Nichtamtliches.
Preußen. Berlin, 12. Februar 1915.
Seine Majestät der Kaiser und König haben sich, wie „W. T. B.“ meldet, gestern wiederum auf den östlichen Kriegsschauplatz begeben. v“
In der am 11. Februar unter dem Vorsitz des Staats⸗ ministers, Vizepräsidenten des Staatsministeriums, Staats⸗ sekretärs des Innern Dr. Delbrück abgehaltenen Plenarsitzung des Bundesrats wurde dem Ent⸗ wurf einer Verordnung über zuckerhaltige Futtermittel die Zustimmung erteilt. Zur Annahme gelangten ferner der Ent⸗ wurf einer Ergänzung der Verordnung, betreffend Regelung des Verkehrs mit Zucker usw., der Antrag des Großherzogtums Sachsen, betreffend Anerkennung der Reifezeugnisse der Jenaer Studienanstalt als ausreichender Nachweis im Sinne der Prüfungsordnung für Aerzte usw., und die Vorlage, betreffend Ergänzung der Beilage zu § 1 der Tahatexhesceffe Nenag. Demnächst wurbe üher verschiedene Eingaben Beschluß gefaßt.
Die Bundesratsverordnung vom 25. Januar dieses Jahres, durch die den Städten von über 5000 Einwohnern auferlegt wurde, sich einen der Bevölkerungszahl entsprechenden Vorrat an Fleischdauerware anzulegen, hat durch das gleichzeitige Einkaufen so vieler Stellen auf den Schweinemärkten zu einer, durch die Marktlage nicht gerechtfertigten Steigerung der Schweine⸗ preise geführt. Aus diesem Grunde hat die Zentral⸗Einkaufs⸗ gesellschaft, wie „W T. B.“ meldet, im Einverständnis mit
dem Deutschen Städtetag den Versuch gemacht, eine Zentrale
für den Einkauf der von den Städten für die Anfertigung von Dauerware benötigten Schweine ins Leben zu rufen. Eine aus Vertretern der Landwirtschaft, der Städte und der Zentral⸗ Einkaufsgesellschaft zusammengesetzte Preiskommission soll die Preise festsetzen, zu welchen die Zentrale den Bedarf der Städte einkaufen wird. Die Kommission beginnt ihre Tätigkeit An⸗ fang der nächsten Woche. Die Stadt⸗ und Gemeinde⸗ verwaltungen und sonstigen Interessenten werden gut tun, mit ihren Einkäufen solange zurückzuhalten, bis die Einkaufs⸗ zentrale ihre Tätigkeit begonnen hat. Andernfalls ist eine weitere Steigerung der bereits übermäßig hohen Schweine⸗ preise unvermeidlich. .
Einer vom „Wolffschen Telegraphenbureau“ verbreiteten amtlichen Mitteilung zufolge scheint es noch nicht überall be⸗ kannt zu sein, daß nach der Bekanntmachung über die Regelung des Verkehrs mit Brotgetreide und Mehl vom 25. Ja⸗ nuar 1915 die Verwendung von Getreide zur Herstellung von Branntwein, Kornkaffee und dergl. nicht mehr zulässig ist. Nach § 1 der Bekanntmachung sind mit Beginn des 1. Februar 1915 die im Reiche vorhandenen Vorräte von Weizen (Dinkel und Spelz) und Roggen, allein oder mit anderer Frucht gemischt, auch ungedroschen für die Kriegs⸗ getreide⸗Gesellschaft m. b. H. beschlagnahmt. Nach § 3 dürfen an den beschlagnahmten Gegenständen Veränderungen nicht vorgenommen werden, es sei denn, daß die Kriegsgetreide⸗ Gesellschaft oder der zuständige Kommunalverband ausdrücklich zustimmen. Eine hlusnahme gilt nur für Mühlen, die nach § 4 Abs. 4 das Getreide ausmahlen dürfen. Jede Ver⸗ arbeitung von Getreide, die nicht die Herstellung von Mehl für den menschlichen Verbrauch bezweckt, wie Dämpfen, Mälzen, Rösten usw., ist also ver⸗ boten und wird nach § 7 mit Gefängnis bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bis zu 10000 ℳ
Mitt dem 5. Februar war die Frist abgelaufen, in der die Anzeige über die am 1. Februar vorhandenen Vorräte an Weizen, Roggen, Hafer sowie an Weizen⸗, Roggen⸗, Hafer⸗ und Gerstenmehl zu erstatten war. Vor⸗ räte, die an dem genannten Tage unterwegs waren und erst nach dem 5. Februar in den Be⸗ sitz des Empfängers kommen, müssen unverzüglich nach dem Empfang angezeigt werden. Auch die Ver⸗ säumung dieser nachträglichen Anzeige zieht die gesetzlichen Strafen nach sich, also Gefängnisstrafe, bis zu sechs Monaten oder Geldstrafe bis zu 1500 ℳ; außerdem geht der Eigen⸗ tümer bei der Enteignung des Preises der enteigneten Waren verlustig. Die Empfänger von Sendungen der obengenannten Vorräte, die längere Zeit auf dem Transport waren, müssen sich also darüber vergewissern, ob der Transport vor dem 1. Februar begonnen hat, und gegebenenfalls noch jetzt die Anzeige erstatten.
Vom 12. Februar 1915 ab werden, wie amtlich durch „W. T. B.“ mitgeteilt wird, die kriegsgefangenen Franzosen, die für den Schwerverwundetenaustausch in Frage kommen, für den späteren Abschub in Konstanz vereinigt. Der Zeitpunkt dieses Austausches steht leider noch nicht fest, da die französische Regierung immer noch keine zu⸗ sagende Antwort erteilt hat.
Die für den Austausch in Frage kommenden Engländer werden bis 14. Februar in Lingen (an der holländischen Grenze) bezw. Lüttich vereinigt. Als Termin für den Aus⸗ tausch durch Vermittlung der Niederlande ist der englischen Regierung der 15. und 16. Februar vorgeschlagen.
Der heutigen Nummer des „Reichs⸗ und Staatsanzeigers“ liegt die Ausgabe 363 der Deutschen Verlust listen bei. Sie enthält die 148. Verlustliste der preußischen Armee, die 152. Verlustliste der bayerischen Armee, die 107. Verlust⸗ liste der sächsischen Armee und die 114. Verlustliste der würt⸗ tembergischen Armee.
Großbritannien und Irland. Das Unterhaus hat gestern einstimmig den Vor⸗ anschlag für die Armee angenommen, durch den die Mittel für die Unterhaltung eines Heeres von drei Millionen Mann bewilligt werden. Im weiteren Verlauf der Sitzung fragte Jowett (Arbeiterpartei), ob nicht die britische Regie⸗ rung in der Absicht, den schrecklichen Verlusten dieses Krieges
8 en Menschenleben ein Ende zu machen, dazu bereit wäre, be⸗
kannt zu geben, auf welcher Grundlage England und seine Verbündeten willens wären, Friedensbedingungen zu erörtern.
Der Stuatssekretär des Aeußern Sir Edward Grey serwiderte laut Bericht des „W. T. B.“: Die jüngsten öffentlichen Aeußerungen Deutschlands gäben keinen Grund, anzunehmen, daß der Zweck, den Jowett im Sinn habe, durch die Annahme seines Vorschlags ge⸗ fördert werden würde. Der Premierminister Asquith stellte fest, daß etwa 60 % der britischen Verwundeten gesund und für den Kriegsdienst wieder hergestellt würden. —
Im Verlauf einer Debatte über die Warenpreise er⸗ klärte der Premierminister, daß die Regierung es ablehne, Höchstpreise festzusetzen oder Weizenvorräte zu kaufen. Die Vorräte an Weizen würden sich demnächst vermehren und dessen Preis sinken, ebenso wie der des Zuckers.
— Die Se. in Falmouth haben obiger Quelle zu⸗ folge die aus Lebensmitteln für Deutschland bestehende Ladung
des Dampfers „Wilhelmina“ beschlagnahmt.
Frankreich. .
Der russische Finanzminister Barck ist gestern von London in Paris eingetroffen.
— Der interministerielle Ausschuß für Kriegs⸗ gefangene teilt dem „Temps“ zufolge mit, daß vielfach ein Austausch der in Deutschland zurückgehaltenen französischen Aerzte gegen deutsche Aerzte gefordert worden sei, daß jedoch der Genfer Konvention zufolge kein Austausch erfolgen, aüas gefangenes Sanitätspersonal ohne weiteres ausgeliefert werden müsse. Die französische Regierung, die wiederholt die genaue Beobachtung dieser Vorschrift gefordert habe, habe bereits die Auslieferung zahlreicher Aerzte bewirkt und sei um Auslieferung aller noch in Deutschland zurückgehaltenen Aerzte mit allen Mitteln bemüht.
— Die Deputiertenkammer hat in der gestrigen Sitzung ein Gesetz angenommen, das den Opfern des Krieges aus dem Zivilstande die gleichen Unterstützungen gewährt, wie den Opfern aus dem Militärstande. Sodann wurde ein Gesetzantrag erörtert über das Verbot des Verkaufs und Feil⸗ bietens von Absinth und ähnlichen Getränken.
— Die „Humanité“ veröffentlicht den Sitzungsbericht der Nationalkonferenz der französischen Sozialisten⸗ partei am 7. Februar, in der die Haltung der sozialistischen Partei seit dem Kriegsausbruch gebilligt und die Entsendung von vier Vertretern zum Londoner Sozialistenkongreß be⸗ schlossen wurde.
Der Minister Jules Guesde führte im Laufe der Verhand⸗ lungen in einer Rede aus, daß Frankreich nicht das deutsche Volk, sondern nur den Militarismus bekämpfe, und bereit sei, dem deutschen Volke die Hand zu bieten, sobald es sich vom Militarismus lossage. Gustave Hervé bestätigte, der Frieden sei den Soztalisten nur annehmbar, wenn der preußische Militarismus vernichtet sei, und erklärte, daß jetzt, wo 500 000 Franzosen gestorben seien, Frankreich wolle, daß das Opfer zu etwas nütze sei und zur Befreiung der Völker und zum Triumphe des Nationalitätsprinzips beitrage. Sembat erklärte, die französischen Sozialisten hätten ihre Pflicht als Patrioten getan, und wollten jetzt einen Frieden, der die allgemeine Abrüstung, die internationale Kontrolle über die Waffenfabrikation und die obligatorische Einführung von Schiedsgerichten in allen
Konflikten festsette. Rußland.
Die Reichsdum a und der Reichsrat haben gestern das
Budget angenommen. 1
Nach Mitteilungen des Vorstandes des ttalienif der Getreideproduzenten und der Müller und Bäcker an den Ackerbauminister Cavasola fehlen, wie die „Basler Nach⸗ richten“ melden, zurzeit Italien zur Bestreitung der Be⸗ dürfnisse an Brot und Mehl drei Millionen Zentner Getreide. Infolge dieser Feststellung und ferner, weil der Brotpreis in den Städten 45 und in den Landgemeinden 40 Centesimi für das Kilo übersteigt, beauftragte der Minister die Landwirtschaftslehrer, privatim die Initiative, die den Anbau von Kartoffeln und Gemüse fördern will, möglichst zu unterstützen.
Spanien.
Der Senat hat gestern in letzter Lesung das Gesetz über
die Flottenstützpunkte angenommen.
Niederlande.
Nach einer Meldung des „W. T. B.“ überflog gestern vormittag ein Zweidecker unbekannter Nationalität den Hafen von Vlissingen und warf zwei Bomben ab, die aber nur wenig Schaden anrichteten. Die Bomben fielen in unmittel⸗ barer Nähe des deutschen Dampfers „Main“ vom Norddeutschen Lloyd nieder, der im Vlissinger Hafen liegt. Es ist niemand verletzt worden. Das Flugzeug verschwand in südöstlicher Richtung. Amsterdamer Blätter melden, daß das Flugzeug wahrscheinlich französischer Herkunft seix.
Belgien. 8 Um den weiteren Ausbau des Postwesens in Belgien zu fördern und für das Kassen⸗ und Rechnungswesen bestimmte Mittelpunkte zu gewinnen, sollen in Anlehnung an die von der deutschen Landesverwaltung in Belgien geschaffene Kreis⸗ einteilung die Postämter in den Kreisorten, wie „W. T. B.“ meldet, in der Weise ausgestaltet werden, daß ihr Wirkungskreis sich über den ganzen Kreis er⸗ streckt. Die im Kreise schon bestehenden und noch zur Ein⸗ richtung gelangenden Postämter mit belgischem Personal werden den Kreispostämtern unterstellt und ihnen kassen⸗ und rechnungs⸗ mäßig angegliedert. Zu Kreispostämtern sind zunächst bestimmt worden: das Postamt in Antwerpen 1 für den Bereich von Ant⸗ werpen, Brüssel 1 für den Kreis Brüssel, Charleroi 1 für die Kreise Charleroi und Thuin, Hasselt für die Provinz Limburg, Löwen 1 8 den Kreis Löwen, Lüttich 1 für den Kreis Lüttich, Mons 1 für en Kreis Mons, Namur 1 für die Kreise Namur und Huy, Verviers für den Kreis Verviers. Der Vorsteher des Kreis⸗ postamts hat die Aufgabe, die Verkehrsbedürfnisse im Kreise zu erforschen, auf Eisenbahnen und Landwegen Postverbindungen zu schaffen, mit der politischen Behörde zusammen zu arbeiten und nach 1s daran mitzuwirken, daß Handel und Wandel⸗ im Kreise wieder in Gang kommen.
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Norwegen. “ Nach einer Depesche des „W. T. B.“ ist es nun endgültig bestimmt, daß eine Konferenz von Vertretern der Kriegsmarinen der drei nordischen Staaten über die Gefahren der treibenden Minen demnächst in Kristiania abgehalten werden soll. 8 616 5
— Türkei.
Der Sultan hat an die Aegnp — 1
erichtet, die nach einer Meldung der „Agence Milli“, wie solgt lautet: An meine ägyptischen Söhne!
Ihr wißt, wie England in Aegypten hineingekommen ist und mit welcher Treulosigkeit es die Verwaltung des Landes in Beschlag ge⸗ nommen hat. Es war mein ständiger Schmerz, Euch unter der eng⸗ lischen Tyrannei leiden zu sehen, und ich wartete auf den günstigen Augen⸗ blick, um ihr ein Ende zu machen. Ich danke dem Allmächtigen, daß er mir die glückliche Gelegenheit gegeben hat, eine meiner Kaiserlichen Armeen zu entsenden, um Euer schönes Land, das muselmanisches Erbgut ist, zu befreien. Ich bin gewiß, daß es mit göttlicher Hilf meiner Kaiserlichen Armee gelingen wird, Euch von fremdem Einfluß und fremder Einmischung ledig zu machen und Euch Eure Selbst herrschaft und Eure Freiheiten zurückzugeben. Ich bin überzeugt, daß meine ägyptischen Söhne durch ihre Vaterlandsliebe dazu veranlaß werden, mit allem Eifer, dessen sie fähig sind, an diesem Befreiungs kriege teilzunehmen.
— In Erwiderung auf eine Reihe von Artikeln der „Nowoje Wremja“, in denen namentlich der Versuch gemach wird, zu beweisen, daß Rußland die Neutralität Persiens geachtet habe, während sie von der Türkei verletzt worden sei wird nach einer Meldung des „Wiener K. K. Telegraphen Korrespondenzbureaus“ in maßgebenden osmanischen Kreisen in offiziöser Form darauf hingewiesen, daß entgegen den Behauptungen der „Nowoje Wremja“, wonach Rußland in Persien nur 1000 Mann gelassen habe, Rußland tatsächlic, vor dem Ausbruch des Welt⸗ krieges in Aserbeidschan allein sechs Infanterie⸗ und vier Kavallerieregimenter sowie sieben Batterien gehabt hätte und halb soviel Truppen in den anderen Teilen Nordpersiens, die als russische Einflußsphäre beansprucht würden, im ganzen also mehr als 40 000 Mann. Nach dem Ausbruch des Krieges sei die Hälfte der Truppen mit den im Kaukasus stehenden Regimentern vereinigt worden und habe gegen Deutschland entsandt werden müssen. Rußland habe also nicht einen Teil dieser Truppen, wie es die „Nowoje Wremja“ dar⸗ stellt, aus Achtung vor der Neutralität Persiens zurückgezogen. Nach dem Beginn des türkisch⸗russischen Krieges hätte Rußland in Aserbeidschan, und zwar in Saudschbulak, Urmia, Selmas, Choi und Täbris vier Infanterie⸗ und drei Kavallerieregimenter sowie vier Batterien gehabt. Diese Truppenmacht habe tat⸗ sächlich die türkischen Truppen in der Flanke bedroht. Die russischen Truppen hätten sogar noch vor der Eröffnung der Feindseligkeiten die Grenze überschritten und die dort stehenden schwachen türkischen Garnisonen gezwungen, sich nach Sarai und Baschkale zurückzuziehen. Die Russen hätten also auf diese Weise nicht nur die Neutralität Persiens sondern seien vielmehr auch daran schuld, daß der auf persisches Gebiet hinübergetragen worden sei. Was die Aeußerung des russischen Blattes betreffe, die Perser hätten nunmehr erkannt, wer ihr Freund und wer ihr Feind sei, so sei die beste Ant⸗ wort darauf in dem Heldenmut zu finden, den die persischen Krieger im gemeinsamen Kampfe Schulter an Schulter mit den Türken bewiesen hätten. Die Perser hätten erkannt, wer
ihr Feind sei, als, wie die „Nowoje Wremja“ sagt, die Russen
sich wiederholt weigerten, die von ihnen besetzten Gebiete Persiens zu räumen, und die darauf bezüglichen Schritte der persischen Regierung damit erwiderten, daß sie ihre Garnisonen durch neue aus Turkestan herangezogenen Truppen verstärkten.
— Eine von „W. T. W.“ verbreitete offiziöse Mitteilung be⸗ sagt, daß zwei russische Torpedoboote, die am 8. Februar in den Hafen von Trapezunt kamen, auf den amerikanischen
Dampfer „Washington“, der dort vor Anker lag, Feuer
gaben und ihn am Vorder⸗ und Hinterschiff beschädigten. Zwei
später gekommene russische Kreuzer eröffneten ein heftiges Feuer aus schweren Geschützen auf den „Washington“ und versenkten ihn in wenigen Augenblicken; die amerikanische Flagge weht
noch über den Fluten, und gibt Zeugnis von diesem Akt der Barbarei. Darnach richtete der Feind sein Feuer auf die Stadt, besonders auf das Hospital, wo er den Tod zweier
Verwundeter und zweier anderer Kranker herbeiführte.
Bulgarien.
In einer vorgestern abgehaltenen Versammlung von .
Deputierten der regierungsfreundlichen Mehrheit führte der Ministerpräsident Radoslawow der „Agence Bulgare“ zufolge aus, daß die von Bulgarien beobachtete
Haltung dem Lande das Wohlwollen aller Mächte eingetragen
habe, was zu der festen Hoffnung berechtige, daß die gerechten Ansprüche der Bulgaren, deren Rechtmäßigkeit überall anerkannt werde, sich schließlich siegreich durchsetzen würden.
4 Amerika. ] Der amerikanische Senat hat sich gestern nach einer
ununterbrochenen Sitzung von 54 Stunden vertagt, ohne die
Debatte über die Schiffsankaufsbill beendet zu haben.
Asien.
Die Antwort Rußlands auf den Protest Chinas wegen des russisch⸗mongolischen Vertrages über die Eisenbahnen und Telegraphen in der Mongolei ist der „Neuen Zürcher Zeitung“ zufolge in Peking für nicht befriedigend erklärt worden. Die chinesische Regierung hat einen zweiten Protest überreicht.
— In der nächsten Zeit werden obiger Quelle zufolge zwei neue große Kreuzer der japanischen Flotte fertig. Im Frühling sollen noch zehn mittelgroße Zerstörer dazu
kommen. Afrika.
Nach einer Meldung der „Agenzia Stefani“ aus Tripolis berichtet der Oberst Gianinazzi, daß am 8. Februar in früher Morgenstunde eine feindliche Streitmacht, die auf mehr als 1000 Bewaffnete und ungefähr 90 Reiter und Reguläre geschätzt wurde, ihn angegriffen 5 als die Kamele seiner Ko⸗ lonne ohne Bürde und unter Bewachung von 300 Infanteristen wei⸗ deten. Der Angriff fand eine Stunde von Bungeim ent⸗ fernt statt. Während die Eskorte von 300 Mann mit dem Feinde in Berührung blieb, sandte Gianinazzi alsbald zur Verstärkung einige Abteilungen erythräischer und libyscher Truppen mit einer Artillerieabteilung, die von dem Obersten Billia befehligt wurde. Der Kampf dauerte mit äußerster Heftigkeit bis zum Abend an. Der Feind wurde endlich mit sehr schweren Verlusten auf viele Kilometer von Bungeim zurückgeworfen. Die Nacht machte eine weitere Verfolgung unmöglich. Die Italiener verloren an Offizieren drei Tote und einen Verwundeten. Die erythräischen und libyschen Truppen
hatten 29 Tote und 50 Verwundete.
es Vorsitzenden über Mietsbeihilfen ergänzt wurde.
Kriegsnachrichten. Oestlicher Kriegsschauplztz.
Wien, 11. Februar. (W. T. B.) Amtlich wird ge⸗ meldet: In Russisch⸗Polen und Westgalizien, abgesehen von Artilleriekämpfen, keine Ereignisse. An der Karpathen⸗ front wurden im Abschnitt westlich des Uzsoker Passes russische Angriffe und einzelne partielle Vorstöße unter starken Verlusten des Feindes zurückgeschlagen. Im Waldgebirge und in der Bukowina sind erneut Fort⸗ schritte zu verzeichnen. Mehrere hundert Gefangene sowie Maschinengewehre wurden eingebracht. . Der Stellvertreter des Chefs des Generalstabes:
von Hoefer, Feldmarschalleutnant.
Der Krieg zur See. .
Nmuiden, 11. Februar. (W. T. B.) Der Kapitän des englischen Dampfers „Laertes“, der heute früh von Java kam, berichtet, daß er gestern zwischen dem Maasleuchtschiff und Schouwerbank von einem deutschen Tauchboot be⸗ schossen wurde. Projektile drangen durch den Schornstein, den Kompaß und die Schiffsboote in das Schiff ein. Das Tauchboot versuchte das Schiff zu torpedieren, aber der „Laertes“ entkam durch ein schnelles Manöver und durch die Entwicklung der größten Geschwindigkeit.
Amsterdam, 11. Februar. (W. T. B.) Die Blätter melden aus Ymuiden: Der Kapitän des englischen Dampfers „Laertes“ berichtet weiter, daß das Unterseeboot, ehe es den Angriff eröffnete, ihm signalisiert habe, das er anhalten solle. Der Kapitän habe dieses Signal nicht befolgt. Der Dampfer habe keine Flagge geführt. Beim ersten Signal des Untersee⸗ boots habe er die holländische Flagge gehißt, wie er erklärte, zum Schutze zahlreicher auf dem Schiffe befindlicher Neutraler, nämlich Neger und Chinesen.
118“
Der Krieg in den Kolonien.
London, 11. Februar. (W. T. B.) Das „Reutersche Bureau“ meldet aus Swakopmund vom 9. Februar: Eine vor⸗ geschobene Abteilung der Unionstruppen stieß am 7. Februar auf einem Aufklärungsmarsch in der Richtung Nonidas, etwa 24 km östlich von Swakopmund an der Bahn nach Windhuk, auf eine feindliche Abteilung, die gegen den Vorposten die Offensive ergriffen und bereits 2 Mann der Unionstruppen ge⸗ tötet hatte; der Feind wurde überrascht, zog sich zurück und hinterließ einen Gefangenen. (!) 8 11““
“
Der Krieg der Türkei gegen den Dreiverband.
Konstantinopel, 11. Februar. (W. T. B.) Ein halb⸗ amtliches Telegramm aus Iseban an der türkisch⸗russischen Grenze meldet, daß die Russen vorgestern und gestern mehrere Angriffe auf Egriklissa und Lespik unter⸗ nahmen. Die Angriffe wurden unter großen Verlusten des Feindes durch die kraftvolle Offensive der türkischen Truppen zurückgewiesen. Die Russen wichen in Un⸗ “ und ließen eine große Menge Kriegsmaterial am
atze.
Konstantinopel, 11. Februar. (W. T. B.) 600 Mann von der Bevölkerung der russischen Ortschaften Tanschkerd und
BPalischkerd haben sich in die osmanische Armee aufnehmen
lassen.
Statistik und Volkswirtschaft.
Zur Arbeiterbewegung. 8 G
Nach einer von „W. T. B.“ wiedergegebenen Meldung des Reuterschen Bureaus“ ist der Streit mit den Bergarbeitern in Vorkshire durch die Konferenz in Leeds beigelegt worden. Die rbeitgeber haben für die Dauer des Krieges alle Forderungen der
Arbeiter bewilligt. Wohlfahrtspflege.
„Der Deutsche Verein für Armenpflege und Wohl⸗ ätigkeit hatte seinen Zentralausschuß zum 22. und 23. Januar nach Berlin zu einer Tagung unter dem Vorsitz des Bürgermeisters von Hollander (Mannheim) einberufen. Ueber den ersten Punkt er Tagesordnung: Angliederung der Krieagsfürsorge an ie öffentliche Armenpflege erstattete der Leiter des Leipziger Urmenwesens, Direktor Sell, einen Bericht, der durch Fhen Fee
on he⸗ onderem Interesse waren die Ausführungen von Professor Klumker Frankfurt a. M.), Herausgeber des Organs des Deutschen Vereins
eeitschrift für Armenwesen“, üͤber die Frage der Fürsorge für se Hinterbliebenen der Kriegsteilnehmer.
Der Redner bies darauf hin, daß die Fürsorge für die Hinterbliebenen sich nicht inger auf die Gewährung von Renten und sonstigen Geld⸗ terstützungen beschränken dürfe, daß vielmehr, wenn unser Polk sich der Hinterbliebenen seiner tapferen Krieger so an⸗ ehmen wolle, wie es seinen Verpflichtungen enspreche, mit er materiellen Hilfe eine weitgehende soziale, pflegerische Für⸗ erge verbunden werden muüsse. Die veraltete und gänzlich unzuläng⸗
1 che Anschauung, daß die Hinterbliebenenfürsorge nur eine Frage der
eentenversorgung sei, müsse völlig aufgegeben werden. Den Famtlien sse, soweit wie möglich, das ersetzt werden, was ihnen vor allem hle, das sei aber nicht in erster Linie das Geld, sondern die bis⸗ rige Leitung und Führung durch das Familienhaupt. In der an
18 Ausführungen Klumkers geknüpften Diskussion wurde fast über⸗
stimmend anerkannt, daß es eine Aufgabe des Deutschen Vereins
Armenpflege und Wohltättgkeit sei, alle Bestrebungen bezüglich . Fürsorge für die Hinterbliebenen in dieser Richtung zu be⸗ flussen und die an ihr beteiligten Organisationen zu beraten, vor lem aber dafür zu sorgen, daß in alle diese Bestrebungen ein ein⸗ itlicher Geist einziehe und jegliche Zersplitterung vermieden werde. s wurde zur weiteren Erörterung und Klärung der Frage e Kommission eingesetzt, die sofort zusammentrat und den Beschluß ßte, die Vorarbeiten für eine im März d. J. zu veranstaltende ferenz in Angriff zu nehmen, bei der unter der baldigst zu bittenden Teilnahme der Regierung von den zahlreichen an dieser age interessierten Organisationen — den gewerkschaftlichen Kreisen,
großen Frauenverbänden und den großen Wohlfahrtsverbänden er Richtungen — sämtliche mit dem großen Problem einer aus⸗ chenden Fürsorge für die Hinterbliebenen zusammenhängenden agen eingehend erörtert und gemeinsame Schritte für die weitere tion verabredet werden sollen.
5
Porderasiatische Gesellschaft.
4 4 . 6
A. F. Die 19. Haupiversammlung der Vorderasiatischen
Gesellschaft, deren erster Vorsitzender, Geheimrat Prof. Dr. von
Luschan durch die Kriegsereignisse noch immer in Amerika zurück⸗
F balen wird, beschäftigte sich in diesem Jahre unter Vorsitz von
rofessor Martin Hartmann zunächst nur mit dem Rechenschafts⸗
und dem Kassenbericht. Andere sonst diese Versammlung berührenden inneren Fragen erfuhren Vertagung.
Aber ihr Recht auf einen hervorragend interessanten, die Jahres⸗ arbeit der Gesellschaft würdig einleitenden Vortrag hatte sich diese nicht nehmen lassen. Hat es doch auch den Anschein, als würden die Zeitereignisse uns mit dem Ausbau der Bagdadhahn in besonders nahe Beziehungen zu dem alten Mesopotamien bringen. Da läßt man sich gern erinnern an die hohe Kultur, die einst an dieser Stätte zu Hause war. Dieser Anforderung entsprach ein von vielen, durch ihr reiches Anschauungsmaterial erfreuenden Lichtbildern begleiteter Vortrag von Professor Dr. Otto Weber über „Altorientalische Siegelzylinder“, dem die zahlreich besuchte Versammlung ge⸗ spannte Aufmerksamkeit widmete.
Als Siegelzylinder bezeichnen wir, im Gegensatz zu den Stempel⸗ oder Drucksiegeln, Siegel von zylindrischer Form. Ein Siegel, welches auch immer, wird nur dann semnem Zweck dienen, wenn es so beschaffen ist, daß es mit keinem anderen verwechselt werden kann, es muß sich sonach in irgend einem Punkte von allen anderen Siegeln unterscheiden. Gegen zehntausend Siegelzylinder sind uns bisher be⸗ kannt. Ist jedes davon in irgendeinem Punkte von den andern ver⸗ schieden, so besitzen wir, da die Unterscheidungsmerkmale zumeist in den bildlichen Darstellungen beruhen, in diesen 10 000 Siegelzvlindern etwa ebensoviel „altorientalische Bildwerke“, ein Anschauungs⸗ material ohnegleichen und von hohem Wert, vor allem dadurch, daß es in dem ungeheuren Zeitraum von fast 3000 Jabren entstanden und die Zeit der Entstehung in den meisten Fällen genau fest⸗ stellbar ist und weil die Darstellungen fast alle Gebiete des geistigen und materiellen Lebens umspannen. Auffallend ist die zylindrische Form; denn sie ergibt sich keineswegs gewissermaßen von selbst aus irgendwelchem materiellen Zwange. Sie ist im Gegenteil, im Grunde genommen, unpraktisch; die richtige, wirklich praktische Siegelform ist das Stempelsiegel, mit dem man auch auf Ton, dem Schreibpapier des alten Orients, viel leichter und bequemer siegeln kann als mit dem Siegelzylinder. Was mag nun zur Wahl der Zylinderform im gegebenen Fall geführt haben?
Die Frage zu beantworten, istum so schwieriger, als aller Wahrscheinlich⸗ keit nach ein Stempelsiegel sogar vor der anderen Form da war und durch den Siegelzylinder abgelöst worden ist. Beweis: Die Auffindung einiger recht plumper und massiger Stempelsiegel neben zplindrischen bei Ausgrabungen in Suarghul. Aus stitistischen Gründen besteht kein Zweifel, daß hier die ersteren älter sind als die an der gleichen Stelle zutage geförderten zweiten. Ja, es erscheint berechtigt, den Fall zu verallgemeinern und zu behaupten, daß in Babylon wie in Elam das Stempelsiegel vor dem Zylindersiegel im Gebrauch war. Um so rätselhafter wird die Frage, was zur Zylinderform, zur Auf⸗ gabe einer praktischen und naturgemäßen zugunsten einer sehr unprak⸗ tischen und unnatürlichen Siegelform Anlaß gegeben hat. Vielleicht waren ähnliche Gründe maßgebend, wie bei der Wahl der an sich auch durchaus unpraktischen zylindrischen oder prismatischen Formen für gewisse Gattungen von schriftlichen Aufzeichnungen, wobei u. a. zu denken ist an die babylonischen Bauzylinder und die assyrischen Bauprismen — Formen, die, so unpraktisch sie waren, doch Jahrtausende hindurch zäh festgehalten worden sind. Vielleicht auch war die Zylinder⸗ form durch irgendwelche künstlerische Beweggründe beeinflußt, indem sie ineinander sich schließende Darstellungsarten ermöglichte, wie sie gerade in der alten Zeit beliebt waren. In diesem Zusammenhange gibt vielleicht ein seltsames, von der Berliner Sammlung vor kurzem erst erworbenes Stück die gesuchte Aufklärung, ein altertümlicher Bild⸗ zylinder nämlich von ganz schwacher Wandung, der seiner Zerbrech⸗ lichkeit wegen sicher niemals zum Siegeln benutzt werden könnte, sondern in der reinen Bilderwirkung seinen eigentlichen Zweck erfüllte, was schon aus der Gestalt des betreffenden Bildes erhellt. Ist diese Erklärung des gesuchten Zusammenhangs richtig, so besteht die Möglichkeit, daß das, was wir Siegelzylinder nennen, in seinen ersten Anfängen überhaupt nicht zum Siegeln bestimmt war, sondern in der reinen Bildwirtung seinem eigentlichen Zweck entsprach. Wie dem auch sei, alle uns heute bekannten Siegelzylinder geben sich als Siegel aus und sind daher als solche zu würdigen. Sie sind uns in zwei Formen überliefert, den beiden überhaupt möglichen Ueber⸗ lieferungsformen: im Original und in Gestalt von Abrollungen. Letztere kennen wir in drei besonders charakteristischen Formen: 1) auf Tonverschlüssen für Krüge, 2) auf Etiketten, die an irgendwelchen Behältnissen aus anderem Material angebracht waren, und 3) in den weitaus überwiegenden Fällen, auf Tontafeln rechtlichen Inhalts, wo sie, wie Siegel heute noch, die Verbindlichkeit des Rechtsgeschäfts für die Beteiligten sicherstellten und beglaubigten. „Die Abrollungen zu 1 gehören in Babvylonien fast alle der ältesten Zeit an und sind für die Kunstgeschichte des alten Orients von grundlegender Bedeutung. Die Siegelung der Krugverschlüsse war auch später noch und auch außerhalb Mesopotamiens üblich. Hierfür spricht ein dem 13. Jahrhundert angehöriger Verschlußklumpen aus Boghazköi. Auch die ältesten ägyptischen Siegel sind in Form von Abrollungen auf Krugverschlüssen erhalten,
Es knüpfen sich an den Fese han, des Berichts ja mehr oder weniger interessante Fragen in übergroßer Menge: Fragen nach dem Material der Siegelzylinder, nach der Technik ihrer Herstellung, nach den Besitzern der Zylinder im Altertum, nach den Fundumständen von heute, nach Erwerbungsmöglichkeiten durch Grabungen und Handel, nach Umfang und Inhalt der Sammlungen von Museen und Privaten, ja fogar die höchst interessante und verwickelte Frage der vorhandenen Zylinderfälschungen. Der Vortragende erklärte in⸗ dessen, alle diese Dinge beiseite lassen, auch jedes Eingehen auf die wissenschaftliche Literatur vermeiden zu wollen. Es bieße die ohnehin fast verwirrende Fülle der Eindrücke unnötig ver⸗ mehren, wollte er an dieser Stelle mehr bieten als eine Vor⸗ führung des Materials und, daran anknüpfend, an einer Reihe ausgewählter Beispiele den Beweis, wie groß der Gewinn ist, den wir aus den altorientalischen Siegelzylindern für unsere Kenntnis der Geschichte, der Religion und des Kultus, der Mytho⸗ logie und des profanen Lebens, besonders aber der Kunst des alten Orients ziehen können. Doch auch innerhalb dieser Einschränkung ist noch die weitere geboten: der Verzicht darauf, die vielen naheliegenden religionsgeschichtlichen Probleme zu berühren, die dargestellten Gott⸗ heiten in ihrer Wesenheit zu schildern und die Symbole zu deuten.
In diesem Sinne wünschte der Redner zunächst das ausgedehnte Gebiet der Siegelzylinder zeitlich und örtlich ungefähr zu begrenzen. Wenn von „altorientalischen“ Siegelzylindern im Eingange die Rede gewesen, so sei damit etwas eigentlich Selbstverständliches gesagt worden; denn andere als altorientallsche“ gibt es, streng genommen, nicht. Siegelzylinder finden sich fast in dem ganzen Gebiet, das wir unter dem Sammelnamen „Alter Orient“ zu verstehen gewohnt sind, und nur in diesem, aber nicht überall und zu allen Zesten. In einzelnen Ländern waren sie vielmehr nur vorübergehend im Gebrauch und sind bald durch andere Stegelformen ersetzt worden. Einheimische, nicht etwa von außen eingeführte Siegelzvlinder sind gefunden worden in Babylonien und Assyrien, in Elam und Persien, in Kleinasien, Spvrien, im westlichen Mesopotamien, im alten Armenien, am Wan⸗ See, in Cypern und Aegypten, endlich in Nordarabien, nicht aber in Südarabien, nicht in den Kulturgebieten des ferneren und fernen Ostens, nicht in Griechenland. Dauernd im Gebrauch waren Zylindersiegel nur in Babylonien, Elam und Persien, wo wir sie von der ältesten Zeit bis zur Auflösung der politischen Organisation finden. In Assyrien hat man sich schon früher von der Zylinderform losgesaat und sich des praktischeren Stempelsiegels be⸗ dient; ob ausschließlich oder nur nebenher, ist nicht ermittelbar. In
8
I den von der beständigen Anwendung des Siegelzylinders auszunehmenden
Ländern unter den obengenannten findet der nur zeitweise Gebrauch seine Erklärung wohl darin, daß er ihnen durch die politischen Macht⸗ haber in Zeiten aufgezwungen war, wo diese Länder nicht nur in kultureller Abhängigkeit, sondern unter der Botmäßigkeit von Baby⸗ lonien oder Assyrien standen. Es scheint hiernach, daß schon in jenen fernen Zeiten der Staat, in dessen Namen Recht gesprochen wurde, auch auf die Formen des Rechtsgeschäftes Einfluß nahm. Gleichgültig ist die Siegelform ja niemals und nirgends gewesen. Auch im deutschen Mittelalter ist sie Sache des geheiligten Herkommens und der unantastbaren Rechtssitte gewesen. Daß der Siegelzylinder in der Tat ein politisches Dokument ist, daß seine Be⸗ nutzung als Zeugnis der politischen Beztehungen der betreffenden Länder zu Babylon oder Assur betrachtet werden darf, dafür scheint, soweit wir sie heute zu überblicken vermögen, die Praxis in Kappadocien im Herzen Kleinasiens zu sprechen. Die älteren dortigen Tontafeln gehen bis in die Mitte des dritten Jahrtausends zurück. Sie zeigen an dem jetzt immer häufiger auftauchenden Siegel⸗ abdruck dieser Tafeln, bei hethitischer Formensprache sämtlich aus⸗ gesprochen babylonischen Typus. Eine Abrollung stammt vom Siegel des Schreibens Königs Hisin von Ur (etwa 2400 v. Chr.) und bestätigt ersichtlich die Annahme, daß Kappadocien zur fraglichen Zeit in politischer Abhängigkeit von Babylonien war. Es darf als Bestätigung dieser Annahme gelten, daß die gesiegelten Urkunden aus der Zeit, in der das Hethiter⸗Reich eine Großmacht und völlig unabhängig von Babylon war, alle ein Stempelsiegel zeigen.
Von Interesse ist eine Untersuchung darüber, wie sich in Technik und in künstlerischem Wert die Siegelzylinder der außerbabylonischen Länder zu denen aus dem Zentrum des Alten Orients verhalten. Erstere sind zum kleinsten Teil unmittelbar aus Babylon eingeführt, vielmehr zumeist von einheimischer Arbeit. Sie zeigen eine Mischung ein⸗ heimischer und babylonischer oder auch — wie die syrisch⸗hethitischen — ägyptischer Elemente sowohl im Stil als im Gegenstand der Darstellung. Einige Beispiele mögen hierfür zeugen:
Die zahlreichsten außerbabylontschen Zvlinder gehören dem hethitischen Kulturkreise an, also dem von den Babvyloniern soge⸗ nannten „Westland“, einschließlich des mittleren und südlichen Klein⸗ asiens, des westlichen Mesopotamiens (mit dem Zentrum in Tell Halaf), des nördlichen Syriens, Phöniziens und Palästinas. Eine systematische Behandlung der aus diesen Gebieten stammenden Zylinder ist noch nicht versucht worden; sie bietet auch in bezug auf zeitliche und örtliche Bestimmung sehr viel ungelöste und zum Teil wohl schwer lösbare Rätsel, da in nur wenigen Fällen Herkunft Wund Fundumstände bekannt sind. Zeitlich an der Sptze stehen jedenfalls die Zylinder von Kultepe im Herzen Klein⸗ asiens und unter ihnen ist wohl das älteste das recht altertümlich anmutende Stück, darstellend zwei Gerstenbier schlürfende Personen. Lehrreich ist nun ein Vergleich mit einer der zahlreichen verwandten babylonischen Darstellungen, aber auch mit ägyptischen Stücken. Daß das kappadocische Stück einheimische Arbeit und nicht etwa babylonische Einfuhr ist, lehren schon die echt hethitischen Zöpfe, die beide Trinker zieren. Von den Abrollungen aus Kultepe gehören wohl die meisten der zweiten Hälfte der dritten Jahrtausends an. Von der Zeit nach Hammurabi an fehlen Siegelzylinder aus Kleinasien bis jetzt völlig — ein wertvolles Zeugnis mehr für die anderweit bekannte Tatsache, daß von da an der politische Einfluß Babyloniens und Assyriens dort aufgehört hatte. Während über die Zytinder des Tell Halaf noch alle authentischen Mitteilungen fehlen, werden wir über die bedeutende Gruppe der syrisch⸗hethitischen Zylinder erst ein endgültiges Urteil gewinnen können, wenn die großen Mengen an Siegeln in Zylinder⸗ und Stempelform bekannt sein werden, die englische Grabungen in Dscherabulus zutage gefördert haben und besüglich deren wir bis jetzt auf Mutmaßungen angewiesen sind. Vtelleicht kommen wir der Wahrheit am nächsten, wenn wir sie der Hauptsache nach in die zweite Hälfte des zweiten Jahr⸗ tausends versetzen. Ein erhehlicher Teil mag auch wesentlich älter, ein anderer wesentlich jünger sein. Zu überraschen braucht es nicht, daß von den vielen aus Syrsen stammenden El Amarna⸗Tafeln keine einen Siegelabdruck trägt, handelt es sich hter doch nur um Briefe, nicht um Geschichtsurkunden! — Die stilistischen Merkmale der hethitisch sprischen Zylinder springen in die Augen und zeigen sich bereits in den ältesten Stücken von Kultepe: einmal in der Tracht der dargestellten Personen, dann in den zur Raumausfüllung benutzten Tierbildera und Tierköpfen (vor allem Hasen), wie auch in der Einführung heimischer Götter und Symbole an Stelle der babylonischen — der nackten Göttin, des kriegerischen Gottes, der auf dem Tier oder dem Wagen stehenden Gotthett, des Sombols der Hand oder des abgeschlagenen Männerkopfes. Beliebt ist auch ein ornamentaler Schmuck, Flechtband oder Rosetten. Endlich kann das Prinzip des Massenaufgebotes gleich⸗ artiger Motive als ein den hethitischen Zylindern eigentümlicher Zug bezeichnet werden. Ob oder gar wie sich die babylonisch und die ägyptisch beeinflußten sprisch⸗hethitischen Zylinder „zeitlich“ von⸗ einander unterscheiden, läßt sich heute noch nicht sagen. Mitunter treffen sich alle drei Elemente auf einem und demselben Stück. Künstlerisch stehen die heihitisch⸗syrischen Zylinder sämtlich auf recht niedriger Stufe: bei aller Geschicklichkeit in der Ausführung der einzelnen Motive kommt niemals eine befriedigende Bildwirkung des Ganzen zustande. Unendlich roh sind die auch in ihrer Datserung sehr fraglichen cyprischen Zylinder. Als wahr scheinlicch darf immerhin gelten, daß sie alle dem zweiten und ersten vorchristlichen Jahrtausend angehören. Eines dieser Siegel enthält ganz ausnahmsweise einmal einen Namen. Fraglich bleibt, ob es von seinem Besitzer wirklich nach Cypern gebracht worden ist. Unter den von Babylonien her beeinflußten cyprischen Siegeln be⸗ finden sich auch einige, die älter als die Hammurabizeit sein mögen, die Mehrzahl ist aber viel jünger, viele zeigen deutlich den Einflu der hethitisch⸗syrischen Gruppe. Ganz vereinzelt sind Siegelzylinder im Süden segt e aufgetaucht, sie scheinen, wie an zwei aus Gezer, stammenden Stücken erkennbar, hethitisch zu sein. Häufiger sind Siegelwylinder mit protoarabischen, nicht etwa sabäischen Inschriften, gewiß aus den zestweilig unter afsyrischer un sväter persischer Herrschaft gewesenen Gebieten Nordarabiens, mir Teima, stammend. Gleich den phönizischen haben sie ihre Besonder
ist durchaus assyrisch oder persisch. Wo einheimische Arbeit vorzu⸗ liegen scheint, ist diese überaus roh und ungeschickt. Selten sind bis heute auch Siegelzylinder aus altarmenischem Geblet am Wansee. Eine interessante Abrollung zeigt das auf einem Wagen gefabrene Prozessionsschiff. Der Stil ist unverkennbar vom Assyrischen beein⸗ 1 wenn das Ganze auch den Eindruck einer einhetmischen Arbeit macht.
Recht dunkel ist heute noch die Chronologie der elamischen Siegel. Der Vortragende glaubt nicht in der Ansicht zu irren, daß das Siegel in Elam in der ältesten Zeit dieselbe Entwicklung
liche Rundsiegel, ihm folgen die ebenfalls unförmlichen Siegelzv’ inder
von den gleichzeitigen babylonischen aber durchaus verschieden. Das wird besonders deutlich bei einem elamitischen Siegel mit einer Sonne aus dem Gilgamesch⸗Epos, das vielleicht den uralten babylonischen Lugalanda Zyl
ngiceeidüna babylonischer und elamischer Siegelzylinder nur selten m g 8
Auch die assyrischen Siegelzvlinder wollen von den babylonischen getrennt betrachtet werden. Das Zvlindersiegel ist in Assyrien deutlich als ein fremdartiges, von außen kommendes Element zu erkennen. Es ist in seinen ältesten Proben unverkennbar Einfuhr aus Barplomten und hat sich nicht bis zum Ende des assyrischen Reiches behaupten können, sondern mußte dem Siegelstempel weichen. Dark den deutschen Ausgrabungen in Assur haben wir jetzt einen ungeföhren Begrist von der ältesten assprischen Geschichte. Aus der ersten Zeit.
felgenden, wohl als hethitisch zu bezeichnenden Periade fehlen bis seze ceh⸗
heit lediglich in den nachträglich eingeritzten Inschriften. Ihr Typus 8
wie in Babylon durchgemacht hat. Am Anfange steht das unförm⸗ 8 mit Darstellungen aus dem Landleben. Im Stil sind diese Stücke
indern gleichzeitig ist. In der Folgezeit aber ist eine 8
deren Kultur ein rein ceshsche⸗ Gepräge zeigt, und auch aus der darauf