Dem Kriegsministerium gehen noch immer Er⸗ W““ Anerbietungen und gut gemeinte atschläge in überaus großer Zahl zu. Wie „W. T. B.“ mitteilt, können die Einsender überzeugt sein, daß jede Anregung gewissenhaft geprüft wird und daß die Heeresverwaltung diese von patriotischem Sinn ge⸗ tragene Mitarbeit aller Volkskreise dankbar anerkennt, sie wollen aber nicht erwarten, daß in jedem Falle eine Antwort an sie ergeht. Der Umfang, den die Geschäfte des Kriegs⸗ ministeriums angenommen haben, macht es erforderlich, jede nicht unbedingt notwendige Arbeit zu vermeiden und alle Kräfte der größten und wichtigsten Aufgabe dieser Zentralbehörde, nämlich der Versorgung unseres immer noch wachsenden Riesen⸗ heeres mit allem Notwendigen, zuzuwenden. 6. 8
Trotz der von der Postverwaltung neuerdings wiederholt erlassenen Warnungen, feuergefährliche Gegenstände nicht mit der Post zu versenden, mehren sich die Fälle, wo Post⸗ sendungen, namentlich auch bei der Feldpost, sich selbst ent⸗ zünden und dadurch zahlreiche andere Postsendungen ver⸗ nichten. Auch die Untersuchung eines am 6. Dezember, wie seiner Zeit mitgeteilt worden war, erfolgten Brandes eines Postkraftwagens auf der Etappenstraße mit Post für das 18. Armeekorps hat ergeben, daß der Brand durch Selbstentzündung von Feldpostbriefen entstanden ist. Zwischen den geretteten Sendungen wurden Benzinfeuerzeuge, Streichhölzer und andere feuergefährliche Gegenstände auf⸗ gefunden. Von der 50 Säcke starken Postladung sind 34 Brief⸗ säcke verbrannt. Ihr Inhalt stammte von Ende November und Anfang Dezember und rührte hauptsächlich aus Frankfurt (Main), Hessen und Süddeutschland her. Amtlicherseits wird deshalb vor der Versendung feuergefährlicher Gegen⸗ stände durch die Post erneut und dringend gewarnt.
MNach einer Meldung des „W. T. B.“ ist für die von den deutschen Truppen besetzten Gebietsteile von Russisch Polen eine Zivilverwaltung mit Wirkung vom 5. Januar 1915 eingesetzt worden. Zum Verwaltungschef ist der Regierungspräsident z. D. von Brandenstein unter Beilegung des Prädikats Erzellenz ernannt. Der Verwaltungs⸗ chef wird seinen Sitz zunächst in Posen nehmen.
Der heutigen Nummer des „Reichs⸗ und Staatsanzeigers“ liegen die Ausgaben 301 und 302 der Deutschen Verlust⸗ listen bei; sie enthalten die 117. Verlustliste der preußi⸗ schen Armee und die 86. Verlustliste der sächsischen Armee.
Zahbhrze, 4. Januar. Dem Beispiel seiner größten, jetzt 68 000 Einwohner zählenden Landstadt folgend, hat jetzt auch, wie „W. T. B.“ meldet, der etwa 170 000 Einwohner zählende Landkreis Zabrze beschlossen, die landesherrliche Genehmi⸗ gung zur Aenderung seines Namens in Hindenburg O. S. zu erbitten. Auf die an den Generalfeldmarschall von Hinden⸗ burg gerichtete Bitte um Erklärung des Einverständnisses zu dem Beschluß, hat dieser an den Landrat und Polizeidirektor Dr. Suermondt in Zabrze folgendes mitgeteilt: “ Hochverehrter Herr Landras! 1 Euer Hochwohlgeboren danke ich sehr für Ihre Mitteilung, be⸗ treffend Umänderung des Namens des Kreises Zabrze. Ich bin über die mir zugedachte Aufmerksamkeit sehr erfreut und erkläre Ihnen mein Einverständnis zur Namensänderung. Möge durch diese für alle Zeit die Erinnerung an alle die Männer geschaffen sein, welche aus Ihrem Kreise stammen, in dieser großen Zit unter meinem Oberbefehl bisher im Ostheer kämpften und Gut und Blut für das Vaterland opferten. von Hindenburg, erbefehlshaber der gesamten deutschen Ostarmeen.
Bayern.
DSeine Majestät der König hat der ,Korrespondenz Hoffmann“ zufolge an den Staatsminister des Innern Frei⸗ herrn von Soden nachstehendes Handschreiben gerichtet: Seit vollen fünf Monoten stehen Deutschlands beste Söhne in schwerem Kampfe vor dem Feinde. In kraftvoller Geschlossenheit ist die ganze Nation geeint. Jeder Deutsche ist nur von dem einen Gedanken beseelt, freudig alle Opfer zu bringen, die Schutz und Ehre des Vaterlandes auferlegen Unter dem mächtigen Eindruck dieser Tatsachen gehe ich in diesen Tagen einem wichtigen Lebensabschnitt entgegen. Ich habe den dringenden Wunsch ausgesprochen, daß von größeren Festlichkeiten aus Anlaß meines siebzig⸗ sten Geburtstages Abstand genommen werde. Dieser Wunsch hat überall verständnisvolle Aufnahme gefunden. Es liegt mir aber am Herzen, gerade am Vorabend meines Geburtstages den Empfindungen Ausdruck zu geben, die mich in dieser großen Zeit bewegen. Mit Stolz und freudiger Anerkennung blicke ich auf die tapfere baverische Armee, die in heldenmütigem Kampfe und berrlichen affentaten ihren alten Ruf befestigt und sich als würdiges Glied der deutschen Heere erwiesen hat. Mit stiller Wehmut gedenke ich der Helden, die in dem gewaltigen Ringen ihr Blut für das Vaterland bergossen haben und all der Familien, die den Verlust teurer Angehöriger beklagen. Herzlichen Dank sage ich dem ganzen baverischen Volke, das in dieser ernsten Zeit seine Liebe zum Vaterlande und zum Königshause so glänzend bewährt und unter Zurückstellung aller trennenden Gegen⸗ ätze nur das eine Ziel Augen hat, dem Vaterlande zu dienen. In einem langen Leben war mein Bemühen darauf gerichtet, das j nd seine Bedürfnisse kennen zu lernen und mir Erfahrungen was dem Volke frommt. Erst seit kurzer Zeit von der Vorsebung zur Regierung berufen, ist es mein steies Streben, diese reichen Erfahrungen zum Wohle des Landes zu verwerten. Felsenfest ist meine Zuversicht, daß ein sieg⸗ reiches Niederringen unserer Feinde uns einen dauernden Frieden sichert, der wert ist der schweren Opfer, und der mir die Möglichkeit ibt, das Land und das Volk wieder vorwärts zu führen auf dem Wege wirtschaftlicher Erstarkung und kultureller Entwicklung. Gott schütze mein liebes Bayern! Er schirme Kaiser und Reich und verleihe den deutschen und den in treuer Waffenbrüderschaft ver⸗ bündeten österreichisch ungarischen Heeren den Sieg über unsere Feinde! Dies ist der innige Wunsch, mit dem ich zu meinem siebzigsten Ge⸗ burtsfeste meine lieben Bayern begrüße. Ich ersuche Sie, mein lieber Staatsminister, diesen Erlaß zu veröffentlichen und gleichzeitig bekannt zu geben, daß ich aus Anlaß meines Geburtsfestes eine Spende von hunderttausend Mark zur Verfügung stelle, mit der Be⸗ ftimmung, daß sie zur Fürsorge für die Angehörigen der Kriegsteiln ehmer und zur Linderung durch den Krieg verursachter Notlage verwendet werde.
HGgv 121,22
darüber zu sammeln,
Oesterreich⸗Ungarn.
Anläßlich des Jahreswechsels hat der Armeeoberkom⸗ mandant, Feldmarschall Erzherzog 8gbö Meldung des „W. T. B.“ an den Deutschen Kaiser folgendes Glückwunschtelegramm gerichtet: 88
Durch monatelanges Ringen für die gemeinsame gerechte Sache inniger denn je verbunden, käm. fen deutsche und österreichisch⸗ ungarische Armeen in unerschütter licher Zuversicht mit vereinten Kräften gegen den wiederholt geschl agenen, aber noch nicht nieder⸗ gezwungenen Feind. Wie mein Allurgnädigster Kaiser, König und Herr bitte ich im Namen der mir unterstellten Streitkräfte auch Eure Majestät, Allerhöchstseinen tremen Verbündeten, den alle be⸗ seelenden Wunsch, endgültig zu siegen, dem die Erfüllung mit Gottes Hilfe nicht versagt bleiben kann, als Wunsch für das
kommende Jahr huldvollst entgegenzunehmen. 8 Erzherzog Friedrich, Feldmarschall.
Hierauf langte obiger Quelle zefolge nachstehende Antwort⸗
depesche an: 1 8
Eurer Kaiserlichen Hoheit sagje ich meinen aufrichtigen Dank für die mir gleichzeitig im Nam en der unterstellten Streitkräfte ausgesprochenen Neujahrswünsche. Auch ich sende Eurer Kaiserlichen Hoheit meine herzlichsten Wünsche und bitte, dieselben auch den braven österreichischeungarischen Truppen zu übermitteln, die im ver⸗ flossenen Jahre so feste Kriegskameradschaft mit den deutschen be⸗ wiesen haben. Weiter mit vereinten Kräften und dem Willen zu siegen, im Aufblick zu Gott, dann wird der endgültige Erfolg unserer gerechten Sache nicht fehlen. Wilhelm. 8
Großbritannien und Irland.
Lord Wimborne ist als Nachfolger von Lord Aberdeen zum Vizekönig von Irland ernannt worden.
— Das Oberhaus wird der „Times“ zufolge in bevorstehenden kurzen Sitzung Fragen über den Ver⸗ des Krieges während der letzten Wochen an den Minister richten. Lord Kitchener wird Gelegenheit haben, von neuem eine Erklärung abzugeben. Weiterhin wird sich das Haus mit der Rekrutierung und Ausstattung der neuen Armee und dem noch immer ungelösten Probleme, wie Informationen nach Deutschland durchdringen könnten, sowie mit der Lage der Zivilbevölkerung im Falle einer Invasion befassen. Die Regierung wird wahrscheinlich aufgefordert werden, über die Grundsätze, von denen sie sich bei der Organi⸗ sation der Hilfsquellen des Landes für die Fortsetzung des Krieges auf dem Kontinent leiten läßt, klare Auskunft zu erteilen. .“
der lauf
Frrankreich. —
Die Regierung hat die Ausgabe von Obligationen im Betrage von zwei Milliarden Francs vorgenommen. Bisher sind 1500 Millionen gezeichnet worden.
— Die Rekrutierungsarbeiten fürdie Jahresklasse 1916 haben begonnen. Dem „Nouvelliste“ zufolge haben die Untersuchungskommissionen den Auftrag erhalten, nur solche Leute in die Armee einzureihen, die trotz ihrer Jugend die Anstrengungen des Feldzuges auszuhalten vermögen.
Italien.
Der Papst Benedikt hat am 31. Dezember laut Mel⸗ dung des „W. T. B.“ an den Kaiser Franz Joseph nach⸗ stehendes Telegramm gerichtet:
JFn Vertraussi duf die Gefüh e christlicher Nächstenliebe, von der Enre Majestäf beseelt sind, beten Wir Eure Majestät, dieses unheilvolle Jahr zu beenden unrß das neue zu eröffnen mit einer Handlung souveräner Großmut, indem Eure Majestät Unseren Vor⸗ schlag annehmen, daß zwischen den kriegführenden Staaten ein Austausch der für den Militärdienst künftig als untauglich anzu⸗ sehenden Kriegsgefangenen stattfinden möge.
Der Kaiser erwiderte hierauf mit folgendem Telegramm vom 1. Januar:
Tief gerührt von den Gefühlen christlicher Nächstenliebe, die Eure Heiligkeit zu der großberzigen Initiative bewogen haben, welche auf den Austausch der für den Militärdienst als unfähig erkannten Kriegsgefangenen abzielt, habe ich bereits auf telegraphischem Wege Meinen Botschafter beim Heiligen Stuhl beauftragt, dem Kardinalstaatssekretär mitzuteilen, daß Meine Regierung diesem liebreichen Vorschlag grundsätzlich von Herzen zustimmt, und daß sie sich beeilen wird, mit den in Betracht kommenden Staaten in Verhandlungen einzutreten, um den Vorschlag Eurer Heiligkeit seiner praktischen Verwirklichung zuzuführen.
Wie das „Giornale d'Italia“ erfährt, hat der Heilige Stuhl auf seine Anregung, betreffend den Austausch kriegs⸗ untauglicher Gefangener, von Deutschland, England, Oesterreich⸗Ungarn, Rußland, Montenegro, Serbien und der Türkei günstige Antworten erhalten. Frankreich hat gestern durch Vermittlung des belgischen Vertreters am Heiligen Stuhl seine Zustimmung offiziös zu erkennen gegeben; die offizielle Antwort wird erwartet.
Türkei.
Der Wali von Erzerum berichtet dem Pressebureau zufolge, daß die Russen bei ihrem gegenwärtigen Rückzuge vierzig Dörfer, die sie vorher besetzt hatten, eingeäschert haben. Ein Teil der männlichen Einwohner wurde getötet und der Rest als Gefangene nach Rußland gebracht. Als Beweis der Verwüstungen möge dienen, daß allein in drei Dörfern, die der Wali besichtigte, von ih 5 Leichen gesehen “ Albanien.
Nach einer Meldung der „Agenzia Stefani“ aus Durazzo hat ein Kampf um die Höhen von Sasburti stattgefunden. Die Anhänger Essad Paschas mußten weichen. Ueber Durazzo
11X“
8
wurde der Belagerungszustand verhängt.
Amerika.
Die argentinische Regierung hat von ihrer Gesandtschaft in Asuncion die Nachricht erhalten, daß der Präsident von Paraguay in Freiheit gesetzt und die Führer der revolu⸗ tionären Bewegung verhaftet worden seien. Die Gesandt⸗ schaft erklärt die Meldung, daß der Oberst Escobar das Haupt der Aufständischen sei, für falsch.
Kriegsnachrichten.
Westlicher Kriegsschauplatz.
Großes Hauptquartier, 5. Januar. (W. T. B.) Nördlichz Arras sprengten unsere Truppen einen Schützen⸗
graben von 200 m Länge und machten dabei „einige
zefangene. Spätere Gegenangriffe des Gegnerz scheiterten. In den Argonnen wurden mehrere fran⸗ zösische Vorstöße zurückgewiesen. Ein französische Angriff zwischen Steinbach und Uffholz wurde in Bajonettkampf abgeschlagen. 8 Obberste Heeresleitung.
Oestlicher Kriegsschauplatz.
Großes Hauptquartier, 5. Januar. (W. T. B) In Ostpreußen und im nördlichen Polen ist die Lagz⸗ unverändert. Unsere Angriffe östlich der Bzura be Kozlow⸗Biskupi und südlich machen Fortschritte, auch nord⸗ östlich Belimowdrangenunsere Truppen östlich der Ramke über Humin und die Höhen nördlich davon vor. Weiter südlich bis zur Pilica sowie auf dem rechten Pilica⸗Ufer hat sich nichts verändert. Der Zustand der Wege und ungünstiges Wetter hinderten unsere Bewegungen. 8
4 Oberste Heeresleitung.
Wien, 4. Januar. (W. T. B.) Amtlich wird gemeldet. In den hartnäckigen Kämpfen im Raume südlich Gorlice, die sich unter den schwierigsten Witterungsverhältnissen ab⸗ spielten, sicherten sich unsere braven Truppen durch Besit⸗ nahme einer wichtigen Höhenlinie eine günstige Basts für die weiteren Ereignisse. In den Karpathen keine Ver⸗ änderung; im oberen Ungtale nur kleinere Gefechte. Während der Kämpfe der Weihnachtszeit wurden am nördlichen Kriegsschauplatz 37 Offiziere, 12698 Mann ge⸗
fangen. 8 Der Stellvertreter des Chefs des Generalstabes: von Hoefer, Feldmarschalleutnant.
Budapest, 4. Januar. (W. T. B.) Wie der „Pester Lloyd“ meldet, gestaltet sich nach Berichten, die an hiesigen amtlichen Stellen eingelaufen sind, die militärische Lage in den Karpathen andauernd günstig. Die russischen Truppen haben nirgends Raum gewonnen. Ihrem Vordringen ist von unseren Kräften zum größten Teile jenseits des Grenzkammes Einhalt geboten worden. Wo sie ungarisches Gebiet betreten konnten, wurden sie hart an der Grenze zum Stehen gebracht. “
Der Krieg der Türkei gegen den Dreiverband.
Konstantinopel, 4. Januar. (W. T. B.) Ueber den russischen Landungsversuch bei Jaffa wird aus glaub⸗ würdiger Quelle gemeldet, daß von dem türkischen Küsten⸗ blockhaus das Feuer gegen den Kreuzer „Askold“ eröffnet worden ist, durch das einige Seesoldaten getötet wurden. Der „Askold“ entsandte ein mit einem Maschinengewehr aus⸗
gerüstetes Boot, um die Leichen der gefallenen Seesoldaten weder Tote noch Ver⸗
aufzulesen. Auf
türkischer Seite gab es wundete. “
Statistik und Volkswirtschaft.
Ueber die Geisteskranken in den Frrenanstalten Preußens im Jahre 1912
nach Krankheitsformen, über die jugendlichen Personen, die erblich Belasteten und die Trunksüchtigen unter diesen Kranken veröffentlicht das neeec Statistische Landesamt in der „Stat. Korr.“ tabella⸗ rische Uebersichten, nach denen die Zahl der in die Irrenanstalten Preußens aufgenommenen Geisteskranken auch im Jahre 1912, wie schon in einer längeren Reihe vorhergehender Jahre, eine beträchtliche Zunahme erfahren hat. Es betrug nämlich die Zahl der in den Anstalten be⸗ handelten Krankbeitsfälle im Jahre 1902 78 704, 1903 88 892, 1904 92 720, 1905 98 008, 1906 103 355, 1907 108 721, 1908 113 318, 1909 125 181, 1910 127 914, 1911 132 982 und 1912 135 079. Die stetige Zunahme der Zahl der Geisteskranken ist auf verschiedene Ur⸗ sachen zurückzuführen. Einesteils kommen hierfür in Betracht die Vermehrung der Anstalten, die im allgemeinen abnehmende Scheu vor den Irrenanstalten, die größere Beachtung psychischer Erkrankungen usw.; anderseits steht es aber auch außer Frage, daß die moderne Kultur mit ihrem ruhelosen Treiben und Hasten einen nicht zu unter⸗ schätzenden Anteil an dem steigenden Zugang von Geisteskranken hat.
Von den 135 079 Krankbeitsfällen des Jahres 1912 betrafen 75 128 oder 55,62 v. H. männliche und 59 951 oder 44,2s v. H. weib⸗ liche Personen. Hiervon sind 26 146 männliche und 16 657 weibliche Personen im Berichtsjahre in Zugang gekommen, während 48 982 männliche und 43 294 weibliche Personen Bestand bei Beginn des Jahres waren. Bei 36 978 männlichen und 39 579 weiblichen Personen (davon 11 622 und 12 254 Zugang im Berichtsjahre) unter den in den preußischen Irrenanstalten im Jahre 1912 verpflegten Geisteskranken handelte es sich um einfache Seelenstörung, bei 5532 männlichen und 1647 weiblichen (davon 3044 und 806 Zugang) um paralytische Seelenstörung, bei 15 184 männlichen und 11 081 weiblichen (davon 3004 und 1813 Zugang) um angeborene Im⸗ bezillität, Idiotie und Kretintsmus, bei 10 404 männlichen und 7056 weiblichen (davon 3303 und 1376 Zugang) um Eptlepsie mit und ohne Seelenstörung, bei 7030 männlichen und 588 weiblichen Personen (davon 5173 und 408 Zugang) um Alkoholismus.
Werden die Nervenkranken, Morphiumsüchtigen usw. in den An⸗ stalten für Geistes⸗ und Nervenkrankbeiten mirberücksichtigt, so ergibt sich für 1912 eine Gesamtzahl von 149 258 (82 629 männlichen und 66 629 weiblichen) Verpflegten. Davon befanden sich bereits am 1. Ja⸗ nuar 93 929 (49 740 männliche und 44 189 weibliche) = 62,93 v. H. (60,20 männliche, 66,32 weibliche) in den Anstalten, während 55 329 (32 889 männliche und 22 440 weibliche) = 37,07 v. H. (39,80 männ⸗ liche, 33,2s weibliche) im Laufe des Jahres neu aufgenommen wurden.
Von diesen im Jahre 1912 in Zugang gekommenen Personen standen 1915 männliche und 1194 weibliche (d. s. 5,82 v. H. des männ⸗ lichen und 5,32 v. H. des weiblichen Jahreszugangs) im Alter von unter 16 Jahren; hei 1259 männlichen und 682 weiblichen Jugend⸗ lichen lag angeborene Imbeztllität, Idiotie oder Kretinismus, bei 340 und 225 Epilepsie mit oder ohne Seelenstörung, bei 133 und 86 einfache Seelenstörung vor. Erblich belastet waren von den im Berichts⸗ jahre neu aufgenommenen Personen 7114 männlichen und 5006 weiblichen Geschlechts (d. s. 21,88 v. H. des männlichen und 22,31 v H. des weib⸗ lichen Jahreszugangs), von denen 3175 männliche und 3272 weibliche an einfacher Seelenstörung, 922 und 541 an angeborener Imbezillität, Idiotie oder Kretinismus, 962 und 381 an Epilepsie mit oder ohne Seelenstörung, 992 und 65 an Alkoholismus, 439 und 124 an para⸗ lytischer Seelenstörung litten. An Trunksüchtigen wurden im Jahre 1912 8492 männliche und 660 weibliche neu aufgenommen (d. s. 25,82 v. H. des männlichen und 2,84 p. H. des weiblichen Jahres⸗ zugaangs); von diesen litten 5173 männliche und 408 weibliche an Alkobolismus, 1993 und 165 an einfacher Seelenstörung, 740 und 26 an Epilepsie mit und ohne Seelenstörung. 8
Ferst einer weitgehenden Zerstörung
5 * — Wohlfahrtspflege. 8 ilfe für den Mittelstand auf dem Lande.
Die ländlichen Kreditgenossenschaften sind nicht einseiti d⸗ wirtschaftliche, sondern ländliche Einrichtungen, die ihre Fis aa 1ang, nur auf landwirtschaftliche Betriebe erstrecken, sondern auf alle jene ristenzen, die als notwendige Binde⸗ und Hilfsglieder den Rahmen des ländlichen Wirtschaftslebens ergänzen und vervollständigen. Dem kleinen Kaufmann und Gewerbetreibenden, dem Hand⸗ verker und dem Arbeiter ist die leistungsfähige Ktieditorgant⸗ ation der ländlichen Spar⸗ und Darlehnskassenvereine, die sich in en einzelnen Provinzen und Landesteilen zu Verbandskassen zu⸗ ammengeschlossen und einen starken Rückhalt an der Preußischen Zentralgenossenschaftskasse gefunden haben, eine Hilfe im Kampf um ihr wirtschaftliches Dasein gewesen. In wie bohem Maße diese Mittelstandsexistenzen an die ländlichen Kreditgenossenschaften Anschluß gefunden haben, zeigt eine statistische Nachweisung des Verbandes der landwirtschaftlichen Genossenschaften der preußischen Provinz Sachsen und der angrenzenden Staaten (Sitz Halle a. S.), nach der unter den Mitgliedern der Verwaltungsorgane seiner 720 Kassen allein über 600 Angehörige des gewerblichen Mittelstandes gezählt wurden. Genau wie in normalen Friedenszetten hat die dem ländlichen Mittelstande zur Seite stehende Kreditorganisation alle an sie heran⸗ tretenden berechtigten Ansorderungen auch in der jetzigen Kriegszeit zu befriedigen vermocht. Ein Anschreiben des Oberpräsidenten der Provinz Sachsen an den Direktor des sächsischen Genossenschafts⸗ verbandes, Landesökonomierat Dr. Rabe empfiehlt deshalb eine rege Werbetätigkeit für den Anschluß von Handwerkern und Gewerbetreibenden auf dem Lande. Es heißt in dem Schrelben dem „Zentxralblatt, der preußischen Landwirtschaftskammern“ zu⸗ folge: „Da nach den Ausführungen des Herrn Ver⸗ bandsvorsitzenden in der erwähnten Verhandlung die ländlichen Ge⸗ nossenschaften eine große Anzahl von Kleingewerbetreibenden, Hand⸗ werkern usw. unter ihren Mitgliedern zählen und da für das Kredit⸗ bedürfnis der Mitglieder der ländlichen Genossenschaften im allgemeinen in ausreichender Weise gesorgt ist, so kann es nur nützlich sein, wenn der Verband die Zahl dieser seiner kleingewerblichen Mitglieder möglichst zu „vermehren trachtet, und würde, da, wie auch in der erwähnten Verhandlung ausgesprochen, die gegen⸗ wärtigen Zeitverhältnisse für viele Kleingewerbetreibende den Anlaß bieten werden, genosenschaftlichen Anschluß zu suchen, eine rege Werbetätigkeit seitens der ländlichen Genossenschaften in diesen Kreisen vorauesichtlich nicht erfolglos sein. Den Ve band ersuche ich deshalb ergebenst, in diesem Sinne die angeschlossenen Genossen⸗ schaften anzuregen, wie ich auch die Regierungspräsidenten veranlapt habe, den Beitritt geeigneter Gewerbetreibender zu den ländlichen wie auch kleingewerblichen Genossenschaften behördlich zu empfehlen und die Ausdehnung des Genossenschaftswesens in dieser Richtung nach
Möglichkeit zu fördern.“ 1
Die Stadtverordneten in Dortmund bewilligten nach einer Meldung von „W. T. B.“ in ihrer gestrigen Sitzung einen Betrag von 30 000 ℳ aus den Mitteln für den Kriegeliebesdienst als Geldspende für die Hindenburg⸗Armee. Weiter teilte der ““ 1e; 8 Stadt Dortmund sich an der Kriegsgetreidegese aft m. b. H. mit einem Betrage von 400 000 ℳ beteiligt habe. 8 88 1
“
Die Ge meindebehörden Berlins haben, wie „W. T. B.“ berichtet, um die Sympathie für das türkische Volk zu bekunden, für den Roten Halbmond eine Spende von 20 000 ℳ bewilligt.
8 u““ Kunst und Wissenschaft.
A. F. In der ersten Sitzung der Gesellschaft für Erd⸗ kunde im neuen Jahre, die am Sonnabend unter dem Vorsitz von Professor Brauer vom Königlichen Zoologischen Institut stattfand, prach der Geheimrat Professor Conwentz über „Naturschutzgebiete“, für deren Einrichtung er seit 12 Jahren erfolgreich bemüht gewesen ist. Es handelt sich dabei wesentlich um die Erhaltung der natür⸗ lichen Landschaft in ihren charafteristischen Formen mit ihren Tieren und Pflanzen. Die Liebe zur Natur ist so alt wie die Menschheit. Ihr entsprang schon bei den Hellenen die Vergötterurg von Baum, Fels und Tier; die Germanen verehrten ihre Götter in heiligen Hainen, und während des Mittelalters sind in manchen Gegenden Bestre⸗ bungen zum Schutze und zur Erhaltung der Vogelwelt lebendig gewesen. Bereits um die Mitte des 16. Jahrhunderts verbietet der Rat von Danzig bei hoher Strafe das Ausnehmen von Vogelnestern, und im Kanton Glarus wird 1569 ein Naturschutzgebiet ein⸗ gerichtet, in dem Jagd und Vogelfang verboten sind. Ein späteres schönes Beispiel bietet Bavern, wo die Regierung einen Wald der Stadt Bamberg in der Absicht schenkte, daß er als Naturdenkmal erhalten werde. In Parallele zu dieser Tatsache stellen sich die Wald⸗ käufe unserer Kommunen Charlottenburg, Hannover, Kiel zum Zwecke, sie dauernd als Naturdentmäler zu erhalten. In der Erhaltung der Jurahöhlen ist von allen deutschen Staaten auf diesem Gebiet Bayern vorangegangen. Doch auch schon im Jahre 1834 finden wir in den Vereinigten Staaten von Amerika, im Staate Arkansas, Bestrebungen im Gange zur Erhaltung in natürlicher Unberührtheit des Geysirgebiets im Bosemitetale. In Oesterreich haben hervorragende Großgrund⸗ besitzer, u. a. Fürst Schwarzenberg, Gebiete als Naturdokumente erhalten helfen. Von dem Fürsten Schwarzenberg z. B. wurde der Urwald von Kaburg in Böhmen geschenkt, der heute ein Paradies für Naturforscher und Maler ist. Eine mächtige Bewegung setzte nach den Reisen des Amerikaners Havden in den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts auf seinen Antrieb zur Erhaltung des Yellowstone⸗ Parkes in den Vereinigten Staaten ein. Das erstrebte Ziel wurde in den 70er Jahren glücklich erreicht und fand so begeisterten Beifall, daß es im Eebiet der Vereinigten Staaten heute bereits 5 oder 6 solcher in ihrer eigentümlichen Tier⸗ und Pflanzenwelt sorgsam er⸗ haltenen Naturparke gibt. Immerhin blieben es nur vereinzelte Be⸗ stꝛebungen zur Schaffung von Naturreservationen, die sich im Laufe des Jahrbunderts von durchschlagendem Erfolge erwiesen. Recht günstig für die Sache war die Zeit, die Glanzperiode der Industrie, in diesem Punkte nicht. Völliger Mißachtung begegnete z. B. die vom Polarforscher A. E. Nordenstkjöld 1880 gegebene Anregung, mit Schaffung von „Reichsparks“ planmäßig vorzugehen. Es scheint i des Naturbildes mancher Gebiete bedurft zu haben, um die Gemüter auf den Punkt zu erwärmen, daß man Halt zu gebieten begann, zumal die Gefahr bestand, daß Un⸗ ersetzliches mit der aus rein wirtschaftlichen Beweggründen unter⸗ nommenen „Nutzung“ der Natur zugrunde ging. In Deutschland war zunächst um 1886 privater Unternehmung in der Erhaltung des „Siebengebirges“ ein schöner und die Blicke auf sich lenkender Erfolg geglückt. Von da schreibt sich das von Jahr zu Jahr all gemeiner werdende Interesse an dem großen Zweck her. So konnten endlich 1905 alle auf Erhaltung von natürlichen Landschafts⸗ sormationen gerichtete Bestrebungen zusammengefaßt und organtsiert werden in der preußischen Zentralstelle für den Schutz * Naturdenkmälern, der die anderen deutschen Bundes⸗ staaten ähnliche Organe an die Seite stellten. Das zu erstrebende Ziel ist, die Vorbereitung eines Gesetzes zu fördern, das sich den Schutz alter Naturdenkmäler zur Aufgabe stellt. In Schweden und den
ereinigten Staaten ist die Materie schon gesetzlich geregelt. In Deutschland hilft man sich zunächst mit dem Forstgesetz, auch dem ünengesetz, und es geschieht seitens der Verwaltung dankenswert ehr viel im Sinne der dem Naturschutz zugrunde liegenden Ge⸗ anken. Von der Forstverwaltung ist allerdings zunächst das Beste zu erwarten. Was seitens dieser rührigen Verwaltung geschehen kann, geschieht auch. So sind beispielsweise Reservate für die „Rotbuche“ ei Allenstein in Ostpreußen geschaffen worden, wo die Grenze des wertvollen Baumes ist. Etne Stelle bei Magdeburg, wo die „Linde“ ausschließlich gedeiht, ist gleichfalls reserviert worden,
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eine Schutzstelle für die „Eibe“ liegt in der Tucheler Heide, Mohrungen ist auf die Erhaltung der zahlreich in der Nähe vorhandenen „erratischen Blöcke“ verpflichtet. Vogelbrutstätten sind an verschiedenen Stellen geschützt worden; in einer Eifellandschaft mit Maren und anderem Uralten ist für gebörige Erhaltung Sorge getragen. Der Vortragende erfreute im Anschluß an seinen mit größtem Beifall aufgenommenen Vortrag durch eine Reihe prächtiger, zum Teil in Naturfarben aufgenommener Lichtbilder. Erwähnt seien davon: Die Vogelbrutstätten auf den friesischen Inseln, auf Norderoog und Mennert, die Reservate der Stranddistel, der Zwergbirke, der Steppen⸗ pflanzen und der Hochmoorflora im Weichselgebtet, der Schutzstätten der Kiefern, Buchen und Tannenbestände am Plagesee (Mark), ferner das Bodetal, Eichenreservate aus der Lüneburger Heide, Aehnliches aus Süddeutschland, der Schweiz, aus Böhmen und den nordischen Ländern. Neuseeland besitzt über 11 000 qkm geschützten Natur⸗ parkes. — Neben der Erhaltung steht die oft noch fehlende Er⸗ forschung dieser der Erhaltung werten Natur bei diesen Bestrebungen als wichtiges Ziel vor Augen.
„Museum und Erzeugnisse des Haus⸗ gewerbes“ in Berlin auf sein 25jähriges Bestehen zurück⸗ blicken. Das Museum ist, wie in dem Januarheft der „Amtlichen Berichte aus den Königlichen Kunstsammlungen“ mitgeteilt wird, ganz aus privaten Mitteln begründet. Das Ziel des mit hingebender Be⸗ geisterung geförderten Unternehmens, dem ein Ausschuß angesehener Männer aller Berufe seine Kräfte lieh, an deren Spitze Rudolf Virchow stand, war die Ergänzung des damals unter Adolf Bastians Leitung kräftig aufstrebenden Museums für Völkerkunde in der Richtung auf die deutsche Volkskunde hin. Bereitwillig hatte der damalige Minister der geistlichen, Medizinal⸗ und Unterrichts⸗ angelegenheiten von Goßler die gerade leerstehenden Räume der Ge⸗ werbeakademie in der Klosterstraße 36 zur Verfügung gestellt, in denen das Museum sich auch noch gegenwärtig befindet. Hervorragende Bereicherungen verdankt die Sammlung in jener Zeit besonders dem verstorbenen Bankherrn Alexander Meyer⸗Kohn und dem Komitee für die „Deutsch⸗ethnographische Ausstellung“ in Chicago im Jahre 1893, das diese ganze wertvolle Sammlung dem Museum überließ. Aus dem Gründungskomitee hatte sich im Jahre 1891 ein Museumsverein entwickelt, dessen Zwecke namentlich von seinem Schriftführer, dem Stadtverordneten 3 Sökeland settdem erfolgreich weiter gefördert worden sind. Im Jabre 1904 übernahm die Generalverwaltung der Königlichen Museen die Sammlung in Staatsbesitz und gliederte sie unter dem Namen „Sammlung für deutsche Volkskunde“ dem Museum für Völkerkunde an. Bald konnten die Museumsräume verbessert und erweitert werden, doch machte sich trotzdem bereits wieder ein drückender Platzmangel geltend. Denn der Museums⸗ berein unter der Leitung seines Vorsitzenden Dr. James Simon ist dauernd bestrebt, die Sammlungen zu vervolständigen. Während bei der Museumsgründung die im Verschwinden begriffenen deutschen Volkstrachten in erster Reihe gesammelt wurden, hat man in neuerer Zeit dem Ausbau anderer Teile der Sammlung größere Aufmerksamkeit geschenkt, s 1
. Im Oktober des vergangenen Jahres konnte das für deutsche Volkstrachten
lufn so namentlich den Zeugnissen von vpolks⸗ tümlichen Gebräuchen, des Volksglaubens und altüberlieferter Bau⸗ weise. Unter den Gaben, die aus diesen Gebieten in neuerer Zeit dem Museum zuflossen, ist eine reiche, wissenschaftlich geordnete Sammlung von Votiven und Weihgaben zu nennen, die Frau Marie Andree, geb. Eysn, überwies, sowie eine solche von deutschen Bauern⸗ hausmodellen, die das Museum der Freigebigkeit des Dr. James Simon verdankt.
Nansen über seine sibirische Forschungsreise. Der Professor Fridtjof Nansen hielt in der Geographitschen Gesellschaft in Christiania einen Vortrag über seine geographischen Forschungen in Sibtrien. Der Forscher erzählte, daß merkwürdigerweise ein blinder Medizinmann vom Stamme der Ostjaken, der in seinem Zelt vor Nansen und etlichen anderen Europäern eine Vorführung gab, für das Jahr 1914 einen großen Völkerkrieg vorausgesagt habe. Die Ost⸗ jaken vom Jenissei seien einer der interessantesten Stämme, die sich an diesem Strom aufhalten. Sie haben eine Art einsilbiger Sprache, die mit anderen Sprachen keine Aehnlichkeit besitzt. Ein Nomaden⸗ volk ersten Ranges sind die Samojeden, deren Heim die Tundre ist: von hier aus wandern sie zm Frühjahr mit ihren Renntierherden nordwäris bis zu den Küsten des Eismeeres, wo sie Fischerei be⸗ treiben; im Herbst wenden sie sich wieder den südlich gelegenen Waldgebieten zu. Der Wald zu beiden Seiten des Jenissei ist mermeßlich und überhaupt der größte der Welt. Er dehnt sich un⸗ unterbrochen vom Ural bis zum Stillen Ozean aus. Infeolge des strengen Klimas taut der Waldboden nie mehr als etliche Meter tief auf, und darunter finden sich dünnere oder dickere Schichten reinen Eises, sodaß der Wald förmlich auf Eis steht. Aus diesem Grunde schlagen die Wurzeln aller Bäume nach den Seiten aus. Wegen der eigenartigen Wurzelstellung hat der Wald auch keine Widerstandskraft gegen Stürme, die immer Massen von Bäumen umreißen. Indessen erfüllen diese gefällten Bäume eine gute Mission, indem die Stämme massenweise auf dem Jenissei und anderen Strömen zum Meere treiben, wo sie dann von der Strömung nach Grönland und anderen Polarländern geführt werden, hier den Eskimos ein willkommenes Heizmaterial liefernd. Dieses Treibholz hatte in Nansen den Gedanken zu seiner „Framexpedstion“ von 1893—96 angeregt. Durch das Amurgebiet hauen jetzt die Nussen unter großen Schwierigkeiten eine neue Eisenbahn, die aus strategi⸗ schen Gründen durchweg über russisches Gebiet geführt wird. Auch werden hierbei nur russische Arbeiter verwendet, obgleich sie meistens aus Rußland nach Sibirien geschafft werden müssen. Offenbar halten es die Russen für gefährlich, Chinesen zu beschäftigen, obwohl diese massenhaft zur Verfügung stehen würden. Nach Nansens Meinung würde Wladtwostok einen der Brennpunkte bei der nächsten großen Entscheidung zwischen Rußland und der gelben Rasse bilden.
Literatur.
— Das Januarheft der „Deutschen Revpue (Deutsche Ver lagsanstalt in Stuttgart und Leipzig, jährlich 24 ℳ) hat folgenden Inhalt: Dr. Freiherr von Jettel: Rumänien am Scheidewege. Martin Conrad: Zwei Reisen an den Hof des Kaisers Nikolaus 1. von Rußland im Jahre 1850. Aufzeichnungen des damaligen preußischen Majors von Schlegell. Graf Geza Zichvy: Die Pfychologie der Einarmigen. Professor Carl von Noorden (Frankfurt a. M.): Ueber einige neuere Untersuchungen aus dem Gebiet der Infektionskrankheiten, der radioaktiven Therapie und der Nährschäden. F. von Wantoch⸗Rekowskt: Politische Stimmungen in Italien und die italienische Presse. Aus meinen Erinnerungen. Professor Dr. von Romberg (München): Der Schutz unserer Bevölkerung vor gesundheitlichen Kriegsfolgen. Professor Dr. Galle: Wissenschaft und Krieg. Vizeadmiral z D. Kirchhoff: England und die Neutralen. Frau Divoff, geb. Gräfin Buturlin: Sieben Monate am Wiener Hof im Jahre 1798. Aus dem Tagebuch. Eugen Ritter von Kuczynski: Amerikanisch chinesische Beziehungen und ihre Rück⸗ wirkungen auf Japan. Generalleutnant z. D. Leo: Die Moral im Kriege. M. von Köller: „The Germans to the Front!“. A. von Kirchenheim (Heidelberg): Völkerrecht und Krieg. Pcofessor Eugen Oberhummer (Wien): Aegypten und der Suezkanal. Regierungsrat Johannes Neuberg: Der Krieg und die Gesetze, die er brachte. Literarische Berichte. Eingesandte Neuigkeiten des Büchermarktes.
Gesundheitswesen, Tierkrankheiten und Absperrungs⸗ maßregeln.
Die Reihe der volkstümlichen Vorträge, die gegenwärtig im
Hauptsitzungssaale des Reichstags im Anschluß an die im selben Ge⸗
bäude veranstaltete Ausstellung die Verwundeten⸗ und Krankenfürsorge im Kriege unter den verschiedensten Gesichtspunkten an Hand von
Lichtbildern und der Ausstellungsgegenstände erörtern, erfreut sich, wie die Ausstellung selbst, des ständig wachsenden Interesses des Publtkums. So sprach bei seinem jüngst gehaltenen Vortrage über „Das Heeressanitätswesen im Kriege“ auch der Generalarzt Dr. Paalzow, der stellvertretende Chef der Medizinalabteilung des Kriegsministeriums, vor einem den Saal füllenden Kretse, der durch die unter den jetzigen Umständen jeden Zuhörer ja unmittelbar an⸗ gehenden Ausführungen des Vortragenden aufs stärkste gefesselt wurde. Generalarzt Paalzow führte, von Lichtbildern unterstützt, zunächst die Zuhörer in die Organisation des Sanitätsdienstes im Felde, in der Etapve, auf dem Rücktransport in die Heimat und im Heimatgebiete selbst ein. Auch hierbet konnte man im einzelnen verfolgen, wie wohldurchdacht und wie in allen Punkten wohl⸗ vorbereitet die staatliche Verwundetenfürsorge in Deutschland arbeitet. Von den oft so schwierigen, aber von dem Opfermut unserer Sanitäter gesicherten Verhältnissen, unter denen hart am Feinde die erste Wundversorgung stattfindet, führte der Weg zum Hauptverbandplatz, auf dem bereits Fachchirurgen tätig sind und auf dem den Ver⸗ wundeten, soweit es Raum und Zeit zulassen, die Segnungen neu⸗ zeitlicher chirurgischer Forschung und Technik zuteil werden. Man sah im zerschossenen Dorf das Feldlazarett entstehen, verfolgte seine Ablösung durch ein Kriegslazarett und erfuhr, wie vielseitig der ärztliche Dienst in der Etappe ist. Dann konnte man die Verwundeten auf ihren Transporten in fahrbaren Krankenwagen, im modernen Krankenkraftwagen und endlich in den Lazarett⸗, Hilfslazarett⸗ und Krankenzügen begleiten, wobei darauf hingewiesen wurde, daß die Macht der Kriegsverhältnisse es trotz aller Fürsorge dennoch leider nicht immer ermöglichen läßt, von den plan⸗ mäßig vorbereiteten Transportmitteln rechtzeitig Gebrauch zu machen. Wer die Ausstellung im Reichstag etwas eingehender besichtigt hat, konnte die dort aufgenommenen Blilder unschwer in den Rahmen des Vortrags einfügen und hatte erneut die Ueberzeugung, wie beruhigend es für die Angehörigen ist, wenn sie erfahren, wie die Heeresverwaltung bemüht ist, die Wunden, die der Krieg schlägt, mit allen Mitteln z
heilen und zu lindern. 1
Technik.
Röntgenaufnahmen von Geschossen. Zur Entfernung von Geschossen oder anderen Fremdkörpern ist es überaus wichtig, die Lage des zu entfernenden Stückes im Körper genau zu kennen. Die wunderbare Entdeckung der Röntgenstrahlen und die großartige Ent⸗ wicklung der Röntgenphotographie haben die Jünger der modernen Heilkunde gegenüber den noch vor zwei Jahrzehnten operierenden Aerzten in eine geradezu glänzende Lage versetzt, da die Röntgen⸗ photographie das Geschoß oder andere Metallteile deutlich in der Abbildung des lebenden Körpers zeigt. Aber die genaue Ent⸗ fernung des Fremdkörpers von der Oberfläche der Haut und seine genaue Lage zu den Knochen ist durch eine gewöhnliche Röntgenphotographie doch nicht gegeben, weil die Platte die gesamten Gebilde des Körpers nur in zwei Dimensionen, Länge und Breite, nicht aber auch in der dritten, der Tiefe zeigt, und weil auch Ver⸗ zeichnungen auftreten, wenn die Platte sich nahe an der Strahlenquelle befindet, wie es bei den üblichen Nahaufnahmen der Fall ist. Man muß daher den betreffenden Körperteil nachetnander in zwei aufeinander senkrechten Richtungen auf zwei verschiedene Platten aufnehmen, um die ganz genaue Lage des Fremdkörpers und seine Größe zu ermitteln. Das ist aber bei den gewöhnlichen Röntgeneinrichtungen oft nur sehr schwer möglich und erfordert in jedem Fall auch zwei Platten ebenso wie die stereoskopischen Röntgenaufnahmen, bei denen eine unmittelbare Raumwahrnehmung dadurch erreicht wird, daß für die beiden Augen zwei besondere Bilder von etwas verschiedenen Punkten aus aufgenommen werden, von denen jedes Auge in einem geeigneten Betrachtungsapparat nur das für es bestimmte Bild sieht, die dadurch zu einem gemeinsamen näumlich erscheinenden Eindruck vereinigt werden. Aus den perspektivischen Verschiedenheiten der beiden Bilder kann man außerdem durch Messung und Rechnung auch die absoluten Abstände der einzelnen Punkte und Gegenstände feststellen. In der „Wiener Klinischen Wochenschrift“ macht nun Professor Trendelenburg auf eine Methode aufmerksam, zwei Bilder mit ver⸗ schiedener Perspektive, also zwet Aufnahmen von zwei verschiedenen Punkten aus auf einer und derselben Platte zu erhalten und dadur ehenfalls genaue Abmessungen vornehmen zu können. Der aufzunehmend Körper oder Körperteil kann hierbei in unveränderter Lagerung bei beiden unmittelbar hintereinander folgenden Aufnahmen verbleiben verschoben wird lediglich der Aufnahmeapparat mit der Platte. Man sieht dann auf der Platte z. B. bei der Aufnahme des Oberschenkels mit einem in ihm steckenden Geschoß zwei Umrisse des Knochens, der Hautgrenzen und des Geschosses, aus denen nach einfachen Abmessungen sämtliche gewünschten Dimensionen sich leicht er⸗ geben. Bei reichhaltiger gestalteten Gliedern, wie z. B. de Schulter, sieht das Gesamtbild auf der Platte natürlich etwas verwirrend aus, doch lernt man nach einiger Uebung schnell jedes Bild in allen Einzelheiten richtig zu lesen und ihm die zur Berechnung nötigen Maße zu entnehmen. Die Be lichtungsdauer für jede Aufnahme soll etwa die Hälfte von der einer gewöhnlichen Einzelaufnahme der betreffenden Körpergegend unter sonst gleichen Bedingungen betragen. Will man aber aus dem Ver⸗ schiebungsbild möglichst viele Einzelheiten über feinere Knochen⸗ strukturen, z. B. bei Schußverletzungen erfahren, so empfiehlt es sich, bei der ersten Aufnahme etwas länger zu belichten und bei der zweiten, gegen die erste verschobenen, nur so kurz, daß die Schatten der maßgebenden Knochenränder und des Fremdkörpers noch deutlich sichtbar werden, aber trotzdem das erste Bild möglichst wenig überdecken. Die Genauigkeit, die mit dem angegebenen Verfahren erreicht wird, ist ganz erstaunlich. Für ein russisches Infanterie⸗ geschoß ergab die Berechnung in einem Falle eine Länge von 2 8, in einem anderen von 2,9 cm; die wirkliche Länge betrug 2,85. Der Durchmesser einer in der Schultergegend sitzenden Schrapnellkugel ergab sich zu 12 cm gegenüber 1,18 cm wirklicher Größe. Man kann also in Lazaretten mit Hilfe einer ganz einfachen Röntgen⸗ ausstattung und ohne besondere Meßvorrichtungen recht genaue Orts⸗ bestimmungen der Geschosse im Körper ausführen, die dem operativen Eingriff eine sichere Grundlage bieten.
8 b Verkehrswesen. 8
Die Eröffnung des Panamakanals für den allgemeinen Verkehr ist Mitte August 1914 ohne besondere Feierlichkeiten und bei der gegenwärtigen Weltlage fast unbeachtet vor sich geagangen. Der Dampfer „Ancon“ mit Oberst Goethals, dem Leiter des Kanalbaues, an Bord durchfuhr als erster in neunstündiger Fahrt den neuen Schiffahrtswea in seiner ganzen Länge von Cristobal bis zur Mün⸗ dung in den Stillen Ozean. Ein seit Jahrhunderten ersehntes Ziel ist damit erreicht. Bet stärkerem Verkehr dürfte sich die Fahrzeit etwas verlängern. Man rechnet einschließlich des Zeitverlustes bei den Durchschleusungen (3 Stunden für die 6 Schleusen) mit 10—12 Stunden. Inzwischen batte ein bedeutender Erdrutsch bei Culebra den ganzen Verkehr zeitweise wieder unterbrochen. Solche Rutschungen, die zum Teil aus Erde, zum Tetil aus losem Fels bestehen, haben schon während des Baues, namentlich im Culebraeinschnitt, eine verhängnis⸗ volle Rolle gespielt. Ihr Umfang hat sich bis Ende 1912 auf etwa 20 Millionen Kubikmeter belaufen. Während in den Jahren 1906 bis 1909 die in Bewegung geratenen Erdmassen etwa 8 v. H. des überhaupt aus dem Kanalbett ausgehobenen Bodens betrugen, stellte sich mit dem Fortschritte der Tiefe das Verhältnis 1912 auf 35 v. H. Die Gesamtkosten des Kanals werden sehr verschieden ange⸗ geben. Sie dürften, wie im Dezemberheft des „Archivs für Post und Telegraphie“ ausgeführt wird, auf 1600 bis 1700 Millionen Mark zu schätzen sein. In dieser Gesamtsumme sind 168 Milltionen, die die französische Kanalgesellschaft erhalten hat, mit eingeschlossen, aber nicht ihr Verlust, der sich auf 700 bis 800 Millionen Mark oder mehr beziffert. Ein Kanal ohne Schleusen (d. h. ohne Zwischen⸗ schleusen, denn Endschleusen wären unbegingt nötig gewesen) hätte
vielleicht 2500 Millionen Mark gekostet. Seine Betriebssicherheit