1916 / 283 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 01 Dec 1916 18:00:01 GMT) scan diff

des Kmiegsamts appellieren zu sollen. Ich habe dafür nicht das rechte Verständnis. Es gibt nur eine einheitliche Reichsleitung, und was ich hier spreche, spreche ich namens der Reichsleitung.

Dann hat der Herr Abgeordnete Schiffer den zweiten Absatz des

2 des gemeinschaftlichen Antrages zur Sprache gebracht, der sich uf die Landwirtschaft bezieht. Der Herr Abgeordnete Schiffer hat bemerkt, daß dieser Absatz auf den ersten Blick nicht ganz verständlich sei; es könne daraus eine Vorzugsstellung für einen bestimmten Erwerbszweig herausgelesen werden. Meine Herren, von einer solchen Vorzugsftellung ist keine Rede. Es sollen durch diesen Paragraphen lediglich den besonderen Verhältmnissen der Landwirtschaft, die das größte Saisongewerbe ist, das wir haben, Rechnung getragen werden. Die Landwirtschaft braucht bekanntlich im Winter, in dem wir nahezu sind, erheblich weniger Arbeitsknäfte als im Frühjahr und im Herbst. Wenn jetzt aus der Landwirtschaft die Arbeitskräfte, die augenblicklich ganz vorübergehend überflüssig sind, herqusgeholt werden, dann sind sie nicht da, wenn die Frühjahrsarbeiten anfangen. (Sehr richtig! rechts.) Diesen Umständen soll Rechnung getragen werden durch die Bestimmung des Absatzes 2, damit nicht etwa auf Grund einer ganz vorübergehenden Uebersetzung der landwirtschaft⸗ lichen Betriebe mit Arbeitskräften eine große Schädigung hervor⸗ gerufen wird. 1

Verschiedene Herren haben die Frage der Zuziehung der Land⸗ wirtschaftskammern, der Handels⸗ und Gewerbekammern, der Hand⸗ werkerkammern und ebenso der Gemeindebehörden aufgeworfen bei der Entscheidung über die Frage, ob ein Betrieb als krigsnotwendig an⸗ zusehen ist oder nicht. Ich habe schon gestern erklärt, daß die Heran⸗ ziehung dieser Instanzen bei den zu treffenden Entscheidungen im weitesten Umfang beabsichtigt ist.

Der Herr Abgeordnete Schiffer hat nun bei der Frage, wo etwa überflüssige Arbeitskräfte herausgeholt werden können, auch auf die Justizverwaltung hingewiesen. Die Ausführungen, die er gemacht hat, haben mich außerordentlich interessiert; das Haus kann überzeugt sein, daß wir die Frage, was hier geschehen kann, um etwa überflüssige Arbeitskräfte herauszuziehen, aufs genaueste prüfen werden. Ich halte die Anregungen für sehr dankenswert.

Dann ist die große Frage des Umschichtungsprozesses, den wir bier vornehmen müssen, von verschiedenen Herren sehr eingehend be⸗ sprochen worden. Ich wiederhole noch einmal: es ist nicht beabsichtigt, mit diesem Gesetz etwa eine Guillotine, eine Hin⸗ richtungsmaschine für Betriebe aufzustellen. Daran denkt niemand. Weder in den Richtlinien, die der Regierungsvorlage beigefügt sind, noch in dem Entwurf und in dem gemeinschaftlichen Antrage steht an irgendeiner Stelle, daß irgendeine Instanz berechtigt sein soll, einen Betrieb ohne weiteres zum Tode zu verurteilen. Durch die vorgesehenen Ausschüsse soll nur ein Urteil darüber ausgesprochen werden, ob ein Betrieb für die Kriegführung und für die Volks⸗ versorgung notwendig ist oder nicht, und zwar mit der einzigen Rechts⸗ folge, ob aus ihm Arbeitskräfte für den vaterländischen Hilfsdienst herausgenommen werden dürfen oder nicht. Eine ganze Anzahl von Betrieben, die nicht für kriegsnotwendig erklärnt werden, aus denen also Arbeitskräfte herausgenommen werden dürfen, werden trotzdem weiterbestehen können genau ebenso wie bisher, wo auf Grund der Wehrpflicht doch aus zahlreichen Betrieben fortgesetzt Arbeitskräfte herausgenommen werden. Einzelne Industrien und Gewerbezweige werden ja ganz besonders getroffen werden. De facto wird es da zu Stillegungen, zu Zusammenlegungen und ähnlichen Maßnahmen in größerem Umfang als bisher kommen. Ich habe gestern schon gesagt, daß wir in diesem Punkte den Weg der freihändigen Vereinbarung mit den Interessenten, soweit irgendwie möglich, betreten wollen. Das Kriegsamt wird in der Lage sein, diese freihändige Verständigung in größtem Umfang heseiamehhs.

Sodann ist die andere) vichtige Frage, die Frage der Enk⸗ schädigung, erörtert worden. Wenn nun z. B. in der Textilindustrie Aufträge, die heute auf eine große Anzahl von Betrieben verteilt werden, im Einvernehmen mit den betreffenden Interessenten, die heute diese Aufträge haben und die zum Teil von diesen Aufträgen nichtt leben und sterben können, an einen einzelnen Betrieb übertragen werden, so liegt doch nichts näher, als daß über die Frage, wer die Aufträge bekommen soll, und wie die anderen, die keine Aufträge be⸗ kommen, abgefunden werden sollen, eine freihändige Verständigung Platz greift. Das wird gewiß nicht überall möglich sein, namentlich nicht in den unteren Schichten der Wirtschaft, bei den kleinen Ge⸗ werbetreibenden und Handwerkern. Aber da können Sie sich an das halten, was gestern der Herr General Groener und ich ausgeführt haben, daß nicht beabsichtigt ist, alles auf den Kopf zu stellen. Das Kriegsamt wird den einzelnen Fall ansehen und da, wo der Schaden, der durch die Stillegung oder Herausholung verursacht wird, den Vorteil überwiegt, auf die Arbeitskraft lieber verzichten. Wir wollen uns ja die großen Reservoire für die Arbeitskräfte erschließen und wollen uns nicht mehr als irgend nötig an die kleinen Existenzen halten.

Bezüglich der Entschädigungsfrage möchte ich auch hier die Bitte aussprechen, wie ich das in der Kommission schon getan habe, die Entschädigungsfrage mit großer Vorsicht zu behandeln. Ich verstehe durchaus den Gedanken, daß es billig erscheint, einen Ausgleich zu suchen dafür, daß durch dieses Gesetz auf der einen Seite durch die Entziehung von Arbeitskräften Betriebe geschädigt werden und auf. der anderen Seite durch die Zuführung dieser selben Arbeitskräfte andere Betriebe einen Vorteil haben. Aber, meine Herren, wir sollten uns hüten, im Bestreben nach diesem Ausgleich, im Streben nach dieser Gerechtigkeit zur größten Ungerechtigkeit zu kommen. Ich verweise auf die Parallele, die hier besteht zwischen der Wehrpflicht auf der einen Seite und der Hilfsdienstpflicht, die wir durch dieses Gesetz einführen, auf der anderen Seite. Durch die Wehrpflicht ist mancher aus seinem Berufe herausgerissen worden, mancher hat seinen Beruf aufgeben und einstellen müssen, und in sehr zahlreichen Fällen hat der Konkurrent, der nicht wehrpflichtig ist, den Vorteil davon gehabt. Der Mann, der der Wehrpflicht unterliegt, steht draußen vor dem Feinde, setzt sein Leben aufs Spiel, hat vielleicht sein Leben verloren, sodaß die Familie im Elend zurückgeblieben ist. Dieser Mann oder seine Familie ist schwer geschädigt, und gleichwohl besteht eine Ent⸗ schädigungspflicht hier bis heute nicht.

Nehmen Sie nun diesen Mann und. auf der anderen Seite jemand, der auf Grund des Gesetzes, das wir jetzt schaffen, aus seinem Beruf herausgeholt wird und genau dieselbe Schädigung er⸗ fährt wie der Wehrpflichtige, der aber nicht vor den Feind gestellt wird, sondorn vielleicht in der Schreibstube sitzt, wo es nicht kalt ist

wie im Schützengraben, sondern behaglich warm, der nicht einfach die Löhnung eines Soldaten bekommt, sondern ein anständiges Gehalt bezieht, entspricht es da der Gerechtigkeit und Billigkeit, daß derjenige eine Entschädigung hekommt, der zwar nach dem Gesetz über die Hilfspflicht herangezogen wird, aber doch so viel besser dran ist als der andere, der durch das Gesetz über die Wehrpflicht herangezogen wird und in den Schützengraben kommt, ohne daß ihm ein Recht auf Entschädigung zusteht? Glauben Sie, daß man das im Volke verstehen würde? Ich halte das für ausgeschlossen. Ich glaube, in diesem Punkte werden wir sehr vorsichtig sein müssen. Die Sache muß genau durchdacht werden und kann jedenfalls, wie ich glaube, nicht im Rahmen dieses Gesetzes entschieden werden.

Ich sehe überhaupt die Möglichkeit eines Ausgleichs, die Mög⸗ lichkeit, dem berechtigten Volksempfinden Rechnung zu tragen, mehr nach der anderen Seite hin. Es hat seine große Berechtigung, was namentlich auch der Herr Abgeordnete Dr. Stresemann heute aus⸗ geführt hat: die Hypertrophie der Kriegsindustrie wird durch dieses Gesetz beschleunigt, und die Blutleere der anderen Industrien, die nicht für den Krieg arbeiten oder an Rohstoffmangel leiden, wind durch dieses Gesetz gleichfalls verschlimmert. Die Ungleichheit, die durch den Krieg in alle Verhältnisse hineingetragen worden ist, wird dadurch weiter verstärkt. Das ist bedauerlich, meine Herren, aber es ist das nicht eine Wirkung dieses Gesetzes, sondern das steht genau auf demselben Brett wie das ganze Gesetz hier selbst, auf dem Brett, daß die Armee Munition braucht. Es ist nicht die Rücksicht auf die Betriebe, die für den Krieg arbeiten, daß wir dieses Gesetz machen, sondern einfach die Rücksicht auf den Bedarf der Armee, und diese Rücksicht muß allem anderen vorangehen. Ungleichheiten, die daraus enkstehen, müssen in Kauf genommen werden, und wir können uns höchstens überlegen, ob und wie wir da ausgleichen.

Ich habe bereits in der Kommission ausgeführt: die Frage, wie die besonderen Vorteile, die der Industrie etwa daraus erwachsen, daß ihr auf Grund dieses Gesetzes Arbeitskräfte zugewiesen werden, für die Allgemeinheit gesichevt werden können, bedarf der aller⸗ ernsthaftesten Prüfung. An sich sind ja verschiedene Wege denkbar. Es ist vorgeschlagen worden, daß nachträglich Preisänderungen von abgeschlossenen Verträgen Platz greifen sollen, auch daß weiterhin Lieferungsverträge vom Kriegsministerium abgeschlossen werden sollen mit dem Vorbehalt zugunsten des Staates, nachträglich auf Grund einer Prüfung durch einen Ausschuß oder eine sonstige Instanz ein⸗ seitig diese Vertragspreise zu ändern. Das ist erstens ein sehr be⸗ denkliches Prinzip. Ferner aber: wenn ich mit einem anderen einen Vertrag schließe und mir das Recht vorbehalte, den Vertrag ein⸗ seitig abzuändern, dann glaube ich nicht, daß das für den anderen gerade einen besonders großen Antrieb gibt, solche Verträge zu schließen und auf Grund solcher Verträge zu arbeiten. Diesen be⸗ sonderen Antrieb brauchen wir aber, wir brauchen die volle Kraft und den vollen guten Willen unserer Rüstungsindustrie.

Weiter hat dieses System den anderen Nachteil, daß die Ge⸗ winne, die möglicherweise da und dort auf Grund dieses Gesetzes erzielt werden können, oder die Mehrgewinne, die vielleicht daraus resultieren, gar nicht einseitig bei denjenigen Unternehmungen liegen, die Verträge mit dem Kriegsministerium oder mit dem Kriegsamt⸗ oder überhaupt mit dem Reich abschließen. An den Granaten und Kanonen allein werden keine Kriegsgewinne erzielt. Ich habe in der Kommission darauf aufmerksam gemacht, daß die Gewinne in anderen Industrien, in den Vorindustrien, möchte ich sagen, die Werk⸗ zeugmäschinen, Drehbänke und ähnliches herstellen, vielleicht bedeutend größer sind als die Gewinne, die direkt bei den staatlichen Lieferungen erzielt werden. Bei den letzteren hat das Kriegsministerium doch im Laufe des Krieges ohnehin schon sehr erheblich eingegriffen. Aber alle die Gewinne, die nicht aus Lieferungen an den Staat erzielt werden, lassen Sie frei, wenn Sie den Ausgleich lediglach dari suchen, daß die Verträge mit dem Staat und dem Reich modifiziert werden sollen. Aus diesem Grunde heraus half 4 schon in der Kommission es ist das meine persönliche Meinung, die Frage ist im Kreise der verbündeten Regierungen noch nicht weiter geprüft worden dahin ausgesprochen, daß mir der richtige Ausgleich auf dem Gebiet der allgemeinen Besteuerung der Kriegs⸗ gewinne zu liegen scheint. Ich habe auch darauf hingewiesen, daß man in England, wo das Munitionsgesetz eine Beschränkung der Gewinne für die Munitionsfabriken vorgesehen hat, einen Weg be⸗ treten hat, der ungefähr auf dasselbe hinauskommt. Wenn dort vor⸗ geschrieben ist, daß die Gewinne nicht über ein gewisses Maß hinaus die Gewinne der Friedenszeit überschreiten dürfen, so liegt hier der⸗ selbe Grundgedanke vor, auf dem unsere Kriegsgewinnbesteuerung beruht. Daß auch hier die Schwierigkeiten sehr groß sind, will ich nur andeuten. Schwierigkeiten sind aber schließlich dazu da, um überwunden zu werden.

Meine Herren, ich glaube, das wäre das Wesentliche, was ich zu den bisherigen Ausführungen zu antworten hätte.

Präsident des Kriegsamts, Generalleutnant Auch die gesamte Seelsorge steht im vaterländischen Hilfs⸗ dienst. Ferner gehören auch die kommunalen Einrichtungen für Ernährungszwecke zu den behördlicken Einrichtungen. Die Schulen fallen auch darunter. Aber wenn keine Schüler mehr da sind, müssen wir den Lehrer mit anderem beschäftigen. Unter der Volksversorgung ist nicht nur die materielle und leibliche, sondern auch die geistige, auch die juristische usw. Versor ung zu verstehen. Dahin gehört auch die Tagespresse, die Provinzialpresse, auch die religiöse Fee und die Facreße Wir werden die letztere gerade für spezielle Zwecke besonders benutzen müssen. Dazu rechne ich auch die Rechts⸗ anwälte, ohne dazu aufzufordern, recht viele Prozesse zu machen (Heiterkeit), aber unsere Rechtspflege kann nicht stillstehen. Gerade die Formel des § 2 soll dem Kriegsamt eine gewisse Freiheit lassen. Darüber werden wir uns verständigen können, daß die Beschäftigung der technischen Studierenden auf ihre Studienzeit angerechnet wird.

Damit schließt die Diskussion.

Abg. Gothein (fortschr. Volksp.) erklärt in persönlicher Be⸗ merkung, daß der vermeintliche Widerspruch zwischen ihm und dem Abg. Payer ein Mißverständnis sei.

In der Abstimmung wird der Antrag der sozialdemokra⸗ tischen Arbeitsgemeinschaft, statt des 60. Jahres zu setzen das 45 Jahr, gegen die Stimmen der Antragsteller und einiger Mitglieder der sozialdemokratischen Fraktion abgelehnt, 1 in der vorliegenden Fassung gegen die Stimmen der sozial⸗ demokratischen Arbeitsgemeinschaft angenommen.

Der § 2 lautet nach dem Antrage Spahn:

. Als im vatevländischen Hilfsdienst tätig gelten alle Personen,

die bei Behörden, bebörblichen Einrichtungen, in der Kriegsindustrie, in der Land⸗ und Forstwirtschaft, in der Krankenpflege, in kriegs⸗

wirtschaftlichen Organisationen jeder Art oder in sonstigen Berufen oder Betrieben, die für Zwecke der Kriegführung oder der Varhe

Groenert

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versor itelba mittelbare Bedeutun en, beschäfti ilfsdienstpflichtige, die vor dem 1. August 1916 in einem band⸗ und forstwixtschaftlichen Betriebe tätig waren, dürfen aus diesem Berufe nicht zum Zwecke der Ueberweisung in eine andere Beschäftigung im vaterländischen Hilfsdienst herausgezogen werden.

Von den Abgg. Bernstein u. Gen. (soz. Arbeitsgem.) ist beantragt, auch den „Zeitungsbetrieb“ in §8 2 aufzuführen, sowie den zweiten Absatz zu streichen.

Abg. Giesberts (Bentr.) glaubt, daß u. a. auch die Kranken⸗ kassenverbände unter diesen Paragraphen fallen.

Abg. Bauer (Soz.) wünscht das gleiche für die Arbeiter⸗ sekretariate.

Staatssekretär des Innern, Staatsminister Dr. Helfferich:

Ich will auf diese Frage gleich antworten. Der Herr Ab⸗ geordnete Bauer findet eine Unklarheit darin, daß es im § 2 heißt: Als im vaterländischen Hilfsdienst tätig gelten alle Personen, die bei Behörden, behördlichen Einrichtungen usw. tätig sind. Er hat gefragt, ob damit das Gesetz in seiner Gesamtheit auf diese Personen Anwendung finde, also auch auf Frauen und Jugendliche. Das ist nicht der Fall. Im Gesetz ist nur im § 2 von diesen „Personen“ die Rede, im übrigen von den „Hilfsdienstpflichtigen“, und wo die Be⸗ stimmung des Gesetzes in Betracht kommt, die der Herr Ab⸗ geordnete Bauer im Auge hat, steht überall, soweit ich es in der Schnelligkeit habe übersehen können, ausdrücklich pflichtige“, so daß also die Folgerungen, die der Herr Abgeordnete Bauer befürchtet, nach meiner Ansicht nicht gezogen werden können. Bei der Beratung der einzelnen Paragraphen würde es sich empfehlen, darauf acht zu haben, ob das, was ich hier sage, auch in jedem einzelnen Falle zutrifft.

Was nun die Kriegsnotwendigkeit und die Anerkennung der Organisationen und ihrer Organe, der Krankenkassen, der Kranken⸗ kassenverbände, der Berufsorganisationen der Arbeitgeber und Ar⸗ beitnehmer anlangt, so habe ich gestern bereits erklärt, daß die ver⸗ bündeten Regierungen der Ansicht sind, daß diese Organe allerdings für die Volksversorgung und für die Kriegführung bedeutungsvoll sind. Wir haben das ja bezüglich der Arbeiterorganisationen, die Herrn Abgeordneten Bauer besonders interessieren, durch die stetige Fühlung mit ihnen, die wir bisher genommen und gehalten haben, ausdrück⸗

lich anerkannt, und diese Anerkennung wird auch in Zukunft aufrecht⸗

erhalten werden.

Abg. Bassermann (nl.): Wir sind dankbar für die auf⸗ klärenden Bemerkungen, die der Generalleutnant Groener über die Tragweite des § 2 gegeben hat. Wir nehmen an, daß unter der „Presse“ auch das technische Personal verstanden wird. Das gleiche gilt von den Bemerkungen über die Rechtsanwälte. Die Erklärung über die Krankenkassenvorstände bitten wir noch zu ergänzen durch eine entsprechende Ausführung über die Banken und die Versicherungs⸗ gesellschaften. Eine Zwangspflicht für Frauen und für die weib⸗ liche Jugend kann in diesem Stadium jedenfalls nicht in Frage kommen; wonn der Gedanke aus der Not der Zeit heraus an uns herantreten sollte, wird er noch näher geprüft werden nüssen. Gegen die Heranziehung der sich freiwillig Meldenden kann natürlich nichts eingewendet werden; jedenfalls sollte man weibliche Personen, die sich zur Verfügung stellen, nicht abweisen.

Präsident des Kriegsamts Genaralleutnant Groener: Banken

und Versicherungsanstalten fallen unter den vaterländischen Hilfs⸗

dienst. Weibliche Personen, insbesondere auch Studentinnen, wenn

sie sich uns anbieten und gecignet erscheinen, sollen uns willkommen

sein. .

Abg. Schiele (dkons.): Auf den Absatz 2 muß die Landwirt⸗ schaft den höchsten Wert llegen. Die Produktion der Landwirtschaf ist heute mindestens so wichtig, wie die in den Industrieen. Die Landwirtschaft muß vor allem mit Facharbeitern unterstützt werden. Um 10 bis 20 Prozent sind wir mit der Herbstbestellung zurückge blieben, das muß im Frühjahr nachgeholt werden, mit Menschen un Pferden. Den Gedanken, daß uns im Winter Leute weggenomme werden könnten, müssen wir ablehnen. Es müssen auch Geldmitte sur Verfügung gestellt werden, damit die Landwirtschaft den erforder ichen Stickstoff für Düngerzwecke im Frühjahr erhalten kann, sonf wäre ein Rückschlag in dem Ernteergebnis von vielleicht 25 rozent die Folge. Wenn wir Milch umnd Butter produzieren sollen müssen wir die geeigneten Kräfte in den Stall bekommen, die das Vieh pflegen. Für die Landwirtschaft überwiegt bei den Frauen nich das Angebot, sondern die Nachfrage.

Staatssekretär des Innern, Staatsminister Dr. Helfferich

Ich wollte nur wegen des Stickstoffs auf die Anfrage des Herrn 1 Vorredners mitteilen: In bezug auf die Erhöhung der Stickstoff⸗ produktion geschieht alles, was geschehen kann. Sie wissen ja, was im Kriege bereits geleistet worden ist; Zahlen brauche ich Ihnen hier nicht zu nennen. Aber die Landwirtschaft operiert auf diesem Gebiet leider mit einem mächtigen Gegner, der eigentlich unser größter Freund ist. Das ist die Munition. zeugt sein: was irgend geschehen kann, um die Stickstoffproduktion so rasch wie möglich zu steigern, das geschieht. (Bravo! rechts.)

Abg. Behrens ffortschr. Volksp.): Wie soll es gehalten werden, wenn landwirtschaftliche Saisonarbeiter in einen anderen vaterländischen Hilfsdienst, etwa in einen gewerblichen, übergetreten sind? Es muß jedenfalls vermieden werden, daß für sie eine arbeits⸗ lose Zeit entsteht.

Staatssekretär des Innern, Staatsminister Dr. Helfferich:

Ich möchte dem Herrn Abgeordneten Behrens auf seine Frage antworten. Nach dem § 2 ist ja nur vorgesehen, daß solche Arbeits⸗ kräfte, die am 1. August in der Landwirtschaft tätig waren, nicht auf Grund der Hilfspflicht aus der Landwirtschaft gegen ihren Willen horausgezogen werden dürfen. Freiwillig herausgehen können sie ja heute schon. Da bringt das Gesetz keine Neuerung. Wenn sie herausgehen und eine Arbeit in einem anderen Tätigkeitsbereich der Hilfspflicht annehmen, so entsteht allerdings die Schwierigkeit mit dem Abkehrschein. Bisher konnten sie ohne weiteres zurückkehren. In Zukunft brauchen sie den Abkehrschein. Aber ich glaube, wenn die Frühjahrsbestellung kommt und die Arbeiter, die aus der Land⸗ wirtschaft herausgegangen sind, dorthin zurückkehren wollen, wird ihnen wegen des Abkehrscheins keine Schwierigkeit in den Weg gelegt werden, (bravo!l rechts), auch wenn der Unternehmer das wollte. Ich glaube, das würde doch mit zu dem Begriff des „wichtigen Grundes“ gehören; denn die Frühjahrsbestellung ist ein so wichtiger Grund, daß ich mir einen viel wichtigeren kaum denken kann. (Bravo! rechts.)

Abg. Dittmann (soz. Arbeitsgem.) begründet den Antrag seiner Fraktion, betreffend den Zeitvagsbetrieb, und weiter einen Antrag seiner Fraktion, wonach alle industriellen EEEEE“ Betriebe des § 2 sür Rechnung des Reiches betrieben werden sollen: die bisherigen Unternehmer erhalten einen angemessenen⸗ Pe tzins, über den im Wege der Ausführungsbestimmungen eine Regelung getroffen wird. Gehört der Betrieb einer Gefellschaft, für die Auf⸗ sichtsräte bestellt sind, so fällt für diese die Tantieme fort.

„Hilfsdienst⸗

Aber die Herren dürfen über⸗

Abg. Held (nl): Wenn wir die Landwirtschaft nickt fördern in der ungeheuer schwien gen Lage, in dey sie sich befindet, dann sind wir überbaupt am Ende. Es handelt sich keineswegs um die Agrarier, es handelt sich um die mittlere und kleine Landwirtschaft, der schon jetzt fast alle Betriebe räfte fehlen. Die Lieferung des Stickstoffes in genügenden Menge ist für die Landwirtschaft und für die naächste Ernte geradezu eine Lebensfrage. Bei der Verteilung der Arbeits⸗ kräfte muß die Landn rtschaft der empfangende Teil sein.

Abg. Stadthagen (soz. Arbeitsgem.): Wir beantragen einen neuen, 8 2, der best mmt, daß die im paterlärdischen Hufsdienst tatigem Personen nicht den Kriegsgesetzen umerliegen, insbesondere nicht dem Militarstrafgesetzbuch vom 20. Juni 1872. Will man die Hilfs⸗ dienstpflichtigen wirksam schützen, so muß man den von uns be⸗ antragten § 2 b annehmen, der vorsieht, daß diese Personen den ihrer Tätigkeit entsprechenden Bestimmungen des B. G.⸗B., der Gewerbe⸗ ordnung und des Handelsgesetzbuchs unterliegen.

1 85 Fegter (fortschr. Volksp.): Den in der Landwirtschaft tätigen Frauen gebührt unser Lob und Dank. Die Frauen der Besitzer, Bauern und der Landarbeiter haben sich in diesem Kriege ein großes Verdienst erworben. Die landwirtschaftlichen und sonstigen Kredit⸗ genossenschaften verdienen alle Unterstützung.

Abg. Wurm (soz. Arbeitsgem.). Die Lohnverhältnisse der Firtssi nsapfticht gen werden in dem Gesetz und den Anträgen über⸗ haupt nicht berührt; die Resolution der bböbö Fraktion empfiehlt nur eine Berücksichtigung in den Ausführungsbestimmungen. Das genügt nicht. Wir beantragen deshalb in einem § 2c, daß die eeevgg . Vergütung erhalten sollen nach den mit der

Urbeiter⸗ und Angestelltenorganisation vereinharten Sätzen unter Be⸗ rücksichtigung der durch die Teuerung erforderlichen Mehraufwendungen für den Unkerhalt. Eine bloße Resolution ist nur ein Schlag ins Wasser. 1

Abg. Kunert (soz. Arbeitsgem.) befürwortet einen neuen § 2 b, der bestimmt, daß Frauen, die in den Betrieben im Sinne des § 2 tätig sind, für gleiche Leistung den gleichen Lohn wie die männ⸗ lichen Arbeiter oder Angestellten erhalten. Das sei ein Gebot sozialer Gerechtigkeit. Ferner wünscht seine Partei, daß die Hilfsdienstpflichti⸗ gen vollständig der Reichsversicherung unterliegen sollen, und daß die tägliche Arbeitszeit dieser Personen höchstens acht Stunden dauern soll, daß das Gesetz vom 4. August 1914, betreffend Ausnahmen von Beschäftigungsbeschränkungen gewerblicher Arbeiter, außer Kraft tritt, und daß für jugendliche Arbeiter unter 18 Jahren und für Frauen die Nachtarbeit verboten wird.

Abg. Bauer (Scz.): Für einen weitgehenden Schutz der Frauen werden wir stets eintreten und für den betreffenden An⸗ trag stimmen. Den Vorwurf des Abg. Wurm gegen meine Frak⸗ tion weise ich zurück. Wir haben uns bemüht, solche Vorschriften, wie er sie will, in das Gesetz selbst hineinzubringen. Wir haben damit keinen Erfolg gehabt, und darum haben wir zu dem Notbehelf der Resolution gegriffen. Das Gesetz schafft dem Arbeiter jedenfalls eine viel gesichertere Position, als er sie bisher gehabt hat.

Abg. Henke (soz. Arbeitsgem.) befürwortet einen § 2g, der bezweckt, daß die Zugehörigkeit zu einer bestimmten. politischen Partei oder Religionsgemeinschaft oder gewerkschaftlichen oder sonstigen Or⸗ ganisation für die Zuweisung einer Tätigkeit im vaterländischen Hilfs⸗ dienst nicht in Betracht gezogen werden darf. Eine gesetzliche Be⸗ stimmung sei auch notwendig, daß das Vereins⸗ und Versammlungs⸗ recht sowie das Koalitionsrecht unbeschränkt für die hilfsdiensttätigen Personen gelten.

Abg. Gothein (fortschr. Volksp.): Das Gesetz 1 sich nur auf die Männer, nicht auf die Frauen, und wir können hier nicht in das Gesetz Bestimmungen über die Frauen aufnehmen. Sie würden sich auch z. B. in der Landwirtschaft gar nicht durchführen lassen. Es handelt sich hier um die Herbeiführung der möglichsten Förde⸗ rung der Munitionsarbeit und da kann man nicht im Handum⸗ drehen die Nachtarbeit für die Frauen ohne weiteres ausschließen. Im übrigen liegt es mir fern, für eine übermäßige Ausdehnung der Arbeitszeit für Frauen und Jugendliche einzutreten. Eine solche Bestimmung gehört aber nicht in dieses Gesetz, sondern in die Aus⸗ führungsbestimmungen, das kann der Fünfzehnerausschuß regeln.

Mit der Beratung wird verbunden ein von den Abgg. Albrecht u. Gen. (Soz.) beantragter § 13 a. 8

den im vaterländischen Hilfsdienst beschäftigten Personen darf die Ausübung des Vereins⸗ und Versammlungsrechts zur Ver⸗ tretung ihrer wirtschaftlichen Interessen über die auf Grund des Gesetzes über den Belagerungszustand erlassenen Verordnungen hin⸗ aus nicht beschränkt werden.

Abg. Wurm (soz. Arbeitsgem.): Der Fünfzehnerausschuß kann uns hier nicht helfen, die Bestimmung gehört in das Gesetz.

Abg. Landsberg (Soz.): Wir sind zu unserem Antrag, be⸗ treffend den § 13a, gekommen, weil in dem Ausschuß sämtliche Ge⸗ werkschaftsführer einen gleichen Antrag gestellt haben.

Abg. Becker⸗Arnsberg (Zentr.): Der Antrag der sozialdemo⸗ kratischen Arbeitsgemeinschaft ist ein ungangbarer Weg, denn er will ein Sonderrecht für die Arbeiter schaffen. Der Antrag Albrecht will innerhalb der Schranken des Belagerungszustandes das Vereins⸗ und Versammlungsrecht der Arbeiter sichern. Ich bitte Sie, den Antrag Albrecht anzunehmen.

Abg. Wurm (soz. Arbeitsgem.): Die Fraktion des Vorredners hat ja in dem Ausschuß gegen den Antrag Albrecht gestimmt.

Staatssekretär des Innern, Staatsminister Dr. Helfferich:

Ich bin genötigt, ein Wort zu § 13a, der ja mit zur Diskussion steht, zu sagen. Wenn die Aufsassung unbedingt sicher zuträfe, der der Herr Abg. Becker Ausdruck gegeben hat, könnte man ja über die Sache hinweggehen. Der Herr Abg. Becker interpretiert so, daß durch die Formulierung des § 13a auf Nr. 535 an den bestehenden Zuständen nichts geändert werden würde. Er ist insbesondere auch der Meinung, daß in bezug auf die umstrittene Frage des Eisen⸗ bahnerverbandes auch nichts geändert werden würde gegenüber dem gegenwärtigen Zustand. Ich sage, wenn das so wäre und so unbe dingt sicher feststände, dann könnte der Antrag passieren, obgleich oder vielmehr weil er nichts Neues schafft, sondern den bisherigen Zustand unverändert läßt. Das scheint mir aber keineswegs sicher zu sein. Es könnte auch so interpretiert werden, daß ich will das Kind beim Namen nennen der Eisenbahnminister verhindert werden soll, dem Eisenbahnerverband gegenüber auf Grund des Vereinsgesetzes hat jedermann das Recht, dieser Verbindung beizutreten an seiner bisherigen Praxis festzuhalten, daß die Mitglieder von Vereinen, von Organisationen, die auf das Streikrecht nicht verzichten, in der Eisen⸗ bahnverwaltnng nicht angestellt werden. (Zuruf.) Ob das „schrecklich“ wäre oder nicht, das ist eine Frage für sich. Ich möchte nur klar⸗ steleen, was mit dem Antrag gemeint ist und was die Antragsteller beabsichtigen. Gegenwärtig kann ich nur sagen, daß ich nicht sicher bin, daß die Gerichte so interpretieren würden, wie es der Herr Abg. Becker getan hat.

Abg. Becker⸗Arnsberg (Zentr.): Zwischen dem Koalitions⸗ vecht und dem Streikvecht der Eisenbahner ist immer unterschieden worden. Ob dieser Unterschied juristisch haltbar ist, ist eine Sache für sich. Immerhin hat eine gesetzliche Bestimmung, wie wir sie wollen, eine moralische Wirkung, sie kann einen gewissen Druck auf die Behörden ausüben. Soll die Arbeitsfreudigkeit erhalten werden, so müssen die Anbeiterführer die Beschwerden der Arbeiter entgegen⸗ nehmen können. Wenn uns vom Feraegeche Pfagt werden würde, daß das, was wir wollen, selbstverständlich sei, daß es durchgeführt werden soll, dann läge die Sache für uns anders. Die Frage des Eisenbahnerstreiks wollen wir nicht damit aufrollen.

Staatssekretär des Innern, Staatsminister Dr. Helfferich:

Meine Herren! In der Sache sind wir vollkommen einig. Ich gebe die Versicherung ab, daß den verbündeten Regierungen bei der Vorlegung dieses Gesetzentwurfs nichts ferner lag, als irgendwie an dem bestehenden Zustande etwas zu ändern und zu ungunsten der Arbeiter zu verschlechtern. Dieser Gedanke lag den verbündeten Re⸗ gierungen durchaus fern. Der einzige Punkt, der mich veranlaßt hat, um das Wort zu bitten, war eben, darauf aufmertsam zu machen, daß eine verschiedene Auslegung hier möglich ist. Die Unklarheit, ob dadurch etwas herbeigeführt werden würde, was auch den Absichten des Herrn Abg. Becker (Arnsberg) fernliegt, besteht in der Tat. Ich wiederhole den Fall: der Eisenbahn⸗ minister, und zwar nicht bloß der preußische, sondern sämtliche Eisenbahnminister stehen auf dem auch von dem Herrn Vorredner als berechtigt anerkannten Standpunkt, daß die Eisenbahn⸗ verwaltungen nicht in der Lage sind, Leute dauernd anzustellen, die einer Koalition angehören, die auf das Streikrecht nicht verzichtet hat. Nach dem Vereinsgesetz ist jeder Deutsche berechtigt, einem Verein beizutreten. Daraus könnte die Frage eatstehen: wenn hier in diesem Gesetz eine neue Bestimmung getroffen wird, daß den im vpater⸗ ländischen Hilfsdienst Stehenden die Ausübung des Vereins⸗ und Ver⸗ sammlungsrechts nicht beschränkt werden kann, wird dann diese Be⸗ stimmung nicht die bisherige Auffassung der Eisenbahnverwaltuug einfach über den Hairfen werfen? Das beabsichtigen Sie nicht, Herr Abg. Becker. Die Herren Antragsteller scheinen eine solche Wirkung mit dem Paragraphen gleichfalls nicht zu beabsichtigen; sie wollen an anderer Stelle die Eisenbahnangelegenheit zur Sprache bringen. Also der gegebene Ausweg aus der Situation ist, daß die Herren auf ihren Antrag verzichten umd sich mit meiner Erklärung, die der Herr General Groener noch ergänzen wird, begnügen, daß unter keinen Umständen bei der Annahme des Gesetzes eine Verschlechterung des Vereins⸗ treten soll.

Präsident des Kriegsamts Generalleutnant Groener: Es ist selbstverständlich, daß die Arbreiterorganisationen sich auf den Boden des Gesetzes stellen werden; in diesem Sinne wird das Kriegsamt mit ihnen zusammenwirken. Ich kann also die Herren in der Sache beruhigen.

Abg. Becker⸗Arnsberg (Zentr.): Ich habe keine Erklärung verlangt dorüber, daß die Lage der Arbeiter nicht verschlechtert werden soll, sondem darüber, was geschehen soll, daß ihre Lage nicht ver⸗ schlechtert wird. Dieser Antrag bedeutet allerdings nur eine moralische Einwirkung auf die, die das Koalitionsrecht der Arbeiter nicht an⸗ erkennen.

Staatssekretär des Innern, Staatsminister Dr. Helfferich:

Ich habe vorhin nicht ohne Absicht gesagt, daß meine Erklärungen durch die des Herrn Gbeneral Groener ergänzt werden würden. Denn nach dem Gesetz soll die Ausführuug des Gesetzes beim Kriegsamt liegen, und Leiter des FLriegsamts bin nicht ich, sondern Herr General Groener. Ich kann mich nur zu den allgemeinen Fragen äußern, zu der Stellung, die die verbündeten Regierungen bisher bei der Be⸗ ratung des Gesetzes eingenommen haben zu der Frage, die hier auf⸗ geworfen worden ist. Und da kann ich nur bestätigen, daß die Absicht, irgendwie eine Beschränkung des gegenwärtigen Zustandes herbei⸗ zuführen, nicht vorgelegen hat. Auch nach der Auffassung des Herrn Abg. Becker ist gar nicht beabsichtigt, neues Recht mit diesem Paragraphen zu schaffen. Also rechtlich bleibt alles so, wie es ist nach ihrer Absicht und der meinigen. Ich sehe nur unsere gemein⸗ schaftliche Absicht durch die Aufnahme des neuen Paragraphen im Gesetz gefährdet. Ich weiß auch nicht, wenn Sie auf dem Boden dieser Meinung stehen, daß nichts geändert wird an dem Rechts⸗ zustand, wie etwa ein Druck durch diesen Paragraphen anders ausgeübt werden könnte als cruf moralischem Wege. Darin sind wir einig. Aber, Herr Abg. Becker, Sie wissen doch auch genau so wie die Herren da drüben (links), in welcher Weise die Regierung im bis⸗ herigen Verlauf des Krieges und ich darf wohl sagen in gesteigertem Maße mit den Gewerkfschaften zusammengearbeitet hat. Ich glaube

und Versammlungsrechts zuungunsten der Arbeiter ein⸗

also, der Verdacht, daß die Reichsleitung und die verbündeten Regie⸗

rungen ich glaube, er liegt Ihnen fern, aber er besteht leider Gottes noch anderswo —, als ob wir an der Zugehörigkeit irgendwelcher Arbeiter an irgendwelchen Gewerkschaften Anstoß nehmen könnten, ist doch durch die bisherige Praxis im Laufe dieses Krieges beseitigt worden. Und wenn mneine Erklärung durch das ergänzt worden ist, was Herr General Groener hier gesagt hat, so sollten wir, meine ich, doch über diesen Punkt einverstanden sein.

Abg. Dr. Mül TQr⸗Meiningen (fortschr. Volksp.): Wir haben mit dem Vereins⸗ und Versammlungsrecht sehr schlechte Er⸗ fahrungen gemacht. Sie dürfen sich über unser Mißtrauen nicht wundern. Gewiß haben wir zu dem Generalleutnant Groener alles Vertrauen, aber wir wissen nicht, wer morgen an seiner Stelle steht. Wir werden für den S 13 a stimmen.

Abg. Dr. Davi d. (Soz.): Dev gute Wille hört auf, wo die Macht der Herren in der Regierung aufhört. Darum ist es not⸗ wendig, durch das Gesetz einen moralischen Druck auszuüben.

Staatssekretär des Innern, Staatsminister Dr. Helfferich:

Ich habe doch den Eindruck, daß über die Sache noch nicht hin⸗ reichend Klarheit besteht. Entweder ist der Paragraph, der hier be⸗ steht, ein moralischer Paragraph oder ein juristischer Paragraph. Wenn er ein juristischer Paragraph ist, dann schafft er neues Recht; wenn er ein moralischer Paragraph ist, soll er altem, bestehendem Rechte zur Geltung verhelfen. Der Herr Abg. Becker ist der Ansicht, daß es ein moralischer Paragraph ist;: der Herr Abg. Dr. David ist der Ansicht, daß es ein juristischer Paragraph ist. Ich bin auch ver Ansicht, daß, wenn Sie das in das Gesetz hineinschreiben, es ein juristischer Paragrabh ist und daß mindestens die Frage sehr zweifel⸗ haft ist, ob die Gerichte den Paragraphen nicht so auslegen, wie ich das vorhin ausfürhrte, ob die Gerichte nicht entscheiden: nach dem Vereinsgesetz hat jeder Deutsche das Recht, eine zu bilden und Wereinen beizutreten. Ein Verein, der das Streikrecht auf seine Fahne schreibt, ist ein Verein, dem jeder Deutsche beitreten kann. Die preußische Eisenbahnverwaltung und die anderen Eisenbahnverwaltungen haben bisher erklärt, daß sie Leute nicht dauernd anstellen Fönnen, die Vereinen angehören, die auf das Streikrecht nicht verzichtet haben. (Zuruf von den Sozialdemokraten.) Es ist das nicht nur bei der preußischen Eisenbahnverwaltung, sondern es ist bei den anderen genau ebenso, auch in Süd⸗ deutschland.

Ich sage also, ich habe die Befürchtung, daß die Auslegung möglich ist, sogar wahrscheinlich ist, nach der durch diesen Paragraphen der Eisenbahnverwaltung das Festhalten an der bisherigen Praxis

Ver⸗

8

unmöglich gemacht wird. Wenn diese Gefahr bestebt, und wenn die Herren nicht die Absicht haben, ein neues Recht zu schaffen, so scheint es mir doch nur konsequent zu sein, daß Sie den Paragraphen ab lehnen. Andernfalls bringen Sie in einem so wichtigen Punkte eie Unklarheit in das Gesetz hinein. Ich glaube, das ist etwas, was nicht so ohne weiteres verantwortet werden kann. Ich möchte alsv

dringend bitten, den § 132a abzulehnen. 1“

Abg. Dr. Müller⸗Meiningen (fortschr. Volksp.): Mit dem Streikrecht hat der Paragraph nichts zu tun. Er handelt nur vom Vereins⸗ und Versammlungsrecht. Es soll hier nur über das Vereins⸗ und Versammlungsrecht Klarheit geschaffen werden. Solange die Re⸗ gierung nicht klar ausspricht, daß das Vereins⸗ und Versammlungs⸗ recht durch das Disziplinarrecht nicht durchbrochen werden darf, kann auf diesen Paragraphen nicht verzichtet werden.

Abg. Dr. Stresemann (nl.): Die Befürchtung des Staats⸗ sekretärs ist doch nur eine theoretische. Die Arbeiterführer haben erklärt, daß die Eisenbahnerorganisationen auf das Streikrecht ver⸗ zichtet haben. Das Gesetz spricht außerdem für eine Uebergangszeit. Es schafft nicht Recht fün alle Zeiten. Deshalb können wir un⸗ bedenklich für den Antrag stimmen. . 1

Abg. Landsberg (Soz.): Unser Antrag unterstreicht das, was nach der Erklärung des Staatssekretärs der bestehende Zustand ist. Trotzdem bekämpft der Staatssekretäv unsern Antrag!

Abg. Dr. Spahn (Zentr.): Das Vereins und Versammlungs⸗ recht bleibt nach wie vor geschützt auch für die Personen, die in den vaterländischen Hilfsdienst eintreten. Ist das der Fall, dann sehe ich nicht ein, warum wir diese Materie in das Gesetz überhaupt aufnehmen solene Haase (soz. Arbeitsgem.): Will man die Arbeiter sichern,

o muß man klipp und klar gussprechen, daß das Vereins⸗ und Ver⸗ sasgassns ta und das Koalitionsrecht unbeschränkt bleiben muß.

Abg. Dr. Neumann⸗Hofer (fortschr. Volksp.): Die Er⸗ klärung des Generals Groener war so verklausuliert, wie ich sie selten gehört habe. Das genügt nicht.

Abg. Graf Westarp (dkons.): Gesetzgeberisch hat dor Paragraph keine Bedeutung, wenn er envas Selbstverständliches enthalt, er ist abey auch nicht klar. Bisher ist der Zustand der, daß das Vereinsgesetz nicht aufbebt die elterliche Gewalt, die Disziplinargewalt. Wollen Sie diesen Zustand mit dem gegenwärtigen Paragraphen aufheben?

Abg. Dr. David (Soz.): Dies Gesetz behandelt die wirt⸗ schaftlichen Rechte der Hilfsdienstpflichtigen, und darum ist unser Antrag auch auf diese wirtschaftlichen Rechte der Betroffenen ein⸗ gestellt. Daß damit die politischen Rechte preisgegeben werden, ist durchaus falsch.

Staatssekretär des Innern, Staatsminister Dr. Helfferich:

Meine Herren! Ich will Ihnen den Verzicht so leicht machen wie nur möglich. Es ist mir gesagt worden, man habe aus meiner Erklärung vorhin nicht mit aller Deutlichkeit berausgehört, daß die Praxis der verbündeten Regierungen gegenüber den Arbeitnehmer⸗ organisationen, wie sie sich bisher betätigt hat, sich auch auf die Zukunft erstrecken wird. Ich glaube, das ausgeführt zu haben: aber ich will jetzt ausdrücklich erklären, daß in dieser Praris keine Aende⸗ rung eintreten soll, daß die verbündeten Regierungen nach Annahme dieses Gesetzes so gut wie vorher die Mitarbeit der Arbeitnehmer⸗ organisationen schätzen und wünschen. b

Nun, was die Sache anbetrifft, so sehen Sie ja, ich habe recht. Die Herren, die hier gesprochen haben, sind meist Juristen, und die Meinungen gehen auseinander (Heiterkeit), wie es sehr oft der Fall ist; der eine interpretiert es nach der Richtung hin, daß keine Aende⸗ rung des bestehenden Rechtszustandes eintritt, der andere interpretiert es dahin, daß die Einschränkung des Vereinsrechts durch das Disziplinar recht ꝛc. dadurch beseitigt werde. Auch der Herr Abg. Haasu⸗ ist der Ansicht, daß mit dieser Bestimmung über den bisherigen Rechtszustand hinausgegangen werde. Die Thatsache, daß solche Zweifel bestehen, beweist doch, daß die Herren den Paragraphen besser nicht annehmen. Das ist die einzige Konsequenz, die ich daraus ziehen kann.

Dann noch ein Wort zu der Frage der Eisenbahner. Der Herr Abg. Dr. Stresemann hat ausgeführt und der Herr Abg. Dr. David gleichfalls —, jetzt während des Krieges sei jede Streikgefahr ausgeschlossen. Das unterschreibe ich; kein Mensch denkt daran. Aber nun nehmen Sie einmal folgenden Zustand. Die Verbände sind da, auch der Verband, der nach Ansicht des Herrn Eisenbahnministers noch nicht einwandfrei auf das Streikrecht verzichtet hat; es gibt ja

auch noch andere, die heute oder morgen kommen können. Heute muß nun auf Grund dieses Gesetzes ich will einmal die radikale Aus⸗ legung annehmen die Eisenbahnverwaltung solche Beamten und Angestellten anstellen. Soll sie diese nun bei Kriegsschluß wieder hinauswerfen? ist das eine erwünschte Folgerung? Ich hoffe, daß es auch im Frieden zu keinem Eisenbahnersteik kommt; aber immerhin stehe ich auf dem Standpunkt, daß der Herr Eisenbahminister eine Aenderung in seinem bisherigen grundsätzlichen Standpunkt nicht ein⸗ treten lassen kann.

Meine Herren, ich wiederhole nochmals: um Ihnen den Verzicht leicht zu machen, gebe ich die Erklärung ab, daß gar nicht daran ge⸗ dacht wird, in der Zukunft irgendeine Aenderung in dem während des Krieges in erfreulicher Weise hergestellten vertrauensvollen Vernehmen zwischen Reichsleitung und Arbeiterorganisationen irgendwie herbei⸗

zuführen. 8

Abg. Dr. Junck (nl.): Wenn den betreffenden Personen das Vereins⸗ und Versammlungsrecht nicht verkümmert werden soll, dann sollte die Regierung uns dankbar für den Antrag sein. Wir haben aber bisher die Erfahrung gemacht, daß die untergeord⸗ neten Organe eine andere Auffassung haben. Daß etwas Selbst⸗ verständliches in einem Gesetz ausgesprochen wird, ist gesetzgeberisch nichts Neues. Das Organisationsrecht ist in der Gewerbeordnung geregelt. Hier haben wir es mit dem Vereins⸗ und Versammlungs⸗ recht zu tun. Bei einem so opferreichen Gesetz sollte sich die Re⸗ gierung im Interesse des Fmedens nicht gegen einen solchen Para⸗ graphen wehren.

Abg. Haase (soz. Arbeitsgem.): § 13 a hält doch nur einen Teil des Vereins⸗ und Versammlungsrechts aufrecht, denn er spricht nur von wirtschaftlichen Interessen. Das Gesetz ist kein rein wirtschaftliches Gesetz, sondern auch ein politisches.

Abg. Graf Westarp (dkons.): Man scheint mit dem Para⸗ graphen nur eine Mahnung zu beabsichtigen. Dazu kann ich mich nicht verstehen. Ich möchte eine andere Formulierung vorschlagen: falsche Anwendung des Gesetzes ist verboten.

Abg. Dr. Spahn (Zentr.) beantragt, dem § 13 a hinzuzufügen: was ihnen gesetzlich durch das Vereins⸗ und Versammlungsrecht zu⸗ teht.

88 Abg. Ebert (Soz.) erklärt sich damit einverstanden.

Abg. Ledebour (soz. Arbeitsgem.). Nach diesem Zusatz können

wir für den Paragraphen stimmen.

Staatssekretär des Innern, Staatsminister Dr. Helfferich

Soweit ich die Sache im Augenblick übersehen kann, scheint mir der Antrag Spahn die Bedenken, die ich geäußert habe, zu decken Es wird durch den Antrag zum Ausdruck gebracht, daß an dem bis⸗ herigen Rechtszustand nichts geändert werden soll. Nähere Prüfun

behalte ich mir vor.