1916 / 46 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 23 Feb 1916 18:00:01 GMT) scan diff

““ foll, um den Volkswillen bei den Friedensverhandlungen wirksam

—‿

geltend machen zu können. Der Minister des Innern wies dagegen darauf hin, daß das deutsche Volk ein wenig politisches sei und deshalb

scharfe Gegensatze hervortreten könnten, und daß das Ausland in der

EFroörterung der Friedensziele den Ausdruck eines Friedensbedürfnisses erblicken würde. Im Sinne der Kommission s ich, daß diese Aus⸗ führungen des Ministers nicht durchschlagend sind. In der großen Zeit ist auch unser Volk politisch ausgereift, so daß es zu schweren Meinungsverschiedenheiten nicht kommen wird. Meinungen wie die des „Neuen Vaterland“ würden auch im Ausland als unbeachtlich angesehen werden. Deshalb wurde der Antrag, „bald“ einzuschalten, abgelehnt und die Resolution 2 unverändert angenommen. Sodann wird über die ungleichmäßige Handhabung der Zensur geklagt. In Pommern und Schlesien besteht absolut keinerlei Beschwerde über die Zensur, in anderen Provinzen wird sie ungewöhnlich streng gehand⸗ habt. Im Bereich des XVIII. Armeekorps wurden ganz harmlose Drucksachen verboten, wie z. B. ein Gedicht, das an die Sedanfeier 1871 anknüpft. In der Kommiffte-trurden zahlreiche Beispiele an⸗ geführt, daß die Zensur mit besonderer Schärfe sich gegen rechts⸗ tehende Blätter richte, während die linksstehende Presse, z. B. das „Berliner Tageblatt“, sich größerer Freiheit erfreue. Ueber die Pressekonferenzen im Reichstag sind die Meinungen in der Presse nicht ganz einig, sowohl die Vertreter des Reichspresseverbands wie der Berliner Organisation der Presse halten die Einrichtung für völlig verfehlt, und es wurde ferner angeführt, daß vertrauliche Mitteilungen, die der Pressekonferenz gemacht sind, in die breite Oeffentlichkeit und sogar zur Kenntnis unserer Gegner gelangt sind. Der Pressekonferenz ist die Denkschrift über den neuen Handelskrieg acht Tage vor der Veröffentlichung vertraulich mitgeteilt worden; gleichwohl ist die Denkschrift von einem Teilnehmer der Pressekonferenz unmittelbar hinterher dem amerikanischen Botschafter mitgeteilt worden. Die verord⸗ nete Vertretung der Presse hat sich die größte Mühe gegeben, ihrerseits den Mißbrauch der Zensur zu beseitigen und auf eine gleichmäßige Handhabung hinzuwirken. Aber der Erfolg ist nicht groß gewesen, weil diesem Kriegspresseamt nur eine beratende Stimme beiwohnt und weil es keinerlei Anordnungen treffen kann. Man wünscht die zuständigkeit des Kriegspresseamts dahin zu erweitern, daß es auch Anweisungen erteilen kann. Aber eine solche Zensurstelle, die auch die kommandierenden Generale mit Anweisungen versehen könnte, ist schwer zu schaffen. Der Minister des Innern meinte, daß eine solche Stelle aus dem Rahmen der Zuständigkeit herausfiele und daß die kommandierenden Generale unter eigner Verantwortlichkeit ständen, vund daß auch technisch die allergrößten Schwierigkeiten bestehen würden, weil eine solche Stelle so besetzt werden müsse, daß ihr Vor⸗ sitzender eine genügende Autorität gegenüber den kommandierenden Generalen haben würde. Aber wenn es darauf ankommt, die Hand⸗ habung der Zensur völlig zu sichern, darf man sich an einer solchen Schwierigkeit nicht stoßen. Auch die Regierung müßte doch das In⸗ teresse haben, daß den berechtigten Beschwerden gegen die Handhabung der Zensur abgeholfen wird, denn je mehr diese Beschwerden un⸗ erledigt bleiben, um so enger werden durch Reichsgesetz die Voll⸗ machten gezogen werden, die den Militärbehörden gegeben sind. Die Instruktionen zur Handhabung der Zensur sind durchaus sachgemäß, aber es wirken auch die Organe der verschiedenen Zentralstellen des Reiches mit. Man nennt das Oberzensur. Der Minister des Innern meinte, es handle sich dabei nur um Gutachten, die von den Militär⸗ behörden erfordert werden, aber die Entscheidung liegt doch nicht allein bei den Militärbehörden. In der Kommission sind Schriftstücke vor⸗ gelegt worden, auf denen z. B. steht, daß das Oberkommando gegen die Veröffentlichung nichts zu erinnern habe, wenn das Auswärtige Amt dagegen kein Bedenken habe. Das Auswärtige Amt hat aber jedesmal die Veröffentlichung untersagt. Auf manchen genehmigten Schriftstücken stand: „Zur Veröffentlichung nicht geeignet. Nach⸗ richtenamt des Reichsmarineamts.“ Die Reichsstellen haben also eine entscheidende Einwirkung genommen, und zwar regelmäßig in ein⸗ schränkendem Sinne. Dafür ist der Reichskanzler verantwortlich, und daher muß er auch vor dem Reichstag Rede und Antwort stehen. Da über die Verantwortlichkeit der Reichsregierung Zweifel be⸗ standen, so hat die Kommission für zweckmäßig erachtet, festzustellen, daß es zweifellos deutsches Staatsrecht ist, daß der Reichskanzler ver⸗ antwortlich 18 für diejenige Einwirkung, welche die ihm unterstellten Behörden auf die Zensur ausüben. Hiernach empfehle ich Ihnen die Annahme der von der Kommission formulierten Anträge. An diese Erörterung hat sich in der Kommission eine Auseinandersetzung über den Preßerlaß des Ministers des Innern vom 15. April 1915 ge⸗ knüpft. Die nicht eben glückliche Fassung dieses Erlasses hat bekannt⸗ lich auch Anlaß dazu gegeben, daß der Reichstag sich mit dieser rein preußischen Angelegenheit zu beschäftigen Gelegenheit genommen hat. Es ist nun seitens der Regierung erklärt worden, daß auch nicht die nindeste Absicht vorgelegen habe, die freie Meinungsäußerung zu be⸗ einträchtigen, sondern daß lediglich bezweckt sei, die Absichten und Ansichten der Regierung, die kundzugeben sie das volle Recht habe, auch in Wahlzeiten, auch der kleinen Presse, besonders auf dem Lande, zu⸗ gänglich zu machen. In der Kommission wurde demgegenüber auch die Anschauung vertreten, daß es doch zweckmäßiger sei, wenn die Meinung der Regierung direkt als solche in die Erscheinung trete. Jedenfalls fehlt es nicht an Klagen und Beschwerden über die Be⸗ handlung der Presse und überhaupt der freien Meinungsäußerung in Wort und Schrift durch die Regierung; diese Behandlung ist kaum vereinbar mit den Kundgebungen über die Größe und herrliche Ent⸗ wicklung unseres Vaterlandes, die uns in den Stand gesetzt hat, einen Höchststand sittlicher Kraft zu erreichen, die uns befähigte, einer Welt in Waffen Widerstand zu leisten. Stellt man dem Volke mit Recht⸗ ein solches Zeugnis aus, dann braucht man ihm nicht mit einem ängstlichen Mißtrauen zu begegnen, das doch sehr an die Auf⸗ assung von beschränktem Untertanenverstand von vor 1848 erinnert. Man soll die freie Meinungsäußerung achten, soll freie Bahn geben; das Volk wird dieses Vertrauen rechtfertigen.

Es geht ein Antrag der Abgg. Braun und Genossen (Soz.) ein, die Regierung aufzufordern, dahin zu wirken, daß der Belagerungszustand und die Zensur aufgehoben werden.

Abg. Stull (Zentr.): Die Kommission hat beschlossen, bestimmte Fragen von der Diskussion auszuschalten. Ich beschränke mich daher auf eine kurze Darstellung des Standpunktes meiner Freunde. Daß der Belagerungszustand während des Krieges nicht aufgehoben werden darf, darüber sind wir einig. Wir stimmen deshalb gegen den eben angekündigten Antrag. Aenderungen an dem Gesetz wegen des Be⸗ lagerungszustandes sollen während des Krieges nicht unternommen, eventuell sollen sie auf dem Verwaltungswege vorgenommen werden, aber andererseits werden die während des Krieges zu machenden Er⸗ fahrungen die Grundlage bilden müssen für eine Reform des Ge⸗ setzes alsbald nach dem Kriege, damit es den modernen Auffassungen entsprechend gestaltet wird. Besonders beklagen wir die ungleich⸗ mäßige Handhabung der Zensur. Der Presse unserer Partei wird oft die Möglichkeit entzogen, auf Angriffe gegen unsere Auffassung und

gegen unsere Weltanschauung zu erwidern. Die Ursache liegt in dem Mangel an Grundsätzen, ebenso wie in der Person des Zensors. Das Kriegspresseamt ist zur Abhilfe ins Leben gerufen worden, aber die gute Absicht ist nicht erreicht worden. Die Verhältnisse haben sich eher noch schlimmer angelassen; das Amt zeigt nämlich das Bestreben, das Gebiet der Zensur immer mehr zu erweitern. Es handelt sich da nicht mehr um Einzelfälle, es ist vielmehr geboten, nachzuforschen, ob hier nicht ein System zugrunde liegt. In den meisten Fällen erfolgt die Betätigung der Zensur nicht aus militärischen, sondern auch politischen Gründen. In journalistischen Kreisen setzt man 90 % der Fälle auf die Rechnung der politischen Zensur. Die Zentral⸗ behörde erklärt, sie wünsche durchaus eine gleichmäßige Behandlung; dann soll sie aber auch dafür sorgen, daß ihre Intentionen von den untergeordneten Behörden respektiert und durchgeführt werden. Ein objektives Urteil ist eine sehr schwere Anforderung an den Menschen, und Menschen sind auch die Zensoren. Die Zensur sollte nur solchen Personen anvertraut werden, die wirklich dazu geeignet sind, dann werden die Klagen und Beschwerden von selbst aufhören. Die Zensur hat zunächst militärische Geheimnisse zu hüten; aber der schwere Kampf, in dem wir stehen, und der, wie die Feinde ausgesprochen

8 8 4 2* v11“ 1 11“

haben, auch das Ziel verfolgk, unsere wirtschaftliche Existenz zugrunde . richten, macht auch im Innern Einigkeit des Volkes zur unbe⸗ ingten Notwendigkeit, wenn der Kampf siegreich beendet werden soll, und um diese Einigkeit zu foördern, ist der Burgfriede proklamiert worden. Wir väünschen. daß der Burgfriede auf allen Seiten ge⸗ halten wird, und die Zensur muß dafür sorgen, daß er nicht gebrochen wird. Ist aber von einer Seite ein Angriff erfolgt, so muß die Zensur auch der angegriffenen Seite gestatten, sich zu verteidigen. Besonders mißlich ist für die Presse die Präventivzensur. Geeignete Artikel hat der kleine Redakteur in der Provinz nicht immer zur Ver⸗ fügung. Man lasse doch ruhig die weißen Stellen in der Zeitung, die hier keine Bedeutung von dem Wert oder Nichtwert der betreffen⸗ den Zeitung haben. Bei den wissenschaftlichen Zeitungen ist zu er⸗ wägen, wie weit sie nach dem Auslande gelangen. Selbstverständlich dürfen keine hinausgehen, die uns im Auslande schaden könnten. Die wissenschaftlichen Zeitungen legen sich ohnehin die größte Zurück⸗ haltung auf. Das Verbot der Zeitung ist eine Schädigung des Ver⸗ lages, der Inserenten und Leser und auch eine Schädigung des All⸗ gemeinwohls, da die Bekanntmachungen der Regierung später zur all⸗ emeinen Kenntnis kommen. Ist es nicht unpraktisch, wegen eines Urtikels die ganze Nummer zu verbieten, die vielleicht wichtige Mit⸗ teilungen enthält? Wir stimmen für die Kommissionsresolutionen mit Ausnahme der Nummer 2, betreffend die Friedensziele. Die

Regierung soll die Beschlüsse des Hauses ausführen, auch wenn dies

schwierig wäre. Der Presse dürfen nur Fesseln 8 weit angelegt werden, als es die siegreiche Durchführung des Krieges erheischt. Dasselbe gilt auch von den Versammlungen. Es müssen alle die⸗ jenigen Versammlungen freigegeben werden, in denen Verordnungen der Regierung besprochen und begründet werden sollen. Die Versammlungen der sozialen Vereine müssen ebenfalls frei⸗ gegeben werden, und die Versammlungen für Ingendpflege dürfen in ihrer Wirksamkeit nicht behindert werden. Was die Erlasse des Ministers des Innern betrifft, so sind sie doch mit einer Schnelligkeit gemacht worden, die die nötige Voraussicht auf ihre Wirkungen nicht klar erkennen lassen. Der erste Erlaß ist dadurch gegenstandslos geworden, daß die kleine Presse eine durch⸗ weg patriotische Haltung bewahrt hat. Der zweite Erlaß ist von der Presse sehr gründlich kritisiert worden. Es ist nichts dagegen einzuwenden, daß die Regierung ihre Meinung auch während der Wahlen bekanntgibt. Mitunter weiß das Volk nicht, was die Re⸗ gierung will. (Zurufe des Abg. Adolf Hoffmann: Das weiß sie auch sonst nicht!) Die Regierung will die kleine Lokalpresse in ihren Dienst stellen. Das können wir nicht billigen. Es sollte bei dem jetzigen Zustande bleiben. Bei den Wahlen steht ja die eine oder die andere Partei auf Seiten der Regierung und vertritt ihre An⸗ icht. Die beabsichtigte Beeinflussung ist also unnötig. Eine große Redaktionsstube für das ganze Deutsche Reich ist beabsichtigt. Die Produktionen dieser Redaktionsstube sollen die kleinen Zeitungen mög⸗ lichst ausschließlich benutzen. Welche Zeitung wird die vom Landrat auserwählte sein? Der Minister meinte, die Zeitung, in der die amtlichen Bekanntmachungen stehen. Ja, welche Zeitungen sind das? Man hat sich über die Auswahl der Blätter beklagt, denen die be⸗ treffenden amtlichen Bekanntmachungen zugewendet wurden. Es sind kleine Winkelblättchen bevorzugt worden. Wenn aber ein solches Blatt in Opposition gegen die Regierung tritt, so steht auf der ersten Seite die W der Regierung, auf der zweiten wird die Re⸗ gierung bekämpft. Das führt nicht zur politischen Klarheit. Amt⸗ liches Publikationsorgan soll das Kreisblatt sein; es soll künftig eine politische Zeitung sein. Dagegen müssen wir uns erklären. Hinter ihm stand, wenn auch nicht verantwortlich, der Landrat. Es ist von den verschiedensten Seiten Klage über die Beeinflussung der Wahlen durch die Landräte und die Kreisblätter geführt worden. Was bisher die Ausnahme war, wird künftig die Regel sein. Die Kreisblätter werden noch unbeliebter werden, wenn sie zu Parteiblättern ge. stempelt und in das politische Getriebe hineingedrängt werden. Das wird eine Spaltung in den Kreis bringen. Will der Minister seine Erlasse wirklich durchführen, so müssen wir ihm die Verantwortung über die Folgen zuschieben. Die Sb läßt es sehr häufig auf dem Gebiete des Theaters und der Literatur an der nötigen Sorgfalt fehlen. Das sind zwei sehr wichtige Faktoren. Es gilt hier das Wort von dem Schutzmann und der Straßenbahn: wenn man sie braucht, sind sie nicht da. Ich erkenne gern an, daß ein großer Teil der Theater, besonders der großen Bühnen, ihr Programm auf den Ernst der Zeit eingestellt hat. Es kommen aber vielfach Stücke zur Aufführung, welche die Moralität des Volkes zu heben nicht ge⸗ eignet sind. Darin sind alle einig, denen das Wohl des Volkes am Herzen liegt. Auch die evangelische Geistlichkeit von Stuttgart hat sich gegen die Darstellung des Verbrechens gewandt. In der „Deutschen Tageszeitung“ wurde ein Brief veröffentlicht, der diese Stücke als kulturbedrohend geißelt. Die katholischen Volkskreise ind bereit, Schulter an Schulter mit den evangelischen zu kämpfen, daß Unsittlichkeit und Unmoral von der Bühne verschwinden. Wir können dem Zensor zurufen: hie Rhodus, hic salta! Auch in der Literatur herrschen noch Giftpflanzen. In der Zeit der teuren Lebensmittel, der Brot⸗ und Butterkarten, muß man dem Volke die Möglichkeit nehmen, seine sauer erworbenen Groschen für die Schund⸗ und Schmutzromane auszugeben. Solche vergiftete Literatur darf auch nicht in die Hände unserer Feldgrauen gelangen; wurde doch sogar in einer Zeitung die Versendung des Decameron von Boccaccio an die Front empfohlen. (Hört, hört!) Unsere Heeresleitung sollte ein wachsames Auge auf diese Dinge richten. Ein Bravo verdient der Militärinspektor der freiwilligen Krankenpflege, daß er die Versen⸗ dung von Erzeugnissen von Siegfried Seemann in Berlin, die ähn⸗ liches enthalten, an die Lazarette verboten hat. Es gibt eine Un⸗ menge guter Literatur, die dieser Krieg gezeitigt hat. Erfreulicher⸗ weise wird jene vergiftende Literatur auch von unseren Braven in den Schützengräben auf das schärfste verurteilt. (Redner zitiert einen Brief eines Kämpfers an der Front, worin dieser sich darüber be⸗ klagt, daß man seinen Kameraden allerhand unsittliche Literatur zu⸗ gesandt hat, und verlangt, daß man diese Verräter vor ein Kriegs⸗ gericht stelle, weil dieses Gift die deutschen Krieger geistig und körperlich schwächen könne.) Ich verweise auch auf das Urteil von Houston Chamberlain, mit dessen politischen Anschauungen ich sonst nicht einverstanden bin: „Der Schmutz sei nicht deutschen Ursprungs, son⸗ dern eine Einfuhr vom Auslande. Was sei das für eine Freiheit, wenn unsittliche Schriften in Deutschland verbreitet werden dürfen? Unbedingte Freiheit der Wissenschafk sei gut, aber Freiheit des Lüsternen usw. sei eine Freiheit, die den Staat zuarunde richten müsse.“ Ich habe dem nichts hinzuzufügen. Wenn Regierung und Volk bemüht sind, die Gesundheit und Volkskraft zu erhalten, so muß unser Streben darauf gerichtet werden, auch die geistige Kraft zu erhalten, sie allein kann uns zum Siege führen. Caveant consules!

Minister des Innern von Loebell:

Meine Herren! Die große Bedeutung der Ausführungen des Herrn Vorredners im letzten Teil seiner Rede verkenne ich gewiß nicht, muß es mir aber versagen, bei diesem Gegenstande der Tages⸗ ordnung dieses Thema zu vertiefen. Vielleicht ist Veranlassung ge⸗ geben, bei Beratung des Etats des Ministeriums des Innern auf diese Fragen noch näher einzugehen.

Ueber Belagerungszustand, Presse, Zensur ist ja in den Kriegs⸗ monaten viel gesprochen und viel geschrieben worden. Wie Sie vom Herrn Berichterstatter gehört haben, sind die Fragen auch eingehend in Ihrer Haushaltskommission erörtert worden. Einig sind wir dar⸗ über, daß die Aufrechterhaltung des Belagerungszustandes, je länger der Krieg dauert, desto mehr Hemmungen und Erschwerungen des öffentlichen und privaten Lebens mit sich bringt, und ich glaube, wir können unserer Volksgemeinschaft die Anerkennung auch hier nicht versagen, daß sie diese Unbequemlichkeiten und persönlichen Unannehm⸗

lichkeiten willig auf sich genommen hat und zu den schweren Lasten und

Opfern dieses Krieges auch die gewiß nicht leicht zu nehmenden Ohn an politischer und bürgerlicher Freiheit zu tragen weiß. Die Krieg. führung an den Fronten ist wesentlich unterstützt worden durch p

atriotische Haltung und die Kriegsleistungen der Bevölkerung hind⸗ der Front. Die Geschichte wird dereinst diese Kriegsleistungen und 8 Haltung der Daheimgebliebenen rühmend hervorzuheben wissen nebe den Heldentaten und Todesopfern dieses Weltkrieges. In diesem Sim unterschreibe ich auch das Wort vom Heldentum der deut. schen Frau, auch ker Arbeiterfrau, auf das vorhin der Herr A Leinert mit Recht hingewiesen hat. . 2 Reihungen und gelegentlich auch recht starke Aeußerungen 89 Unwillens sind unter dem Belagerungszustand gewiß erklärlich. * Unterschied zwischen den freiheitlichen Lebensverhältnissen n dem Kriege und den starken Einschränkungen des Kriegszustandes 81 zu groß und mußte deshalb tief empfunden werden. Aber im gang hat sich doch der Geist der Disziplin stärker gezeigt als der jeden Deutschen in Herz und Blut liegende Drang nach persönlicher Fri heit. Die Notwendigkeit der Auferchterhaltung des Belagerung⸗ zustandes wird das hat der Herr Berichterstatter mit Recht henoy gehoben doch von der überwältigenden Mehrheit der Bevölkereg anerkannt. Es haben sich auch die Klagen nicht so sehr gegen den lagerungszustand als solchen gerichtet, als vielmehr gegen seine Hant⸗ habung auf einzelnen Gebieten, in einzelnen Fällen, ganz besonderz d dem Gebiete der Presse und der Zensur. Das ist verständlich; denn ie Einschränkung der freien Meinungsäußerung muß ganz besonden schwer empfunden werden. Leben und Wirken der Presse sind w⸗ trennbar verbunden mit der Möglichkeit der freien Meinungsäußerumg Die Presse ist bei uns groß geworden mit der Befreiung der öffen lichen Meinung von staatlicher Zensur. Die Zeitungen und die polite schen und beruflichen Kreise, denen sie dienen, müssen sich an einen Lebensnerv getroffen fühlen, wenn Zensurbeschränkungen der Freiher der Meinungsäußerung ihre Grenze ziehen. Das Bedürfnis zur frein Aussprache muß um so größer sein in einer Zeit, wo es sich um unsen Zukunft, um unsere Existenz handelt, um die Lebensbedingungen, dir wir von der Zukunft erwarten. Die Herzen sind hier voller Wünsch voller Hoffnungen, auch voller Befürchtungen. Denen will man Ans⸗ druck geben, und, dies zu können, danach sehnt man sich mit ganzer Seele.

Aber, meine Herren, noch gehen die Ansichten über die Gestaltung unserer Zukunft auseinander. Noch ist nicht eine gemeinsame Grund⸗ lage gefunden für das, was wünschenswert erscheint. Noch sind de politischen, die militärischen Verhältnisse nicht so fest und so klar, tu unserer gewaltigen, herrlichen Siege, daß auch die Regierung eine ganh freie Aussprache über diese Fragen zulassen könnte. Aber diese Aus⸗ sprache soll und muß kommen; das ist die Auffassung der Regierung der sie verschiedentlich Ausdruck gegeben hat. (Zuruf von den Sosjial⸗ demokraten: Wann?) Sobald die Verhältnisse es irgendwie zu⸗ lassen. Das kann ich auf Ihren Zuruf nur wiederholen.

Meine Herren, über die Zensur selbst und ihre Handhabung ist ja das formelle Recht schon wiederholt betont worden. Sie lieg in der Hand der Militärbefehlshaber, die selbständig und unabhänge mit eigener Verantwortlichkeit darüber zu entscheiden haben. Die Zirl⸗ behörden haben nur das hat der Herr Berichterstatter schon he⸗ vorgehoben eine vermittelnde Tätigkeit auszuüben. Diese ver⸗ mittelnove Tätigkeit ist von den Zentralbehörden nach allen Richtunge hin ausgeübt worden. Sie haben enge Fühlung gesucht und gefunden, zunächst hier in Berlin mit dem Oberkommando in den Marka⸗ und ich möchte bei dieser Gelegenheit feststellen, daß ich dort meinen seits mit allen Wünschen bereitwilliges Entgegenkommen gefunden habe, daß die Zusammenarbeit hier durchaus erfreulich gewesen it In den Provinzen ist die Fühlungnahme von den Oberpräsidente mit den kommandierenden Generalen gesucht worden. Oberzensurstelle des Kriegspresseamts eingerichtet worden mit der Aufgabe, ebenfalls in Fühlung mit den Behörden eine vermittelnde Tätigkeit auszuüben. Das Kriegsministerium hat sich bereitwilligt auch nach unseren Wünschen gerichtet und ist häufig an die Zensu⸗ stellen herangetreten mit der Uebermittlung unserer Wünsche. Mein Herren, in vielen Fällen ist dadurch Erfolg erzielt worden. Nicht in allem. Verschiedentlich glaubten die Militärbehörden, trotz eingehende und wiederholter Prüfung bei ihrer Ansicht bleiben zu sollen; damt war der Tätigkeit der Zivilbehörden eine Grenze gesetzt, eine weiten Einwirkung stand ihnen nicht zu. Ich möchte aber auch hier herwber⸗ heben, daß nach meiner Auffassung und nach den Erfahrungen in da 18 Monaten ich die feste Ueberzeugung gewonnen habe, daß sämtlickh Militärstellen, die mit der Handhabung der Zensur beauftragt warm, nach bestem Wissen und Gewissen sich bemüht haben, auch gerett und gleichmäßig ihre Aufgabe zu erfüllen. Trotzdem, meine Herre. sind Mißgriffe, reichhaltige Mißgriffe vorgekommen.

ist, wie es besonders der Herr Berichterstatter ausführlich dargeleg hat, und wie es ja eine Fülle vielfach werden wir sie nachken noch vermehrt erhalten von Beweisstücken auch klarlegt. Aber ich bitte doch zu beachten, welche großen Schwierigkeite die Behörden zu überwinden haben. Den kommandierenden Generalen war eine ganz neue Aufgabe zugewiesen. Es fehlte ihnen vollkommen an einem geschulten Personal. Der Herr Vorredner hat mich er mahnt, ich möchte dafür sorgen, daß überall geeignetes Personal veor⸗ handen wäre und daß die Zensur von geeigneten Persönlichkeiten ausgeübt würde. Meine Herren, wir haben in Preußen mehr aäbs 50 Jahre Preßfreiheit, wir haben mit der Zensur nichts zu tun gr⸗ habt. Jetzt plötzlich trat diese neue Aufgabe an die Zivil⸗ und Militärbehörden heran, eine, wie Sie gewiß zugeben werden, selr schwierige Aufgabe. Sie haben sie nach bestem Wissen zu lösen ber sucht. Aber schon allein die Vielgestaltigkeit; die Vielseitigkeit de

Stoffes bildete eine große Schwierigkeit. Vergessen Sie ferner nick daß eine große Anzahl selbständiger Zensurstellen besteht. Nickt

nur die kommandierenden Generale haben die Handhabung der Zensir in den Händen, auch die Kommandanten der größeren Festungen. Schon durch diese große Zahl von Personen, die selbständig zu urteilen hatten, war Verschiedenheit der Auffassungen sehr leicht möglich, um sie hat auch sicherlich zu manchen Ungleichheiten geführt.

Nun ist gewünscht worden, es möchte eine größere Zentralisautr eintreten. Gewiß, solche Zentralisation hätte viele Vorteile, abel sicherlich auch gewisse Nachteile. Denn die Dezentralisation, die jes besteht, ermöglicht doch auch mehr die Berücksichtigung der örtliche und provinziellen Verhältnisse. Würde völlig zentraltsiert, so wütt⸗

leicht die Gefahr entstehen, daß die Verhältnisse der Berliner Prest

Es ist dueß

Das bestreins ich so wenig, wie es von den Herren Vorrednern bestritten wordaßs

dllen Anweisungen zugrunde gelegt würden und die Verhältnisse der lokalen Presse nicht genügend zur Geltung kämen. Aber das werden Sie mir zugeben: allzu engherzig wurde die Zensur nicht ausgeübt, engherzig besonders nicht in der Zulassung der Kritik, namentlich der Kritik auch an der Regierung. Wenn Sie sich an die leidenschaftliche Art der Bekämpfung der Regierungs⸗ maßnahmen bei der Volksernährung erinnern, so werden Sie mir zugeben, daß der Zensor hier die Zügel wirklich locker gelassen hat. Diese Kritik habe ich ja auch in reichem Maße erfahren, als durch eine sozialdemokratische Zeitung und ein Berufsblatt die Erlasse be⸗ kannt wurden, die ich im August 1914 und im April 1915 wegen Versorgung der kleinen Presse mit amtlichen Nachrichten habe er⸗ gehen lassen.

Meine Herren, die Ausführungen des Herrn Vorredners würden mich eigentlich leicht verleiten, noch ausführlicher auf diese Erlasse

hhen einzugehen. Aber sie sind so reichlich in der Oeffentlichkeit, in

der Presse, im Reichstag, hier in der Kommission erörtert worden: ich habe im Reichstag eine ausführliche Erklärung abgeben lassen, mich in der Presse geäußert und in der Kommission Ihnen eingehende Darlegungen gemacht, die der Herr Berichterstatter die Güte gehabt hat, hier genau vorzutragen. Unter diesen Umständen möchte ich doch Ihre Geduld nicht durch längere Ausführungen über diese so viel be⸗ sprochenen Erlasse in Anspruch nehmen. Aber ganz kurz feststellen möchte ich hierbei doch: diese Erlasse haben nicht beabsichtigt und werden eine Unterdrückung der öffentlichen Meinung nicht herbei⸗ führen. Sie haben lediglich den Zweck gehabt, der Regierung die Möglichkeit zu geben, ihrer Ansicht deutlich Gehör zu verschaffen zu allen Zeiten. Ich habe in der Kommission schon erklärt: ich glaube. in früheren Zeiten die Zeiten liegen gar nicht zu lange zurück ist es viel unangenehmer empfunden worden, wenn die Regierung ihre Ansicht nicht rechtzeitig, nicht klar und deutlich zum Ausdruck gebracht hat, als daß man eine solche Aeußerung etwa störend empfunden hätte. Die Erlasse sollen irgendwelche Zwangsmaßnahmen nicht im Gefolge haben. Wo sie mißverstanden sind, habe ich eingegriffen, habe ich aus⸗ drücklich festgestellt, daß von Zwang keine Rede sein soll. Die Er⸗ lasse werden keine Beeinflussung der Wahlen herbeiführen. Die Wahl⸗ beeinflussungen als solche, den Mißbrauch der Stellung, des Amts im Interesse politischer Parteien, mißbillige ich ebenso wie Sie. (Hört, hört! bei den Soz.) Davon soll keine Rede sein. Etwas anderes ist es aber, daß auch in Wahlzeiten die Regierung ihre Ansichten klar und deutlich zum Ausdruck bringt. Der Herr Vorredner hat mich darauf verwiesen, daß dazu die Parteien da wären, die könnten die Ansichten der Regierung zur Geltung bringen. Nein, so fasse ich die Stellung der Regierung nicht auf, sondern sie soll ihrerseits unab⸗ hängig von den Parteien ihre Ansichten zur Geltung bringen.

Meeine Herren, ferner sind das ist auch schon gesagt worden keine öffentlichen Mittel hierfür krgendwie zur Anwendung gebracht worden. Ich habe der Resolution, die der Reichstag gefaßt hat, durch⸗ aus zustimmen können; sie ging dahin,

den Herrn Reichskanzler zu ersuchen, dafür Sorge zu tragen, daß

unter dem Einfluß der jetzt geltenden Ausnahmebestimmungen keine

EFiinrichtungen geschaffen werden, die geeignet sind, auch in Friedens⸗

zeiten die Preßfreiheit und die Freiheit der öffentlichen Meinung zu beschränken. Damit bin ich durchaus einverstanden. Während des Krieges ist die Organisation überhaupt nicht in Kraft getreten. Auch das möchte ich gegenüber den Ausführungen des Herrn Vorredners sagen: sie wird im Kriege nicht in Kraft treten, und nach dem Kriege in einer Form, die den hier im Hause und außerhalb des Hauses geäußerten Be⸗ fürchtungen in bezug auf politische und Preßfreiheit den Boden entzieht.

Ich komme zu den Anträgen.

Meine Herren, die sozialdemokraͤ⸗ tische Fraktion beantragt auf Nr. 99: die Kgl. Staatsregierung zu ersuchen, dahin zu wirken, daß der Belagerungszustand unverzüglich aufgehoben wird. Zu diesem Antrag habe ich mich nicht weiter zu äußern; das, was zu

sagen ist, habe ich gesagt. Ich kann Sie nur bitten, diesen Antrag abzulehnen. Ihre Kommission beantragt unter Nr. XVI i: Die Staatsregierung wolle dahin wirken, daß fortan von den Miilitärbehörden die Preßfreiheit und das Vereins⸗ und Ver⸗ sammlungsrecht nur soweit beschränkt werden, als dies im Interesse siegreicher Kriegsführung unbedingt geboten ist. Mit dem Inhalt dieses Antrages kann ich mich einverstanden erklären. Die Staatsregierung hat auch bisher im Sinne dieses Antrages ge⸗ wirkt. Die Entscheidung darüber freilich, in welchen Fällen eine Beschränkung der freien Meinungsäußerung und des Vereins⸗ und Versammlungsrechts stattfinden solle und inwieweit eine solche Be⸗ schränkung durch die Rücksicht auf die siegreiche Beendigung des Krie⸗ ges notwendig ist, unterliegt den Militärbehörden. Aber da, wo die Entscheidung bei den Zivilbehörden liegt, oder da, wo die Zivil⸗ behörden anregend auf die Militärbehörden auf dem Gebiete de Zensur wirken, soll hiernach gehandelt werden. Ein anderes Interesse als das siegreicher Kriegführung ist auch für die Staatsregierung

es Vereins⸗ und

in den Fragen der Beschränkung der Preßfreiheit und des T Versammlungsrechts nicht maßgebend.

Unter Nr. 2 wird beantragt, die Erörterung der all⸗ gemeinen Richtlinien unserer Friedensziele tunlichst freizugeben. Meine Herren, hierüber habe ich mich im Eingange geäußert und ausführliche Erklärungen in der Kom⸗ mission abgegeben. Ich glaube, hier auf eine Wiederholung verzichten zu können, und muß auf die in dieser Richtung bereits abgegebenen Erklärungen Bezug nehmen.

Nr. 3 will die für die gleichmäßige der Zensur getroffenen Einrichtungen wirk⸗ 1118“ sehen. Um eine gleichmäßige Handhabung der Zensur herbeizuführen, ist in Verfolg einer Allerhöchsten Kabinettsorder die Oberzensurstelle des Kriegspresseamts eingerichtet worden. Sie ist während ihres Bestehens in Fühlungnahme mit den Zentralbehörden bemüht gewesen, einheitlich zu wirken, für eine mög⸗ lichste Gleichmäßigkeit zu sorgen. In vielen einzelnen Fragen ich habe das schon vorhin hervorgehoben ist ihr das gelungen; für den ganzen Bereich der Pressezensur war ein solches bb nicht zu erzielen. Es konnte nicht erreicht werden, weil die stelle des Kriegspresseamts auf eine beratende und ee-⸗ Tätigkeit gegenüber den Zensurstellen beschränkt ist. Die 8 ständigkeit der Militärbefehlshaber wird durch die Oberzensurstelle

1 22 2 8— Sch die Komtmissioff wür

Exekutivgewalt beigelegt werden und siẽ dementsprechend auch eine dienstliche Umformung erfahren. Ob über die Anweisung der Aller⸗ höchsten Kabinettsorder hinaus eine solche organische Aenderung eintreten soll, und ob der Zensurstelle eine Exekutivgewalt beigelegt werden soll, entscheidet die Allerhöchste Militärstelle. Das geltende Recht hat für eine solche Umgestaltung der Zensurstelle keinen Raum. Daß es unter dem jetzigen Rechtszustand erwünscht ist, daß die ver⸗ schiedenen Militärbefehlshaber auch die Richtlinien, die ihnen von der Zensurstelle gegeben werden, befolgen, darüber kann kein Zweifel sein. In diesem Sinne will die Staatsregierung auch weiterhin bemüht bleiben.

Nach Nr. 4 wird gewünscht, daß, wo von den Zivil⸗ behörden eine Einwirkung auf die Handhabung der Zensur geübt wird, dafür wie vom Minister des Innern so auch von den sonst zuständigen Zentral⸗ stellen die Verantwortung übernommen wird. Meine Herren, hier ist zu unterscheiden zwischen denjenigen Fällen, in welchen den Zivilbehörden die Handhabung der Zensur frei über⸗ lassen ist, und denjenigen Fällen, in denen die Zivilbehörden lediglich als Beauftragte der Militärkommandobehörden ihr Amt ausüben. In den Fällen der selbständigen Handhabung der Zensur übernehme ich die Verantwortung für mich und die mir unterstellten Behörden. In den anderen Fällen, in denen der militärisch angeordneter und gehand⸗ habter Zensur, haben die Militärbefehlshaber die Verantwortung vor dem obersten Kriegsherrn. Für die Handhabung der Zensur durch Organe der Staatsverwaltung habe ich im Februar vorigen Jahres Anweisungen gegeben, die auch in der Kommission zur Sprache gebracht worden sind. Ich möchte sie hier nochmals ihrem wesentlichen Inhalt nach mitteilen, da sie dem Hause selbst, glaube ich, noch nicht bekannt sind. Ich habe unter dem 9. Februar durch einen Erlaß an die Ober⸗ präsidenten darauf hingewiesen, daß

bezüglich der Art und Weise der Handhabung der Zensur und der Kontrolle grundsätzlich davon auszugehen ist, daß dabei alle klein⸗ lichen Gesichtspunkte unbedingt vermieden werden, und daß nur da eingegriffen wird, wo es wichtige staatlich zu schützende Interessen es notwendig fordern. Aenderungen und Streichungen werden sich so heißt es —,

wenn diesen Gesichtspunkten entsprechend gehandelt wird, auf eine sehr geringe Zahl von Fällen beschränken. Insbesondere ist nach Möglichkeit zu vermeiden, daß Abdrücke oder Auszüge aus an anderen Orten erscheinenden großen deutschen Zeitungen im ganzen oder im einzelnen beanstandet werden. Wenn auch die polizeilichen Zensurbe⸗ hörden, da nach dem Pressemerkblatt nur die aus Berliner Zeitungen stammenden Mitteilungen als einer besonderen Zensur nicht mehr bedürftig gelten, zu solchen Beanstandungen unzweifelhaft berechtigt sind, so ist es doch im allgemeinen nicht gut angängig, die Wieder⸗ gabe der Aeußerungen eines in ganz Deutschland frei verbreiteten Blattes an einzelnen Orten zu verbieten oder nur in abgeänderter Form zu gestatten. Die durch besondere örtliche Verhältnisse ge⸗ botenen Ausnahmen werden zu den Seltenheiten gehören.

Weiterhin werden bei der Ausübung der Zensur und Kontrolle die technischen Einrichtungen, insbesondere der kleineren Presse, mög⸗ lichst zu berücksichtigen und Anordnungen zu vermeiden sein, die den Betrieb erheblich zu stören oder unmöglich zu machen geeignet sind. (Z. B. Streichung einzelner Stellen bei Kopf⸗ oder Platten⸗ zeitungen ꝛc.) Auch wird überall Fürsorge dafür zu treffen sein, daß die Ausübung der Zenfur hinsichtlich der Zeit der Einreichung, der Prüfung und der Rückgabe der betreffenden Presseartikel sich den Einrichtungen des Redaktions⸗ und Expeditionsbetriebes nach Möglichkeit anpaßt.

Ich ersuche, die in Betrackt kommenden Polizeibehörden der dortigen Provinz anzuweisen, nach diesen Grundsätzen soweit nicht anderweite Anordnungen der zuständigen Militärbefehlshaber entgegenstehen zu verfahren. Die stellvertretenden komman⸗ dierenden Generale, Gouverneure ꝛc. bitte ich soweit irgend möglich, in persönlicher Rücksprache von dem Inhalt dieses Erlasses zu verständigen. Es wäre außerordentlich erwünscht, wenn auch die die Zensur unmittelbar ausübenden militärischen Dienst⸗ stellen nach diesen Grundsätzen verfahren würden. G

Meine Herren, diese Bestimmungen sind noch in Kraft und müssen in allen den Fällen beachtet werden, in denen die Zivil⸗ behörden die Zensur selbständig handhaben. Der Herr Kriegsminister hat diesen meinen Erlaß auch den kommandierenden Generalen mit⸗ geteilt und seine Anwendung empfohlen.

Nun sind allerdings in einer großen Anzahl von Fragen, die Gegenstand militärischer Zensur sind, während der Kriegsdauer von den Militärbehörden Anweisungen ergangen, es sind für zahlreiche Einzelfälle militärischerseits Bestimmungen erlassen, sodaß gegen⸗ wärtig die Zahl der Fälle, in denen die Zivilbehörden ganz freie Hand haben, ziemlich gering ist. Die Verantwortung, die ich in dem Ihnen dargelegten Sinne rechtlich voll übernehme, wird sich also tatsächlich auf eine nicht zu große Anzahl von Fällen beschränken.

Eine Mitwirkung bei Handhabung der Pressezensur kommt aber, wie der Herr Berichterstatter richtig hervorgehoben hat, für die Be⸗ hörden auch dann in Frage, wenn sie von militärischer Seite um Gutachten angegangen sind, oder wenn sie selbst Anträge bei den Zensurbehörden stellen. Die Entscheidung liegt auch hier bei den Militärbehörden. Aber für den Inhalt und die Richtung der Gut⸗

achten und für die Anträge übernehme ich die volle Verantwortung.

Ich kann bei dieser Gelegenheit feststellen, daß ich die Zensur⸗ behörde nur in einem Falle in Anspruch genommen habe, und zwar damals, als bei unseren Erörterungen über die Volksernährung in der Presse ganze Berufsstände auf das heftigste angegriffen, herab⸗ gesetzt worden sind und in ihrer Schaffensfreudigkeit gelähmt wurden. Da habe ich die Zensurbehörde gebeten, einzuschreiten. Hierfür über⸗ nehme ich gern die Verantwortung. Im übrigen ist aber kein Zweifel, daß auch die anderen Herren Ressortchefs für alle Anregungen und gutachtlichen Aeußerungen, die sie oder ihre nachgeordneten Beamten in Zensurangelegenheiten den militärischen Stellen unterbreiten, in gleicher Weise die Verantwortung übernehmen. Das entspricht nur ihrer verfassungsmäßigen⸗ Pflicht, der sich kein Ressortchef entziehen wird oder will.

Zum Schluß, meine Herren, noch ein Wort! Der Krieg wird auch für die Beurteilung der Bestimmung der Presse und für das Leben der Presse nicht ohne Einfluß und nicht ohne Lehren sein. Wir haben gesehen, wie verhängnisvoll falsche Auffassungen das Ausland

des Kriegspresseamts nicht beeinflußt. Ich verstehe nun die Nummer 3

durch unrichtige Darstellungen von unsern staatlichen, sozialen, wirt⸗

schaftlichen Zuständen gewonnen

8

al, wie das imstande war, den Zusammenhang zwischen Monarchie und Volk, zwischen Regierung und Volk bei uns richtig zu erkennen und den Wert und die Kraft unserer inneren Organisation richtig einzuschätzen. Das hat uns im Auslande geschadet, das hat allerdings auch das Ausland auf Grund der falschen Voraussetzungen zu ganz falschen Schlüssen geführt. Ich glaube also, daß es notwendig werden wird, daß in Deutschland alle berufenen Faktoren in dem Bemüben zusammenarbeiten, über Werden und Eigenart unserer Zustände Deutschland und die Welt recht zu unterrichten. . Mit Freude haben wir gesehen, daß der früher recht leidenschaft⸗ liche und oft erbitterte, ja, haßerfüllte Ton, in dem politische Meinungsverschiedenheiten in der Presse ausgetragen wurden, sehr viel zurückhaltender geworden ist. Rückfälle kommen vor, aber sie sind Ausnahmen. Meine Herren, im allgemeinen werden wir unseren Journalisten, die heute wirklich einen sehr schweren Stand haben, das Zeugnis nicht versagen können, daß sie eifrig und ernst bemüht gewesen sind, dem Geist der Einheit auch da treu zu bleiben, wo es sich um die Austragung politischer Meinungsverschiedenheiten“ handelt. Und das berechtigt uns zu dem Wunsche und zu der Hoff⸗ nung, daß diese neu gewonnene Form des politischen Kampfes natio⸗ nales Allgemeingut und ein dauernder Gewinn dieses Krieges bleibt. Der deutschen Presse erwächst in Zukunft die hohe Pflicht, dem deutschen Vaterlande und dem Ausland ein Bild deutschen politischen Arbeitens und Streitens zu geben, wie es eines Volkes würdig ist, das in siegreichem Kampfe der Welt dargetan hat, daß Preußen⸗ Deutschland staatlich und national fester gefügt und leistungsfähiger gestaltet ist als irgendeiner der besiegten Staaten. (Bravo! rechts.) Abg. Ströbel (Soz.): Die Erlasse des Ministers sind in der Kom⸗ mission als ungefährlicher behandelt worden, als sie es in der Tat sind. Hat man denn ganz die Beeinflussung der öffentlichen Meinung durch die frühere sogenannte Reptilienpresse vergessen? Es ist zu befürchten, daß jetzt auch eine Reptilienpresse hervortritt und ähnlich korrum⸗ pierend wirkt, wie es damals geschah. Wir haben zu dem Minister und seinen Organen gicht das Vertrauen, daß seine Erlasse nicht miß⸗ braucht werden Fönnfen. Der Minister hat zwar gesagt, daß er auf politischem Gebiete ein moderner Mensch sei, ich kann mir aber nicht denken, daß er plötzlich über Nacht umgelernt hat. Hat er doch ein⸗ mal dem Abg. Pachnicke, der die Hoffnung ausgesprochen hatte, der Minister könne in der Wahlrechtsfrage ein liberaler Mann sein, ironisch zugerufen, womit er das verdient habe. Der Minister hat heute ein rosiges Bild von der Presse nach dem Kriege entrollt. Wir glauben, daß nach den Erfahrungen in den Schützengräben schwere soziale Kämpfe nach dem Kriege ausbrechen und die Gegen⸗ ätze sehr vehement aufeinanderplatzen werden. Wir erheben also den säthe sehr Protest gegen die Erlasse und werden ihre Ausführungen nach Möglichkeit zu verhindern suchen. Gegen eine Ausdehnung der Zensur auf Theater und Literatur, wie sie der Abg. Stuüll gefordert hat, müssen wir ebenfalls Verwahrung einlegen. Gewiß müssen The⸗ ater und Literatur in ihren Darbietungen dem Ernst der Zeit ent⸗ sprechen. Aber es kommt darauf an, was man unter Theater und Literatur versteht. Der „Decamerone“ des Boccaccio ist eines der be⸗ deutendsten Werke der Weltliteratur. (Zuruf des Abg. Bredt.) Der Abg. Bredt hat allerdings einmal behauptet, das ganze Völkerrecht sei Unsinn. Daß der „Decamerone“ den sittlichen Tiefstand des italie⸗ nischen Volkes bezeichne, ist eine Behauptung des Abg. Stull, die entschieden zurückgewiesen werden muß. Ueber die moralischen Eigen⸗ schaften d'Annunzios mag man denken, wie man will. Seinen lite⸗ rarischen Wert und seine Bedeutung sollte man nicht hexabsetzen. Ich habe das sagen müssen, damit das deutsche Volk nicht in den eruch von Banausen komme. Die sozialdemokratische Presse hat die Interessen der Landesverteidigung vielleicht gewissenhafter berück⸗ sichtigt als die übrige Presse. Trotzdem ist die Zensur immer schlimmer geworden. Das Kriegspresseamt hat die Lage noch ver⸗ schlimmert. Die Aufrechterhaltung des Belagerungszustandes ist durch die Verhältnisse im Lande nicht begründet. Selbst in den olnischen Landesteilen hat sich nichts ereignet, was den jeßigen Zu⸗ tand rechtfertigt. Die Herrschaft der Militärgewalt läuft hinaus auf eine Knebelung der politischen Freiheit. Auch der Burgfriede ist nur ein Zustand, der der Bevormundung entsprungen ist. Die herr⸗ schenden Klassen konnten bisher schon einen direkten politischen Ein⸗ fluß auf die Regierung ausüben durch die Besetzung hoher Verwal⸗ tungs⸗ und Militärstellen. Dieser Einfluß ist jetzt durch die Aus⸗ schaltung der Opposition ins Uferlose gewachsen. Einen politischen Einfluß hat die Arbeiterklasse nicht, einen persönlichen e sie als Hintertreppenpolitik. Die demokratischen Elemente im Volke sind jetzt rechtlos und ohnmächtig. Der Burgfriede ist nicht ein ehr⸗ licher Waffenstillstand zwischen politischen Gegnern, sondern eine ein⸗ seitige Benachteiligung der demokratischen Volksteile, die der reaktio⸗ nären Politik ausgeliefert sind. Die Korpskommandeure sind von militärisch⸗regktionärem Geiste erfüllt. Alle Zensoren stehen den Konservativen, den Alldeutschen und den Annexionisten nahe. Sind alldeutsche Annexionspolitiker irgend einmal in Schutzhaft genommen worden? Ist über Konservative usw. das Redeverbot verhängt worden? Einer Menge von Sozialdemokraten ist ein⸗ für allemal verboten worden, öffentlich zu reden, es sei denn auf Kosten ihrer Ueberzeugung. Eine solche Zumutung ist parlamentarisch nicht zu kennzeichnen. Die Handhabung der zensur läuft mitunter auf die Benachteiligung einer be⸗ stimmten Richtung in der Sozialdemokratie hinaus. Das ist das Allertörichtste, was es geben kann. Diese unerbetene Einmischung wird als⸗ peinlich empfunden. Verfolgungen und Drangsalierungen schaffen nur Märtyrer und verschaffen einer Richtung nur neue An⸗ hänger. Der ehemalige Abg. Julian Borchardt ist neuerdings in Schutzhaft genommen worden, ohne daß er erfahren hat, warum. Ist Ihnen etwas Aehnliches passiert? Sie werden sagen, sie seien diel zu gute Patrioten. Nun, wer die besten Patrioten sind, darüber wird man nach dem Kriege anders denken. Es werden sogar Leute strafweise an die Front geschickt, obwohl sie körperlich nicht dazu geeignet sind. Mir ist ein Fall be⸗ kannt, wo der Arzt gegen den Major Widerspruch erhob, der den Mann behalten wollte. (Rufe: Namen nennen! Verleumdung!) Das ist eine Tatsache. Wenn man Namen nennt, dann laufen die Leute Gefahr, daß sie noch schlimmer behandelt werden. Der „Vor⸗ wärts“ darf die wissenschaftlich⸗materialistische Weltanschauung jetzt nicht erörtern, während man dem Auslande alles mögliche Böse in materiellem Sinne vorwirft. Welche ungeheuren Lasten stehen uns nach dem Kriege bevor, und warum sollen wir darüber nicht sprechen dürfen? Die Aufrechterhaltung der Pressezensur ist lediglich ein Mittel, die zügellose Freiheit der Annexionisten zu verstärken und ihre Gegner zu unterdrücken. Allerdings hat man behauptet, daß die rechtsstehenden Blätter noch schlechter behandelt würden als die sozial⸗ demokratischen, und hat auf die „Deutsche Tageszeitung“ hingewiesen. Da muß man doch sagen: was für unmögliche Artikel 7 das ge⸗ wesen sein, die die Maßregelung veranlaßten! Tatsächlich hat sich die „Deutsche Tageszeitung“ Unmögliches geleistet. Sie hat es sogar fertig bekommen, den Gesandten einer großen neutralen Macht zu be⸗ leidigen und die Regierung der Schwachheit, Schlappheit und Rücken⸗ märkerei zu beschuldigen; die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung“ hat ich veranlaßt gesehen, das energisch zurückzuweisen. Die Zensur hat „Vorwärts“ die harmlosesten Artikel gestrichen, auch solche, die ich geschrieben habe, die in jedem bürgerlichen Blatte glatt durchgegangen wären. Daß die Scharfmacher schlimmer be⸗ handelt werden als die sogenannten Flaumacher, ist eine Behauptung, die nur ein Lächeln hervorrufen kann. Der Patriotismus gewisser Kreise ist nicht ideale Prlicerfinr sondern ein einträgliches Geschäft. Dieser entsetzlichste aller Kriegs,

wäre nicht angefangen worden und würde nicht hinausgeschleppt werz