittelt werden und der Uebergang von ihr auf die höhere Schule stattfinden kann. Das ist aber die Ausnahme; die Regel bleibt, daß die Mittelschule eine in sich abgeschlossene Schule sein soll, um eine abgeschlossene Bildung, wie sie für das praktische Leben zweckmäßig ist, zu vermitteln.

Nun wird bei der Beurteilung der Mittelschule vielfach auch die Rektoratsschule in den Kreis der Erörterung gezogen. Diese Schule ist aber etwas ganz anderes. Wir haben uns auch über die Rektoratsschulen hier schon wiederholt unterhalten; sie be⸗ stehen namentlich in der Provinz Westfalen, aber wir haben sie auch im Osten. Es sind alte, in der Bevölkerung beliebte Einrichtungen, und ich habe mich dahin ausgesprochen: ich wollte nichts gegen diese Schulen unternehmen, weil sie einmal beständen; aber eine besondere Förderung könnte ich ihnen aus allgemeinen grundsätzlichen Erwä⸗ gungen nicht zuteil werden lassen. Diese allgemeinen grundsätzlichen Erwägungen beruhten eben darauf, daß ich die Wege nicht er⸗ weitern wollte, die dazu führen, den hoheren Schulen immer mehr Schüler zuzuführen. Also soweit die Unterrichtsverwaltung in der Lage ist, gegen das Uebermaß des Besuches der höheren Schulen ein⸗ zuwirken, tut sie es. Aber ich wiederhole: im inneren Betrieb der Schule können wir keine Maßnahmen treffen, die den Zustrom zu den höheren Schulen eindämmen.

Um nun die Mittelschule noch nutzbarer und zweckmäßiger für die Bevölkerung zu machen, sind ihr gewisse Berechtigungen zuteil

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geworden, die ich früher schon hier vorgelragen habe. Insonderheit ist bestimmt worden, daß die Mittelschüler nach Absolvierung dieser Schulen alsbald das Einjährigenexamen vor der Kommission ablegen können. Die Erfolge hiermit sind verschieden; an der einen Schule waren sie gut, an der anderen sehr schlecht, im Durchschnitt kang man sagen, daß etwa 50 % der zur Prüfung gekommenen Mittel⸗ schüler das Examen bestanden haben. Daß die Erfolge nicht besser waren, liegt vielleicht daran, daß die Anforderungen, die in dem

Erxamen für das Einjährigenzeugnis gestellt werden, sich nicht mitt

dem Lehrplan der Mittelschulen in Einklang befinden. Ich bin jetzt am Werke, da einen gewissen Einklang herbeizuführen, und ich hoffe, daß, wenn das erreicht wird, woran ich nicht zu zweifeln brauche, dann auch die Resultate der Prüfungen, die von den Mittelschülem vor der Einjährigenkommission abgelegt werden, sich bessern. (Bravo! bei der fortschrittlichen Volkspartei.)

Das führt mich zu der alljährlich hier berührten Angelegenheit der Beschäftigung der Mittelschullehrer an denm höheren Schulen. Ich glaube eigentlich, meine Herren, die Debatte über diese Frage ist erschöpft; es ist darüber alles gesagt worden, was gesagt werden kann, und Sie werden auch aus den Er⸗ klärungen, die ich hier wiederholt abgegeben habe, den Eindruck gewonnen haben, daß wir nicht daran denken, in übermäßigem Un⸗ fange Mittelschullehrer an den höheren Schulen zu beschäftigen, sondern in sehr beschränktem Maße. Kommission mitgeteilt, und danach ist in der Tat die Zahl der Mittelschullehrer gegenüber den akademisch gebildeten Lehrern an den höheren Schulen verschwindend klein. Unerfreulich ist es ja, daß wir zurzeit die Stellen, die für Mittelschullehrer an den höheren Schulen vorgesehen sind, nicht durch solche besetzen können; es ent⸗ spricht auch nicht der Sachlage, daß diese Stellen nur durch Hilfs⸗ lehrer versehen werden. Aber meine Herren, wir müssen hier eben aus der Not eine Tugend machen. Ich hoffe, daß sich dieser, wie gesagt, nicht erfreuliche Zustand mit der Zeit beseitigen lassen wird. Daß die Zahl der Hilfslehrer gegenüber den Oberlehrern dieselbe bleibt wie bisher, nämlich 1 zu 13 bei den etatsmäßigen Stellen, habe ich in der Kommission auch hervorgehoben; ich habe dort auch darauf hin⸗ gewiesen, daß in dem vorliegenden Etat 50 neue Oberlehrerstellen angefordert werden. Natürlich kann an einer einzelnen Schule ein⸗

mal das Verhältnis ein anderes sein; aber durch die ganze Monarchieg

gilt das Verhältnis von 13 Oberlehrern zu 1 Hilfslehrer.

Meine Herren, der Herr Vertreter des Zentrums ist auf einen Vorgang in Cöln eingegangen, der sich dort kürzlich zugetragen hat, und er hat an die Darstellung dieses Falles die Bemerkung ge⸗ knüpft, daß mit der Entscheidung, die ich zu ihm getroffen hätte, doch fremdem Empfinden zu weit Rechnung getragen worden sei. Ich glaube, daß ich mit meiner Entschließung gerade auch dem Empfinden der Katholiken Rechnung getragen habe, wie ich dazu überhaupt jeder⸗ zeit bereit bin und dahin bemüht bin; ich habe das nicht nur durch Ausführungen in diesem hohen Hause, sondern auch durch die Tat bewiesen, was von katholischer Seite mir gegenüber auch schon an⸗ erkannt worden ist.

Wie lag denn der Fall? In Cöln hatte man die Absicht, die Erinnerung an die Freiheitskriege dadurch wachzuhalten und zu ehren, daß man drei höheren Schulen den Namen von in jener Zeit hervor⸗ getretenen Persönlichkeiten beilegen wollte. Das war gewiß eine schöne und zu begrüßende Absicht. Aber wenn eine solche Absicht besteht und zur Ausführung gelangen soll, dann muß sie getragen sein von einer gewissen Einmütigkeit in der Bürgerschaft, oder es dürfen doch aus diesem Anlaß nicht gerade Gegensätze Meinungsverschiedenheiten in schroffer Weise zutage treten. Das aben war leider in Cöln der Fall, und so schien mir der Zeitpunkt nicht geeignet, jene patriotische Absicht jetzt auszuführen, weil die Befürch⸗ tung doch sehr nahe lag, daß der patriotische Zweck nicht erreicht

würde, sondern der Zwiespalt in der Bürgerschaft vielleicht noch ver⸗⸗

tieft würde. Ich glaube, ich konnte unter den vorliegenden Verhält⸗ nissen gar keine andere Entscheidung treffen, als ich sie getroffen habe. Auch kann ich mich dabei auf einen der Ihren beziehen. Ich weiß nicht, ob Sie den Artikel im „Tag“ gelesen haben, den Professor Spahn veröffentlicht hat. Er erkennt da durchaus an, daß meine Ent⸗ scheidung nicht angreifbar wäre und daß sie namentlich dem Empfinden der katholischen Bürger von Cöln Rechnung getragen habe, und, wie ich hinzufüge, hat tragen wollen.

Nun ging durch alle die Ausführungen, die wir gehört haben, das Bedürfnis nach Ruhe in der Schule. Dieses Bedürfnis wird durchaus geteilt in der Schulverwaltung, und die Unterrichtsverwal⸗ tung ist die letzte, die Unruhe in den Schulbetrieb hineinträgt. Nein, diese Unruhe wird in die Schule hineingetragen von außen durch eine dauernde scharfe Kritik, durch ein dauerndes Propagieren von Reform⸗ plänen in Schrift und Wort, und, meine Herren, dieselben Redner⸗ die hier auch im Hause für die Ruhe in der Schule eingetreten sind, haben gleichzeitig eine ganze Reihe von neuen Reformplänen hier vorgebracht. Wir bedürfen der Kritik und sind dankbar für sie, aber es kommt auf die Art der Kritik an, und ich glaube nicht zu viel zu sagen, wenn die Kritik bei uns in Deutschland überhaupt, und auch insbesondere über unsere Schulen vielfach eine Schärfe annimmt, die der Sache nicht nützlich ist. (Sehr richtig!) Wir Deutsche neigen ja überhaupt zum Kritisieren, und manche behaupten, daß wir gerade dieser Eigenschaft es verdanken, daß wir es so weit gebracht haben, wie wir es gebracht haben. Aber die Freude an dem Erreichten dalf doch auch nicht zu kurz kommen. Auch die Freude an dem Erreichten, hat werbenden Wert und führt zu neuen Fortschritten. Es berührt mich immer eigentümlich, wenn ein Ausländer mich aufsucht, um un⸗ sere Schulverhältnisse kennen zu lernen, um aus ihnen Vorbilder füt sein heimatliches Schulwesen zu entnehmen, mit welcher Diskretion und Zurückhaltung er von den Mängeln seines heimatlichen Schul⸗ wesens spricht. Wir Deutsche sind ganz anders. Wir fallen mit beißender Schärfe über unsere Einrichtungen her und lassen an ihnen so wenig wie möglich gutes. Sorgen Sie, meine Herren, auch dafür, daß in der Oeffentlichkeit neben sachlicher Kritik auch die Freude al unserer Schule etwas mehr verbreitet wird! Sie hat das glaube ich doch sagen zu können auch breite Lichtseiten, über die wir uns freuen können (Sehr richtig!), und wir brauchen Freude und Lust für unsere Schulverwaltung. Sorgen Sie dafür! Dann werden Sie zugleich auch dafür sorgen, daß die Berufsfreudigkeit unserer Ober⸗ lehrer, die in treuer Pflichterfüllung ihrer Aufgabe gerecht zu werden bestrebt sind, gestärkt, und daß damit auch die Schule gefördert wild⸗ (Bravo!)

(Fortsetzung in der Zweiten Beilage.)

Ich habe die Zahlen in der

hervortretenh.

Abg. Hänisch (Soz.): Die Sozialdemokratie hat in erster Linie

ihr Augenmerk auf die Zustände in unserem Volksschulwesen zu richten; sie steht aber einem höheren Schulwesen nicht etwa gleichgültig gegenüber. Die Arbeit der Wissenschaft ist auch die Sache der Arbeiter; auch die Sozialdemokratie hat auf dem Gebiete des höheren Schulwesens ihr Programm. Wie kommt es, daß der Volksschulmasse der Zugang zu den höheren Schulen in so überaus hohem Maße erschwert wird? Damit begeht man nicht nur ein großes Unrecht gegen die unteren Volksklassen, sondern der Staat be⸗ raubt sich auch selbst eines Teiles der geistigen Kräfte, deren er dringend bedarf, und damit begeht er ein Verbrechen gegen sich selbst. Der Besuch der höheren Schulen ist heute für den Schüler ab⸗ hängig von dem Geldbeutel des Papas; daher das ganz unberechtigte Berechtigungswesen. Nur auf dem Wege der Einheitsschule kann Gerechtigkeit gegen alle Volksklassen geübt werden. Der Volks⸗ schüler muß schon mit 14 Jahren hinaus in die Fabrik, in das Berg⸗ werk, in die Werkstatt. Die Anschauung des Herrn von Kessel, den Kreis der zu den höheren Schulen Zugelassenen möglichst eng zu ziehen, müssen wir daher auf das energischste zurückweisen. Nach dem Muster von Württemberg müssen die Schulgelder ganz bedeutend herabgesetzt werden. Preußen fordert an Schulgeld das Doppelte und Dreifache als die anderen deutschen Bundesstaaten. Ich vertrete ganz eine an das Haus gelangte Petition, die für die Unentgeltlichkeit des Unterrichts eintritt, nicht nur für die Volksschulen, sondern auch für die höheren Schulen. Ferner fordern wir eine größere Einheitlichkeit der Schulbücher; es muß von Regierungs wegen auf eine Verbilligung der Schulbücher hingewirkt werden. Unhaltbare Zustände entstehen auch, wenn im Bezirk eines Provinzialschulkollegiums eine neue Ausgabe verwendet wird, die von den benachbarten Provinzialschulkollegien für un⸗ brauchbar erklärt wird. Es sind uns zahlreiche Beschwerden über eine zu lange ununterbrochene Schulzeit zugegangen. Eine acht⸗ bis neunstündige Arbeitszeit für Schulzwecke ist viel zu viel; das geht über die kindliche Nervenkraft. Der Satz Mens sana in corpore sano gilt natürlich auch für die Schule. Ein Raubbau mit der Nervenkraft der Schüler darf nicht getrieben werden. Sie wissen alle, wie sehr die Nervenkraft schon durch eine sechs stündige Verhandlung hier verbraucht wird. Ich bin mit der Auf⸗ hebung der Rangordnung durchaus einverstanden; aber die Rang⸗ ordnung ist nicht allein die Ursache der Schülerselbstmorde. Der wunde Punkt ist der, daß zu hohe Anforderungen innerhalb und außer⸗ halb der Schule gestellt werden, denen das kindliche Nervensystem er⸗ liegen muß, sodaß es irgendeinem Schicksalsschlage nicht mehr standhalten kann. Wir treten deshalb dafür ein, daß in den Schulen neben der Pflege des Geistes die Pflege des Körpers nicht vernachlässigt wird. An dem Fall Mierus möchte ich nicht vorübergehen. Man hat die Hedwig Mierus, die Tochter eines Oberlehrers in Dortmund, nicht in das Lyzeum II aufgenommen, weil sie nicht geimpft war; in die Volksschule nahm man sie aber anstandslos auf. Ich möchte den Minister fragen, auf Grund welcher gesetzlichen Be⸗ stimmungen wegen des Nichtimpfens die Hedwig Mierus von der höheren Schule verwiesen wurde. Wir sind auch dafür, daß die Schüler der oberen Klasse in höheren Anstalten in das Wesen und die Entstehung der Reltgionsgeschichte eingeführt werden; dagegen haben wir nicht das Mindeste einzuwenden. Es dürfen aber nicht Sachen in das kindliche Gehirn hineingepfropft werden, die es nicht verstehen kann. Die Rechte betrachtet uns gewisser⸗ maßen als moderne Barbaren, weil nir die Kulturwerte, die durch das humanistische Gymnasium vermittelt werden, zer⸗ stören wollten. Wir sind die letzten, die die Kultur⸗ und Erziehungswerte, die im klassischen Altertum liegen, ver⸗ kennen. Ganz im Gegenteil, wir sind dafür, daß diese Kulturschätze dem ganzen Volke erschlossen werden. Wir sind also nicht für das Aufhören des bumanistischen Gymnasiums, meinen aber, daß im zwanzigsten Jahrhundert das hu⸗ manistische Gymnasium nicht mehr seine Vormachtstellung den anderen Zweigen der höheren Lehranstalten gegenüber behalten kann. Wir legen auf die Beschäftigung mit den Naturwissenschaften und mathe⸗ matischen Wissenschaften nicht weniger Wert. Deshalb muß auch der letzte Rest der Vorrechte des humanistischen Gymnasiums beseitigt werden. Auf den höheren Lehranstalten müssen wir ferner den Schülern Gelegenheit geben, die polnische und die russische Sprache zu erlernen, ie erstere, um einen großen Teil unseres Volkes besser kennen zu lernen, die letztere, weil immer mehr Kaufleute in unser öst⸗ liches Nachbarreich gehen, dessen Sprache zu kennen für diese Leute von größter Bedeutung ist. Es wäre auch kein Fehler, wenn ein größerer Teil unseres Volkes die Werke leines Gorki oder Tolstoi in ihrer Ursprache kennen lernen würde. Auch der Unterricht in Stenographie auf fakultativer Grundlage ist erwünscht. Zei dem Unterricht im Deutschen muß ich darauf hinweisen, wie lles das aus dem Unterricht ausgemerzt wird, was irgendwie einen volkstümlichen oder freiheitlichen Charakter trägt. So ist das Gedicht vom Kaiser und vom Abt, wo der Schäfer klüger war als der Kaiser zund der Abt, jetzt aus allen Lehrbüchern verschwunden, wahrscheinlich deshalb, weil da der Kaiser sich von einem Schäfer in der reizendsten Weise einseifen läßt. In der Nationalhymne ist der zweite Vers aus⸗ emerzt worden, soweit ich die Lehrbücher kenne. Dort heißt es: Nicht Roß, nicht Reisige sichern die steile Höh', wo Fürsten stehn; jebe des Vaterlands, Liebe des freien Manns gründen den Herrscher⸗

tthron wie Fels im Meer. Den freien Mann will man selbst sin der Nationalhymne nicht gelten lassen. (Zuruf des Abg. von Kessel: Das trifft ja gar nicht zu!) Das trifft wohl zu, ich ver⸗ eise z. B. auf das Lehrbuch von Kühne und Vorwerk Seite 220,

wo diese Strophe weggelassen ist. Es ist einfach ein grober Unfug, was alles mit unseren schönen deutschen Gedichten und Liedern gemacht wird. An die Stelle dieses ausgemerzten Stoffes kommt yzantmischer Stoff, besonders Hohenzollernanekdoten. In einem ehrbuch für Sexta sind nicht weniger als 32 Hohenzollern⸗ anekdoten in Gedicht und Prosa enthalten, darunter sogar olche von dem jetzigen Kronprinzen. Auch in den früheren Lebhr⸗ Hüchern war vieles enthalten, was uns Sozialdemokraten nicht gefiel. ber im allgemeinen war das byzantinische Element so gut wie gar

icht vertreten. Die Betonung des Volkstümlichnationalen und der nationalen Kultur ist zu einem nationalistischen Chauvinismus der chlimmsten und verwerflichsten Art geworden. Die Geschichte sollte 1SAe. einführen in die Geschichte der menschlichen Arbeit, in die Geschichte der Entdeckungen, in die Geschichte der Unterwerfung der Natur unter die Macht des Menschen; die Kinder sollten Wirtschafts⸗ geschichte lernen, sie sollten lernen, wie die Naturalwirtschaft durch die Geldwirtschaft abgelöst wurde, sie sollten die Umwälzungen perstehen ernen, die durch die Dampfmaschine hervorgerufen worden sind, sie sollten erfahren, daß die Gründung des deutschen Zollvereins für die Einigung Deutschlands viel wichtiger war als die Kaiserkrönung in Versailles. tatt dessen werden in den verschiedenen Settabschnitten nur einige atsachen aus der Geschichte der Fürsten gelehrt. In den Tabellen, die

das Rückgrat für den Geschichtsunterricht darstellen sollen, findet sich nichts von kulturgeschichtlicher Bedeutung. Das ist kein Geschichtsunterricht, ondern eine Erziehung zum Chauvinismus und zum Bpzantinismus. Die Unterrichtsverwaltung sollte sich endlich dazu entschließen, den Heschichtsunterricht kulturell und ökonomisch zu vertiefen. Der nterricht läuft jetzt darauf hinaus, die S

che so darzustellen, als

Berlin, Dienstag, den 5. Mai

im all⸗ namens daß in

sei alles Gute und Große nur ein Verdienst der Fürsten gemeinen und der Hohenzollern im besonderen. Ich muß meiner Partei auf das entschiedenste dagegen protestieren, den geschichtlichen Lehrbüchern so ungeheuerliche und verkehrte Meinungen über die sozialdemokratische Partei gelehrt werden. Der Redner verliest eine Stelle aus einem Lehrbuch, wo von der Aufreizung der Arbeiter durch die Sozialdemokratie gesprochen wird, die zu Fürstenattentaten, besonders zu dem Attentat Hödels auf Kaiser Wilhelm J., geführt habe. Solche Behauptungen müssen wir von uns weisen. Hödel hatte mit der sozialdemokratischen Partei nichts zu tun, er war anarchistischer Agitator. (Lebhafte Zwischenrufe rechts.) Wir sind allerdings eine internationale Partei, aber wir sind im Grunde doch eine vaterlandsfreundlichere Partei als Sie. Auch der staatsbürgerliche Unterricht ist durchaus chauvinistisch. Da wird es in den Lehrbüchern so dargestellt, als ob einzig und allein der Kaiser Tag und Nacht und ohne Unterlaß sich um das Wohl des deutschen Volkes kümmert. Diese Art des staatsbürgerlichen Unterrichts wirkt darauf hin, daß die Taten des Volkes verdunkelt werden, daß das Mißverstehen der einzelnen Klassen verschlimmert wird. Auch in den höheren Klassen ist von einem wirklichen staats⸗ bürgerlichen Unterricht keine Rede. Die Sekundaner und Primaner wissen in der Verfassung Griechenlands und Roms besser Bescheid als in der des Deutschen Reiches, und sie kennen die Reformgesetze eines Solon besser als die deutschen Gesetze. Von der Abgrenzung der Befugnisse zwischen Einzelstaaten und Reich, zwischen Bundesrat und Reichstag, zwischen Kaiser und Bundesrat haben die jungen Leute gar keine Ahnung. Dafür aber wird ihnen ein Stoff vorgesetzt, der ganz im Sinne der Kiiegshetzereien eines Generals Keim gehalten ist. Auch wir sind damit einverstanden, daß auf dem Gebiete des höheren Schulwesens eine gewisse Ruhe eintritt, aber diese Ruhe darf nicht zur Erstarrung werden. Nach dem Vorbild der Schule der freien Schulgemeinde sollten auch in unseren Schulen, besonders in den Volksschulen, Licht⸗ und Luftbäder eingerichtet werden zur Förde⸗ rung der körperlichen, geistigen und seelischen Entwicke⸗ lung der Jugend. Wir verlangen in Uebereinstimmung mit vielen bedeutenden Schulmännern die Beseitigung des Berechtigungswesens, namentlich des Einjährigfreiwilligenzeugnisses. Das ist ein schwerer Krebsschaden in unserem Unterrichts⸗ wesen, der unter allen Umständen ausgemerzt werden muß. Wir erstreben die Einheitsschule und wünschen einen gemeinsamen Unterricht für alle Kinder bis zu 14 Jahren. Allen Kindern, ganz gleichgültig, ob sie einen Minister, kommandierenden General oder einen Bergmann zum Vater haben, muß die Möglichkeit gegeben werden, auch die höchsten Staats⸗ stellen zu erreichen. Der unerträgliche Zustand, daß der Staat sich selbst durch sein heutiges Schulsystem der besten Kräfte beraubt, muß beseitigt werden.

Abg. Dr. Krause⸗Lauenburg (kons.): In vielen Fragen des höheren Schulwesens ist bei den Rednern aller bürgerlichen Parteien eine erfreuliche Uebereinstimmung zu konstatieren, namentlich in dem Wunsch, daß auf dem Gebiete des höheren Schulunterrichts eine gewisse Ruhe eintreten möge. Wir stehen auf dem Standpunkt, daß die Versetzung in den unteren Klassen und bei dem Uebergange nach Prima strenger gehandhabt wird. In der Sexta und Quinta muß bereits beurteilt werden, ob ein Schüler bis zum Einjährigen kommen kann, und ob es nicht besser ist, den Schüler in eine Mittelschule zu bringen, wo er eine für das praktische Leben zweckmäßigere und abgeschlossene Bildung erhält. Wer nur mit Mühe die Berechtigung zum Ein⸗ jährigfreiwilligendienst errescht, soll nicht die Obersekunda und Prima besuchen. Diese sollen nur solche Schüler vesuchen, von denen es sicher ist, daß sie das Abiturientenexamen auch bestehen können. Wir machen mit Recht Front gegen das unnötige Hinaufschrauben der An⸗ forderungen mancher Behörden, und wir freuen uns, daß der Minister darin mit uns übereinstimmt. Maßgebend für die Versetzung überhaupt ist natürlich die sittliche Reife und die Voraussetzung, daß der Schüler in der nächsten Klasse beziehungsweise in den nächsten Klassen auch wirklich vorwärts kommen kann. Wenn Herr Herwig meinte, wenn nur eine Möglichkeit sei, daß der Schüler weiter komme, so solle man ihn versetzen, so muß das doch im Interesse der Schüler und der Eltern eingeschränkt werden, insbesondere in den untersten Klassen und bei der Versetzung nach Prima. Unsere Bedenken gegen den Ex⸗ temporaleerlaß, die Herr von Kessel besprach, sind nicht genügend ge⸗ würdigt worden. Der Erlaß schiebt allerdings der einseitigen Wertung der schriftlichen Arbeiten einen Riegel vor, aber die Aus⸗ wüchse waren schon vor dem Erlaß zum großen Teil beseitigt. In den letzten Jahren vor dem Erlaß schrieb jeder Schüler in den unteren Klassen wöchentlich, in den mittleren und oberen Klassen alle 2 oder 3 Wochen ein Extemporale, er bekam dazu eine bestimmte Vorberei⸗ tungszeit und der Stoff wurde aus dem Durchgenommenen entnommen. Der Schüler mußte regelmäßig in kurzen Zwischenräumen beweisen, daß er eine ex tempore gestellte Aufgabe auch ex tompore leisten konnte. Ist es denn nicht im Leben ebenso? Wir können sagen: non scholae, sed vitae nicht nur discimus, sondern auch scribimus. Im philologischen Staatseramen wird auch eine Klausurarbeit ge⸗ leistet, und beim Referendarexamen hat man erst neuerdings die Klausurarbeit eingeführt, die doch auch ex tempore zu leisten ist. Im praktischen Leben ist auch jeder Geschäftsbrief, jeder Vortrag usw. eine Arbeit ex tempore, und deshalb soll der Schüler in der Schule schon daran gewöhnt werden. Daß er möglichst häufig solche Arbeit macht, liegt im Interesse des Schülers und der Charakterbildung. Eine übertriebene Wertung dieser Arbeit durch die Lehrer hat schon in den letzten Jahren nicht mehr statt⸗ gefunden. Die Eltern wußten früher Bescheid, wie es mit dem Jungen in der Schule steht, jetzt sagt der Schüler einfach, wenn er gefragt wird, wie warst in der Schule, hast du alles gekonnt? Ja ich habe alles gekonntoder ich bin nicht rangekommen. Der Junge ist Optimist, er weiß nicht, was er alles hätte antworten sollen, oder er sagt die Unwahrheit aus Furcht vor Strafe. Das viertel⸗ oder halbjährige Zeugnis reicht für die Eltern nicht aus, sich ein klares Bild von den Leistungen der Schule zu machen. Und den Gang zum Lehrer treten viele Eltern nicht an, leider, denn wir freuen uns über jeden, der zu uns kommt. Nach dem Erlaß sollen nur alle vier bis sechs Wochen Extemporale geschrieben werden, das ist eine Erschwerung, zumal der Termin vorher nicht angekündigt werden soll. Dann kommt die Ueberraschung und darunter leidet gerade der gute Schüler, und er schreibt daneben. Eine sehr bedenkliche Bestimmung ist nach meinen Erfahrungen aus der Praxis, daß von der Zensierung der sämtlichen Arbeiten ab⸗ zusehen ist, wenn ein erbeblicher Teil, etwa ein Viertel der Arbeiten, zu gering ausgefallen ist. Diese Bestimmung, durch die eine möglichste Freiheit gelassen werden soll, wird in der Praxis zu einer Einschränkung führen. Es kann z. B. be⸗ stimmt werden, daß, wenn eine Arbeit nicht zensiert wird, dann kurz hernach eine neue geschrieben werden muß. Dagegen sind doch große Bedenken zu erheben. Der Lehrer wird dadurch geradezu gezwungen, dafür zu sorgen, daß eine Arbeit genügt, denn er wird sich nicht durch die Wiederholung dem Vorwurf aussetzen, daß er die Arbeit nicht zensieren kann, daß er also die Schüler nicht genügend gefördert hat. Auf alle Fälle wird dadurch die Leistung des Schülers herabgedrückt. Ueber die Uebungssätze bestimmt der Erlaß, daß möglichst in jeder Unterrichtsstunde, die für grammatische und stilistische Uebungen in den Sprachen angesetzt ist, von dem Schüler einige Sätze zu übersetzen oder schriftlich

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zu formen sind. Woher soll die Zeit zu diesen Uebungssätzen kommen? Es wird mindestens eine Unterrichtsstunde mit den Uebungssätzen ver⸗ loren gehen. Wenn man diese Zeit anders benutzt, fördert man den Schüler weiter. Dazu kommt die Neueinrichtung der Kurzstunde. Beim lateinischen Unterricht verliert man infolge der Kurzstunde in der Woche 40 Minuten, ebenso beim Griechischen. Die Anforde⸗ rungen sollen aber nicht herabgesetzt werden, die Leistungen sollen dieselben bleiben. In der Praxis muß das nach meinen Erfahrungen zu einem Nachlassen der Leistungen führen. Eine gewisse Ver⸗ weichlichung kann eintreten. Das Leben faßt aber hart an, und deshalb müssen wir uns darauf in der Schule vorbereiten. Der Erlaß ist zwar nicht aus weichherziger Absicht entstanden, aber ich bitte den Minister, zu erwägen, wie diese befürchtete Folge abzu⸗ wenden ist. Es sollte dem Lehrer selbst überlassen bleiben, ob und wann und wie viele Uebungssätze er schreiben lassen will. Außerdem zeigt die Revision, was der Unterricht leistet. Für den Extemporale⸗ erlaß sollte man vielleicht einen Mittelweg wählen zwischen dem früheren und dem jetzigen Zustand, denn der Sprung von 2 zu 4 oder 6 Wochen ist doch etwas reichlich. Vielleicht lassen sich die Ex⸗ temporaleleistungen doch wieder vermehren. Vor allen Dingen aber möchte ich ein gutes Wort dafür einlegen, daß die Be⸗ schränkung von einem Drittel der Arbeiten fallen gelassen wird. Der Minister hat betont, daß der Extemporaleerlaß eine eklatante Vertrauenskundgebung für die Oberlehrerschaft bedeutet. Ich bin davon überzeugt, daß sich die Lehrer dieses Vertrauens würdig erweisen werden. Ich bitte den Minister, die von mir angeführten Punkte in Erwägung zu ziehen; denn eine allgemeine Zufriedenheit über diesen Erlaß herrscht keineswegs. Aus Freude an der Schule und Liebe für unsere Jugend, aus der einst wirkliche Männer werden sollen, habe ich diese Ausführungen gemacht. Wenn aber die Schüler nicht scharf herangenommen werden, so werden es im Leben keine wirklichen Männer.

Abg. Münsterberg (Fortschr. Volksp.): Man soll die jungen Männer erziehen, dann braucht man nicht so viele Erlasse. Die Schüler müßten eigentlich heute nur Freude an der Schule haben; denn zwischen den Lehrern von heute und früher ist ein fundamentaler Unterschied. Mit der Forderung der Beseitigung der sittlichen Gefahren bin ich vollkommen einverstanden; ich glaube aber nicht, daß durch die Gesetzgebung sittliche Schädigungen abgestellt werden können. Dieses Ziel kann nur durch die werktätige Mit⸗ arbeit aller Parteien erreicht werden; alle privaten und öffentlichen Kräfte sind hier zur Mitarbeit berufen. Diese Frage steht über der Polttik der Parteien. Nur durch Erziehung kann der angeborene sexuale Trieb so beeinflußt werden, daß er ohne schädliche Wirkungen sich äußert. Der Erzieher muß wissen, wie er die Kinder am besten zu behandeln hat; leider wird die Reinheit des Kindes oft in der Schule zerstört. Der Gesichtspunkt der Aufklärung ist durchaus verfehlt. Dadurch schlägt der gewollte Zweck häufig in sein Gegenteil um; verschiedene Professoren haben das deutlich ausgesprochen. Es ist eine der wich⸗ tigsten Forderungen, daß man die Mädchen zu größerer Selbstzucht erzieht. Nur dadurch kann die Prostitution am müseecten bekämpft werden: Polizeimaßregeln nützen hier gar nichts. Unsere Pädagogen müssen immer mehr zu Sexualpädagogen werden. Charakterstärke und Leistungsfähigkeit der Männer sind die stärksten Kräfte des ganzen preußischen Staatslebens. Dieses Ziel ist es, dem wir gemeinsam nachzustreben haben.

Abg. Cassel (fortschr. Volksp.): Es wurde die Forderung erhoben, daß die großen Erfindungen mehr als bisher in der Schule besprochen werden sollten. Dieser Forderung wird aber heute nicht nur in den höheren Schulen, sondern auch in den Volksschulen vollständig Genüge getan. Für eine Ermäßigung des Schulgeldes für die höheren Schulen bin ich immer eingetreten, z. B. in der Staͤdtverordneten⸗ Berlin. Abg. Hänisch, der dasselbe verlangte, muß ich erwidern, daß die Soözialdemokraten im Berliner Stadtparlament immer für die Erhöhung des Schul⸗ geldes gestimmt haben. Der Extemporaleerlaß ist einem wirklichen Bedürfnis entsprungen; dadurch wird verhindert, daß die Leistung irgendwie herunter geht. Ich muß den Erlaß als eine sehr wohltätige Maßnahme des Ministerz bezeichnen. Mit dem Minister stimme ich darin überein, daß die Anforderungen in erster Linie nicht strenge sein sollen. Der Schüler muß den Anforderungen zu folgen imstande sein. Das ist das Richtige und nicht die Strenge. Gewiß sollen die Stellen an den höheren Lehranstalten in erster Linie den akademisch gebildeten Oberlehrern vorbehalten bleiben, aber in be⸗ schränktem Unfange ist die Verwendung von Mittelschullehrern an den höheren Lehranstalten durchaus berechtigt. Die Mittelschul⸗ lehrer sind vielfach sehr wohl imstande, Elementarunterrichts⸗ stunden und auch andere zu erteilen, oft werden höhere Lehranstalten von den Städten beagründet; das ist manchmal nur möglich, wenn zunächst eine gewisse Beschränkung in den aufzu⸗ wendenden Mitteln innegehalten wird, und das bedingt auch eine ge⸗ wisse Verwendung von Mittelschullehrern; schließlich ist es nur gut und nützlich, sowohl für die akademisch gebildeten Oberlehrer wie für die seminaristisch gebildeten Lehrer, wenn es ein Kollegium gibt, wo sie sich gegenseitig kennen lernen und jeder den Bildungsgang des anderen schätzen lernen kann. Es ist nicht zutreffend, daß unsere Gymnasien nur noch Bildungsanstalten von zukünftigen Beamten sind. Ich habe den Wunsch, daß eine gewisse Vorsicht der Kritik gegenüber den verschiedenen Schulformen gewahrt wird. Wir müssen tolerant und friedlich miteinander darauf hinwirken, daß das Beste, das nur irgend zu erreichen ist, aus diesen bv Schulformen heraus⸗ kommt.

Abg. Dr. Heß (Zentr.): An den Ausführungen des Kultus⸗ ministers hat uns in erster Linie der Streit um das geplante Görres⸗ gymnasium interessiert. Es ist richtig, daß es in Cöln zu einer Ein⸗ mütigkeit nicht gekommen ist. Woran hat das aber gelegen? Damit hat sich der Minister nicht beschäftigt, obwohl das vielleicht eine gewisse erzieherische Wirkung hätte haben können. An den Cölner Katholiken hat es nicht gelegen, sondern der Streit ist durch das Cölner protestantische Presbyterium entfacht worden. Wir können diese Dinge nicht so einfach mit Stillschweigen übergehen. Wir müssen darauf hinweisen, wie sehr geneigt die Katholiken Cölns zum Frieden waren, daß aber auf der anderen Seite diese Geneigtheit nicht vorhanden war. (Zuruf links: Duisburg!) Ich weiß nicht, was Sie damit meinen. Der Minister hat sich auf eine angesehene katholische Seite bezogen. Ich muß darauf hinweisen, daß diese an⸗ gesehene katholische Seite schon häufig Aeußerungen von sich gegeben hat, auf die wir uns politisch nicht einlassen konnten. Wir sind damit einverstanden, wenn der Minister den Grundsatz ausspricht, daß in der Schule nicht ein falscher Intellektualismus die Charakterbildung verdrängen darf. Die Grundsätze des Ministers können wir meistens unterschreiben, aber die Ueberführung dieser Grundsätze in die Praxis läßt manchmal sehr zu wünschen übrig. Ich kann mich bis jetzt nicht mit der bloßen Eristenz des Extemporaleerlasses beruhigen. Beruhigend ist für die Ober⸗ lehrer, daß nun die Zwölfstundenklausel endgültig fort⸗ fällt, aber ich bin der Meinung, daß es nicht erst zu dem Reichsgerichtsurteil hätte kommen dürfen. Es ist er⸗ freulich, daß der Minister in diesem Jahr in bezug auf die Unmittelbarkeit der städtischen Oberlehrer entgegen⸗ kommender gewesen ist. Weniger befriedigend war das