1914 / 115 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 16 May 1914 18:00:01 GMT) scan diff

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Blatt, die jene kriegsdrohenden Artikel gegen Frankreich 1875 „Ist der Krieg in Sicht“ und 1887 „Auf des Messers Schneide“ gebracht hat? Der Friede, den wir im Deutschen Reiche haben, ist ja nur ein Nichtkrieg. Alle Einladungen, abzurüsten, lehnt Deutschland ab. Das Schlußwort meines Freundes Wendel zu entschuldigen, hieße es ab⸗ schwächen. Niemals war in Frankreich der Chauvinismus schwächer als jetzt. Es hat dort noch nie so viel Leute gegeben, die offen aus⸗ sprechen, man müsse die Frage Elsaß⸗Lothringen ruhen lassen, um mit Deutschland zusammen zu kommen. Marx verlangte 1870, Deutsch⸗ land sollte nach der Schlacht von Sedan als Retter Frankreichs auf⸗ treten. Deshalb waren wir gegen die Annexion. Die Gefühle Frank⸗ reichs für Elsaß⸗Lothringen koͤnnen wir nur mildern, wenn wir Elsaß⸗ Lothringen volle Selbstverwaltung geben. Das ist die beste Friedens⸗ politik. Die Sozialdemokraten treiben keine nationale, sondern Völ⸗ kerpolitik. Unsere Genossen in Frankreich und England haben genau dasselbe Ziel wie wir. Der Nationalismus fordert den Unfrieden. Hätte der Kriegsminister die Rede Fichtes wirklich gelesen, dann würde er wissen, daß dessen Patriotismus kein anderer war als der, den wir vertreten. Er wollte das deutsche Volk zum Vorkämpfer der Freiheit heranbilden. Er war Republikaner und Sozialist. Meine Partei wirkt so, wie damals Fichte hier in Berlin wirken wollte. Brü⸗ der sind uns die Nationen und Feind ist, wer sie tyrannisiert. Präsident Dr. Kaempf: Der Abg. Bernstein hat sich in seiner Rede mit dem Kronprinzen beschäftigt. Diese Aeußerungen über⸗ steigen das Maß des Erlaubten und sind geeignet, den Kronprinzen zu verletzen. Ich rufe den Abg. Bernstein deshalb zur Ordnung. Fürst zu Löwenstein⸗Wertheim⸗Rosenberg (Zentr.): Den beiden Resolutionen werden wir zustimmen. Wir ziehen aber daraus nicht den Schluß, daß nunmehr die diplomatische Ver⸗ tretung des Deutschen Reiches an die Generalkonsuln übertragen werden soll. Die Abgg. Bernstein und Gothein hielten sich darüber auf, daß der Abg. Dr. Spahn über innere Verhältnisse Englands gesprochen hat. Er soll sogar England sein Sündenregister vorgehalten haben. Er hat es nur getan, um darauf hinzuweisen, daß auch im Auslande manches faul ist und die auswartige Presse garnicht das Recht hat, sich über Vorfälle in unseren Grenzländern in der gewohnten Weise aus⸗ usprechen. Der Abg. Bernstein sprach von der Flottenrüstung. Ich 5 ihn, wer hat denn mit dem Bau der Dreadnoughts begonnen, der doch den Anstoß gegeben hat zu der jetzigen modernen Flotten⸗ rüstung? Das prachtvolle Pathos des Abg. Wendel in seiner fran⸗ zösischen Hurrarede hat die richtige Antwort gefunden. Gestern wur⸗ den auch die wirtschaftlichen Möglichkeiten in China erwähnt und die Notwendigkeit, sie auszunützen. Vor Jahresfrist ist von dieser Stelle aus schon darauf hingewiesen worden, daß unsere Industrie die großen Möglichkeiten nachdrücklichst wahrnehmen möge, die die Neugestaltung Chinas bietet. Wenn es ein Land der unbegrenzten Möglichkeiten gibt, so ist es China. Ich begrüße deshalb die Begründung von Gesell⸗ schaften, die die deutschen Interessen im fernen Osten wahrnehmen wollen. Bei der großen Bedeutung des Schulwesens in China muß die Regierung alles tun, um auf das Schulwesen in China förderlich einzuwirken. Auch die Missionen müssen gefördert werden, aber nicht im amerikanischen Sinne. Die Missionen dürfen nicht die Vorhut von Handelsinteressen sein. Empfehlen möchte ich die Forderung, die religioösen Baudenkmäler zu unterstützen, auch auf dem Gebiet der Naturwissenschaft könnte Ersprießliches geleistet werden. Ueber Mexiko möchte ich am liebsten garnichts sagen. Es ist mißlich, das Vorgehen des Hauptes einer befreundeten Nation zu kritisieren. Das müßte ich tun, wenn ich auf die Vorgeschichte der dortigen Wirren eingehen wollte. Zu wünschen ist es, daß nicht unsere Handelsinteressen ge⸗ schädigt werden, ebenso daß unsere dortigen Interessen geschützt werden. Der Besuch des englischen Herrscherpaares in Paris hat zur Erör⸗ terung über die Beziehungen Frankreichs und Englands geführt. Weit⸗ gehende Schlüsse lassen sich aus diesem Besuch nicht ziehen. Beide Staaten sind in einem Verhältnis nicht des Bündnisses, sondern der Entente gewesen. Wenn aus der Entente auch kein Bündnis ge⸗ worden ist, so dürfen wir daraus für uns günstige Schlüsse nicht ziehen. Eine starke deutsche Flotte ist erst die Voraussetzung eines guten Verhältnisses zwischen England und Deutschland. Frankreich haben wir Beweise unserer Friedensliebe genug gegeben. Wenn der Abg. Bernstein höhnend gemeint hat, auch andere Staaten hätten Frieden gehalten, so möchte ich an Rußland erinnern, an Amerika mit ihren Eroberungskriegen. Wir sind Frankreich gegenüber zu freundlichen Beziehungen bereit, wir haben aber gelernt, daß wir Frankreich unsere Freundschaft nicht aufdrängen sollen. Beschränken wir uns auf eine freundliche und korrekte Haltung. Wir wollen nicht berechtigte Interessen aufgeben, nur um unangenehme Erinnerungen Frankreichs zu schonen. Es ist hier an die bekannte Theatervorstellung mit den Uniformen der Fremdenlegion erinnert worden. Ich kenne die Vorgänge nicht genau. In die französische Fremdenlegion haben wir nicht hineinzureden. Aber wir haben das Recht, alle Maßregeln zu er⸗ greifen, damit nicht Deutsche in die Fremdenlegion hineingezogen werden. Es handelt sich hier also um eine deutsche Angelegenheit. Die Rüstungen Rußlands zur Verstärkung seiner Westgrenze haben zu Auseinandersetzungen in der Presse und im Reichstage geführt. Viel⸗ bemerkt wurde der Artikel der „Kölnischen Zeitung“. Ich habe diesen Artikel bedauert. Unsere Staatsmänner brauchten diesen Artikel nicht; sie kannten die Verhältnisse. Aber es muß darauf hingewiesen werden, daß die russische Presse angefangen hat. Namentlich die „No⸗ woje Wremja“ hat gegen Deutschland gehetzt, und wir freuen uns, daß der Staatssekretär gestern so kräftige Worte gefunden hat. Es ist wohl nicht richtig, daß die russische Presse keinen Einfluß auf die russische Politik hat. Die russischen Vorbereitungen werden wir na⸗ türlich auch weiter aufmerksam verfolgen. Grund zur Beunruhigung geben sie nicht. Was Deutschland notwendig hat, hat es im vorigen Jahre durch die Heeresverstärkung getan. Erfreulich sind die Erklä⸗ rungen des Grafen Berchtold. Sie wären noch erfreulicher gewesen, wenn er nicht von dem „andauernden“ guten Verhältnis Rußlands zu Oesterreich gesprochen hätte. Rußland hat einen Zollkrieg mehr zu fürchten als wir. Oder will man nur einen günstigen Handelsvertrag durch seine Angriffe herbeiführen? Jedenfalls müssen wir in dieser Beziehung gerüstet sein. Erfreulich ist die Veröffentlichung des österreichischen Rotbuches betreffend Rumänien. Wir Deutsche können wünschen, daß das uns befreundete rumänische Volk fürderhin ge⸗ fährlichen Einflüsterungen nicht Gehör schenken möchte, die es in einem Konflikt mit unseren Verbündeten hineinhetzen können. Wenn über die Festigkeit des Dreibundes gestritten wird, so kann unser Verhält⸗ nis zu Italien unberührt bleiben, Konflikte mit ihm sind nicht zutage getreten. Italiens Extratouren hatten keinen Einfluß auf das Ver⸗ hältnis zu uns. Anders liegt es mit dem Verhältnis zwischen Oester⸗ reich und Italien, wo kleine Differenzen sich zeigen, die aber eine be⸗ sondere Tragweite wohl kaum besitzen. Etwas tiefer ging der Zwie⸗ spalt aus Anlaß der Wirren in Albanien. Jedenfalls hat der junge Prinz zu Wied Mut bewiesen, als er die Fürstenwürde von Albanien annahm; und als gestern der Abg. Wendel höhnend von diesem Fürsten sprach, flog mir der Gedanke durch den Kopf, daß diese Frage doch vielleicht etwas anders beurteilt werden möchte, wenn etwa der jetzt von Perm zurückgekehrte Herr Berliner Fürst von Albanien geworden wäre. Den Wert des Dreibundes fängt man in gewissen Kreisen doch etwas zu unterschätzen an. Ich erblicke in dem Bunde der beiden Kaiserreiche doch etwas mehr als einen gelegentlichen Zweckverband; der Zusammenschluß der beiden Völker ist eine logische Notwendigkeit. Ich kreibe damit nicht etwa Gefühlspolitik; es treten dieser Erwägung ehr vollwichtige reale Werte hinzu. Wenn das Bündnis auch für Oesterreich einen größeren Wert haben mag, so ist doch sein politischer und strategischer Wert auch für uns von großer Bedeutung. Nur eine stabile Politik macht uns bündnisfähig. 3 Abg. Freiherr von Richthofen (nl.): Die gestrige Rede des sozialdemokratischen Redners hat uns einige Geständnisse gebracht, die verdienen, festgehalten zu werden. Während des Balkankrieges habe die Gefahr vorgelegen, daß Europa in einen Weltkrieg verwickelt werden könnte. Im vorigen Jahre, als wir die großen Wehrvorlagen berieten, hatten die Sozialdemokraten diesen Gesichtspunkt nicht in den Vordergrund treten lassen. Der Abg. Wendel hat dann auch zu seiner Deckung später ausgeführt, die große Wehrvorlage und die Ver⸗ stärkung unserer Rüstung hätte uns keine größere Sicherung gebracht, weil ja die anderen Staaten auch weiter gerüstet hätten. Ja, es kommt sooch nicht bloß auf die Waffen, sondern auch auf die Menschen an;

wir müssen uns so stark machen, wie wir mit Rücksicht auf unsere wirtschaftlichen und politischen Interessen es irgend vermogen. Der Fürst Löwenstein hat mit Recht hervorgehoben, daß der Dreibund auch aus den Balkanwirren ungeschwächt hervorgegangen ist; seine Ausführungen über unser Verhältnis zu Oesterreich unterschreibe ich. Es ist auch gelungen, einen Konflikt mit den Ententemächten zu vermeiden; daß das schwer ist und Reihungen in Zukunft auch vielleicht nicht aus⸗ bleiben werden, wird das Auswärtige Amt gewiß bestätigen. Frank⸗ reich hat in seinem Bestreben, seine Kolonialmacht zu vergrößern, sich immer des Wohlwollens Deutschlands erfreut; selbst in Kleinasien scheint es bei der Abgrénzung der Interessensphären sehr günstig ab⸗ zuschneiden. Wir haben kein anderes Bevbürsnig als in ruhigen und guten Beziehungen zu Frankreich zu stehen. Gewiß ist auch richtig, was die Sozialdemokraten in dieser Beziehung über die Stimmungen in Frankreich selbst gesagt haben; halten diese Stimmungen auf die Dauer vor, so können wir unserseits uns nur darüber freuen. Von diesem Standpunkte aus muß auch die Frage der Fremdenlegion be⸗ urteilt werden; wir haben nur das Unsrige zu tun, um zu verhindern, daß Deutsche in diese Legion hineinkommen. Mit großer Befriedigung habe ich die Aeußerung des Unterstaatssekretärs vernommen, daß die Verhandlungen mit Frankreich bezüglich der Befreiung deutscher Min⸗ derjähriger stets Erfolg gehabt haben, daß diese peinlichen Angelegen⸗ heiten immer rasch und glatt erledigt worden sind. Auch wir wünschen, daß die angebahnten freundschaftlichen Beziehungen zu England sich immer inniger gestalten mögen. Es ist zu hoffen, daß bald praktische Resultate daraus erwachsen, indem die schwebenden Verhandlungen einen für uns günstigen Ausgang nehmen. Infolge des Balkankrieges ist zum erstenmal zutage gekommen, daß unsere Beziehungen zu Ruß⸗ land etwas weniger gut sind. Reale Gegensätze bestehen nicht. Um so mehr mußte man hinter der russischen Demarche in der Frage der deutschen Militärmission eine gewisse Unfreundlichkeit erblicken. Das Verhalten der russischen Regierung uns gegenüber im Jahre 1870/71 ist ja anzuerkennen. Aber den Dank dafür haben wir doch reichlich durch unsere Haltung im japanischen Kriege abgetragen. Es ist darauf hingewiesen worden, daß der Umstand auf die allgemeine Politik Rußlands zurückwirken und sein Selbstgefühl stärken mußte, daß es ihm gelang, die Armee so außerordentlich schnell wieder nach den letzten Niederlagen zu stärken. Eine Prestigepolitik Rußlands können wir uns gefallen lassen, soweit sie nicht auf unsere Kosten eführt wird. Die Ausführungen des Staatssekretärs werden hoffent⸗ ftch in dieser Beziehung in Rußland eine günstige Wirkung haben. Es ist zu bedauern, daß der Generalkonsul Kohlhaas in Moskau nicht mehr für die künftigen Handelsverhandlungen zur Verfügung stehen wird. Es liegt unzweifelhaft im Interesse Rußlands, wiederum mit uns zu einem Handelsvertrage zu kommen. Rußland kann man aller⸗ dings nicht nach anderen Ländern beurteilen, wo allein praktische Er⸗ wägungen den Ausschlag geben. Die Regierung muß auf jeden Fall auf dem Posten sein. Wir hoffen, daß es dem jungen deutschen Fürsten gelingen möge, in Albanien Ordnung zu schaffen. Auf dem Balkan wird in Zukunft die Anleihepolitik eine große Rolle spielen. Die dortigen Staaten müssen sich trotz ihrer Erfolge von ihren Schlägen erholen. Sie brauchen dazu Geld, ganz besonders um die neu erworbenen Gebiete aufzuschließen. Unsere Industrie ist zum großen Teil auf Export angewiesen. Deshalb darf man in unserer Anleihepolitik nicht allzu engherzig sein. Ich will an die Politik der Vereinigten Staaten gegenüber Mexiko keine Kritik anlegen. Des⸗ halb wollen wir auch die Methode nicht untersuchen, die Mexiko gegenüber eingeschlagen worden ist. Die meisten meinen, wenn man Huerta zur rechten Zeit anerkannt und die Rebellen nicht mit Waffen versehen hätte, dann wäre es diesem unzweifelhaft energischen Manne gelungen, Ruhe zu schaffen. Sollte es jetzt den Vereinigten Staaten gelingen, auf dem außerordentlich blutigen Umweg über die Rebellen die Ruhe wieder herzustellen, dann soll es uns freuen. Auf keinen Fall darf unsere eigene Konkurrenzfähigkeit für die Zukunft beeinträch⸗ tigt werden. Meriko muß für uns das gute Absatzgebiet bleiben, das es bisher war. Es war uns neu, als der Abg Mumm behauptete, unsere Reichsregierung behandele die Juden im auswärtigen Dienste beson⸗ ders freundlich. Er hat gewisse Vorwürfe gegen einzelne Konsuln erhoben, indem durch sie allzuviel für unseren Kaufmannsstand ge⸗ schieht. Da wir wirtschaftliche Expansion brauchen, so kann nicht genug für die Ausbreitung des Kaufmannstums geschehen. Deshalb verlangen wir ja auch die Reform des auswärtigen Dienstes. Der Abg. Oertel hat die Resolution kritisiert, in der ein Examen gefor⸗ dert wird. Er könne sie nicht billigen. Es genügt uns aber, daß der Staatssekretär sich mit ihr einverstanden erklärt hat. Ein Examen verbürgt ja keine hervorragenden Leistungen. Aber jemand, der kein Examen gemacht hat, ist deshalb noch nicht schlauer. Das Haus hat ja verlangt, die Beamten im Auslande besser zu stellen. Wir ver⸗ langen auch die Errichtung einer Art Auslandshochschule. Die Re⸗ solution ist deshalb so allgemein gehalten worden, damit der Kanzler sich bei der Ausführung nicht die geringsten Schranken aufzuerlegen braucht. Wir haben deshalb nichts dagegen, daß Preußen die An⸗ gelegenheit in die Hand nimmt. Einstimmig angenommen wird auch hoffentlich die Resolution, in der für die Generalkonsuln an den wichtigsten Plätzen ein dem Gesamteinkommen gleiches pensions⸗ fähiges Gehalt gefordert wird. Diese Karriere muß möglichst gestärkt und gehoben werden. Es geht doch nicht an, daß ein Gesandter ver⸗ sucht, einen Konsul in seiner gesellschaftlichen Stellung herabzudrücken. Hoffentlich prüft das Reichsschatzamt die Angelegenheit, sodaß wir schon im nächsten Etat derartige Posten vorfinden. Harmlos sind die Vertretungen der Bundesstaaten im Inlande. Anders ist es gegen⸗ über den bundesstaatlichen Gesandten im Auslande. Wir befinden uns ganz zweifellos in einer schwierigen, politischen Lage. Das Aus⸗ land muß deshalb überzeugt sein, daß wir in Deutschland selbst ein bestimmtes Maß innerer Festigkeit und verständiger Einigkeit haben. Die Einzelstaaten sollten in diesem Falle ruhig dieses Hoheitsrecht als ein Opfer auf dem Altar des Vaterlandes niederlegen. Wir haben uns in unserer Besprechung der auswärtigen Angelegenheiten eine gewisse Beschränkung auferlegt, so über unsere Verhandlungen mit Rußland und Frankreich über die Orientfragen. Es ist ja für uns nicht so leicht, die Fragen der auswärtigen Politik zu besprechen; für die Regierung ist es aber von großem Wert, zu wissen, daß sie den Reichstag und damit die öffentliche Meinung in Fragen der aus⸗ wärtigen Politik hinter sich hat. Bei dem Fürsten Bismarck war es ja etwas anderes, er besaß ein großes Prestige. Aber auch er hat seine Politik offen im Reichstag dargelegt. Wir sind angewiesen auf eine starke Exportpolitik und darum auch auf eine starke und erfolg⸗ reiche auswärtige Politik. 8

Staatssekretär des Auswärtigen Amts, Wirklicher Ge⸗ heimer Rat von Jagow:

Meine Herren! Der Herr Vorredner hat eine Geschichte vom Tennisplatz in Belgrad erwähnt. Diese Geschichte ist auch erst vor kurzem zu unserer Kenntnis gekommen. Ich habe sofort Ermittlungen angestellt; ein Bericht ist auch bereits eingelaufen. Er bedarf aber noch weiterer Feststellungen und Ergänzungen. Ehe ich diese habe, kann ich ein Urteil darüber nicht fällen. Aber das kann ich jedenfalls sagen, daß sich die Angelegenheit so, wie es in den Blättern gestanden hat, nicht zugetragen hat.

Ferner ist das Gesandtschaftsrecht der Einzelstaaten berührt wor⸗ den. Das ist ein Reservatrecht der Einzelstaaten. Unzuträglichkeiten haben sich daraus bisher nicht ergeben. Ich muß im Gegenteil konstaͤ⸗ tieren, daß die Vertretungen der Einzelstaaten im Auslande stets eine Stütze der deutschen Politik gewesen sind und unsere Botschaften nur unterstützt haben. (Bravo!l rechts.)

Abg. Dr. 8 eckscher (fortschr. Volksp.): Unsere Diplomatie leidet an dem Mangel, da sie noch zu sehr in der alten Schule steckt. Ein Mangel ist es auch, daß in unserem auswärtigen Dienst eine zu schroffe Trennung zwischen dem Konsulardienst und der reinen diplo matischen Tätigkeit gezogen ist. Bei unserem Antrage handelt es sich nur um gewisse Richtlinien. Ich gebe dem Abg. Oertel gern zu, daß

man im Examen wahrhaftig nicht alles Heil suchen darf. Ich kann dem Abg. Oertel versichern, daß ich selbst eine tief eingewurzelte Ab⸗ neigung gegen jedes Examen habe. (Zuruf: Warum denn?) Ich spreche aus Erfahrung. Der Abg. Dr. Oertel hat Anstoß genommen an dem Wunsch, daß Männer des praktischen Lebens an der Prüfung teilnehmen. Es soll doch nur verhindert werden, daß es zu einer leeren Einpaukerei kommt. Auch darüber kann ich aus eigener Erfahrung sprechen. Ueberrascht hat mich die Empfindlichkeit, mit der der Abg. Oertel von der Persönlichkeit sprach. Ich erinnere ihn an das Goethe⸗ sche Wort von dem Reiz der Persönlichkeit. Ich möchte auch ein anderes Goethesches Wort umschreibend von dem Abg. Oertel sagen, daß er, den Trank im Leibe, eine Suffragette in jedem Weibe sieht. Der leider viel zu früh verstorbene Staatssekretär von Kiderlen⸗ Waechter hat die Uebung eingeführt, daß den Anwärtern für das Kon⸗ sulat Vorträge gehalten werden, daß man ihnen einen Einblick zu ver⸗ schaffen sucht in unsere großen wirtschaftlichen Unternehmungen. Ich bedauere, daß diese Vortrage auf die künftigen Konsuln beschränkt sind. Es ware ganz gut, daß auch unsere künftigen Diplomaten eine Vorstellung von der Bedeutung der wichtigsten Faktoren des Wirt⸗ schaftslebens erhalten. (Staatssekretär von Jagow: Das geschieht ja schon.) Ich wage aus eigener Erfahrung zu widersprechen. Ich hatte die große Freude, unter den Herren des Auswärtigen Amts eine große Zahl jüngerer Konsulatsanwärter in Hamburg und an Bord eines Schiffes der Hamburg⸗Amerika Linie zu begrüßen, und ich war nicht wenig erstaunt, als ich von autoritativer Seite hörte, daß sich unter diesen Herren nicht ein einziger Anwärter auf den diplomatischen Dienst befand. Ich habe ja zu dem Staatssekretär persönlich das Ver⸗ trauen, daß er die Absicht hat, auch diese Leute zu berücksichtigen. Aber⸗ vorläufig habe ich von dieser Absicht keinen anderen Beweis als die Ausgabe für die Vorträge für die künftigen Diplomaten im Etat. Der Staatssekretär sollte auch überlegen, ob im Auswärtigen Amt die drei getrennten Zentralen des politischen, handelspolitischen und juristischen Dienstes nicht durch eine Trennung nach Ländern ersetzt werden können. Aus dem bisherigen Zustande erklären sich die Klagen über das langsame Arbeiten im Auswärtigen Amt. Ebenso würde es sich empfehlen, wenn die Herren in der Zentrale in eine engere und innigere Verbindung mit dem wirklichen Auslande gebracht würden, ähnlich wie es im Marineamt und im Generalstab geschieht. Es könnte ein Austausch herbeigeführt werden, damit die Herren nicht jahrzehntelang im Auswärtigen Amt sitzen. Das liegt im Interesse der Herren selbst. In dem jetzigen Zustande liegt die Gefahr der Verknöcherung und bureaukratischer Anschauungen. Was nun die auswärtige Politik betrifft, so stimme ich mit dem Abg. Gothein darin überein, daß keine unüberbrückbaren Gegensätze zwischen Ruß⸗ land und dem Deutschen Reiche bestehen. Ich bedauere die außer⸗ ordentlich beklagenswerte und gehässige Agitation der russischen Presse. Das ist wohl eine Folge der Mißerfolge Rußlands während des Balkan⸗ konfliktes und des russisch⸗französischen Bündnisses. Ich verkenne nicht, daß das Ergebnis der letzten Wahlen eine friedlichere Stimmung in Frankreich erhoffen läßt, aber aus eigener Beobachtung muß ich fest⸗ stellen, daß in Frankreich und seiner Presse die Revancheidee nicht er⸗ sterben will. Mit dem Abg. Gothein tadele ich das Verhalten des Sekretärs der Großen Kunstausstellung in Berlin gegen den liebens⸗ würdigen Vertreter des maßvollen „Journal des Débats“. Aber sein Verhalten erklärt sich doch aus dem Verhalten des Pariser Salons gegenüber der Aufstellung der Büste des Deutschen Kaisers. Dies Verhalten ist umso überraschender, weil man doch anerkennen muß, daß Kaiser Wilhelm II. sich wiederholt tatsächlich bemüht hat, von den Franzosen verstanden zu werden und auf eine deutsch⸗französische Annäherung hinzuwirken. Jenes Verhalten ist nicht in Einklang zu bringen mit der sonstigen ritterlichen Gesinnung des französischen Volkes. Ich war zu der Zeit gerade in England, und ich kann sagen, daß man jenes Vorgehen dort für unbegreiflich hielt. Der Abg. Wendel hat behauptet, ich hätte einem französischen Deputierten gegen⸗ über gesagt, es würde hier im Deutschen Reichstage wegen der Fremdenlegion eine Kundgebung gegen Frankreich stattfinden. Der Kollege jenseits der Vogesen muß mich mißverstanden haben. Ich habe nur gesagt, daß die Fremdenlegion eine Quelle dauernder Miß⸗ verständnisse und Verärgerungen sei, und diese Mißstimmung würde einen lebhaften Ausdruck in den bevorstehenden Debatten finden. Diese Erwartung ist auch nicht getäuscht worden; auf allen Seiten hat man in dieser Einrichtung eine gewisse Gefahr gesehen. Die Franzosen sollten sich doch einmal in den Gedanken einleben, daß wir unserseits etwas Aehnliches schafften, um einen Teil der Jugend Frankreichs für deutsche Dienste zu gewinnen. Ganz Frankreich würde in Entrüstung ausbrechen. Also: ohne jede Feindseligkeit gegen Frankreich beklagen wir die Zustände, die das Dasein der Fremden⸗ legion herbeiführt; wir können nur an die bessere Einsicht der Fran⸗ zosen appellieren, daß sie selbst die Initiative ergreifen und der An⸗ werbung Deutscher ein Ende machen. Die Balkankrise hat aufs deutlichste bewiesen, daß ein gutes Einvernehmen zwischen Deutschland und England Europa den Frieden erhalten hat. Der Staatssekretär wird auch anerkennen, daß in der Presse Englands bezüglich der Be⸗ ziehungen Englands zu Deutschland ein erfreulicher Wandel ein⸗ getreten ist; selbst die „Times“ hat gelernt, Deutschland ruhiger und gerechter zu beurteilen, sie hat sich gegen den Gedanken gewehrt, daß sich England in den Dienst eines französischen Revanchekrieges gegen Deutschland stellen soll. Die englische Politik nach dem Agadirvorfall kann ich noch heute nur beklagen. Heute hat sich wie drüben auch hüben die Stimmung geändert. In dem Dreibund erblicken auch wir einen Hort des Friedens. Wenn der Fürst Löwenstein eine deutsche Zei⸗ tungsstimme erwähnte, die sich gegen den Dreibund richtete, so können wir das nur beklagen, aber solche Stimmen lassen sich zahlreich auch aus Oesterreich⸗Ungarn anführen, und auch dahin sollte man also eine Warnung richten. Das Vertrauen in die Leitung der deutschen Politik ist in dauerndem Wachsen begriffen, und daran haben der Reichskanzler wie der Staatssekretär von Jagow einen gewissen erfreulichen Anteil. Zum Schluß muß ich auf den Schlußruf des Abg. Wendel: „Vive la France!“ eingehen. Diesen Ruf darf man nicht zu tragisch nehmen; im ganzen Hause hat sicher niemand den Abg. Wendel in diesem Augenblege ernst genommen. Der Einfluß hoher staatsmännischer Weisheit ist der Ausruf nicht gewesen. Gerade diese Art der Be⸗ handlung internationaler Fragen bekämpft nicht, sondern erweckt und verstärkt den Chauvinismus hüben und drüben. Wollen wir mit Frankreich in Frieden leben und unser Ansehen in der Welt behaupten, dann muß Deutschland voll und ganz von der Stimmung erfüllt sein, die Gottfried Keller so ausdrückt: Wir müssen das Vaterland der anderen achten, wir müssen unser eigenes Vaterland lieben!

Staatssekretär des Auswärtigen Amts, Wirklicher Ge⸗ heimer Rat von Jagow:

Ich möchte nur bemerken, daß die jungen Diplomaten schon jetzt an den Kursen im Auswärtigen Amt teilnehmen und daß sie nur an den Reisen bisher noch nicht teilgenommen haben. Dazu haben wir die Position hier in den Etat eingestellt; aber an den Kursen haben sie schon immer teilgenommen.

Abg. Dr. Bell (Zentr.): Die deutschen Gesandtschaften und Konsulate sollten mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln dafür sorgen, daß unsere Industrie und unser Handel im wirtschaftlichen Wettbewerbe nicht ins Hintertreffen geraten, sondern ihren Platz an der Sonne sich erhalten oder erwerben. Die Konkurrenten und wirt⸗ schaftlichen Gegner im Auslande sind mächtig an der Arbeit; es dürfen uns nicht durch Unterlassungssünden wichtige Auslandsaufträge ent⸗ zogen werden. Mit geeigneten Informationen und Auskünften muß den Lieferanten zur Hand gegangen werden. Der Handel kann mit Informationen, die auf bureaukratischem Wege an ihn kommen, nichts anfangen. Inzwischen ist der fremde Konkurrent längst zur Stelle und hat uns den Auftrag weggeschnappt. Die deutschen Gesandten und Konsuln müssen in dieser Beziehung sorgfältig geschult und ausgebildet werden; wir müssen an sie unter den heutigen Weltwirtschaftsverhält⸗ nissen die höchsten Anforderungen stecene Eine Reihe von Anreaäungen sind ja schon gegeben worden. Man hat eine Auslandshochschule ver⸗ langt; auch wir haben im preußischen Abgeordnetenhause einen der⸗

AUnahme an den

zellen hätte. Diese Annahme war nicht richtig. Das Auswärtige

““

rtigen Antrag zur Annahme gebracht. Eine ähnliche Tendenz ver⸗ lgt der Antrag Bassermann⸗Erzberger⸗Gothein, der Auslandskurse

Auswärtigen Amte anregt. Sehr wichtig sind für diese Zwecke ich die deutschen Handelshochschulen. Man sollte die auf diesen An⸗ alten zugebrachten Semester auf die Dienstzeit anrechnen. Dem keichen Zwecke dient die Kultivierung der neueren Sprachen. Die eistungen der Cölner Handelshochschule können als vorbildlich hin⸗ stellt werden: Colonia docet. Das Ansehen des deutschen Volkes Auslande zu fördern, hat auch der Reichstag die Pflicht; das stolze Port Bismarcks: „Wir Deutsche fürchten Gott und sonst nichts auf er Welt“ hat seinerzeit seinen Widerhall in der ganzen Welt gefunden ch hoffe, daß auch in Zukunft für den Schutz der deutschen Interessen n Auslande alles geschehen wird. Der Staatssekretär wird sich den ank aller deutschen Kreise verdienen, wenn er sich in diesem Sinne eiter betätigt.

Staatssekretär des Auswärtigen Amts, Wirklicher Ge⸗ imer Rat von Jagow: Meine Herren! Ich möchte nur noch sagen, daß ich den Aus⸗ hrungen des Herrn Vorredners vollständig zustimme und es für bstverständlich erachte, daß es eine der wichtigsten Aufgaben un⸗ er Vertretungen, sowohl der diplomatischen wie der konsularischen, für die Interessen unserer Industrie, für die wirtschaftlichen In⸗ essen im Auslande Sorge zu tragen. Wir haben das bisher immer an und werden in dieser Beziehung auch weiterhin dafür eintreten. ravo!) Damit schließt die Diskussion. Nach einer persönlichen Bemerkung des Abg. Freiherrn von Richthofen (nl.), in der er hervor⸗ bt, daß er die Tätigkeit des bayerischen Gesandten in St. Petersburg öt als eine nichtverfassungsmäßige habe bezeichnen wollen, wird das halt des Staatssekretärs bewilligt. Die von der Kommission vorgeschlagenen Resolutionen egen der Vorbereitung zum diplomatischen Dienst und die esolution Bassermann, betreffend die Auslandskurse und die neralkonsuln, werden einstimmig angenommen. Die Besoldungen für das Auswärtige Amt erden bewilligt. Bei den Ausgaben für die Gesandtschaften d Konsulate teilt der Berichterstatter Abg. Basserman n (nl.) mit, daß in der Ergänzung zum Etat eForderungen für einen diplomatischen Agenten und Generalkonsul Albanien in Durazzo und für ein Konsulat in Uesküb eingestellt orden sind. Die Kommission hat diese Mehrforderungen, wie auch die höhung der Kommissionskosten empfohlen. St

Bei den Ausgaben für die Botschaft in etersburg bringt der

Abg. Dr. Liebknecht (Soz.) den Fall der Verurteilung des kutschen Senna Hoy (Johannes Holtzmann) zur Sprache der zlich, am 29. April, in einer Irrenanstalt verstorben ist, in die aus einem russischen Gefängnis gebracht worden war, weil er dort steskrank geworden ist. Seine Verwandten in Berlin hatten sich zwei Gesuchen an den Zaren gewandt und auch die Unterstützung der atschen Regierung erbeten. Beide Gnadengesuche sind abgelehnt nden. Das zweite Gesuch ist von den russischen Behörden allent⸗ ben befürwortet worden, und der Leiter der Irrenanstalt hat das ssein Holtzmanns bescheinigt. Auch er war mit der Begnadigung verstanden, da Holtzmann nicht gemeingefährlich krank sei. Dieses nadengesuch ist bis zum Kriegsminister gegangen. Wie das Kriegs⸗ nisterium den Verwandten mitteilte, hätte es von der deutschen Bot⸗ aft die Auskunft erhalten, daß die deutsche Regierung seine Rückkehr öt wünsche, weil er ein gefährlicher Anarchist gewesen sei, doch habe deutsche Regierung gegen seine Freilassung nichts einzuwenden. is Gnadengesuch wurde natürlich auch abgelehnt. Die deutsche Re⸗ rung will alles getan haben, was möglich gewesen ist. Das Aus⸗ rtige Amt hat sich aber bis zuletzt geweigert, offiziell etwas für sen Mann zu tun. Wir wollen ja keine Begnadigungen. Wir rden uns auch nicht für eine Begnadigung durch den Zaren ins ig legen. Hier handelt es sich aber unzweifelhaft um einen Geistes⸗ nken. Hier hätte die Regierung allerdings offiziell eingreifen müssen. e hätte nicht mehr Erwägungen darüber anstellen dürfen, ob es sich einen in Deutschland politisch mißliebigen Menschen handelt. Das

swärtige Amt ist nicht von vornherein bereit gewesen, alles unter Hand zu tun. Am 25. September 1912 wurden vom Auswärtigen Amt Rechtsanwalt des Holtzmann alle die Papiere zurückgegeben, die zum Zwecke der Begnadigung eingereicht hatte. Es wurde dabei ꝛerkt, daß man für Holtzmann wegen seiner politischen Haltung öts tun könne. Die russischen Gefängnisse sind immer wieder Ge⸗ stand der öffentlichen Erörterung gewesen. Es handelt sich hier eine Angelegenheit der ganzen Kulturwelt. Die Diplomatie aller der hat die Pflicht, hier einen Druck auf Rußland auszuüben. zepräsident Dr. Dove bittet den Redner, bei dieser Gelegenheit Hnicht auf die Zustände in den russischen Gefängnissen einzugehen.) will nur darauf noch hinweisen, daß in Rußland, abgesehen von em Holtzmann, noch eine ganze Anzahl Deutscher sich in ähnlichen bhältnissen befindet. Jetzt kann die deutsche Regierung noch man⸗ lei tun, indem sie sich der Interessen der dortigen deutschen Ge⸗ genen annimmt. Bei diesen Vorstellungen kann sie auch gleich ganze Frage der Zustände in den russischen Gefängnissen aufrollen.

Staatssekretär des Auswärtigen Amts, Wirklicher Ge⸗

er Rat von Jagow:

Meine Herren! Das Auswärtige Amt hat zweimal Gelegenheit aabt, sich mit der Angelegenheit des Johannes Holtzmann zu be⸗ ftigen, das eine Mal im Jahre 1912, als die Mutter des Holtz⸗ in durch ihren Anwalt das Auswärtige Amt bitten ließ, ein Be⸗ ldigungsgesuch für ihren Sohn an Seine Majestät den Kaiser von ßland zu vermitteln. Die Ermittlungen, die damals nach der Per⸗ lichkeit des Holtzmann angestellt wurden, ergaben, daß derselbe in Verbreitung anarchistischer Ideen tätig gewesen war, daß er mehr⸗ in Deutschland und in der Schweiz wegen Preßvergehens, öffent⸗ er Beleidigung und Verbreitung unzüchtiger Schriften (Hört, hört! sts.) vorbestraft war. Die amtliche Nachfrage bei der russischen gierung ergab, daß er dort wegen anarchistischer Agitation und wegen Räubereien der sogenannten Expropriatoren zu Jahren Zwangsarbeit verurteilt war. Da es sich hier um ein poli⸗ es, gegen den russischen Staat gerichtetes Verbrechen handelt, war amtliche Vermittlung für das Gnadengesuch nicht angängig.

as zweite Mal sind wir mit der Angelegenheit beschäftigt wor⸗ als im Herbst 1912 der Herr Abgeordnete Freiherr von Richt⸗

uns schrieb, die Familie Holtzmann hätte Anhaltspunkte, zu ben, daß einer von der russischen Regierung ins Auge gefaßten Be⸗ digung des Holtzmann das Auswärtige Amt Bedenken entgegen⸗

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t war mit der Sache überhaupt nicht mehr beschäftigt worden und keinerlei derartige Weisung an die Botschaft in St. Petersburg

ben.

Gleichwohl haben wir damals durch die Botschaft die russische tierung amtlich wissen lassen, daß von unserer Seite keinerlei Ein⸗ dungen gegen die Begnadigung zu erheben wären. Die hierauf

Zehabte Berichterstattung der Botschaft ergab, daß im Sommer

hin an einen mit der Angelegenheit befaßten höheren russischen amten gewandt hatte, um sich unter der Hand nach den Chancen eines Begnadigungsgesuchs zu erkundigen. Nachher sind diesem Bot⸗ schaftssekretär Besorgnisse gekommen, daß dieser Schritt als ein amt⸗ licher aufgefaßt werden könnte, wozu er keinen Auftrag hatte, und was bei dem Vorleben des Holtzmann auch bedenklich war. Er hat daher den russischen höheren Beamten gebeten, seine Demarche als nicht geschehen zu betrachten, sich im übrigen aber nicht zuungunsten des Holtzmann beeinflussen zu lassen. Ich will zugeben, daß dieser Schritt vielleicht zu Mißverständnissen hätte Anlaß geben können; praktisch konnte er aber dem Holtzmann nichts schaden, denn kurz nachher ist der russischen Regierung die amtliche Mitteilung unserer Botschaft ge⸗ macht worden, daß wir gegen diese Begnadigung nichts einzuwenden hätten, und es ist dabei ausdrücklich auf die schwere Erkrankung des Holtzmann hingewiesen worden. Ferner ist dem Bruder des Holtz⸗ mann, als er in der Begnadigungssache nach Moskau kam, von un⸗ serem Generalkonsulat ein Empfehlungsschreiben an die russische Be⸗ hörde gegeben worden.

B e⸗

Holtzmann in

russischen Gefängnissen ist uns nie etwas zur Kenntnis gekommen. Ich kann danach die Vorwürfe gegen das Auswärtige Amt nicht als berechtigt anerkennen. (Bravo! rechts.)

Abg. Freiherr von Richthofen (nl.). Der Vorgang ist gewiß traurig, aber es handelt sich um einen Geisteskranken, das ist auch von der russischen Regierung anerkannt worden. Offiziell konnte das Auswärtige Amt für diesen armen Menschen, der doch ein poli⸗ tischer Verbrecher ist, nichts tun, namentlich nicht gegenüber einem befreundeten Staate. Wir können, uns doch auch nicht in das ganze russische System einmischen, wie es der Abg. Liebknecht empfohlen hat. Der Fall Holzmann lehrt uns, daß die deutsche Re⸗ gierung offiziell keine Schritte tun konnte. Ich habe persönlich den Verwandten des Holzmann geraten, sich mit einem Gnadengesuch an den russischen Kaiser zu wenden. Der Bruder des Holzmann behaup⸗ tete, daß sich unser Auswärtiges Amt gegen die Begnadigung ge⸗ wandt habe. Ich habe das dem Auswärtigen Amt mitgeteilt, und dieses hat alles getan. um ein solches Mißverständnis aus der Welt zu schaffen. Daß aus dem Begnadigungsgesuche nachher nichts ge⸗ worden ist, dafür kann die deutsche Regierung nicht. Das Auswärtige Amt trifft in dieser Angelegenheit jedenfalls keine Schuld. G

Ehg. Dr. Liehku echt (Soz.): Der vorliegende Fall ist so gelagert, daß das Auswärtige Amt von dem Grundsatze, den der Staatssekretär aufgestellt hat, abweichen konnte. Jener Grundsatz gilt doch nur von politischen Verbrechern in revolutionärem Sinne. Welchen Eifer hat nicht das Auswärtige Amt gezeigt, um der Firma Siemens⸗Schuckert in Japan gegen einen Bestecher und Betrüger zur Seite zu stehen! Die Verwendung des Auswärtigen Amts für die Begnadigung des Holtzmann war so kühl, daß sie im Grunde einer Ablehnung gleichkam. Die Mächte haben sich doch bis in die neueste Zeit in die inneren Verhältnisse der Türkei eingemischt und innere Reformen verlangt. Rußland gegenüber hat man nicht den Mut etwas zu unternehmen.

Bei den Ausgaben für die Washington fragt der

Abg. Dr. Heckscher ffortschr. Volksp.), wie weit die Vorberei⸗ tungen für den Bau eines neuen Botschaftsgebäudes in Washington gediehen seien. 3 Ein Vertreter des Auswärtgen Amts erwidert, daß eine engere Konkurrenz der Bauentwürfe stattgefunden habe. Erst wenn die Akademie des Bauwesens hierzu Stellung genommen habe, werde über das Projekt Entscheidung getroffen werden, vermutlich im nächsten Jahre. 8 Bei den Ausgaben für das Generalkonsulat in Nokohama kommt der Abg. Dr. Liebknecht (Soz.) auf die vorhin schon berührte Siemens⸗Schuckertaffäre zurück und behauptet, das Generalkonsulat habe für Betrüger Stellung genommen. (Vizepräsident Dove rügt diesen Ausdruck.) Die entwendeten Briefe seien kompromittierend für die Firma gewesen und deshalb haben das Auswärtige Amt, das Generalkonsulat, die richterlichen Behörden und die Staatsanwaltschaft die Beschlagnahme dieser Briefe betrieben. Es handle sich um einen Skandal allerersten Ranges. Die Komplizität des Auswärtigen Amts des Generalkonsuls, der richterlichen Behörde und der Staatsanwalt⸗ schaft sei unbestreitbar. Der Karl Richter, um den es sich hier handle sei gewiß ein bösartiger Verbrecher, aber nicht bösartiger als die An⸗ gestellten der Firma. Direktor im Auswärtigen Amt Dr. Kriege: Das Auswär⸗ tige Amt erhielt ein Telegramm von dem Generalkonsul, worin mit⸗ geteilt wurde, daß ein Angestellter der Siemens⸗Schuckertwerke dieser Firma vertrauliche Geschäftsbriefe entwendet habe, um damit Ge⸗ schäfte zu machen. Gleichzeitig wurde mitgeteilt, daß dieser Karl⸗ Richter auf dem Wege nach Deutschland sei und sich wahrscheinlich bereits an der Grenze befinde. Dieses Telegramm, worin dem Be⸗ schuldigten schwerer Diebstahl und Erpressung vorgeworfen wurde zum Nachteil deutscher Interessen, mußte uns selbstverständlich veranlassen, eine Mitteilung der zuständigen Staatsanwaltschaft zu machen. Dar⸗ auf hat die Staatsanwaltschaft beim Amtsgericht einen Haftbefehl beantragt; dieser wurde erlassen. Es hat ein ordnungsmäßiges Straf⸗ verfahren stattgefunden, und darin ist Karl Richter zu 2 Jahren Zuchthaus und 5 Jahren Ehrverlust wegen Diebstahls im Rückfalle und versuchter Erpressung verurteilt worden. Dieses Urteil ist rechts kräftig geworden. Es ist also durchaus ordnungsmäßig ein Straf⸗ verfahren eingeleitet worden, wie es bei jedem anderen Strafantrag auch geschehen wäre. Was das Verfahren in Japan gegen die Firma betrifft, so ist dies natürlich nicht unsere Sache, sondern die Sache der japanischen Behörden. Wenn ein Angehöriger der Firma sich auf dem Generalkonsulat Rat holt, so ist dagegen nichts einzuwenden alles übrige ist nicht unsere, sondern Japans Sache. 1 Referent Abg. Bassermann (nl.): Ueber diese Angriffe auf Verwaltungs⸗ und richterliche eine angesehene

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r un d Behörden und auf deutsche Firma wird wiederum das Ausland alle Ursache haben, sich zu freuen. Eine Erklärung der Firma lautet dahin, daß die Er⸗ pressungspersuche sofort der Staatsanwaltschaft zur Anzeige gebracht worden sind. Der Betreffende ist, wie schon erwähnt, zu schwerer Gefängnis⸗ und Ehrenstrafe verurteilt worden. Die Sache selbst hat in Japan großes Aufsehen erregt, die Untersuchung schwebt aber noch, und im Interesse des Ansehens der deutschen Firma sollte man doch wenigstens den Ausgang der Untersuchung abwarten, anstatt mit so schweren Vorwürfen aufzutreten, für die ein Beweismaterial nicht vorhanden ist.

Abg. Dr Liebknecht (Soz.): Der Vorredner übersieht daß in dem in Deutschland anhängig gewesenen Verfahren gegen den An⸗ gestellten Richter festgestellt worden ist, daß aus den Briefen hervorgeht daß die Firma bei den Lieferungen für die japanische Maxrine bevorzugt worden ist und gute Preise erzielt hat. In der Verhandlung sind weiter Auszüge aus den Briefen zur Verlesung gebracht worden, die Bestechunasmanipulationen involvierten. Ich habe neulich daraus schon einen Teil vorgelesen; ich werde Ihnen jetzt weiteres daraus mit⸗ teilen. (Vizepräsident Dove: Wir haben es hier nicht mit dem Verhalten der Firma, sondern lediglich mit dem Verhalten der Be⸗ hörden zu tun.) Es geht daraus hervor, daß der Admiral Fuji eine Provision von 5 % von der Firma erhalten hat. (Vizepräsident Dove ersucht den Redner, sich den Anordnungen des Präsidiums zu fügen.) Die sogenannte „Denkschrift“ des Auswärtigen Amts erkennt selbst an, daß es sich um Dinge gehandelt hat, deren Veröͤffentlichung die Firma geschäftlich schwer schädigen könnte; Sie brauchen sich nul bei dem Amtsgericht Charlottenburg zu erkundigen, wo eine Klage auf Herausgabe der Briefe anhängig gemacht worden ist. Es ist das ein

Botschaftssekretär sich auf eine private Bitte

essiert uns hier nur, soweit es die Behörde angeht.) Aber der Ab Bassermann hat nur die Firma in Schutz genommen. (Vizepräsident Dove: Wenn Sie fortfahren, die Verhältnisse der Firma hier zu erörtern, so werde ich das Haus fragen, ob es das noch will.) Der Abg. Bassermann hat mir die Veranlassung dazu gegeben, und Sie müssen mir das schon gestatten. (Vizepräsident Dove: Eine aus⸗ führliche Debatte über den Gegenstand werde ich nicht zulassen.) Das Vorgehen des Auswärtigen Amts kann nicht durch Berufung auf die Verurteilung Richters gedeckt werden, von dem auch ich energisch ab⸗ gerückt bin; aber gegen die Schuldigen der Firma ist bis heute nichts unternommen worden, auch nicht vom Generalkonsulat, das im Gegenteil seine Hand schonend über diese Verbrecher gehalten hat.

Damit schließt die Beratung. Der Etat des Auswärtigen Amts und die Ergänzung dazu werden im übrigen durchweg nach den Kommissionsanträgen bewilligt.

Die Petition der Deutschen Dichter⸗Gedächtnisstiftung in Hamburg⸗Großborstel um Bewilligung der Mittel zu einer großen und unentgeltlichen Bücherverteilung an deutsche Büche⸗ reien und Schulen im Auslande beantragt die Kommission durch den Referenten Abg. Dr. Heckscher sfortschr. Volksp.) dem Reichskanzler als Material zu überweisen.

Das Haus beschließt demgemäß.

„Es folgt der Etat für den Reichskanzler und die Reichskanzlei. Hh Tische des Bundesrats haben die Staatssekretäre Dr. nommen.) willigung dieses Etats. Eingebracht sind dazu lutionen:

1) Bassermann (nl.): „Den Reichskanzler um Vorlegung eines Gesetzentwurfes zu m Schutze des Wahlgeheimnisses gegen amtliche und pri⸗ vate Nachforschungen über die Ausübung eines auf Gesetz beruhenden geheimen Wahlrechts zu ersuchen“;

2) Mumm (wirtsch. Vgg.):

„Eine Vereinbarung unter den verbündeten Regierungen der⸗ gestalt anzuregen, daß bei Anträgen auf Namensänderung zurück⸗ haltend verfahren werde, jedenfalls bestehende deutsche Namen nicht verliehen, sondern im besonderen Falle, z. B. bei Schändung des Namens durch Verbrechen, dem Antragsteller die Erlaubnis gegeben werde, in Zukunft den mütterlichen Namen zu führen“; b

3) Mumm (wirtsch. Vgg.):

„„Eine Reform des Kanzleiwesens im Geschäftsgang der Reichs⸗ behörden im Sinne der Vereinfachung und Modernisierung in die Wege zu leiten.“

1 Abg. Scheide mann (Soz.): Wir müssen leider den Etat des Reichskanzlers ohne ihn verhandeln. Wir alle haben das lebhafte Bedürfnis, den Etat rasch zu verabschieden. Das wird aber nicht mög⸗ lich sein, wenn nicht für die Zukunft durchgreifende Aenderungen vor⸗ kommen. Jedes Jahr kommt eine Fülle von Arbeiten und strittigen Punkten hinzu. Ich mache daraus kein Hehl, daß die stärkste Konzen⸗ tration der Verhandlungen absolut notwendig ist. Es ist aber auch Pflicht der Regierung, uns den Etat so früh als möglich vorzulegen. Ferner ist es wünschenswert, uns die anderen Vorlagen so recht⸗ zeitig zugehen zu lassen, daß die Hauptarbeit dafür schon vor Beginn der Etatsberatung erledigt werden kann. Der Reichstag wird geradezu durch die Masse der Vorlagen obstruiert. Wie es jetzt gemacht wird, droht das Wichtigste und Dringlichste zu kurz zu kommen. Auch wir wollen noch in dieser Session das Wichtigste erledigen. Wird ge⸗ schlossen, dann trifft die Regierung die Schuld. Der Reichstag muß dagegen Widerspruch einlegen, daß man seine Arbeit so gering ein⸗

schätzt, daß man sie einfach unter den Tisch fallen lassen kann. Hätten

wir im Dezember den Etat des Reichskanzlers zu verabschieden gehabt, dann hätten die Parteien, die mit uns das Miteanzenebotees haben ergehen lassen, dem Reichskanzler wohl auch kaum eine Mark als

Strafe abgezogen. Die Zeiten haben sich inzwischen geändert, jetzt würden sie ihm sogar eine Zulage gewähren. Will man unparteiisch sein, dann muß man sagen, der Kanzler ist in der ganzen Zeit kon⸗ sequent gewesen und kann mit größerer Zufriedenheit auf den Verlauf der Dinge zurückblicken als die Mehrheit dieses Hauses. Nach An⸗ nahme des Mißtrauensvotums stellte der Abg. Bassermann dem Reichskanzler das glänzende Zeugnis aus, er mache nationalliberale Politik. Nun haben die Nationalliberalen einmal einen solchen Reichs⸗ kanzler, und sie stellen ausgerechnet gerade diesem ein Mißtrauens⸗ votum aus. Der Wunsch nach dem starken Mann in Elsaß⸗Lothringen ist erfüllt, Wenn das Wort „stark“ gleichbedeutend mit „ultra⸗ reaktionär“ ist, dann hat man den stärksten Mann dort hingeschickt und auch wohl den, der den Elsaß⸗Lothringern am unsympathischsten gewesen ist. Hätte man sie gefragt, dann hätten sie sicher erklärt: Unter keinen Umständen Herrn von Dallwitz. Hier sehen die Elsässer, wie weit sie noch von einem Selbstbestimmungsrecht entfernt sind. Nach der liberalen Auffassung hätte der Reichskanzler Herrn von Dallwitz fortgeschickt, weil er ihn als zu reaktionär los werden wollte. Die nationalliberale Presse hat darauf hingewiesen, daß er sich außer⸗ ordentlich schnell anderen Verhältnissen anpassen könne. Seine An⸗ passungsfähigkeit müßte aber geradezu phänomenal sein, wenn er dort zu einem Beschützer des gleichen und direkten Wahlrechts werden würde. Gleichzeitig hat man den Reichslanden einen neuen Waffenerlaß ge⸗ schenkt. Damit wurde die Solidarität zwischen dem Preußentum in Zivil und Uniform gekennzeichnet. Grundlegende Fragen des Ver fassungsrechts sind ohne Mitwirkung der Volksvertretung geregelt worden, die nur die großen Summen bewilligen darf. Eine reichs gesetzliche Regelung hätte Derartiges unmöglich gemacht. Trotz dieses Waffenerlasses wird man auch in Zukunft Leute wie den Obersten von Reuter und den Leutnant von Forstner freisprechen. Hier sind eben reale Machtfaktoren bestimmend. Die Regierung wünscht am allerwenigsten, wie sie sagt, die Heranziehung des Militärs gegen das eigene Volk. Auch wir wünschen nicht, daß einmal die Probe auf das Exempel ge⸗ macht wird. Aber die Regierung beachtet zum großen Teil nicht die Gesetze, zu ungunsten der arbeitenden Klassen unseres Volkes. (Präsi⸗ dent Kaempf bittet den Redner, derartige Aeußerungen zu uünter⸗ lassen.) Na, das geht ja noch.

Präsident Dr. Kaempf: Ich bitte Sie, meinen Anordnungen Folge zu leisten. Ich rufe Sie deshalb zur Ordnun g.

Abg. Scheid emann (Soz.) fortfahrend: Ich sehne mich jetzt wirklich nach der Zeit zurück, wo Männer wie Graf Ballestrem das Präsidium führten.

Präsident Dr. Kaempf: Ich habe nicht nötig, meine Geschäfts⸗ führung so kritisieren zu lassen. Ich muß das energisch zurückweisen.

Abg. Scheidemann (Soz.) fortfahrend: Das Vereinsgesetz wird in Preußen in einer Weise mißachtet, wie wir es sonst nicht er⸗ lebt haben. In Lichtenberg hat man Zusammnekünfte Erwachsener auseinandergesprengt, unter dem Vorwande, daß es sich um Jugend liche handelt. (Der Redner führt eine Reihe von Beispielen an, in denen gegen Versammlungen Jugendlicher eingeschritten ist, weil sie angeb lich politischer Natur waren.) Das Verhalten der Polizei wird immer schlimmer, je weiter man sich der russischen Grenze nähert. In Düsseldorf hat man sogar einen Vortrag über die „Gefahr des Alko⸗ holismus“ verboten. Den Vortrag über die so berühmt gewordene „Seidenraupe“ in Lichtenberg hat die Polizei aber schließlich doch ge⸗

Für den Staatssekretär Delbrück muß es ein nieder⸗

üre Dr. Delbrück, Lisco und Kraetke Platz ge⸗ Die Kommission beantragt die unveränderte Be⸗ folgende Reso⸗

statten müssen. drückendes Gefühl sein, wie die Gendarmen auf alle gesetzlichen Be⸗ stimmungen pfeifen. In Preußen kann jeder Gendarm machen, was er will, weil man ihn für seine Dummheiten nicht haftbar macht. Wir verlangen für uns das gleiche Recht, wie alle anderen Parteien, zu den jungen Leuten reden zu können. Durch Gewaltmaßregeln ent⸗ fremdet man uns die Jugend nicht. Sie können sie doch nicht von Vater und Mutter wegreißen. Was man durch eine solche Taktik er⸗ reichen kann, ist, daß Haß und Verachtung gegen den Staat in die Herzen der jungen Leute getrieben wird. Was wir nicht kun, tut die Polizei. Der Polizeipräsident von Jagow ist bemüht, uns die noch nicht sozialdemokratischen Gewerkschaften durch seine Maßregeln zuzutreiben.

völlig eindeutiger Sachverhalt. (Vizepräsfident Dove: Das inter⸗

Die Gewerkschaften werden diese Unbequemlichkeiten zu überwinden wissen,