1915 / 276 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 23 Nov 1915 18:00:01 GMT) scan diff

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Großes Hauptquartier, 23. November. (W. T. B.) Westlicher Kriegsschauplatz.

Auf verschiedenen Stellen der Front hielt, durch das klare Wetter begünstigt, die lebhafte Feuertätigkeit an. Im Priester⸗ walde blieben zwei feindliche Sprengungen erfolglos. Ein französischer Doppeldecker stürzte bei Aure (in der Champagne) nach Luftkampf ab.

Oestlicher Kriegsschauplatz. Keine wesentlichen Ereignisse. 1b

Balkankriegsschauplaz.

Nördlich von Mitrovica sowie nördlich und nordöstlich von Pristina wurde der Feind in Nachhutkämpfen ge⸗ worfen. Ueber 1500 Gefangene, 6 Geschütze wurden einge⸗ bracht. Auch die südöstlich von Pristina kämpfenden bulgarischen Kräfte drangen erfolgreich vorwärts. Es wird von dort die Gefangennahme von 8000 Serben und eine Beute von 22 Maschinengewehren und 44 Geschützen gemeldet. Oberste Heeresleitung.

Wien, 22. November. (W. T. B.) Amtlich wird gemeldet: Russischer Kriegsschauplaz. Nichts Neues. . Italienischer Kriegsschauplaz.

Die Italiener setzten den Angriff auf den ganzen Görzer Brückenkopf ebenso hartnäckig wie erfolglos fort. Besonders erbittert war der Kampf im Abschnitte von Oslavija, wo die bewährte dalmatinische Landwehr, unter⸗ stützt durch das tapfere Krainer Infanterieregiment Nr. 17, den vorgestern noch in Feindeshand gebliebenen Teil unserer Stellung vollständig zurückeroberte. Der Südteil der Podgora wurde fünfmal angegriffen. Die verzweifelten Vorstöße der Italiener brachen jedoch teils im Feuer, teils in Hand⸗ granatenkämpfen zusammen. Im Abschnitte der Hochfläche von Doberdo waren die Anstrengungen des Feindes hauptsächlich gegen den Raum von San Martino gerichtet. Nach starker Artillerievorbereitung vermochten die Italiener hier in unsere Kampffront einzudringen. Ein nächtlicher Gegenangriff brachte aber das Verlorene bis auf ein kleines vorspringendes Grabenstück wieder in unseren Besitz. Nördlich des Brückenkopfes von Görz überschritten schwächere feindliche Kräfte südlich Zagora den Isonzo. Abends war aber das linke Flußufer von diesen Italienern wieder gesäubert. An der Tiroler Front hat es der Gegner in letzter Zeit auf den Col di Lana besonders abgesehen, wohl um seinen zahl⸗ reichen Veröffentlichungen über Erfolge in diesem Gebiete gerecht zu werden. Das italienische schwere Geschützfeuer war hier gestern heftiger denn je; drei Angriffe auf die Berg⸗ spitze wurden abgewiesen.

I Südöstlicher Kriegsschauplatz.

SDdie im Gebiet von C ajnice kämpfenden K. und K. Truppen

warfen die Montenegriner aus ihren Stellungen am Nordhange des Goles⸗Berges. Auch östlich von Gorazde sind Gefechte im Gange. Eine österreichisch⸗ungarische Gruppe aus Nova Varos nähert sich Prijepolje. In Novipazar erbeutete die Armee des Generals von⸗Koeveß 50 Mörser, 8 Feldgeschütze, 4 Millionen Gewehrpatronen und viel Kriegsgerät. Der noch östlich der Stadt verbliebene Feind wurde von deutschen Truppen vertrieben, in deren Hand er 300 Gefangene zurückließ. Die im Ibar⸗Tale vordringende österreichisch⸗ungarische Kolonne erstürmte gestern tagsüber 20 km nördlich von Mitrowitza drei hintereinander liegende serbische Stellungen. In der Dunkelheit bemächtigte sie sich durch Ueberfall noch einer vierten, wobei 200 Ge⸗ fangene eingebracht und 6 Geschütze, 4 Maschinengewehre, eine Munitionskolonne und zahlreiche Pferde erbeutet wurden. Die Armee des Generals von Gallwitz nahm in erfolgreichen Kämpfen südlich des Prepolac⸗Sattels 1800 Serben gefangen. Oestlich und südöstlich von Pristina gewinnt der Angriff der ersten bulgarischen Armee trotz zähesten serbischen Widerstandes stetig an Raum. Der Stellvertreter des Chefs des Generalstabes von Hoefer, Feldmarschalleutnant.

Sofia, 22. November. (W. T. B.) Amtlicher Bericht vom 18. November. Die Operationen entwickeln sich günstig für uns auf der ganzen Front. Wir haben noch 1200 Mann gefangen genommen.

Amtlicher Bericht

Sofia, 22. November. (W. T. B.)

vom 19. November. Die 8s geht energisch vorwärts. Nach erbitterten Kämpfen haben sich unsere Armeen Pristina vom Norden und vom Osten genähert. Wir haben noch 1800 Mann gefangen genommen und dazu eine halbe Schwadron Kavallerie.

1 Der Krieg der Türkei gegen den Vierverband.

Konstantinopel, 22. November. (W. T. B.) Das Hauptquartier teilt mit: An der Dardanellenfront aus⸗ setzendes Artilleriefe2er und Bombenkämpfe. Bei Anafarta zerstörte eine unserer Patrouillen am rechten Flügel Schützen⸗ gräben, die der Feind neuerdings anzulegen versuchte, und erbeutete 500 Sandsäcke und Draht. Unser Geschützfeuer ver⸗ trieb feindliche Transportschiffe, die sich der Küste von Ari Burun zu nähern versuchten. Am 21. November Morgens verjaagte unsere Artillerie ein feindliches Torpedoboot, das in die Meerenge einfahren wollte. An der Kaukasusfront

Bedeutung außer Scharmützeln zwischen den Pa⸗ Sonst ist nichts zu melden. ““

Der Krieg zur See.

1, 22. November. (W. T. B.) Wie das „Reutersche Bureau“ meldet, sind die britischen Dampfer „Merganser“ und „Hallamshire“ versenkt worden. Die Besatzungen konnten gerettet werden. „Loyds“ melden aus Port Said von heute: Der britische Postdampfer „Salsette“, von London nach Bombay unterwegs, ist im Golf von Suez gestrandet.

Er braucht sofortige Hilfe.

Der Krieg in den Kolonien.

Paris, 21. November. (W. T. B.) Wie der „Temps“ aus Le Havre meldet, berichtet man aus amtlicher Quelle, daß

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die belgischen ongotruppen in Verbindung mit englischen Truppen des Ugaända⸗ und des Aequatorialgebietes Deutsch Ostafrika vom Norden und Westen zu bedrohen beginnen. Gleichzeitig marschiere eine aus freiwilligen Engländern und Buren aus Rhodesia, dem Transvaal und dem Oranje⸗ staat gebildete Kolonne von Süden gegen Deutsch Ostafrika, das bald vollkommen umschlossen sein werde. Infolge der großen Entfernungen und der beschränkten Transportmittel werde jedoch noch einige Zeit vergehen, bevor die Angriffspläne genauer festgelegt werden können.

London, 22. November. (W. T. B.) Das „Reutersche Bureau“ meldet aus Ostafrika: Die Deutschen sind sehr stark und beherrschen den Tanga⸗Nyikasee. Offiziere und Bemannung des deutschen Schiffes „Königsbera“ befinden sich bei den Truppen, die auf 4000 Weiße und 30 000 Schwarze geschätzt werden. Die Schiffsgeschütze wurden ins Inland trans⸗ portiert. Neulangenburg ist eine der stärksten Stellungen. Der Bericht „Reuters“ fügt hinzu, die Stärke des Feindes und der Besitz von schwerem Geschütz verursache beträchtliche Sorge. Bisher konnten die Briten und Belgier sich behaupten (!), die Deutschen mußten sich in jedem Falle zurückziehen (I).

London, 21. November. (W. T. B.) Amtlich wird nach einer Meldung des „Reuterschen Bureaus“ mitgeteilt, daß eine englisch⸗französische Abteilung am 3. d. M. Tibati in Kamerun besetzt habe. Die britischen Truppen eroberten am 6. d. M. den Gipfel des Canyonberges nach einem heftigen Kampf von Mann gegen Mann. Der Widerstand des Feindes sei gebrochen, er sei auseinander gesprengt und werde verfolgt. Lee. Mengen von Vorräten und Material seien erbeutet worden.

Koloniales.

Am 27. November hält in Berlin im Reichskolonialamt der Deutsche Frauenverein vom Roten Kreuz für die Kolonien seine 27. ordentliche Hauptversammlung ab. Aus der umfassenden Tacesordnung sei besonders ein Punkt hervorgehoben: Beratung über die Maßnahmen, die schon jetzt von dem Verein im Hinblick auf die Hilfe cetroffen werden müssen, die den Kolonien sofort nach Friedeosschluß gebracht werden muß. Gewiß ist die eigentliche koloniale Arbeit der deutschen Heimat zurzeit lahmgelegt; aber wie andere, soll und wird auch diese Tagung von Freunden unserer kolonialen Bestrebungen zeigen, wie man sich beizeiten auf die Fülle der Aufgaben vorzubereiten sucht, die die be nach dem Kriege steleen wird. Der Verein erfüllt jetzt insofern seinen schönen Zweck, als diejenigen seiner Schwestern, die bei Eriegsausbruch in den Kolonien waren, sich dort in opferfreudiger Weise dem Dienst für unsere Kolonialkrieger gewidmet haben, wahrend diejenigen Schwestern, die in der Hmat vom Kriege überrascht wurden, im Vaterlande selbst ihren Beruf ausüben.

Parlamentarische Nachrichten.

Namens des Bundesrates legt der Stellvertreter des Reichskanzlers, Staatssekretär des Innern Dr. Delbrück dem Reichstage gemäß Artikel 84 des Einführungsgesetzes zur Reichsversicherungsordnung mit einer Denkschrift über die Vermögenslage der Invaliden⸗ und Hinter⸗ bliebenenversicherung am 1. Januar 1914 die gesetz⸗ lichen Vorschriften über die Altersrente zur erneuten Beschluß⸗ fassung vor. Auf Grund der in der Denkschrift dargelegten Untersuchungen hat der Bundesrat beschlossen, dem Reichs⸗ tag eine Aenderung der Vorschriften der Reichsversiche⸗ rungsordnung über die Altersrente zurzeit nicht zu empfehlen.

Die in der Reichsversicherungsordnung festgesetzten Beiträge zur Deckung der Leistungen der Invaliden⸗ und Hinterbliebenenversicherung sind nach versicherungsmathematischen Grundsätzen berechner. Dabei wurde bisher eine Verzinsurg der Wertanlagen mit 3 v. H. voraus⸗ gesetzt. Inzwischen hat sich die Lage des Geldmarktes so gestaltet, daß die Rechnungen, ohne ihre Sicherheit zu gefährden, mit einer höheren Verzinsung durchgefüöhrt werden können. Die Voraussetzung einer höheren Verzinsung würde unter Beibehaltung der übrigen Rechnungsgrundlagen der frühberen Untersuchungen die Leistungs fähig⸗ teit der Träger der Invaliden⸗ und Hinterbliebenenversicherung günsttg beeinflussen. Gleichzeitig mußten aber die einzelnen Rechnungsgrundlagen oan der Hand der Erfahrungen nachge⸗ prüft werden, und die so gewonnenen Ergebnisse bilden die Unterlagen für die neuen Berechnungen. Um die Frage be⸗ antworten zu können, unter welchen Voraussetzungen eine Herab⸗ setzung der Artersgrenze für den Bezug der Altersrente möglich sei, mußten die künftigen Beiträge und Leistungen nach Maßgabe der neuen Rechnungsgrundlagen bewertet und damit die den Ver⸗ sicherungsträgern zur Verfügung stehenden Mittel verglichen werden. Die Untersuchungen gehen von den geltenden Vorschriften der Reichs⸗ versicherungeordnung aus und ermitteln sodann, welchen Einfluß die Herabsetzung der Altersgrenze für den Altersrentenbezug auf die Bilanz der Gesamtheit der Versicherunge träger ausübt. Damit trägt die Denkschrift gleichzeilig einem Wunsche des Reiche tags Rechnung, der in seiner Sitzung vom 22. Januar 1913 beschlossen hat, die per⸗ bündeten Regierungen zu ersuchen, neue Berechnungen über die Be⸗ lastung aus der Hinterbliebenenversicherung unter Verwendung der Erfahrungen der Jahre 1912 und 1913 vorzulegen.

Nach den Untersuchungen der Denkschrift werden die in der Reichsversicherungsordnung vorgesehenen Beiträge zur Deckung der Verpflichtungen der Versicherungsträger ausreichen, wenn angenommen werden kann, daß die im Laufe der einzelnen Jahre aus der Ver⸗ sicherungspflicht ausscheidenden Personen ihre erworbenen An⸗ wartschaften auf die Leistungen der Reichsversicherungsordnung in vollem Umfang zugunsten der Allgemeinheit der Versicherten verfallen lassen. Eine Herabsetzung der Altersgrenze für den Bezug der Altersrente auf das 65. Lebensjahr ist nach der Denkschrift ohne Erhöhung der Beitrage nicht möglich. Dabei ist noch zu bemerken, daß die Denkichrift als Stichtag für die Be⸗ rechnungen den 1. Januar 1914 vorausgesetzt hat; seitdem haben sich aber die Voraussetzunger, auf denen die Berechnungen beruhen, wesentlich ungünstiger gestaltet. Im Verlaufe des Krieges sind die Beitragseinnahmen der Versicherungsträger erheblich zurück⸗ gegangen; noch seiner Beendigung wurd unter Umständen noch längere Zeit hindurch mit niedrigeren Einnahmen als vor dem Kriege zu rechnen sein. Anderseits ist eine starke Steigerung der Leistungen zu ermwarten. Zwar würden die durch den Krieg veranlaßten Invaliditäts⸗ fälle erst nach und nach in die Erscheinung treten, dagegen zeigt sich schon jetzt durch die große Zahl der Kriegstodesfälle eine bedeutende Zunahme der Belastung an Waisenrenten. Während in der Zeit vom j. Juli bis 30. September 1914 für 6756 Waisenstämme Renten bewihiat wurden, erhöhten sich die Bewilliaungen in der Zeit vom 1. Oktober bis 31. Dezember 1914 auf 9276 Renten an Waisen⸗ stämme, vom 1. Januar bis 31. März 1915 auf 18 583 Renten an Waisenstämme, vom 1. April bis 30. Junt 1915 auf 26 449 Renten an Waisenstämme. 1 8

Gegenüber der Aufgabe, die Leistungsfähigkeit der Träger der Invaliden⸗ und Hinterbliebenenversicherung über die Zeit des Krieges hinaus zu sichern, muß der Wunsch, einzelne Leistungen günstiger zu gestalten, zurücktreten. Die Altersrente ist von Einführung der In⸗ validenversicherung ab als eine mehr nebensächliche Leistung angesehen worden. Die Festsetzung der Altersgrenze auf das 70. Lebensjahr geschah lediglich in der Annahme, daß in diesem Alter im allgemeinen

gerichtet hat oder 4) im Amte verübt ist.

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Invaliditit im Sinne des Gesetzes vermutet werden könne. Wenn die Bestrebungen, die Alterkgrenze auf das 65. Lebers⸗ jahr berabzusetzen, sich vamentlich darauf stützen, daß nach dem Versicherungsgesetze für Angestellte der Bezug des Ruhegeldes ohne den Nachweis der Berufsunfähigkeit mit dem Tage beginnen kann, an dem das Alter von 65 Jahren vollendet ist, so muß dabei die Vor⸗ schrift im § 73 des Versicherungsgesetzes für Angestellte beachtet werden. In Abweichung von den für die Altersrente nach der Reiche⸗ versicherungsordnung geltenden Grundsätzen ruht danach in der An⸗ gestelltenversicherung das Ruhegeld neben Gehalt, Lohn oder sonstigem Einkommen aus gewinnbringender Beschäftigung, soweit die Bezüge zusammen den Jahresarbeitsverdienst übersteigen, der dem Durchschmit der sechzig höchsten monatlichen Beiträge des Versicherten entspricht. Neben dem Einfluß, den der Krieg auf die Vermögens lage der Versicherungsträger ausübt, ist ouch seine Einwirkung auf die Finanzen des Reichs zu berücksichtigen. Zwar wird nach den in der Denkschrift wiedergegebenen Auszählungen die Belastung des Reichs aus der Herabsetzung der Altersgrenze für den Bezug der Altersrente geringer sein, als bei den Beratungen der Reichsversicherungsordnung ange⸗ nommen wurde. Dagegen ist nicht zu übersehen, in welcher Weise das Reich infolge der durch den Krieg entstandenen Versicherungsfälle mehr belastet werden wird. Neben der hierdurch ohnehin eintretenden Erhöhung der Reichszuschösse können mit Rücksicht auf die sonstige schwere Belastung des Rrichs weitere Reichsmirtel für die Inpaliden. und Hiaterbliebenenversicherung über den von der Reichsversicherungs⸗ ordnung vorgesehenen Umfang binaus nicht bereitgestehtt werden. Da zurzest weder eine Erhöhung der Beiträge zur Invaliden⸗ und Hinterbliebenenversicherung noch eire Mehrbelastung des Reichs mit Reichszuschuß empohlen werden kann, so können die verbündeten Regierungen die Herabsetzung der Altersgrenze für den Bezug der Altersrente vom 70. auf das 65. L. b. nejahr nicht befürworten.

Statistik und Volkswirtschaft.

Aus der deutschen Kriminalstatistik für 1913.

In Heft 21/22 der „Deutschen Juristenzeitung“ (Jahrgang 1915, Verlag von Otso Liebmann, Berlin) teilt der Oberlandesgerichts⸗ präsident, Wirkliche Geheime Oberjustizrot Lindenberg die wich⸗ tigsten Ergebnisse der vom Kaiser lichen Statistischen Amt veröffent⸗ lichten deutschen Kriminalstatinik für das Jahr 1913 mit. Danach sind wegen Verbrechen oder Vergehen gegen Reichsgesetze in Deutsch⸗ land im Jahre 1913 561 805 Personen verurteilt worden gegen 581 185 im Vorjahre 1912, 552 560 ü. J. 1911, 546 418 i. J. 1910 und 505 353 in dem eln Jahrzehnt zurückliegenden Jahre 1903. Es ergibt sich also für das letzte Berichtsjahr 1913 eine erhebliche Abnahme der Verurteiltenzahl: um 19 380 oder 3,3 %, nachdem aller⸗ dings im Jahre 1912 eine Steigerung um 28 625 oder 5,2 % stattgefunden hatte. Der Rückgang im Berichtsjahre ist der größte bisher be⸗ obachtete. Leider sind an ihm die Jugendlichen nur wenig heteiligt; denn die Zahl der wegen Verbrechen oder Vergehen gegen Reichsagesetze in Deutschland verurteilten Jugendlichen, die 54 172 gegen 54 958 im Vorjahr 1912, 50 880 i. J. 1911, 51 325 i. J. 1910 und 50 219 i. J. 1903 betrug, ist im letzten Berichtsjahre nur um 786 oder 1,4 % gesunken. So ist es gekommen, daß der Anteil der Jugendlichen am Verbrechertum, der von 1906 bis 1911 mit nur einer Unterbrechung zurückgegangen war, die im Jahre 1912 begonnene S weiter fortgesetzt hat, sodaß unter 10 000 Verurteilten im Berichtsjahre 43 Jugendliche mehr waren als zwei Jahre vorher, nämlich 964 gegen 946 im letzten Vorjahr, 921 i. J. 1911, 939 i. J. 1910, 1036 i. J. 1906 und 994 i. J. 1903. Dieses Ergebnis ist be⸗ trübend bei den großen Anstrenaungen, die gemacht werden, um die Jugend vom Pfade des Verbrechens abzuhalten.

Die amtliche deutsche Kriminalstatistik unterscheidet vier Haupt⸗ gruppen von Straftaten, je nachdem das Verbrechen oder Vergeben 1) gegen den Staat, die öffentliche Ordnung und die Religion oder 2) gegen die Person oder 3) gegen das Vermögen sich Von je 100 der Gesamt⸗ zahl der wegen Verbrechen oder Vergehen gegen Reichsgesetze ver⸗ Personen sind nun verurteilt worden wegen Verbrechen oder

ergehen hae ne. im Jahre 1913 1912 1911 19903 gegen den Staat usw.. 17,2 17, 17,8 8“ gegen die Person 327, 38, 38, 42,1 gegen das Vermögen 44,2 43, 43,8 40,58

v111““ 0,2 0,2 C Gegenüber dem Jahre 1912 zeigt sich also ein Rückgang des Anteils der gegen die Person gerichteten Straftaten, wogegen der Anteil der gegen das Vermögen gerichteten gestiegen ist, was auf die ungünstiger gewordenen wirrschaftlichen Verhältnisse zurückzuführen sein wird. Geht man zehn Jahre zurück, so ergibt sich außer einer geringen Zu⸗ nahme der g gen Staat, öffentliche Ordnung und Religion gerichteten Straftaten eine bedeutende Steigerung des Anteils der Verbrechen und Vergehen gegen das Vermögen, wäbhrend derjenige der gegen die Person gerichteten nach vorheriger starker Zunahme eine erhebliche Abnahme zeigt.

Der Kreis der Reichsgesetze, die Strafvorschristen entbalten, er⸗ weitert sich von Jahr zu Jabhr, insbesondere durch die sazialpolitische Gesetzgebung. Es werden dadurch zahlreiche Delikte neu geschaffen, die man früher nicht kannte. Dies darf man bei der Beobachtung der Veränderungen in der Gesamtkriminalität nicht vergessen. Von den im Jahre 1913 wegen Verbrechen oder Vergeben gegen Reichs⸗ gesetze Verurteilten sind 501 085 (i. J. 1912 522 179) wegen Zu⸗ widerhandlung gegen Bestimmungen des Strafgesetzbuches und 60 720 (59 006) wegen Verletzung anderer Reichsgesetze v rurteilt worden. Während noch vor 5 Jabren von 100 Verurteilten 91 sich gegen das Strafgesetzbuch vergangen hatten, betrug dieser Anteil im Berichtsjahre 1913 nur noch 89,1. Dabet ist noch zu berücssichtigen, daß zum StrB. verschiedene Novellen ergangen sind, die neue Delikte geschaffen haben. Unter den neueren Gesutzen, die zahlreiche Verurteilungen verursachen, steht in erster Linte die Gewerbe⸗ ordnung. Allein wegen Zuwiderbandlungen gegen die Be⸗ stimmungen über die Sonntagsruhe sind im Jahre 1913 13 803 (i. J. 1912 13 551) Personen verurteilt, serner wegen unbefugter Ausübung esnes genebmigungspflichtigen Gewerbes 11 972 (12 372) und wegen Verletzung der Ladenschlußvorschriften 4071 (3675), sodaß auf diese drei Delikte nabezu die Hälfte der Personen entfällt, die wegen Verletzung außerhalb des Str G B. liegender Bestimmungen verurteilt worden sind. Das Gesetz, betreffend die Kinderarbeit, bhat 4643 (t Vorj. 4532) Bestrafungen verursacht. In steigendem Maße sind u a. auch das Weinaesetz mit 2606 Verurteilungen (gegen 2149 i. J. 1912), das Gesetz über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen mit 2391 (2113), die Seemanns ordnung (Bruch des Heuervertrags) mit 1663 (1312), das am 1. Mci 1912 in Kraft getretene Vieb⸗ seuchengesetz mit 1247 (517) Bestrafungen beteiligt, wogegen auß dem durch das Vtehseuchengesetz hbeseitigten § 328 des Str GB. nur noch 168 Verurteilungen erfolgt sind (gegen 2109 i. J. 1912 und 3581 i. J. 1911).

An dem Rückgang der gegen die Person gerichteten Straftaten im Rahmen des Strafgesetzbuchs ist außer den Beleidigungen, die von 65 315 auf 60 284 Verurteilungen zurückgegangen sind, vor allem die gefährliche Körperverletzung beteiligt mit 90 262 Veuurteilten gegen 96 820 i. J. 1912, sodaß eine Abnahme um 6,8 % stattgetunken hat. Auch die leichten Körperverletzungen sind von 23 848 auf 22 324 und die schweren von 148 auf 121 zwückgegangen. Die zur Grupre der Delikte gegen die Person gehörenden Kaptfalverbrechen zeigen 1o0 hohe Zahlen, wie seit langem nicht: wegen Mordes sind 110 Per⸗ sonen gegen 94 i. J. 1912 und wegen Totschlags 257 gegen 229 be⸗ straft worden; auch beim Knesmord ist die Zahl der Verurteilten von 119 auf 137 und bei der Abtreibung von 1316 auf 1514 ge⸗ stegen. Wegen Verbrechen oder Vergehen gegen die Sittlichkeite deren Zahl im Jahre 1912 nur eine ganz geringe Zunahme, t. J. 1911 allerdings eine solche um 7 % erfahren hatte, sind im Jahre 1913 15 818 Personen gegen 14 990 im Vorjahr, somit im Berichts⸗

jabre 5,5 % mehr verurteilt worden; an der absoluten Zunahme war am meisten die Zuhälterei beteiligt.

Unter den gegen das Vermögen gerichteten Straftaten nimmt nahem die Hälfte der wegen dieser Verurteilten der Diebstahl für sich in Anspruch mit 114 707 gegen 118 063 i. J. 1912, sodaß ein Rückgang um 2,8 % erfolgt ist, nachdem im voraufgegangenen Jahre eine Zunahme um 6, % stattgefunden hatte. Daber haben die schwereren Fälle an dem Rückgange nicht teilgenommen, ihre Zahl ist vielmehr gesttegen; es wurden wegen schweren Diebstabls 20 722 Per. sonen gegen 19 597 i. J. 1912 bestraft. Wegen Hehlerei sind 10 072 gegen 9768 f. J. 1912, wegen Betruges 29 227 gegen 30 049, wegen Urkundenfälschung 7472 gegen 7165, wegen Unterschlagung 30 487 gegen 31 450 Personen verurteilt worden.

Bei den Verbrechen und Vergehen gegen Staat. öffentliche Ordnung und Religion zeigen den stärksten Rückgang die Ver⸗ letzung der Wehrpflicht mit 6278 Verurteilten gegen 7209 f. J. 1912 und der Hausfriedensbruch mit 21 031 gegen 23 550. Wegen Wider⸗ stands gegen Vollstreckungsbeamte sind Venurteilungen ungefahr in gleicher Jahl wie im Vorjahre erfolgt, nämlich 18 113 gegen 18 154; die vorsätzliche Gefangenenbefretung „weist einen kleinen Rückgang auf: von 1755 Verurteilungen im Jahre 1912 auf 1660. Meineid hatt⸗ 581 Verurteilungen gegen 605, fahrlässiger Falscheid 332 gegen 327 im Vorjahre zur Folge.

Für das Königreich Preußen ist vor kurzem die Hauptübersicht über die Geschäftstätigkeit der Gerichte im Jahre 1914 veröffentlicht worden. Diese alljährlich in Tabellenform als Beilage zum Justtz⸗ ministerialblatt“ erscheinende, lediglich auf den von den Gerichts⸗ schreibereien geführten Revistern beruhende Geschäftsstatistik soll einen Ueberblick geben über die Belastung der Gerichte in den einzelnen Geschäftsmweigen und über die Art der Erledigung der gerichtlichen Amtshandlungen. Die in ihr enthaltenen Zahlenangaben über die Tätigkeit der Gerichte in Strafsachen verfolgen also ganz andere Zwecke und beruhen auf ganz anderen Unterlagen als die Reichs⸗ kriminalstatistik, die die Entwicklung der verbrecherischen Handlungen und die persönlichen Verhältnisse der Verbrecher untersucht und auf dem Sostem der individuellen Zählkarten aufgebaut ist. Immerhm liefern aber doch die sich auf die Tätigkeit der Gerichte in Strafsachen beziehenden zahlenmäßigen An⸗ gaben der Geschäftsstatistik einiges Material, das man aus anderen Gesichtspunkten als denen der gerichtlichen Organisation prüfen und verwertbar machen kann. Eine solche Betrachtung des⸗ selben gleichfalls von dem Oberlandesgerich:spräsidenten Linden⸗ berg findet sich in veft 9/10 der „Deutschen Strafrechtszeitung“ (Jabrgang 1915, Verlag von Otto Liebmann, Berlin) für das Jahr 1914, das als erstes Kriegsja-r Beachtung verdient, weil sich bei Vergleichen mit den Vorjahren Beobachtungen darüber anstellen lassen, welchen Einfluß der Krieg auf die Strafrechtspflege gehabt hat. Nach dieser Uatersuchung zeigt das Jahr 1914 auf allen Ge⸗ bieten der strafgerichtlichen Tätigkeit eine recht starke Abnahme der Geschäfte, die auf einen Rückgang in den Kriegsmonaten um rund 40 %, für einzelne Zweige noch erheblich mehr, für andere etwas weniger, schließen läßt.

Wohlfahrtspflege.

Wie das preußische gibt auch das bayerische Kriegsminis⸗ terium gemeinsam mit dem Staatsministerium des Innern einen Stellennachweis für Kriegsinvalide heraus, der an jedem Sonnabend als Beilage des „Amtsblatts der K. Staatsministerien des Königlichen Hauses und des Aeußern und des Innern; erscheint, aber auch allein zum Jahrespreise von 1 oder zum Einzelpreise von 5 für die Nummer durch die Post bezogen werden kann. In jeder Nummer ist eine große Zahl von Stellen verzeichnet, die in der Landwirtschaft, in Industrie und Gewerbe, im Handel und in sonstigen Berufen für Kriegsinvalide offen stehen. 1.

Kunst und Wissenschaft.

In der unter dem Vorsitze von Professor Ed. Seler abge⸗ holtenen Novembe sitzung der „Anthropologischen Gesell⸗ schaft“ berichtete Geheimrat, Professor Hans Virchow über seine Studien, die sich auf den Zusammenhang von Gesichts⸗ muskeln und Gesichtsausdruck beztehen. Hinsichtlich der Be⸗ dingtheit des Gesichtsausdrucks durch die Gesichtsmuskeln ist bei ge⸗ nauer Forschung doch noch manches Neue zu erfahren, und man kann auch den Gesichtsausdruck bei den verschiedenen Gesichtern besser ver⸗ stehen, wenn man die anatomische Grundlage, die in Feinheiten mannigfach individuell abweicht, eingehender kennen gelernt hat. Der Vortragende wurde auf dieses besondere Untersuchungsgebiet durch die Präxparation der Gesichtemuskulatur eines Chimpansen geführt, an der er noch bisher nicht bekannte Muskelbändchen fand, die die Stärke einer mittleren Leinenfaser hatten; im ganzen war die Gesichts⸗ muskulatur dieses Affen so reich differen iert, wie man sie beim

Nenschen bisher nicht beobachtet hatte. So glaubt Virchow, der Ausoruck des Sinnenden beim Menschen hahe eine anatomische Grund⸗ lage in der Gegend der Augenbraunen, die sich bi Tieren nicht finden, doch diese Annahme wurde durch die Musekulatur des Chimpansen widerlegt. Insbesondere kot die Untersuchung der Muskulatur der Lippen und des Mundes Schwierigkeiten, da sich dort die einzelnen Muskeln gegensettig sehr stark durchdringen. Zu dem Ringmuskel des Mundes treten von den Seiten manche andere Muskeln hinzu, einige Muskelbündel treten aus der Tiefe zur Oberfläche, und um⸗ gekehrt erstrecken manche Muskeln von der Obeifläche her ihre Fasern bis in die Tiefe; es findet eine mannig'ache Zer⸗ spaltung in Schschten und Bündeln statt, die noch eines genaueren Studiums bedarf; jedenfalls ist der Grad der Diffe⸗ renziiterung gerade dieser Mundmuskeln beim Menschen höher, als man ihn bisher vermutet hat. Der Vortragende besprach im besonderen den Kinnmuskel, der sich unterhalb der Schneidezähne fächerförmig nach unten hin ausbreitet; er setzt sich an die Haut an, vermag das Kinn in die Höhe zu ziehen und die Unterlippe gegen die Oberlippe zu schieben, aber die Beobachtung, daß mon das Kinn ver⸗ breitern und auch abwärts ziehen kann, ist eine neue Erfahrung, die diese Untersuchung dem Vortragenden gebracht habe. Er konnte fest⸗ stellen, daß das Kinn beim Hinaufziehen dis zu 4 mm schmäler wird, und daß ein Ausziehen in die Breite ebenso möglich ist, wovon man bisber nie gesprochen hatte. Alle diese Feinheiten verwerten wir in dem unbewußten Rechenexempel, das wir zur Deutung eines Gesichtes anstellen, aber wenn wir uns fragen, was sind das für Beträge, so ergibt sich, daß sie sehr fein sind, und daß wir sie nur ahnungsmäßtg, nicht konkret erfassen; auch ein Hund vermog im Gesicht seines Herrn zu lesen, dessen Stimmung zu er⸗ fühlen, und doch gibt es keinen Menschen, keinen Anatomen, der das Rechenexempel, das uns ein Gesichtsausdruck stellt, glatt aufzurechnen vermöchte. Der Vortragende gestand, daß er selbst erstaunt war, in der Gesichtsmuskulatur Entdeckungen mochen zu köonen. Deshalb tun wir gut, bei Erforschung dieser Dinge Gesichtsmus kulatur von Gesichtsaus⸗ druck zu trennen, und es geht nicht an, daß der Anatom nebenher von Gesichtsausdruck spricht und etwa der Künstler nebenher von der Ge⸗ sichtsmuskulatur handelt, wenn er den Ausdruck deuten will So hängt das Lachen nicht so sehr mit dem Risorius genannten Muskel zusammen, als der Nichtanatom anzunehmen scheint. Nun ist es zwar nicht schwer, einen Ausdruck zu beobachten, aber desto schwieriger ist die Mitteilung solchet Beobachtung; die Phbotographie läßt uns bier im Stich es ist möglich, wohl das fröhliche Lachen photographisch darzustellen, aber eiwa die bei lungen Mädchen so vüein Stimmung der Verlegenbeit, ferner der Haß, der Zorn im Augenbl seines Auftretens im Gesichtsausdruck sind kaum auf die 751 graphische Platte zu bannen; auch gibt es ün b. 889 Sinne gute Bilver nur in sehr geringer Anzahl, die die vollkommene tiefe Wahrheit des Ausdrucks zur Geltung bringen. In den Bildern, die Schauspieler in verschiedenen geieevheen darstellen, ist wenig für unseren Zweck Geeignetes, wenig, Seedng nur einen halkwegs wahren Ausdruck wiedergibt; es sen wie urch die von der Bühne her beabsichtigte Ferrwirkung ja natürlich erscheint,

Johannes Trojaun

in diesen Bildern zumeist Uebertreibungen geboten, die wenig Be⸗ zeichnendes für die zur Darstellung gebrachten Stimmungen im Gesichts⸗ ausdruck bieten. Außerdem sind solche Bilder, in denen Ausdruck zu seben ist, nicht seiten darch ethnographische oder durch Stileigentüm⸗ lichkenen nach bestimmter Richtung bin beeinflußt. Der Ausdruck ist die Schrift, die die Seele auf die Oberfläche, d. h. auf die Haut schreibt; geschieht dies häufig auf demselben Gesicht, so bleiben diese Schriftzüge stehen, so z. B. sind die sogenannten „Krähenfüße“ am Auge als eine Wirkung des Ringmuskels des Auges aufzufassen. Selbst der Ausdruck des toten Gesichts ist noch fast so reich als das des Lebenden an Ausdruck, wenn wir es genau betrachten. Der Vor⸗ tragende konnte Bilder von Persönlichkeiten des buddhistischen Glaubens in chinesischen Darstellungen vorführen, in denen der Ausdruck der Stimmung stiltstisch übertrieben ist; auch ein während einet hypnotischen Vision photographisch aufgenommenes Gesicht konnte gezeigt werden, in dem man die Varianten in der Muskulatur deutlich erkennen kann, die den Ausdruck bedingen, der hier nicht als ein Spiel der Seele oder des Tempera⸗ ments zu deuten ist Geheimrat Virchow zeigte sodann die Maskeln des Gesichts, indem er die neuen von ihm gefundenen Zu⸗ sammenhänge der einzelnen Fasern und Bündel unteretnander deutlich zu machen suchte; besonders betonte er die beim Menschen bestehende jeste Verbindung des Ringmuskels des Mundes mit der Nase, die so beim Affen nicht vorhanden ist. Eine exakte Forschung muß die Asymmetrie im Gesicht bei der Deutung des Ausdrucks, dessen Alphabet der Vortragende geben will, beachten; die Beob⸗ achtung gibt einen veitstern, wie weit wir anatomisch in der Erkenntnis gehen müssen. Denn gerade die kleinen Muskel⸗ bündel spielen für den Gesichtsausdruck des Lebenden doch oft eine große Rolle; so ist die Teilung des Kinnmuskels, die Ursache für das Erübchen am Kinderkinn, das bisweilen fleckig gerötet ist, wenn das Kind sein Schreien zu bekämpfen sucht, also eine seelische Hemmung, die sehr früh schon auftritt, zum Ausdruck gelangt. Es besteht im Gesicht eine große Feinheit, und es in wunderbar, was das Auge hier alles wahrnimmt. Alle die winzigen Furchen im Ge⸗ sicht deuten darauf hin, daß die glatte Oberflaͤche sich irgendwie ver⸗ ändert hat, und diese Veränderungen im Gesicht, die Buchstaben, die die Seele auf die Haut schreibt, müssen wir gründlich kennen lernen, wenn wir den Gesichtsausdruck genauer erfassen wollen.

Darauf berichtete der Professor Eduard Seler über seine Forschungen in den Ruinenstätten von Uxmal in Bakatan und erläuterte sie durch eine große Anzahl von Lichtbildern. Schon von früheren Forschern, wie von Stevens und anderen, sind diese Stätten besucht worden. Der Vortragende hat sie 1911 gesehen und konnte manches bisher noch Unbekannte der Kenntnis zugänglich machen. Eine Sierra durchzieht die Gebiete von Pukatan, das ehemals stark besiedelt gewesen sein muß; in der spanischen Zeit nahm dann die Bevölkerungszahl ab, und die Bewohner des Landes zogen sich mehr in gewisse Zentren zusammen, aber im 17. Jahrhundert wurden die alten Mavakultstätten als Plätze für Viehweiden benutz;, und beute liegen die Ruinen, die sich meilenwett erstrecken, in Arcienden, und viele von ihnen sind mit Buschwerk überwachsen. In den Ruinen von Uxmal hat man nun unterscheiden können das „Haus des Gubernador“, das „Haus des Wahrsagers“, das „Namenhaus’, das „Taubenhaus“, das „Haus der Schildkröte“ Alle diese Ee äude zeigen das mykenische Gewölbe, das für ganz Aukatan chrakteristisch ist. Der Grundriß der Anlage ist meist der, daß sich um einen vier⸗ eckigen Hof Reihen von Gemächern gruppieren. Die Verzierungen sind an den Fronten sehr reichlich verteilt; als besonders eigen⸗ tümlich muß man die großen Ma ken ansehen, die einen Elefantenrüssel tragen und von denen Strahlen ausgehen; bisweilen fiadet man auch Measchenkoöͤpfe, die aus dem Rachen einer Schlange heraus schauen. Die Elefanten haben in Amerika im Terttär gelebt, sind aber dann ausgestorden, sodaß man annehmen könnte, die Erinnerung der Mava gehe soweit zurück, daß sie deren Rüssel für ihre grandiose Steinornamentik verwerten konnnten, in der auch Schlangen dargestellt werden. Es scheint, daß die Steinarchitektur der Maya auf einem Holzbaunil zurückgeht, worauf Säulchen und Gesimse hinweisen; der Steinbau indessen war nicht sehr geschickt gefügt, und nur dem vortrefflichen Mörtel, den sie angewandt haben, ist es zu danken, wenn noch ganze Fassadenstücke dieser al en, meist kultischen Zwecken gewidmeten Bauten unter den Ruinen sich finden. Professor Seler konnte auch noch die Reste eines ebemaligen Ballspielplatzes aufdecken sowie Reste von ornamentierten Steinen, die zum Teil mit Hieroglyphen bedeckt sind, deren Deutung bis heute noch nicht gelungen ist, da wir für sie bisher keine Analoga gefunden haben.

Der Soriftsteller und frühcre Leiter des „Kladderadatsch' ist, wie „W. T. B.“ meldet, am Sonnabend⸗ in Rostock im 78. Lebensjahre gestorben.

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Die Daimler⸗Motoren⸗Gesellschaft, Untertürkheim, kann am 28. November d. J. auf ein 25 jähriges Bestehen zurück⸗ blicken. Aus diesem Anlaß hat sie eine umfangreiche, mit zahl⸗ reichen Abbildungen ausgestattete Jubiläumsschrift herausgegeben, die eine Geschichte der Gesellschaft bis zurück auf die Vorarbeiten zu ihrer Begründung bietet. Die Geschichte der Daimler⸗ Motoren⸗Gesellschaft gliedert sich in zwei Teile. Der erste umfaßt das erste Jahrzehnt 1890 1900 und war ausgefüllt mt Arbeiten um die Verbessung des Motors und mit der Erweiterung der Werke. Der zweite Teil wird durch das Erscheinen und den Steeslauf der Mercedes⸗Marke gekennzeichnet und bietet dadurch eine Geschichte des modernen Automobilismus. Enrhält die Jubiläumsschrift für den Techniker viel Lesenswertes und Fesselndes, so wird auch der Volks⸗ wirt und jeder, der an dem industriellen Aufschwung Deutschlands Anteil nimmt, mit Interesse von ihr Kenntnis nehmen, denn sie zeigt ein hervorragendes Beispiel deutscher Tatkraft und zielbewußter Organisation. 8

Land⸗ und Forstwirtschaft. 8

Für die Sicherung unserer Kartoffelbestände ist die Frage ihrer Aufbewahrung für die Jetztzeit, wo die Aufbewahrung nicht nur wie in Friedenszeiten in den Häaden der Landwirte und Händler ruht, sondern auch den Militär⸗ und Stadtwerwaltungen sowie einzelnen Wutschaftsverbänden anvertraut ist, von größter Be⸗ deutung. Hierüber sind in der Wochenschrift „Der Staatsbedarf“ von einem Sachverständigen, dem Geheimen Regierungsrat Dr. Appel, Mitglied der Kaiserlichen Biologischen Anstalt für Land⸗ und Forst⸗ wirtschaft zu Berlin⸗Dahlem, eine Reihe bemerkenswerter Grundsätze aufgestellt worden, von denen die wichtiagsten angeführt werden sollen;:

Vor dem Erfrieren wird dte Kartoffel dadaurch geschützt, daß die Lager frostfrei gehalten werden, d. h. die Innentemperatur darf nicht bis zu 2 G ad Celsius fallen. Ferner dürfen die Kartoffel⸗ lager nicht bei Frostwetter geöffnet und Kartoffeln bei solchen Temperaturen nicht ungeschützt transportiert werden. Bei leichtem Frostwetter und kurzen Wegen genügt ein starkes Ueberdecken mit Stroh, Säcken oder anderem schützenden Material. Längere Wege, vor allem Eisenbahn⸗ und Wagentransporte, dürfen nur in ge⸗ schlossenen und aut geschützten Wagen vorgenommen werden. Zum Schutze gegen Fäulnis müssen die Kartoffeln möglichft trocken und nicht zu warm aufbewahrt merden. Die Temperatur der Lager soll sich zwischen 0 und + 8 Grad bewegen. Das Süßwerden der Kartoffeln, das beim Lagern zwischen 0 und 3 Grad Celstus eintritt, kann dadurch verhindert werden, daß die Temperatur zwischen + 3 und + 8 Grad Celsius gehalten wird. Vor der Lage⸗ rung müssen die Kartoffeln für alle Aufbewahrungsarten sorgfältig verlesen und alle kranken, d. h. alle, die äußerlich eine Beschädigung oder Flecke erkennen lassen, ausgefondert werden. Am einfachsten wird die Lagerung in Mieten vorgenommen. Bei der Aufbe. wahrung der Kartoffeln im Hauskeller muß namentlich auf Trockenheit und Temperatur geachtet werden. Man lüfte, wenn

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möglich, mit Gegenzug, solange es das Wetter erlaubt, und wädrend des Winters. direkt auf den Boden, sondern auf unterlegte Lattenroste und nich böher als etwa einen Meter. Die Innehaltung dieser Grundsätz

wird zur Erhaltung und Sicherung unserer Kartoffelbestände wesent⸗

ʒVBerkehrswesen.

Postverkehr mit Dalmatien.

Von jetzt ab sind wieder Postanweisungen bis zum Höchst betrage von 300 Kronen zulässig nach Babinonolje, Bozava, Calamotta, Ist, Melada, Mezzo, Premuda, Sali und Sipanjska Luka. Nach Babinopolje können außerdem wieder eingeschriebene Briefe sowie Briefe mit Wertangabe bis 300 Kronen und

Außerdem schütte man die Kartoffeln nicht

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Pakete ohne Wertangabe bis 5 kg befördert werden, bei den

Paketen ist Bestellung durch Eilboten und Sperrgut aus

geschlossen. t 8 den Paketen und auf den Paketkarten sind unzulässig.

Nach einer Meldung des „W. T. B.“ aus Vlissingen ist gestern „Mecklenburg“ infolge dichten Nebels nicht

der Postdampfer angekommen. Heute geht kein Dampfer von Vlissingen ab.

Theater und Musik. Im Königlichen Opernhause geht morgen, Mittwoch, al

5. Tag des Richard Wagner⸗Zyklus die Oper „Die Meistersinger von Nürnbera“ in Szene. Die Brsetzung lautet: Eva: Frau Hafgren⸗ Waag; Manadalena: Frau von Sch'ele⸗Müller; Pogner: Herr Knüpfer;

Wakter Stolzing: Herr Kirchhoff; Hans Sachs: Herr Bischoff; Beckmesser: Herr Krasa; Kothner: Herr Habich; David: Herr Henke der Generalmusikdirektor Blech. Die Vorstellung beginn um r.

Im Königlichen Schauspielbause geht morgen „Antoniu und Cleopatra’' in Szene. Die Durieux und den Herren Sommerstorff, Kraußneck und von Ledebur dargestellt. Spielleiter ist Dr. Bruk.

Konzerte. Im volkstümlichen Konzert des Blüthnerorchesters am

Sonntag voriger Woche im Blüthnersaal brachte Paul Scheinpflug eine Neuheit, die hundert Jahre alt war, zu Gehör,

nämlich ein Koniert von Mendelssohn für zwei Klaviere und Orchester, dessen Manufkript aus dem Nachlaß des Komponisten in der Berliner

Bibliothek stammte, wo noch ein zweites Konzert Mendelssohns für zwei Klaviere und Occhester sich befindet. Bei der Aufführung saßen zwei Schwestern Viötor, Schülerinnen von Professor Krause, an den beiden Flügeln. Die Komposition Mendelssohn, das er im Alter von noch nicht 16 Jahren verfaßte Bedeutende Längen, besonders im ersten und letzten Teil, und Re⸗ miniszenzen an Haydn und Beethoven kennzeichren das Konzert al

Jugendarbeit, aber erstaunlich ist die kontrapunktische Meisterschaft, die

es zeigt; besonders der langsame Teil fand lebhaften Beifall, an dem die beiden Solospielerinnen und das von seinem Dirigenten trefflich geleitete Orch ster berechtigten Anteil hatten. Es ist überhaupt erstaunlich, was Scheinpflug mit seinem Orchester leistet, das durch den Krieg und andere Umstände in eine kritische Lage geraten war, als er den Dirigentenstab ergriff. Besonders anerkennenswert ist, da er auch in den Sonntagskonterien darauf bedacht ist, dem Publikum

Hauptrollen werden von Frau

Schriftliche Mitteilungen in den Geldbriefen, in

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2

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ist ein Jugendwerk von

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Neues zu bieten und sich nicht auf den eisernen Bestand des Orchesters

zu beschränken, der Aufführungen ohne Proben gestattet.

position die prächtige Ouvertüre „Meeresstille und gluückliche Fahrt“

So brachte dieses Sonntagskonzert außer der er wähnten Mendelssohnschen Kom⸗

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und Haydns Militär⸗Symphonte, Tonwerke, die viel seltener gespielt werden, als sie es verdienen. Am Tage vorher hatte ein Arien⸗,

Lieder⸗ und Duettabend von Mitgliedern der Dresdener Hofoper im Beethovensaal stattgefunden. Außer dem bekinnten Künstlerpaar Eva Plaschke⸗von der Osten und Friedrich Plaschke wirkte dabei auch der hier noch wenig bekaante Dresdener Tenorist Adolf

Lußmann mit Die drei Küstler sangen zunächst einzeln eine Reihe

von Liedern, denen zweistimmige Gesänge des Ehepaares Plaschke

folgten. Die schon wiederholt in Konzeitberichten festgestellte Tat sache, daß die al fresco-Manier des Bühnengesangs sich nicht ohne

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weiteres auf den Konzertgesang übertragen läßt, bestätigte sich auch hier; manche feine Einzelheit der Stimmung verflüchtigte sic, dafür mußte die Klangpracht der drel schönen und wohlgebildeten Stimmen

entschädigen.

In den Arien und Duelten aus Opern von Wagner,

Marschner und Auber, die den zweiten Teil des Abends ausfüllten, 1 waren die Känstler in ihrem eigentlichen Element und erzielten tief⸗

gehende Wukungen. dem verdtentermaßen auch Hofkapellmeister Karl Pembaur teil hatte. 8 Einen Liederabend veranstaltete am Montag im Bechstein saal Maraarethe Fritt aus Leirzig.

Lebhaftester Beifall wurde ihnen gespendet, an ihr trefflicher Begleiter cm Klavier, der

Ihrem Vortrage sind

manche Vorzüge nachzurübmen; sie besitzt ein, namentlich in den

tieferen Lagen, wohiklingendes, kräftiges Organ Empfindung die einzelnen Stimmungen wiederzugeben. Das wechslungsreiche Programm, das mit einer Arie aus „Samson“ von

Wund weiß mit Das ab⸗

Händel begann und Lieder von Franz Schubert, Hugo Wolf, Carl

Rielsen, Teleman u. A. enthielt, gab Eigenschaften nach den verschiedensten Richtungen zur Geltung bringen. verständnisvoll begleitet. beifällig auf.

ihr Gelegenheit, ihre

Von ihrem Klavierpartner Richard Hagel warde sie Das Publikum nahm ihre Darbietungen

In dem Choralionsaal fand am Dienstag das erste

von zwei Konzerten statt, das Ilse Fromm⸗Michaels, cine jung Pianistin,

8 8 die bisher wohl in Berlin unbekannt war, peranstaltete.

Das Konzert enthielt eine Anzahl neuzeitlicher Klavierstücke, unter denen die Sonate „Erosca“ in Cis⸗Moll von Waldemar von Baußnern und drei kleine Kompositionen des begabten finnischen Tonkünstlers

Selim Palmgren besonderes Interesse erregten. Die Konzertgeberi

trat auch selbst als Komponistin auf mit einem Scherzo in Es.Moll,

das mit lebhaftem Beifall aufgenommen wurde. ihr zu raten sein, daß sie einstweilen noch mit eigenen Tondichtungen in der Oeffentlichkeit zurückdält, um so mehr, als ihr Klavierfähigkeiten zu guten Hoffnungen berechtigen.

Trotzdem dürfte

Ibre Techatk ist

sicher und sauber, ihr Spiel nicht gerade temperamentvoll, aber doch

von selbständiger Auffassung zeugend;

den Fehler der Anfänger, die

Umrisse des Gespielten durch allzureichlichen Pedalgebrauch zu ver⸗

wischen, vermied sie kluglich. Man darf mit gutem Gewtssen auf ihre

beutigen zweiten Konzertabend hinweisen, der Bach, Beethoven und Mozart verhbeißt. Ebenfalls am Dienstag fand im Harmonium aal eine Veranstaltung statt, die nur zur Hälfte der Musik gewidmet war. Die Vorttagskünstlerin Käte Lessing und die Klavpterkänstlerin

Else Gipser boten abwechselnd Proben ihrer Kunst. Käte Lessing ist diese noch im Reifen begriffen. auf Schulung des Organs, Atemführung Aussprache bis zur Erreichung der Meisterschaft noch lernen; mit der Empfindung allein ist es da nicht getan. traf sie den Märchenton in Manfred Kybers „Der große Angenblick“ und in dem zum Schluß vorgetragenen „Schweinehirten“ von Andersen

Bei Fräulein Sie hat in dezug und Pflge der manches zu Am besten

Else Gipsers Können ist schon des öfteren an dieser Stelle gewürdigt

worden. Sie svielte kleinere Stucke von Chopin und Liezt mit Ge⸗ fühl und Verständnis.

Der Philharmonische Chor führte am Mittwoch in

seinem diesjährigen Buttagskonzert Beethovens Missa solemnis“

auf. Der Zubörer, dem frühere Aufführungen desselden Werkes durch

Professor Siegfried Ochs und seine Sängerschar zum Vergleich

dienen konnten, wird sich, anläßtich des letzten Konzerts, bewußt ge⸗ worden sein, daß der E Chor in den jüngst verflossenen 0

Jahren noch eine betr.

erfahren hal. In bezug auf rhoihmische Beweglächkeit

vnd klang

chtliche Steigerung feiner virtvosen 4838

nes. Feftessctaseeseee z äcas sceis aehü.sbchsan dee ee