8 8
Nachdem das Haus am Abend wieder zusammengetreten war, ergriff der Staatssekretär Grey das Wort und sagte, er wolle dem Hause eine Mitteilung machen, die er inzwischen erhalten habe.
Die belgische Gesandtschaft in London sei benachrichtigt worden, daß Deutschland am⸗Montag abend Belgien eine Note gesandt
die Belgien freundliche Neutralität mit freiem Durchmarsch
er Truppen durch belgt bes Gebiet vorgeschlagen und die Er⸗
g der Unabhängigkeit bei Friedens schluß versprochen hätte. Belgien habe erwidert, daß ein Angriff auf seine Neutralität eine Verletzung des Völkerrechts sein würde. Die Annahme des deutschen
chlags bedeute das Opfer der Ehre. Belgien sei entschlossen,
Pflicht bewußt, einem Angriff mit allen mö lichen Mitteln zu begegnen. Grey fügte hinzu, die Regierung ziehe die empfangene Iisenatbon in ernstliche Erwägung; er mache keine weitere Be⸗
8 Frankreich. 8
Der deutsche Botschafter Freiherr von Schoen hat, wie
.T. B.“ meldet, vorgestern abend mit dem Personal der Botschaft, dem deutschen Konsulat und den Mitgliedern der bayerischen Gesandtschaft Paris verlassen und den Bot⸗ chafter der Vereinigten Staaten gebeten, die Sorge für die Interessen der Deutschen in Frankreich zu übernehmen.
Die französische Regierung hat den Botschafter Cambon angewiesen, Berlin zu verlassen und das Archiv der Botschaft und den Schutz der französischen Interessen dem amerikanischen Botschafter anzuvertrauen.
Die gestrige Sitzung der D eputiertenkammer wurde vom Präsidenten Deschanel pünktlich um 3 Uhr eröffnet. Der russische Botschafter Iswolsky wohnte der Sitzung auf der Diplomaten⸗ tribüne bei. Nachdem Deschanel Jaurès einen Nachruf gewidmet hatte, der unter allgemeiner Aufmerksamkeit und begeistertem Beifall angehört wurde, gab er dem Minister des Aeußern Viviani das Wort, der eine Botschaft des Prä⸗ sidenten verlas, die die Kammer stehend und unter häufigen Beifallrufen anhörte. Das Publikum stimmte in den Beifall der Deputierten mit ein. Viviani erstattete darauf ein diplomatisches Exposé über die Lage. Lauter Beifall er⸗ tönte, als der Redner der Haltung Belgiens huldigte. Mit Begeisterung nahm die Versammlung die Mitteilung über die französische und die russische Mobilisation sowie die An⸗ kündigung von der englischen Mobilisation auf. Viviani ver⸗ las darauf unter größter Aufmerksamkeit des Hauses die diplomatischen Dokumente, die Frankreich und England ver⸗ binden. um Schluß erklärte der Redner inmitten un⸗ beschreiblicher Ovationen: Wir sind ohne Vorwurf und ohne Furcht. Minister Noulens zählte darauf die Gesetzesvorlagen auf, deren Annahme die Regierung wünsche, namentlich die⸗ jenige, betreffend die Zulassung von Elsaß⸗Lothringern in die französische Armee. Sämtliche Gesetzesvorlagen wurden ange⸗ nommen. Der Präsident verlas ein von der serbischen Skupschtina übersandtes Sympathietelegramm und seine Ant⸗ wort darauf, in der er der tapferen serbischen Nation den
Gruß Frankreichs ausgesprochen habe. Darauf wurde die Sitzung aufgehoben. 1 Italien.
Eine gestern veröffentlichte Erklärung des rats besagt der „Agenzia Stefani“ zufolge: Da einige Mächte Europas sich im Kriegezustand befinden, Italien aber im Zustande des Friedens mit allen Kriegführenden sei, seien die Regierung sowohl wie die Bürger und die ÜUntertanen des Königs verpflichtet, die Pflichten der Neutralität zu beobachten. Die „Agenzia Stefani“ kündigt die Einberufung der rsten Kategorie der Jahrgänge 1889 und 1890 der Armee für den 8. August und der Jahrgänge 1889 und 1890 der Mannschaften der Kö niglichen Marine an. Außer⸗ dem werden unter die Fahnen gerufen sieben Jahrgänge Unteroffiziere, und zwar Maschinisten, Heizer, Steuerleute und Elektriker der Marine sowie das ganze kriegsdienstpflichtige Signalpersonal.
Ferner werden folgende Dekrete veröffentlicht:
Erstens werden die Sparkassen außer den Postsparkassen und die Banken, mit Ausschluß der Emissionsbanken, ermächtigt, vom 4. bis zum 20. August Rückzahlungen auf Guthaben in laufender Rechnung, welche in dem angegebenen Zeitraum zurückgefordert werden können,
Guthabens zu beschränken, jedoch müssen sie bis zu 50 Lire auszahlen. ggweitens wird die Fälligkeit von Wechseln, welche innerhalb des Königreichs vom 1. bis zum 20. August fällig werden, um 20 Tage hinausgerückt.
Drittens wird der Maximalbetrag des Notenumlaufes der Emissionsbanken um ein Drittel des bisherigen Betrages erhöht.
Schweiz. Bun hat zum Chef des Generalstabes der schweizerischen Armee den Oberstkorpskommandanten Sprecher von Bernegg, bisher Chef der Generalstabs⸗ abteilung des schweizerischen Militärdepartements, ernannt. 8
„W
Minister⸗
Der Bundesrat
Dänemark.
Da Krieg ausgebrochen ist zwischen Deutschland und Rußland sowie zwischen Deutschland und Frankreich, hat die ö Regierung, wie „W. T. B.“ meldet, beschlossen, absolute Neutralilät während dieser Kriege zu be⸗ obachten.
Schweden.
Die Regierung hat nach einer Meldung des „W. T. B.“ Schwedens absolute Neutralität während der geger wärtigen Kriege zwischen fremden Mächten erklärt
Norwegen. Die Regierung hat laut Meldung des „W. T. B.“ ein Dekret erlassen, welches die A usfuhr von Korn und Mehl⸗ waren, Kartoffeln, Kohlen, Koks und mineralischen Oelen ver⸗
bietet Türkei.
Die Regierung teilt offiziell mit, daß sie, um die Neutra⸗ lität der Türkei streng wahren zu können, die Meerengen der Dardanellen und den Bosporus für fremde Schiffe geschlossen hat.
— Wie „W. T. B.“ meldet, ist durch ein Dekret vom gestrigen Tage für die Türkei ein Moratorium für die Dauer eines Monats angeordnet worden.
Rumänien. “
In einem unter dem Vorsitze des Königs in Sinaia ab⸗ gehaltenen Ministerrate, dem auch der Thronfolger, der Präsident der Abgeordnetenkammer, der frühere Minister⸗ präsident Majorescu, mehrere ehemalige Minister und einige Vertreter der Regierungspartei beiwohnten, wurde die von
Rumänien unter den gegenwärtigen Umständen zu beobachtende Haltung einer Prüfung unterzogen. Der „Agence Roumaine“ zufolge beschloß der Ministerrat fast einstimmig, daß Rumänien alle Maßregeln zur Verteidigung seiner Grenzen ergreifen solle. 8 Amerika.
Der Präsident Wilson hat die Neutralitätserklä⸗
rung der Vereinigten Staaten von Amerika er⸗
lassen.
Der Präsident des Deutsch⸗Amerikanischen Nationalbundes erklärt, wie „W. T. B.“ aus Washington gemeldet wird, in einem Aufrufe: „In dieser schweren Zeit Deutschlands ist es Pflicht, daß wir Deutsch⸗Amerikaner fest und treu zusammenstehen. Die Exekutive des National⸗ bundes ist auf der Wacht für die besten Interessen des Deutschtums, für die beste Art und Weise der Bewahrung des deutschen Namens gegen die Gehässigkeit und Unwissenheit einer Minderheit in unserem eigenen Lande.“ Der Aufruf regt an, überall Sammlungen zu veranstalten.
Das Rote Kreuz hat beschlossen, seine Dienste allen krieg⸗ führenden Nationen anzubieten.
Kriegsnachrichten.
Königsberg, 4. August. (W. T. B.) Bei Lengwethen wurden acht Mann einer russischen Ulanenpatrouille von unserem Landsturm gefangen genommen.
Königsber g., 4. August. (W. T. B.) Deutsche Truppen haben Kibarty gestürmt. Die Russen gingen unter Zurück⸗ lassung von Gefangenen nach Osten zurück. Die eigenen Verluste sind gering.
Berlin, 5. August. (W. T. B.) Kurz nachdem bei Sold au be⸗
findliche Truppen heute morgen angetreten waren, umsstarke russische Kavallerie zurückzuwerfen, erfolgte der Angriff einer russischen Kavalleriebrigade. Unter dem Feuer der deutschen Truppen brach der russische Kavallerieangriff unter schwersten Verlusten zusammen. — Gestern nachmittag griff deutsche Kavallerie das von Russen besetzte Kibarty an, — an der Bahn gelegener russischer Grenzort östlich Stallupönen. Die Besatzung von Kibarty verließ fluchtartig den Ort, der besetzt wurde. Eine in der Nähe befindliche russische Kavalleriedivision sah dem Kampf untätig zu. Der feindliche Grenzschutz ist hiermit durchbrochen, was für unsere Aufklärung von größter Wichtigkeit ist.
Berlin, 5. August. (W. T. B.) Die im Mittel⸗ meere befindlichen deutschen Kriegsschiffe sind gestern an der Küste von Algier erschienen und haben einzelne befestigte Plätze, die Einschiffungsorte für die französischen Truppen⸗
transporte sind, zerstört. Das Feuer wurde erwidert.
Statistik und Volkswirtschaft.
Bra ntweinproduktion, „besteuerung und „verbrauch im deutschen hb14“ im Betriebsjahre
Nach der vom Kaiserlichen Statistischen Amt veröffentlichten Statistik über die Branntweinbrennerei und ‚besteuerung im deutschen Branntweinsteuergebiet wurden im Betriebsjahre 1912/13 insgesamt 3 753 265 hl Alkohol erzeugt und damit die vorjährige Erzeugung (3 456 347 hl) um 296 918 hl übertroffen. Von der Mehrerzeugung entfallen 264 918 hl auf landwirtschaftliche, 37 287 l auf gewerb⸗ liche, 520 hl auf Obstbrennereien; in den den Obstbrennereien gleich⸗ gestellten Brennereien wurden 5807 hl weniger erzeugt.
„ Die landwirtschaftlichen Kartoffelbrennereien erzeugten 2 985 108 hl.
Alkohol (1911/12: 2 479 696 hl), die landwirtschaftlichen Getreide⸗ brennereien 265 850 hl Alkohol (1911/12: 506 344 hl), die gewerb⸗ lichen Kartoffelbrennereten 22 134 hl Alkohol (1911/12: 18 922 hl), die gewerblichen Getreidebrennereien 309 784 hl Alkohol (1911/12: 288 458 hl), die Melassebrennereien 141 605 hl Alkohol (1911/12. 128 154 hl), die sonstigen gewerblichen Brennereien 298 hl Alkohol (1911/12: 1000 hl), die Obstbrennereien 7189 hl Alkohol (1911/12 6669 hl), die den Obstbrennereien gleichgestellten Brennereien 21 297 hl Alkobol (1911/12: 27 104 hl).
Die Verbrauchsabgabe ergab einen Reinertrag von 226 277 944 ℳ (1911/12: 202 967 903 ℳ); an Betriebsauflage wurden 11 078 882 ℳ mehr vergütet als vereinnahmt (1911/12: 2 408 894 ℳ Ueberschuß an Betriebsauflage). Die Uebergangsabgabe für Branntwein aus Luxem⸗ burg betrug 17 ℳ (1911/12: 13 ℳ).
Gegen Entrichtung der Verbrauchsabgabe wurden 1 857 299 hl Alkobol (1911/12: 1 922 409 hl) in den freien Verkehr gesetzt (ab⸗ züglich der gegen Vergütung der Verbrauchsabgabe ausgeführten Alkobolmengen), gegen Entrichtung des Zolles 13 901 hl Alkohol (1911,/12: 11 123 hl), zusammen 1 871 200 Nl Alkohol (= 2,8 1 auf den Kopf der Bevölkerung) gegen 1 933 532 hl (= 2„9 1 auf den Kopf) im Vorjahre.
Zur steuerfreien Verwendung wurden im ganzen 1 724 507 hl. Alkohol (= 2,0 1 auf den Kopf) abgelassen (1911/12: 1 573 839 hl = 2,4 1 auf den Kopf), davon 1 378 367 hl. nach vollständiger I 1 219 693 hl), 309 260 hl. nach unvollständiger Vergällung 1911/12: 324 777 hl) und 36 880 hl ohne Vergällung (1911/12: 29 369 hl).
Der Gesamtverbrauch von Branntwein — für Genuß⸗ und ge⸗ werbliche Zwecke — berechnet sich demnach für das Betriebsjahr 1912/13 auf 3 595 707 hl Alkohol (= 5,4 1 auf den Kopf) gegen 3 507 371 hl (= 5,3 1 auf den Kopf) im Jahre 1911/12. 8
Der Güterverkehr der deutschen im Jahre 1913.
Die kürzlich vom Kaiserlichen Statistischen Amt veröffentlichte Binnenschiffahrtsstatistik enthält auch vorläufige Angaben über den Güterverkehr der wichtigeren Häfen, der wichtigeren Schleusen und der Grenzdurchgangsstellen im Jahre 1913. Von den 135 Häfen, die nach den Bundegratsbestimmungen vom 25. zuni 1908 als wichtigere“ gelten, haben sich 129 an der Statistik beteiligt. Von diesen hatten
5 Häfen einen Gesamtverkehr von über 1 Million Tonnen. An erster Stelle steht Duisburg⸗Ruhrort mit 28 913 460 onnen, dann folgen in weitem Abstand Hamburg mit 12 632 618 t, Mannheim mit 5 520 670 t, Alsum mit Schwel⸗ gern mit 4 302 953 t, Stettin mit 4 240 635 t, Berlin mit 3 931 269 t und Kosel mit 3 698 247 t. 5 Häfen hatten einen Verfehr von 2 bis 3 Millionen und 13 einen solchen von 1 bis 2 Millionen Tonnen. — Der Schleusenverkehr ist für 58 wich⸗ tigere Schleusen nachgewiesen. Den größten Durchgangsgüterverkehr hatte die Brandenburger Vorstadtschleuse ( avel) mit 5 432 506 t, ihr folgen mit 3 bis 4 Millionen Tonnen die Neue Tiergartenschleuse bei Ohlau, die Breslauer Gröschelschleuse, die Rathenower Hauptschleuse, die Charlottenburger Schleuse, die Mühlendamm⸗ schleuse in Berlin, die Schleusen bei Wernsdorf, Fürstenberg a. O. Münster 1 und bei Herbrum. Der Verkehr, der arf Binnenwasserstraßen (einschließlich des Bodensees) die Grenzen des Deutschen Reichs ein⸗ und ausgehend überschritten hat, betrug 1913 45 102 908 t, wovon 25 092 187 t auf
Binnenhäfen
8
den Grenzeingang und 20 010 721 t auf den Grenzausgang entfielen.
Emmerich ist an dem gesamten Grenzverkehr allein mit 37461 530 t
beteiligt; dann folgen Schandau mit 3 316 517 t, Lagarde mit
1 262 689 t und Schmalleningken mit 1 150 363 t. 8 Mannigfaltiges.
Berlin, 5. August 1914.
Ihre Majestäten der Kaiser und die Kaiserin nahmen an dem Gottesdlienst im Dom teil. — Die angeordneten Gottes⸗ dienste sind überall außerordentlich stark Besucht gewesen, u. a. war an der Neuen Kirche ein so großer Andrang, daß der Gottesdienst im Freien auf dem Gendarmenmarkt abgehalten wurde. Der Prediger sprach von der Freitreppe des Schauspielhauses aus.
Lehrstellen im Nahrungsmittelgewerbe. Die Mobil⸗ machung hat den einzelnen Zweigen des Nahrungsmittelgewerbes, vor allem den Bäckerei⸗ und Fleischereibetrieben eine gewaltige Zahl von Arbeitskräften entzogen, die nur zum Teil aus der Zahl der Arbeitslosen werden ersetzt werden können. Es ist notwendig, den genannten Handwerten junge Arbeitskräfte, Lehrlinge, “ mit denen die Betriebsinhaber die Versorgung Berlins mit den wichtigsten Lebensmitteln, Brot und leisch, aufrecht erhalten können. Die Aussichten in diesen Berufen sind als durchaus günstig zu bezeichnen. In der Zentralstelle für Lehrstellenvermittlung in Berlin 80. 16, Am Köllnischen Park 9, sind gute Lehrstellen für Bäcker und Fleischer in großer Zahl ge⸗ meldet. Den Eltern, deren Söhne jetzt die Schule verlassen, werden dort täglich von 9 bis 3 und von 4 bis 7 Uhr gute, aussichtsreiche Lehrstellen in den genannten wie in allen Berufen kostenlos nach⸗ gewiesen. Bäcker⸗ und Fleischerlehrlinge erhalten bei den Lehrherren Kost und Wohnung, in vielen Fällen auch Kleidung.
In vielen gewerblichen und kaufmännischen Betrieben ist durch die allgemeine Mobilmachung eine weitgehende Personaleinschränkung eingetreten; zahlreiche wetbliche Arbeitskräfte sind beschäf⸗ tigungslos geworden. Der Zentralarbeitsnachweis der Stadt Berlin fordert alle diese Frauen und Mädchen auf, in dem Bureau der Zentralstelle für die Vermittlung von weiblichem Arbeitspersonal, Rückertstraße 9, zu melden. Das Bureau ist jetzt von 7 Uhr Morgens bis 6 Uhr Abends ununter⸗ brochen geöffnet; Gebühren werden vorläufig nicht erhoben. Es wird nicht möglich sein, alle Arbeitslosen sofort wieder in Stellen unter⸗ zubringen; dennoch ist es für die Beschäftigungslosen von großer Be⸗ deutung, sich schon jetzt vormerken zu lassen, damit sie sofort bei Ei gang von Stellenanmeldungen benachrichtigt werden können.
Doppelt bedeutungsvoll war in diesem Jahre die Feier, mit der die Köntgliche Friedrich Wilhelms⸗Universität am 3. August das Gedächtnis ihres Stifters, des Königs Friedrich Wil⸗ helm III. beging. Mittags um 12 Uhr versammelten sich in der alten Aula der Universität die Professoren und Studenten mit den Ehrengästen, unter denen sich, wie hiesige Blätter be⸗ richten, der Staatsminister Dr. von Studt, der Wirk⸗ liche Geheime Rat und Abteilungsdirektor im Ministerium der geist⸗ lichen und Unterrichtsangelegenheiten Dr. Naumann und der Wirkliche Geheime Oberregterungsrat Dr. Elster befanden. Der Akt vollzog sich zunächst in den üblichen Formen; feierlicher Chorgesang leitete ihn ein, worauf der Rektor, Geheimer Regierungsrat Professor Dr. Planck das Katheder betrat, um die Festrede über das Problem der Gesetzlichkeit in der Wissenschaft zu halten. Mit ruhiger Sachlichkeit erörterte der Redner zunächst das Ver⸗ halten zwischen dem dynamischen und dem statischen Prinzip der naturwissenschaftlichen Forschung, um zuletzt, vom Gegensatz der beiden Prinzipien ausg hend, in denen sich der Gegensatz von Makrokosmus und Mikrokosmus spiegele, auf den Auf⸗ stieg ins Allumfassende hinzuweisen, der aus dem wissenschaftlich Begrenzten emporwachse: die Gesetzlichkeit der Physik wachse hinüber in die ethische Welt, wo menschliche Freiheit und Selbstbestimmung zu ihr trete. Nachdem der Redner dann das Ergebnis der Preisbewerbung bekanntgegeben und die neuen Preis⸗ aufgaben für 1915 verlesen hatte, fuhr er etwa folgendermaßen fort: „Es wird so mancher der Kommilitonen diese Aufgaben nicht mehr bearbeiten, der jetzt hinaus muß, um mitzuhelfen, den feigen und niederträchtigen Ueberfall auf Deutschland abzu⸗ wehren. Viele haben bereits die Universität verlassen zu höherer Pflicht. Nach Erschöpfung beispielloser Langmut hat Deutschland das Schwert gezogen gegen die Brutstätten schleichender Hinterhältigkeit. Vor 100 Jahren stand an dieser Stelle August Boeckh und feierte den Sieg der Freiheitskrtege. Damals wurden Hardenberg und Blücher zu Ehrendoktoren promoviert. Heute gibt es kein freutdiges Erinnern, nur ein Vorwärts in die furchtbar eraste Wirklichkeit. Gott schütze den Kaiser und das heiß geliebte Vaterland! Brausender Beifall der Versammlung, die sich von den Sitzen erhoben hatte, folgte den Worten, und donnernd erklang das Hoch auf Seine Majestät den Kaiser und König, das der Staatsminister Dr. von Studt aus⸗ brachte Als letzter sproch der Dekan der juristischen Fakultät, Geheimer Justtzrat Professor Dr. Kahl eine Mahnung an die⸗ jenigen, die nicht mit den Waffen dienen können; ihr Arbeitsfeld sollte freiwillige Krankenpflege sein. Eine Annahmestelle für Mel⸗ dungen sei in der Universität eingerichtet. Mit dem begeisterten Gesang der Nationalhymne, die die Professoren Dr. von Wilamowitz⸗ Möllen dorff und Dr. Lasson im Hinausschreiten anstimmten, verließ darauf die Versammlung nach dieser erhebenden Stunde den Saal.
Der Hauptvorstand des Vaterländischen Frauen⸗ Vereins hat für die Zwecke der Kriegskrankenpflege nachstehende Betraͤge seinen Verbänden und Vereinen überwiesen: 10 000 ℳ zur Herstellung von Bett⸗ und Krankenwaͤsche für seine Vereins⸗ lazarette der Nähabteilung des Hauptvereins, 10 000 ℳ dem Ver⸗ band der Vaterländischen Frauen⸗Vereine der Provinz Branden burg für sein Vereinslazarett Auguste Viktoria⸗Krankenhaus Ebers walde, 10 000 ℳ dem Vaterländischen Frauen⸗Verein Charlotten) burg für sein Vereinslazarett im Cecilienhaus, 5000 ℳ dem Vor stande des Verbandes der Vaterländischen Frauen⸗Vereine in Elsaß Lothringen für die dortige Schwesternschaft vom Roten Kreuz un zur Helferinnenausbildung, 1000 ℳ dem Vaterländischen Fraue Verein Lublinitz zur Unterstützung seiner Kriegstätigkeit, 1000 ℳ d
erband der Vaterländischen Frauen⸗Vereine im Regierungsbez Cassel zur Helferinnenausbildung. b
Cöln, 5. August. (W. T. B.) Die „Kölnische eitung“ melt aus Cochem: Der Landrat gibt bekannt: Die Na richt, daß i Gastwirt Nicolai den Tunnel bei Cochem zu sprengen vi⸗ sucht habe und standrechtlich erschossen worden sei, ferner daß sue und Tochter nach der Karthause gebracht worden seien, ist re unden.
Freiburg i. Br., 4. August. (W. T. B.) ie erste Satm⸗ lung des hiesigen Ausschusses des Roten Kreuzes hat in wchen Tagen gegen 60 000 ℳ ergeben. “
(Fortsetzung des Nichtamtlichen in der Ersten Beilag! “
Verantwortlicher Redakteur: “ Direktor Dr. Tyrol in Charlottenburg. Verlag der Expedition (J. V.: Koye) in Berlin Druck der Norddeutschen Buchdruckerei und Verlags⸗? V Berlin SW., Wilhelmstraße Nr. 32.
Drei Beilagen.
5* EEII11“
deutschen Reichsa
Erste Beilage
nzeiger und Königlich Preußis
Berlin, Mittwoch,
en 5. August
Deutscher Reichstag. II. Session 1914. 1. Sitzung vom 4. August 1914, 3 Uhr Nachmittags. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)
„ Am Tische des Bundesrats sind erschienen der Reichs⸗ kanzler Dr. von Bethmann Ho llweg, die Staats⸗ minister, Staatssekretär des Innern Dr. Delbrück „Staats⸗ sekretär des Reichsmarineamts, Großadmiral von Tirpitz, Justizminister Dr. Beseler, Minister der öffentlichen Ar⸗ beiten von Breitenbach, Minister für Handel und Ge⸗ werbe Dr. Sydow, Minister der geistlichen und Unterrichts⸗ angelegenheiten Dr. von Trott zu Solz, Minister für Landwirtschaft, Domänen und Forsten Freiherr von Schor⸗ lemer, Finanzminister Dr. Len tze, Minister des Innern von Loebell, Staatssekretär des Reichsschatzamts Kühn und Staatssekretär des Auswärtigen Amts von Jagow, ferner der Staatssekretär des Reichspostamts Kraetke und der Staatssekretär des Reichsjustizamts Dr. Lisco.
Der Abg. Dr. Kaempf eröffnet die Sitzung mit fol⸗ genden Worten:
Nach § 1 der Geschäftsordnung habe ich als Präsident der letzten Session die jetzige Session zu eröffnen. Ich tue dies hiermit, übernehme den Vorsitz und berufe zu vorläufigen Schriftführern die Abgg. Fischer⸗ Berlin, Engelen, Dr. Bärwinkel und Rogalla von Bieberstein; ich bitte
die Herren, an meiner Seite Platz zu nehmen.
Nach 8 2 der Geschäftsordnung ist der Reichstag durch das Los in sieben Abteilungen zu teilen. Der Abg. Basser⸗ mann (nl.) beantragt, von der Verlosung des Reichstages in sieben Abteilungen und von deren Konstituierung Abstand zu nehmen. Das Haus beschließt dementsprechend.
Es würde nunmehr nach der Geschäftsordnung der Namensaufruf vorzunehmen sein. Auch hiervon wird auf Vorschlag des Abg. Dr. Spahn (Zentr.) mit Rücksicht auf die augenscheinliche und auch vom Bureau festgestellte Be⸗ schlußfähigkeit des Hauses abgesehen.
Auf Vorschlag des Präsidenten wird von der Wahl der Fachkommissionen vorläufig Abstand genommen; sollte eine Kommission notwendig sein, so wird man sich darüber später schlüssig machen.
Eingegangen ist eine Reihe von Petitionen. Der Prä⸗ sident bittet den Abg. Schwabach, den früheren Vorsitzenden der Petitionskommission, die Berichterstattung zu übernehmen.
Der Abg. Graf von Westarp (dkons.) beantragt, die Wahl des Vorstandes sofort vorzunehmen und zum Präsidenten und zu Vizepräsidenten und zu Seben diejenigen Herren, die am Schlusse der vorigen Session diese Aemter geführt haben, durch Zuruf wiederzuwählen. Gegen diesen Vorschlag wird von keiner Seite Widerspruch erhoben; die drei Präsi⸗ denten und die Schriftführer werden einstimmig wiedergewählt und nehmen sämtlich die Wahl mit Dank an.
Präsident Dr. Kaempf: Der Reichstag ist konstituiert. Ich werde nicht unterlassen, Seiner Majestät dem Kaiser von der Kon⸗ stituierung des Hauses Kenntnis zu geben. Ich kann bereits mitteilen, daß Seine Majestät der Kaiser den Wunsch ausgesprochen hat, das Präsidium heute abend 7 Uhr zu empfangen, und ich hoffe, daß ich in der Lage sein werde, alsdann Seiner Majestät Mitteilung zu machen, daß saͤmtliche Vorlagen, die heute in der zweiten Sitzung beraten werden, Annahme gefunden haben.
Zu Quästoren beruft der Präsident die Abgg. Basser⸗ mann und Dr. von Savigny und fährt dann fort:
In der Zeit, wo der Reichstag nicht versammelt gewesen ist, hat
er große, schwere Verluste erlitten. Seine Königliche Hoheit der Großherzog Adolf Friedrich von Mecklenburg⸗Strelitz und Seine Hoheit der Herzog Georg von Sachsen⸗Meiningen sind dahingeschieden. Ich habe nicht verfehlt, im Namen des Reichstages das innigste Bei⸗ leid auszusprechen. Aus Anlaß des fluchwürdigen verbrecherischen Attentats auf Seine Kaiserliche und Königliche Hoheit den Erzherzog Franz Ferdinand und seine Gemahlin habe ich dem K. K. Botschafter von Oesterreich⸗Ungarn die Gefühle tiefsten und wärmster Anteilnahme namens des Reichstages aus⸗ gedrückt. 1 Nachdem der Präsident Mitteilung von den seit dem Schluß der vorigen Session eingetretenen Veränderungen im Mitgliederbestande des Hauses gemacht hatte, ergreift das Wort der
Reichskanzler Dr. von Bethmann Hollweg:
Ein gewaltiges Schicksal bricht über Europa herein. Seit wir uns das Deutsche Reich und Ansehen in der Welt erkämpften, haben wir 44 Jahre lang im Frieden gelebt und den Frieden Europas ge⸗ schirmt. In friedlicher Arbeit sind wir stark und mächtig geworden und darum beneidet. Mit zäher Geduld haben wir es ertragen, wie unter dem Vorwande, daß Deutschland kriegslüstern sei, in Ost und West Feindschaft genährt und Fesseln gegen uns geschmiedet wurden. Der Wind, der da gesät wurde, geht jetzt als Sturm auf. Wir wollten in friedlicher Arbeit weiterleben, und wie ein unausgesprochenes Gelübde ging es vom Kaiser bis zum jüngsten Soldaten: nur zur Verteidigung einer gerechten Sache soll unser Schwert aus der Scheide fliegen. (Lebhaftes Bravol!) Der Tag, da wir es ziehen müssen, ist erschienen gegen unseren Willen, gegen unser redliches Bemühen. Rußland hat die Brandfackel an das Haus gelegt. (Stürmische Rufe: Sehr richtig!) Wir stehen in einem erzwungenen Kriege mit Rußland und Frank⸗ reich.
Meine Herren, eine Reihe von Schriftstücken, zusammengestellt in dem Drang der sich überstürzenden Ereignisse, ist Ihnen zugegangen. Lassen Sie mich die Tatsachen herausheben, die unsere Haltung kenn⸗ zeichnen. Vom ersten Augenblick des österreichisch⸗serbischen Konflikts an erklären und wirken wir dahin, daß dieser Handel auf Oesterreich⸗ Ungarn und Serbien beschränkt bleiben müsse. Alle Kabinette, in⸗ sonderheit auch England, vertreten denselben Standpunkt. Nur Rußland erklärt, daß es bei der Austragung dieses Konfliktes mitreden müsse. Damit erhebt die Gefahr europäischer Verwicklung ihr drohen⸗ des Haupt. Sobald die ersten bestimmten Nachrichten über militärische Rüstungen in Rußland vorliegen, lassen wir in Petersburg freund⸗ schaftlich aber nachdrücklich erklären, daß kriegerische Maßnahmen gegen
(stürmischer Beifall), und daß militärische Vorbereitungen gegen uns selbst uns zu Gegenmaßregeln zwingen würden. (Erneuter lebhafter Beifall.) Mobilmachung aber sei nahe dem Kriege. Rußland beteuert uns in feierlicher Weise seinen Friedenswunsch (stürmische Rufe: Hört, hört!), und daß es keine militärischen Vorbereitungen gegen uns treffe. (Bewegung.) Inzwischen sucht England zwischen Wien und Petersburg zu ver⸗ mitteln, wobei es von uns warm unterstützt wird. (Hört, Hört! und Bravo!) Am 28. Juli bittet der Kaiser telegraphisch den Zaren, er möge bedenken, daß Oesterreich⸗Ungarn das Recht und die Pflicht habe, sich gegen die großserbischen Umtriebe zu wehren, die seine Existenz zu unterhöhlen drohten. (Sehr richtig! rechts und bei den Nationalliberalen.) Der Kaiser weist den Zaren auf die solidarischen monarchischen Interessen gegenüber der Freveltat von Serajewo hin. Er bittet ihn, ihn persönlich zu unterstützen und den Gegensatz zwischen Wien und Petersburg auszugleichen. Ungefähr zu derselben Stunde und vor Empfang des Telegramms bittet der Zar seinerseits den Kaiser um seine Hilfe, er möge doch in Wien zur Mäßigung raten. Der Kaiser übernimmt die Vermittlerrolle. Aber kaum ist die von ihm angeordnete Aktion im Gange, so mobilisiert Rußland alle seine gegen Oesterreich⸗Ungarn gerichteten Streitkräfte. (Lebhafte Rufe: Hört, hört! Unerhört! Pfui!) Oesterreich⸗Ungarn selbst aber hatte nur seine Armeekorps, die unmittelbar gegen Serbien gerichtet sind, mobilisiert. Gegen Norden zu nur zwei Armeekorps und fern von der russischen Grenze. (Hört, hört! rechts.) Der Kaiser weist sofort den Zaren darauf hin, daß durch diese Mobilmachung der russischen Streitkräfte gegen Oesterreich die Vermittlerrolle, die er auf Bitten des Zaren übernommen hatte, erschwert, wenn nicht unmöglich ge⸗ macht würde. Trotzdem setzten wir in Wien unsere Vermittlungs⸗ aktion fort, und zwar in Formen, welche bis an das Aeußerste dessen gehen, was mit unserem Bundesverhältnis noch verträglich war. (Hört, hört! rechts und im Zentrum.) Während der Zeit erneuert Rußland spontan seine Versicherungen, daß es gegen uns keine mili⸗ tärischen Vorbereitungen treffe. (Hört, hört! Pfui!) Es kommt der 31. Juli! In Wien soll die Entscheidung fallen. Wir haben es bereits durch unsere Vorstellungen erreicht, daß Wien in dem eine Zeitlang nicht mehr im Gange befindlichen direkten Verkehr die Aussprache mit Petersburg wieder aufgenommen hat. (Hört, hört! rechts und im Zentrum.) Aber noch bevor die letzte Entscheidung in Wien fällt, kommt die Nachricht, daß Rußland seine gesamte Wehr⸗ macht, also auch gegen uns mobil gemacht hat. (Hört, hört! rechts und im Zentrum.) Die russische Regierung, die aus unseren wieder⸗ holten Vorstellungen wußte, was Mobilmachung an unserer Grenze bedeutet, notifiziert uns diese Mobilmachung nicht, gibt uns zu ihr auch keinerlei erklärenden Aufschluß. (Hört, hört!) Erst am Nach⸗ mittag des 31. trifft ein Telegramm des Zaren beim Kaiser ein, in dem er sich dafür verbürgt, daß seine Armee keine provokatorische Haltung gegen uns einnehmen würde. (Hört, hört! und Heiterkeit.) Aber die Mobilmachung an unserer Grenze ist schon seit der Nacht vom 30. zum 31. Juli in vollem Gange. Während wir auf russisches Bitten in Wien vermitteln, erhebt sich die russische Wehrmacht an unserer langen, fast ganz offenen Grenze, und Frankreich mobilisiert zwar noch nicht, aber trifft doch, wie es zugibt, militärische Vor⸗ bereitungen. Und wir — wir hatten absichtlich bis dahin keinen Reserve⸗ mann einberufen, dem europäischen Frieden zuliebe. (Lebhaftes Bravo.) Sollten wir jetzt weiter geduldig warten, bis etwa die Mächte, zwischen denen wir eingekeilt sind, den Zeitpunkt zum Losschlagen wählten? (Vielfache Rufe: Nein, nein!) Dieser Gefahr Deutsch⸗ land auszusetzen, wäre ein Verbrechen gewesen! (Stürmischer, lang anhaltender Beifall.) Darum fordern wir noch am 31. Juli von Rußland die Demobilisierung, als einzige Maßregel, welche noch den europäischen Frieden retten könnte. (Sehr richtig!) Der Kaiserliche Botschafter in Petersburg erhält ferner den Auftrag, der russischen Regierung zu erklären, daß wir im Falle der Ablehnung unserer Forderung den Kriegszustand als eingetreten betrachten müßten.
Der Kaiserliche Botschafter hat diesen Auftrag ausgeführt. Wie Rußland auf unsere Forderung der Demobilisierung geantwortet hat, wissen wir heute noch nicht. (Lebhafte Rufe: Hört, hört!) Tele⸗ graphische Meldungen darüber sind nicht bis an uns gelangt (Hört, hört!), obwohl der Telegraph weit unwichtigere Meldungen noch über⸗ mittelte. (Erneute lebhafte Rufe: Hört, hört!)
So sah sich, als die gestellte Frist längst verstrichen war, der Kaiser am 1. August, Nachmittags 5 Uhr, genötigt, unsere Wehr⸗ macht mobil zu machen. (Lebhaftes Bravo.)
Zugleich mußten wir uns versichern, wie sich Frankreich stellen würde. Auf unsere bestimmte Frage, ob es sich im Falle eines deutsch⸗russischen Krieges neutral halten würde, hat uns Frankreich geantwortet, es werde tun, was ihm seine Interessen geböten. (Lachen.) Das war eine ausweichende Antwort auf unsere Frage, wenn nicht eine Verneinung unserer Frage. (Sehr wahr!)
Trotzdem gab der Kaiser den Befehl, daß die französische Grenze unbe⸗ dingt zu respektieren sei. Dieser Befehl wurde strengstens befolgt, bis auf eine einzige Ausnahme. Frankreich, das zu derselben Stunde wie wir mobil machte, erklärte uns, es werde eine Zone von 10 Kilometer an der Grenze respektieren. (Hört, hört! rechts.) Und was ge⸗ schah in Wirklichkeit Bombenwerfende Flieger, Kavalleriepatrouillen, auf reichsländisches Gebiet eingebrochene französische Kompagnien! (Hört, hört!) Damit hat Frankreich, obwohl der Kriegszustand noch nicht erklärt war, den Frieden gebrochen (Mehrseitige Rufe: Sehr richtig!) und uns tatsächlich angegriffen. (Sehr richtig!)
Was jene Ausnahme betrifft, so habe ich vom Chef des General⸗ stabs folgende Meldung erhalten:
Von den französischen Beschwerden über Grenzverletzungen unsererseits ist nur eine einzige zuzugeben. Gegen den ausdrück⸗ lichen Befehl hat eine, anscheinend von einem Offizier geführte Patrouille des 14. Armeekorps am 2. August die Grenze über⸗ schritten. Sie ist scheinbar abgeschossen, nur ein Mann ist zurück⸗
Oesterreich uns an der Seite unseres Bundesgenossen finden würden
gekehrt. Aber lange bevor diese einzige Grenzüberschreitung er⸗
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folgte, haben französische Flieger bis nach Süddeutschland hinein auf unsere Bahnlinien Bomben abgeworfen 1 (Lebhafte Rufe: Hört, hört!), 8 haben am Schluchtpaß französische Truppen unsere Grenzschutz⸗ truppen angegriffen. Unsere Truppen haben sich, dem Befehle gemäß, zunächst gänzlich auf die Abwehr beschränkt. 1 So weit die Meldung des Generalstabs.
Meine Herren, wir sind jetzt in der Notwehr (Lebhafte Zu⸗ stimmung); und Not kennt kein Gebot! (Lebhaftes Bravo!) Unsere Truppen haben Luxemburg besetzt (Lebhaftes Bravo), vielleicht schon belgisches Gebiet betreten. (Lebhaftes Bravo.) Meine Herren, das widerspricht den Geboten des Völkerrechts. Die französische Re⸗ gierung hat zwar in Brüssel erklärt, die Neutralität Belgiens respek⸗ tieren zu wollen, solange der Gegner sie respektiert. Wir wußten aber, daß Frankreich zum Einfall bereit stand. (Hört, hört! rechts.) Frankreich konnte warten, wir aber nicht! Ein französischer Einfall in unsere Flanke am unteren Rhein hätte verhängnisvoll werde können. (Lebhafte Zustimmung.) So waren wir gezwungen, uns über den berechtigten Protest der luxemburgischen und der belgischen 8 Regierung hinwegzusetzen. (Sehr richtig)) Das Unrecht — ich spreche offen —, das Unrecht, das wir damit tun, werden wir wieder gutzumachen suchen, sobald unser militärisches Ziel erreicht ist. (Bravo!) Wer so bedroht ist, wie wir, und um sein Höchstes kämpft, der darf nur daran denken, wie er sich durchhaut! (An⸗ haltender, stürmischer Beifall und Händeklatschen auf allen Seiten des Hauses.)
Meine Herren, wir stehen Schulter an Schulter mit Oesterreich⸗ Ungarn. — Was die Haltung Englands betrifft, so haben die Erklä⸗ rungen, die Sir Edward Grey gestern im englischen Unterhaus ab⸗ gegeben hat, den Standpunkt klargestellt, den die englische Regierung einnimmt. Wir haben der englischen Regierung die Erklärung abge⸗ geben, daß, solange sich England neutral verhält, unsere Flotte die Nordküste Frankreichs nicht angreifen wird, und daß wir die territori⸗ ale Integrität und die Unabhängigkeit Belgiens nicht antasten werden. Diese Erklärung wiederhole ich hiermit vor aller Welt (Hört, hört!), und ich kann hinzusetzen, daß, solange England neutral bleibt, wir auch bereit wären, im Falle der Gegenseitigkeit keine feindlichen Operationen gegen die französische Handelsschiffahrt vorzunehmen. (Bravo!)
Meine Herren, so weit die Hergänge. Ich wiederhole das Wort des Kaisers: „Mit reinem Gewissen zieht Deutschland in den Kampf!“ (Bravo!) Wir kämpfen um die Früchte unserer friedlichen Arbeit, um das Erbe einer großen Vergangenheit und um unsere Zukunft. Die 50 Jahre sind noch nicht vergangen, von denen Moltke sprach, daß wir gerüstet dastehen müßten, um das Erbe, um die Errungenschaften von 1870 zu verteidigen. Jetzt hat die große Stunde der Prüfung für unser Volk geschlagen. Aber mit heller Zuversicht sehen wir ihr entgegen. (Stürmischer Beifall.) Unsere Armee steht im Felde, unsere Flotte ist kampfbereit —, hinter ihr das ganze deutsche Volk! (Andauernder lebhafter Beifall und Händeklatschen auf allen Seiten des Hauses und auf den Tribünen. — Der Reichstag erhebt sich.) — Das ganze deutsche Volk bis auf den letzten Mann! (Wiederholter stürmischer Beifall.)
Sie, meine Herren, kennen Ihre Pflicht in ihrer ganzen Größe. Die Vorlagen bedürfen keiner Begründung mehr. Ich bitte um ihre schnelle Erledigung. (Stürmischer Beifall.)
Präsident Dr. Kaempf: Der Ernst der Lage, über den nieman unter uns sich mehr hat täuschen können, ist in seinem vollsten U ange und in seiner vollen Schwere in den Worten unseres Herrn
eichskanzlers zum Ausdruck gekommen. Wir befinden uns mächtigen Gegnern gegenüber, die uns von rechts und links bedrohen, ohne Kriegs⸗ erklärung über unsere Grenzen hereingebrochen sind, und die uns den Kampf zur Verteidigung unseres Vaterlandes aufgezwungen haben. Wir sind uns bewußt, daß der Krieg, in den zu ziehen wir ge⸗ wungen sind, ein Kanef der Abwehr ist, gleichzeitig aber auch für Deutsch⸗ land ein Kampf um die höchsten geistigen und materiellen Güter der Nation, ein Kampf auf Leben und Tod, ein Kampf um unsere ganze Existenz. Der Augenblick, in dem der Reichstag sich anschickt, ange⸗ sichts des Ausbruches des Krieges die Gesetze zu votieren, die für den Krieg und für das Wirtschaftsleben der Nation während des Krieges die sichere Grundlage zu bieten bestimmt sind, ist ein feierlicher und tiefernster, zu gleicher Zeit aber auch ein unendlich großer und er⸗ hebender. Schwere Lasten müssen dem ganzen Volke auferlegt, schwere Opfer von jedem einzelnen gefordert werden; aber es gibt niemand im ganzen Deutschen Reiche, der nicht ein volles Verständnis hätte für das, was auf dem Spiele steht, und freudig diese Lasten übernimmt, freudig bereit ist, diese Opfer dem Vaterlande darzubringen. Die Be⸗ geisterung, die wie ein Sturm durch das ganze Land braust, ist uns Zeuge davon, daß das ganze deutsche Volk Gut und Blut zu opfer gewillt ist für die Ehre des Deutschen Reiches. Niemals hat das Volk einmütiger zusammen estanden als heute. Auch diejenigen, die sonst sich grundsätzlich als egner des Krieges bekennen, eilen zu den Fahnen. Ihre Vertreter im Reichstage bewilligen ungesäumt die für die Verteidigung des Reiches notwendigen Mittel. Die Gesamtheit des Volkes steht somit fest und brüderlich ein für die Sühne des uns zu⸗ gefügten Unrechtes und für die Abwehr des uns aufgezwungenen Kampfes. Wir wissen uns hierbei eins mit den verbündeten Regie⸗ rungen. Wir alle, Regierungen und Volk, haben nur den einen Ge⸗ danken: Ehre, Wohlfahrt und Größe des Deutschen Reiches. So zieht das Volk in Waffen im Bewußtsein seiner Stärke hinaus in den heiligen Kampf, alt und jung von gleicher Begeisterung durchdrungen. Aus den Augen unserer Brüder und Söhne blitzt der alte deut che Kampfesmut. Siegesfroh und siegesgewiß stehen wir zur Leitung unseres Heeres und unserer Marine; die Einmütigkeit der ganzen Nation, die Stärke des Volkes in Waffen, die Kaltblütigkent dern Heeres⸗ und Marineleitung verbürgen uns den Sieg in dem Kampfe, den wir mit dem Bewußtsein der Gerechtigkeit unserer Sache führen zur Verteidigung der Ehre und Größe unseres Vaterlandes. (Lebhafter Beifall auf allen Seiten des Hauses und auf den Tribünen.)
Der Präsident schlägt darauf vor, die Sitzung jetzt zu schließen und die nächste Sitzung um 5 Uhr Nachmittags zur Beratung der Vorlagen abzuhalten. Das Haus stimmt dem Vorschlage zu.
Schluß 3 Uhr 50 Minuten.