1916 / 7 p. 9 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 10 Jan 1916 18:00:01 GMT) scan diff

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Geey erwähnt sodann drei Fälle, die sich in denselben Tagen, wie der Baralong⸗Fall, ereianet hätten, erstens: die Versenkung der „Arab c“ duirch ein peulsches Unterseeboot, das ohae vorberige Warnung gehandelt und keinen Versuch gemacht habe, die Besatzung der

Arabic, die keinen Widerstand geleistet babe, zu retten; zweitens, den Fall des deutschen Torpedobootszerstörers, der ein an der dänlschen Kaste asstrandeies englisches Unterseeboot entdeckt und, obgleich er es vorher nicht verfolgt, obgleich es sich in neutralen Gewässern befunden hätte und außer Siande gewesen wäre, sich zu verteidigen, das Untersce⸗ boot und seine Mannschaft bei ihrem Versuche, zu schwimmen, be⸗ schossen hätte. Ein dritter Vorfall habe sich ungefähr 48 Stunden später abgespielt. Der Dampfer „Ruel“ sei durch ein deutsches Unterseeboot angegriffen worden, er habe nicht den geringsten Wider⸗ stand versucht, um sich zu retten, und sei mit Kartätschen und aus Gewehren beschossen worden, wodurch ein Mann getötet und acht andere, darunter der Kapitän, schwer verletzt seien. Der unter Eid erstattete Bericht, auf den die Mitteilungen sich gründen, gebe keine Uesache an, die diese rohe, kühlen Blutes begangene Missetat recht⸗ fertigen würde. 1 8

Die britische Regierung sei der Ansicht, daß diese drei Fälle zu⸗ mit dem „Baralong“Fall vor einen unpartetischen Unter⸗

uchungsrat gehracht werden könnten, 1. B. vor eine aus amerikanfschen Marineoffigteren zusammengesetzte Kommission. Sollte dieser Vor⸗ schlag angenommen werden, so de die englische Regierung alles tun, was in ihrer Macht liegt, um die weitere Untersuchung zu er⸗ leichtern und die Schritte tun, die die Gerechtigkeit erfordele. Die britische Regterung erachte es nicht für notwendig, auf die Beschul⸗ digung zu antworten, daß die englische Flotte sich der Unmenschlichkeit schuldig gemacht habe. Die letzten Statistiken, die sie zur Verfügung habe, ern iesen, daß 1150 deutsche Matrosen gerettet worden seien. Die deutsche Flotte könne diesen Rekord nicht schlagen, wahrscheinlich weil sich ihr nicht die gleiche Gelegenheit geboten habe.

Frankreich.

Die Konsuln der feindlichen Staaten, die in Salo⸗ niki verhaftet worden sind, sind der „Agence Havas“ zufolge an Bord des Kriegsschiffes, auf dem sie interniert wurden, in Toulon eingetroffen. Sie werden zur Verfügung der Behörden

gehalten.

. Italien. Die Blätter enthalten einen Erlaß über die Ein⸗ berufung der ersten und zweiten Kategorie der dauernd beurlaubten Jahrgänge 1882/83 der schweren Artillerie, 1887/88 der Feldartillerie und 1882/83 der Küstenartillerie. Der Ge⸗

stellungstermin ist der 12. Januar. Luxemburg. Die Regierung hat der Kammer nach einer Meldung des „W. T. B.“ eine Anleihe von 25 Millionen Franken vorgeschlagen, die teilweise zur Deckung des vorjährigen Fehl⸗ betrages verwandt werden foll. Der Staatsrat hat sich mit der Anleihe einverstanden erklärt.

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u“ qIInp—““ Die Regierung wird, wie „W. T. B.“ meldet, dem Stor⸗ ting einen Gesetzentwurf, betreffend Errichtung eines besonderen Ministeriums für Handel, Schiffahrt und Industrie, vorlegen. Im Budget des Ministeriums des Aeußern wird die Errichtung eines Gesandtenpostens in Rom vor⸗ geschlagen. Infolge der gegenwärtigen besonderen Verhältnisse soll der Gesandte auch bei der schweizerischen Regierung be⸗ glaubigt werden. Türkei.

Als erste Vergeltungsmaßnahme für die Ver⸗ haftung der Konsuln in Saloniki hat die Regierung, wie das Wiener „K. K. Telegraphen⸗Korrespondenzbureau“ meldet, die Verhaftung der in Konstantinopel zurückgebliebenen Beamten der englischen und der französischen Bolschaft und einiger anderer Personen angeordnet und insgesamt zehn Personen verhaften lassen.

Griechenland.

Nach einer Meldung der „Agence Havas“ aus Mytilene hat dort eine Abteilung von Truppen des Vierverbandes den deutschen Vizekonsul Courtgis, der griechischer Untertan ist, und seinen Sohn, den Dragoman des Konsulats, festgenommen. Ebenso wurden der österreichisch⸗ungarische Konsularagent Bartzili, ein osmanischer Würden⸗ träger, der deutsche Kommissionär Hoffner und mehrere andere Personen, die verdächtig erschienen, verhaftet. Alle wurden auf ein Kriegsschiff der Verbündeten gebracht.

Die Gesandten des Vierbundes in Athen haben gegen die auf Mytilene vorgenommenen Verhaftungen Ein⸗ spruch eingelegt. Die Verhaftungen lassen vermuten, daß Mytilene zur Operationsbasis gemacht werden wird

Der österreichisch⸗ungarische Geschäftsträger in Washington Baron Zwiedinek hat informell die Aufmerksamkeit des Staatssekretärs auf die Tatsache gelenkt, daß sich an Bord des italienischen Dampfers „Giuseppe Verdi“ zwei Kanonen befänden. Man glaubt, daß der Geschäftsträger zu erfahren wünschte, welche Schritte die Vereinigten Staaten als Neutrale in dieser Angelegenheit zu tun gedenken.

Die Regierung der Vereinigten Staaten von

Amerika hat nach einer Meldung des „Reuterschen Bureaus“

an Großbritannien eine Note gerichtet, in der über die

von den britischen Behörden ausgeübte Zensur der

Postsendungen von den Vereinigten Staaten nach neutralen Ländern Klage geführt wird.

Im amerikanischen Senat hat der Senator Hitch⸗ cock eine Resolution eingebracht, die sich mit der Zurückweisung der ausländischen Störung der amerikanischen Post⸗ sendungen auf hoher See beschäftigt. Die Resolution fordert

den Generalpostmeister auf, afle in seinem Besitz befind⸗ lichen Schriftstücke über diesen Gegenstand dem Senate vor⸗ zulegen. Im amerikanischen Repräsentantenhause griffen die Republikaner Stafford und Cooper aus Wis⸗ consin den Republikaner Gardner aus Maseachusetts lebhaft an wegen seiner Rede, in der er die Deutsch⸗Amerikaner und die deutsche Nation tadelte. Cooper, der zu dem Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten gehört, rief aus: „Die Bemerkungen, die wir eben gehört haben, waren so heftig, als wären sie im englischen Parlament getan worden“ Stafford erkllärte in einem erregten Zuruf: „Gardner ist mehr Engländer als Amerikaner!“ und tadelte ihn wegen der Natur seiner Bemerkungen, während jedes Milglied seine Worte orgfältig wägen sollte. Der Redner verteidigte entschieden die Deutsch⸗Amerikaner und ging insbesondere auf die Behauptun ein, die Deutsch⸗Amerikaner zerstörten die merikanischen Munitionsfahriken mit Gold und Dynamit. Diese

1 Anschuldigungen könnten nicht gegen die acht Millionen

8 Deutsch⸗ Amerikaner gemacht werden. Er sei nicht der Anwalt der deutschen Sache, aber er wisse, daß in seinen eigenen Bezirken die Munitions⸗ fabriken, in deren Umgegend Tausende von Deutsch.Amerikanern wohnten, täglich ohne Unterbrechung in Betrleb seien. Diese grund⸗ lose Anschuldigung, die eines jeden Mannes unwürdig sei, bringe ihn in Erregung.

Das „Reutersche Bureau“ meldet aus Montreal, daß alle römisch⸗katholischen Pfarrer der Diözese Quebec von den Kirchenbehörden Auftrag erhalten haben, von den Kanzeln für den Eintritt in das Heer zu werben.

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Asien. Der Vertreter der „Agentur Milli“ meldet aus Bagdad, daß gegenwärtig die Kämpfe im südlichen Persien das Bild einer nationalen Bewegung gegen Engländer und Russen böten.

Nach einer Meldung des „Reuterschen Bureaus“ aus Hongkong hat eine bewaffnete Bande von mehr als 100 so⸗ genannten Revolutionären den in hintin, ungefähr 8 km von Chatokok, in den neuen Provinzen gelegenen Zollposten angegriffen und ihn vollständig ausgeplündert. Die Bande verwundete einen Chinesen und machte einen Dänen namens Stangaard und einen Engländer namens Doll zu Gefangenen. Die Europäer wurden gezwungen, Nintin zu verlassen und sich nach Hongkong zu begeben, wo sie wohlbehalten ankamen. Vierzig europäische und indische Polizeiagenten wurden aus⸗ gesandt, um den Polizeiposten von Chatokok zu bewachen.

Statistik und Volkswirtschaft.

Zur Arbeiterbewegung.

Nach einer von „W. T. B.“ wiedergegebenen Reutermeldung aus New York steckten während eines Ausͤstandes in den Stahl⸗ werken von East YNoungstown die Streikenden sechs Gruppen von Gebänden in Brand und plünderten. Drei Personen wurden getötet, 19 verletzt. Um zu verhindern, daß die aus⸗ ständigen Arbeiter in den anderen Teil der Stadt gelangten, wurde die Brücke in Brand gesteckt. Aus der Umgegend herangezogene Truppen sind am Sonnabend früh angekommen. Die Arbeiter bemächtigten sich 500 Pfund Pulver, sprengten mehrere Ge⸗ bäude und drohten, die Wohnhäufer zu zerstören; hierauf stahlen sie Wbiesky und betranken sich. Zahlreiche Verhaftungen wurden vor⸗ genommen. Drei Milizregimenter halten East Youngstown und die anderen industriellen Vororte besetzt. Am Sonnabend kam es zu einigen kleinen Ausschreitungen, die ohne Bedeutung waren. Der angerichtete Schaden wird 8 eine Million Dollar geschätzt.

Kunst und Wissenschaft.

Kaiserliches archäologisches Institut. Während die römische Zweiganstalt durch die politischen Verhältnisse gezwungen war, ihre Tätigkeit im Frühltng dieses Jahres zu unterbrechen, hat das Institut in Athen seine Arbeit bisher aufrechterhalten. In der üblichen Weise fand die Jahressitzung am 9. Dezember als am Winckelmannstage statt. Sie erhielt einen besonders felerlichen Charakter dadurch, daß Ihre Majestäten der König und die Königin sie durch ihre Anwesenheit beehrten. Neben zahlreichen Diplomaten der verbündeten und neutralen Länder nahmen offiztelle griechische Persönlichkeien und fast alle griechtschen Archäologen an ihr teil, so daß die Versammlung so groß und glänzend war, wie selbst in Friedenszeiten nur selten. Das wissenschaftliche Programm konnte ganz aus der Arbeit des Instituts im verflossenen Jahre bestritten werden. Herr Knackfuß berichtete über die Arbeiten im Kerameikos in Athen und in Olympia, während Herr Karo über Vasenfunde aus dem Kerameikos sprach. 16 .

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Das Königliche Kunstgewerbemuseum veranstaltet im laufenden Wierteljahr in seinem Hörsaal, Prinz Albrechtftraße 7—8, Hof, zwei öffentliche Vortragsreihen von je 6 Vorträgen. Der Geheime Regierungsrat Dr. Peter Jessen wird über die Arbeitsztele des deutschen Kunstgewerbes vor und nach dem Kriege Montags, Abends 8 ½ Uhr, sprechen; die Vorträge beginnen am Montag, den 24. Januar. Der Professor Dr. Hans Dragendorff spricht über das Thema: Aus dem Kunsthandwerk des klassischen Altertums, am Dienstag, Abends 8 ½ Uhr; diese Vorträge beginnen am Dienstag, den 25. Janugr. Die Vorträge find unentgeltlich und werden durch

Lichtbilder erläutert. Land⸗ und Forftwirtschaft.

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In einer Sitzung der Vorsitzenden der preußischen Landwirt⸗

schaftskammern, die am 7. d. M. unter dem Vorsitz des Land⸗ wirtschaftsministers Dr. Freiherrn von Schorlemer stattfand, wurden, wie „W. T. B.“ berichtet, die Frühjahrsversorgung der Bevölkerung mit Kartoffeln, die Butterbeschaffung und ⸗verteilung, der Zusammenschluß des Viehhandels Öund die Verstärkung des Zuckerrübenhaues be⸗ sprochen. Es wurde einstimmig kefürwortet, unbeschadet der Winterversorgung der Kartoffelbedarfsgeviete in der bisherigen Weise, die Frühjahrsbeschaffung von Speisekartoffeln und die Deckung des Bedarfs der Stärkefabriken und Trock⸗ nereien unter Mitwirkung der Landwirtschaftskammern zu bewirken. Eine genaue Feststellung der in den Bedarfsgebieten vorhandenen Kar⸗ toffelvorräte ist im Gange. Ihr Ergebnis wird die Grundlage für die Durchführung der weiteren Maßnahmen bilden, die in den nächsten Tagen von einer kleineren Kommission von Kammervor⸗ sitzenden und Regterungsvertretern mit der Reichskartoffelstelle beraten werden. Die Butterversorgung der Bevölkerung ist nach der Ansicht der Kammervorsitzenden durch die Bundesratsverordnungen in die richtigen Wege geleitet. Die Einführung von Reichsbutterkarten wurde als unzweckmäßig angesehen. Dagegen sei die Ein⸗ führung von Butterkarten in denjenigen Bedarfsbezirken geboten, die Butter aus den Vorräten des Zentraleinkaufs be⸗ anspruchen. Allgemeine Höchstpreise für Rindvieh wurden einstimmig nicht für durchführbar angesehen. Dagegen hielt man die vom Land⸗ wirtschaftsminister in Aussicht genommene Beeinflussung der Viebpreise im Wege des zwangsweisen proptn⸗ ziellen Zusammenschlusses von Händlern und Ver⸗ einigungen von Landwirten für aussichtsvoll. „Die Zwangssyndikate sollen im Verein mit den Großstädten nicht nur die Preisregelung, sondern auch die Versorgung der Märkte in die Hand nehmen. Zur Sicherung eines ausreichenden Anbaues von Zuckerrüben wurde vor allem die Festsetzung von Rübenpreisen, die den gesteigerten Produktionskosten und den Preisen der gleichartigen Futtermittel entsprechen, für unbedingt notwendig erachtet. Auch müßten dem Landwirt alle Schnitzel, die er in der eigenen Wirtschaft brauche, und Melasse in ausreichender Menge belassen werden.

Um gelegentlich auflretenden irrtümlichen Auffassungen hinsichtlich der Uebernahmepreise für ausländisches Kartoffelmehl zu begegnen, weist die Trockenkartoffelverwertungsgesellschaft m. b. H. (Teka) darauf hin, daß auf Grund der einschlägigen Bestimmungen 5 der Bekanntmachung des Reichskanzlers vom 30. November 1915) die Vergütung für den Doppelzentner in der Regel 42,30 nicht überschreiten wird.

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Im Verein mit der Landwirtschaftskammer für die Provinz Brandenburg veranstaltet die Königliche Landwirtschaftliche Hochschule in Berlin am 24. und 25. Febꝛuar 1916 einen Unterrichts⸗ kursus für praktische Landwirte und Verwaltungs⸗ beam te. Vorträge werden halten: der Professor Dr. Lemmer⸗ mann über „die Stickstofffrage und das Stickstoffmonopol Eigenschaften, Anwendung und Wirkung der neueren Sttickstoff⸗ dünger Sticksoffkonservierung im Stalldünger“; der Geheime Regierungsrat, Professor Dr. Zuntz über „die Stellung der Landwirtschaft zur Volkzernährung“; der Geheime Regierungs⸗ rat, Professor Dr. Lehmann über „die zweckmäßigfte Fütterung während des Krieges“; der Professor Dr. Fischer über „die Verwendung landwirtschaftlicher Maschinen unter der Ein⸗ wirkung des Krieges“; der Regierungs⸗ und Geheime Baurat, Pro⸗ fessor Krüger über „Kultivierung von Oedland“ und der Professor Dr. Warmbold über „Wirtschaftsführung im Kriege“. Am letzten Kursustage, von 5—6 Uhr Nachmittags, siadet eine Aussprache über die Vorlesungen siatt. Die Teilnehmergebühr beträgt 10 ℳ, Tageskarten sind zum Preise von 5 zu haben. Stundenpläne können von der Landwirtschaftlichen Hochschule unentgeltlich be⸗

zogen werden.

Rechtsprechung des preußischen Oberverwaltungsgerichts.

Mit einer Einwirkung des Einbruches der Russen au das Verwaltungsstreitverfahren hatte sich der VIII. Senat des Oberverwaltungsgerichts zu beschäftigen. In einer Streitsache, in der der Bezirtsausschuß zu Gumbinnen als erste Instanz entschleden hatte, war zur Rechtfertigung der Revision eine Nachfrist bis zum 21. August 1914 bewilligt worden. Unter dem 19. August hatte der Beklagte um eine weitere Nach⸗ frist gebeten. Wie der Gerichtshof feststellt, standen nach einer Meldung des Generalquartiermeisters vom 24. August die Russen damals bereits in der Gegend von Insterburg, hatten also Gumbinnen vorher schon besetzt. Es handelt sich nun darum, ob die §§ 245 und 249 der Zivilprozeßordnung, nach denen die Tätigkeit des Gerichts in einem vom Feinde besetzten Gebiete aufhört, auf das Verwaltungestreitverfahren anzuwenden sind. In einem Erkenntnis vom 29. Juni 1915, welches das „Preußische Verwaltungs⸗

der VIII. Senat des Oberverwaltungsgerichts diese Frage bejaht.

Theater und Musik.

Deutsches Opernhaus.

Als zweites Werk von Mozart führte das Deutsche Opernhaus am Sonnabend zum ersten Male „Die Entführung aus dem Serail“ auf. Der Kapellmeister Krasselt, der früher „Figaros Hochzeit“ einstudiert hatte, saß auch diesmal am Pult und bewiez wiederum, daß er für die feingliedrige Zierlichkeit und Hetterkeit der Mozartschen Musik den rechten Sinn bat. Besonders an der Leistung des Orchesters konnte man ungetrübte Freude haben. Für den Gesangstil Mozarts fehlen uns heute zumeist die rechten Sänger; ohne Zugeständnisse und Nachsicht kommt man da nicht aus. So ist für die Konstanze nur selten eine Sängerin zu finden, welche die nötige Kehlfertigkeit hat. Die beste Vertreterin der Partie ist wohl gegen⸗ wärtig Hermine Bosetti von der Münchener Hofbühne, die im vorigen Jahre am Friedrich⸗Wilhelmstädtischen Theater als Gast die Konstanze vollendet sang. Fräulein Emmy Zimmermann vom Deutschen Opernhaus ist im reinen Ziergesang nicht beimisch genug, um z. B. die schwierige Arie „Martern aller Arten“, die Mozart zudem für eine besonders dafür geeignete Stimme seinem Werke einfügte, zu singen. Der Direktor Hartmann hatte daher wohl daran getan, in seiner Bearbeitung der Oper für die Zwecke seiner Bühne dieses Parade⸗ stück zu streichen und auch einiges andere, das für den Fortgang der Handlung und die allgemeine musikalische Physiognomte des Singspiels unwesentlich ist. Auf diese Welse ließ sich eine Aufführung ermöglichen, die zwar nicht alle Mozartschen Glanzlichter aufwies, aber doch im großen und ganzen dem Werk gerecht wurde. Bernhard Bötel war äußerlich und im Spiel ein ritterlicher Bel⸗ monte, der seine zwar nicht große, aber angenehme Tenorstimme recht gut zu behandeln verstand. Mit Vergnügen sah und hörte man wieder Julius Lieban als Pedrillo. Er war von je ein glänzender Ver⸗ treter dieser Rolle. Elfriede Dorp war ihm als Blondchen esne fehr an⸗ nehmbare Partnerin. Auch Eduard Kandl (Osmin) und Edwin Heyer (Bassa) füllten ihre Plätze gut aus. Zu erwähnen ist ferner, daß zwischen dem ersten und zweiten Akt der „Türkische Marsch“ und während der Verwandlung des dritten Aufzugs das Larghetto aus dem Klarinetten⸗ ⸗quintett gespielt wurde. Es war ein Genuß für sich, diesen Musikstücken zu lauschen, wenn sie auch nicht sonderlich in den Rahmen der Oper paßten. Besondere Anerkennung verdient auch die sehr reizvolle Bühnenausstattung. Die Aufführung fand lebhaften Betfall. -.“

Schillertheater O0. (Wallnertheater).

Felix Philippis dreiaktiges Schauspiel „Der Dornen⸗ weg wurde am Sonnabend zum ersten Male im Schillertheater aufgeführt. Den Dornenweg beschreiten in diesem Stück verschiedene Personen; nicht allein der unschuldig verurteilte Ernst Bülau, sondern auch die Mitwisserin und damit die Mitschuldige an seinem Verbreche die Frau Johanna Wedekind, die, um ihren Sohn, den wahre Schuldigen, vor den Folgen seiner Schuld zu reiten, Stillschweigen hewahrt, bis eine eigenartige Verkettung von Umständen, die sich folgerichtiger Entwicklung vollziehen, ihr das Geständnis abnötig und damit die Wahrheit an den Tag bringt. Der hieraus sich er gebende Konflikt, zu dem der Dichter in der Szene des Wieder sehens von Mutter und Sohn sehr entschieden Stellun nimmt, fesselt den Zuschauer derart, daß darüber die eigentliche Tendenz des Schauspiels, die Frage der Genugtuung, die die Gesellschaft unschuldig Verurteilten schuldet, völlig in den Hintergrund tritt. Den Darstellern bot das Stück vollauf Gelegenheit, ihre Kunst 3 zeigen; die Einzelleistungen wie das Zusammensptel durften al mustergültig bezeichnet werden. Mit vollkommener Schärfe zeichnet Hedwig Pauly den seelischen Kampf der Mutter, und von erschütternder Kraft war der Verzweiflungsausbruch des schuldigen Sohnes in der Darstellung Walter Weymanns. Aber auch die Darstellung de unschuldig Verurteilten durch Karl Noack war von ergreifender Wirkung, und ebenso fanden sich Heinz Senger als Rechtsanwalt Herbert, Gust Becker als Dorothee Bülau sowie Harry Förster und Rezia Markolf mit ihren Rollen gut ab. Die unleugbar sympathischste Figur des Stückes, der Konsul Prätorius, dessen ebenso gesunde wie humor volle Lebensanschauungen einen erfrischenden Zug in die Hand⸗ lung bringen, wurde durch Karl Elzer lebenswahr dargestellt. Das Publikum folate der Darstellung mit lebhaftestem Interesse, das an den Aktschlüssen einen außerordentlichen Beifall auslöste, der sich no steigerte, als mit den Darstellern auch der Verfasser auf der Bühne erscheinen konnte.

Im Königlichen Opernhause wird morgen „Figaros Hoch zeit“ in folgender Besetzung gegeben: Gräfin: Frau Dux, Susanne: Frl⸗ Alfermann, Cherubin; Frau Engell, Marzelline: 1 von Scheele⸗ Müller, Graf Almaviva: Herr Forsell, Figaro: Herr Stock a. G., Martolo: Herr Bachmann, Basilio: Herr Henke, Don Curzio: Herr Philipp, Antonio: Herr Krasa.

Morgen wird im Königlichen Schauspielhause »Alt Berlin“ (Heitere Bilder aus der Großväterzeit) in der bekannten Besetzung gegeben. -

Mozarts „Entführung aus dem Serail“ wird am Deutschen Opernhause am Mittwoch zum dritten Male gegeben. In dieser Vorstellung sind einige Rollen neu besetzt. Die Konstanze wird von Fräulein Eden, der Belmonte von Herrn Karl Gentner und der

Pedrillo von Herrn Gustay Werner gesungen,

blatt“ (Jahrgang XXXVII, Heft 15) ausführlich wiedergtbt, hat

noch die Spuren des Kampfes, bei

zeigte

eellweise

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Im Dom findet morgen, Dienstag, Abends 8 Uhr, das nachfte Orgelkonzert statt unter Muwirkung von Fräulein Käte Höerder (Sopran), Fräulein Auna Graeve (Alt), Fräulein Clara Warge (Violine) und Hexrrn Waster Fischer, Organist der Kaiser Wildelm⸗ Fedächtniskirche (Orgel). Programme (20 ₰) berechligen zum Eintritt.

Mannigfaltiges.

Berlin, den 10. Januar 1916.

Ddie Reichssammlung „Vaterlandodank“ hat entbehrliche Gold⸗ und Silbersachen gesammelt, deren Erlös der „Nationalstiftung zum Besten der Hinterbliebenen der im Kriege Gefallenen“ zugeführt wird. Um diese Spenden zu verwerten, werden alle Gegenstände, mit denen ein Kunst⸗ oder Kulturwert nicht verbunden ist, eingeschmolzen; die Stücke von Kunst⸗ und Kulturwert jedoch sollen erhalten und veräußert werden. Von den zu veräußernden Gegenständen wird, be⸗ ginnend mit dem 15. Januar, im großen Lichthofe des Kunstgewerbe⸗ museums in Berlin, Prinz⸗Albrechtstraße 7, eine Ausstellung ver⸗ anstaltet. Die Augstellung, die 5— 6 Wochen währen soll, umfaßt Schmucksachen aus allen Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts, ferner Uhren, Münzen in Gold und Silber, Tafelsilber, Schmuckkästchen, Nipp⸗ sachen aller Art, Ehrengescheschenke in Gold und Silber, Medatllen, Denkmünzen, Gemmen, goldenes und silbernes Kleingerät in jeder denkbaren Form, Werke der Kleinkunst, Schmucksteine u⸗ a. m. Die Ausstellung wird einen zuverlässigen Einblick in die Gold⸗ und Silber⸗ schmiedekunst des 19. Jahrhunderts gewähren und somit ein wichtiges

Gebiet der kunsthistorischen Erkenntnis erschließen.

Am Sonnabendmittag fand in den Ausstellungshallen am Zoo⸗ logischen Garten vor einer glänzen den Versammlung von Fben e. die Eröffnung der vom Zentralkomitee der deutschen Vereine vom Roten Kreuz zugunsten threr Wohlfahrtsarbeiten veranstaltete „Deutsche Kriegsausstellung“ statt. Anwesend waren u. a. der Minister für Hende⸗ und Gewerbe Dr. Spdow, der Minister für Landwutschaft usw.

r. Frelherr von Schorlemer, der Oberpräsident der Provinz Brandenburg, der Oberkommandierende in den Marken, der Landes⸗ direktor, der Oberbürgermeister von Berlin und die Poltzeipräsidenten Berlins und der Nachbarnädte. Die verbündeten Staaten waren durch den österreichisch⸗ungarischen Botschafter Prinzen zu Hohen⸗ lohe⸗Schillingsfürst, den türkischen Botschafter Hakki⸗Pascha und den bulgarischen Gesandten Rizoff vertreten. Als besonderer Beauftragter des österreichisch⸗ungarischen Kriegsministeriums war ferner der „Oberst von Mor⸗Merkl zugegen. Nachdem der von einer Militärkavpelle Fpielt⸗ „Kaisermarsch“ von Wagner verklungen war, nahm der Vorsitzende des Zentralkomitees General von Pfuel das Wort zur Eröffnungsansprache. Der Redner begrüßte die Er⸗ schjenenen und machte darauf aufmerksam, daß die Ausstellung nicht alletn Kriegsbeutestücke enthalte, sondern in einer Reibe von Bildern und Druckschriften aus Feindesland auch die vergifteten Waffen der Lüge und Verleumdung zeige, mit denen der Kampf gegen uns geführt werde. Die Ansprache schloß mit einem Hoch auf Seine Majestät den Kaiser und Könkg. Ein Rundgong durch die Ausstellungsräume schloß sich an, in deren Mittelpunkt die erbeuteten Geschütze ver⸗ schtedener Nationaltitäten und Kaliber aufgestellt sind. Sie tragen 1 dem sie in unsere Hand fielen. Allerlei Wagen, darunter auch ein Panzerautomobil, und auch Luftfahrzeuge russischer, französischer und englischer Herkunft schließen sich an. Interessant sind die verschiedenen Konstruktionen von Minen werfern, von denen manche den altrömischen Schleuder⸗ vorrichtungen gleichen, deren Nachbildungen auf der Saalburg aufgestellt sind. Die Han dfeuerwaffen unserer Feinde sind vollzählig vertreten, ebenso deren Uniformen. Unter den poplerenen Dokumenten der Kriegszeit sind Geldscheine verschiedener Art von besonderem Interesse, ferner Bekanntmachungen und Werbeplakate, die über den Geist, in dem der Krieg gegen uns geführt wird, keinen Zweifel lassen. Kurzum, ein großes, lehrreiches und sehenswertes Material ist hier zusammengetragen. Im anstoßenden Garten bietet sich ferner Ge⸗ legenheit, einen kriegemäßig ausgebauten Schützengraben mit Brust⸗ 2 Unterständen, Verbindungsgräben usw. in Augenschein zu 1 n.

Eine eindrucksvolle Kundgebung veranstaltete am Sonnabend der Deutsche Verein gegen den Mißbrauch geistiger Getränke in der Neuen Aula der Berliner Universität. Der Jenenser Philosoph Geheime Hofrat, Professor Dr. Rudolf Eucken und der Münchener Oygieniker Geheimer Rat Universitätsprofessor Dr. Max von Gruber sprachen über „Ethische und hygienische Aufgaben der Gegenwart“. Unter den etwa 1400 Teilnehmern befanden sich Staats⸗ und Gemeindebeamte, Lehrer der höheren und Gemeinde⸗ shuulen, Aerzte, Männer und Frauen der Wohlfahrtspflege u. a. Der Vorsitzende des Vereins, Senatspräsident 1). Dr. Dr. von Strauß und Lorney eröffnete die Versammlung mit Begrüßung der Redner und einem Dank an den Rektor der Universität. Den ersten Vortrag hielt dann der Geheime Rat Professor Dr. R. Eucken, Jena, über „Die ethischen Aufgaben der Gegenwart“. Etnleitend der Vortragende die ethische Aufgabe, wie sie der utsche versteht und was sie für ihn bedeuter. Dann folgte eine Iharakterisierung des ethischen Standes unseres Lebens vor dem triege. Es habe neben anderen Gefahren vornehmlich die Gefahr mes sklaplschen Unterliegens unter eine raffinierte Sinnlichkeit be⸗ standen; das sei sowohl der Fall in der Richtung auf einen über⸗ svannten Luxus gewesen, als in der Zügellosigkeit in geschlechtlichen Dingen wie auch in dem starken Mißdrauch geistiger Getränke. Nun abe der Welikrieg uns aus drohender Verweichlichung aufgerüttelt n einen gewaltigen Ernst in unser Leben gebracht. Aber jene Uebel eien damit keineswegs schon in der Wurzel auaggerottet. Eine große eufgabe erwachse daraus, die Forderung der Zeit in einen bleibenden vinn zu verwandeln. So gelte es, Punkt für Punkt den ampf gegen jene Verkehrung des Lebens aufzunehmen; bei der Schwierigkeit der Sache bedürfe es aber dazu eines Zusammen⸗ hlusses der Kräfte, bedürfe es gemeinsamer, eifriger Arbeit. Darauf erxgriff das Wort der Herr Geheime Obermedizinalrat Hofrat Professor Dr. M. von Gruber, München, zum Thema Hygtenische Aufgaben der Gegenwart“. Der Weltkrieg habe uns die ungeheure Gesährlichkeit unserer Lage unter den Völkern enthüllt. Sie bleibe auch nach dem Siege bessehen und er⸗ ordere, daß wir mit größter Besonnenheit und größter Kraft Rassenhygiene betreiben, daß wir unser Volk dauernd auf eine mög⸗ lichst große Zahl von Individuen von möglichst vollkommener Lebens⸗ tüchtigkeit bringen. Die Beschaffenheit eines Individuums, eines ganzen olkes, sein Phänotypus, sei das Piodutkt seiner Anlagen (Gene) und seiner Umwelt. Die Gesamtheit der Anlagen bilde den sogenannten Genotypus des in uns lebenden Idio⸗ plasmas. Die Gene selbst seien etwas außerordentlich Be⸗ ständiges; wir könnten nicht willkürlich neue Gene schaffen oder die vorhandenen Gene verbessern; insbesondere gebe es keine Vererbung erworbener Eigenschaften. Wohl aber könnten anscheinend Gene unter bestimmten Einwirkungen zugrunde gehen. Eine Veränderung der Genestruktur eines Volkes, das aus der Vermischung verschiedener Rassen hervorgegangen ist, wie das deutsche, und daßer zahlreiche verschiedene Genotypen vereinige, sei aber möglich dur Kreuzung nach bestimmten Gesichtspunkten (z. B. geleitet durch wirtschaftlichen oder sozialen Erfolg) und unglesche Fork⸗ planzungsgeschwindigkeit bezw. Fruchtbarkeit der verschitedenen ruppen. Falls sich die Erfolgreichen, die im allgemeinen die egabteren, Willenskräftigeren sein werden, ungenügend vermehren, müsse eine zunehmende Verschlechterung der Anlagenmasse eines Volkes eintreten, die binnen weniger Generationen verhängnisvoll werden önne. Diese ungeheure Gefahr liege bei uns, wie bei anderen hoch⸗ kultivierten Nationen mit reichlicher sädtischer Bevölkerung vor. Sie werde namentlich durch die willkürliche Einschränkung der Kinder⸗ erzeugung herbeigeführt, die auch die Volksvermehrung im ganzen und damit die Existenzmöglichkeit gegenüber dem russischen Volke ge⸗ ihrde. Eine lebensnolwendige Aufgabe ncee Vales sei die Be⸗

kämpfung des sog. Zweikindersystems“. Die ausgiebige Vermehrung der wertvollen Genekombinationen müsse siewetes. werden. Kein Opfer, das dafür gebracht wird, köͤnne zu groß sein. Wie dies zu geschehen hätte, könne heute nicht besprochen werden. Es müsse aber auch dafür gesorgt werden, daß aus den gegebenen Geno⸗ typen die bestmöglichen Phänotypen sich entfalten und diese dann solange, als die Vergänglichkeit der Individuen es zuläßt, erhalten bleiben; daher die große Bedeutung der Pflege und Erziehung der Jugendlichen und der Lebensführung der Erwachsenen. Die über⸗ mächtigen Schädlichkeiten müßten ferngehalten, die Abwehr und Be⸗ herrschung der Bezwingbaren müsse durch Uebung vervollkommnet werden. Unter den die erwünschte Entfaltung und Erhaltung des Phänotypus gefährdenden Umweltseinflüssen seien heute die gefähr⸗ lichsten die Tuberkulose, die Syphilis und der Alkoholismus. Von diesen drei Uebeln sei, sozial betrachtet, vom Gesichtspunkte des Wertes des Individums für die Gesamtheit, der Alkoholismus wohl das schlimmste, da er die geistige Leistungsfähigkeit in ausgedehntem Maße herabsetze, wenn auch die beiden anderen die körperliche Ge⸗ sundheit noch stärker bedrohten. Volle Beachtung verdiene auch die ungeheure wirtschaftliche Bedeutung des Aikoholmißbrauchs, die un⸗ geheuren Summen, die für die geistigen Getränke verausgabt werden, etwa 3 ½ Milliarden, mit Tabak zusammen rund 4 Milliarden Mark jährlich, die gewaltigen Kosten der Alkoholschäden, die Vergeudung kostbaren nationalen Bodens, die unzweckmäßige Verwendung von Hunderttausenden von Arbeitern bester Leistungsfähigkeit. Die schädliche Bedeutung der drei Uebel sei damit noch nicht voll⸗ ständig umschrieben; sie träfen auch die Entfaltung des Phänotypus während des Lebens der Frucht im Mutterleibe und ferner die Keimproduktion. Der Alkoholismus sei wie die Tripper⸗ krankheit imstande, die Keimproduktton vollständig zu vernichten, die letztere auch, die Befruchtung mechanisch unmöglich zu machen. Alle drei Uebel könnten die Keimbildung verschlechtern, insofern eine Schwächung der Lebengenergie der Keimzellen im ganzen herbeigeführt werde, die sich dann auf die Frucht übertrage, oder indem bestimmte Veränderungen der Qualität bewirkt würden. Bezüglich Tuberkulose und Spphilis bestehe kein Zweifel; aber auch bezüglich des Alkoholtsmus lägen unanfechtbare Erfahrungen vor, wenn man nur auch die schwächeren Grade von Schädigung mit berücksichtige. Auch zuverläfsige Tierversuche bestätigten dies, insbesondere neuere des Amerikaners Stpockard. Eine ungeheure Menge von Menschen, die nach dem ursprünglichen Genotvypus ihrer Eltern vor⸗ zügliche Glieder ihres Volkes, wertvolle Pluebartanten hätten werden können, würden so als mehr oder weniger unverbesserliche Minus⸗ varianten erzeugt und geboren! Viel umstritten set die Frage, ob diese Minusvarianten auch im Genotypus jenes Teiles des Keim⸗ plasmas, den sie bei der Fortpflanzung weitergeben, verdorben seien, also keine tadellose Nachkommenschaft mehr zu liefern imstande seien, oder ob nur sie indivtduelle Verkümmerungen seien? Es scheine, daß man eine Zeit lang diese Frage zu pessimistisch betrachtet habe. Wenn nicht die Schäͤdlichkeit neuerdings einwirke, scheine wenigstens in vielen Fällen eine rasche oder allmähliche „Erholung“ des Idioplasmas eintreten zu können, wobei sich dann der Geno⸗ typus als unverändert erweise; es scheine sich in vielen Fällen, wo die erste oder noch die zweite Tochtergeneration Zeichen von Minderwertigkeit erkennen ee. nur um Nachwirkung auf die Entfaltungsmöglichkeit, um ogenannte „Induktion“ oder „Prae⸗ induktion“ zu handeln. Ob es in allen Fällen so sei, und ob nicht doch auch eine dauernde Veränderung und Verschlechterung des Gen⸗ bestandes, Zerstörung von Genen, eintreten könne, sei keineswegs ent⸗ schieden. Manches scheine für das Letztere zu sprechen. Aber selbst dann, wenn es sich nur um vorübergehende Schädigung der Keime handeln sollte, bleibe der Schaden für den Phänotypus des Volkes bei der ungeheuren Verbreitung der Uebel groß genug. Wenn jede Generation von neuem durch das Uebel getroffen werde wie durch den Alkohol⸗ mißbrauch, dann käme es praktisch fast auf dasselbe hinaus wie hei Verschlechterung des Genotypus. Die zweite wichtigste Aufgabe der Rassenhygiene ist daher der Kampf gegen die genannten drei bezw. mit Einschluß des Trippers vier Hauptübel. Er müsse um so notwendiger mit verstärkter Kraft auf⸗ genommen werden, als zu besorgen sei, daß der Krieg eine wefentliche Vermehrung der Fälle von offener Tuberkulose und von Geschlechts⸗ krankheiten verursacht und mit dem Frieden eine Zeit von Aus⸗ schreitungen im Mißbrauch geistiger Getränke bringen werde, wenn nicht vorgebeugt werde. Außer den allgemeinen Vorkehrungen der Volksbelebrung und der öffentlichen Gesundheitspflege wie namentlich durchgreifende Verbesserung der Wohnverhältnisse, die dem Kampfe gegen alle vier Uebel zugute kommen werde, handle es sich bei der Tuberkulose hauptsächlich um Verhütung der Ansteckung der Kinder durch Fernhaltung der offenen Tuberkulosen von ihnen, bei der Be⸗ kämpfung der Geschlechtskrankheiten um umfassende Ermittlung und ärzt⸗ liche Behandlung aller Erkrankungsfälle und um Verhütung der Ueber⸗ tragung dieser Krankheiten durch den Geschlechtsverkehr. Gegen den Alkoholismus seien während des Krieges wertvolle Maßregeln ange⸗ ordnet worden: Verminderung der Produktion und Verminderung der Verlockung. Sie müßten aurechterhalten bezw. gesetzlich ausgebaut werden. Das Wichtigste in letzterer Hinsicht werde durch die drei Schlagworte: Reform des Konzessionswesens, Gasthaus⸗ reform, Steuerreform gekennzeichnet. Die Vorschläge, die neuer⸗ dings der Schweizer Pfarrer Rudolf gemacht hat, verdienten die ernsteste Beachtung. Die öffentlichen Maßregeln müssten unterstützt und ergänzt werden durch die Einsicht und die Pflichttreue der Bevölkerung selbst.

Sie aus sich heraus müsse die geschlechtliche Unsittlichkeit bekämpfen

und den Geschlechtsverkehr wieder heiligen; sie müsse er⸗ ziehend weiter gehen im Kampfe gegen den Alkoholneißbrauch, als das heute gesetzlich möglich set. Jeder gewissenhafte Deutsche müsse sich bei seinem persöntichen Verhalten zu den geistigen Getränken einer großen Verantwortung wegen der erzieherischen Bedeutung des Beispiels bewußt sein. Ueberhaupt müßten wir unsere Gesinnung veredeln. Wir müßten als das fühlen und handeln, war wir sind, als Lehensleute des zu Unsterblichkeit bestimmten Lebendigen, dessen vergängliche Blüten und Samenkapseln wir sind, jenes Lebendigen, das unablässig schaffend sich müht, aus den ihm verliehenen Gahen immer vollkommenere Werke zu schaffen, in unendlicher Annäherung den Deutschen zu verwirklichen. Die Vorträge fanden reichsten Bei⸗ fall und sollen demnächst im Druck erscheinen.

Im Lessing⸗Museum (Brüderstraße 13) findet Donnerstag, den 13. Januar, ein Plattdeutscher Abend statt. Vortragender ist W. F. Burr. Für den mustkalischen Teil des Abends ist die Sängerin Paula Nivell gewonnen worden.

(W. T. B.) Die Direktion der Firma Krupp, A.⸗G., teilt mit: Im Modellschuppen der Firma Friedrich Krupp, Aktiengesellschaft, brach heute Abend gegen 6 Uhr aus bishber unbekannter Ursache ein Brand aus, der bei dem herrschenden starken Winde rasch um sich griff und auf einen Anbau der Radsatzwerkstätte übersprang. Nach zwei Stunden war die Macht des Feuers gebrochen. Der Modellschuppen und der Anbau sind niedergebrannt, soastige Gebäude wurden nicht beschädigt. Verletzt

Essen (Ruhr), 8. Januar.

wurde niemand.

London, 8. Januar. (W. T. B) „»Lloyds“ meldet den

Untergang des norwegischen Dampfers „Bonheur“.

15 Mann der Besatzung wurden gelandet.

Budapest, 8 Januar. (W. T. B.) Eine Abordn ung des holländischen Roten Kreuzes, bestehend aus 6 Aerzten und 27 Pflegerinnen, ist gestern abend unter Führung des Universitäts⸗ professors Dr. Lans in Budapest eingetroffen und vom Königlichen Kommissar des ungarischen Roten Kreuzes, Gebehnen Rat Grafen Andreas Esekonich, vom stellvertretenden Präsidenten Geza von Jofi⸗ povsch, vom Ahlatus Grasfen Emil Szechenvi und vom Ministerkalrat im Ministerratspräsidium Alfred von Drasche⸗Lazat empfangen worden. Auch die Budapester holläͤndische Kolonie mit dem Generalkonsul

Johann Fledderus war eischienen. Die Mission übernahm die Leitung des ihr anvertrauten Reservespitals Nr. 4, das früher die amertkanische Mission geleitet hat. Die holländische Amhulanz brachte fünf Wagen Lebensmittel und sonslige Liebesgaben für ungarische Kriegsspitäler.

Kopenhagen, 9. Januar. (W. T. B.) „Berlingske Tidende“ meldet aus Stockholm: Die Eisverhältnisse im 2 ottnischen Meerbusen verursachen andauernd große Schwierigkeiten. Aus Stockholm sind neue große Eisbrecher abgegangen, um eine An⸗ zahl große Dampfer zu befreien, die vor Gefle im Eise festsitzen. Die Aussicht auf Erfolg ist aber gering. Es wird zurzeit befürchtet, daß das ganze Bottnische Meer an der finnischen wie an der schwedi⸗ schen Küste zufrieren wird, falls nicht sofort milderes Wetter entrten sollte.

Bern, 8. Januar. (W. T. B.) „FJtalia“ meldet, daß in Genua eine Kundgebung von Frauen und Kindern stattfand, die sich gegen die Lebensmittelteuerung richtete Der Umzug wurde auf der Piazza Ferrai durch Polizei aufgelöst.

1“ 9 8 2. 18 Postanweisungen an Kriegsgefangene in Englan usw. werden jetzt im Haag nach dem = 1 Pfd. Sterl. umgeschrieben.

Die Königliche Eisenbahndirektion in Breslau tellt laut Mel⸗ dung des „W. T. B.“ mit, daß der Balkanzugverkehr von Berlin und München am Sonnabend. den 15. Januar, und von

Konstantinopel am Dienstag, den 18. Januar, begimnt.

Verdingungen.

Die Beschaffung des ganzen Zementbedarfs der Heeresverwaltung erfolgt zwecks Einheitlichkeit in der Lieferung und gleichmäßiger Heranziehung der gesamten Industrie durch das stellvertretende Ingenieurkomitee, Abteilung II, Berlin W. 62, Kur⸗ fürstenstraße 6369. Angebote auf Zementlieferung sind demnach nur noch an das stellvertretende Ingenieurkomitee zu richten, das auf entsprechende Vordrucke atgibt und die Lieferungsbedingungen 8 mitteilt. 8

Handel und Gewerbe.

im Reichsamt des nnern „Nachrichten für Handel uüund Landwirtschaft“.)

8 Dänemark.

Staatliche Anhaltung von Gerste, M. Baumwollsamenkuchen. Das Ministerium des Innern hat beschlossen, die Einreichung aller Verträge über ausländische Gerste sowie dergleichen Mais und Baumwollensamenkuchen zu fordern, und zwar in der nämlichen Weise, wie kürzlich für Chilesalpeter verordnet ist. Wenn das Ergebhnis vorliegt, so wird der Preisregelungsausschuß sich erneut mit der Frage der Festsetzung eines Höchstpreises für dänische Gerste zu beschäftigen haben. (Nach Berlingske Tidende.) . Bulgarten.

Ausfuhrverbot. Durch Königliche Verordnung vom 22. No⸗ vember (a. St.) 1915 ist die Ausfuhr von Malz verboten worden. (Bericht des Kaiserlichen Konsulats in Sofia.)

(Aus den gestellten

In erheblicher Anzahl kehren kaufmännische Angestellte fort⸗ laufend aus dem Felde zurück, die nicht mehr dienstfähig sind und deshalb in dem gewerblichen Leben neue Aufnahme suchen. Wenn auch diese Erscheinung erst in Zukunft, nach Beendigung des Krieges, besonders wirksam hervoctreten wird, so glaudte die Handelskammer zu Berlin doch schon jetzt an die Geschäftsinbaber ihres Bezirkes die Aufforderung richten zu sollen, sie möchten in weitestem Umfange diejenigen früheren Angestellten in ihren Betrieb wieder aufnehmen, die vor Kriegs⸗ ausbruch bei ihnen tätig gewesen sind. Die Prinzipale erfüllen damtt eine Ehrenpflicht gegenüber den Männern, die ihr Leben für die Verteidigung des Vaterlandes eingesetzt haben. Es ist zu 8 hoffen, daß sie auch dann entsprechend verfahren, wenn die Angestellten infolge Kriegsbeschädigung mit einer gewissen Einschränkung ihrer Leistungsfähigkeit rechnen müssen. Die Handelskammer konnte fest⸗ stellen, daß zahlreiche Berliner Geschäftsinhaber ein erfreuliches Ent⸗ gegenkommen in der angedeuteten Richtung bewiesen bezw. für die Zukunft in Aussicht gestellt haben.

Rom, 9. Januar. (Meldung der „Agenzia Stefani“.) Eine Verfügung der Regierung ordnet eine Bestandsaufnahme für 1 Weizen und Mais an. Die bis zum 25. Januar vorhandenen Vorräte müssen angegeben werden. Nach diesem Tage muß jeder Handel in Weizen oder Mais, der mehr als 15 Zentner betrifft, ebenso angegeden werden. Eine andere Verordnung erläßt aus⸗ führliche Bestimmungen für die militärischen Requisitionen von Weizen und Mais, um die Vorräte der Müller und der Gemeinden und die Versorgung der Familten und der Wohltätigkeitsanstalten 8 sowie die erforderlichen Saatmengen sicherzusteller.

Brüssel, 8. Januar. (W. T. B.) Die Belgische National⸗ bank hat ihr deutsches Wechselportefeutlle, das bei Beginn des Krieges nach London übergeführt worden war, nunmehr zurück. erhalten. Die Wechsel werden Mute Januar durch die Korrespon⸗ denten der Belgischen Nationalbank mit Genehmigung des Reichsamts des Innern in Deutschland zur Zahlung vorgelegt werden.

New York, 7. Januar. (W. T. B.) In der vergangenen Woche wurden 6 078 000 Dollar Gold und 633 5900 Dollar Silber eingeführt; ausgeführt wurden 417 000 Dollar Gold nach Cuba und 152 000 Dollar Gold anderweitig sowte 633 000 Dollar Silber.

Kursberichte von auswärtigen Fondsmärkten.

London, 8. Januar. (W. T. B.) % Engl. Konsols 58 ¾, 5 % Argentinter von 1886 96, 4 % Brastlianer von 1889 —, —, 4 % Japaner von 1899 68 ¼, 3 % Portugtesen —,—, 5 % Russen von 1906 —,—, 4 ½ % Russen von 1909 77 ¼, Baltimore and Ohto 98 ½, Canadian Paecific 189 ¼, Erie 44 ½, Nattonal Railways of Meriko . Pennsylvania 61 ¼, Southern Pacific 107 , Union Pacific 145, United States Steel Corporation 91 ½, Anaconda Copper 18 ⅛, Rio Tinto 57 ¼, Chartered 11/0, De Beers def. 11 ½, Goldfields 1 ⅛, Randmines 4 ¼. Privatdiskont 5 ⁄16, Stlder 261112.

Paris, 8. Januar. (W. T. B.) 3 % Franzöͤsische Rente 63,75, 4 % Span. äußere Anleihe 87,30, 5 % Russen 1906 —, 3 ⁄% Russen von 1896 —,—, 4 % Türken —,—, Suezkanal —,—, Rio Tinto 1572.

Amsterdam, 8. Januar. (W. T. B.) Fest. Scheck auf Berlin 41,40, Scheck auf London 10,56, Scheck auf Paris 37,70. Scheck auf Wien 27,80. 5 % Niederländische Staatsanleihe 101 ½, Obl. 3 % Niederl. W. S. 67 ⁄16. Königl. Niederländ⸗ Perroleum 5064 Holland⸗Amertka.Linte 384 ½, Niederländisch⸗Indlsche Handelsbank 164. tchison, Topeka u. Santa Fo —,—, Rock Island d. Southern Pacific 95, Southern Rallwavy 21 ½, Union Pacific 131 ⅞, Angconda 69 ½, United States Steel Corp. 80 16. 8 Rew Bork. 8. Januar. (W. . B.) (Schluß.) Dasg Ge⸗ schäft an der Essektenbörse e sich zu Begimnn zteurlich lehhalt, wodei spekulative Käuse die Kurse leicht anziehen hreßen. Im weitere Verlaufe wurden die Umsätze vorwiegend von der Tagesspekulatiog

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