1916 / 48 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 25 Feb 1916 18:00:01 GMT) scan diff

eu beinabe 20 Jahren. Im Jahre 1890 war ein Anlauf genommen

worden. Damals wurde das Projekt auf Bitien der Stadt Fulda zurückgestellt. Wir sind dann später im Jahre 1909 darauf zuruͤck⸗ gekommen, aber auch da sind wir wieder von der Absicht abgegangen, weil der Stadt Fulda damals besondere Lasten oblagen. Es war die Erhöhung der Lebrergehälter eingetreten, die Stadt mußte ihre „Beamtengehälter erhöhen; sie hatte große Aufgaben auf dem Gebiete dder Kanalisation, kurz, es war wirklich eine schwere Lage damals nicht zu verkennen, und wir haben dem Rechnung getragen. Nun ist aber immerhin die Stadt sich bewußt gewesen, daß der Moment eintreten würde und in absehbarer Zeit eintreten mußte, wo sie die Polizeidirektion verlieren würde. Es war im Jahre 1908 in Alssicht genommen, etwa 6 Jahre noch zu warten. Ich will auch 3 darauf hinweisen, daß z. B. schon Anfang des vorigen Jahres ein Vertrag mit der Stadtgemeinde Fulda abgeschlossen wurde wegen Meberlassung von Mietsräumen für das Landratsamt und die Polizei⸗ verwalunng in dem städtischen Verwaltungsgebäude, und da ist aus⸗ drücklich die Bestimmung aufgenommen worden, daß die Verein⸗ barung wegen der mietweisen Ueberlassung der Räume für die Polizeiverwaltung ohne weiteres hinfällig werden sollte, sobald der UMebergang der Ortspolizei an die Stadtgemeinde verfügt werden würde. Als nun die Polizeidirektion Kattowitz in die Nähe rückte, mußten mir auch auf der anderen Seite Bedacht nehmen, den Etat von ent⸗ behrlichen Ausgaben zu entlasten. Das war ich auch meinerseits der Finanzverwaltung schuldig, und so bedauerlich es ist daß nun gerade während des Krieges diese neue Situation eintritt, so unvermeidlich war es doch. Nach den Verhandlungen in der Staatshaushalts⸗ kommission habe ich aber sofort einen Kommissar nach Fulda entsandt und habe ihn beauftragt zu sehen, in welcher Weise man der Stadt noch irgendwie entgegenkommen könnte. Er hat in den Verhandlungen mit dem sehr tatkräftigen und umsichtigen Herrn Oberbürgermeister die Ueberzeugung gewonnen, daß der Ueberleitung der örtlichen Polizeiverwaltung in den städtischen Dienst zum 1. April schwere Bedenken doch nicht entgegenstehen, fondern daß sich das er⸗ möglichen läßt. Es haben die städtischen Behörden bereits in dankens⸗ 8 werter Weise die Mittel bereitgestellt, die dadurch notwendig werden; es sind die nötigen Polizeikräfte gewonnen worden teils aus staat⸗ lichen Polizeibeamten, die in den städtischen Dienst übertreten, teils aus solchen, die aus den kommunalen Polizeibeamten entnommen sind. Was an Beamten etwa noch fehlt, kann durch Hilfsbeamte ge⸗ wonnen werden. Aber die Hauptsache ist und das will ich hier ausdrücklich in Aussicht stellen —: es soll in Berücksichtigung der vorliegenden Verhältnisse nur das von der Stadt gefordert werden auch in der nächsten Zeit —, was zur Aufrechterhaltung der Ruhe, Ordnung und Sicherheit dringend notwendig ist. Es soll ernstlich geprüft werden, ob die einzelne Maßnahme notwendig ist oder nicht, und, wenn sie nicht unbedingt notwendig ist, soll von ihr Abstand genommen werden. Das wird auch geschehen hinsichtlich der Forderung, von der der Herr Vorredner ggesprochen hat, nämlich, daß jetzt ein vollvorgebildeter Baubeamter für die Stadt für die Ausübung der Polizeiverwaltung durch die Stadt gefordert wird. In der Beziehung ist in Aussicht genommen, daß als technischer Beirat des zukünftigen städtischen Polizeiverwalters in Angelegenheiten der Baupolizei neben dem Stadtbaumeister der staatliche Baubeamte oder der Baubeamte der Landesverwaltung, welcher die von dem Herrn Minister der öffentlichen Arbeiten erforder⸗ liche Oualifikation besitzt, im Nebenamt eintritt. Ich hoffe, daß diese Regelung, die zur Zuständigkeit des Herrn Ministers der öffent⸗ lichen Arbeiten gehört, von ihm gebilligt werden und daß dadurch also auch die Mehrforderung, von der der Herr Vorredner sprach, von der Stadt abgewandt werden wird. Trotz alledem bleibt eine finanzielle Belastung in erheblichem Umfange. Der Herr Vorredner rechnete etwa 20 % Erhöhung der Zuschläge heraus. So hoch wird es nicht kommen. Wir haben berechnet, daß die Summe von 35 000 allerdings wohl⸗ erforderlich wird; diese kann aber durch Zuschläge von etwa 10 % aufgebracht werden. Sie schütteln den Kopf; es mag sein, daß diese Rechnung etwas zu optimistisch ist, aber 20 % werden zweifellos nicht erreicht werden. Also ich kann nur in Aussicht stellen, soweit irgend möglich, Entgegenkommen nicht nur hier, sondern auch weiteren Anforderungen gegenüber zu üben. Aber die Einrichtung der Polizeidirektion selbst kann nicht aufrecht erhalten werden; wir müssen jetzt diesen Augenblick benutzen, um zu endgültigen Zuständen zu kommen.

Von dem Herrn Berichterstatter und auch von dem Herrn Vor⸗ redner ist darüber geklagt worden, daß unsere Jugend durch die jetzigen Verhältnisse der Gefahr der Verwahrlosung ent⸗ gegengeführt wird. Wir dürfen uns dieser Gefahr nicht verschließen; sie liegt zweifellos vor. Es fehlt an Aufsicht seitens der Eltern; denn die mäanlichen Angehörigen sind an der Front, und die Mütter haben außerordentlich schwere Lasten und Arbeiten auf sich zu nehmen: sie können sich nicht so um die Kinder bekümmern. Deshalb ist bei nicht schon gefestigten Charakteren und das ist bei unserer Jugend in der Regel noch nicht die Gefahr zweifellos vor⸗ handen, daß sie zu einem leichtsinnigen Leben oder gar zur Verwahr⸗ losung geführt werden. Es muß alles geschehen, um dieser Gefahr vorzubeugen. Ich habe es auch meinerseits sehr begrüßt, daß von verschiedenen militärischen Stellen aus Anordnungen getroffen sind, die den Wirtshausbesuch der Jugendlichen, Verschänken von Brannt⸗ wein an sie, das Rauchen auf der Straße verbieten. Ich kann auch nur die Anregung geben, daß diesen Beispielen gefolgt wird.

Das Vergnügungsleben ist ja auch hier behandelt worden. Es ist unbedingt notwendig, daß die öffentlichen Ver⸗ gnügungen während der Kriegszeit einer Beschränkung unterliegen. Es lag ja der Gedanke nahe, daß man während des Krieges öffent⸗ liche Vergnügungen überhaupt verbieten sollte. Das war aber un⸗ möglich man muß auch Rücksicht darauf nehmen, daß von scharfen Mahnahmen auf diesem Gebiete große Erwerbstände getroffen werden, Erwerbstände, für die wir auch mit zu sorgen haben. Es mußte also Rücksicht genommen werden einmal auf den Ernst der Zeit, auf die Anforderungen, die diese Zeit stellt, andererseits aber auch auf die Lebensverhältnisse großer Erwerbsstände. Ich glaube im allgemeinen doch sagen zu können, daß die Polizeibehörden hier die richtige Mittel⸗ linie innegehalten haben. Ich will durchaus zugeben, daß sich auch Mißstände gezeigt haben, daß vielleicht nicht überall die richtige Linie innegehalten worden ist. Aber im allgemeinen glaube ich doch diese Fest⸗

worden,

stellung hier machen zu dürfen. Einheitliche zwingende Anordnungen von der Zentsalbehörde auf diesem Gebiete zu erlassen, erschien mir nicht zweckmäßig. Ich habe mich vielmehr darauf beschränkt, auch hier gewisse Richtlinien zu geben.

Nach diesen Richtlinien sollen die Polizeibehörden insbesondere dafür sorgen, daß öffentliche Tanzlustbarkeiten nicht stattfinden, daß die gewerblichen Betriebe des Schankwirts, der Schauspielunter⸗ nehmer, der Inhaber von Varietes und Kinematograpbentheater nur in den durch die Zeit gebotenen Grenzen ausgeübt werden. Als Mittel hierzu soll dienen einmal die strenge Ausübung der Präventiv⸗ zensur. Es sollen Darbietungen sittlich anstößiger Art verhindert werden oder solche, die mit dem Ernst der Zeit und dem Empfinden der Bevölkerung jetzt unvereinbar sind. Ich nenne auf diesem Ge⸗ biete auch die Verkürzung der Polizeistunde, die in Großstädten durch⸗ geführt ist, wie ich glaube, mit gutem Erfolg. Nur ernste Dar⸗ bietungen zuzulassen, geht zu weit. Schließlich hat doch in solchen Zeiten in gewissem Umfange der Humor sein Recht, aber er darf nicht eine burleske Wirtung erzielen wollen, er darf sich unter keinen Umständen mit dem Volksempfinden in Widerspruch setzen. Unbedingt müssen ver⸗ mieden werden alle Frivolitäten, Ehebruchsdramen, Possenreißereien, Beschimpfungen der Feinde, Verletzungen der Neutralen und dergleichen. Das halte ich für notwendig, und dem habe ich auch Ausdruck gegeben.

Besonderes Interesse verdienen ja die Verhältnisse in Berlin. Gegenüber den hier und da aufgetretenen Bemängelungen des Ver⸗ haltens der Berliner Bevölkerung in dieser Kriegszeit muß ich doch auf Grund aller Erfahrungen feststellen, daß das durchschnittliche Ver⸗ halten der Berliner Bevötkerung sich den Zeitumständen würdig an⸗ paßt, daß die Stimmung ernst und besonnen ist, daß sich auch der christliche Sinn gehoben hat, daß sich die Berufsarbeit ruhig und ordnungsmäßig vollzieht. Die besonderen Rücksichten der großen Weltstadt, die Weitschichtigkeit des Verkehrs, die großen Entfernungen zwischen der Wohnung und der Arbeitsstätte bedingen eine gewisse, eigenartige Behandlung. Dem muß auch Rechnung getragen werden, und das ist geschehen. Gleichwohl sind aber auch in Berlin verschiedene polizeiliche Maßnahmen getroffen von denen ich hoffe und glaube, daß ihre Folgen auch in die Friedenszeit mit hinüberzunehmen sind. (Sehr richtig!) Ich möchte noch darauf hinweisen, daß z. B. das Animier⸗ kneibwesen in Berlin gänzlich beseitigt ist. Es ist schon vor längerer Zeit angeordnet worden, daß die Wirte alle Kellnerinnen zu entlassen haben aus solchen Lokalen. Dadurch wurden zunächst etwa tausend Kellnerinnen beschäftigungslos. Es lag die Gefahr nahe, daß diese nun der Prostitution zu⸗ geführt würden; aber diese Gefahr hat sich nicht in dem Um⸗ fange, wie wir befürchten mußten, bewahrheitet. Es sind nur die⸗ jenigen in der Prostitution geblieben, die ihr schon früher verfallen waren. Aber eine sehr große Anzahl von Kellnerinnen ist durch Ver⸗ mittlung von Fürsorgedamen, deren Tätigkeit ich hier nur anerkennen kann, und unter Gewährung von Reiseerleichterungen in ihre Heimat zurückgebracht und einem ordentlichen Leben wieder zugeführt worden, so daß diese Maßnahme sich verhältnismäßig ruhig und auch ohne starken Bedruck der Beteiligten vollzogen hat.

Meine Herren, noch ein Wort über Theater und Kinos. Ich glaube, daß im allgemeinen auch die Theaterzensur ihre Schuldigkeit getan hat. Ich sage: im allgemeinen; ich will durchaus nicht ver⸗ kennen, daß hier und da auch Mißgriffe vorgekommen sind. In formeller Beziehung ist hier in Berlin Sorge getragen worden, daß alle Stücke, die früher, in Friedenszeiten, schon zugelassen worden waren, nochmals eingehend geprüft worden sind, ob sie auch für die Kriegszeit passend seien. Die Polizeibehörde hat es als ihre Aufgabe in sachlicher Beziehung angesehen, darüber zu wachen, daß der Spielplan sich auf einer ernsten literarischen Grundlage bewegt. Allerdings sind die Grenzen hier ziemlich eng gezogen. Negativ ist auch hier dafür ge⸗ sorgt worden ich habe das vorhin schon hervorgehoben —, daß Frivolitäten fortfallen, Ehebruchsdramen verschwinden. Ich höre von dem Herrn Vorredner, daß hier und da doch Stücke zur Aufführung gelangt sind, die nach seiner Ansicht nicht passend waren. Wenn solche Beschwerden an mich herantreten, werde ich sie sorgfältig prüfen und die eben vorgetragenen Gesichtspunkte dabei zugrunde legen lassen.

Daß in gewissem Umfange auch Kriegspossen noch zugelassen sind, war, glaube ich, richtig. Diese Kriegsposse ist im allgemeinen auf den Geschmack des kleinen Mannes zugeschnitten und kann gut wirken. Aber auch hier muß ich dasselbe sagen, was ich vorhin schon er⸗ wähnte: es muß natürlich jede burleske und verletzende Wirkung vermieden werden. Alle prahlende Vorwegnahme des Sieges, Beschimpfungen des Feindes, Verletzungen der Neutralen sind absolut untersagt und verboten. Ich möchte nur hervorheben, daß in Berlin allein nach der mir vorliegenden Statistik vom 1. August 1914 bis Ende 1915, also in 15 Monaten, 81 Stücke verboten, zur Aufführung nicht zuge⸗ lassen worden sind.

Nun spielt bei den Stücken sicherlich der Umstand eine große Rolle, ob sie auf einer großen Bühne mit erstklassigen Kräften aufgeführt werden oder auf einer kleinen Provinzbühne mit einem mangelhaften Personal. Sehr wohl kann man Stücke hier in Berlin schließlich noch für zulässig erachten ich sage: noch —, die in der Provinz unter keinen Umständen zu dulden sind, weil dort durch schlechte Aufführung die krasse Wirkung noch mehr hervortritt. Außerdem spielen die Eintrittspreise eine Rolle. Hier werden die Stücke zu einem verhältnismäßig hohen Eintrittsgeld zur Schau gestellt; in der Provinz ist es fast jedem ermöglicht, für billiges Geld solche Stücke zu sehen.

Meine Herren, im allgemeinen muß die größte Hilfe auch das Publikum selber schaffen. Das Publikum muß sich solche Stücke, die trotz der Polizeizensur über die Grenzen noch hinausgehen, selbst ver⸗ bitten und sie meiden. Das liegt in der Macht des Publikums, und wir dürfen diese nicht unterschätzen. Ich sage es ganz frei: so sehr ich der Ueberzeugung bin, daß die Polizei hinsichtlich der Ueberwachung usw. der Jugendlichen große Pflichten hat, die sie erfüllen muß, so wenig halte ich im allgemeinen von einer erzieherischen Pflicht der Polizei gegenüber Erwachsenen und von der Regelung des Geschmacks durch die Polizei. Da muß das Publikum selbst etwas tun und dafür sorgen, daß die nicht dem allgemeinen Empfinden entsprechenden Stücke recht bald wieder verschwinden, wenn sie wirtlich einmal zugelassen sein sollten.

Ueber die Plakate ist auch gesprochen worden. Gewiß, da bestehen noch viele Unzuträglichkeiten. Ich habe die Regierungspräsi⸗

denten schon vor längerer Zeit darauf hingewiesen, daß sie

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2 8 8 2 6 72 1 5 verordnungen erlassen möchten, in denen eine Erlaubnis fürdie Pla kate fest⸗ gesetzt wird. Allerdings können sich Verbote nur aus voltzeilichen Gründen rechtfertigen; der Geschmack tann hbier keine Rolle spielen, und wir werden geschmacklose Plakate auch durch polizeiliche Anordnungen zum Teil leider nicht beseitigen koönnen. Im ganzen würde eine solche Verordnung nur eine Anzeigepflicht vorschreiben können; aber schon unter diesem Gesichtspunkt kann sie zweifellos gut wirken. Entschiedene Unsitten bestehen auf dem Gebiet des Kino⸗

2 9 5 4 2* wesens. Ich will gar nicht leugnen, daß es sehr gute Vor führungen in Kinos gibt, die durchaus sehenswert sind, die dem patriotischen Empfinden vollkommen Rechnung tragen und auch eine gute Wirkung ausüben. Aber es gibt auch sehr viel Schund auf diesem Gebiete. In dieser Beziehung sind auch Anordnungen getroffen worden, um nach Möglichteit hier Wandel zu schaffen. Die kommandierenden Generale haben sich der Sache an⸗

.arn; 1 8 „9 Ko ritün 9 or genommen; der Kriegsminister hat das Vorgehen unterstützt. Aber ich gebe zu, daß durchweg noch nicht Abhilfe geschaffen ist. Es bleibt die Aufgabe, diesem Kinounwesen soweit es Unwesen ist mehr ent⸗ gegenzutreten, und ich hoffe auch, daß der Gesetzentwurf, der seinerzeit schon dem Reichstage vorgelegt war, bald wieder vorgelegt werden kann, der eine Konzessionspflicht für Kinos einführt. Jedenfalls bitte ich, überzeugt zu sein, daß die Verwaltung des Ministeriums des Innern allen diesen Fragen das größte Interesse zollt, und ich bin fest überzeugt, daß es unbedingt unsere Aufgabe ist, soweit wie irgend möglich auf diesem Gebiete Wandel zu schaffen. (Bravo!)

Abg. Dr. Lohmann (nl.): Die Ausführungen des Ministers über die Einziehung der Polizei in Fulda haben mich nicht über⸗ zeugt; diese Maßnahme ist eine besondere Härte für die Stadt, namentlich in bezug auf die Schaffung des Ersatzpersonals. Was die Beschränkung oder das Verbot des Wirtshausbesuches der Jugend anbetrifft, so stimme ich ihr nur unter dem Gesichtswinkel zu, daß im Kriege unwirtschaftliche Ausgaben vermieden werden müssen, und kein böses Beispiel gegeben werden darf. Was die Einziehung des Personals der Fürsorgeerziehungsanstalten betrifft, so handelt es sich hier um ein

anz besonders qualifiziertes Personal. Der Schaden, der durch die erwächst, ist außerordentlich groß. Er ist vielleicht größer als der, wenn die jungen Leute gar nicht zur Fürsorgeerziehung über- geben würden. Ich möchte an die Kollegen im Lande eine Bitte richten: sie mögen bedenken, daß die Verwilderung der 8 jetzt zweifellos eingetreten ist, wegfällt, wenn die Vater 1* kommen. Es ist doch eine harte Sache, wenn der zurückkehrende Vater mit der Nachricht überrascht wird, sein Sohn befinde sich in Für⸗ sorgeerziehung. Die Ziffern der Sparkassen sind ja blendend, nament⸗ lich im Vergleich mit den französischen Ziffern. Man muß aber auch wissen, aus welchen Gründen diese Spareinlagen erfolgt sind. Ich bitte den Minister um eine Statistik darüber, wer denn jetzt die Finleger sind. Eine Erhöhung des Zinsfußes für die Spareinlagen wäre bedenklich, dagegen muß den Gemeinden der Zutritt zu den

* 2 Ben 1 2 ι 8 Reserven der Sparkassen ermöglicht werden. Der Abg. von Pappen⸗ heim hat darüber geklagt, daß die Generalkommandos sich in die Befugnisse der Kommunalbehörden einmischen, so besonders bei einzelnen Stadtverordnetenwahlen. Auch wir wünschen nicht, daß die Generalkommandos das Gebiet ihrer Tätigkeit ausdehnen. Aber ich möchte doch darauf aufmerksam machen, daß das Eingreifen eines Generalkommandos auch in solchen Fällen gerechtfertigt ist. Auch in der Gemeindepolitik ist der Burgfrieden notwendig, und heftige Wahlkämpfe müssen infolgedessen vermieden werden. Der Herr Mi⸗ nister hat beim Besprechen der Theaterverhältnisse gesagt, es sei mißlich, die Hilfe der Polizei und Regierung anzurufen, um auf diesem Wege den Geschmack des Publikums zu bessern. Er hat an die Selbsthilfe appelliert. Das dürfte im allgemeinen stimmen, aber ummer dürfte dieses auch nicht ausreichen.

Abg. Cassel (fortschr. Volksp.): Ich bin damit einverstanden, daß bei Bearbeitung der Ausführungsbestimmungen zu dem Gesetze über die Schätzungsaͤmter auf die Verschiedenheit der Provinzen Rück⸗ sicht genommen wird und es ebenso den Kommunalverbänden, über⸗ lassen bleibt, die verschiedenen örtlichen Unterschiede zu berücksichtigen. Wir wünschen aber, das ist auch von Rednern anderer Parteien aus⸗ gedrückt worden, daß in das Gesetz selbst diejenigen Richtlinien für die Schätzung aufgenommen werden, welche regelmäßig und überall zu gelten haben. Schon in der Kommission hat der Minister über die finanzielle Belastung der Gemeinden gesprochen. Wir erfuhren, daß diese durchschnittlich 216 % beträgt. Das ist beklagenswert, namentlich, wenn man bedenkt, daß es sich hier nur um einen Durch⸗ schnittswert handelt und viele Gemeinden noch höher belastet sind. Es wird schwer sein, im Augenblick geeignete Abhilfe zu schaffen. Diese Belastung wird in der Zukunft noch größer werden. Viele Ge⸗ meinden haben die durch den Krieg entstandenen Kosten noch gar nicht in den Etat eingestellt, so daß auch diese Summen schließlich eine Deckung erfahren müssen. Der Minister hat darauf. aufmerksam gemacht, daß man den Gemeinden keine größere Freiheit in der Aufnahme von Anleihen geben könne.

Es ist ja richtig, daß jetzt alle Mittel für die Abwehr der Feinde notwendig sind, und es mag schwierig sein, den großen Städten jetzt die Aufnahme von größeren Anleihen zu gestatten. Wenn diese aber auch in der Zukunft er⸗ schwert wird, wie sollen dann die Gemeinden ihre Kriegsausgaben decken. Auch alle anderen Zwecke der Gemeinden werden dann dar⸗ unter zu leiden haben. Es werden dann alle diejenigen Ausgaben unterbleiben, die der zukünftigen Generation zustatten kommen. Wenn alles aus laufenden Mitteln bezahlt werden muß, dann werden eben viele nützliche Zwecke Schaden leiden. Die Staatsbeihilfe für die Gemeinden ist zwar groß, sie reicht aber nicht aus. Hier wird es einer weiteren Stärkung der Mittel bedürfen. Die Bitte habe ich an den Minister, dafür zu sorgen, daß diese Mittel möglichst bald zur Verteilung kommen, damit die Neigung der Städte, allen zu helfen, nicht nachlasse. Ich begrüße die Ministerialverordnung mit Freude, wonach im Aufsichtswege Beschwerde erhoben werden kann über nicht genügende Leistungen eines Lieferunasverbandes. Die Kosten, die durch die Fürsorge für die Kriegsbeschädigten ent⸗ stehen, sollte das Reich tragen und die Provinzialverbände haben deshalb schon im voraus diese Versorgung in die Hand genommen. Der Minister hat nun erklärt, daß die Kosten ersetzt werden sollen, soweit es möglich ist. Damit ist aber der Standpunkt verlassen, daß das Reich die Kosten zu tragen hat. Es will also nur einen Zuschuß leisten. Wir haben darum alle Veranlassung, den Minister zu bitten, bei den Reichsbehörden dahin vorstellig zu werden, daß das Reich die Mittel für die kriegsbeschädigten Krieger in möglichst großem Maße zur Verfügung stellt, um das gesteckte Ziel zu er⸗

reichen. Den Gemeinden müssen weitere Einnahmequellen erschlossen

minderung vorgesehen. Eine Vermehrung der Einnahmen wäre denk⸗ bar teils durch Heranziehung weiterer wirtschaftlicher Betriebe, teils durch Ueberweisung von Steuern oder durch die Möglichkeit, bei der Einkommensteuer, ebenso wie es der Staat tut, namentlich die Wohl⸗ habenderen mehr zu treffen, als es jetzt möalich ist. Auf dem Gebiete der sozialen Fürsorge darf keine Sparsamkeit eintreten. Hier werden gerade nach dem Kriege neue Aufgaben erwachsen, zumal ja auch auf dem Schlachtfelde das Solidaritätsgefühl unter den einzelnen Bevölfe⸗ rungsklassen gewachsen ist. Gewisse Ersparnisse können natürlich gemacht werden. Der Luxus bei den Bauten kann aufhören, ohne daß ihr Zweck dadurch beeinträchtigt wird. Beim Oberverwaltungsgericht denkt man an eine weitere Verwendung von Hilfsrichtern, anstatt der ordentlichen Richter, weil die Geschäfte des Oberverwaltungsgerichts während des Krieges abgenommen haben. Die Geschäfte werden aber nachher wieder steigen. Wir wünschen auch nicht, daß dadurch Abhilfe geschaffen wird, daß manche Dinge dem Oberverwaltungs⸗ gericht entzogen und dafür provinzielle Veschlußbehörden eingesetzt werden.

Wir wünschen eine einheitliche Rechtsprechung im ganzen Staat. Wir verlangen deshalb eine Vermehrung der Senate und

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Jugendr die

werden. In der Kommission hat man nun aber direkt eine Ver⸗

langen, damit es nicht länger entrechtet und als Paria behandelt wird.

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ie Vermehrung der gericht. Der Stadt Fulda soll die Konigliche Polizeiverwaltung ent⸗ zegen wereden, sie will sie aber hehalten und keine städtische Poliei einrichten. Wir in Berlin mochten gern die Polizeiverwattung, be⸗ sonders die Wohlfahrtspolizei, in städtische Verwaltung übernehmen wir’ sollen sie aber nicht bekommen. Als Freunde der Selbstverwaltung nehmen wir auf die Wünscke der Gemeinden Rücksicht und untoerstützen den Wunsch der Stadt Fulda, sie nicht zur Einführung der süösltichen Polizeiverwaltung zu zwingen. Wie weit eine Verrohung der Jugend eingetreten ist, darüber fehlen uns noch die statistischen Unterkagen. Es wird empfohlen, daß die jugendlichen Arbeiter ihr verdientes Geld nicht selbst bekommen sollen, aber die jungen Leute müssen doch ge⸗ wohnt werden, selbständig mit Geld umzugehen. Wenn sie das an⸗ gesammelte Geld später erhalten, werden sie, nicht gewöhnt, mit Geld umzugehen, erst recht verschwenderisch leben. Die Hausbesitzer in den Städten haben durch den Krieg große Ausfälle erlitten, die Stadt Berlin zahlt monatlich etwa 2 Millionen für die Mietslasten der Kriegerfamilien, aber trotzdem haben die Berliner Hausbesitzer große Einbußen erlitten. Die Sparkassen dürfen sich nach meiner Meinung nicht nach Art von Banken ausbilden, sie müssen ihrem eigentlichen Zweck erhalten bleiben; die Stadt Berlin lehnt jeden Versuch ab, mit ihren Sparkassen Bankgeschäfte betreiben zu lassen. In bezug auf die Theater meine auch ich, daß durchaus nicht mit der größten Strenge vorgegangen werden soll, daß auch dem Humor sein Recht gelassen wird und mit Rücksicht auf die beteiligten Gewerbebetriebe auch nicht alle möglichen Darstellungen verboten werden sollen, wenn nur gewisse Grenzen innegehalten werden. Ich kann aber dem Minister in der Unterscheidung zwischen großen Theatern und kleinen Provinztheatern nicht zustimmen, denn es kann mir nicht einleuchten, daß die Wohl⸗ habenderen in den teueren Theatern eher einen sittlichen Puff ver⸗ tragen als die Minderwohlhabenden. In den Kinos wird im all⸗ gemeinen auf wissenschaftlicher, landschaftlicher und künstlerischer Grundlage piel Gutes geboten. Wenn es in manchen Kinos anders ist so ist das ein Vorwurf für das Berliner Polizeipräsidium. Ich kann mir das aber bei den Grundsätzen des Herrn von Jagow kaum denken. Was geschmacklos ist, steht nicht fest. Wir haben alle unseren ver⸗ schiedenen Geschmack, und ich würde pielleicht in Widerspruch geraten mit anderen auch sehr verständigen Leuten, wenn ich etwas für ge⸗ schmacklos ansehe. Natürlich dürfen unsere Krieger in den Schützen⸗ gräben nicht verspottet, auch dürfen nicht unsittliche Darstellungen geboten werden. Man kann den Geschmack der Leute nicht so bilden, wie es die Polizei verlangt. Die Uebergriffe der Generalkommandos über ihre Zuständigkeit hinaus, namentlich ihre Einmischung in die Stadtverordnetenwahlen, kann ich nicht billigen. Ob Kaufleute Wohltätigkeitsveranstaltungen. für ihre Geschäftsreklame eingerichtet haben, weiß ich nicht, aber, wenn der Abg. von Pappen⸗ beim es sagt, glaube ich es. Aber das sind nur vereinzelte Fälle. Eine ganze Reihe von Kaufleuten haben in großherzigster Weise ihre Waren umsonst oder für ganz geringes Entgelt Wohltätigkeitsinstituten zur Verfügung gestellt. Dem Lobe für die Gendarmen schließe ich mich an, aber man muß in dieses Lob auch die Tätigkeit der städtischen Schutzmannschaften einbeziehen. Die Schutzleute haben mit beson⸗ derer Sorgfalt in dieser Zeit ihres Amtes gewaltet und sich die Für⸗ sorge für die Bevölkerung in den großen Städten durchaus angelegen sein lassen. Wird man in der Stunde des Wohlergehens sich daran überhaupt noch erinnern! Ebenso haben sich unsere Frauen und Mäd⸗ chen in selbstloser Aufopferung in den Dienst des Vaterlandes gestellt und sich mit besonderer Sorgfalt nicht nur der Verwundeten, sondern auch sonst der Not und des Elends angenommen. Die Frauen haben durch ihr Beispiel auch auf die zurückgebliebenen Männer gewirkt. Bei der Verschiedenheit der Anschauungen werden sich die politischen Kämpfe nach dem Kriege wieder erneuern, aber die große Zeit wird doch das hinterlassen, daß wie im Kriege die Gesamtheit sich für das Vaterland aufgeopfert hat, so auch nachher alle Volksgenossen die Ge⸗ meinschaft mit einander verknüpfen wird, und daß insbesondere der Standpunkt der Gleichberechtigung im Interesse von Vaterland, Staat und Gesellschaft zur Geltung kommen möge.

Abg. Paul Hoffmann (Soj.): Ich kann mich 8 g Danke für die deutschen Frauen und Mäaädchen nur anschließen. Der weitere Wunsch des Vorredners, daß das Gefühl für die Gleich⸗ berechtigung aller Parteien, auch der Sozialdemokratie, nach dem Kriege auch bei den Staatsbehörden zur Geltung kommen werde, wird wohl noch lange auf Erfüllung warten müssen. Es fällt den Behörden und der Beamtenschaft sohr schwer, sich von der alten Praxis gegen⸗ über der Sozialdemokvatie freizumachen. Es gibt Landräte, die nach wie vor unsere Anhänger als Angehörige einer Partei behandeln, die unter einem Ausnahmerecht steht. Der eine erklärt ein Gewerk⸗ schaftskartell für politisch nicht einwandsfrei, ein anderer beschuldigt 28 Arbeiterfrauen, die ihre Ansprüche auf Kriegsunterstützung auf Grund der reichsgesetzlichen Bestimmungen geltend machen, daß sie di Behörden belügen. Beispiele für die Verhängung der Schutzhaft gegen Sozialdemokraten sind ja schon angeführt worden. Die Drang⸗ salierung der Gastwirte, die unserer Partei, nahestehen, nehmen kein Ende. Dem Lob der Gendarmen und besonders der Berliner Schutz⸗ mannschaft durch den Abg. Cassel kann ich mich nicht anschließen. Bei dem Andrange vor denñ Buttergeschäften haben die Schutzleute wieder⸗ holt den wartenden Käufern Verhaftung angedroht, wenn sie sich nicht ganz artig benähmen. Mit der Verwahrlosung und Verrohung der Jugend operiert man auch, um die Bewegungsfreiheit der Jugend⸗ lichen überhaupt einzuschränken. In Stettin dürfen Jugendliche unter 18 Jahren kein Gasthaus, kein Kino besuchen. Daß man nicht alles reglementieren kann, hat felbst der Minister von Loebell anerkennen müssen. Im Kreise Allenstein setzt der Landrat ganz selbständig und willkürlich einen Höchstlohn fest und bedroht jeden mit Strafen, der diesen Satz überschreitet. Das lassen sich die Agrarier natürlich nicht zweimal sagen. Die Vermittlung der Gewerkschaftsorgane bei Lohn⸗ streitigkeiten wird auch von den Arbeitgebern häufig noch mit Denun⸗ biationen bei der Militärbehörde beantwortet, wie ein Fall beweist, der sich bei den Schlesischen Textilwerken ereignete, wo eine Teuerungs⸗ zulage von den Arbeitern verlangt worden war. Soll der Geheim⸗ fonds dieses Ministeriums weiter bestehen bleiben, soll aus ihm weiter ein Heer von Spitzeln und Agents provocateurs gehalten werden, um ie Sozialdemokratie zu drangsalieren? Vielleicht bekomme ich heute die Antwort auf diese in der Kommission vergeblich von mir gestellte Frage. In bezug auf die Neuorientierung hören wir überhaupt nur Worte, nichts als Worte. Als der Krieg ausbrach, in der Stunde der Gefahr, kam den Regierenden die Erleuchtung, daß man das Volk verkannt und ihm unrecht getan habe; wird man in der Stunde des Wohlergehens sich daran überhaupt noch erinnern? Den Worten hätten längst Taten folgen müssen, aber man bekennt nicht Farbe, sondern zieht sich zurück hinter den Burgfrieden, unter dessen Schutz ber Minister schon jetzt die künftiger Wahlagitation im Interesse der degierenden vorbereitet. Die Regierung benutzt nach wie vor den Regierungsapparat, um die öffentliche Meinung zu korrumpieren; das beweisen am besten die von Loebellschen Erlasse. Wie sah es denn nit der freien Meinungsäußerung, die vor dem Kriege angeblich un⸗ beschränkt bei uns bestand, in Wirklichkeit aus? Frau Dr. Rosa kuremburg mußte ihre freie Meinungsäußerung mit einem Jahre Hefängnis büßen. Es ist höchste Zeit, auch den Frauen die politischen Rechte zu geben; daher fordern wir für⸗ die Frauen das allgemeine Wahlrecht. Die Wahlrechtsfrage wird überhaupt nicht früher von der Pagesordnung verschwinden, bis sie im Interesse des Volkes gelöst Konservativen halten das jetzige Wahlrecht für ide nd lehnen ein anderes ab. Der Abg. von Hexdebrand prach von „Schönheitsfehlern“ des preußischen Wahlrechts. Meinte ex die Klasseneinteilung, die die breiten Massen nnzlich entrechtet, meinte er die Oeffentlichkeit der Stimmabgabe? Die gesamten 700 000 Staatsarbeiter dürfen nur wählen, wie es die Regierung wünscht, sonst haben sie schwere wirtschaftliche Schäden zu gewärtigen. Das preußische Wahlrecht ist allerdings ein „Ieal“, in Ideal zur Bewucherung des werktätigen Volkes. Dieses ist gut genug, in den Schützengräben sein Blut hinzugeben, damit die herr⸗ scchenden Klassen ihre Taschen füllen. Das preußische Volk wird mit Donnerstimme die Einführung des Reichstagswahlrechts für sich ver⸗

ordentlichen Richterstellen beim Oberverwaltungs⸗

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„Abg. Freiherr von Zedlitz und kons.): Wir müssen entschieden Verwahrung dagegen eiglegen, daß der Vorredner fortwährend seine eigenen Parteigenossen ald das Volk bezeichnet hat; das ist eine Anmaßung, da wir alle zum Volke gehören. Wer steht denn hinter Ihnen? Der Vorredner hat am Schluß die völlig grundlose, lediglich zur Wirkung nach außen berechnete Bebauptung aufgestellt, daß die Arbeiter rechtlose Parias seien, während sie alle gleichberechtigt sind. (Abg. Dr. Liebknecht: Bemwußte Unwahrheit! Vizepräsident Dr. von Krause, ruft den Abg. Dr. Liebknecht wegen dieser Aeußerung zur Ordnung.) Dagegen gibt es Leute, und zu ihnen gehort der Vorredner, die für sich und ihre Parteigenossen ein Vor⸗ recht und die Loslösung vom Gesetz verlangen. Wenn Sie verlangen, daß die Frau Luxemburg, die wegen einer Rede verurteilt worden ist, die gegen die Staatsgesetze verstöoßt, straffrei bleibe, so verlangen Sie ein Vorrecht vor anderen. (Zuruf bei den Sozialdemokraten: Philipp von Eulenburg!) Der Vorredner hat behauptet, die Reichs⸗ gewerbeordnung gebe das Koalitionsrecht nicht nur dem Arbeiter, sondern auch dem kleineren und mittleren Beamten. Der Gewerhe⸗ ordnung unterstehen nicht nur lediglich Arbeiter, sondern auch Arbeit⸗ geber. Alle übrigen sind von ihren Bestimmungen ausgenommen, dazu gehören die Eisenbahnarbeiter. Wenn Sie die Verfassung nicht kennen, dann halten Sie den Mund. Die Koalition ist kein staats⸗ bürgerliches Recht, durch die Verfassung nicht verbürgt. Im In⸗ teresse der öffentlichen Sicherheit sind die Eisenbahnarbeiter ver⸗ pflichtet, sich des Koalitionsrechtes streng zu enthalten. Genau so verkehrt ist die Behauptung des Vorredners, daß die dritte Klasse der Urwähler nur ein Drittel der Abgeordneten zu wählen haben. Bekanntlich wählen alle Klassen zusammen, keine Klasse für sich. Was die Neuorientierung betrifft, so erschweren gerade die Parteifreunde des Vorredners, die die Forderung aufgestellt haben, mit dem Klassen⸗ kampf wieder vorzugehen, die Neuorientierung aufs äußerste. Nach meiner Meinung liegt es im wohlverstandenen Interesse des Volkes und des Staates, mit dem Wahlrecht nicht eher an das Haus zu gehen, als bis eine Verständigung über die Grundlinien erzielt ist. Es muß so gestaltet sein, daß die bürgerlichen Parteien zu einem er⸗ heblichen Teil damit zufrieden und der andere Teil sich wenigstens damit abfinden kann. Wenn wir früher über das Wahlrecht verhandelten, so würde das einen Zwiespalt in die parteign hineinbringen, so daß wir die große Aufgabe, die wir zu lösen haben, ohne weiteres nicht lösen könnten. (Abg. Dr. Liebknecht: Sie müssen, wenn Sie nicht wollen!) Das Gefühl der Furcht kennen wir nicht, und wenn Sie uns mit der Gasse drohen, so werden wir Ihnen zu begegnen wissen. Die Drohung mit der Revolution müssen wir auf das be⸗ stimmteste zurückweisen. Wir zweifeln nicht, daß diejenigen, die in den Schützengräben für das Vaterland fechten, sich auf solche Schlag⸗ worte nicht einlassen werden, sondern⸗ ehrlich für das Vaterland kämpfen.

Die Diskussion wird geschlossen.

Nach persönlichen Bemerkungen der Abgg. Rosenow (fortschr. Volksp.), Paul Hoffmann (Soz.) spricht

Abg. Braun (Soz.) sein Bedauern darüber aus, daß ihm durch Schluß der Debatte die Möglichkeit genommen sei, die provo⸗ katorischen Ausführungen des Abg. von Zedlitz gebührend zurückzu⸗ weisen.

Das Haus geht zum Kapitel „Medizinalwesen“ über.

Abg. von der Osten k(kons.) berichtet über die Kommissions⸗ verhandlungen, die sich hauptsächlich mit der ärztlichen Versorgung der Zivilbevölkerung und der Frage des Geburtenrückganges befaßt haben. Es wurde dabei festgestellt, daß für den letzteren kein be⸗ stimmter Grund gefunden werden kann und die Ursache dafür ein ganz kompliziertes System aller möglichen Vorbedingungen sei. Die Kommission schlägt folgende Resolution zur Annahme vor:

a. die Königliche Staatsregierung zu ersuchen, beim Bundes⸗ rat dahin zu wirken, daß er dem Reichstage möglichst bald einen Gesetzentwurf vorlegen möge, durch den der Bundesrat ermächtigt wird, nicht allein jedes unaufgefordert an das Publikum sich heran⸗ drängende Anbieten und Anpreisen durch Kataloge, Drucksachen, Hausieren usw., sondern auch das Feilhalten und den Ver⸗ trieb von Gegenständen, die zur Beseitigung der Schwangerschaft oder zur Verhütung der Empfängnis geeignet sind, zu beschränken oder zu untersagen, wie auch alle nur für das Laienpublikum be⸗ stimmten Schriften und Bücher, in denen sich Beschreibungen und Besprechungen der antikonzeptionellen und zur Unterbrechung der 1““ geeigneten Methoden und Mittel finden, zu ver⸗ bieten,

b. die Königliche Staatsregierung zu ersuchen, für das Etats⸗ jahr 1917 eine wesentliche Erhöhung der Ausgaben für Unter⸗ stützung des Bezirkshebammenwesens vorzunehmen.

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Abg. Dr. Mugdan (fortschr. Volksp.): In einer medizinischen Zeitschrift ist darauf hingewiesen worden, daß 80 % aller Verwun⸗ deten wieder felddienstfähig werden. Diese Zahl hat sich in diesem Kriege sogar erhöht. Man kann behaupten, daß von 100 Lazarettinsassen höchstens 10 nicht mehr pöllig felddienstfähig werden. Wir können diese Tatsache mit einem gewissen Stolze begrüßen. Andere Völker wenden zwar auch dieselben medizinischen Methoden an, aber unsere Erfolge beruhen auf ihrer richtigen Anwendung. Unser Aerztestand hat es verstanden, das, was er vor dem Kriege gelernt hat, im Kriege anzuwenden. In dem jetzigen Kriege spielt die Vorbeugung der Krankheiten fast genau dieselbe Rolle wie die Heilung, und wir können auch hier auf die Erfolge stolz sein. Die Begleit⸗ erscheinung eines jeden Krieges war bisher die Seuche. In Rußland herrscht eine Anzahl dieser Krankheiten, wie Cholera, Typhus, Ruhr und Flecktyphus usw. Es ist uns geglückt, uns dieser Krankheiten vollständig zu erwehren. Das verdanken wir in erster Linie der Schulung der Aerzte und vor allem den Maßnahmen, die das Feld⸗ sanitätswesen zusammen mit unserer preußischen Medizinalverwaltung ergriffen hat. Di

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ie Vorarbeit geht auf länger als ein Jahrzehnt zurück und hat ihre Krönung in dem Seuchengesetz gefunden. Der Krieg hat die Richtigkeit dieser Gesetzgebung bewiesen. Daß Deutsch⸗ land militärisch nicht besiegt werden würde, das haben unsere Feinde wohl schon nach wenig Monaten bemerkt. Sie gründeten ihre Hoff⸗ nung auf den Aushungerungsplan und weiter darauf, daß Deutsch⸗ land mit all diesen schönen Krankheiten beglückt würde. Vielleicht gibt der Vertreter der Medizinalabteilung uns darüber Aufschluß, wie im vorigen Jahre epidemische Krankheiten in unserer Heimat bekämpft worden sind und wie es gelang, diese vollständig zu ver⸗ einzeln. Ich frage dies nicht aus Neugier, sondern um den Feinden auch die Hoffnung zu nehmen, daß sie wirklich keine Unterstützung finden in den Seuchen, die sonst eine Begleiterscheinung des Krieges sind. Auch wünsche ich, daß schließlich auch die verstummen mögen, die vor dem Kriege in der wissenschaftlichen Medizin eine gewisse Ge⸗ fahr sahen und z. B. mord bezeichneten. Die Erfahrungen dieses Krieges zeigen, daß der Aerztestand etwas mehr wirkliche Anerkennung verlangen kann. Die Aerzte würden aber all das nicht erreicht haben, hätte ihnen nicht ein solches Krankenpflegepersonal zur Seite gestanden. Wer Ge⸗ legenheit hatte, die Krankenpflege in der Heimat und draußen im Felde zu sehen, der kann nicht genug Lob finden für unsere Kranken⸗ eger und Schwestern. Da ist es bedauerlich, daß man von ver⸗ hiedenen Seiten, selbst während der Kriegszeit, dem Kranken pflegepersonal verbietet, ihr Koalitionsrecht auszuüben. Ver⸗ schiedene Provinzialverwaltungen haben es ihnen rundweg ab geschlagen. Das dürfte doch nicht in einer Zeit geschehen, wo wir unsere Erfolge hauptsächlich dem Orgaanisationstalent des deutschen Volkes verdanken. Auch die Zahnheilkunde hat sich in Hiesem Kriege glänzend bewährt. Es steht fest, daß ein großer Teil der vorüber⸗ gehenden Dienstunfähigkeit durch Zahnkrankheiten hervorgerufen worden ist. Deshalb finden sich üͤberall an der Front große Institute 8 Behandlung der Zahnkrankheiten und die Truppenkommandeure egen großen Wert auf die Behandlung der Zahnkrankheiten. Der Direktor der Medizinalabteilung hat sich um die Ausbildung der

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Zahnärzte große Verdienste erworben. Er hat auch darauf hingewirkt,

die Zwangsimpfung als eine Art Kinder⸗

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daß mit der Zahnpflege schon sehr früh angefangen wird. So sind die Schulzahnkliniken entstanden. Dieser Krieg hat uns gezeigt, wir cinen tüchtig ausgebildeten Zahnärztestand gehzauchen. Des bedauerr sch es, daß der Minister für Hande] und Gewerbe pis üärzte mit den Zahntechnikern gleichstellt, gen diese will i

kein Wort sagen. ie sind an vielen Drten zurzest nötig. GC . ein Zustand, wie er ja vor hundert Jähren ungefahr bestand, wo es Wundärzte zweiter Klasse gab, unter denen sich auch sehr viel ausgezeichnete Personen befanden. Das Streben muß aber dahirn gehen, die zahnärztliche Behandlung an der Bevolkerung überall durch Zahnärzte ausüben zu lassen. Es ist völlig falsch, wenn

Kranken- kassen aus pekuniéen Gründen die Zahntechniker bevorzugen und der Minister für Handel und Gewerbe dies veeshes Für den Geburten⸗ rückgang gibt es eine Reihe sehr verschiedener Ursachen; nur das eine steht fest, daß nach dem übereinstimmenden Urteil der Aerzte nicht die E näftung des Volkes eder die Verringerung der Gebärfähigke Frauen die Ursache ist. Das Verbot vorbeugender Mittel hat allen Erfahrungen nur geringen Wert. Das Verbot hier einschlagender Bücher ist nach dem Kommissionsantrag 2 auch wertvolle Schriften über die Gesundheitspflege fallen könnten. Dem Minister oder dem Bundesrat sollte man in einem solchen Falle, wo Fehlgriffe nicht ausbleiben können, nicht einfach das Ver⸗ trauen schenken, daß er das Richtige schon treffen werde. 2 tag hatte ja schon einen solchen Gesetzentwurf zu beraten, in dem auch alles dem Bundesrat zur Entscheidung zugewiesen war. So sehr wir die gute Absicht des Kommissionsantrages anerkennen, so sehr wir uns freuen würden, wenn dem Unfug des Hausierens mit solchen Gegenständen, Büchern und Schriften auf dem Wege der Gesetz gebung gesteuert würde, so werden ihn doch einige meiner Freunde⸗ ablehnen. Wir haben einen Verbesserungsantrag eingebracht, de wenigstens die größten Fehler des Kommissionsantrages beseitigt Aber zweifelhaft bleibt trotzdem, ob wir nach dem Kriege eine wesent liche Aufbesserung der Geburtenziffer erleben werden; ich sehe auch auf diesem Gebiete nicht so schwarz, aber es erscheint uns an der Zeit, daß alles geschieht, was zur Erhaltung unserer Volkskraft auck; auf anderem Wege dienlich sein kann, und daher haben wir Anträge eingebracht, welche sich zunächst mit dem Haltekinderwesen und mit der Säuglingsfürsorge befassen. Die Säuglingssterblichkeit ist vielfach eine Folge schlechter sozialer Verhältnisse; hier muß die lichkeit einer Besserung gegeben werden, und zwar Errichtung von Säuglingsfürsorgestellen, wozu den Gemeinden staatliche Beihilfen gewährt werden. 8s kann es in der Tat auf Millionen nicht ankommen; diese Millionen verzinsen sich wirklich. Schon mit Rücksicht auf unsere Wehrkraft muß dieses Opfer gebracht werden. Noch größeren Gefahren, als die Kinder armer Familieu, sind die in Pflege gegebenen unehelichen Kinder ausgesetzt. Das Halte⸗ kinderwesen, das Gewerbe der Ziehmütter ist in Deutschland ungemeim verbesserungsbedürftig; wir brauchen da eine reichsgesetzliche Regelung, welche eine sorgfältige Ueberwachung der Ziehmütter verbürgt und die Engelmacherei, soweit es irgend geht, unmöglich macht. Wir brauchen auch die unehelichen Kinder; ihre Lage muß auch sonst in der Reichs⸗ gesetzgebung verbessert werden. Derjenige besondere Mutter⸗ und Säuglingsschutz, den die Reichsversicherungsordnung nur fakultativ gewährt, muß obligatorisch gemacht werden. Wir wollen ja nicht nur unsere Politik neu organisieren, sondern wir müssen auch auf diesem Gebiete reformieren. Die finanziellen Gründe dürfen nicht ins Ge⸗ wicht fallen, wie es leider im Reichstage der Fall gewesen ist. Der Krieg brachte uns hier alles, was wir bis dahin vergeblich erstrebt hatten; der Bundesrat führte die Reichswochenhilfe durch. Diese Maßregel, dieses Geschenk zurzeit der Not, muß Gesetz bleiben, muß in die Reichsversicherungsordnung hineingearbeitet werden. Die Land⸗ wie die Ortskrankenkassen werden ihr Teil an den Ausgaben zu tragen haben; ganz kann ihnen allen diese neue Last nicht auf erlegt werden. Um das gewollte Ziel zu erreichen, bedarf es aber auch einer Verbesserung unseres Wohnungswesens, und solange ein Reichs⸗ wohnungsgesetz nicht zu erlangen ist, nehmen wir auch ein Landes⸗ gesetz an. Es darf damit aber nicht länger gewartet werden. Die Bekämpfung des Geburtenrückganges scheint uns un rtrennlich von ozialpolitischen Reformen. Dazu gehört auch ein gecher Aufbau un- erer Arbeiterschutzgesetzgebung, die uns ebenfalls wieder große Lasten auferlegen wird. Die Sozialreform der Zukunft S. großen Teile nicht mehr durch Juristen, sondern muß durch Techniker und Aerzte gemacht werden.

Darauf wird Vertagung beschlossen. Schluß gegen 4 ½ Uhr. Nächste Sitzung Freitag, 11 Uhr. (Rechnungsvorlage; Fortsetzung der Beratung über das Me⸗ dizinalwesen; Etat des Ministeriums für Handel und Gewerbe.)

Nr. 8 der „Veröffentlichungen des Kaiserlichen Ge sundheitsamts“ vom 23 Februar 1916 hat folgenden Inhalt: Personalnachrichten. Gesundheitsstand und Gang der Volkskrank⸗ heiten. Zeltweilige Maßregeln gegen Pest. Gesetzgebung usw. (Deutsches Reich.) Wissenschaftliche Vorbildung der Aerzte ꝛc. Deutsche Arzneitare 1916. (Preußen.) Krankenpflegerinnen. Scharlach. Reisekosten der Kreisärzte. Gebühren der Kreis⸗ ärzte. (Elsaß⸗Lothringen. Lothringen.) Typhusbaztllenträger. Tierseuchen in Dänemark, 1914. Vermischtes. (Deutsches Reich.) Gesundheitswesen im Verwaltungsgebiete Warschau. (Preußen.) Verwaltungsbericht der Allgemeinen Knappschaftsvereine zu Bochum, 1914. (Berlin.) Warnung vor „Vollkost- und „Mischkost. Geschenkliste. Wochentabdelle über die Sterbefälle in deutschen Orten mit 40 000 und mehr Einwohnern. Desgleichen in größeren Städten des Auslandes. Erkrankungen in Krankenhäusern deutscher Großstädte. Desgleichen in deuts Stadt⸗ und Landbezirken. Witterung. Grundwasserstand und Bodenwärme in Berlin und München, Januar. 3

Gesundheitswesen, Tierkrankheiten und Absperrungs maßregeln.

Ueber das Gesundheitswesen im Verwaltungsgebiete des Kaiserlich deutschen General⸗ gouvernements Warschau

hat das Kaiserliche Gesundheitsamt einen Bericht veröffentlicht, dem die folgenden Mitteilungen entnommen seien:

Nach dem Uebergang russischer Landesteile in deutsche Verwal tung erwuchs dieser die wichtige Aufgabe, auch für die gesundheitlichen Verhältnisse der dortigen Bevölkerung zu sorgen. Die in dem be⸗ setzten Gebiete eingerichtete Gesundheitsverwaltung untersteht dem Verwaltungschef beim Generalgouvernement Warschau, dem ein Medthinalreferent zugeteilt ist. Mit den Aufgaben der örtlichen Ge⸗ sundbeitspflege sind Kreisärzte betraut. Von den 49. vormals russischen Kreisen des Verwaltungsgebiets sind nunmehr 41 mit Kreis⸗ ärzten besetzt. Es ist jedoch in Aussicht genommen, für jeden Kreis einen besonderen Kreisarzt zu bestellen. 1

Besondere Maßnahmen erforderte die Versorgung des Landes mit praktischen Aerzten. Da, wo Aerzte fehlten, wurden solche aus der Nachbarschaft veranlaßt, regelmäßige Sprechstunden abzuhalten. Im Bedarssfalle beteiligen sich sowohl die Kreisärzte als auch die Truppenärzte an der ärztlichen Versorgung der Zivilbevölkerung. Auch haben mehrere gefangene polnische Aerzte in ihre Heimat mruͤckkehren dürfen, um ihre Praxis wieder aufzunehmen. Die Verteilung der jenigen polnischen Nerzte, welche nach Warschau * waren, auf Bezirke, in denen zurzeit kein Arzt sich besindet, ist im Gange.

Auch sonst lien sich die Verwaltung die Fürsorge für Kranke an⸗ gelegen seit. Im Bau befindliche Krankenhäuser wunden vollendet, beschädigte instand gesetzt. Die

Irrenanstalten haben ihrer Beirseb wieder ansgenommen..ʒj

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so weit gefaßt, daß darunter

Der Reichs