im einzelnen ausführen, will aber doch, was die Zensur betrifft, einige Fälle nennen, die Sie vielleicht besonders interessieren. Das eng⸗ lische Arbeiterblatt „Labour Leader“ ist, wie die Herren wissen, wiederholt unterdrückt worden. Ebenso ist die Zeitschrift „Globe“ im November 1915 unterdrückt worden, weil sie ohne Be⸗ achtung der Weisung des Zensors die Nachricht brachte, daß Lord Kitchener zurückgetreten sei. Die bloße Mitteilung hat genügt, die Zeitung zu unterdrücken. Allen widerspenstigen Zeitungen ist damals von dem Minister des Innern das gleiche Schicksal angedroht worden, wenn sie sich den Anordnungen der Zensur nicht fügten. Um Weih⸗ nachten 1915 wurde das Glasgower Arbeiterblatt „Forward“, zu Deutsch „Vorwärts“, unterdrückt, weil es über die Verhandlungen des Munitionsministers mit den Arbeitern einen Bericht gebracht hatte. Daß dieser Bericht wahrheitsgetreu war, ist nicht angezweifelt worden; das Verbot daher damit begründet, daß die Zeitung sich eine Verhinderung der Munitionserzeugung habe zuschulden kommen lassen und daher einen Verstoß gegen die Reichsverteidigung begangen habe. Sie sehen also, wie weit der Begriff der Reichsverteidigung aus⸗ gelegt wird: irgendeine Presseäußerung, von der man eine auf Be⸗ hinderung der Munitionserzeugung hinauskommende Wirkung erwartet, wird als Verstoß gegen die Reichsverteidigung aufgefaßt.
Ich komme nun zu Frankreich. Dort bestand bei Ausbruch des Krieges das Belagerungszustandsgesetz vom Jahre 1849, das also noch zwei Jahre älter ist als unser Gesetz. Nach diesem Gesetz geht die Machtvollkommenheit der Zivilbehörden in bezug auf Aufrechterhaltung der Ordnung und Polizei in vollem Umfang auf die Militärgewalt über. Die Militärgewalt hat unter anderem das Recht, Haussuchungen bei Tag und Nacht vorzunehmen; sie kann Ausweisungen anordnen, Aufenthaltsbeschränkungen verfügen, Ver⸗ öffentlichungen und Versammlungen untersagen, die ihr geeignet er⸗ scheinen, Unordnung zu erregen.
Speziell die Zensur! Ueber die Zensur hat sich der Minister Viviani seinerzeit in der Kammer folgendermaßen ausgesprochen — ich gebe den Ausspruch wieder, weil er für die in Frankreich bestehende Auffassung charakteristisch ist; ev hat gesagt:
„Wir haben nur eine Militärzensur; aber sie erstreckt sich außer auf militärische und diplomatische Dinge auch auf Veröffent⸗ lichungen, die Angriffe gegen das Parlament und gegen die Regierung enthalten, und auf solche, die geeignet sind, die öffent⸗ liche Meinung in bezug auf die Landesverteidigung zu beunruhigen.“
Ich unterstreiche das Wort „beunruhigen“.
Daß die Handhabung äußerst streng ist, wissen die Herren. Es ist ja auch vorhin von einem der Herren Redner erwähnt worden, daß ein französisches Blatt selbst erklärt habe, daß die Zensur gegen die Presse nirgend schärfev gehandhabt werde als in Frankreich. Frank⸗ reich ist bekanntlich eine Republik. Ich habe hier eine Liste von 22 Blättern, die einem Verbot verfallen ist: einzelne sind auf drei Monate, und eins, wie ich selbst habe feststellen lassen, auf sechs Monate verboten worden.
Meine Herren, ich glaube doch, daß sind rigorose Maßnahmen, neben denen wir doch — ich will nichts beschönigen, ich komme noch darauf — vor der Welt nicht so dastehen, als wenn wir ein Land der Unkultur und des Säbelregiments wären. Die Maßnahmen, die bei uns für notwendig gehalten worden sind, sind auch in anderen Länderngetroffen worden, und zwar in einer diel größeren Schärfe als bei uns, und sie werden mindestens mit derselben Schärfe durch⸗ geführt. Es werden auch ebenso viele Mißgriffe vorkommen, wie es leider bei uns der Fall ist. (Zuruf.)
8 Wir haben ganz gewiß nicht den Ehrgeiz, mit Maßnahmen auf dem Gebiete des Belagerungszustandes und der Zensur an der Spitze der kriegführenden Mächte zu marschieren. Wir wissen, daß unser Volk das schwere Schicksal dieses Krieges in einer geradezu herz⸗ bewegenden Weise trägt, daß es heute, wie am ersten Tage, bereit ist, alle Opfer an Gut und Blut für das Vaterland zu bringen. Ich persönlich habe oft den Eindruck, daß die Opfer, die durch den Krieg auch auf dem Gebiete der freien Meinungsäußerung verlangt werden und verlangt werden müssen, mit am schwersten empfunden werden. Das ist für unser Volk gewiß kein schlechtes Zeichen. Ich möchte sagen, es ehrt unser Volk, daß es die freie Meinungsäußerung mindestens ebenso hoch hält, ja sogar höher als sein Geld und sein Blut. (Sehr gut!) Aber daß auch auf diesem Gebiete Opfer zu bringen sind, in einem Kriege, in dem wir einer Welt gegenüberstehen, in dem nicht nur mit den Waffen, sondern auch mit allen Mitteln der Wirt⸗ schaft gerungen wird, der unser ganzes öffentliches und privates Leben erfaßt —, daß in einem solchen Kriege auch dem freien Wort nicht der Spielraum gegeben werden kann wie in der Friedenszeit: diese Ueberzeugung wurzelt nicht so selbstverständlich im Volke wie die Ueberzeugung der Notwendigkeit von Opfern an Gut und Blut. Diese Tatsache trägt dazu bei, den auf diesem Gebiete verantwortlichen In⸗ stanzen die Arbeit zu erschweren. Darüber sind wir uns klar.
Meine Herren, weil wir wissen, daß wir uns auf unser Volk ver⸗
lassen können, deshalb haben wir den Wunsch, ebenso wie Sie, die Mißgriffe auf dem Gebiete des Belagerungszustandes und der Zensur auf ein Mindestmaß zu beschränken. Sie mögen mir ein⸗ wenden, daß die Durchführung für das, was ich eben sage, nicht so ganz spricht, und daß wir in der Durchführung dieses Wunsches viel⸗ leicht nicht immer ganz glücklich gewesen sind. (Sehr richtig! links.) Ich hoffe, daß wir in Zukunft nach dieser Richtung weiter fort⸗ schreiten und mehr erreichen werden als bisher. (Bravo! links. — Zurufe von der soz. Arbeitsgem.) — Meine Herren, wenn Sie mir mit dieser Skepsis kommen, so ist das ja sehr billig; ich spreche ernst. (Zurufe links.)
Meine Herren, ich kann gegenüber den vorliegenden Anträgen — um auch auf diese zu kommen — zunächst keine andere Stellung ein⸗ nehmen als vorgestern gegenüber den Anträgen über die Schutzhaft. Es sind Initiativanträge, die aus der Mitte des Hauses kommen. Ich bin selbstverständlich als Vertreter der verbündeten Regierungen in diesem Stadium nicht in der Lage, zu den Einzelheiten und auch zu den Anträgen im ganzen eine definitive Stellung einzunehmen. Gegen Einzelheiten und gegen den Weg, auf dem die Anträge ihr Ziel erreichen wollen, wird sich in der Tat manches vorbringen lassen. Ich mache nur auf den Antrag Nr. 448, der von der Zentrumspartei gestellt ist, aufmerksam, der den Reichskanzler und die militärischen Kommandostellen in eine Verbindung bringt, die mir die staatsrecht⸗ liche Verantwortlichkeit doch etwas zu verwischen scheint. Die Frage muß entschieden nach dieser Richtung näher geprüft werden. Ich mache ferner darauf aufmerksam, daß im Grunde genommen das, was der Antrag Nr. 448 will, auch auf einem anderen Wege, dem der
Allerhöchsten Kabinettsorder, erreicht werden kann, durch eine Aller⸗ höchste Kabinettsorder, die den kommandierenden Generalen auferlegt, sich in ihrer Betätigung den Weisungen einer bestimmten Stelle zu fügen, wie dies bei den Ernährungsfragen bereits geschehen ist. Ich möchte deshalb davor warnen, nun in Geschwindtempo in erster, zweiter und dritter Lesung diese Anträge im Hause durchzuberaten.
Aber eines kann ich sagen: die Grundtendenz der Anträge liegt in der Richtung unserer eigenen Wünsche und Bestrebungen. Das gilt für den Gedanken einer einheitlichen Anwendung der durch den Belagerungszustand geschaffenen außerordentlichen Befugnisse, und es gilt auch für den Gedanken der Milderung in der Handhabung! Speziell auf dem Gebiete der Zensur haben wir ja versucht — nicht erst seit heute —, diesen berechtigten Wünschen Rechnung zu tragen — die Maßnahmen sind Ihnen bekannt —: die Einrichtung des Kriegs⸗ presseamts und der Oberzensurstelle auf der einen Seite, der sehr wichtige Leitsatz hinsichtlich der freien Erörterung der innerpolitischen und wirtschaftspolitischen Fragen.
Nun, meine Herren, Sie wissen ja, daß die Handhabung des Be⸗ lagerungszustandes und der Zensur bei der militärischen Gewalt liegt auf Grund des Belagerungszustandgesetzes, daß also auf diesem Gebiet die Reichsleitung nicht in der Lage ist, ihrerseits Anordnungen zu er⸗ lassen und Einrichtungen zu treffen. Deshalb kann ja auch die staatsrechtliche Verantwortung des Herrn Reichs⸗ kanzlers auf diesem Gebiet nur eine begrenzte und nur bedingte sein. Wir haben aber nicht die Absicht, uns hinter dem Vorhang der Unzuständigkeit zu verstecken. Das beweist Ihnen doch die ganze Dis⸗ kussion, wie wir sie in der Kommission geführt haben und auch hier im Plenum. Schon im letzten Tagungsabschnitt des Reichstags hat der Herr Reichskanzler ausdrücklich erklären lassen, daß er bereit ist, die Verantwortung zu übernehmen für seine Handlungen auf diesem Gebiet, für seine Handlungen, die nach Lage der staatsrechtlichen Ver⸗ hältnisse in Anregungen und Ratschlägen gegenüber den zuständigen militärischen Stellen bestehen können. Anregungen und Ratschläge des Herrn Reichskanzlers liegen nun auch größtenteils den Maß⸗ nahmen und Einrichtungen zugrunde, die seit Kriegsbeginn zum Zweck einer Vereinheitlichung und Milderung einer Zensur getroffen worden sind. (Zwischenruf bei den Sozialdemokraten.) — Ob sie wirksam sind, das ist eine andere Frage. Darauf komme ich später.
Die Einrichtungen, die getroffen worden sind, das Kriegs⸗ presseamt und die Oberzensurstelle, hatten einmal die Aufgabe auf eine intime Fühlung zwischen den Organen, die die Zensur auszuüben haben, und der Presse hinzuwirken, die Presse über dasjenige zu unterrichten, was der obersten Zensurstelle als Richt⸗ linien vorschwebte. Sie hatten ferner den Zweck, eine Vereinheit⸗ lichung in der Handhabung der Zensur herbeizuführen. Denn bei der großen Anzahl von Zensurstellen für das ganze Land ist es natürlich von Wichtigkeit, daß auch eine Stelle da ist, von der aus Instruktionen gegeben werden können an die stellvertretenden kommandierenden Generale, zwar nicht Anweisungen — denn die stellvertretenden Generalkommandos sind ja selbständige Träger der Gewalten —, aber doch Richtlinien, um so nach Möglichkeit ein einheitliches Ver⸗ fahren herbeizuführen. Was den Abbau der Zensur anlangt, so wissen Sie, daß diese Angelegenheit verhandelt worden ist im Auf⸗ trage des Herrn Reichskanzlers mit dem Reichsverbande der Deutschen Presse. Es ist heute wiederholt Bezug genommen worden auf diese Verhandlungen und die Korrespondenz, die im Anschluß an diese Ver⸗ handlungen stattgefunden hat. Das mehrfach erwähnte Schreiben des Unterstaatssekretärs Wahnschaffe vom 1. August d. J. an den Reichsverband der Deutschen Presse gibt das Ergebnis dieser Ver⸗ handlungen wieder. Es heißt dort:
Dem Reichsverbande teile ich ergebenst mit, daß auf Veranlassung des Herrn Reichskanzlers eine Zensurverfügung vorbereitet ist, die den Wünschen der Presse entsprechen dürfte. Sie gibt für die innere Politik folgende Richtlinien: Keine Beschränkung der Er⸗ örterung innerpolitischer und wirtschaftspolitischer Fragen, Ver⸗ meidung gehässiger und die Gesinnung anderer Parteien und Er⸗ werbsstände herabsetzender Auseinandersetzungen. Solche Aus⸗ einandersetzungen müssen gegebenfalls Zensurmaßnahmen zur Folge haben.
Zur Frage des Verbots von Zeitungen teilt der Herr Reichs⸗ kanzler die Ansicht des Reichsverbandes, daß zu dieser Maßnahme nur im äußersten Falle gegriffen werden sollte. Er hat auch bei gegebenem Anlaß in diesem Sinne Einfluß geübt.
An demselben Tage, an dem dieses Schreiben an den Reichs⸗ verband hinausgegangen ist, hat die Oberzensurstelle ein Rundschreiben an die sämtlichen Zensurstellen gerichtet, welches folgendermaßen lautet:
Für die Behandlung von innerpolitischen Fragen sind nach⸗ stehende Richtlinien maßgebend: Die Erörterung innerpolitischer und wirtschaftspolitischer Fragen unterliegt keiner Beschränkung. Gehässige oder die Gesinnung anderer Parteien und Gewerbestände herabwürdigende Auseinandersetzungen sind zu vermeiden und müssen gegebenenfalls Zensurmaßnahmen zur Folge haben. (Zurufe links.)
— Ja, meine Herren, diese Einschränkung gefällt Ihnen nicht. Ich bin der Ansicht, daß man innerpolitische und wirtschaftspolitische Fragen auch ohne gehässige und ohne andere Berufsstände herabsetzende Wendungen sehr wohl sachlich erörtern kann, und daß es sich in Kriegs⸗ zeiten sehr wohl empfiehlt, solche gehässigen und andere Berufsstände herabsetzenden Wendung zu vermeiden. (Sehr richtig! rechts.) Wenn das nicht freiwillig geschieht, so ist das allerdings einer der Punkte, wo, wie ich glaube, mit Zwang eingegriffen werden muß.
Meine Herren, die beiden Schreiben — dieses Rundschreiben der Oberzensurstelle sowohl wie das Schreiben des Reichskanzlers — sind, wie ich eben erwähnte, am 1. August d. J. ergangen. Der von dem Herrn Abgeordneten Dr. Müller⸗Meiningen erwähnte Erlaß, von dem er sagte, er wäre wohl die Wirkung dieser neuen Anordnung, ist am 14. Juli ergangen. (Zuruf links.) — Im Juni ist noch keine Weisumng an die Zensurstellen hinausgegangen, und die Weisung an diese ist doch für die Handhabung das Wesentliche. Die Weisung an die Zensurstellen im Lande ist am 1. August hinausgegangen, während der Erlaß, den Herr Dr. Müller⸗Meiningen verlas, vom 14. Juni datiert. Ich nehme an, daß er durch die spätere Weisung der Zentralstelle aufgehoben ist. Ein Widerspruch liegt also nicht vor, sondern ein zeitliches Auseinanderfallen. Die allgemeine Zensur⸗ anweisung ist das Spätere.
Nun, meine Herren, muß selbstverständlich dafür gesorgt werden, daß diesen Anordnungen auch entsprochen wird. Ich glaube, hier sagen zu können, daß der Herr Reichskanzler das möglichste nach
dieser Richtung kun wird, und ich zweifle auch nicht daran, selbe von den militärischen Stellen geschieht.
Aber, meine Herren, um nun von der inneren Politik und den Wirtschaftsfragen auf die anderen Punkte zu kommen, die heute hier erörtert worden sind und auf die sich die Zensur ausdehnt, auf die dieses Lockerlassen der Zügel keine Anwendung findet: das ist, abgesehen von dem rein militärischen Gebiete, hauptsächlich das Gebiet der auswärtigen Politik. Daß auf dem Gebiet der auswärtigen Politik eine Freigabe der Meinungsäußerung, auch wenn gehässige Wendungen vermieden werden, nicht, wie auf dem der inneren Politik, möglich ist, das ver⸗ steht sich, wie ich glaube, von selbst, und darüber kann man nach meiner Ansicht ebensowenig ernstlich streiten wie darüber, daß auf dem rein militärischen Gebiete die Zensur während des Krieges nicht auf⸗ gehoben werden kann. Ich habe ja vorhin die Bestimmungen für England und Frankreich vorgelesen und speziell darauf aufmerksam gemacht, wie in England jede Aeußerung verbotem ist, die etwa die auswärtige Politik der großbritannischen Regierung schädigen könnte. Der Reichstag selbst hat sich in seinen großen Mehrheit einer ähnlichen Meinung bei einer der wichtigsten Fragen, die uns in dieser Tagung beschäftigt hat, nicht verschlossen. Er hat davon Abstand genommen, diese Frage — ich meine die U⸗Boot⸗Frage
— hier im Plenum zu diskutieren, und ich glaube, dasselbe, was für
diese Beschränkung maßgebend war, die sich der Reichstag aus guten Gründen auferlegte, ist auch maßgebend für eine Beschränkung der Presse⸗Erörterung in dieser Frage. Sie haben ja auch in der Kommission über einen andern Fall, der nicht direkt, aber doch indirekt zum Verbot einer Berliner Zeitung geführt hat, Aufklärungen von seiten des Vertreters des Auswärtigen Amtes erhalten, die doch wohl in der großen Mehrheit die Meinung erweckt haben, daß es allerdings in der auswärtigen Politik Konstellationen geben kann, in denen eine
Presseäußerung so großen Schaden anzurichten geeignet ist, daß hier
die Möglichkeit bestehen muß, einzugreifen. Das geschieht ja in den seltensten Fällen im Wege der Präventivzensur.
In Frankreich ist die Präventivzensuw die Regel, und die Herren, die ebenso wie ich französische Zeitungen regelmäßig lesen, weirden mir bestätigen, daß die Spalten der französischen Zeitungen mitunter durch Zensurlücken durchschossen sind wie durch ein Maschinengewehr, daß in einem Artikel nicht selten fünf bis sechs Zensurlücken sind, und diese Zensurlücken gehen in Frankreich soweit, daß sie — ich habe hier so ein Blatt vor mir liegen — auch im Parlamentsbericht auftreten. (Zuruf links.) — Gewiß, bei uns sind die Lücken verboten; aber wir haben die Präventivzensur nur in beschränkten Fällen (Widerspruch links), während in Frankreich die Präventivzensur die Regel ist. (Zu⸗ ruf links.) — Die Zahl der Fälle, in denen wir die Präventivzensur haben, steht in keinem Verhältnis zu der Gesamtzahl der Zeitungen. Es sind im ganzen, glaube ich, 9000 Zeitungen und Zeitschriften, die in Deutschland erscheinen, und nur in sehr wenigen Fällen haben wir die Präventivzensur. (Zurufe links. — Glocke des Präsidenten.)
Nun, meine Herren, ist ja die Meinung weit verbreitet, daß trotz alledem, was ich hier sage, trotz alledem, was inzwischen geschehen ist, eine Verbesserung nicht eingetreten sei. Der Abg. Dr. Müller⸗ Meiningen hat behauptet, es sei nichts, rein nichts geschehen; alle diese Anordnungen hätten überhaupt nichts genützt. Meine Herren, die Besserung mag nicht weit genug gehen, aber bestreiten läßt sie sich nicht. Ich glaube, wenn Sie unsere Zeitungen verfolgen und den ganzen freien Ton, in dem die Diskussionen jetzt geführt werden, so unterscheidet er sich wesentlich von dem Zustande noch vor einem halben Jahre. Die Zeitungen wissen sehr genau, daß sie heute weiter gehen können, und sie machen von dem freieren Spielraum auch Gebrauch. Die Stellen, die hier verlesen worden sind, die ich gewiß nicht billige und die der Zensor vielleicht besser unterdrückt hätte, sind ja ein Beweis dafür.
Ich möchte in diesem Zusammenhange die Auffassung zurück⸗ weisen, die durchgeklungen ist in der einen und anderen Ausführung, als ob die Zensur benutzt werde, um die Regierung oder gar die Per⸗ sönlichkeiten der Regierung zu decken. Ich glaube, der Herr Reichs⸗ kanzlersteht auf dem Standpunkte — er hat das bisher ausreichend gezeigt —, daß er gegen persönliche Angriffe, die sich gegen ihn richten, die Zensur nicht in Bewegung setzt. Wenn der Herr Reichskanzler das hätte tun wollen, sich wegen Angriffe gegen seine Person an die Zensurstelle zu wenden, so hätte die Zensur doch ein recht weites Tätigkeitsfeld bekommen, das sie bisher nicht beackert hat. Schutz der Regierungspolitik, das steht auf einem anderen Brett (Heiterkeit), namentlich dann, wenn es sich um die auswärtige Politik handelt. Wir brauchen in Deutschland nicht so weit zu gehen, wie Frankreich nach Herrn Viviani, der gesagt hat, zu den Aufgaben der Zensur gehört auch der Schutz der Regierung. (Zuruf.) Herr Viviani⸗ hat allerdings auch vom Schutz des Parlaments gesprochen. Aber diesen Schutz des Parlaments haben wir bei uns gewiß nicht nötig, denn das Parlament hat ja bei uns nach Verdienst eine sehr gute Presse. — Also nach Herrn Viviani muß in Frankreich der Schutz der Zensur der Regierung und dem Parlament angedeihen, die Regierung kann zu ihrem Schutze von der Zensur Gebrauch machen. Das geschieht bei uns nicht, oder jedenfalls nur dann, wenn sachliche Interessen unserer auswärtigen Politik durch Angriffe auf die Regierung ge⸗ fährdet erscheinen.
Was speziell den Erlaß anlangt, der hier verlesen worden ist, ich glaube von dem Herrn Abg. Gröber — ich habe das hier auf dem Zettel nicht notiert —, in dem Bezug genommen worden ist auf eine Verfügung, nach der das Vertrauen auf die Politik der Regierung gehoben werden soll, so möchte ich erstens sagen, die Verfügung bezieht sich ausdrücklich auf die auswärtige Politik, zweitens ist die Verfügung, wie ich festgestellt habe, nicht in der letzten Zeit er⸗ lassen worden, sondern gleich zu Beginn des Krieges. Sofort bei Kriegs⸗ ausbruch sind Richtlinien unter dem Eindruck der ersten großen Gefahr herausgegeben worden; diese haben kurze Zeit darauf eine Ergänzung erfahren, und die Stelle, die der Herr Abg. Gröber vorgelesen hat, ist dieser Ergänzung entnommen. Die Bestimmung mag in der letzten Zeit von irgendeinem Generalkommando angezogen worden sein; das ist möglich; sie ist aber nicht in der letzten Zeit erlassen, sondern sie stammt aus der allerersten Zeit des Krieges.
Alles, was ich ausgeführt habe, soll gewiß die Dinge nicht besser machen, als sie sind. Wir erkennen durchaus an, daß Mißstände und Mängel bestehen und daß abgeholfen werden muß. Es ist in der Kommission schon ausgeführt worden und heute auch unterstrichen und wiederholt worden, daß niemand heute recht wisse, wie er daran sei, was erlaubt und was verboten ist. Es ist verlangt
“
worden, daß einheitliche Richtlinien aufgestellt werden sollen. Die zuständigen Stellen sind dabei, diesen Wunsch zu erfüllen. Es wird jetzt im Kriegspresseamt eine Zusammenstellung ausgearbeitet, die alle heute geltenden Richtlinien über die Zensur übersichtlich zusammenfaßt. Ich hoffe, das wird für den schwierigen Betrieb, den heute der Herausgeber, der Redakteur einer Zeitung hat, immerhin einige Erleichterung bringen.
Aber wir wollen bei einer solchen Kodifikation dessen, was heute maßgebend ist, selbstverständlich nicht stehen bleiben, ich stehe nicht an, für meine Person anzuerkennen, daß die Absichten, die den obersten militärischen Stellen und dem Herrn Reichskanzler bei den Maß⸗ nahmen der letzten Monate vorschwebten, nicht in vollem Umfange
berwirklicht worden sind, weder in bezug auf die Einheitlichkeit der Handhabung noch in bezug auf den Abbau der Zensur. Wir werden hhier weiter die bessernde Hand anlegen müssen und sind entschlossen, das zu tun. Ich bin überzeugt, das der Herr Reichskanzler bei den militärischen Instanzen volles Verständnis für diese Notwendigkeit finden wird, schon deshalb, weil bei der Reichsleitung sowohl wie bei den militärischen Stellen eine klare Erkenntnis der Tatsache besteht, daß die deutsche Presse alles in allem ihre Aufgabe in diesem Kriege in ausgezeichneter Weise erfüllt hat, und daß keine Regierung und keine Kriegführung die bereitwillige und aufopfernde Mitwirkung der Presse entbehren kann. (Sehr gut! links.) Meine Herren, Sie dürfen überzeugt sein, daß nicht nur die einzelnen im Ausschuß oder hier im Plenum oder auf einem anderen Wege zu unserer Kenntnis gekommenen Fälle genau geprüft werden, sondern auch daß der Herr Reichskanzler sich mit allem Nachdruck dafür ein⸗
setzen wird, daß die Absicht der Vereinheitlichung und der Abmilde⸗
rung der Zensur durch Anordnungen sichergestellt wird, die eine Gewähr für ihre Wirksamkeit in sich tragen. (Zuruf von der So⸗ zialdemokratischen Arbeitsgemeinschaftl) — Meine Herren, Taten kann ich hier in diesem Hause nicht vollbringen; ich muß Sie des⸗ halb bitten, sich mit meinen Worten zu begnügen und abzuwarten, welche Taten folgen. (Sehr gut!)
Für heute möchte ich mich angesichts der vorgerückten Zeit auf diese allgemeinen Ausführungen beschränken. (Bravo!)
71. Sitzung, vom 31. Oktober Nachmittags 3 Uhr.
Am Bundesratstische: Dr. Helfferich. 8 1
Erster Vizepräsident Dr. Paasche eröffnet die Sitz um 31 4 Uhr.
Auf der Tagesordnung stehen zunächst Anfragen.
Abg. Molkenbuhr fragt:
„Ist dem Herrn Reichskanzler bekannt, daß das Reichsver⸗ sicherungsamt eine grundsätzliche Entscheidung gefällt hat, wonach ein Anspruch auf Waisenaussteuer nicht besteht, wenn die Witwe vor dem Tage verstorben ist, an welchem die Waisen das 15. Lebens⸗ jahr vollenden.
Beabsichtigt der Herr Reichskanzler durch Bundesratsver⸗ ordnung auf Grund des Ermächtigungsgesetzes, diese Härte zu be⸗ seitigen?“
—Direktor im Reichsamt des Innern Dr. Caspar: Daß eine Revisionsentscheidung des Reichsversicherungsamts die Waisenaus⸗ steuer für den in der Anfrage bezeichneten Fall versagt hat, ist dem Reichskanzler bekannt. Dem Bundesrate vorzuschlagen, er möge durch eine auf Grund des § 3 des sog. Ermächtigungsgesetzes vom 4. August
1914 zu erlassende Verordnung den Anspruch auf Waisenaussteuer auch
in Fällen dieser Art gewähren, glaubt der Reichskanzler Bedenken tragen zu müssen. Mit einer solchen Verordnung würde nicht wirt⸗ schaftlichen Schädigungen während des Krieges abgeholfen, sondern über den Krieg und seine Nachwirkungen hinaus eine dauernde Aenderung der Reichsversicherungsordnung vorgenommen werden. Abg. Giebel (Soz.) fragt:
„Die auf privaten Dienstvertrag in Betrieben und Ver⸗ waltungen des Reiches und der Bundesstaaten beschäftigten tech⸗ nischen und Bureauangestellten leiden schwer unter der wachsenden Teuerung des gesamten Lebensunterhalts, weil trotz ihrer geringeren Besoldung die ihnen zu einem Teil gewährten 11“ erheblich nachstehen den Kriegs⸗ und Teuerungszulagen für gleich⸗ artige Beamtenstellen. 1t
Ist der Herr Reichskanzler bereit, auf eine Besserung der Be⸗
züge dieser Angestellten, auch der bei den Bundesstaaten, hinzu⸗ wirken?“
Direktor im Reichsschatzamt Dr. Schröder: Für die auf privatem Dienstvertrag in trieben des Reichs beschäftigten tech⸗ nischen und Bureaguangestellten (Lohnangestellten) sind wegen der ver⸗ schiedenartigen Lohn⸗ und sonst in Betracht kommenden Verhältnisse einheitliche Grundsätze über die Gewährung von Kriegsbeihilfen, wie sie bezüglich der Beamten getroffen sind, nicht aufgestellt worden. Den durch den Krieg veränderten Verhältnissen ist dadurch Rechnung ge⸗ tragen worden, daß da, wo ein Bedürfnis sich herausgestellt hat, den Lohnangestellten Zuschüsse zu Lasten der Fonds, aus denen die Ver⸗ gütungen gezahlt werden, nötigenfalls unter Ueberschreitung der Fonds, nach aßgabe der für die Beamten geltenden Grundsätze und in Chnh der für die außeretatsmäßigen Beamten festgelegten Sätze gewährt werden können.
Abg. Bassermann (nl.) fragt:
„Nach der Statistik des deutschen Universitätskalenders sind auf deutschen Universitäten eine große Anzahl Russen, außerdem einzelne Engländer, Belgier, Franzosen und Italiener immatrikuliert.
Ist der Herr Reichskanzler bereit, die Grundsätze mitzuteilen, nach denen bei der Zulassung Angehöriger des feindlichen Auslands auf deutschen Hochschulen verfahren wird, und mitzuteilen, ob Vor⸗ sichtsmaßregeln gegen Mißbrauch getroffen sind?“
Direktor im Reichsschatzamt Dr. Lewald: Die Zulassung von Ausländern auf deutschen Hochschulen ist Sache der Landesregierung, in deren Gebiet sich die Hochschulen befinden. Der Königlich preußische Herr Kultusminister hat am 30. August 1914 einen Erlaß über das Studium der feindlichen Ausländer an den Universitäten und Tech⸗ nischen Hochschulen in Preußen ergehen lassen. Diesen Erlaß nebst den entsprechenden Bestimmungen, die der Königlich preußische Herr Handelsminister für die ihm unterstellten Handelshochschulen und Tech⸗ nischen Hochschulen getroffen hat, hat der Herr Reichskanzler den ver⸗ bündeten Regierungen durch Rundschreiben vom 21. Oktober 1914 mit dem Ersuchen um gleichmäßige Behandlung der Angelegenheit mitgeteilt. Die Landesregierungen haben hierauf im wesentlichen gleichartige Anordnungen getroffen. Hiernach sind die feindlichen Aus⸗ länder vom Besuche der Hochschulen allgemein ausgeschlossen worden. Die Gewährung von Ausnahmen haben sich die Regierungen vor⸗ behalten. Für die Entschließung ist die Erwägung maßeebend, ob die Zulassung des Studierenden im deutschen Interesse liegt. Dieses deutsch⸗nationale Interesse ist bejaht worden bei⸗ den Balten und solchen Angehörigen feindlicher Staaten, deren Familien schon lange Zeit in Deutschland wohnen und die in Sprache, Sitte, Gewohnheit und Gesinnung als Deutsche anzusprechen sind, wenn sie auch die Reichsangehörigkeit noch nicht erworben haben. Es ist Vorsorge ge⸗ tfoffen⸗ daß ein Mißbrauch dieser beschränkten Zulassungen nicht
eintritt.
Abg. Giesberts (SZentr.) fragt: „Das Kriegsministerium hat wiederholt die Kriegsbeschädigten gewarnt, bei ihrer Rechtsberatung sich an Personen zu wenden,
67 111“ 5* 818 * 85 & 8 8 I1“ . — . nußen und die Unkenninis der Kriensheschädiplen mißbrauchen. Einzelne Generalkommandos haben diese Wamung zum Anlaß ge⸗ nommen, auch die gemeinnützigen Volksbureaus und Arbeiter⸗ sekretariate von der Rechtsberatung der Kriegsbeschädigten auszu⸗ schließen. So unter andern das VII. Armeekorps in einem Bescheid an das Volksbureau des Volksvereins für das katholische Deutsch⸗ land in Paderborn, der folgendermaßen lautet:
„Dem Volksbureau des katholischen Volksvereins Paderborn mit dem Erwidern ergebenst zurückgesandt, daß sich das Verbot (der Rechtshilfe für Kriegsbeschädigte) auch auf die vom Volksverein für das katholische Deutschland gegründeten Volksbureaus und Ar⸗ beitersekretariate bezieht.
en Kriegsbeschädigten ist allenthalben die Möglichkeit gegeben, sich mit ihren Anträgen an die Stellen der amtlichen Kriegs⸗ eschädigtenfürsorge zu wenden, so daß es sich für andere Ein⸗ richtungen, wie z. B. die Volksbureaus, in der Regel nur darum handeln wird, Rat zu erteilen und die Ratsuchenden an die amt⸗ lichen Kriegsbeschädigten⸗Fürsorgausschüsse zu verweisen. Wenn dann bei diesen Stellen die Anfragen mündlich erörtert werden, so dürfte das gerade für eine möglichst schnelle und sachliche Erledigung
sein.
Wo in vereinzelten Fällen eine schriftliche Anfrage für er⸗ forderlich gehalten wird, dürfen auch die Volksbureaus dieselbe kostenlos anfertigen . . .“
Dagegen hat die Versorgungsabteilung des Kriegsministeriums durch einen Erlaß in Nr. 391 des Armee⸗Verordnungsblattes den Verband der deutschen gemeinnützigen und unparteiischen Rechts⸗ auskunftsstelle zu Neukölln als Rechtsauskunftsstelle empfohlen.
It der Herr Reichskanzler bereit, dahin zu wirken, daß die von Arbeitervereinen, Gewerkschaften und sonstigen sozlalen
Korporgtionen eingerichteten gemeinnützigen Rechtsauskunftsstellen, welche für die Auskunftserteilung und fuͤr das Herstellen der Schrift⸗ sätze keinerlei Honorar nehmen, dieselben vielmehr unentgeltlich erteilen oder nur die Schreibunkosten für die Schriftsätze berechnen, zur Rechtsberatung der Kriegsbeschädigten zugelassen werden?“
Freiherr von Langermann und Erlencamp: Die Benutzung der gemeinnützigen Rechtsauskunftsstellen, soweit sie die Auskünfte — abgesehen von Schreibunkosten — unentgeltlich erteilen, und soweit nicht besondere Umstände eine Ausnahme geboten erscheinen lassen, soll nicht verboten werden. Eine allgemeine Bekanntgabe dieses Standpunktes wird erfolgen.
Abg. Kuckhoff (Sentr.) fragt:
Verlaufe des Krieges Anordnungen erlassen worden, die den Schutz “ Personen in ihrer geistigen und sittlichen Entwicklung bezwecken.
Ist der Herr Reichskanzler bereit, dahin zu wirken, daß im
Sinne eines geeigneten Schutzes der Jugend gegenüber den im
Kriege erhöhten. Gefahren, insbesondere für die Bekämpfung der
Schundliteratur und des Kinounwesens gemeinsame Richtlinien für
das gesamte Gebiet des Deutschen Reiches an alle Stellvertretenden
Generalkommandos gegeben werden, so wie es für die militärische
Vorbereitung der Jugend durch die Verfügung vom 16. August 1914
geschehen ist? .
Ist der Herr Reichskanzler, falls eine einheitliche Regelung des Jugendschutzes durch alle Stellvertretenden Generalkommandos als unmöglich erscheint, bereit, dem Reichstage einen Bericht über den Inhalt der einschlägigen, bishern ergangenen Erlasse oder eine Zu⸗ sammenstellung dieser Erlasse zu überreichen?“
Direktor im Reichsamt des Innern Dr. Lewald: Der Herr Reichskanzler ist bereits vor einiger Zeit mit den Kriegsministerien und den Bundesregierungen in Verbindung getreten, um darauf hin⸗ zuwirken, daß gemeinsame Richtlinien im Sinne eines geeigneten Schutzes der Jugend gegenüber den im Kriege erhöhten Gefahren auf dem Gebiete der Schundliteratur und des Kinounwesens für das ge⸗ samte Gebiet des Deutschen Reichs gegeben werden. Der Herr Reichs⸗ kanzler ist auf Wunsch bereit, dem Reichstage die bisher ergangenen Bestimmungen mitzuteilen. “
Abg. Schwarz⸗Schweinfurt (Zentr.) fragt:
„Die Kommunalverbände und städtischen Verwaltungen, welche an die ihnen angehörigen oder zugewiesenen Bevölkerungskreise Lebensmittel gegen Bezahlung abgeben oder vermitteln, sind im Zweifel, ob sie hierfür der Umsatzsteuer unterliegen. Ist der Herr Reichskangler bereit, falls bis jetzt das Gesetz auch auf solche Lebens⸗ mittelabgaben Anwendung findek, dafür Sorge zu tragen, daß dieser “ Umsatz von der genannten Steuerpflicht befreit bleibt?“
Unterstaatssekretär im Reichsschatzamt Jahn: Soweit Ge⸗ meinden und Gemeindeverbände zur Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln Warenumsätze gegen Entgelt tätigen, ist nach Auf⸗ fassung des Bundesrats, wie sie in den veröffentlichten Grundsätzen zur Auslegung des Warenumsatzstempelgesetzes niedergelegt ist, der Warenumsatzstempel von 9 Umsätzen an sich geschuldet. Dem Bundesrat ist indessen vom Reichskanzler ein Antrag zugegangen, auf Grund des § 3 des Gesetzes über die Ermächtigung des Bundesrats zu wirtschaftlichen Maßnahmen vom 4. August 1914 dahin zu be⸗ schließen, daß der Warenumsatzstempel nicht erhoben wird bei solchen Warenlieferungen, die während der Dauer der Kriegswirtschaft von Gemeinden oder Gemeindeverbänden zur Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln bewirkt werden, fote die Waren von den Ge⸗ meinden oder Gemeindeverbänden nicht im eigenen Betriebe erzeugt worden sind. Es besteht kein Zweifel, daß der Bundesrat diesem Antrage zustimmen wird.
Darauf setzt das Haus die Beratung der Anträge des Haushaltsausschusses, betreffend die Zensur und den Be⸗ lagerungszustand, fort. Von den Sozialdemokraten beider Richtungen ist die sofortige Aufhebung des Belage⸗ rungszustandes und die Wiederherstellung der Freiheit der Presse beantragt; vom Ausschuß ist ein Gesetzentwurf, be⸗ treffend die politische Zensur, vorgelegt, der der Schutzhaft⸗ kommission überwiesen werden soll, vom Zentrum ein Gesetz⸗ entwurf über den Kriegszustand eingebracht, der eine militä⸗ rische Zentralinstanz gegenüber den Anordnungen der Militär⸗ befehlshaber als Aufsichts⸗ und Beschwerdestelle errichtet wissen will. Eine Resolution auf unverzügliche Vorlegung eines Gesetzentwurfs, betreffend den Belagerungszustand, soll nach dem Antrage des Ausschusses ebenfalls der Schutzhaft⸗ kommission überwiesen werden.
Abg. Dr. Werner⸗Gießen (deutsche Fraktion): An den Maß⸗ nahmen der kommandierenden Generale ist gestern lebhafte Kritik geübt worden. Der Abg. Müller⸗Meiningen wünschte sogar, daß ein kommandierender General in den Schützengraben gehe. Wenn er so großes Interesse daran hat, wie es im Schützengraben zugeht, so hätte er doch in der Kommission einen bestimmten Antrag annehmen müssen, denn dann hätte er eine Bereicherung seiner Kenntnisse über Be⸗ völkerungspolitik erfahren. Manche kommandierenden Generale haben versucht, die Auswüchse im Kinowesen zu bekämpfen. Insbesondere sollten die auffälligen Sensationsplakate der Kinos verhindert werden. Aber die Kinoindustrie weiß sich doch über die Behinderung dieser Auswüchse hinwegzusetzen. Der Staatssekretär Helfferich hat zwar Auswüchse im Kinowesen zugegeben, aber doch gesagt, daß im allge⸗ meinen die Vorwürfe gegen das Kinowesen nicht zuträfen. Diese An⸗ sicht beruht auf unrichtigen Voraussetzungen. Der Krieg hat manches möglich gemacht, und deshalb könnte es auch der Staatssekretär möglich machen, die Zensur über die Kinos auszuüben. Die Auswüchse des Kinowesens entsprechen nicht dem Ernst der Zeit. — Wer führt heute das Wort im deutschen Vaterland? Da ist zunächst die „B. Z.“ des Herrn Ullstein, die sich offen über ihre Kriegsziele aussprechen konnte. Ich glaube nicht, daß das deutsche Volk mit dem Friedensprogramm
„Von mehreren stellvertretenden Generalkommandos sind
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den Krieg zu ehwas unverdienken Ehren gekomtmen ist; das „Berliner Tageblatt“ kündigte am 5. Juni die Abrechnung des Reichskanzlers mit der alldeutschen Fronde an. Dann kommt das Wolffbureau. Es schrieb über die Stimmungen im Hauptausschuß des Reichstags in einer Weise, daß es sogar der Regierung etwas sonderbar vorkam. In der von dem deutschen Konsul Künzen in Johannesburg auf einer Eisenbahnfahrt gehörten Indiskretion des Generals Townshend über die Vereinbarungen zwischen England und Frankreich über die Bereit⸗ schaft zum Kriege haben wir eine der dicksten 7 em aus der Ent⸗ stehung des Weltkrieges gefunden. Der General owushend ist mit der Tochter eines bekannten jüdischen Bankiers aus Antwerpen ver⸗ heiratet, dies hat das Wolffbureau fortgelassen. Das Wolffbureau hat vor dem Kriege und auch noch im Kriege mit Reuter gemein⸗ same Agenturen in Holland unterhalten. (Vizepräsident Dr. Paasche ersucht den Redner, nicht zu weit von der Zensurdebatte abzuschweifen.) Der nationale Ausschuß für einen dauernden Frieden hat bei den Flaumachern eine große Nolle gespielt. (Vizepräsident Dr. Paasche bittet den Redner abermals, bei der Sache zu bleiben.) Die „Staatsbürgerzeitung“ dagegen ist für die ganze Dauer des Krieges verboten worden, was keinem anderen Blatte geschehen ist. Verboten ist die Erörterung der Kriegsziele, verboten ist die Kritik des Reichskanzlers. Mit Recht hat Dr. Roesicke die Zeppelinbriefe erwähnt. Für das Aufklärungsbedürfnis weiter Kreise wäre es dringend notwendig daß man guch den ersten und zweiten und auch den vierten Brief des Grafen veröffentlichte; mit dem dritten allein kann die große Menge nichts anfangen. Verboten wird durch die Zensur die Erörterung der U⸗Boot⸗Frage, der polnischen Frage, die Kritik neutraler Staaten, die unsern Gegnern Munition liefern. Von Por⸗ tugal, Italien, Rumänien haben wir die scheußlichsten Angriffe und Karikaturen auf dem Kaiser usw. hinnehmen müssen, ohne etwas da⸗ gegen sagen zu dürfen; was haben wir einstecken müssen von den Leuten jenseits des großen Teiches! Den Nationalisten gegenüber hat Herr Ballin das Wort geprägt „Maul halten!“. Das ist kein Burgfrieden mehr, das ist ein Friedhof der öffentlichen Meinung, eine bodenlose Herabwürdigung der Presse. Man spricht von einer alldeutsch⸗konser⸗ vativen Kanzlerfronde. Im Alldeutschen Verbande sitzen auch Frei⸗ sinnige, leider bis jetzt nur wenige; sogar die Sozialdemokraten fangen an, seine Bestrebungen zu würdigen. Herrn Professor Harnack ist nachgewiesen worden, daß er die von ihm angegriffene Denkschrift des Verbandes gar nicht kennt. Wie kann man Hunderttausende geistig mündiger, geschichtlich gebildeter Menschen unter ein Ausnahmegesetz stellen? Mit Zensur, Standrecht, Haussuchungen, Verhaftungen hat man diesen nationalen Kreisen gegenüber das Uebermenschenmögliche geleistet. Bei dem Heidelberger Privatdozenten der Philosophie Arnold Ruge ist auf Veranlassung der Berliner Staatsanwaltschaft Haussuchung gehalten worden, weil man in ihm den Verfasser der Broschüre von Junius Alter vermutete, wahrscheinlich weil der Demo⸗ krat Arnold Ruge in den 40er Jahren des vorigen Jahrhunderts auch Junius⸗Briefe geschrieben hat! Wer hat diese geistig führenden Männer denn in die geheimen Konventikel verwiesen, wenn nicht die Zensur? Eine Politik, die keine Kritik vertragen kann, ist nicht viel wert. Die Kriegsziele müssen der Erörterung freigegeben werden, das freie Volk muß das freie Wort haben!
Abg. Stadthagen (soz. Arbeitsgem.): An dem Belagerungs⸗ zustand läßt sich nicht herumdoktern, das System muß geändert, der Belagerungszustand muß aufgehoben werden. Der Staatssekretar verwies auf England und Frankreich und versuchte darzulegen, es stände dort ebenso schlimm, vielleicht noch schlimmer. Auch wenn er recht hätte, was nützte denn das? Es ist ein schlechter Trost, Ge⸗ nossen im Unglück zu haben. Aber es stimmt damit nicht; auch wenn die tatsächlichen Anführungen des Staatssekretärs richtig sind, so steht es in England erheblich besser als bei uns. Der Staatssekretär hob hervor, daß auch 2 englische Arbeiterzeitungen unterdrückt worden 1 Das ist geschehen, weil sie die Arbeiter in den Munitions⸗ abriken zum Streik aufgereizt hätten. Die Blätter erscheinen aber weiter, ohne daß irgend welche „Garantien“ gefordert worden sind. Bei uns geschieht nicht nur das, sondern es würde auch sofort gegen die Preßsünder wegen Kriegs⸗ und Landesverrat eingeschritten werden. Bei uns müssen doch die Blätter dem Volke vorlügen, daß die Zensur in ihnen nicht gewaltet hat: Lücken im Text dürfen nicht vorkommen, Striche dürfen nicht gemacht werden. In der „Solinger Zeitung“ war eine Bemerkung wiedergegeben, welche die Mutter Goethes gegen Elise von Bethmann, die Ururgwoßmutter des Reichskanzlers, gemacht hat, nämlich, sie sei ein Hasenfuß. Dagegen ist die Zensur einge⸗ schritten. Es steht das ungefähr auf derselben Stufe, wie das Verbot des Französischsprechens, weil die kämpfenden Truppen, wie gestern der Oberst von Wrisberg meinte, nervös werden, wenn in ihrem Rücken Französisch gesprochen wird. Alle diese mehr komischen Ein⸗ zelheiten beweisen nur die absolute Unhaltbarkeit des Systems; das muß fallen. Desto ernster sind die Verstöße gegen die Immunität der Abgeordneten, wie im Falle Herzfeld. Der Abg. Herzfeld wurde auch unter Briefsperre gestellt, ohne daß ihm von einer Behörde Mitteilung gemacht wurde. Dies Verfahren verstößt gegen die Reichsverfassung, gegen das Reichspostgesetz und die preußische Verfassung, die das Briefgeheimnis garantieren. Wir haben es hier mit einem neuen schwarzen Kabinett zu tun. Verantwortlich will der Reichskanzler sein. Was hat er getan? Nichts! Der kommandierende General ist nur der Disponent, ein Instrument der politischen Polizei, sie ist noch weit allmächtiger während des Belagerungszustandes als vorher. Selbst die Gerichte ordnen sich ihr unter. Die politische Polizei ist für uns dasselbe wie die alte Staatsinquisition in Venedig. Sie scheut auch nicht vor Eingriffen in die Tätigkeit des Generalstabes zurück. Als der „Vorwärts“ gegen die Verbreitung falscher Nachrichten Stellung nahm und der Generalstab sich damit einverstanden erklärte, schritt das Polizeipräsidium gegen den „Vorwärts“ ein. Dies System macht auch vor dem Recht des Parlaments nicht halt. Möge sich die Regierung die Geheimakten der Berliner Polizei geben lassen, wenn sie einzelne Fälle kennen lernen will. Das Immunitätsrecht des Reichstags sollte von allen Parteien geschützt werden. Auch die Haus⸗ suchung bei dem Abg. Herzfeld war gesetzwidrig, sie verstieß gegen Art. 31 der Reichsverfassung. Dieser Fall ist noch schlimmer als der frühere Fall des Abg. Erzberger. Es handelt sich hier um eine flagrante Verhöhnung der Verfassung, um einen Bruch von Gesetz und Recht, um eine Mißachtung des Reichstags. Aehnlich liegen die Fälle unserer Kollegen Antrick, Haberland und Thiele. Bei diesen wurde wegen eines Flugblattes eine Haussuchung gehalten, das sich gegen ihn selbst als Mitglied der sozialdemokratischen Fraktion richtete. Hier kommt zur Rechtsverletzung noch ein Mangel an Verstand. Der Abg. Herz⸗ feld hat sich schließlich wegen Verletzung des Briefgeheimnisses an den Reichskanzler gewandt. Darquf hat er nur die Antwort erhalten, daß seine Beschwerde an den Krießsminister weiter gegeben sei. Gegen uns und die Alldeutschen wird mit zweierlei Maß gemessen. Ein Genosse in Stuttgart wurde wegen einer Versammlung mit 4 Monaten Gefäng⸗ nis belegt, die Alldeutschen durften ungestört eine Versammlung abhalten. In Bremen wird das Versammlungsrecht geradezu verhöhnt. Die Vorträge müssen acht Tage vorher angemeldet werden, eine Diskussion darf nicht stattfinden. Das geschieht alles im Berliner Polizeiinteresse. Es geht so weit, daß hier Kriminalkommissare unter dem Deckmantel des Oberkommandos Jugendliche durch Geld und die Aussicht auf Befreiung vom Militärdienst zu Spitzeleien und zum Verrat ihrer Genossen zu verleiten suchen. In einem Falle bot der Kommissar 80 ℳ für die Auskunft, wie es in den jugendlichen Bildungsvereinen zugehe; man werde es schon so machen, daß er nicht Soldat zu werden brauche. Als der junge Mann dies ablehnte, verwies der Kommissar auf die Rumänen, die sich auch hätten bestechen lassen. Der junge Mann sagte schließlich, er wolle die Sache seiner Mutter sagen. Nein, nein, meinte der Kommissar, wisse er nicht einen anderen jungen Mann? Und da verlangt die Regierung Ehrfurcht vor den Beamten? Was nützt es, wenn der Kriminalkommissar lediglich einen Rüffel bekommt oder entlassen wird, das System bleibt. Ich kann dem Staatssekretär den urkundlichen Beweis erbringen, daß Jugendliche wiederholt zu solchen ehrlosen Schuftereien verleitet worden sind. Es ist vorgekommen, daß tatsächlich militärdienstuntaugliche Leute plötz⸗ lich eingestellt wurden, bloß wegen ihrer unbequemen politischen Ueber⸗
Gesuche der Kriegsbeschädigten zu ihrem Vorteile aus⸗
des Herxn Ullstein Ae ist. Ferner ist da die „Frankfurter Zeitung“, auch „Süddeutsche Allgemeine Zeitung“ genannt, die durch
zeugung. Die Herren vom Kriegsministerium mögen dies mißbilligen, aber was hilft das. Das Militärverbot des „Vorwärts“ ist zwar