1914 / 125 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 29 May 1914 18:00:01 GMT) scan diff

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ausweisen müssen. nossen Scheibemann nach

Gatten⸗ und Kindererbes Es sind auch gewisse Anzeichen dafür vor⸗ handen, daß in weiten Kreisen der Bevökkerung der Zug nach rechts entschieden fortschreitet. Diese Behauptung konnte im Hinblick auf die letzten Nachwahlen zum Reichstag parador erscheinen. Dem⸗ gegenüber ist darauf hinzuweisen, daß in dem einen Falle die konser⸗ hative Partei nur durch den Verrat der Freisinnigen unterlegen ist. Das Ergebnis der Stichwahlen ist nicht maßgebend für die Stim⸗ mung des Volkes. Bei der letzten Wahl hat sich gezeigt, daß die Stimmen der Konservativen außerordentlich zugenommen und die der Linken einen entsprechenden Rückgang erfahren haben. All das kann nicht ohne Einfluß auf die Haltung der Königlichen Staatsregierung und die Stimmung der Parteien im Reiche sein. Sollte uns diese Hoffnung trügen, 8 haben wir jedenfalls unsere Schuldigkeit getan und können mit bestem Gewissen die Verantwortung für alles Weitere denen überlassen, die in diesem Kampfe versagen. Wenn ich bei dieser Frage auf die außerpreußischen Verhältnisse eingehe, so tue ich das auf die Gefahr, daß dies hier und da dvielleicht übel vermerkt und als preußische Ueberhebung bezeichnet wird. Wir sind durchaus berechtigt, die politischen Parteien der verschiedenen Bundes⸗ staaten zu kritisieren, wenn sie ihr Wahlrecht radikalisieren. Ich erinnere an den Grotblock in Baden. Er hat ja in Baden bei den Landtagswahlen eine erhebliche Niederlage erlitten; er ist aber damit keineswegs abgetan, er ist bei der Stichwahl durch die feste Ver⸗ bindung der liberalen Partei und der Sozialdemokratie aufs neue entstanden, und zwar unter Führung Großherzoglicher Staatsbeamten. Es ist nun das ganz unerwartet Neue eingetreten, daß die Großherzog⸗ lich badische Regierung, es geschehen noch Zeichen und Wunder, offiziell von dem Großblock abgerückt ist. Der Vertreter der Regierung machte zwar vor dem Großblock eine leichte Verbeugung, erklärte aber doch entschieden, daß die badische Regierung sich fernerhin nicht mehr allein auf den Großblock stützen könne. Dieser Großblock hat über Badens Grenzen hinaus weitere Kreise gezogen, zunächst nach Bayern. (Präsident von Wedel: Ich bitte Sie, auf die süddeutschen Partei⸗ verhältnisse, die hier nicht zur Diskussion stehen, nicht weiter ein⸗ ugehen.) Der Großblock hat aber via Bassermann seine verderblichen Wirkungen bis nach Westhavelland ausgedehnt. Das muß uns Be⸗ denken geben. Gewiß besteht noch unsere altpreußische Zucht, und das b Wahlrecht ist das festeste Bollwerk gegen den Ansturm der Sozialdemokratie. Ich wollte einmal sehen, was aus der Fort⸗ schrittspartei würde, wenn sie das Reichstagswahlrecht in ihren Stadt⸗ parlamenten einführte? Unser früherer Präsident von Manteuffel hat einmal gesagt, der Minister, welcher das Reichstagswahlrecht in Preußen einführen wollte, müßte an dem nächsten Laternenpfahl auf⸗ gebängt werden. So weit möchte ich nicht gehen. Aber ich habe die bestimmte Hoffnung, daß kein preußischer Minister die furcht⸗ bare Verantwortung auf sich nimmt, an den Grundlagen unseres Wahlrechts zu rütteln. Bei uns werden noch tagtäglich die schlimm⸗ sten Dinge gesprochen und gedruckt. Unsere bhrcflliche Religion wird von der Sozialdemokratie, obwohl doch programmäßig die Religion Privatsache ist, aufs unflätigste angegriffen und die wüsteste Agitation für den Austritt aus der Landeskirche getrieben, wobei be⸗ zeichnenderweise immer die jüdische Religion unangefochten bleibt. Der Umsturz richtet sich gegen jegliche Autorität im Staat, das Herrscherhaus wird beschimpft, ebenso das Andenken Friedrich Wilhelms III. und der Königin Luise. Ich erinnere auch an die standalöse und freche Verletzung der Ehrerbietung gegen unseren Mo⸗ narchen beim Schlusse des Reichstages, an die Verherrlichung der sozialistischen Revolution, der Republik, des Fürstenmordes, an die Verleitung zum Treubruch, Landes⸗ und Hochverrat. Soll sich unser christlicher und monarchischer Staat das alles bieten lassen, ohne einen Finger dagegen zu rühren? Ich will ja zugeben, daß es in der letzten Zeit besser geworden ist. Die sozialdemokratischen und gleichartigen bürgerlichen demokratischen Blätter sind wegen Beleidigung des Kron⸗ Prinzen bestraft worden. Und es hat erfrischend gewirkt, daß an der Rosa Luxemburg ein Exempel statuiert worden ist, diese russisch⸗pol⸗ nische Judin ist zu einer längeren Gefängnisstrafe verurteilt worden. Ich hoffe daß diese revolutions⸗ und kampfeslustige Dame im Ge⸗ fängnis Muße finden wird, ihr heißes Blut abzukühlen. Leider hat ihr der jüdische Rechtsanwalt Rosenfeld Zeit verschafft, noch weiter Angesichts alles dessen denke ich oft zurück an meine Bymnastalzeit, wo es hieß: quousque tandem, Catilina, abutere patientia nostra! Wie lange werden wir noch die ungeheuren Ge⸗ fahren unterschätzen, die uns von den Genossen drohen. Sollte unser Volk so dekadent sein, um diesem Treiben nicht bald ein Halt entgegen⸗ rufen zu können? Hier müßte die Anklagebehörde energisch vorgehen. In der Gesetzgebung wie in der Verwaltung weichen wir jedoch rascher vor der Sozialdemokratie zurück. Da ist zunächst das Diätengesetz im Reichstage und die kurzen Anfragen. Das sind doch alles Maß⸗ nahmen, die darauf abzielen, die Befugnisse des Parlaments zu er⸗ weitern. Der Ministerpräsident hat bei der Beratung des Antrages Borck die Einsetzung einer Untersuchungskommission im Reichstage als harmlos bezeichnet. Er hat darauf hingewiesen, daß bereits früher solche Kommissionen bestanden hätten, wie z. B. zur Prüfung der Zustände der Eisenbahnen. Damals handelte es sich aber um einen durchaus lovalen Landtag. Das ist ein wesentlicher Unterschied, der nicht außer acht gelassen werden sollte. Dazu kommt dann noch die Verfassung für Elsaß⸗Lothringen, durch die die radikalen Elemente des Franzosentums und der Sezialdemokratie gestärkt wurden. Auch die übereilte Abänderung des Strafgesetzbuches infolge der Erfurter Ur⸗ teile fällt in dieses Gebiet. Gewiß konnte man sie für zu scharf halten. Aber man konnte die Abmilderung dem Gnadenwege über⸗ assen und durfte nicht dem Ansturm der Sozialdemokratie nachgeben. Zum Schluß kommt dann noch das Deckungsgesetz für die Wehrvor⸗ age. Dieses bezeichnete die Sozialdemokratie auf ihrem letzten Parteitage in Jena direkt als einen Sieg über die Regierung und den ersten Schritt zur Parlamentsbherrschaft. Auch in der Verwaltung vermissen wir die nöͤtige Widerstandskraft. Wir gestatten Massen⸗ aiffstge und Massenversammlungen unter freiem Himmel, wobei das Volk bis zur Siedehitze erregt wird. Die Beamten treten dabei sehr in den Hintergrund, und man überläßt die Aufrechterhaltung der Ordnung mehr und mehr den Genossen. Dadurch muß das Macht⸗ gefühl der Sozialdemokratie sehr gestärkt werden. Man hätte z. B. den französischen Sozialisten Jaurès sofort als lästigen Ausländer Als Hervé nach Rom kam, hat man ihn sofort

Schub uüber die Grenze gebracht. Weshalb hat man den Ge⸗ sehe Rede nicht sofort energisch

angefaßt? Man erzahlt sich, daß am Rhein bei einer Stichwah

kreiche Beamte sich der Stimme enthalten und dadurch den Verlu

s Wabhlkreises an die Sozialdemokratie verursacht hätten. Wes⸗ halb schreitet man hier nicht ein? Es hat gewiß peinlich berührt, als von einem südbeutschen Staatsmann die Sozialdemokratie als eine großartige Bewegung zur Befreiung des Arbeiterstandes ge⸗ priesen wurte. Wir haben aber auch bei uns hören müssen, wie von Regierungsseite ihre Ritterlichkeit anerkannt worden ist, während sich doch andere über die Ruppigkeit ihres Tones beschweren. Geht das so weiter, dann kann man 228 daß die Genossen unter Führung der Stadthagen, Katzenstein, Bernstein, Rosa Luxemburg usw. gute Ziele verfolgen. Man sollte meinen, in einer Synagoge zu sein. Man kann es erleben, daß sie in ein ehrwürdiges Müͤnster ziehen, 88s wir von einer chrift ichen Kanzel die Verherrlichung der sozia⸗ listischen Lehre anzuhören haben, Leben wir nicht schon in einem

Lande der unbegrenzten Möglichkeiten? Ich erinnere an die Stellung

egenüber unserer Jahrhundertfeier. Wir haben dabei traurige Vorgänge erlebt, sodaß selbst Männern aus dem Arbeiterstande die heiße im des Zornes in das Gesicht schießt. Wer hätte es für möglich gehalten, daß bürgerliche Leute einer Partei Folge leisten, deren Vertreter im Reichstage eine Rede mit dem Rufe: „Vive la France!“ schloß. Mich beruhigt nur, daß diese Sozial⸗ demokraten nicht den Christen und Deutschen angehören. Ich will nur feststellen, daß die Sozialdemokratie seit ihrer Begründung bis jetzt sich auf dem Wege vollständiger Verjudun , wenn sie Ziel nicht bereits erreicht hat. Das fübische lement ist vor⸗ berrschend. Dieses predigt auch das Austreten aus der Landeskirche. Die Genossen Moses und Zadeck sorgen für den Geburtenrückgang, auch ein sauberes Geschäft. Unsere Gesetzgebung versagt demgegen⸗

der Sozialdemokratie

über oft. Das Vereinsgesetz, das wir dem Fürsten Bülow verdanken, hat den Kampf gegen die Sozialdemokratie vielfach lahm⸗ gelegt. In einem monarchischen Staate, in einem Staate der allgemeinen Wehrpflicht muß es Gesetze geben, die den lopalen Arbeitern die Betätigung ihrer Arbeitskraft sichern. Wie erklärt man sich die Zurückhaltung der Regierung? Vielleicht wiegt man sich in der Hoffnung, daß sich die Sozialdemo⸗ kratie schließlich doch durch den Revisionismus zu einer bürgerlichen Demokratie hindurchmausern wird. Diese Hoffnung scheint mir aber keineswegs begründet. Gerade das Umgekehrte wird der Fall sein, und mit Recht wird gesagt, daß der Freisinn die Vorfrucht der Sozialdemokratie ist. eleche hält man auch die Sozialdemokratie nur für eine vorübergehende Erscheinung und stellt sich guf den Standpunkt, die Sozialdemokratie nur nicht zu reizen, da sie sich doch einmal überleben wird. Ich fürchte nur, diese Wünsche und Hoff⸗ nungen werden eine schwere Enttäuschung erleben. Es kann nur dahin führen, daß in der Bevolkerung das Gefühl für die Gefahren der Sozialdemokratie immer mehr verwirrt und verwischt wird. Diese Politik kann auch nicht ohne Rückwirkung auf unsere auswärtigen Be⸗ ziehungen bleiben. Unsere Gegner werden darauf rechnen, daß mit dem Wachsen der Sozialdemokratie auch die Zahl derjenigen wächst, welche im Ernstfalle bereit sind, den nationalen Boden zu verlassen und dem Vaterlande in den Rücken zu fallen. Sie werden daraus eine Schwäche 88† Wehrkraft herleiten. Ich bin nun der letzte, der an unserer Wehrkraft nur den leisesten Zweifel hegt, aber ich halte es doch für bedenklich, wenn die Sozialdemokratie vor und nach der Dienstzeit die Bevölkerung im antimonarchischen Sinne zu beein⸗ flussen sucht. Die Hoffnung auf eine energische, großzügige Aktion im Sinne des Sozialistengesetzes haben wir wohl mit unserem großen Kanzler zu Grabe tragen müssen. Aber wollen wir deshalb auch die Hoffnung aufgeben, daß wenigstens den schreiendsten Mißständen entgegengetreten wirde Bezüglich des Schutzes der Arbeitswilligen und des Verbots des Streikpostenstehens hat bereits vor kurzer Zeit Herr Graf g im Reichstage reichhaltiges Material beigebracht. Der Deutsche Arbeitgeberverband, der Deutsche Mittelstandsverband und der Deutsche Innungsverband haben ebenfalls einen stärkeren Schutz der Arbeitswilligen und ein Verbot des Streikpostenstehens verlangt. In allen diesen Korporationen sitzen gewiß keine Junker und Agrarier, und troßdem haben sie sich dafür ausgesprochen. Aber gegenüber allen diesen Antpägen verhält sich die Regierung ablehnend, jedenfalls sehr zögernd. Als ich die Ausführungen des Reichskanzlers und des Staatssekretärs des Innern darüber gelesen hatte, hatte ich das Gefühl einer recht schmerzlichen Enttäuschung, das Gefühl, als ob hier vor der Macht der Sozialdemokratie kapituliert wird. Ich konnte mich nicht des Eindrucks erwehren, daß man die Gefahr der Sozialdemokratie nicht sieht oder nicht sehen will, oder daß man sie jedenfalls nicht in vollem Umfange würdigt. Der Reichskanzler will zunächst das Koalitionsrecht durchaus unangefochten lassen, auch wir wollen nichts anderes. Wir wissen sehr wohl, daß bei den wirt⸗ schaftlichen Kämpfen das Koalitionsrecht für die gewerblichen Ar⸗ beiter eine unentbehrliche Waffe ist. Aber wir wollen nicht, daß das Koalitionsrecht durch die Sozialdemokratie zu einem brutalen und grausamen Kvalitionszwange ausartet. Der Reichskanzler will anscheinend alles ängstlich vermeiden, was auch im entferntesten den Charakter eines Ausnahmegesetzes hat. Auch wir versteifen uns nicht auf ein Ausnahmegesetz. Aber wir meinen, daß vor allen Dingen jedem Staatsbürger das Selbstbestimmungsrecht ohne Gefahr für seine Person und seine wirtschaftliche Existenz erhalten bleiben muß. Im übrigen ist die sehr beliebte Gegenüberstellung von Aus⸗ nahmegesetz und allgemeinem Gesetz doch wirklich nur ein Streit um Worte. Ob Ausnahmegesetz oder allgemeines Gesetz, die Sozial⸗ demokratie wird jedenfalls alle gegen sie gerichteten Gesetze bekämpfen. Daran werden wir nichts ändern können. Der Reichskanzler scheint sich von einem gesetzgeberischen Eingreifen keinen Erfolg zu ver⸗ sprechen. Aber wir erblicken in dem gesetzlichen Verbot des Streik⸗ postenstehens einen Hemmschuh für die Entwicklung der Sozialdemo⸗ kratie. Dadurch wird der Sezialdemokratie der Zuzug zu ihren Reihen unterbunden werden und die Werbekraft herabgesetzt werden, und es werden mehr und mehr die materiellen Mittel gekürzt werden, die sie für ihre Agitation bedarf. Der Reichskanzler hat dann seine Hoffnung auf das Volksempfinden gesetzt. Ja, das Volksempfinden. das lehrt die Geschichte aller Zeiten, bedarf immer eines Führers oder Verführers. Und ich fürchte, daß im vorliegenden Falle das Volksempfinden versagen wird, solange die Beteiligten auf der einen Seite unter dem Drucke des Terrorismus der Sozialdemokratie zu leiden haben und auf der anderen Seite unter dem Eindruck stehen, daß sie von der Staatsgewalt keine Unterstützung zu erwarten haben. Der Reichskanzler hat schließlich noch eine Denkschrift in Aussicht gestellt. Das ist ja jetzt eine sehr beliebte Maßnahme. Diese Denkschrift wird uns ebenfalls sehr viel Lehrreiches und Interessantes bringen, aber ich meine, die Geschichte der Sozialdemokratie und der Verlauf ungezählter Streiks liefern jetzt schon ein durchaus genügendes Material, um eine Gesetzesvorlage ausreichend zu begründen. Die bisherigen Verurteilungen wegen Angriffe auf Arbeitswillige be⸗ weisen, daß die bestehenden Vorschriften nicht ausreichen. Auch die Polizeiverordnungen werden zu keinem Ergebnis führen. Die Sozial⸗ demokratie wird es nicht so weit kommen lassen, daß durch Streik⸗ posten eine schwere Gefährdung der öffentlichen Ordnung eintritt. Solche Ausschreitungen bei großen Streiks sind noch nicht die schlimmsten; viel gefährlicher sind die, die sich im täglichen Er⸗ werbsleben abspielen. Der nichtkoalierte Arbeiter in den Werk⸗ stätten wird bis in seine Wohnung hinein von den Genossen an⸗ gefallen und belästigt, bis er sich der Organisation unterwirft. Ar⸗ beitgeder werden gezwungen, nichtkoalierte Arbeiter zu entlassen, man arbeitet so lange, bis jeder Widerstand aufgegeben wird, oder der Mann zur Waffe greift. Was will nun der Staatssekretär des Innern gegen diese jedem Rechtsgefühl widersprechenden Vorgänge tun? Es ist nicht richtig, daß er die Sozialdemokratie mit moralischen und erzieherischen Mitteln bekämpfen kann. Nun will der Reich⸗ kanzler wie der Staatssekretär bei einer allgemeinen Revision der Strafprozeßordnung oder Reichsgewerbeordnung eine Aenderung der jetzigen Bestimmungen vornehmen. Wann und wie aber wird das Gesetz zustande kommen? Darüber werden noch Jahre vergehen. Können wir wirklich so lange warten, bis immer weitere Arbeitermassen in die Arme der Sozialdemokratie getrieben werden, bis unsere ländlichen Arbeiter von der Seuche ergriffen sind? Soll die Jugend noch weiter verhetzt werden, bis jede Autorität wankt und wir einer Kata⸗ strophe entgegengehen? Wir haben keine Zeit mehr zu vperlieren. Wenn die bürgerlichen Parteien zusammengestanden hätten, wären bedeutend weniger Sozialdemokraten gewählt worden. Leider ist in dem Wahlkampf zwischen den bürgerlichen Parteien und der kon⸗ servativen Partei nicht ein Abkommen getroffen worden. Das ist eine falsche Praxis, die nur Anwendung finden dürfte, wenn es sich um gesicherte Bezirke handelt. Die Frage erscheint berechtigt, ob die Regierung im Wahlkampfe ihre Schuldigkeit getan hat. Diese Frage muß verneint werden. Es sind zwar Kundgebungen erfolgt, aber so spät, daß sie keinen Eindruck mehr machen konnten. Die fortschrittliche Volkspartei hat aus eigener Kraft kein einziges Mandat errungen; sie muß als Anhängsel der Sozialdemokratie betrachtet werden. Das Reichstagspräsidium beruht auf durchaus irriger Grundlage; es wurde mit Hilfe der Sozialdemokratie gewählt. Die nationalliberale Parteileitung beabsichtigt, Jungliberale und Altliberale fester zu vereinigen unter Aufhebung ihrer besonderen Reichsverbände. Es wäre zu begrüßen, wenn daraus eine Verstärkung des Einflusses der Altnationalliberalen sich ergeben sollte, mit der Möglichkeit, daß sich diese mit den Konservativen verbinden könnten zur Bekämpfung der Sozialdemokratie. Auch der Abg. Bassermann hat von einer Arbeits⸗ gemeinschaft gesprochen. Ich glaube nicht, daß Bassermann für seine Arbeitsgemeinschaft eine Ne rrheit finden wird. Eine Arbeitsgemein⸗ chaft von Bassermann bis Scheidemann ist ein Unding. Reichstreue 1 S sind bei der letzten Reichstagswahl der Sozialdemokratie um Opfer gefallen unter den sozialdemokratischen Stichwahlbedingungen. Uns ist nicht bekannt he- we2 daß die Be⸗ treffenden däafür von Partei wegen zur Rechenschaft gezogen werden.

Man hat sogar Scheidemann in das Reichstagspräsidium gewählt. Der Fall Zabern hat zu unhaltharen Zuständen geführt; aus kleinen,

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lächerlichen Anfängen wurde ein Sturm entfacht, über den m ein lebhaftes Bedauern aussprechen kann. Einen Vorwu man auch dem Jentrum machen. Die Nationalliberalen ba

nicht verschmäht, sich sehr übereilt, ohne Informierung über sächlichen Verhältnisse, der Sozigldemokratie anzuschließen, und n wie Wetterlé, Blumenthal und Peirotes, die nur das Bestrebe 8 so rasch wie möglich Anschluß an Frankreich zu finden. Freilaat es auch im Reichstage schon am anderen Tage hindurch, daß 1h¹ rüstung gar nicht so schlimm gemeint sei, und aus dem großspe 1 schen Mißtrauensvotum wurde schließlich eine bloße 9. 6 dch Aber das alles kann nicht die Schädigungen wieder gut machen im durch die Angriffe auf die Kommandogewalt, auf die Waßf der Soldaten, durch die Erschütterung der Autorität und 8

Erschütterung des Vertrauens im Volke auf die Armee d. worden sind. Das Verhalten der Nationalliberalen bei diesens legenheit ist alsbald in allen Teilen des Reiches als ein die nalen Interessen schwer schädigendes gekennzeichnet worden: abench alledem ist es immer noch derselbe Ciertanz, 3 den; nationalliberale Partei aufführt, wenn sie auf ihrem n tage die Sozialdemokratie als den Feind bezeichnel * wenn gleichzeitig der Großblock in Baden neiter benn Was die Herten damit bezwecken, ist ihnen vielleicht selbst nice vielleicht ist es das Streben nach Mandatsvermehrung, nach

erweiterung um jeden Preis. Die Geister, die sie riefen, könng aber nicht ebenso leicht wieder hannen; sie werden von der 9 immer fester umgarnt werden. Um so bedauerlicher ist es d Altliberalen, die die Brücke nach rechts nicht ganz abbrechen 1

ganz besonders unter den Angriffen der Sozialdemokratie zu a haben. Es scheint ja schon eine Wendung zum Bessern eintrit wollen; die nationalliberalen Stimmen mehrten sich, die den gischen Kampf gegen die Sozialdemokratie, die Stärkung des 88

der Arbeitswilligen verlangen; sogar der Industrierat des 9 1 bundes schloß sich ihnen an. Aber da kamen die Proteste von anderen Seite, da bekam es das Hansabunddirektorium mit

Angst, und es wurde gebremst. Die Nationalliberalen hatten 8 Kommission eingesetzt, welche das Material bezüglich des grißr Schutzes der Arbeitswilligen durcharbeiten sollte; aber „kaum geieh ward der Lust ein End’ gemacht“. Die Nationalliberalen waren 3. genötigt, andere Saiten aufzuziehen, denn die Jungliberalen erklan von einem Ausnahmegesetz gegen die Sozialdemokratie nichts *8 zu wollen, und so wird es denn ein Kampf mit papiernen Wag bleiben. Auch die Altliberalen mußten dem Druck der Blogft⸗ weichen, und so lehnte die Partei mit beinahe Einstimmigkei 8 den erneut eingebrachten konservativen Antrag wegen Verbotz; Streikpostenstehens ab, und mit allen jenen hoffnungsfreudigen Kn⸗ gebungen war es nichts. (Praäsident: Ich erlaube mir, den üe Redner darauf aufmerksam zu machen, daß das Haus mit seiner 8

schwer bedrängt ist, ich möchte ihn bitten, bald zum Schlu kommen. Wir sind in unserer Zeit sehr hedrängt.) Je

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natürlich der Aufforderung Fosge leisten. Ich sglaube, es ist doc ernste Pflicht des Hauses, allen diesen Beföbrgnissen auch ent Ausdruck zu geben. Gerade in diesem Hause muß bei jeder Gelas heit ein ernstes ceterum censeo gesagt werden. Verhallt der 9 auch ferner ungehört, so wird bei der unausbleiblichen Katastrophe Geschichte das Urteil fällen, daß die Revolution weniger don mtd als von oben gemacht ist, daß Versäumnisse, daß namentlich die rückhaltung der Regzerung dafür mitverantwortlich ist. Minister des Innern von Loebell: Nach meinen gestrigen Ausführungen glaube ich es kaum me zu haben, dem Herrn Vorredner zu versichern, daß ich die Gefahr⸗ von der Sozialdemokratie uns, unserer Staats⸗ und Gesellschtnt ordnung droht, voll erkenne, daß ich meinerseits die Augen gegenid dieser Gefahr nicht verschließen, sondern alle mir zu Gebote stehen Mittel anwenden werde, um der Agitation der Sozialdemokratie weit sie die gesetzlichen Grenzen überschreitet, mit allem Nacht entgegenzutreten. (Bravo!) Ich habe mich aber zum Worte gemeldet insbesondere derheh weil der Herr Vorredner sowohl dem Herrn Reichskanzler i Ministerpräsidenten, als auch dem Herrn Staatssekretär des Ims gegenüber die Ansicht zum Ausdruck gebracht hat, als ob seiteng beiden Herren, seitens der Reichsregierung, die Gefahr der Same demokratie nicht richtig eingeschätzt werde, als ob sie diese Geid nicht erkennen oder nicht erkennen wollten. Hiergegen muß ich h stimmte Verwahrung einlegen. Ich will nur darauf hinweisen. der Herr Reichskanzler keine Gelegenheit hat vorübergehen le um seine Stellung gegenüber der Sozialdemokratie mit aller Scham und allem Nachdruck zu betonen. Irre ich nicht, so hat er;:

kurzem im Deutschen Landwirtschaftsrat betont, daß mit der Sch

demokratie ein Paktieren unmöglich sei. Der Herr Staat hat bei Gelegenheit der Beratung des Reichshaushaltsetats i ster Weise sich gegen die Sozialdemokratie ausgesprochen, Agitation bekämpft, die wir mit dem Herrn Vorredner lebhaft bedauern. Auch den Schutz der Arbeiter gegenüber der seitens der Koalitionen zu verstärken, hat der Herr Reichska Reichstage nicht abgelehnt. Die Verhandlung fand am 10. 2 1913 statt. Der Herr Reichskanzler hat zunächst ausdrücklich so sehr auch die Koalitionsfreiheit geschützt werden müsse, um wendiger sei es, allen Auswüchsen der Koalitionsfreiheit mi druck entgegenzutreten. Er hat dann hingewiesen auf die verse Mittel, die vorgeschlagen seien, um diesen Auswüchsen entgegene Er sprach von der Haftbarmachung der Koalitionen und d schärfung des Strafgesetzes und erklärte, daß die Kommission, Revision des Strafgesetzbuches eingesetzt sei, ihrerseits ein schärfung des Schutzes der Arbeiter für erforderlich erachte. I hat der Herr Reichskanzler eine solche Verschärfung des Schuk Selbstverständlichkeit genannt. Der Reichskanzler hat 2 gründung darauf hingewiesen, daß, als das Strafgesetzbuch wurde, man lediglich einen Schutz habe geben wollen gegen auf die persönliche Freiheit des Individuums durch ein dritt dividuum. Man habe damals noch nicht denken können an griffe, die auf die Macht der Koalition gestützt werden. „Wen⸗ so sagte der Herr Reichskanzler wörtlich, „die tatsächliche Entwicht uns gezeigt hat, daß die Angriffe auf die Freiheit jetzt in Form als früher und von anderen Subjekten aus, von den Koalitun ausgeübt werden, so muß die Gesetzgebung diesem Gange d sächlichen Entwicklung folgen; das halte ich für eine selbstverste Notwendigkeit.“ Schließlich hat der Herr Reichskanzler ausdrick betont, daß er mit dem Abgeordneten Graf von Westarp dum darin übereinstimme, daß in dieser unser Volksleben so tirft rührenden Frage die Regierung die führende Rolle zu spielen batth daß sie dem Reichstage eine Aktion vorschlägt, sobald sie glaubt th die Vorbedingungen hierfür gegeben sind. Er fügte hinzu, de Enquete aufgemacht werden sollte, um die Erfahrungen, die kat und in den anderen Ländern auf diesem Gebiete gesammelt se prüfen, und er hat geschlossen, diese Enquete sollte nicht, wie der N Vorredner meinte, als Material zur Kenntnis dienen, sonder

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(Fortsetzung aus der Ersten Beilage.)

Plage für die weitere Behandlung dieser wichtigen Frage. In sen Ausführungen sehe ich durchaus nicht, wie der Herr Vor⸗ ine Ablehnung, einen verstärkten Schutz nötigenfalls auch im

ver Gesetzgebung herbeizuführen.

im gleichen Sinne hat sich auch der Staatssekretär des Innern is geäußert, und ich glaube mit Recht erklären zu sollen, daß der

Purf, den der Herr Vorredner auch diesem Herrn gemacht hat, ungerechtfertigt ist. Sie dürfen das volle Zutrauen haben, daß je Reichsregierung ganz durchdrungen ist von ihrer Pflicht, den sur Sprache gebrachten erheblichen Uebelständen energisch ent⸗ utreten, soweit die Gesetzgebung ihr die Mittel an die Hand ud wenn es nötig ist, auch den gesetzlichen Schutz zu verstärken.

ett Dr. von Studt: Die Anzeichen des sittlichen Verfalls, f im Anmarsch begriffen ist, haben si beifellos im Anmarsch begriffen ist, haben Ses seeget und pefürchtungen, die ich früher ausgesprochen habe, sind weit über ien übertroffen worden. Ich führe nur die Tatsache an, daß raangenen Donnerstag ein Rekord von 800 000 an Einsätzen gem Wettrennen erzielt worden ist, an demselben Tage, an nwei Familientragödien, vier Selbstmorde und verschiedene Ein⸗ in Berlin konstatiert worden sind. Der unheilvolle Einfluß eipenlebens übt von neuem seine unheilvollen Wirkungen Hagegen müssen gesetzliche Maßnahmen ergriffen werden. Das etenhaus hat in einem Antrag die Regierung ersucht, mit Mitteln, für die Hebung der Sittlichkeit einzutreten. Der Minister des Innern hat eine entgegenkommende Erklärung ”. Leider hat aber der Reichstag die Novelle zur Gewerbe⸗ in der die Frage der Polizeistunden u. a. geregelt werden nicht verabschiedet. Ich hoffe, daß der jetzige Minister des ndiese Versprechungen seines Amtsvorgängers mit allem Nach⸗ erfüllt. Es ist ein unerträglicher Zustand, daß gerade in der ttadt dieser sogenannte Fremdenverkehr meist sind es aller⸗ Finheimische zweifelhaftesten Charakters besonders gefördert Mit Genugtuung wird konstatiert, daß infolge der Verlänge⸗ bes Nachtbetriebes auch die Fahrpläne der Eisenbahnen und Lnbahnen eine Erweiterung erfahren. Also auch das Personal Betriebe wird in Mitleidenschaft gezogen. Das Anbieten ncvolvern veralteten Kalibers in den Schaufenstern der Waffen⸗ r zu lächerlich billigen Preisen verführt die heranwachsende und die sogenannten Revolverattentate nehmen zu. Der auch von Fremdwörtern beweist eine nationale Entartung und daß es den Lokalinhabern nur darauf ankommt, im Interesse Geschaftes die Menschen um jeden Preis hereinzulocken. Ich jederholt die Befürchtung ausgesprochen, daß alle die Stadien rwägung, in denen sich diese Fragen befinden, sich zu einer lange sehr nachteiligen Charakters entwigeln. Bis jetzt ist Pefurchtung nicht widerlegt worden. Deswegen richte ich an kinster des Innern die dringende Bitte, gerade dieses wichtige welches der Ausganspunkt von so vielen beklagenswerten Er⸗ gen in unserem öffentlichen Leben ist, mit der nötigen Energie griff zu nehmen. 1 Ir Dr. Oehler⸗Düsseldorf: Die Ausführungen des Herrn nttkamer waren von warmem patriotischen Geiste seführungen waren zum Teil so scharf und so schroff, daß sie azu dienen können, die bürgerlichen Parteien zu ammenzuführen. dauere, daß diese scharfen Aeußerungen gefallen sind. Das ssenanlegungsgesetz legt den Sparkassen die Verpflichtung auf, tgehendem ihre Bestände in Staatspapieren anzu⸗ Angesichts der Kursverluste dieser Papiere ist die Bestim⸗ fehr drückend, daß Kursverluste von den Zinsüberschüssen gedeckt müssen, solange der Reservefonds nicht 5 % beträgt. Bei parkassen betrugen 1911 bis 1913 die Kursverluste über Rillionen, die Gewinnüberschüsse 30 Millionen Mark. 90 *% berschüsse sind also durch die Verluste aufgezehrt worden. nuß den Sparkassen gestatten, daß die Zinsen des Reserve⸗ benso wie die Ueberschüsse nur zur Hälfte dem Reservefonds sit werden müssen. Der Reservefonds braucht bei städtischen issen gar nicht übermäßig hoch zu sein; denn was für Verluste [denn da entstehen? Es kann sich höchstens einmal um einige 98 Mark handeln. Im Falle eines Krieges oder einer n Krise macht diese Differenz im Reservefonds gar keinen bied. Anderseits werden die Gemeinden dadurch, daß sie diese en nicht anders verwenden können, noch mehr als ohnedies zu Anleihen gedrängt. finister des Innern von Loebell eine Herren! Die Bestimmungen, gegen die sich der Herr er gewandt hat, sind einmal, daß alle Kursverluste aus den ssenüberschüssen, nicht aus dem Reservefonds gedeckt nd zweitens, daß die Zinsen des Reservefonds diesem, nich berschüssen zugeführt werden sollen. Ich verstehe voll⸗ ‚daß der Herr Vorredner im Interesse der Spar⸗ wünscht, nach Möglichkeit den Garantieverbänden, die Sicherheit der Sparkasse zu haften haben, auch mög⸗ bobe Ueberschüsse zuzuwenden. Ich erlaube 18n daß die Praxis, wie sie jetzt besteht, schon eine er dem früheren Zustande in sich schließt, der auf n8 88 8 s Sparkassenreglements berubte. Früher ist Feses 8- estgehalten worden, daß alle Kursverluste ohne Rücksich . he des Reservefonds aus den Ueberschüssen gedeckt vefobht benso, daß die Zinsen des Reservefonds diesem, voll G Infolge einer starken und wiederholten . rkassenverwaltungen ist dann Anfang dieses Jahrhun 8 gn ung nachgegeben worden, soweit der Reservefonds 1. 96 8es Diese Milderung steht hierin möchte ich dem Henn 8 8 bidersprechen eigentlich in Widerspruch mit dem Wort 6 glements. Diese Lizenz ist aber geübt worden, 88 den 1“ ntgegenzukommen. Es handelt sich nicht um neue dam die schon bestehenden sind aus Anlaß des Anlegungsgesetzes sung gebracht worden. Die Bestimmungen waren bei nn 11. 30. 8 8 8 8 865 ste a. ttritt erlassen. Aber ich will gern in Aussicht manut geprüft werden, und daß Entgegenkommen ges 8 u“ möglich sein sollte. Ich muß aber betonen, daß me See- erem Entgegenkommen die Möglichkeit nicht vellenz Herr von Studt hat die Mißstäͤnde beklagt⸗ bütin völlig des Waffenhandels bestehen. Ich stimme ihm in Aussicht halte mit i inen Wandel für nötig. Es ist in Aus⸗ halte mit ihm einen Wandel f sich empfiehlt. apen, diese Frage reichsgesetzlich zu regeln, was sio

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Berlin, Freitag, den 29. Mai

Eine außerordentlich wichtige und ernste Frage hat dann Herr von Studt berührt hinsichtlich der Animierkneipen. Ich stimme ihm darin bei,, daß hier noch viel zu tun ist und unbedingt weitere Ab⸗ hilfe geschaffen werden muß. Ich möchte nur darauf hinweisen, daß auch mein Herr Amtsvorgänger bei Gelegenheit des auch von Seiner Erzellenz erwähnten Antrags von Schenck im Abgeordnetenhause sich vollkommen auf den Standpunkt gestellt hat, daß Abhilfe notwendig sei. Sie wird notwendig sein hinsichtlich der Beschränkung der Polizeistunde und der Verminderung der Ausnahmen von der Polizei⸗ stunde. Gerade in diesen Tagen ist von mir bereits an den Polizei⸗ präsidenten die Weisung ergangen, nochmals zu prüfen, ob nicht hier weitere Einschränkungen herbeigeführt werden können. Ich hoffe bestimmt, daß diezß erzielt werden kann. Wegen der Zahl der Animierkneipen möchte ich bemerken, daß nach der letzten Statistik keine Verschlechterung, sondern eine erhebliche Verminderung sich gezeigt hat. Es bleibt aber trotzdem noch viel zu tun. Es war ja eine Novelle zur Gewerbeordnung im Reichstag eingebracht worden, welche dreierlei bewzeckte, erstens, die obligatorische Einführung des Be⸗ dürfniszwanges auch bei Wirtschaften mit Bier und Wein, dem jetzt in den großen Städten nur die Branntweinwirtschaften unterliegen; ferner eine Abänderung des § 41 der Gewerbeordnung, wonach den Arbeitgebern in Zukunft bei Annahme weiblichen Personals Be⸗ schränkungen auferlegt werden können, und endlich die Ermächtigung der Landeszentralbehörden, Anordnungen über Entlohnung und Be⸗ schäftigung weiblicher Arbeiter im Interesse der Sittlichkeit und der Gesundheit zu treffen. Die Beratung der Novelle ist nicht zu Ende geführt, und ihre Erledigung durch die Schließung des Reichstags abgeschnitten worden. Sie wird aber zweifellos dem Reichstag wieder vorgelegt werden. Ich hoffe, daß durch ihre Annahme auch eine Ein⸗ schränkung der auch von mir beklagten Mißstände auf diesem Gebiete eintreten wird.

Graf zu Rantzau: Ich habe bereits bei der Beratung des Sparkassengesetzes auf die Möglichkeit hingewiesen, daß die Spar⸗ kassen durch dieses Gesetz in ihrer finanziellen Ellenbogenfreiheit in⸗ sofern beschränkt werden würden, als sie Ueberschüsse nicht für ge⸗ meinnützige und Wohltätigkeitszwecke verwenden können. Meine Be⸗ fürchtungen sind in bezug auf Schleswig⸗Holstein in vollem Umfange eingetreten. Es gibt eine kleine Stadt von 5000 Einwohnern in Schleswig Holstein deren Reingewinn von etwa 51 000 infolge der Bestimmungen dieses Gesetzes auf wenige tausend Mark absorbiert worden ist. Ich möchte den Minister wiederholt bitten, in eine ein⸗ gehende und wohlwollende Prüfung darüber einzutreten, ob hier nicht eine Milderung eintreten könnte.

Graf von Hutten⸗Czapski: Eine lange Reihe von Jahren hindurch hat sich der Reichstag mit Petitionen von Impf⸗

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anzeiger.

Ministerialdirektor Dr. Kirchner: Der Streit darüber ist allerdings von weittragender Bedeutung, um so mehr, als auch in jüngster Zeit in der eu.eg. Presse die Medizinalverwaltung in sehr scharfer Weise angegriffen worden ist. Es ist behauptet worden, daß die Medizinalbehörden sich in dieser Frage untatig verhielten. Es ist bekannt, daß der hervorragende Arzt Professor Ehrlich in a. M. seit einer Reihe von Jahren sich darauf geworfen hat, spezifische Heilmittel zu finden. Er ist einer der hervorragendsten Chemiker, obwohl er in erster Linie Arzt ist, und hat versucht, ein chemisches Mittel zu finden, welches die Erreger der Krankheit ab⸗ tötet. Seinen ersten Versuch hat er gemacht mit der sogenannten Schlafkrankheit, welche in Afrika eine so große Ausdehnung ge⸗ wonnen hat. Dann hat er sich mit einer Krankheit beschaftigt, welche leider bei uns und in der ganzen Welt so außerordentlich ver⸗ breitet ist, der Syphilis. Wir wissen, daß die Syphilis erzeugt wird durch ein kleines, winziges Tier (Spirochaete pallida). Nun ist im Reagenzglas der Nachweis geführt worden, daß es möglich ist, dieses kleine Tier durch ein bestimmtes Mittel abzutöten. Ehrlich hat nun, nachdem er das 606. Präparat hergestellt hatte, dieses Mittel, welches geeignet ist, den Erzeuger der Syphilis abzutöten, gefunden. Dieses Mittel ist das sogenannte Salvarsan. Ehrlich hat nun mit Hilfe einer Reihe hervorragender Aerzte dieses Mittel auch bei Menschen geprüft, und es hat sich herausgestellt, daß dieses Mittel eine ganz außerordentliche Wirksamkeit gegenüber der Syphilis be⸗ sitzt. Er war der Ansicht, man könnte den Versuch machen, mit einem einzigen Schlage diese Unmasse von Bakterien, die sich in dem Körper des mit Syphilis Behafteten befinden, zu töten. Es hat sich aber herausgestellt, daß dies nicht möglich ist, weil durch diesen kolossalen Stoß, mit dem der Krankheit näher getreten wird, der Körper Schaden erleidet. Er hat dann die große Dosis durch eine kleinere ersetzt. Wir haben Tausende und aber Tausende von Fällen, in denen das Salvarsan angewandt worden ist. Es hat sich heraus⸗ gestellt, daß dieses Mittel allein nicht immer unfehlbar ist, sondern daß es zweckmäßig ist, es mit Quecksilber zu kombinieren. Auch die Medizinalverwaltung hat diese ganze Angelegenheit mit der größten Aufmerksamkeit Berfolgt. Wir haben besonders die Ueberzeugung gewonnen, daß die so häufig vorkommende Tabes und Paralyse mit Sicherheit verhindert werden können, wenn dieses Mittel recht⸗ zeitig angewandt wird. Es hat sich allerdings herausgestellt daß in einzelnen Fällen dieses Mittel tödlich gewirkt hat, und das ist eine Ursache dafür, daß sich in so weiten Kreisen unseres Volkes eine gewisse Beunruhigung über diese Sache ergeben hat. Man hat die Medizinalverwaltung ersucht, eine Maximal⸗ dosis einzuführen. Die Medizinalverwaltung hat aber nicht die Aufgabe, in den Gang der Wissenschaft einzugreifen. Sie hat nur die Aufgabe zu lösen, daß Schädigungen vermieden werden, und sie muß im übrigen der Wissenschaft ihren Lauf lassen. Das Reichsamt des Innern und der Kultusminister haben von den Stellen, wo das Mittel angewandt worden ist, Berichte eingefordert, und diese werden geprüft werden. Die Nachricht, daß in Frankfurt am Main die Prostituierten wider ihren Willen mit Salvarsan behandelt wurden, und daß dadurch 15 Todesfälle erzeugt worden sind, entbehrt jeder tatsächlichen Unterlage. Ich bin dort gewesen und habe festgestellt, daß seit Beginn der Salvarsanbehandlung im Jahre 1910 im Krankenhaus zu Frankfurt 10 000 Menschen mit Salvarsan be⸗

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gegnern beschäftigt. ährend er nun früher über diese Petitionen zur Tagesordnung übergegangen war, hat er jetzt einen Teil von ihnen der Reichsregierung zur Erwägung und eine davon, die sich auf die Ein⸗ setzung einer Kommission zur Prüfung der Impffrage bezog, zur Berücksichtigung überwiesen. Diese unerwartete Entscheidung hat bei den Impfgegnern große Freude hervorgerufen, gleichzeitig aber auch eine große Beunruhigung bei allen denen, die in der Aufrechterhaltung des Impfgesetzes die einzige Garantie gegen die verheerende Pocken⸗ seuche erblicken. Ich frage die Regierung, wie sie sich zu diesem Be⸗ schlusse stellt, und möchte sie bitten, jede Aenderung des Gesetzes, ins⸗ besondere die Einführung der sogenannten Gewissensklausel abzu⸗ lehnen. Mit den Versuchen zur Bekämpfung der Körnerkrankheit sind gute Erfahrungen gemacht worden. Diese Versuche müssen systema⸗ tisch auch auf diejenigen Teile von Westpreußen und Posen ausge⸗ dehnt werden, die von dieser Krankheit befallen sind. Ministerialdirektor Dr. Kirchner: In der Tat ist eine Petition der Impfgegner in den letzten Tagen der Reichstagssitzungen der Regierung teils zur Berucksichtigung, teils zur Erwägung über⸗ wiesen worden. Seitens der Impfgegner wird jetzt mit Energie ver⸗ langt, jetzt endlich Deutschland von dem Impfgesetze zu befreien. In einer internationalen Impfgegnerkonferenz in Rom ist beschlossen worden, den Deutschen Kaiser telegraphisch zu ersuchen, dem Impf⸗ moloch ein Ende zu bereiten. Durch die Erfindung der Pockenimpfung ist die Pockenepidemie fast vollständig geschwunden. Wollte man den Ratschlaͤgen der Impfgegner folgen und es dem einzelnen überlassen, ob er sein Kind impfen lassen will, dann würden wir Verhältnisse schaffen, wie sie jetzt in Frankreich sind. Die Gewissensklausel hat in Australien ein großes Fiasko erlebt. Wir haben deshalb alle Ver⸗ anlassung, an unserem jetzigen Impfzwang festzuhalten. Zudem ge⸗ schieht alles, um den Ferhzffteff so herzustellen, daß jede Schädigung für die Gesundheit vermieden wird. Für die Bekämpfung der Granu⸗ lose sind große Mittel zur Verfügung gestellt. Wir hoffen, daß wir in nächster Zeit in Posen und Westpreußen dieselben Erfolge in der Bekämpfung wie in Ostpreußen erzielen. Graf von Seidlitz⸗Sandreczki: Während wir früher eine Menge homöopathischer Aerzte hatten, die nicht wissenschaftlich ausgebildet waren, haben wir jetzt in Deutschland eine große Zahl, die denselben Studiengang wie ihre Kollegen von der anderen Fakul⸗ tät durchgemacht haben. Während allopathische Krankenhäuser zuge⸗ lassen werden zur Ausbildung der Kandidaten der Medizin, ist es bei dem homöopathischen Krankenhaus in Lichterfelde zweifelhaft. Ich weiß nicht, ob bereits junge Mediziner den Antrag gestellt haben, ihr praktisches Lehrjahr dort zu erledigen. Mir ist jedoch gesagt worden, daß, wenn sie es täten, es nicht genehmigt würde. Auf jeden Fall würden sie in ihrem späteren Fortkommen Nachteile haben. Es muß dafür gesorgt werden, daß jeder, der homöopathisch behandelt zu werden verlangt, dazu auch die Möglichkeit hat. Ich habe zu dem neuen Minister das Vertrauen, daß er alles tut, um der Homöopathie gegenüber paritätisch zu verfahren. 8 Ministerialdirektor Dr. Kirchner: Die homöopathischen Aerzte werden nicht stiefmütterlich behandelt. Allen Studierenden der Medizin wird Gelegenheit gegeben, sich über die Grundlagen der Homöopathie zu unterrichten. So habe ich selbst seinerzeit die Bücher von Hahnemann studiert. Die homöopathischen Aerzte haben zudem den Vorteil, sich die Medizin anfertigen zu können. Auf jeder Be⸗ förderungsliste sind zudem homöopathische Aerzte zu finden, die zu Sanitätsräten befördert werden. Graf von Seidlitz⸗Sandreczki: Ich wäre dankbar, wenn ich Auskunft darüber erhielte, ob die jungen Mediziner in Groß Lichterfelde regelrecht ihren Kursus durchmachen könnten. Viele Gegner der Homöopathie kennen diese nicht. Herr Dr. Küster⸗Marburg: Vor einiger Zeit sind durch die Presse Artikel gegangen, die sehr scharfe Angriffe gegen Professor Fhrlich, den Erfinder des Salvarsans, enthielten. Es ist nicht zu billigen, wenn in dieser Weise eine wissenschaftliche Frage, die noch in der Schwebe ist, bereits in die allgemeine Erörterung gezogen wird. Es würde sehr zur Beruhigung der öffentlichen Meinung dienen, wenn

handelt worden sind. Unter diesen 10 000 Menschen befanden sich 1200 Prostituierte. Von diesen 10 000 Menschen ist niemand er blindet, niemand taub geworden, sondern es haben nur 6 Mens vorübergehende Lähmungen erhalten. Von den 1200 Prostituierten sind 3 gestorben. Jene 15 Todesfälle sind nicht passiert, die Sache ist aufgebauscht worden von einer sehr zweifelhaften Stelle. Diese Nachricht ist von einer sogenannten Revolverpresse hervorgebracht worden. Kein vernünftiger Mensch kann diese Ansicht teilen. Auch ist nicht richtig, daß die Prostituierten gegen ihren Willen mit Salvarsan behandelt worden sind. Wir haben in Berlin einen jungen Arzt, Dr. Dreuw, welcher seine Verdienste auf dem Gebiete der Bekämpfung der Prostitution hat. Er ist deswegen als Sitten arzt beim Polizeipräsidium angestellt worden und hat seinen Dienst immer zur Zufriedenheit erfüllt. Er gehört zu denjenigen, die vom Salvarsan nichts halten. Das ist eine private Ansicht, und daraus wird ihm die Behörde auch keinen Vorwurf machen. Wenn er aber aufhetzende Artikel in die Presse einsetzt, welche Beleidigungen de Polizeipräsidiums enthalten, so war es nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, daß diesem Arzt sofort gekündigt wurde, und das Polizei⸗ präsidium hat auch diese Pflicht erfüllt. Wohin sollte das führen, wenn im preußischen Staate ein jeder macht, was er will. Wenn ein Sittenarzt in der Oeffentlichkeit den Polizeipräsidenten angreift, so verdient er, daß er sofort aus dieser Stellung entlassen wird. Die vielfach verbreitete Ansicht, daß er wegen seiner wisser schaftlichen Ansicht entlassen worden ist, ist vollkommen unrichtig.

D. Graf von Zieten⸗Schwerin: Ich spreche meinen Dank für die Worte, die vom Regierungstisch über die Behandlung der Homöo⸗ pathie gesagt worden sind, aus. Ich bedauere auf das lebhafteste, daß wir an der Universitat noch keinen Lehrstuhl für die Homöbopathie haben. Ich selbst habe mit der Homöopathie die allerbesten Er fahrungen gemacht. Es ist ein große⸗ Verdienst, daß man den Homöo pathen die Dispensierbefugnis gelassen hat; es ist eine starke Stroö mung, sie ihnen zu nehmen. Wir haben allerdings eine größere Zah von Apotheken in Berlin, die beides haben; aber es ist nie eine Sicher⸗ heit dafür geboten, daß bei diesen sensiblen Mitteln, die die Hombo pathen brauchen, nicht Versehen vorkommen, die die Wirkung der homöopathischen Mittel ausschließen.

Nachdem noch der Etat des Kriegsmini steriums ohne Debatte erledigt ist, wird um 534 Uhr die Fortsetzung der Etatsberatung auf Freitag, 11 Uhr, vertagt

Statistik und Volkswirtschaft.

Zur Arbeiterbewegung.

Die gestrige Abstimmung der Londoner Bauarbeiter ergak wie „W. T. B.“ meldet, 21 017 Stimmen gegen und 5824 Stimmen für die Beilegung des Ausstands. Dieser, der bereits 18 Wochen andauert und großes Elend in die Arbeiterfamilien gebracht hat, wird also fortdauern. 1

Handel und Gewerbe.

Wagengestellung für Kohle, Koks und Briketts am 28. Mai 1914. Ruhrrevier Oberschlesisches Revier Anzahl der Wag 31 786 Nicht gestellt

. In der gestrigen Beiratssitzung des fälischen Kohlensyndikats wurden laut „W. T. B.“ die Umlagen für das zweite Vierteljahr für Kohlen 7 % (wie bisher), für Koks auf 7 % (bisher 3 %) und für Briketts

der Minister die Güte hätte, die Stellung der Medizinalabteilung,

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ie sie zu dieser Angelegenheit einnimmt, einigermaßen zu präzisieren.

7 auf 8 % (bisher 5 %) eeeseßr Ferner setzte die Versammlun die Beteiligungsanteile im Juni für Kohlen auf 87 ½ % (bisher 82 ½ %0