8§ 634 der Reichsversicherungsordnung ist in allen Fällen an⸗ zuwenden, in denen ein anderer Unternebmer dem Eigentümer eines Fahrzeugs die zu dessen Haltung erforderlichen Kräfte in der Weise zur Verfüaung stellt, daß der andere Unternehmer die Arbeiter an⸗ nimmt und lohnt 12843];
Fahrten der Unternehmer von ihren Wobnungen nach den Fabrik⸗ betrieden sind in der Regel keine Betriebsfahrten (2844];
Die Mitversicherung einer teils landwirtschaftlichen, teils per⸗ sönlichen Zwecken dienenden Kraftfahrzeughaltung bei einer landwirt⸗ schaftlichen Berufsgenossenschaft, welcher der Unternehmer mit seinem landwirtschaftlichen Betrieb angehört, ist nur im Falle des § 921 der Reicheversicherunge ordnung zulässig [2845];
Tätigkeiten bet der Haltung eines Fabrzeugs können versicherungs⸗ rechtlich dem landwirtschaftlichen Betriebe des Fahrzeughalters nur dann zugerechnet werden, wenn sie den technischen Teil des landwirt⸗ schaftlichen Betriebs fördern; bierzu gehört nicht die Verwendung der Fuhrwerke zu Fahrten in Ausübung eines Ehrenamts, auch dann nicht, wenn das Ehrenamt als ein Ausfluß des landwirtschaftlichen Betriebs anzusehen ist [28461;
Die Tätigkeiten bei der Kraftwagenhaltung einerseits und der Gespann und Reittierhaltung anderseits sind nicht „Betriebstätig⸗ keiten derselben Art“ im Sinne des § 921 der Reichsversicherungs⸗ ordnung [2847];
§ 921 der Reichsversicherungsordnung findet auf Privatfahrzeug⸗ und ⸗Rittierhaltungen außerhalb des Bezirks einer landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft keine Anwendung 12848].
Abschnitt C. (Kranken⸗, Invaliden⸗ und Hinter⸗ bliebenenversicherung) enthält vier Entscheidungen der Beschlußsenate, denen folgende Leitsätze vorangestellt sind:
Die Abführung von Einnahmen einer Betriebskrankenkasse an den Betriet unternehmer ist unzuläfsig. Die sich aus dem Ueber⸗ schusse der Einnahmen über die Ausgaben ergebenden Bestände sind vielmehr bei der Kisse selbst gesondert zu verwahren oder mündel⸗ sicher anzutegen (§ 25 der Reichsversicherungsordnung) [2133];
1) Eine Satzungsbestimmung des Inhalts, daß die Kasse Zahn⸗ plomben nur dann bezahlt, weng vorher der Vorstand die Zustimmung erteilt hat, ist unzulä sia. 2) Das Okerversicherungsamt darf eine Satzungsbestimmung nicht mit der Maßgabe genehmigen, daß zum Teil an Stelle der vorgelegten Fassung eine vom Oberversicherungsamt verfaßte Abänderung tritt [2134];
Ein Kinderfräulein gehört zu den Dienstboten im Sinne der preußischen Gesindeordnung vom 8 November 1810, wenn niedere Dienste den Schwerpunkt seiner Tätigkeit bilden (§ 435 der Reichs⸗ versicherungsord ung (2135];
Die §§ 1799, 1693 der Reichsversicherungsordnung gelten nicht bei Beschwe den gegen Beanstandungen des Versicherungsamts nach § 5. Abs. 3 der Bekenntmachung des Reichskanzlers, bet effend Wochenbilfe während des Krieges vom 3. Dezember 1914 (Reichs⸗ Gerbl. S. 492, Amtliche Nachrichten des R. V. A. 1914 S. 807) [2136].
Außerdem enthält die Nummer die Zahlungen aus Inva⸗ liden⸗, Kranken⸗, Alters⸗ und Zusatzrenten der 31 Versiche⸗ rungsanstalten und die Versicherungsleistungen der 31 Versiche⸗ rungsanstalten an Hinterbliebene im Monat Oktober 1915, sowie den Erlös aus Beitragsmarken im Monat November 1915. Der Nummer liegen Titelblatt, sowie Sach⸗ und Gesetzesregister des Jahrgangs 1915 bei. 3 1144““
Der heutigen Nummer des „Reichs⸗ und Staatsanzeigers“ liegt die 865. Ausgabe der Deutschen Verlustlisten bei. Sie enthält die 438. Verlustliste der preußischen Armee, die
47. Verlustliste der bayerischen Armee und die 247. Verlust⸗
ste der sächsischen Armee.
Seine Königliche Hoheit der Großherzog hat nläßlich des. 125 jährigen Bestehens des Infanterieregiments rinz Carl (4. Großherzoglich Hessisches) Nr. 118 einen
Tagesbefehl erlassen, in dem es der „Darmstädter Zeitung“ zufolge heißt: —ANMnseren Kindern und Enkeln zur Mahnung und zum Beisptel das heldenmütig erworbene Ehrenzeichen im Regiment o tleben lassen. Es tage daher nach Bestimmung des Re. giments ein altgedienter würdiger Untero fizter der Front jedes Bataillons fortan ein allgemeines Ehrenzeichen für Tapferkeit, welches durch eine silberne Spange mit dem Datum des 23. Januar 1916 daran Minnern möge, daß das Regiment den Tag seines 25 jährtgen Bestehens im großen Kriege beging. Hessens besten Söbnen, die für ihres schönen Regiments Ehre bluteten, sei ein An⸗ en ken dadurch gesetzt. In der Anerkennung des treuen Ausharrens nd tapferen Sinnes, in dankbarem Gedenken der jüngsten schweren Tage habe ich Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften erneut it Auszeichnungen bedacht. Ich überbringe dem Regtment selbst eine treuesten Glückwünsche.
EEEWö
Oesterreich⸗Ungarn.
Anläßlich der Verleihung der Würde eines öster⸗ reichisch⸗ungarischen Feldmarschalls an den König von Bulgarien hat nachstehender Depeschenwechsel statt⸗
efunden. Der König von Bulgarien telegraphierte, wie „W. T. B.“ meldet:
Seiner Kaiserlichen und Königlichen Avostolischen Majestät, Schönbrunn. Gardekapitän, General der Kavallerie Graf Lonyay hat mir soeben das gnädige Handschreiben überreicht, durch welches Eure Majestät mir die bistorische Würde eines österreichisch ungarischen Feldmarschalls übertrugen Geradezu erschüttert von diesem neuen ganz unverdlenten Beweise Kaiserlicher Gnade und höchst beglückt von den Worten der Anerkennung meiner Täatigkeit als Verbündeter Kriegsherr, bitte ich Eure . 93 den Ausdruck vollkommenster Dankvarkeit dafür entgegenzunehm n. Dieselben Gefühle, die vor nunmehr 35 Jahren damals den von Eurer Majestät zum Leutnant errannten Jüngling beseelten, er⸗ füllen auch heute noch mein der geheiligten Person Eurer Majestät in kindlicher Treue ergebenes Herz, das jetzt um so höber schlätt, als mein Allerhöchster Kriegsherr von einst und nunmehriger Er⸗ lauchter Verbündeter die böchste milttärische Würde seiner glor⸗ reichen, von ruhmvollen Traditionen genagenen Armee meiner Wenigkeit zu verleihen geruhte. Ferdinand R, K. u. K. Feldmarschall.
Der Kaiser Franz Joseph erwiderte obiger Quelle zufolge:
Die überaus warmen Worte, die Eure Majestät anläßlich der Ernennung zum Feldmarschall meiner Armee an mich zu richten die Güte hatien, haben mich tief gerührt. Ich schätze mich glücklich, 8 Eute Mazjestät dieses Ze chen meiner treuen Freundschaft und aufricht gen Bewunderung fur den Verbündeten Obersten Kriegs⸗
heirn des rubmvollen bulgarschen Heeres so freudig aufgenommen haben, und danke Eurer Majestät auf das herzlichste fur, die Ver⸗ sicherung der von Jugend an bewährten liebevollen Anbänglichkeit an mich und meine Armee, die stolz darauf sein wird, di⸗ verehrte Poe son Eurer Mat⸗stät unter ibre Feldmazschälle zu zählen und baburch noch enger mit sich verbunden zu wissen.
— Der Deutsche Kaiser traf, wie „W. T. B.“ meldet, von Belgrad kommend, am 20. Januar Morgens mit dem Herzog Johann Albrecht zu Mecklenburg und 82 in Bazias ein. Nach dem Abschreiten der Front der Ehren⸗ kompagnie nahm der Kaiser den Bericht des Korpskomman⸗ danten von Temesvar entgegen, worauf ihm der Obergespan des Krasso⸗Szoerenyer Komitats Zoltan Hedwe sowie der Vize⸗ gespan Aurel Issekutz vorgestellt wurden. Nach längerer Unter⸗ haltung mit den Herren begab sich der Kaiser mit seinem Ge⸗ folge auf die nächste Berghöhe und ließ sich den Verlauf des Ueberganges der Truppen über die Donau bei Rama genau erklären. Hierauf ging der Kaiser an Bord des Dampfers „Sofie“ der ungarischen Fluß⸗ und Seeschiff⸗Aktiengesellschaft, der ihn durch die Kazanenge nach Orsowa brachte. Während der Fahrt ließ sich der Kaiser vom Obergespan genauen Bericht über die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse der Bewohner⸗ schaft geben. In Orsowa wurde der Monarch mit großen militärischen Festlichkeiten empfangen. Nach herzlichem Abschied von den Herren und dem Herzog zu Mecklenburg, der in Orsowa blieb, kehrte der Kaiser im Automobil nach Bazias zurück, von wo er Abends die Weiterreise im Hofzuge fortsetzte.
— Der ehemalige rumänische Ministerpräsident Peter Carp ist gestern in Wien eingetroffen.
— Der österreichisch⸗ungarische Generalstabsbericht vom 24. Januar erwähnt am Schlusse der Mitteilungen über Monte⸗ negro, daß in Podgorica Ausschreitungen vorgekommen sind, die mit dem Erscheinen der ersten österreichisch⸗ungarischen Truppen aufhörten. Wie aus dem Kriegspressequartier ge⸗ meldet wird, bestanden diese Ausschreitungen, soviel bisher be⸗ kannt geworden ist, in einem blutigen Zusammenstoß zwischen Montenegrinern und bei Podgorica wohnenden Albanern, der dem bekannten Albanerführer Issa Bol⸗ jetinac und seinem Sohne das Leben kostete. Die Ursache ist noch nicht aufgeklärt. Verschiedene montenegrinische Beamte eilten den anrückenden österreichisch⸗ungarischen Truppen ent⸗ gegen und baten deren Kommandanten, den Einmarsch in Podgorica zu beschleunigen, damit Aergeres verhütet werde. Beim Einrücken der österreichisch⸗ungarischen Truppen war die Stadt bereits wieder ruhig.
— Das Londoner „Reuterbureau“ meldet aus römischen Blättern, daß ein britisches Tauchboot in der nördlichen Adria ein österreichisch⸗ungarisches Wasserflugzeug vernichtet und die Bemannung gefangen genommen hätte. Ein zu Hilfe geeiltes Torpedoboot sei torpediert und versenkt worden. Hierzu wird aus dem Kriegspressequartier gemeldet, daß die österreichisch⸗ ungarische Kriegsmarine weder ein Torpedoboot noch einen Zerstörer vermißt. Sollte demnach das englische U⸗Boot tatsächlich eine solche Torpedoeinheit mit einem Torpedoschuß vernichtet haben, so kann das Opfer nur ein Fahrzeug der Ententeflotte gewesen sein. Damit wäre das englische Unterseeboot in der nördlichen Adria nur dem Bei⸗ spiele des französischen U⸗Bootes „Faucoult“ gefolgt.
— Eine aus mehr als fünfzig Mitgliedern bestehende
2
Abordnung aus Dalmatien ist in Wien eingetroffen, die dem Kaiser ihre Huldigung darbringen will. Ihr gehören u. a. an der Statthalter, der Landeshauptmann, der Erzbischof von Zara, die Bischöfe und Abgeordneten Dalmatiens, der Bürgermeister von Zara sowie Vertreter fast aller Gemeinden Dalmatiens. In einer dem Kaiser zu überreichenden Huldigungsadresse soll ie xe W. T. B.“ meldet, betont werden, daß die Söhne f els auf allen Schlachtfeldern ihre Treue und Anhänglichkeit! Huü Kaiser und Reich freudig und ruhmvoll bekundeten und bis zum siegreichen Ende des Krieges ausharren werden. Die Adresse wird auch zum Aus⸗ druck bringen, daß die Bevölkerung Dalmatiens alle Absichten Italiens auf die Ostküste der Adria mit Entrüstung ablehnt und restlos nur in der Jagehörigbeit Dalmatiens zur habs⸗ burgischen Monarchie die sicherste Gewähr für die nationale, kulturelle und wirtschaftliche Entw ckelung Dalmatiens und seiner Bevölkerung erblickt.
Großbritannien und Irland.
Das Unterhaus hat die Militärdienstbill mit 338 gegen 36 Stimmen in dritter Lesung angenommen.
— Der Nationale Dockarbeiterverband, eine der wichtigsten Gewerkschaften Englands, hat dem „Reuterschen Bureau“ zufolge eine Entschließung entworfen, die in der Ver⸗ sammlung am Mittwoch beraten werden wird. Sie spricht sich gegen jede Art von dauerndem Militarismus aus, sieht aber das gegenwärtige Vorgehen der britischen Regierung als durch den jetzigen Krieg gerechtferigt am.
Frankreich.
Der König von Montenegro ist mit dem Kron⸗ prinzen Danilo, dem Prinzen Peter, der Prinzessin Militza und Gefolge gestern nachmittag in Lyon angekommen.
Schweden.
Im Reichstag begann gestern die mit großem Interesse erwartete Budgetdebatte. Der Ministerpräsient Ham⸗ marskjöld hielt in der Zweiten Kammer eine große Rede, in der er laut Bericht des „W. T. B.“ ausführte:
Es bestehe keine Ursache, im In⸗ oder Auslande daran zu zweifeln, daß die Politik der Regierung eine Politik der Neutralität sei. Ein deutlicher Bewess dafür sei in Worten und Handlungen gegeben. Die hervorgetretenen Zweisel daran seien einem krankhaften Miß rauen oder dem Mangel an Verständnis dafür, was ehrliche unvartetische Neutralität bedeute, zuzuschreiben. „Bei einer Ge⸗ legenbeit im vorigen Sommer“, fuhr der Ministe präsident fort, suchten wir unseren Stanrpuakt zu erklären. Wir wiesen die Vorstellung zurück, daß unsere Politik bedeuten sollte, daß ein Aufgeben unserer Neu⸗ tralität unter keinen Umständen in Frage kommen dürfte. Dieser Zurückweisung, die sich auf jeden Versuch bezog, in unsere Polttik erwas anderes hineinzulegen als das, was wir meinen, wurden folgende Worte hinzugefügt: In Uebereinstimmung mit den ab⸗ gegebenen Neutralitätserklärungen und mit unzweideutigen Aus⸗ sprüchen des Königs bei verschiedenen Gelegenheiten ist es unser warmer Wunsch, den Frieden zu bewahren, und unsere Pflicht, mit allen Kräften dafür zu wirken. Wir rechnen aber auch mit Möglich⸗ keiten, bei denen Schweden trutz aller unserer Bemühungen die Be⸗ wahrung des Friedens nicht mehr mög ich ist. Durch diese Worte und
111“
den übrigen Inhalt derselben Rede, die im großen und ganzen vom König
und allen Mitgliedern der Regierung vollständig gebilligt warde, wurde unsere Politk so genau und deutlich gekennzeichnet, wie es ohne unangebrachtes und sogar undenkvares Eingehen auf wirkliche oder anenommene Fälle überhaupt moalsch war. IFn einer späteren Rede wurde weiter betont, daß ausschließlich schwedische Gesichts⸗ punkte in Betracht kommen sollen, daß mithin Syvmpvathien nicht entscheidend sein dürfen. Nach solchen Grundsätzen sind wir bisher verfahren. Wenn irgendwo die Auffafsung besteht, als wären wir parteiisch gewe sen, so beruht diese entweder aaf einem enrschtigen
Gesichtspunkte oder auf ungenügender Kenntnis der Verhältnisse. An
den Grundsätzen der bisher von uns befolgten Politik werden wir festhalten. Dies gilt auch für das Verhältnis von Schweden zu den übrigen Neutralen. Unter diesen haben wir besonders von Dänemark und Norwegen Mitwirkung für gemeinsame Ziele gesucht und auch erzielt. Daß die gemeinsamen Bestrebungen für das Recht und das Wohl der neutralen Mächte wie für die Aufrecht⸗ erhaltung des in der Thronrede erwähnten Völkerrechts nicht größeren Umfang angenommen haben, sind wir die ersten zu bedauern. Dies liegt an Verhältnissen, an denen wir kein Teil haben, und über die wir kein Recht haben, ein Urteil auszusprechen. Das aber wollen wir feststellen, daß nach unserer Ueberzeugung ein Erfolg solcher Be⸗ strebungen nicht nur ein materieller und ideeller Gewinn für Schweden wie für die anderen neutralen Länder, sondern auch für die Kriegführenden, ja sogar für ganz Europa sein würde. Die jetzige Gruppierung der Mächte ist nicht ewig. Wenn andere Verhältnifse eintreten, wird eine jetzt kriegführende Macht vielleicht bereuen, daß sie wegen eines zufälligen, oft zweiselhaften Vorteils die Verträge und Gebote des Völkerrechts zerrissen hat, die nur zu spät wieder hergestellt oder ersetzt werden können. Es ist kaum möglich, zu be⸗ streiten, daß gewisse Schwierigkeiten, besonders im Erwerbsleben, vor⸗ läufig hätten gemildert werden können, wenn wir weniger genau in der Aufrechterhaltung einer wirklichen unparteiischen Neutralität auch in handelspolitischen Fragen gewesen wären. Diese Erleichterungen wären uns jedoch nur vorläufig von Nutzen gewesen. Unsere eigene Erfahrung zeigt, daß insolge der fortwährenden schnellen Verschärfung des Handelskrieges oft nur eine kurze Dauer des unsicheren Genusses von Vorteilen durch allgemeine Verabredungen erwartet werden kann. Aus anderen neutralen Ländern erfährt man auch, daß bald neue Forderungen durch die gemachten Zugeständnisse veranlaßt werden. Zugeständnisse führen leicht weiter und weiter fort von wirklicher Neutralttät. Wenn wir uns jetzt bedenklichen Beschränkungen von Recht und Freibeit fügen würden, so wäre andererseits zu befürchten, daß diese Beschränkungen sogar in noch größerem Umfange nach dem Kriege fortbestehen würden, wie auch, daß die folgende Zeit als end⸗ gültiges Ergebnis eine ökonomisch wie politisch schmerzliche Abhängig⸗ kett ergeben würde. Obaleich wir, wie gesagt, im Interesse unserer Neutralttät und Selbständigkeit vielleicht auf gewisse zufällige Vorteile verzichtet haben, so ist doch das Gesamtergebnis unseres Erwerbs⸗ lebens bel uns nicht schlechter als in anderen neutralen Staaten.“
In der Debatte sagte der Führer der Liberalen Eden, eine Neutralitätspolitik ohne Hintergedanken und korrekt nach allen Seiten sei das, was das Land wünsche, und die erste entscheidende Be⸗ dingung für ein Zusammenarbeiten mit der Regierung. Er hob die Tatsache bervor, daß der Aktivismus eine schlechte Wirkung außerhalb der Grenzen Schwedens hervorgerufen habe; es sei eine Angelegenheit von der größten Bedeutung für die Regierung, die Rechte und das ganze Land, daß man sich von den aktivistischen Elementen frei mache. Man habe erklärt, der Akttvismus sei tot; dieser sei aber in neuer Gestalt wieder auferstanden und auf handelspolitischem Gebsete her⸗ vorgetreten. Der Führer der Sozialdemokraten Branting sprach die Besorgnis aus, daß die Haltung der Regterung nicht mehr so deutlich neut alitätsfreundlich seit wie bisher. In dem Falle des Aus. fuhrverbots für Papiermasse habe man eine reine Vergeltungepolitik versucht. Branting erklärte, aus den unteren Schichten des ganzen Volks steige klarer und klarer die Forderung nach gerechter Neutralität empor. Der Führer der Rechten, der ehemalige Staatsminister Lindman erklärte, die Partei der Rechten billige jest wie bisher die Neutralttät. „Die Neutralität“, sagte er, „muß aufrecht⸗ erhalten werden, aber unsere Interessen müssen geschützt werden. Man darf die Kriegführenden nicht zu dem Glauben kommen lassen, daß Schweden nach Belteben behandelt werden könne. Dies kann man ak ive Neutralität nennen im Gegensatz zu einer passiven. Was wir wollen, ist, daß wir unter Aufrechterhaltung unserer Neutralität mit offenen Augen den Ereignissen folgen und unsere Rechte schütz n. Das große Gebäude des Völkerrechts steht kaum mehr; sein Grund hat sich als von lockerster Art erwiesen. Für ein neutrales Schweden ist es eine Ehre, nicht an der Niederreißung des Völkerrechtes teil⸗ zunehmen. Wir haben ein Recht darauf, von den Kriegführenden nach den bisher geltenden Rechissätzen behandelt zu werden. Wir sind auch dazu verpflichtet, das zu erfüllen, was diese selben Rechts⸗ sätze einem neutralen Staate auferlegen. So wollen wir fortfahren.“ Der Abg. Branting sagte, die Regierung habe sich über die mög⸗ lichen Folgen ihrer Neutralitätsposittk nicht klar genug aus⸗ gesprochen. Es sei die Frage, ob die Nation lediglich wegen der genauen Auslegung des Völkerrechts, auf die sich jetzt die schwedische Politik stütze, größeren Gefahren ausgesetzt werden müsse. Es sei notwendig, ein vernünftiges Ueberein⸗ kommen zu treffen und eine Entspannung der Lage zu erzielen, nicht aber, sich durch angeblich unüberbrückbare Gegensätze zum äußersten bringen zu lassen. Der Ministerpräsident Hammarskjöld wieder⸗ holte seine Versicherung, daß die Regierung die Erhaltung des Friedens wärmstens wünsche, daß aber damit gerechnet werden müsse, daß dies trotz aller Anstrengungen unmöglich werden könnte. (Die Erklärung wurde mit Beifall aufgenommen.)
In der Ersten Kammer wiederholte der Minister⸗ präsident seine in der Zweiten Kammer gehaltene Rede.
In der danach beginnenden Debatte erklärte der Fübrer der Rechten Trygger, seine Partei wünsche jetzt, wie vor einem Jahre, die Aufrechterhaltung der Neutralität nach allen Seiten. Er sei davon überzeugt, daß die Regierung beabsichtige, die Neutralität nach den Grundsätzen des Völkerrechts aufrechtzuerhalten. Der gegen⸗ wärtige Zustand sei kein Rechtszustand, sondern ein Zustand ven Gewalt auf der einen Seite und von Unterwerfung auf der anderen. Schweden könne nicht auf seine Rechte verzichten. „Lieber, als daß wir auf unseren Anspruch auf Achtung und Ehre Verzicht leisten“, sagte der Redner, „wollen wir uns den größten Ent⸗ sagungen und Opfern unterwerfen. Schweden darf nicht aus dieser Weltkrise mit einer Minderung seiner Ehre und seiner Souveränität hervorgehen, sondern geehrt und selbständig.“ Der Führer der Liberalen Kvarnzelius erklärte als unerschütterliche Meinung seiner Partei und der überwiegenden Mehrheit des schwedischen Volkes, daß es notwendig und das Beste set, eine unpatteitsche Neutralität beizubehalten. Er sprach seine und seiner Partei Uebereinstimmung hierin mit der Regierung aus. Der ebe⸗ malige liberale Minister Alfted Petersson drückte seine Ueberzeugung aus, daß es der Wille der Regierung sei, eine unerschütterliche Neutralitat aufrecht uerbalten. Die schwedische Neutralität müsse so offenbar sein, daß kein Zweifel an ihrer Ehrlichkeit entstehen könne.
Mitglieder der linken Parteten in beiden Kammern tadelten die Regierung, weil die Kosten für die Neutralttätswache bereitgestellt habe, und besprachen auch die Lebensmittelteuerung.
Der Reichstag wählte gestern zwölf Mitglieder des Geheimen Ausschusses. Die Rechte wählte aus der Ersten Kammer vier Vertreter, darunter Trygger und Kjellen, aus der Zweiten Kammer zwei, darunter Lindmann. Die freisinnige Partei wählte aus der Ersten Kammer zwei Vertreter, darunter den früheren Minister Alfred Peterson, aus der Zweiten Kammer einen, den Professor Eden aus Upfala. Die sozialdemokratische Gruppe wählte aus der Zweiten Kammer drei Vertreter, darunter
Griechenland. Nach einer Meldung des „Reuterschen Bureaus“ wird
berichtet, daß die griechische Regierung nichts gegen dieet
Niederlassung der serbischen Regierung in Korfu einzuwenden habe und auch bereit sei, die Sorge für die im mazedonischen Feldzug gemachten Kriegsgefangenen zu über⸗ nehmen; sie verweise aber darauf, daß sich bereits zahlreiche griechische und serbische Flüchtlinge im Lande befinden.
sie im vorigen Jahre, ohne den Reichstag zu hören,
linige Soldaten gefangen.
— Die Eröffnung der Kammer fand gestern unter
üblichen eierlichkeiten statt. Der Min 2— uludis verlas die Königliche Verordnung, durch die die ummer eröffnet wurde, wobei die Abgeordneten in den Ruf z lebe der König!“ ausbrachen. Es folgte die Eidesleistung, auf die Kammer sich wieder vertagte. Der Tag der hsten Sitzung ist noch nicht bestimmt. Die Abgeordneten „nördlichen Epirus nahmen an der Kammereröffnung teil dleisteten den Eid.
Bulgarien.
Der König hat nach einer Meldung der Bulgarischen legraphenagentur folgenden Tagesbefehl erlassen:
Auf den mir durch den Oberbefehlshaber und die höheren uppenbefehlshaber ausgedrückten Wunsch meiner teuren Armee habe
eingewilligt, die Würde eines Generalfeldmarschalls anzu⸗
zmen als Zeichen meines Dankes gegen Gott und meiner Er⸗ utlichkeit gegenüber meinen Soldaten für ihr opferwilliges Helden⸗ i und ihre glänzenden Siege. — — 9
Das Blatt „Ikdam“ erfährt, daß mehrere Häupt⸗ ge der persischen Stämme sich in der, Ueberzeugung, ß die Verfügungen der gegenwärtigen offiziellen persischen hegierung üble Folgen für die islamitische Welt nach sich ziehen unten, erhoben haben und den Schutz der Rechte des lams fordern. Naib Snsgs⸗ Khan ist mit seinem Sohne In Kaschan, südlich von Kum, geflüchtet. Er hat sich den frei⸗ llligen Kriegern angeschlossen, die eine Streitmacht von 4000 am darstellen und die Russen bei Sare (2) angegriffen ben. Die Russen hatten mehrere Tote und verloren zwei aschinengewehre, eine Menge Munition, Lebensmittel un 11111““
8 8.
Großes Hauptquartier, 25. Januar. W. T. B. Westlicher Kriegsschauplatz.
In Flandern nahm unsere Artillerie die feindlichen tellungen unter kräftiges Feuer. Patrouillen, die an ein⸗ nen Stellen in die stark zerschossenen Gräben des Gegners adrangen, stellten große Verluste bei ihm fest, machten ige Gefangene und erbeuteten 4 Minenwerfer. Der emplerturm und die Kathedrale von Nieuport, die
Feinde gute Beobachtungsstellen boten, wurden umgelegt. estich von Neuville griffen unsere Truppen im An⸗ luß an erfolgreiche Minensprengungen Teile der urdersten französischen Gräben an, erbeuteten drei Maschinen⸗ vehre und machten über 100 Gefangene. Mehrfach ange⸗ tzte feindliche Gegenangriffe gegen die ge⸗ oymmenen Stellungen kamen über klägliche An⸗ uge nicht hinaus; nur einzelne beherzte Leute verließen een Graben, sie wurden niedergeschossen.
Deutsche Flugzeuggeschwader griffen die mili⸗ rischen Anlagen von Nancy und den dortigen ughafen sowie die Fabriken von Baccarat an. n französischer Doppeldecker fiel bei St. Benoit ordwestlich von Thiaucourt) mit seinen Insassen unversehrt unsere Hand. 8 8
2
Oestlicher Kriegsschauplatz. 8¹ Russische Vorstöße wurden an verschiedenen Stellen cht abgewiesen. 8 Balkan⸗Kriegsschauplatz. Nichts Neues.
Oberste Heeresleitung.
Wien, 24. Januar. (W. T. B.) Amtlich wird gemeldet: Russischer Kriegsschauplatz Nichts Neues.
Italienischer Kriegsschauplatz.
Annäherungsversuche des Feindes im Abschnitte von La⸗ aun und ein neuerlicher Angriff einer italienischen Abteilung n Rombon⸗Hange wurden abgewiesen.
Südöstlicher Kriegsschauplatz.
Gestern abend haben wir Skutari besetzt. Einige ausend Serben, die die Besatzung des Platzes ge⸗ ildet hatten, zogen sich, ohne es auf einen Kampf an⸗ mmen zu lassen, gegen Süden zurück. Ueberdies sind sere Truppen im Laufe des gestrigen Tages in iksie, Danilovgrad und Podgoritza eingerückt. Die ntwaffnung des Landes vollzog sich bis zur tunde ohne Reibungen. An einzelnen Punkten haben e montenegrinischen Abteilungen das Erscheinen unserer ttreitkräfte erst garnicht abgewartet, sondern die Waffen schon orher niedergelegt, um heimkehren zu können. Anderenorts
öpg der weitaus größte Teil der Entwaffneten die Kriegs⸗
efangenschaft der ihnen freigestellten Heimkehr vor. Die Be⸗ ölkerung empfing unsere Truppen überall freund⸗ ch, nicht selten mit Feierlichkeit. Ausschreitungen, wie ebeispielsweise in Podgoritza vorgekommen waren, hörten f, sobald die erste österreichisch⸗ungarische Abteilung erschien. Der Stellvertreter des Chefs des Generalstabes vpon Hoe fer, Feldmarschalleutnant.
Der Krieg der Türkei gegen den Vierverband.
Konstantinopel, 24. Januar. (W. T. B.) Das Haupt⸗ zwartier teilt mit: An der Irakfront dauern die Stellungs⸗ ämpfe bei Kut el Amara an. Englische Streitkräfte, die zus der Richtung von Iman Ali Gharbi kamen, griffen am
Januar unter dem Schutz von Flußkanonenbooten unsere tellungen bei Menlahie, etwa 35 km östlich von Kut mara, auf beiden Ufern des Tigris an. Die Schlacht auerte sechs Stunden. Alle Angriffe des Feindes wurden urch unsere Gegenangriffe zurückgeworfen. Der eind wurde einige Kilometer nach Osten zurückgetrieben. Auf eem Schlachtfelde zählten wir ungefähr dreitausend tote ngländer. Wir nahmen einen feindlichen Faupterhan und Unsere Verluste sind verhältnis⸗
Ein Waffenstillstand von einem Tage,
äßig gering. 3 berbefehlshaber, General Aylmer,
imn den der feindliche
ersucht hatte, um seine Toten zu begraben, wurde von uns be⸗ willigt. Gefangene erklärten auf unsere Fragen, daß die Engländer außer den Verlusten, die sie in dieser Schlacht erlitten, noch weitere dreitausend Tote und Ver⸗ wundete in den vorhergehenden Kämpfen bei Scheik Said verloren haben. Infolge unseres Angriffs auf eine andere englische Kolonne, die westlich von Korna aus der Richtung von Muntefik vorzugehen versuchte, wurde der Feind zum Rückzug gezwungen, wobei er hundert Tote zurückließ. Wir erbeuteten eine Anzahl Kamele und hundert Zelte. Sonst nichts von Wichtigkeit.
—
Mailand, 24. Januar. (W. T. B.) Zu der Torpe dierung eines englischen Transportschiffes durch ein deutsches Unterseeboot bei Saloniki erfährt der „Corriere della Sera“ noch folgende Einzelheiten: Die Torpe⸗ dierung des Transportschiffes, das von England kam, erfolgte gestern früh 7 Uhr außerhalb des Salonikier Hafens. Das Schiff hatte 100 Soldaten und 150 Mann Besatzung an Bord sowie 200 Maulesel und Munition. Menschenleben sind nicht verloren gegangen. Man sucht einen Teil der Munition sowie das Schiff zu bergen. 1“ 2
Der Krieg in den Kolonien.
Paris, 24. Januar. (W. T. B.) Eine Mitteilung des Kolonialministeriums über die Operationen der Fran⸗ zosen und Engländer gegen Kamerun besagt:
„Die militärischen Operatsonen, die von Franzosen und Eng ländern zu Anfang des Krieges begonnen wurden, um die Deutschen aus Kamerun zu vertreiben und diese reiche und wichtige Kolonte in die Hände der Verbündeten zu bringen, nähern sich ihrem Ende. Be⸗ onnen auf einer Frontlänge von 3000 km, verlaufen die Ovperattonen in aufeinander abgestimmten Bewegungen derart, daß verschiedene Kolonnen, französtsche und englische, von verschledenen Punkten dieser Front ausgehend, von wo aus sie zum Teil über 1000 km zu durchmessen hatten, beinahe gleichzeitig in Jaunde ankamen, nach⸗ dem sie schwere Kämpfe bestanden halten, denn der Widerstand des Feindes war sehr hartnäckig. Obgleich Jaunde, wo der Gouverneur sich mit dem Oberkommandierenden der Truppen und dem Stabe befand, sehr stark befestigt war, wurde dieser Platz doch geräumt, sobald der Druck der Verbündeten ihn bedrohte. Die Deutschen ziehen sich eilig füdwestwärts in der Richtung auf die spantsche Kolonie Rio del Muni zurück, wohin der deutsche Gouverneur und der Kom⸗ mandeur der Schutztruppe sich bereits geflüchtet haben sollen. Auf ihrem Rückzuge stießen die deutschen Kolonnen wiederholt mit einer französischen Kolonne zusammen, die ven Duala kam und längs der Eisenbahnlinie auf Jaunde marschierte, parallel mit einer englischen Kolonne, welche der Automobilstraße folgte; weiter nördlich erlitten die Deutschen große Verluste bei Mangalese. Den Deutschen gelang es nur, den Marsch der Franzosen und Engländer durch den großen Wald der Aequatorgegend in einem außerordentlich wechselvollen Ge⸗ lände ein wenig aufzubalten, aber sie entgingen der kräftigen Ver⸗ folgung nicht, die soeben mit der Besetzung von Evolowa, des letzten wichtigen Punktes, den die Deutschen noch hielten, durch die Verbündeten ihr Ziel erreicht hat. General Aymerich hat den Befehl über die verbündeten Truppen in Jaunde übernommen und sich mit dem englischen General Dobell dahin verständigt, mehrere gemischte Kolonnen zur Verfolgung des Feindes in einige Gegenden des Südens zu entsenden, wo seine letzten Abteilungen umherirren.
Wohlfahrtspflege.
Das für altersschwache und sieche Taubstumme aller Konfessicnen
Ostpreußische Tauhstummenheim zu Königs⸗
errichtete Die Aufnahme in das
berg i. Pr. zählt zurzeit 57 Pfleglinge. Heim erfolgt grundsätzlich unentgeltlich. Unterhalten wird die Anstalt allein aus milden Gaben, hauptsächtich aus den Erträgen der ostpreußischen Hauskollekte. Infolge der um⸗ fangreschen Kriegsverwüstungen, durch die mehr als ein Drittel der Provinz Ostpreußen in furchtbarer Weise heimgesucht wurde, ist die Einnahme der Anstalt so zurückgegangen, daß es ihr in einer Reihe von Jahren unmöglich sein wird, ihre Ausgaben zu decken. In kurzer Zeit muß sie vor dem völligen wirtschaftlichen Fuseecee he stehen, wenn ihr nicht anderweite Hilfe zuteil wird. In Anbetracht dieser schweren Notlage hat der Oberpräsident der Provinz Brandenburg dem Heim eine Hauskollekte in der Provinz Brandenburg und dem Landespolizeibelirk Berlin bewilligt, die am 1. d. M. ihren Anfang genommen hat. Es ist zuversichtlich zu hoffen, daß die bewährte Ovferwilligkeit der Brandenburger dafür sorgen wird, daß das Liebeswerk hart⸗ bedrängten Provinz nicht zu Grunde geht. 8 sh 8
Kunst und Wissenschaft.
In der Januarsitzung der Anthropologischen Gesellschaft widmete der Vorsitzende, Professor E. Seler in ehrenvollen Worten dem jüngst verstorbenen Forscher Professor Hermann Klaatsch einen Nachruf. Professor Eduard Hahn schlug vor, bei den Bestimmungen der vorgeschichtlichen Kulturen neben der Beobachtung der Metall⸗ technik auch darauf zu 58 ob in der betreffenden Periode schon Pflugkultur üblich war, wofür das Vorkommen von Resten der Haus⸗ slere Anzeichen bietet, und im allgemeinen den wirtschaftlichen Zu⸗ ständen der Steinzest mehr Aufmerksamkest zu widmen. Professor Wert legte einen „Fäustling“ vor, der auf dem Tendagurabügel, nahe der Panganimündung (Ostafrika) auf einer Stufe gefunden ist, die dr deerg ablagent zuzurechnen ist und die ganz den Charakter der Werkzeuge des Cbelléen (ältere Steinzeit) trägt. Da wir heute schon altsteinzeitliche Werkzeuge aus dem Somaltlande, vom Zambesi, vom Kongo und Niger, aus Algerien, Marokko und Tunis kennen, so agibt dieser Umstand uns einen weiteren Gesichtspunkt bei der Beurteilung der Neandertalrasse und weist auf eine wohl noch ältere, weit ver⸗ breitete Rasse hin, und wir müssen daher ganz andere Anschauungen über die Abstammung und Verbreitung des Menschen gewinnen.
Darauf sprach Dr. P. Traeger, der Schriftführer der Gesell⸗ schaft, über das Thema: Zur Kenntnis der Albanesen und ihrer Nachbarn. Der Vortragende, der 1899 bis 1904 Albanien nach den verschiedensten Richtungen hin durchforicht und große originale ethnographische Sammlungen zusammengebracht hat, ent⸗ warf in großen Zügen ein Bild von Volk und Land und benutzte seine wertvollen Einzelforschungen zur Erläuterung und zum Belege seiner Darlegungen. Er stellte zuerst fest, daß die Albanesen eine in sich beruhende ethnologische Einheit sind, genau wie Griechen, Römer, Deutsche, Slaven. Zu keiner dieser Gruppen haben sie irgend naͤhere Verwandtschaft, ihre Sprache ist ein durchaus selbständiges Glied der indogermanischen Sprachen. Wir können heute schon sagen: die Albanesen sind die Nachkommen der alten Illyrer, sie sind eines der ältesten Völker, eines der am wenigsten vermischten Völker im Norden ihres Gebiets; im Gebirge sind sie heute noch ganz unvermischt. Sicher ist, daß vor den Hellenen üUyrische Stämme in dem Gebiet von Albanien gesessen haben. In diesem Gebiet sind in anderthalb Jahrtausenden Völker und Reiche dahingegangen, ohne daß die Albanesen in ihrem Kern be⸗ rührt worden sind, obwohl von diesen fremden Reichen jedes fast Jahrhunderte geherrscht hat. Die Goten herrschten nach den
Eigenart und der geringen
Röͤmem vom Golf von Arta bis nach Dalmatien, 109,Jahre, im 5 Jahrhundert nach Cbristi Geburt kam die Slavenüberschwemmung.
Die Serben wurden hier die Herren, es folgte die hundertfährig Bulgarenherrschaft mit der Residenz des Zaren Simeon in Ochrida Franken, Normannen und Türken lösten einander als Herren de Landes ab. Und doch blieben die alten Illvrer ethnisch beuehen, ihr
Sprache blieb das Albanische, freilich nahmen sie Worte anderer
Sprachen auf, aber ihr Kern blieb unberührt. Obwohl schon Bor dies erkannte, war die Sprachforschung des Albanesischen deehalb bis her so schwierig, weil es bis heute noch nicht zur eibeitlichen Schrif gelangt ist; bis vor wenigen Menschenaltern schrieben die Albanesen überbaupt noch nicht, und beute noch besteht Streit um
das Alphabet. Zudem sind die sprachlichen Aufnahmen fast sämtlich
bei Albanesen gemacht worden, die in der Diaspora in Griechen land und in Süditalien lebten. Die Quelle für die Erkenntnis de albanesischen Volkes sind aber die Beigstämme des Nordens, d finden wir die alten Bezeichnungen für die Familie, den Hausrat und dergleichen. Die albanesische Sprache wird auch auf dem griechischen Archipel gesprochen und Professor Philippson⸗Bonn gibt 90 000 Albanesen für den Peloponnes an; 100 000 leben, seitdem die Türken Herren des Landes geworden waren, in Süditalten. De Gebirgsstock Nordalbaniens ist ethnisch und linguistisch eine ander Welt als das übrige Albanien. Die Hauptstämme von Nord nach Süd sind die Malissoren (mali = Berg), die Mirditen am Skutari see und die Tosken, die auf die alten Epiroten zurückgehen, in Süd albanien; das Toskische des Südens ist nur dialekiisch vom Nord⸗ albanischen verschieden. Das Bergland des Nordens kennt keine Brücken und Wege; auf Ziegenfellschläuchen oder Einbäumen quert man die Flüsse, Lampen in primitivster Form sind unbekannt, öl1 haltiges Holz vertritt deren Stelle, Stricke werden aus Haaren, Sieb aus Haut hergestellr, Taschen aus Holzrinde, und all dies, obwohl in nächster Nähe alle Tonwaren europäischer Produktion zu haben sind in Skutart wird noch mit dem Kerbholze gerechnet. Es ist ein Ge⸗ wohnheitsrecht in Kraft, das nach Traegers Aufzeichnungen Josef Kohler als dem deutschen Gewohnheitsrechte des 8. und 9. Jahr hunderts entsprechend gekennzeichnet hat. Der regulierende Faktor dieses Gewohnheitsrechts ist die Blutrache, nicht wie in Korsika ein Rest alten Rechtes, vi lmehr eine Institution des Strafrechts Diese Blutrache vererbt sich auf einzelne und auf ganze Sippen Auch Bußen für den Ausgleich sind bestimmt. Jeder Körperteil ha seine etgene Buße, für die Frau gilt der halbe Preis des Mannes Das Loskaufen von der Blutrache nimmt zu, je weiter man nach Süden kommt. Das Volk hat unter der Blutrache fürchlerlich ge Uitten und, da niemand weiß, ob er nicht an einem ihm Begegnenden die Blutrache zu vollziehen hat, so fragen die Reisenden gegenseitig sich stels nach ihren Stämmen. Herrscht im Norden Clansverfassung mit Gemeinschaftsbesitz, so gilt bei Tirana, der He mat Essa Paschas, schon das Feudalrecht wie in unserem Mittelalter die Beis leben als Großgrundbesitzer auf ihren festen Schlössern und haben eine „Bande“ um . Von den Nordstämmen hat die Türkei nur Tribut erhoben, während sie in Mittelalbanien Militärstationen hatte und Vornehme oft jahrelang als Geisseln in Kleinasien behielt. Zu diesen Gegensätzen von Nord und Süd kommen noch die religiösen Gegensätze; den katholischen Bergalbanesen stehe die islamitischen Bewohner Msttelalbaniens so schroff gegenüber, wie diesen die griechisch⸗orthodoxen des Südens. Somit fördert auch de Glaube die Zersplitterung des Volkes. Dr. Traeger hat etw 22 Melodien der Nordstämme aufgenommen, die er zum Tei auf dem Phonographen vorführte; es sind nur wenige Melodien, die dies Volk im Laufe der Jahrtausende gefunde hat für den Ausdruck seiner Empfindungen, in deren Mitte stets der Held steht, der mit dem Drachen verglichen wird. Es fehlt das Liebeslied, es fehlt die Weltfreude, die zu s charakteristischem Ausdruck bei den südslavischen Nachbarn der Albanesen kommt und vor allem bei den Griechen. Kaum ein Lied der Vejgbche en deutet auf historische Erinnerungen hin. Es fehlt den sittlich strengen Albanesen das Sentimentalische. Die Technik der albanesischen Lieder ist sehr einsach, aber sie zeigen doch etwa dramatisch Bewegtes. Auch die Musikmstrumente, Pfeisen und
GSreichinstrumente sind äußerst primitiv. Es fehlt den Albanesen
auch das lebhafte Schmuckbedürfnis, das bei den Südslaven so stark ausgebildet ist. Der Vortragende hat sie niemals tanzen sehen. Auf ihren Holzschnitzereien fehlt die Mannigfaltigkeit der Farben und der Ornamentik, ebenso in ihrer Weberei und Stickerei, Künsten, in denen die Balkansflaven hervorragende Leistungen aufzuweisen haben. Blumentopf und Vogel sowse die Kaffeekanne sind auf albanesischen Webstücken die stets wiederkehrenden Motive.
Der Vortragende hat sehr sorgfältige anthropologische Auf⸗ nahmen bei den Bergalbanesen gemacht und 92 Individuen gemessen, unter ihnen fand sich ein Langschädel, die anderen waren kurz⸗ und überkurzschädlig. Nach über 500 Personalbeschreibunge in bezug auf Körpergröße, Haarfarbe, Augen fand er die Durch schnittsgröße von 161 bis 182 cm, also gut Mittelgröße. Hierm stimmen auch die Befunde überein, die sich aus Grabungen ergaben; denn es wurden zum Tell sehr alte Gräber enss en deren Skelette dann untersucht wurden. Die Tosken sind kleiner und mehr hrünett als die Mirditen, auch treten bei ihnen mebrfach die für die Slaven so charatteristischen starken Jochbogen hervor, ein Beweis dafür, daß die Südalbanesen nicht mehr unv rmischt geblieben sind. Wir finden meist schmale Gesichter mit Adlernasen, selten konkave oder gar konpexe Nasen; die helle Komplexion findet si 8 meist im Gebirge, die Kinder in den Dörfern des Norden sehen denen in unseren deutschen Dörfern fast gleich. Di Albanesen haben einen schlanken, sehnigen Körperbau. Si heiraten nicht innerhalb des Stammes, es herrscht eine feste Traditio woher die verschiedenen Stämme ihre Frauen nehmen. Diese selbst zeichnen sich selten durch Anmut der Formen aus. Es herrscht aber doch in gewissem Sinne Iazucht. Unter orientalischem Einfluß ha der Albanese die Silberarbeit gelernt, deren Produkte den Frauen schmuck bei besonderen festlichen Gelegenheiten bilden. Die Haustvpen im Norden sind sehr roh: neben Lehmhäusern ohne Fenster, die mit Stroh gedeckt sind, finden wir Steinhäuser ganz roh geschichtet, gleich⸗ falls ohne Fenster, da überall die Furcht vor der Blutrache lebendi ist und der Albanese, der diese zu üben hat, sie so üb daß er sich dobet selbst nicht in den Kampf hegibt, sonder sein Opfer möglichst aus dem Hinterhalte oder im Dunklen niede knallt. Der albanesische Pflug ist noch der alte hölzerne, au benutzt man den zweträdrigen, mit Ochsen bespannten Wagen, wie ihn das alte Griechenland schon kannte. Eine große Zahl von Licht⸗ bildern brachte den Darlegungen des Vortragenden die belehrend Anschauung, Bilder von Tirana, Uesküb, Prizrend, Argyrokastro,
Santa Quaranta, gegenüber Korfu, u. a. zogen vorüber und boten
eine Vorstellung von der Volkszahl in diesen sädtischen Siedlungen. Fragen wir uns nun, wie ist es möglich gewesen, daß die Albanesen von all den Völkern unberührt geblieben sind, die in ih Gebiet eingedrungen sind, so läßt der Satz, den wir sonst bestätig finden: Einflüsse müssen dort stattfinden, wo die Berührung ethnischer Elemente vorhanden ist, uns hier im Stich. Es muß vielmehr hie ein völkerpspchologisches Moment ausschlaggebend wirken, wonach die Beeinflussung eines ethnischen Elements auf ein anderes abhängig ist von dem größeren oder geringeren Beharrungsvermögen in der ähigkeit zur Aufnahme von Fremdem Dieses zähe Festhalten an der Tradition, das bei den Albanesen so bervorstechend ist, darf bei der Beurteilung des Volkes in politischer Beziehung nicht vergessen werden. Wir haben hier eine scharf sich scheidende Volkseigenart, die sich durch Jahrhunderte zäh erhalten hat, mit Freiheitedrang und mit besonderer Sprache in bedeutender Zahl geschlossen wohnend. Dies würden Momente sein, die eine eigene Staatsbildung rechtfertigen könnten; aber diese Entwicklung wird er⸗ schwert durch die Gegensätze der Stammesverfassungen und der Feudalität sowie durch die religiösen Gegensätze und den Haß der einzelnen Stämme gegeneinander und der Untertanen gegen die Herren; somit bekommt das Ganze einen separatistischen Charakter. Es fehlt das Zusammengehörigkeitsgefühl; sehr jung ist die nationale Bewegung. Die Albanesen haben es trotz ihrer geistigen
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