1914 / 112 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 13 May 1914 18:00:01 GMT) scan diff

schrift lesen, vor allem diejenigen, die bereits diesen sehr starken Auszug von 29 Seiten gelesen haben wie ich. Am 8. Mai kam diese Auszugdenkschrift; da hatte Dr. Halpert wohl schon in der Haupt⸗ sache den Inhalt seiner späteren Denkschrift entworfen und hätte doch vielleicht Zeit gehabt, in den nächsten⸗ agen sie dem Reichstage zu⸗ gehen zu lassen. Jetzt hat er aber doch auf alle Fälle die Möglichkeit, auf dem Wege der Post den Reichstag mit der vollständigen Denk⸗ schrift zu versehen. Dem früheren Falle werde ich nachgehen. Ich spreche nur aus der Erinnerung. Es handelte sich um einen viel⸗ genannten Leipziger Bürger, einen scharfen Gegner der Sozialdemo⸗ kratie, der von dieser Tribüne sehr scharf angegriffen worden war und sich dagegen allerdings in einer Weise gewehrt hat, die nicht schön und eleidigend war. Damals war der Irrtum untergelaufen, daß seine Ent⸗ gegnungandie Mitglieder des Reichstags verbreitet wurde, und da hat sich die Sozialdemokratie mit Recht in der Presse und wohl auch hier darüber beschwert, daß solche Dinge mit dem amtlichen Stempel des Reichstags weiter verbreitet würden. Ich werde bei der ersten Ge⸗ legenheit den Solzialdemokraten, die gewiß darauf spannen, Näheres mitteilen.

Abg. Schultz⸗Bromberg (Rp.): Wenn es, wie doch feststeht, nicht zulässig ist, daß Schrifthticcke mit beleidigendem Inhalte, mit amtlichem Stempel hier verbreitet werden, so kann der Rechtsanwalt Halpert daraus, daß die Rücksendung oder die rechtzeitige Zustellung an die Mitglieder unmöglich ist, nicht Rechte herleiten. Es ist doch allgemeiner Grundsatz bei allen Körperschaften, auch bei der Reichs⸗ post, Schriftstücke beleidigenden Inhalts nicht zu verbreiten. Und da sollen wir bei uns Beleidigungen gegen uns mit dem amtlichen Stempel verbreiten lassen? Das ist doch unglaublich.

Abg. Ledebour (Soz.): Diese Auffassung ist unrichtig; es handelt sich nicht um Beleidigungen gegen uns, sondern gegen die Regierung. Und der Stempel „nichtamtliche Drucksache“ besagt doch, daß es sich nicht um etwas Amtliches handelt. Die Wichtigkeit der hier in Rede stehenden Denkschrift beruht darauf, daß sie aufklären⸗ des Material enthält in einer Frage, über die wir zur Entscheidung

berufen sind. Abg. Keinath (nl.): Ich möchte namens meiner Freunde

8 feststellen, daß auch wir die Haltung des Vizepräsidenten durchaus

billigen. Abg. Dr. Neumann⸗Hofer (fortschr. Volksp.): Der Vize⸗ präsident hat lediglich zu prüfen, ob Beleidigungen vorliegen oder nicht. Liegen sie vor, dann hat er den Stempel nicht auf die be⸗ treffenden Schriftstücke zu setzen. Der Stempel „nichtamtliche Druck⸗ sache des Reichstages“ involviert immerhin eine amtliche Verbreitung dieser Drucksache. Auch die Reichspost hat nicht nachzuprüfen, ob der Beleidiger Ursache oder Anlaß zu seinen Beleidigungen hatte. Der Präsident ist kein Parteimann, er hat über den Parteien zu stehen. Nach 7 ½ Uhr wird die Fortsetzung der Beratung auf 2 Uhr vertagt. Außerdem namentliche Abstim⸗ s Grundstück für das Militärkabinett und klei⸗

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 78. Sitzung vom 12. Mai 1914, Vormittags 11 ½ Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.) Haus setzt die zweite Beratung des Etats des Ministeriums der geistlichen und Unterrichtsange⸗ egenheiten, und zwar zunächst die Erörterungen über den onds von 3,5 Millionen Mark (eine Million mehr als im Vorjahre) zu Beihilfen für die Jugendpflege fort. Hierzu liegt die Uebersicht über die Ausbildung und Fortbildung von Jugendpflegern und Jugendpflegerinnen im Etatsjahr 1913 vor, die die Budgetkommission nach Kenntnisnahme für erledigt zu erklären beantragt.

Minister der geistlichen und Unterrichtsangelegenheiten

Dr. von Trott zu Solz:

Meine Herren! Der Herr Abg. Haenisch hat gestern seine Aus⸗ ührungen so lang ausgedehnt, daß seine Rede erst gegen 6 Uhr schloß. Das hat mich bestimmt, gestern meine Wortmeldung wieder zurückzu⸗ ziehen. Ich will nun heute zur Jugendpflege und zu dem, was die Herren Redner aus diesem Hause dazu gesagt haben, mich äußern.

Es ist wohl richtig, daß in der Debatte zwei verschiedene Gegen⸗ stände behandelt worden sind. Man muß in der Tat hier, glaube ich, zwischen der Bewegung unterscheiden, die sich neuerdings aus der Jugend heraus gebildet hat und unter anderem ihren Ausdruck auf dem Meißner gefunden hat, und der eigentlichen Jugendpflege, um die es sich hier handelt. Zu ihr gehört jene Bewegung nicht, und es hat diese Bewegung auch niemals einen Zuschuß erhalten aus den Mitteln, die im Etat für die Jugendpflege vorgesehen sind.

Auch das, was über den Wandervogel hier vorgetragen worden ist, gehört eigentlich nicht in den Bereich unserer gegenwärtigen Etatsberatungen. (Sehr richtig!) Ich will aber doch, da diese Frage nun einmal hier behandelt worden ist, sagen, wie auch ich die Aus⸗ schreitungen, die im Wandervogel vorgekommen und von dieser Tribüne mitgeteilt worden sind, schmerzlich bedaure. Man kann diese Vorgänge nur auf das ernsteste tadeln, und wenn ich nicht irre, ist ja auch der Vorstand des Wandervogel selbst gegen diese Ausschreitungen vorgegangen. Ich kann nur wünschen, daß es den Männern, die in dem Wandervogel tätig sind, gelingen möge, dauernd Abhilfe gegen derartige Ausschreitungen zu finden und die Sicherheit zu schaffen, daß sie sich nicht wiederholen, damit das Gute und Fördernswerte, was im Wandervogel liegt, erhalten bleibe und nicht zugrunde gehe. (Bravo!)

Nun muß man ja allerdings auch bei dem Wandervogel Unter⸗ scheidungen machen. Wir haben verschiedene Wandervögel: einen Alt⸗ wandervogel, einen Wandervogel und einen Jungwandervogel, und wenn der Herr Abg. Haenisch diesen Bestrebungen bis zu einem ge⸗ wissen Grade seine Sympathie aussprach, so hat er dabei wohl nur an den Jungwandervogel gedacht.

Meine Herren, ich habe auch volles Verständnis für den Ueber⸗ schwang der Jugend, auch ich weiß, daß aus dem gärenden Most der gute Wein wird. (Sehr gut!) Aber, meine Herren, wenn gereifte Männer gerade an diese Eigenschaft der Jugend appellieren, sie nicht mildern, sondern sie stärken, wenn sie bei ihnen den Widerstand ver⸗ tiefen gegen Autorität, wenn sie gegen menschliche und göttliche Autori⸗ tät eifern, wenn sie die Jugend aufrufen zum Kampfe gegen die Schule, gegen Vater und Mutter, so ist das ein verwerfliches Beginnen und kann nicht energisch genug zurückgewiesen werden. (Lebhaftes Bravo!)

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Meine Herren, in diesem Zusammenhange will ich auch nebenbei noch auf die Ausführungen eingehen, die über einen Elternabend hier in der Nähe von Berlin gemacht worden sind. Auch das hängt eigent⸗ Es handelte sich dort Es sind leider bei dieser Gelegenheit unbegreifliche Mißgriffe vorgekommen; die ent⸗

lich mit der Jugendpflege nicht zusammen. um ein Unternehmen der Schule selbst für Schüler.

Ich gehe jetzt, meine Herren, zu meinem eigentlichen Thema über, zu der Jugendpflege. Da ist es ja nun, wie es scheint, unvermeidlich, daß wir alljährlich bei der Debatte über diesen Gegenstand eine heftige Brandrede der Sozialdemokratie zu hören bekommen. Sie wieder⸗ holt sich, wie gesagt, alljährlich, und die Variation dieser Ausführungen ist nicht sehr groß. Es werden heftige Angriffe erhoben, sie steigern sich dann zu auffallenden Angriffen gegen mich, und dann setzt jedesmal der Herr Präsident seinen Ordnungsruf darauf. (Heiterkeit.) Das erleben wir alle Jahre. Es hat von Anfang an auf mich keinen Eindruck ge⸗ macht. (Bravo!) Das wird auch nicht erreicht, wenn es sich alle Jahre wiederholt. Es wird schließlich monoton. (Sehr richtig!) Vielleicht wäre es aber doch ganz zweckmäßig, wenn die Herren Sozialdemokraten vor einer solchen Debatte die Reden durchlesen wollten, die ihre Partei⸗ genossen in den vorhergehenden Jahren zu diesem Gegenstande gehalten haben. (Sehr richtig!) Sie würden dann vielleicht Wiederholungen vermeiden und auch vermeiden, daß sie sich mit dem, was ihre eigenen Parteifreunde in früheren Jahren ausgeführt haben, in Gegensatz stellen.

Herr Abg. Haenisch hat hier die Behauptung aufgestellt, daß die sozialdemokratische Jugendpflege von der Ausbeutung der jugendlichen Arbeiter ihren Ausgang genommen hätte. Er hat ausgeführt, daß die Zahl der im gewerblichen Leben beschäftigten jungen Leute außer⸗ ordentlich zugenommen hätte. Ich finde darin gar nichts Erstaunliches; denn wenn unsere Bevölkerungszahl im ganzen sehr zunimmt, so ist es nur natürlich, daß auch in dieser Kategorie der Bevölkerung die Zahlen wachsen. (Sehr richtig!) Ich kann auch gar nichts dagegen zu er⸗ innern finden, daß junge Leute im Alter von 14 bis 18 Jahren in ge⸗ werblicher Arbeit tätig sind und dort ihrem Verdienste nachgehen. Ich glaube, sie würden sich sehr beschweren, wenn man ihnen das ver⸗ bieten wollte. (Sehr richtig!) Allerdings muß die Beschäftigung der jungen Leuten in den gewerblichen Berufen so eingerichtet sein, daß sie mit ihrem Alter und mit ihren Kräften im Einklang steht. Auf diesem Gebiete sind aber nicht etwa die Sozialdemokraten allein tätig; das ist eine alte Aufgabe, die der Gesetzgeber sich bei uns gestellt hat, die aber nicht im Rahmen des Unterrichtswesens erfüllt wird, sondern im Rahmen des Gewerbewesens; sie gehört in die Gewerbeverwaltung, sie gehört vor den Reichstag, wo sie im Rahmen der Gewerbeordnung zu lösen ist. (Sehr richtig!) Diese Aufgabe ist noch niemals auf⸗ gegeben worden, und es wird fortdauernd daran gearbeitet. Das also, die „schamlose Ausbeutung“, wie Herr Abg. Haenisch sich ausdrückte, der Jugendlichen in gewerblichen Betrieben, ist der Ausgangspunkt der sozialdemokratischen Jugendpflege gewesen? Ich weiß nicht, ob Herr Abg. Haenisch den Parteitag in Nürnberg besucht hat. Es wird ihm aber doch bekannt sein, welche Beschlüsse dort gefaßt worden sind, wie sich dort die sozialdemokratische Partei entschlossen hat, ihre politische Tätigkeit auf die Jugend auszudehnen. Mit rhetorischem Schwunge hat damals der Vorsitzende des sozialdemokratischen Parteitages, der verstorbene Parteiführer Singer, diesen Beschluß gefeiert, er hat das Ziel dahin gekennzeichnet: wir wollen in die Köpfe und die Herzen unserer Jugend revolutionären und sozialistischen Geist pflanzen. (Hört, hört!)

Und nicht auf diesem Parteitage in Nürnberg, sondern überall, wo von diesen Dingen in sozialdemokratischen Kreisen an maßgebender Stelle die Rede gewesen ist, ist diese Absicht bestätigt worden. Ich erinnere Sie an die Verhandlungen in Kopenhagen, wo die internatio⸗ nale Jugendbewegung organisiert und dasselbe Ziel ins Auge gefaßt wurde. In allen Verhandlungen der Sozialdemokratie darüber kommt zum Ausdruck, daß die Veranstaltungen für die Jugend im engsten Zusammenhange mit der sozialdemokratischen Partei zu organisieren und von ihr zu beeinflussen seien. Nein, meine Herren, das war der Ausgangspunkt Ihrer Jugendbewegung, die Absicht, die Jugend partei⸗ politisch zu organisieren und in Ihre Reihen überzuführen. (Sehr richtig!) Das können sie durch eine noch so gewandte Dialektik nicht aus der Welt schaffen.

Nun sagt der Herr Abg. Haenisch weiter, daß die Sozialdemo⸗ kraten die ersten gewesen seien, die sich um die Jugend bekümmert hätten; wir Bürgerliche hätten dann erst auf Ihre sozialdemokratische Jugendpflege die unsere aufgepflanzt, und unsere ganze Arbeit sei nur ein Angstprodukt vor den Sozialdemokraten. Als ich zum letzten Male mich über diese Dinge mit Herrn Abg. Dr. Liebknecht auseinander⸗ setzen mußte, da führte er aus, daß sich die Sozialdemokraten in der Notwehr befunden hätten. (Heiterkeit.) Wir hätten angefangen, den Sozialdemokraten wäre gar nichts anders übrigen geblieben, als nun auch ihrerseits an die Sache zu gehen, damit nicht die bürgerlichen Parteien auf die sozialdemokratische Jugend die Hand legten. Wer hat nun recht: Herr Abg. Dr. Liebknecht oder Herr Abg. Haenisch? (Sehr gut! und Heiterkeit.) Sie werden sich vielleicht darüber in der nächsten Fraktionssitzung schlüssig machen. (Große Heiterkeit.) Ich sage: von den beiden Herren hat keiner recht. Die bürgerliche Jugendpflege ist sehr viel älter als die Sozialdemokratie und jedenfalls seh viel älter als die sozialdemokratische Jugendpflege. (Lebhafte Zustimmung.) Sie ist nicht in der Abwehr oder im Angriff gegen die Sozialdemokratie entstanden, sie ist ohne jede Berücksichtigung der Sozialdemokratie aus ganz anderen Motiven hervorgegangen. (Sehr richtig!) Es war die Not der Jugend, die die bürgerlichen Elemente bestimmte, sich dieser Dinge anzunehmen. Die Kirche, die Schule, die Gemeinden, Privatpersonen haben sich längst in diese Aufgabe gestellt und haben vielfach Vortreffliches geleistet. Und auch andere Organi⸗ sationen sind auf diesem Gebiete längst tätig gewesen, ehe sich die Sozialdemokratie darum bekümmert hat. Ich erinnere nur an die Deutsche Turnerschaft (Bravo! und Sehr richtig!), die mit so großem Erfolge auf ihrem Gebiet tätig ist, die fest auf vaterländischem Geiste steht und heute über eine Million Turner in ihren Reihen hat, unter

ihnen eine große Anzahl von Jugendlichen. (Lebhafter Beifall.)

Das sind die Gründe gewesen, aus denen die Bürgerlichen sich der Jugend angenommen haben.

Die geänderten Verhältnisse, die Lösung des Verhältnisses des jungen Menschen zu seinem Arbeitgeber, des Gesellen zum Meister, zum Dienstherrn, die Lockerung der Familienbande in den Gegenden, wo große Massen konzentriert sind, machen die Gefahren für die her⸗ anwachsende Jugend immer größer (Sehr richtig!), und davor, vor den moralischen und sittlichen Gefahren wollen die Bürgerlichen die Jugend retten. (Sehr richtig!) Wir wollten ihr Freude und edles Vergnügen schaffen, um sie von schalen und gefährlichen Belustigungen abzulenken, die Leib und Seele vergiften. Und wie haben die Sozial⸗ demokraten gegen diese doch ganz gewiß einwandfreie und vortreffliche Einrichtung gewütet! Mit Haß und Spott werden diese Einrichtun⸗ gen verfolgt, und da ist es ganz einerlei, um welche Vereine es sich

nicht der sozialdemokratischen Partei angeschlossen ist, wird er verfolgt und mit den verwerflichsten Mitteln so lange drangsaliert, bis er end⸗ lich weich wird und sich der Sozialdemokratie anschließt. (Sehr wahr!) Ich könnte Ihnen da eine Menge von Beispielen vorführen, und es muß wirklich eigentümlich berühren, wenn uns nun hier vorgeworfen wird, daß wir bestrebt seien, den Haß in die Gemüter der Jugend⸗ lichen zu pflanzen. (Lachen bei den Sozialdemokraten.) An welche Eigenschaften appellieren Sie denn bei der Jugend? Sie apellieren an den Neid, an die Begehrlichkeit (Sehr richtig! rechts!), indem sie alle diejenigen, die nicht zu Ihnen gehören, als Ausbeuter schildern. (Sehr richtig!) Das ist die Tendenz, die Sie verfolgen. (Sehr richtig! rechts.)

Und wenn Sie, meine Herren (zu den Sozialdemokraten), so gern von der Heuchelei der Anderen sprechen, so muß ich doch sagen, daß eine widerlichere Heuchelei, als die, die auf diesem Gebiet natürlich außerhalb dieses Hauses (Heiterkeit.) von der Sozial⸗ demokratie getrieben wird, ich mir gar nicht denken kann. (Bravo! rechts.)

Nun, meine Herren, beschweren Sie sich darüber, daß wir Ihre Veranstaltungen durch die Polizei stören. Meine Herren, dieses Vor⸗ gehen der Polizeiorgane hat mit der bürgerlichen Jugendpflege nichts zu tun. (Sehr wahr! rechts und links, Lachen bei den Sozialdemo⸗ kraten.) Das sind zwei ganz verschiedene Sachen. Die bürgerliche Jugendpflege treibt ihre Sache von den Gesichtspunkten aus, die ich eben kurz gekennzeichnet habe. Daneben aber sind die staatlichen Organe verpflichtet, den Gesetzen zu ihrem Recht zu verhelfen. Der § 17 des Vereinsgesetzes besteht nun einmal, und den überschreiten Sie tagtäglich. (Abgeordneter Haenisch: Nein!) Meine Herren, das ist entschieden von den höchsten Gerichtshöfen; darüber kann gar kein Zweifel sein. (Ab⸗ geordneter Haenisch: Er wird von Ihrer Seite übertreten!) Sie (zu den Sozialdemokraten) haben es ja auch in Ihren Organen deutlich ausgesprochen, daß Sie eben alles tun wollen, um diesen § 17 aus der Welt zu schaffen (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.); mit allen Mitteln wollen Sie dagegen ankämpfen, erlaubten und un⸗ erlaubten. (Widerspruch des Abgeordneten Haenisch.) Und wenn Sie jetzt Vorfälle der geschilderten Art geradezu konstruieren, so tun Sie das, um damit gegen den § 17 zu kämpfen. Sie wissen ganz genau, daß es ungesetzlich ist, aber Sie tun es, weil Sie Ihren Willen durchsetzen wollen. (Widerspruch bei den Sozialdemokraten.) Aber, meine Herren, in Preußen werden die Gesetze gewahrt (Bravo! rechts und links.): wer sie übertritt, der hat den Schaden davon zu tragen. (Bravo!) Es wird nicht abgelassen werden, dem Gesetz sein Recht zu schaffen. (Bravo!)

Ich bin außerstande, auf die einzelnen Fälle, die hier vorgetragen worden sind, einzugehen, denn sie berühren mein Ressort nicht. Es sind polizeiliche Maßnahmen, die da getroffen worden sind; der Weg der Beschwerde, der Gang zum Richter, steht offen; betreten Sie diesen gesetzmäßigen Weg, wenn Sie glauben, ungerecht behandelt worden zu sein, und, wie jeder Preuße sein Recht findet, werden auch Sie es finden. (Zurufe und Lachen bei den Sozialdemokraten.) Sie sprechen natürlich von Klassengerichten; darauf brauche ich nicht einzugehen, das ist ja schon wiederholt hier zurückgewiesen und ad absurdum geführt. (Sehr richtig!) 8

So sind also diese Dinge zu beurteilen. Und wenn nun Her Abg. Haenisch versucht hat, einzelne Stimmen aus den bürgerlichen Kreisen für seine Zwecke anzuführen und anerkennende Worte, die von dort ausgesprochen sind, für sich zu verwerten, meine Herren, so hat noch niemand geleugnet, daß die Sozialdemokratie mit ihrer Jugend⸗ pflege auch gute Zwecke verbindet, daß sie gegen den Alkohol vor⸗ geht, daß Sie ihren jungen Leuten auch manches gute zu lesen geben. Das läßt sich nicht bestreiten. Aber, wenn Sie sagen, die Aufgabe ihrer Jugendpflege sei, die kulturelle Hebung der Jugend herbeizuführen (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.), so ist das der Deckmantel, unter dem Sie Ihre politischen Zwecke verfolgen. (Lebhafte Zu⸗ stimmung.) Sie müssen uns doch wirklich für sehr harmlos halten, wenn wir das nicht durchschauen sollten. (Heiterkeit.) An jeder offi⸗ ziellen Stelle Ihrer Partei verkündigen Sie es jedem, der es hören will, und dann im einzelnen Falle wird es abgeleugnet. (Sehr richtig!) Damit, glaube ich, werden Sie hier keinen Eindruck machen, und wenn Sie noch so lange Reden halten und hier rednerisches Feuerwerk los⸗ lassen; wenn es verplatzt ist, bleibt nichts übrig. (Sehr gut)

Nun hat Herr Abg. Haenisch sich auch über die seiner Rede vor⸗ ausgehende Debatte geäußert und hat gemeint, er hätte sich nur über diese Debatte freuen können, denn hier wären die bürgerlichen Parteien sich in die Haare geraten. Ich habe davon nichts gemerkt; ich habe einen ganz anderen Eindruck von dieser Debatte gehabt. Selten ein⸗ mütig haben sich die Redner aller Fraktionen aus den bürgerlichen Par⸗ teien auf den Boden der Bestimmungen gestellt, die ich über die Jugend⸗ pflege erlassen habe. Alle haben anerkannt, wie Großes auf diesem Gebiete geleistet worden sei. Alle haben ihre Sympathie und ihre Freude zu dieser Bewegung zum Ausdruck gebracht. (Sehr richtig!) Das war gerade das, was ich bei meinen Maßnahmen wünschte: die sämtlichen bürgerlichen Parteien auf diesem Gebiete zu vereinigen (Bravo!), und das scheint doch gelungen zu sein.

Meine Herren, daß bei einer so ausgedehnten Bewegung bei der Vielfältigkeit der Dinge und der Verhältnisse im Staat, bei der Zer⸗ rissenheit unserer Bevölkerung auch auf konfessionellem Gebiete Meinungsverschiedenheiten und Reibungen im einzelnen entstehen, das ist gar nicht zu verwundern. Das muß kommen: das läßt sich gar nicht vermeiden. Aber wir haben doch gerade auch hier gehört, daß, als einzelne Beschwerden vorgetragen worden sind das Haus ist ja dazu da, um solche Beschwerden hier vorzutragen —, daß da derselbe Redner, der diese Beschwerden vortrug, auch hinzufügen konnte, wie diese Meinungsverschiedenheiten, wie diese Reibungen beglichen worden sind. Gerade der Herr Redner aus dem Zentrum konnte das tunz er hatte sich über einen Aufsatz beschwert, der in einem mit dem Jungdeutsch⸗ landbund in Zusammenhang gebrachten Werk erschienen war, durch den die Katholiken sich gekränkt fühlten; es ist darüber verhandelt

schaffen. Die Heren aus dem Zentrum haben sich dann darüber be⸗ schwert, daß der Gottesdienst bei den Veranstaltungen für die Jugend nicht gebührend berücksichtigt würde; die Beschwerde ist aufgenommen, sie ist abgestellt: es wird jetzt dafür Sorge getragen, daß der Gottes⸗ dienst seine entsprechende Berücksichtigung bei den Veranstaltungen der Jugendorganisationen findet. (Bravo!) Sie sehen also: das ist der Weg, wie man Meinungsverschiedenheiten und Reibungen auf diesem

handelt, ob es ein Gesangverein oder ein Turnverein ist, sobald er

Fortsetzung in der Zweiten Beilage.) 4

worden: die Bundesleitung ist sofort bereit gewesen, Abhilfe zu

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zum Deutschen Neichsan

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(Fortsetzung aus der Ersten Beilage.)

Gebiete unter den bürgerlichen Parteien beseitigen soll; man soll sich gegenseitig darüber aussprechen, sich verständigen, und, ich bin überzeugt, es wird sich immer ein Weg finden, auf dem beide dann weitermarschieren können. (Bravol)

Ich habe schon bei meinen ersten Ausführungen über die Jugend⸗ pflege einen warmen Appell in das Land hinauszugeben versucht, daß doch die braven Männer und Frauen, die draußen stehen und sich um die Jugendpflege kümmern, immer den großen Gesichtspunkt bei dieser Arbeit im Auge behalten und vor allen Dingen dafür sorgen möchten, daß nun nicht etwa ein Krieg zwischen den einzelnen Vereinigungen ausbräche. Ich möchte heute nochmals diesen Appell auf das wärmste wiederholen. (Lebhafter Beifall.) Es kommt so viel darauf an, daß Reibungen zwischen den bürgerlichen Parteien vermieden oder wenig⸗ stens beizeiten wieder ausgeglichen werden. Solche Rede, wie wir sie gestern hier wieder gehört haben, sollte es doch allen ins Gewissen rufen, wie wichtig das ist, und welch eminente Gefahr uns von dieser Seite auf dem Gebiete der Jugendpflege droht. (Sehr richtig!) Lassen Sie uns deshalb uns alle zusammenschließen, die wir auf vaterländi⸗ schem, bürgerlichem Boden stehen, und uns nicht verärgern durch Kleinigkeiten! Wo kleine Mißverständnisse entstehen, lassen Sie sie uns freundnachbarlich ausgleichen und alle gemeinsam dahin arbeiten, daß es uns gelingt, eine an Leib und Seele gesunde und kräftige Jugend zu erhalten und zu schaffen. (Anhaltender lebhafter Beifall.)

Abg. von Ditfurth kkons.): Die Brandrede des sozialistischen Abgeordneten zeigt uns die Notwendigkeit, daß wir uns endlich einmal einig zusammenfinden in der Jugendpflege. Eins hat der sozial⸗ demoktatische Redner jedenfalls erreicht, er hat wohl alle von der dringenden Notwendigkeit überzeugt, eine energische Jugendpflege zu betreiben. Diese Ueberzeugung ist auch weit im Lande verbreitet. Die Sozialdemokratie sucht ja zu leugnen, doß sie die Absicht habe, der Jugend den Militärdienst zu verekeln. Daß sie das will, steht außer allem Zweifel, es fragt sich nur, ob sie den Mut hat, das offen zu bekennen. Tatsächlich hat die Partei das auch schon offen ausgesprochen. Ich erinnere nur an den Essener Parteitag der Sozialdemokratie vom Jabre 1907. Dort hat ein Redner zu dieser Frage geäußert: „Im übrigen wollen wir allerdings dem Pro⸗ letariat den Militärdienst verekeln.“ Oder an einer anderen Stelle heißt es, “daß wir durch den Militarismus in ein menschenunwürdiges Verhältnis hineingezwungen werden“. Erfreulicherweise hat sich hier jede Partei mit Ausnahme der Soztaldemokratie zur Frage der Jugendpflege wohlwollend geäußert, und wir haben uns alle gefreut über die Erhöhung der Mittel, die für diesen Zweck in den Etat eingestellt worden sind. Das ist der beste Beweis dafür, daß nicht nur bei einzelnen Parteien, sondern im ganzen Lande und bii allen Parteirichtungen die Jugendpflege lebhaftes Interesse findet. Der Redner des Zentrums trat für konfessionelle Jugendvereine ein. Ich kann ihm darin nicht ganz beistimmen. Wir sollten bei der Jugendbewegung alles Trennende ausschließen, was ja im Leben noch früh genug an die Jugend herantritt. Die konfessionellen Vereine haben Ausgezeichnetes geleistet; das erkennen wir durchaus an. Wir wünschen, daß beide Konfessionen sich zu diesem Werke die Hand reichen, damit werden sie entschieden mehr nützen, als wenn sie sich trennen. Aber ich bedaure, wenn auf die körperliche Ertüchtigung zu wenig Wert gelegt werden sollte. Ich wünsche die religiös⸗sittliche Förderung der Jugend wie nur einer von Ihnen, aber wir können weder das eine noch das andere entbehren. Es handelt sich um Schulentlassene, auf die wir keinerlei Zwang ausüben können; wir können nur auf sie einwirken. Von Erziehung wollen diese Jugendlichen nicht viel wissen. Die heranwachsende Jugend muß in dem Gefühl der Frei⸗ heit gehalten werden. Wir müssen bei der Jugendpflege praktische Gesichtspunkte im Auge haben, auch mit der sogenannten Soldaten⸗ spielerei, über die so vielfach oeklagt wird. Das soll sich aber nur in dem Rahmen bewegen, daß die Juͤgend für die spätere Militär eit vorgebildet wird; die Jugendlichen sollen keine Soldaten sein. Wir haben uns auf die Fahne geschrieben: körperliche und sittliche Ein⸗ wirkung auf die Jugend. Das eine muß mit dem anderen Hand in Hand gehen. Tiefes, inniges Mitleid mit der sozialdemokratischen Jugend hat uns mit dazu geführt, uns der Jugendlichen anzunehmen. Nur in einem gesunden Körper kann ein gesunder Geist herrschen. Die Uebertreibungen und Schamlosigkeiten, die gestern vorgetragen worden sind, mussen wir auf das schärfste zurückweisen. In die inneren Angelegenheiten des „Wandervogels“ haben wir uns nicht ein⸗ zumischen. Der Minister hat bereits betont, daß der „Wandervogel“ keine staatliche Unterstützung erhält. Der „Wandervogel“ hat seine Angelegenheiten selbst zu ordnen und zu regeln. Es fällt auf, daß in unserer Jugend heute der Ehrgeiz ungeheuer verbreitet ist. Der junge Mensch wird beurteilt nach der Kilometerzahl, die er zurückgelegt hat. Ich möchte wünschen, daß die ärztlichen Kreise mit großem Eifer sich der Jugendpflege widmen, damit gesund⸗ heitsschädliche Auswüchse vermieden werden. Wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten, und besonders bei einer Jugendbewegung kann nicht alles vollkommen sein. Hier haͤngt alles von den leitenden Persönlichkeiten ab, von deren Takt, Geschick und Liebe zur Sache. Der Umfang der Jugendbewegung muß in einem ge⸗ wissen Verhältnis zur Bevölkerung stehen; da besteht allerdings noch ein Mißverhältnis, während in manchen Bezirken auf 1000 Ein⸗ wohner die Zahl der Jugendlichen in der Jugendbewegung 1 bis 2 beträgt, sind es in anderen 10 bis 15. Wir haben allen Grund, auf diesem Wege mit der Regierung fortzuschreiten und mitzuwirken an dem großen Ziele, das wir uns gesteckt haben: die körperliche Leistungs⸗ fähigkeit, sittliche Tüchtigkeit und Erfüllung der Jugend mit Liebe zur Heimat und zum Vaterlande.

Abg. Giesberts (Zentr.): Der Abg. Haenisch hat in seiner Propagandarede die kritisierten Entgleisungen in der Jugendbewegung zu entschuldigen gesucht. Es sei nur ein Schatten gewesen auf dem Wege. Er hat besonders gegen die katholischen Jugendvereine polemisiert und die freie Jugendbewegung über das Maß herausgestrichen. Es muß endlich einmal mit der Be⸗ hauptung aufgeräumt werden, die wirkliche Jugendbewegung set ein Produkt der Angst vor der Sozialdemokratie. Der Minister hat das bereits zurückgewiesen. Diese Behauptung wird auch widerlegt durch Aussprüche von Parteigenossen des Abg. Haenisch. Das Piodukt der sozialdemokratischen Jugendbewegung ist, daß die ZJugend mit Haß in die Welt geht und mit sich selbst unzufrieden ist. Dadurch wird der Klassenhaß nur noch vergrößert. Mißgriffe der Poltzei gegenüber der Jugendbewegung kommen ja vor. Es liegt aber im Interesse unserer Jugendbewegung, wenn derartige polizeiliche Schikanierungen nach Möglichkeit ve mieden werden, da dies der bürgerlichen Jugendbewegung nur schabet und der sozialdemo⸗ kratischen nützt. In unseren katholischen Jugendvereinen wird keinerlet Politik gettieben. Die Leiter unserer Jugendverelne haben eine grundsätzliche Abneigung dagegen, die Jugend schon so frühzeitig in die Parteipolitik hineinzuziehen. Die Sozialdemokraten bestreiten, Gegner des Militärg zu sein, sie behaupten, nur Gegner des Militarismus zu sein. Ich kann aber keinen Unterschied zwischen

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Zw ge

Berlin, Mittwoch, den 13. Mai

Militär und Militarismus feststellen, denn Militarismus ist nichts anderes als die Armee, wie sie in unserem heutigen Staate besteht. Wenn Sie das Ziel verfolgen, den Militarismus zu unterwühlen so kann man mit vollem Recht sagen, daß sich dies nicht mit Treue zum Vaterlande und Treue zum Volke verträgt. Wenn wir diese Bewegung ablehnen, so tun wir nichts als unsere Schuldigkeit Was führt nun dazu, daß so viele unserer jungen Leute entaleisen? In vielen Fällen sind daran die ungesunden Kostgänger⸗ und Schlaf⸗ stellenverhältnisse schuld. Unsere katholischen Gesellenvereine haben sehr viel getan, um diesen Mißständen abzuhelfen. Auch viele sozialdemokratische Führer, u. a. auch Bebel, haben die gast⸗ lichen Stuben unserer Gesellenvereine benutzt. Der Gesell en verein in Cöln hat für 1800 junge Leute Unterkunft. Aber so stark ist die Nachfrage auf diesem Gebete, daß noch viele Tausende von jungen Leuten abgewiesen werden müssen. Ich bitte den Kultusminister dringend, daß er diese Bestrebungen unterstützt. Es würde im ganzen Vaterlande mit großer Freude be⸗ grüßt werden, wenn wir sagen könnten, es sind 25 bis 30 Millionen Mark für die Errichtung von Jugendheimen im Etat bereitgestellt. Aber mit einer finanziellen Unterstützung der Jugendbewegnng durch den Staat ist es nicht allein getan. Wir gebrauchen auch warme Herzen für unsere Jugend, und ich hoffe, daß unsere Jugendidee noch immer mehr Freunde und Gönner findet, die sich der praktischen Jugendbewegung widmen.

Abg. Dr. Herwig (nl.): Die Sozialdemokratie stellt es so dar, als wohne ein fühlendes Herz nur in ihrer Brust, und alles was wir anderen tun, geschehe vielleicht nur aus kalter Berechnung⸗ Der Abg. Haenisch hat behauptet, die bürgerliche Jugendbewegung sei nur ein Produkt der Angst vor dem Erwachen der proletarisch en Jugend. Was sollen denn solche Redensarten? Die Sozialdemokratie derdankt ihre Erfolge nur dem Bestreben, Unzufriedenheit zu säen. Wenn die Sozialdemoktatie meint, wir hätten das Bestreben die proletarische Jugend zu uns herüberzuziehen, in das Lager ihrer Feinde, so müssen wir das entschieden zurück⸗ weisen: wir stehen der proletarischen Jugend nicht feindlich gegenüber, sondern wir haben ein warmes Herz für sie, und wir wollen sie deshalb herüberziehen, weil wir sie vor dem bewahren wollen, was Sie ihr bieten können. Im Interesse der Jugend ver⸗ urteilen wir das Hineintragen von antisemitischen Tendenzen in diese Be⸗ wegung, und ich freue mich, daß nicht nur die Redner der Paxteien sondern auch der Minister seine Mißbilligung dieser Tendenzen aus⸗ gesprochen hat. Den Nutzen der konfessionellen Vereine verkennen wir nicht, aber zu sagen, daß in die interkonfessionellen Vereine nur solche gehören, die absolut nicht in die konfessionellen Organisationen hinein⸗ zubringen sind, halten. wir doch für verkehrt. Gewiß soll bei den Veranstaltungen Rücksicht genommen werden auf den Gottesdienst. Auch wir wollen ein Geschlecht, das erfüllt ist von wahrer Frömmig⸗ keit und Gottesfurcht. Es liegt uns nichts ferner, als die religiöse Ueberzeugung unserer Mitglieder zu verachten. Die Vorwütse, die gegen die deutsche Turnerschaft erhoben worden sind, daß sie infolge der zahlreichen Stiftungsfeste beständig auf der Landstraße lägen, muß ich zurückweisen. Auch das ist nicht richtig, daß in den Turn⸗ vereinen nur einseitig auf turnerische Leistungen und nicht auf die Gesinnung Wert gelegt werde. Was die Turnvereine erreichen mit Hilfe uneigennütziger Männer, das werden Sie in konfessionellen Ver⸗ einen niemals erreichen. Es kann unter keinen Umständen gebilligt werden, wenn die konfessionellen Vereine sich nicht darauf beschränken eigene Turnabteilungen zu errichten, sondern sogar den Turnvereinen ihre Mitglieder abzujagen suchen.

„Abg. D. Traub (fortschr. Volksp.): Es sind Angriffe gegen die freideutsche Jugend gerichtet worden, auf die ich erwidern muß. Wenn an die Tagung auf dem Hohen Meißner Verdächligungen an⸗ geknüpft werden, wie das von einem Redner des Zentrums geschehen ist, so habe ich kem Wort, um das zu charakterisieren. Auf dem letzten Tag in Marburg sind alle Altersverbände aus der freideutschen Jugend ausgeschieden. In dem Programm werden alle tendenziösen Bestrebungen ausdrücklich zurückgewiesen. Die Verdächtigungen sind aus einem katholischen Jugendblatt hervor⸗ gegangen. Am 1. Dezember richtete die „Kölnische Volkszeitung“ in einem Artikel aus Koblenz an die katholischen Eltern die Mahnung, ihre Söhne und Töchter von diesen Jugendvereinen fernzuhalten. Diese Vereine wurden als unsittlich hingestellt. Ist es ein Verbrechen, wenn in dieser Weise die Jungen mit den Mädchen zusammenkommen? Es müßte in Deutschland und in Preußen möglich sein, daß gerade in dem Alter, wo manchmal durch eine ungesunde Kluft zwischen Mädchen und Jungen erst eine falsche Romantik großgezogen wird, daß dieses Zu⸗ sammengehen mehr gefördert wird. Es ist notwenodig, den „Wandervogel“ in die Debatte zu ziehen, da ihm gegenüber jetzt ein sogenannter Schulwandervogel errichtet wird, der im rheinisch⸗west⸗ fälischen Industriegebiet dem freien „Wandervogel“ gegenüber bevorzugt wird. Eine Entschließung des Philologenvereins von Westdeutschland geht dahin, daß gegen jede Beschulung der Vereine Front gemacht wird. Es war gerade das Segensreiche, daß sich zu Ausflügen Schüler verschiedener Anstalten zusammengetan hatten. Es ist bedenklich, weng die Schule eine solche freie Veranstaltung in die Hand nimmt. Nicht die Liebe zur Sache, sondern die Liebe zum Direktor der Anstalt bildet oft den Ausschlag. Dadurch wird diese ganze Idee heruntergezogen; was ursprünglich schön und begeisternd war, wird zu einer gewöhnlichen Sache. Vor allen Dingen ist die Teil⸗ nahme der Schüler Sache der Eltern. Diese müssen entscheiden ob thre Kinder zum „Wandervogel“ gehören sollen oder nicht. Die Schule kann die Verantwortung gar nicht übernehmen, und be⸗ sonders in grozen Städten bedeutet die Beschulung eine große Be⸗ lastung. Deshalb möchte ich bitten, von einer Beschulung der Wandervogelbewegung abzusehen. Es war viel die Rede von Gottesfurcht und Vaterlandsliebe. Das sind nicht bloß hohe Worte, sondern das sind hohe, Ideale, und man wundert sich, daß bei solchen hohen Idealen keine vollständige Einheitlichkeit zu erzielen ist. Was soll man dazu sagen, wenn die Vaterlandsliebe von manchen Kreisen für sich in Anspruch genommen wird, ähnlich wie die Gottesfurcht? Auch ich wünsche dem heranwachsenden Geschlecht Gottesfurcht und Vaterlandsliebe. Die Jugend will vor allen Dingen Subjekt und nicht immer nur Objekt seim. Vtelleicht wird sie hier oder dort als ein Gegenstand der Missionstätigkeit betrachtet, und wenn man manchen Aufruf des westdeutschen Jünglingsbundes llest so meint man, daß man geradezu in ein feindliches Lager kommt, wenn man in die heutige Jugend hineingeht. Das ist ein Ton, über den sich die heutige Jugend mit Recht entrüstet. Die Jugend hat ein feines Gefühl und ein feines Empfinden dafür woran man allerdings seine Freude hat. Man soll an ihr nicht herum⸗ doktern. Unsere Jugend verdient, daß man ihr eine Freude macht. Wer an ihr arbeiten will, muß sich immer vor Augen halten, daß sie es ist, die uns in unserer Arbeit abzulösen berufen ist. Man pflegt sich meist selbst, aber man pflegt nicht die Jugend; man vergißt alles, was tüchtig ist und vorwärts strebt. Unsere Jugend ist stolz auf das Vaterland, und wer ihr diesen Stolz nehmen wollte, den bekämpfen wir. Der Patrtotismus ist der sicherste und beste, der aus dem Innern geboren wird. Die staatsbürgerliche Erziehung ist dec beste Weg zu einer echten und rechten Vaterlandsliebe. Es war kein Geringerer als der Feldmarschall Frei 8

zeiger und Königlich Preuß

vor der Soldatenspielerei gewarnt hat; es sei ein schlechter Kerl, der sein Vaterland nicht verteidigt. Die beste Vatetlandsliebe erwächft 8 aus Achtung vor der gesamten Volksleidenschaft, in dem Bewußtseln, daß König und Volk sich einen im Staat. Wir haben nichts einzumwenden

ig und v im Staat. Wir haben nichts einzuwenden gegen ein Zusammenwirken und Zusammenarbeiten von Offizieren mit den Jugendvereinen; wir vergessen nicht, daß ein Zeppelin und ein Wissmann, ein Egidy und ein Werner Siemens zum Offizierstande gezählt werden. Nur sollen beide Teile voneinander lernen und Ge⸗ wicht darauf legen, das die Jugend nicht Rekruten sind, sondern ihr eigenes Leben lebt. Vor allen Dingen legen wir das größte Gewicht darauf, daß die Jugend heute wieder ihre alten und großen Ideale bekommt. Es ist doch eine bedenkliche Sache, wenn ein Unibversitätslehrer festgestellt hat, daß der größere Teil unserer heutigen Jugend nichts anderes mehr erstrebt als Stellung und Besitz. Die materiaistische Jugend aber wäre das schlimmste. Eine gesunde Jugend hält sich fern vom Strebertum; sie stellt in den Vordergrund die Pflichttreue. Dazu ist aber nötig, daß sie vollständig frei ist von allem Konfessio⸗ nalismus und von jeder parteipolitischen Beschränkang. Die konfessionelle Jugendpflege verbürgt nicht immer nationalen Sinn; wo nur kon fessionell erzogen wird, da wachsen starke nationale Gefahren. Wir wollen, daß die Jugend nicht daraufbin erzogen wird, immer nur zu sehen, woran sie Anstoß finden könnte. Deshalb wünschte ich, daß man sich bei der Jugendpflege vor allem eins zum Leitstera macht: Freude an der Jugend und Vertrauen zur Jugend.

Abg. Ramdohr (freikons.): So herrlich und gut hier ge⸗ sprochen worden ist, so habe ich doch den Eindruck, daß viel Theorie dabei gewesen ist. Der Jugendpflege ist in den großen und mittleren E11““ Reihe von Helfern aus allen Ständen entstanden, Lehrer, Hffiziere, die nach heißer Arbeit den Sonntagnachmittag noch in den Dienst dieser guten Sache stellen. Allen diesen Männern, die vor⸗ bildlich sind auf diesem Gebiete, möchte ich auch hier einen Lorbeer⸗ kranz winden. Auf dem Lande sind wir nicht in der glücklichen Lage so viele freiwillige Helfer zu haben. Bei uns gilt nicht das Wort: embarras de richesse. Die geborenen Jugendpfleger auf dem Lande sind die Geistlichen und Lehrer, aber gerade diese haben an dem Tag wo die Jugendpflege am meisten getrieben werden kann, die aller⸗ wenigste Zeit, sie haben zunächst für den Gottesdienst zu sorgen. Wir meinen, vielleicht im Gegensatz zum Zentrum, daß die Jugendpflege selbst schon ein Gottesdienst ist und daß auf den Jugendausflugen wenn sich die Jugend einige Minuten zur Andacht sammelt, unserem Gotte auch gedient ist. Die Schüler in den großen Städten haben ihre Ferien, die sie zum Wandern benutzen können, aber auf dem Lande hat die Jugend trotz der Schulferien eigentlich keine Ferien, sie kann nur kurze Ausflüge am Sonntag oder gar nur am Sonntagnach⸗ mittag machen. Es ist auf dem Lande auch nicht ganz leicht, einen Ortsausschuß für die Jugendpflege zusammen zu bekommen und eine Vereinigung zu bilden, die Mitttl aufbringt. Alles Neue wird auf dem Lande zunächst mit Mißtrauen begruüßt. Wenn ein Bauer den ganzen Sonntag über seinen Kindern und jugendlichen Knechten einen freien Tag gibt, und auf sich selbst angewiesen ist, so hat er Manschetten davor, daß solcher Sonntage im Jahre zu viele werden könnten. Solche Vorurteile habe ich nicht nur bei den Agrariern, sondern bei den Angehörigen aller Stände und aller Parteien auf dem Lande gefunden. Die Landräte können in dieser Frage unendlich viel wirken. Der Landrat Hagen in Schmalkalden hat ein Büchlein geschrieben: „Das Dorfbad“; darin findet man warm⸗ herzige Jugendpflege, der Mann ist auf dem rechten Wege. Die Jugend, die durch die Großstädte und das Militär hindurchgegangen ist, hat dort das Baden geübt, auf dem Lande ist davon keine Rede. Wir können der Landflucht etwas abhelfen, wenn wir der Jugend, die vir aus den Großstädten wieder auf das Land herausziehen wollen auf dem Lande das bieten, was sie in der Stadt genossen hat. Bet der Art der Arbeit auf dem Lande kann man es der Jugend wohl gönnen, daß sie auch das Bad genießen will. Durch planmäßige Jugendpflege ist es in Klein Schmalkalden gelungen, den Prozentsatz der Militärtauglichen um mehrere Prozent zu heben. Wenn die Jugendpflege dazu verhilft, so hat sie einen großen Schritt des Weges zurückgelegt. Die Volkspfleger in Schmalkalden haben dafür gesorgt, daß kein Schulausflug stattfindet ohne Bad. Wir sollten das Voll⸗ bad oder wenigstens das Frauenbad auf dem Lande einführen. Wo ein Wille ist, wird auch ein Weg sein. Aber der Minister wird noch viel Geld in seinen Beutel tun müssen, bis jedes Dorf auf dem Lande sein Bad hat. Auch Jugendheime sind nötig; ich entsinne mich noch des Tages, wo wir in unserem Jugendheim uns eine Karte unserer Heimat West⸗ und Ostprignitz anschaffen konnten, als wir mit dieser Karte eine Turnfahrt machten, da glänzten die Augen. Es ist schon ein Genuß, manche Turnfahrt auf der Karte in der Theovrie zu machen, die man dann zur schönen Sommerzeit zur Ausführung bringt. In ein Jugendheim gehört auch ein guter Bilderschmuck, das Jahr 1913 hat uns Anlaß geboten, patriotischen Wandschmuck zu schaffen, der uns an 1813 erinnert. Damit wollen wir keinen Hurrapatriotis⸗ mus erziehen, wir hoffen damit, unserer Jugend auch Geschmack an besserer Kunst beizubringen. Ich möchte an alle maßgebenden Stellen auf dem Lande den Appell richten, sich noch mehr als bisher der Jugendpflege zu widmen. Alle, die auf dem Lande noch diese und ene Bedenken gegen die Jugendpflege haben, möchte ich aufrufen, daß sie doch auch mit uns an demselben Strange zur Förderung unserer Jugendpflege ziehen möchten. 8

Abg. Haenisch (Soz.): Anstatt den Gesetzen Anerkennung zu verschaffen, verletzen die Behörden auf Schritt und Tritt die Ge⸗ setze, wenn es sich um die freie Jugendbewegung handelt. Ich habe gestern eine große Anzahl von Beispielen angeführt, und der Minister hat keines von diesen widerlegt. Fast in allen Fällen haben wir uns⸗ bei den zuständigen Instanzen beschwert, aber fast überall haben die oberen Instanzen die Gesetzesverletzungen sanktioniert. Dann ist es kein Wunder, daß in Arbeiterkreisen der Glaube an die Gerechtigkeit schwindet. sprochen. Wenn Sie in loyaler Weise die Länge meiner Rede be⸗ urteilen wollen, dann müssen Sie die Reden sämtlicher bürgerlichen Parteien addieren. Es gilt hier zweierlei Recht, je nachdem, ob es ich um die Jugendpflege der staatserhaltenden Parteien oder um die der Soziagldemokratie handelt. Die Sozialdemokratie will nicht die Köpfe der Arbeiterjugend mit Utopien erfüllen. Was wir den jugendlichen Arbeitern unterbreiten, ist das Produkt ernsten, wissenschaftlichen Forschens und gründlicher wissenschaftlicher Erkenntnis. Auch der sozialistische Zukunftsstaat ist keine Utopie, sondern das Produkt der bürgerlichen Gesellschaft selbst. Die bürgerliche Gesellschaft selbst arbeitet für den Zukunftsstaat. Sie selbst ist ihr eigener Totengräber. Nur diejenigen Ideale, die wir für falsch und verderblich halten, reißen wir aus den Herzen der Jugend heraus. Aber wir wollen dafür höhere Ideale, das Ideal der Verbrüderung aller Nationen in die Herzen der Jugend hineinpflanzen. Wir wollen die Jugend zu freiheitlichen Iealen erziehen. Ich habe nicht den Gegensatz zwischen der proleta⸗ rischen und der bürgerlichen Jugendpflege konstruiert. Es liegt mir nichts ferner, als etwa die Jugend der höheren Klassen verlästern zu wollen. Ich habe nur das Vorhandensein eines Gegensatzes zwischen der pro⸗ letarischen und der bürgerlichen Jugend festgestellt. Es ist völlig falsch, wenn hier meiner Partei unterstellt wird, daß wir die Jugend der höheren Schulen persönlich verhetzen wollen. Die Personen sind uns überhaupt ganz gleichgültig, wir führen nur den Kampf gegen das System, und in diesem Kampfe werden wir keinen Pardon geben und

nehmen, bis wir endlich siegreich sein werden.

Ich habe hier als einziger Vertreter meiner Partei ge⸗