29
S1SSvS5S9ZZ
E 3
—
E“
feme hen (Zurufe rechts: Lallter!) Der Telehrammwechsel zwischen em Reichskanzler und dem Grafen Czernin betont die Ueberein⸗ timmung beider Regierungen. Man kann also annehmen, daß die Reichsleltung auch in diesem Falle den Wünschen der Sozialdemo⸗ kratie entgegengekommen ist. Das entspricht au der Auffassung der ausländischen Presse. Im Jahre 1915 sprach der Reichskanzler von realen Garantien, weder im Westen noch im Osten dürfen die Feinde Einfallstore haben usw. Der Abg. Scheidemann hat 1916 in Breslau erklärt, er könne bestimmt annehmen, daß der Reichskanzler den Auf⸗ fassungen und Beschlüssen der Sozialdemokratie durchaus zustimme (Zuruse bei den Sozialdemokraten), wenigstens dem Sinne nach. Ich habe damals erklärt, daß ich und andere Herren aus unseren Gesprächen mit dem Reichskanzler ganz andere Auffassungen herausgehört haben. Es kam dann ein vorsichtiges Dementi der „Norddeutschen Allge⸗ meinen Zeitung“. Trotzdem haben die Sozialdemokraten den Reichs⸗ kanzler für ihre Meinung wiederholt in Anspruch genommen. Es kommt darauf an, diese Unklarheit zu beseitigen und festzustellen, wie eigentlich die Tatsachen liegen. (Zustimmung.) Es kann sich nur um eine Auslegung handeln; dieser Kommentar ist aber notwendig. Sehr richtig! rechts.) Das deutsche Friedensangebot vom 12. Dezember 1916 war in hochherzigem Ton gehalten und führte Bedingungen an, die nach den Aeußerungen in der Presse durchaus bescheiden waren. Der Abgeordnete Scheidemann, der ja in diesen Fragen sehr unterrichtet ist, hat auch in, Gelsenkirchen erklärt, daß, wenn die Franzosen wüßten, einen wie günstigen Frieden sie abschließen könnten, sie nicht zulassen würden, daß die französische Regierung die Verhandlungen darüber abschub. (Hört, hört! rechts.) So ungefähr war die Aeußerung. Unser Angebot hat eine schnöde Ablehnung erfahren, deshalb war man allgemein der Meinung, daß die Bedingungen des Angebots nicht mehr als Grundlage gelten können, und der Abg. Spahn hat im Februar ausdrücklich erklärt, daß er der Meinung sei, daß diese Bedingungen nicht mehr gelten könnten, nachdem dieses Friedensangebot so schnöde zurückgewiesen worden sei. Am 27. Februar hat der Reichskanzler die Frage noch einmal berührt und einen dauernden Frieden⸗ verlangt, der uns Ent⸗ schädigung gewährt für alle erlittene Unbill. In diesen Worten war aber die Entscheidung nicht gegeben; denn es heißt: „einen Frieden, der
2
uns Entschädigung bietet“, die Feinde sind hier ausgeschlossen. (Be⸗ wegung und Zwischenrufe links.) Der Kanzler hat sich nicht darüber ausgesprochen, wie er sich den Frieden denkt. Der Abg. David hat dann in einer der nächsten Sitzungen gesagt, daß seine Freunde meinten, daß die Friedensbedingungen vom 12. Dezember noch heute Geltung haben; der Abg. Grafe hat dagegen Widerspruch erhoben. Eine Antwort ist nicht erfolgt, und die Aeußerungen der offiziösen Presse waren abschwächender Natur. Der Ton macht die Musik.
2
Wenn Sie diese Aeußerungen lesen, dann haben Sie den Eindruck,
daß sie denjenigen entgegenkommen, die von einem starken Frieden
D
nicht sprechen. Die Frage bleibt nach wie vor unklar. Deshalb wollen wir Klarheit haben. Der Abg. Scheidemann hat im Reichs⸗ tage einmal davon gesprochen, daß es mit der „Unverrückbarkeit der Grenzsteine“ nicht so ganz ernst genommen werden könne. Nach Mit⸗ teilungen aus Petersburg hat der dänische Sozialist Brogbjerg erklärt, daß die Sozialdemokraten Deutschlands für eine freundschaftliche Verhandlung über Rückgabe Elsaß⸗Lothringens zu haben sein wurden. Da sieht man, wohin man kommt, wenn man einen Verzicht ausspricht.
Ist man auf der schiefen Ebene, dann handelt es sich nicht mehr
um Verzicht, sondern um Aufgabe. (Sehr wahr! rechts; Lachen links.) Zuerst wurde von den Sozialdemokraten ein Verzicht auf Entschädi⸗
gung FicZes sproehen, der damalige Schatzsekretär Dr. Helfferich hat
aber die Frage der Kriegsentschädigung sehr stark betont, undem er agte, es seien die Feinde, die die Last der Milliardenkette durch die Jahrzehnte schleppen sollen. Der jetzige Reichsschatzsekretär hat sich
über diese Frage allerdinas sehr zurückhaltend ausgesprochen. (Zu⸗
stimmung rechts.) Der Ausschuß der sozialdemokratischen Partei hat rklärt: wir wollen keine Entschädigung. Sie sehen, wohin man ommt, wenn man die Idee des Verzichts weiterspinnt. Es scheint, daß der Reichskanzler der sozialdemokratischen Friedensauffassung nicht fern oder näher steht. Eine Erklärung ist nicht gegeben oder nur: „Ich sage gar nichts.“ Eine Klarheit ist bisher nicht erfolgt. (Sehr wahr! rechts.) Aber die Unklarheit halten meine Freunde für un⸗ haltbar. Deshalb ist es, daß weite Kreise des Volkes, die hier von der Mehrheit vertreten werden (Sehr wahr! rechts; Unruhe links), von Sorge darüber erfüllt sind, wohin sich die Reichsleitung wendet. Den Beschluß der sozialdemokratischen Partei halten wir in diesen Kreisen deshalb für so überaus verhängnisvoll, für so ver⸗ nichtend, weil er nicht nationale Interessen vertritt, sondern, um nicht zu sagen, antinationale, internationale (Sehr wahr! rechts; Lärm auf der Linken; Lebhafte Zwischenrufe b. d. Soz. Abg. David (Soz.) ruft: Nationale in erster Linie!). Die Sozialdemokratie verlangt den baldigen Frieden! (Rufe b. d. Soz.: Sie! Sie! Aber mit Er⸗ oberungen!) Aber wir glauben nicht, daß auf dem Wege, den Sie beschreiten, der baldige Friede herbeigeführt wird. Im Gegenteil, wir halten die Methode für den Krieg verlängernd und deshalb können wir sie nicht mitmachen, weil wir den Krieg nicht verlängern wollen. Herren aus Ihren eigenen Reihen haben Ihnen ja vorgeführt, was Sie bisher auf Ihre Friedenswünsche, auf Ihr Friedensangebot für Antworten bekommen haben: fortgesetzte Zurückweisung, Hohn und Spott. (Sehr richtig! rechts.) Die Entente hat uns militärisch nicht untergekriegt und auch mit dem Hungerkrieg keinen Erfolg gehabt. Jetzt hofft sie auf unsere Uneinigkeit. Wilson hat erklärt: Kein Friede mit den Hohenzollern! (Hört, hört!) Das amerikanische Volk ist überzeugt, daß die Hohenzollern gehen müssen. Zu Deutschlands Tugenden gehört die Treue des Volkes zu unserem Kaiser (Lebhafte Zustimmung rechts). Im deutschen Herzen sitzt die Monarchie zu tief, als daß die Niederträchtigkeit der Entente oder eines Wilson sie zerstören könnte. (Abg. David: Sie sind die größten Feinde der Monarchie!). Ihre Zustimmung brauche ich nicht. Wie sind der Meinung, daß die monarchistische Ent wicklung in Deutschland Gott sei Dank noch eine Stätte hat (Leb⸗ hafter Beifall rechts). Wir erkennen an, daß Rußland seinen Ver⸗ bündeten Treue halten muß. Aber uns mutet man zu, daß wir die Treue gegen die Hohenzollern brechen. Ich vermisse den Siegeswillen in der Erklärung der sozialdemokratischen Partei. Der Abg. Scheide⸗ mann hat ja auch gesagt: „Ein Narr, der noch glaubt, daß das Volk siegen wird.“ Ich bin ein solcher Narr (Lebhafter Beifall rechts; Abg. Scheidemann: Das „Narr“ stimmt!). Wir haben unsern Siegeswillen stets unverrückbar ausgesprochen, aber oft wollte es uns scheinen, als ob die Reichsleitung nicht von einem solchen Sieges⸗ willen erfüllt ist. (Stürmische Bewegung links; andauernde Unte: brechungen und Zwischenrufe). Die Sozialdemokratie verlangt, daß kein Volk unterjocht wird. Zunächst kommt doch wohl für uns das Interesse Deutschlands, und wie sich unsere Feinde dann damit ab⸗ finden, ist nicht unsere Sorge. Die Beschlüsse der Sozialdemokraten sind eine Betonung des Internativnalen gegenüber der Betonung des Nationalen. Deshalb sage ich, ein solcher Friede ist ein inter⸗ nationgler Frieden. Wie wollen Sie denn die wirtschaftliche Freiheit und Unabhängigkeit des deutschen Volkes erreichen, ohne Macht⸗ erweiterung? Wer will denn eine Eroberung? Keiner von uns! Wir führen einen Verteidigungskrieg und wollen die Zukunft des deutschen Volkes, unsere Entwicklung und unsere Verteidigung sichern. Wie können Sie denn Verteidigung sichern ohne Machterweiterung? (Sehr richtig!) Wir brauchen die Machterweiterung einmal zur Stärkung unserer Volkskraft und dann für die Ernährung Deutsch⸗ lands, für die wirtschaftliche Zukunft Deutschlands, für die Ver⸗ teidigungsrüstung, ohne die wir in jedem Augenblicke einem solchen ruchlosen Angriffe wehrlos gegenüberstünden. Der Verzicht auf eine Entschädigung bedeutet, daß wir die Lasten der Milliarden durch die Jahrzehnte tragen müßten. Und wer hat darunter am meisten zu leiden? Die Arbeiter! (Zurufe links.) Die wirtschaftliche Ent wickelungs⸗ und Bewegungsfreiheit können wir nicht bekommen, wenn wir uns einschnüren lassen. Wer will uns denn vernichten und die Konkurrenzfähigkeit des deutschen Volkes ausschalten? Das ist das internationale englisch⸗amerikanische Großkapital. Da liegt der große Gegensatz zwischen uns und der internationalen Entente: Hier die Arbeit und der Arbeitsreichtum, drüben das spekulative Kapital. (Leb⸗ hafte Zustinumung.) Es ist ein großer Unter chied, ob etwa wir unsere
Lasten allein tragen müssen, oder jene. Jene haben beim Tragen der eigenen Lasten die Aussicht durch unsere Unmöglichkeit, unser Wirt⸗ schaftsleben genügend zu beleben, alle Schäden bald wieder auszu⸗ gleichen, bald darüber hinwegzukommen; wir aber müßten Jahrzehnte⸗ lang daran tragen, wenn man es überhaupt zuläßt, daß wir noch ein eigenes Deutschland haben. In der „Bayerischen Staatszeitung“ ist die Meinung ausgesprochen worden, wir sollten statt einer wahren Kriegsentschädigung einen Ersatz dafür haben. Wir haben ja schon so viele Ersatze! Man denkt dabei an die Zuweisung von Rohstoffen. Glauben Sie denn, daß ein Feind, der nicht so am Boden liegt, daß wir ihm jede Entschädigung aufzwingen können, uns das gewähren wird? (Große andauernde Unruhe, Glocke des Präsidenten, Präsident Dr. Kaempf bittet wiederholt um Ruhe.) Glauben Sie, daß sie uns sonst Handelsverträge, dauernde Vorteile zugestehen würden? Wenn wir nicht stark genug sind, das durchzusetzen, so sind wir wieder denselben Angriffen ausgesetzt, und daher kann uns der Ersatz nichts nützen. Nicht darum handelt es sich, daß wir mit Blut Entschädi⸗ gungen erkaufen wollen, sondern darum, daß die Opfer, die gebracht worden sind, und das Blut, das geflossen ist, nicht umsonst geflossen sein soll. Lebhafte Zurufe.) Es wäre unerträglich für uns, wenn nicht unsere wirtschaftliche Zukunft gesichert würde. Der Wunsch des Verzichts gibt ja den Feinden einen Freibrief. Sie können uns alles tun, was sie wollen, den Krieg hinziehen solange sie wollen, ohne etwas dabei aufs Spiel zu setzen, denn sie wissen ja, wir wollen nichts von ihnen. Das ist eine ganz falsche Stellungnahme. Selbst in den eigenen Reihen der Sozialdemokratie denken viele anders. Es gibt keine größeren Illusionen, als die Meinung, daß mit dem Aufhören der kriegerischen Ereignisse sofort eine Erleichterung der Er⸗ nährungsschwierigkeiten eintreten würde. Wir müssen von unseren Feinden erreichen, daß sie uns Nahrungsmittel liefern müssen. Die Pariser Wirtschaftskonkurrenz hat ja klar ge⸗ zeigt, daß man uns nach dem Kriege wirtschaftlich vernichten will. Wenn wir in die Verhandlungen mit milden Bedingungen hinein⸗ gehen, so können wir diese ja nicht nachträglich erhöhen. Will der Reichskanzler mit der Proklamation des Verzichts in die Verhand⸗ lungen eintreten, so wäͤre er in einer furchtbaren Lage, wenn dann unsere Gegner mit einem Arm voll Forderungen kommen. Aus dem Verzicht müßte dann beim Verhandeln eine Aufgabe werden. Die Proklamation des Verzichts ist das Gefäahrlichste von allem. Der Mann, in dem wir ein unbedingtes Vertrauen setzen, erklärt ja, daß unsere militärische Lage eine absolut starke ist, daß unser U⸗Bootkrieg voll das erfüllen wird, was gewollt worden ist, und weiter wirken wird; und wirtschaftlich sehen wir aus allen Nachrichten, daß unsere Feinde sich dauernd schlechter stehen als wir. Darum lehnen wir einen internationalen Frieden ab und wünschen einen nationalen Frieden. Der Reichstag muß diese Ablehnung aussprechen, sonst werden die Feinde des Glaubens, daß die Stärke, von der wir sprechen, nur fingiert sei, und auch in unseren eigenen Kreisen müßte Unsicherheit entstehen. Ein Krieg wie der jetzige hat noch nie so sehr die gesamte Bevölkerung in Mitleidenschaft gezogen, alle Nerven, alle Kräfte angespannt, sowohl daußen wie drinnen. Das verlangt Hebung der Stimmung, nicht Senkung. (Lebhafter Beifall.) Die Hebung der Stimmung kann man nicht durch Verzicht ereichen, sondern durch Betonung der Kraft. Deshalb ist die Ablehnung eines Verzichts der deutlich bekundete starke Wille für einen starken Frieden zur Sicherung der deutschen Zukunft, der deutschen Verteidigung. Das ist ein Ziel, das auch die Kämpfer draußen hebt und staͤhlt: Machterweiterung und Gebiets erweiterung Deutschlands, Entschädigung nicht nur für erlittene Unbillen, sondern auch für die Aufwendungen, die der Krieg von uns fordert. Das Volk, in schwerster Sorge um seine Zukunft, aber bereit, alles einzusetzen für seine Zukunft, verlangt nach einer klaren Antwort. Das Volk ist in schwerster Sorge um seine Zukunft und bereit, alles einzusetzen für sie. Es verlangt nach einer klaren Antwort. Wir verlangen nicht vom Reichskanzler Einzelheiten über die Kriegsziele zu hören, aber die Entscheidung darüber, nämlich die Abkehr von einem internationalen Verzichtfrieden und entschiedenes Zustimmen zu einem nationalen Frieden. Das erwarten wir. Darüber erbitten die Volks⸗ kreise eine Antwort, deren Ansichten wir hier vertreten. Das deutsche Volk hat ein Recht die Frage in dieser schweren Zeit zu richten: „Quo vadis? Wohin gehst Dus2“ (Stürmischer Beifall rechts, Zischen links, wiederholt einsetzender Beifall rechts.)
Präsident Dr. Kaempf: Sie (zu Abg. Roesicke gewandt) haben im Verlaufe dieser Rede zwei Aeußerungen getan, auf die ich dringend zurückkommen muß. Einmal sagten Sie, es schiene bisweilen so, als ob der Reichskanzler das Kaiserwort: Ich kenne keien Parteien mehr! außer Kurs gesetzt hat. Das andere Mal sagten Sie, daß bei der Obersten Heeresleitung zwar der Siegeswille vorhanden sei, es aber den Anschein habe, ob wenn die Reichsleitung diesen Siegeswillen nicht habe. So vorsichtig Sie diese Behauptung eingekleidet haben, so stehen sie doch einer Beleidigung des Reichskanzlers schon nahe (Lebhafter Widerspruch und große Unruhe), daß sie gegen die Ordnung
des Hauses verstoßen, und ich sie von dieser Stelle aus zurückweisen
muß. 3 Abg. Scheidemann (Soz.): Die Absicht unserer Freunde, den Kanzler zu einer klaren Aeußerung zu veranlassen hat ihren Nieder⸗ schlag in unserer Interpellation gefunden. Die Ausführungen des Abgeordneten Roesicke beweisen, daß er die Kunst des Lesens nicht richtig versteht. Er behauptete, in den Beschlüssen unseres Partei⸗ ausschusses stände, die Regierung werde aufgefordert, sofort Frieden zu schließen. Das verlangen wir nicht. g verlangen nur, daß die Sozialisten aller Länder so vorgehen wie wir. Soweit sich die Rede des Herrn Roesicke mit ihren Spitzen gegen den Reichskanzler richtete, verliere ich darüber kein Wort. Das mag der Reichskanzler besorgen. Nach der Rede des Herrn Roesicke ist es für einen Staatsmann, der die Zeichen der Zeit nicht verkennt, nicht allzu schwer, den Mann und seine Freunde gründlich abzufertigen. (Sehr gut links und Heiterkeit.) Meine Aeußerungen in Breslau sind nicht allzu genau wiedergegeben. Hier hat es Herr Roesicke weniger mit der Richtigkeit als mit der Fixigkeit genau genommen. Als wir seinerzeit gegen die Eingabe der sechs Verbände Protest erhoben, die dadurch nur den Eroberungs⸗ willen der Gegner aufstachelten, da erklärte der Kanzler, daß er nichts damit zu tun habe. Das habe ich in Breslau erwähnt, und dazu stehe ich auch jetzt noch. Im Volke bestehen gewisse verschiedene Wüͤnsche, aber überall besteht, so glaube ich, der gleiche Wunsch, das ist das einzige, worüber ich mit Herrn Roesicke vollkommen überein-⸗ stimme: Raus aus jeder Unklarheit! Der Kanzler soll sagen, was er will. Wir sind alle gespannt, seine Meinung zu hören. Daß in den beiden Interpellationen ein unüberbrückbarer Gegensatz klafft, über⸗ rascht mich nicht. Wir sind Sozialisten geblieben und bekämpfen jede Untertrückung im Innern und draußen. Wir sind Anhänger der Demokratie auch im Verhältnis der Staaten untereinander. Als inter⸗ nationale Sozialisten deutschen Stammes widersetzen wir uns aber jedem Versuch, unser Volk zu zertrümmern. Unsere Friedensziele stehen noch genau auf demselben Standpunkte wie seinerzeit am
August. Nach den Aeußerungen des Herrn Roesicke muß ich as erwähnen, daß auch wir die territoriale Unversehrtheit des eutschen Reiches, seine politische Selbständigkeit und eine wirtschaftliche Entwicklung sichergestellt sehen wollen. Aber eine Vergewaltigung fremder Vöͤlker lehnen wir auch heute ab. Wir sind auch jetzt noch Gegner einer jeden Eroberungspolitik. Es handelt sich heute zweifellos nicht darum, ob man zugreifen soll oder nicht, sondern darum, daß man nicht zugreifen kann. (Bei⸗ fall bei den Soz.) Auf beiden Seiten werden die Völker damit vertröstet, daß nun die endgültige Entscheidung unmittelbar bevor⸗ stehe und daß es nur notwendig sei, sich nur noch ein kleines Weilchen zu gedulden. Darüber sind drei Jahre vergangen. Immer wieder heißt es auf beiden Seiten: Nächstens! Dieses Spiel, das in allen Ländern mit Völkerleben gespielt wird, aufzudecken und den Regie⸗ rungen aller Länder zuzurufen: Es ist genug! ist unsere Aufgabe. Ich bin überzeugt, daß die Mittelmächte, wenn sie sich gegen die Ver⸗ nichtungsabsichten wehren, Stand halten. Für ebenso selbstverständ⸗ lich halte ich es auch, daß in diesem Kriege nie der Zeitpunkt eintreten wird, wo es möglich wäre, die Wünsche der französischen und englischen Annexionisten oder die der deut⸗ schen Annexionisten auszuführen. So denken wir Sozialisten und Millionen Menschen mik uns. Wir haben die Pflicht, dies
vrungspolitiker schreien:
Jeder Mann mit Verantwortungsgefühl und Ge⸗ wissen sollte sich fragen, ob es erträglich wäre, immer noch Hundert⸗ tausende auf die Schlachtbank zu schicken für ein Ziel, das die erdrückende Mehrheit des Volkes nicht will und das nicht erreicht werden kann. (Sehr richtig! links.) In einer Zeitung der Rechten habe ich jüngst gelesen, daß durch die Haltung der Regierung der furor teutonicus mit Keulen totgeschlagen wird. Aber was tot⸗ geschlagen werden muß und was wir am liebsten so schnell wie mög⸗ lich mit Keulen totschlagen möchten, ist die Spielleidenschaft, die Spielwut, die Tacitus den alten Germanen nachsagte, diese Spiel⸗ leidenschaft, die in Deutschland zum Durchbruch kam, die bereit ist, Haus und Hof, Weib und Kind zu verspielen; die grassiert aber auch in allen anderen Ländern, die bereit sind, das letzte bischen Glück, das sich die Völker aus diesem furchtbaren Trümmerhaufen retten können, einzusetzen und maßloses Unrecht am ganzen Volke begehen und die das Elend nicht schwarz genug ausmalen können. Die Franzosen stellen die Aussichten Deutschlands nach einem faulen Frieden in dem Lichte dar, daß ein solcher eine glänzende Erneuerung Deutschlands kedeuten würde; das wirtschaftliche Interesse werde sehr bald nach dem Friedensschluß bei allen Völkern wieder in den Vordergrund treten, Deutschland. würde den Weltmarkt bald beherrschen, das Mitteleuropa würde geschaffen werden, die größte Gefahr der moder⸗ nen Welt. Diese Auffassung des Herrn Vermeuil ist ja reichlich opti⸗ mistisch; aber sie ist herzerfrischend im Gegensatz zu unsern Schwarz⸗ sehern und Flaumachern. Das Schlimmste ist, daß durch das Treiben der Vabanquespieler das Unheil dieses Krieges ungemein verlängert wird; welches Unheil kann die heutige Rede des Herrn Roesicke an⸗ richten! (Stürmischer Widerspruch rechts.) Die schmetternden Er⸗ oberungsredner reißen den Mund deshalb so weit äaͤuf, weil sie mit Grauen an die Abrechnung denken, die nach dem Kriege erfolgen wird; sie wollen dem vorbauen. Das Ziel der Vergewaltigung der Völker werden sie nicht erreichen. In ungeheuren Massen werden Schriften verbreitet, welche den Beweis führen sollen, wie reich das Volk werden kann, wenn es den Schlotjunkern und Krautbauern, diesen bewährten Volksförderern, folgen wollte. Um eine erbärm⸗ liche Demagogie handelt es sich. Von diesen Herren kann uns der Friede nicht kommen, der dem Volke blüht. (Fortdauernder Lärm rechts.) Wenn der frühere Gutsbesitzer und jetzige schwerindustriell begeisterte Herr Fuhrmann im Lande herumreist und für das Weiter⸗ kämpfen redet und gegen den Scheidemann⸗Frieden, und wenn ihm Professor Schäfer zustimmt, wenn es heißt: „Sieg, Triumph und Beute!“ Ja, Beute, das ist Ihr Ziel. Die Herren Erobe⸗ 6 Machtzuwachs, Gebietzuwachs, Geld, Rohstoffe! Das brauchen wir: auf die anderen Dinge pfeifen wir! Das kann nur eine national organisierte Räuberbande wollen. (Sturm des Unwillens rechts.) Wir verachten Handwerk, gleichviel, in welcher Form es betrieben wird. So wie unsere politischen Anti⸗ poden in Deutschland es treiben, heßen sie doch alle Völker auf uns und schaffen uns damit allerdings die tröstliche Gewißheit, daß in diesem Sinne nichts erreicht werden kann. Mit am widerwärtigsten bei der ganzen alldeutschen Propaganda ist für mich das Hinaus⸗ schieben der Person des Kaisers; etwas Unehrlicheres und Wider⸗ wärtigeres habe ich in den Jahrzehnten, die ich im öffentlichen Leben stehe, kaum erlebt. Der einzig praktische Erfolg, den sie erreicht haben, bestand darin, daß man im Auslande den Kaiser nunmehr für den alldeutschen Wahnsinn, für den Ausbruch dieses Krieges verantwortlich macht; soweit ist es gekommen durch diese Agitation, daß die Person des Kaisers unausgesetzt beschimpft wird. Das ist für den baldigen Frieden und für Deutschlands zukünftige Be⸗ ziehungen zum Auslande nicht gleichgültig. Die französischen und englischen Blätter zitieren jetzt nicht mehr sozialdemokratische, sondern alldeutsche Preßstimmen, wenn sie von der Person des Kaisers reden. In dem damals sehr radikalen „Vorwärts“ ist kurz vor Ausbruch des Krieges eine rückhaltlose Anerkennung der Friedensliebe und der Friedensbestrebungen des Kaisers zu lesen gewesen; aber auch der friedliebendste Mensch ist Einflüssen zugänglich, hieß es weiter, und an solchen Einflüssen von der alldeutschen Seite hat es seitdem wahr⸗ lich nicht gefehlt. Ich sehe es als ein Glück für Europa an, wenn wir schnellstens einen Verständigungsfrieden haben. 2 ehmen wir an, daß durch Anregung eines Friedens, wie Sie (rechts) ihn wün⸗
auszusprechen.
schen, nur hundert Tage der Krieg verlängert wird, was bedeutet das für das deutsche Volk? Das bedeutet, daß diese 100 Tage dem 1
deutschen Volke 10 Milliarden Kosten verursachen. Dazu kommen de ungeheuren Lasten der Gemeinden und der Familien für ihre
Söhne im Felde. Und die Blutopfer! Sie würden in jener Zeit
120 000 deutsche Tote bedeuten außer den Verwundeten usw. Wie tief und lang müßte der Blutstrom sein, der noch fließen müßte, wenn der Krieg nach Ihren Wünschen fortgesetzt würde. Diest Wünsche sind Dummheit und Unsinn. Ich denke gar nicht an die Qualen der von den Granaten Zerrissenen. Für die Verteidigung von Haus und Hof wird das Volk stets eintreten. Einem Ver⸗ gewaltigungkriege mögen wir uns auf das schärfste widersetzen. Wir verzichten nur auf das, was wir gar nicht besitzen, wir verzichten darauf, andere Völker zu unterdrücken, aber auch, andere zu ver⸗ gewaltigen. Das nennen die Alldeutschen einen Vernichtungsfrieden! Worauf wir verzichten, ist, daß wir auf die Alldeutschen verzichten und ihre dummen Schwätzereien. 99 % aller Völker sehen jetzt mit Hoffnung und Sehnsucht nach Stockholm. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Es sollen den Sozialisten Pässe gegeben werden, Widerstände können nur von untergeordneten Behörden geleistet werden. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Treiben Sir es nicht zum äußersten! Die Stimmung ist sehr böse. Die ganze Welt steht heute gegen uns, und da bilden sich jene Leute ein, es sei nur Schlappheit, wenn man auf Eroberungsgelüste verzichtet. Nehmen wir an, wir könnten der riesiegen Koalition der Feinde etwas abzwingen, wie lange wäre uns dieses zweifelhafte Glück be⸗
schieden? In kurzer Zeit würden die Mächte über uns herfallen, um
uns die Beute zu entreißen. Gäbe der Reichskanzler heute eine Erklärung ab, die den Wünschen der Rechten entspräche, so würden wir unsererseits erklären, daß wir drei Jahre laͤng getäuscht worden
sind. Die Folgen würden verhängnisvoll sein. Will etwa der Kanzler einem freien Volke die Erobererfaust entgegenstrecken, oder will er sich von der Masse des deutschen Volkes und den österreichisch⸗ ungarischen Bundesgenossen trennen? Fällt die Klammer, die diese
Teile verbinden, so klappen beide Teile auseinander. Würde Frankreich und England auf Annexionen verzichten und hielte Deutschland an Er⸗
oberungsabsichten fest, dann, verlassen Sie sich darauf, dann habem
Sie die Revolution im Lande. (Entrüstungssturm und wiederholte Pfuirufe bei den bürgerlichen Parteien. Rufe: Herunter von der
Tribüne! — Präsident Dr. Kaem pf: Mit der Revolution zu
drohen, verstößt gegen die Ordnung des Hauses. Ich rufe Sie zur
Ordnung! Lebhafter Beifall rechts.) un, soweit sind wir ja
noch gar nicht; die Franzosen und Engländer verzichten ja nicht auf
Annexionen. Jedenfalls ist das ewige Stellen von Gegenforderungen
eine schlechte Politik. Machen wir doch endlich Schluß mit dem
gegenseitigen Zähnefletschen. Gestehen wir offen, wir können nicht
miteinander fertig werden. Es sollte doch endlich die Vernunft⸗
herrschen und ein Friede geschlossen werden, der allen Teilen gerecht
wird. Mit Herrn Roesicke über den Sinn meiner Reden zu streiten,
hat keinen Ziweck. Ich stehe zu jedem Wort, das ich früher gesagt
habe. Ich hin fest überzeugt, daß kein Friede geschlossen werden
kann, ohne daß die Grenzpfähle verrückt werden. Dies muß aber mit
gegenseitigem Einverständnis geschehen. (Lachen rechts.) Wenn die
Regierungen sich hierüber beim Friedensschluß verständigen, so be⸗
deutet das keine Annexionen, sondern nur eine Verständigung über
Grenzregulierung. Es bedarf des Mutes und der Wahrheit, um
aus dem jetzigen grauenvollen Zustande herauszukommen. Nicht Ver⸗
gewaltigung, sondern Verständigung. Es lebe der Friede, es lebe
das freie Europa! (Lebhafter Beifall bei den Sozialdemokraten.)
Reichskanzler Dr. von Be thmann Hollwe g:
Meine Herren! Die soeben begründeten beiden Interpellationen verlangen von mir eine programmatische Erklärung zur Frage der Kriegsziele. Die Abgabe einer solchen Erklärung im gegenwärtigen Augenblick würde den Interessen des Landes nicht dienen. (Sehr
862 y11 G
Einzelheiten hinein (Widerspruch rechts)
richtig! links.) Deshalb muß ich sie ablehnen. (Bravo! links.) Seit dem Winter 1914/15 werde ich bald von der einen, bald von der anderen Seite gedrängt, unsere K riegsziele womöglich bis in die sie werden alle Tage verlangt von mir, Herr Abgeordneter Roesicke! — (Widerspruch rechts) öffentlich darzulegen. Um mich zum Reden zu zwingen,
— st versucht worden, mein Schweigen zu den Kriegszielprogrammen
inzelner Parteien und Richtungen als Zustimmung zu diesen Pro⸗ grammen auszulegen. Dagegen muß ich erneut entschiedenen Wider⸗ spruch einlegen. Bei Freigabe der öffentlichen Erörterung der Kriegsziele habe ich ausdrücklich erklären lassen, daß sich die Re⸗ gierung an dem Meinungsstreit nicht beteiligen könne und nicht be⸗ teiligen werde. Ich habe Verwahrung dagegen eingelegt, daß aus em Schweigen der Regierung irgendwelche Schlüsse auf ihre Haltung
gezogen würden. (Hört, hört! rechts.) Diese Verwahrung wieder⸗
hole ich hiermit in bündigster Form. (Bravol im Zentrum und links.)
Was ich jeweils über unsere Kriegsziele habe sagen können, das habe ich hier im Reichstage öffentlich zu verschiedenen Malen gesagt. Allgemeine Grundlinien waren es und konnten nicht mehr sein. (Sehr richtig!) Aber sie waren deutlich genug (erneute Zustimmung), um Identifizierungen mit anderen Programmen, wie sie versucht worden sind, auszuschließen. (Erneute Zustimmung.) Ich habe diese Grundlinien unverändert festgehalten. Sie haben in dem gemein⸗ schaftlich mit unseren Verbündeten gemachten Friedensangebot vom 12. Dezember vorigen Jahres weiteren feierlichen Ausdruck gefunden. (Sehr richtig!)
Die neuerdings aufgetauchte Annahme, als bestünden in der Friedensfrage irgendwelche Meinungsverschiedenheiten zwischen uns und unseren Verbündeten, gehört in das Gebiet der Fabel. (Stür⸗ mischer Beifall bei der deutschen Fraktion, im Zentrum, bei den Nationalliberalen und links.) Ich stelle das hiermit ausdrücklich und in der Gewißheit fest, damit auch die Ueberzeugung der leitenden Staatsmänner der uns verbündeten Mächte auszusprechen. (Erneuter Beifall.)
Meine Herren, ich habe ja durchaus das vollste Verständnis für die leidenschaftlichste Anteilnahme des Volkes an den Kriegszielen, an den Friedensbedingungen, ich verstehe den Ruf nach Klarheit, der von rechts und von links heute an mich gerichtet worden ist. Abex, meine Herren, bei Erörterung der Kriegszielfrage kann für mich alleinige Richtschnur nur sein die baldige und zugleich die glückliche Beendigung des Krieges. (Lebhafter Beifall.) Darüber hinaus darf ich nichts tun und darf ich nichts sagen. Zwingt mich, wie es gegen⸗ wärtig der Fall ist, die Gesamtlage zur Zurückhaltung, so werde ich diese Zurückhaltung üben und werde mich durch kein Drängen, weder von Herrn Scheidemann noch von Herrn Abgeordneten Roesicke, von meinem Wege abbringen lassen. (Stürmischer Beifall und Hände⸗ klatschen bei der deutschen Fraktion, im Zentrum, bei den National⸗ liberalen und links. — Zuruf links. — Große Heiterkeit.) Ich werde mich nicht davon abbringen lassen durch das Wort, das der Herr Abgeordnete Scheidemann geglaubt hat, in diesem Moment, wo das Trommelfeuer an der Aisne und in Arras ertönt, in das Volk werfen zu können, von der Möglichkeit einer Revolution! (Stür⸗ mischer, langandauernder Beifall und Händeklatschen rechts, im Zentrum und links.) Das deutsche Volk wird mit mir kein Ver⸗ ständnis für dieses Wort häaben. (Erneuter Beifall.) Aber eben⸗ sowenig lasse ich mich von meinem Wege abdrängen durch den Versuch des Herrn Abgeordneten Roesicke, mich als im Banne der Sozial⸗ demokratie hinzustellen. (Sehr gut!)
Meine Herren, ich befinde mich in dem Banne keiner Partei (lebhafter Beifall im Zentrum, bei den Nationalliberalen, der fort⸗ schrittlichen Volkspartei und bei der deutschen Fraktion), weder links noch auch von Ihnen (nach rechts)! (Zurufe rechts.) — Nein, gewiß nicht, und es ist mir eine Freude, das festzustellen. (Stürmischer
8 Beifall und Händeklatschen.) Wenn ich mich in einem Banne befinde,
so ist es der Bann des deutschen Volkes, meines Volkes, dem ich allein zu dienen habe (Lebhafter Beifall), dessen Söhne insgesamt für das Leben, für das Dasein der Nation kämpfen, festgeschart um ihren Kaiser, dem sie vertrauen und der ihnen vertraut. (Lebhafte Bravorufe. Bravo! im Zentrum, bei den Nationalliberalen, ver fortschrittlichen Volkspartei und der deutschen Fraktion.) Das Kaiserwort vom August, es lebt unverfälscht, nicht falsch ausgemünzt. Der Herr Abgeordnete Roesicke, der sich als ein besonderer Hüter dieses
Wortes hier hinstellte (Sehr gut! links), wird die nötige Antwort für
das unverfälschte Fortbestehen dieses Kaiserwortes in der Osterbot⸗ schaft des Kaisers lesen können, die von mir gegengezeichnet ist. (Sehr richtig! links.) Ich vertraue darauf, daß meine Zurückhaltung, die ich üben muß — es wäre gewissenlos von mir, wenn ich sie nicht übte —, daß diese Zurückhaltung bei der Mehrheit des Reichstags Verständnis finden wird (Sehr richtig! im Zentrum, bei den National⸗
lieberalen, bei der fortschrittlichen Volkspartei und der deutschen
Fraktion) und ebenso auch draußen im Volk. (Erneute Zustimmung im Zentrum, bei den Nationalliberalen, bei der fortschrittlichen Volkspartei und der deutschen Fraktion.)
Meine Herren, seit über einem Monat toben die unerhörtesten Schlachten an unserer Westfront. Das ganze Volk lebt mit all seinen Sinnen und Sorgen, mit seinem Denken und Danken allein bei seinen Söhnen draußen, die in beispielloser Zähigkeit und Todes⸗ verachtung dem täglich erneuerten Ansturm der Engländer und Fran⸗ zosen trotzen. (Bravo!) Meine Herren, auch heute sehe ich bei Eng⸗ land und bei Frankreich noch nichts von Friedensbereitschaft (Sehr richtig! im Zentrum, bei den Nationalliberalen, bei der fortschritt⸗ lichen Volkspartei und bei der deutschen Fraktion), noch nichts von Preisgabe ihrer ausschweifenden Eroberungs⸗ und wirtschaftlichen Ver⸗ nichtungsziele. Wer sind denn die Regierungen gewesen, die frei im vorigen Winter vor die Welt getreten sind, um diesem Wahnsinn des Weltmordes ein Ende zu machen? Haben die in London und Paris gesessen? Die letzten Stimmen, die ich aus London gehört habe, lauten doch dahin: die Kriegsziele, die wir vor zwei Jahren ver⸗ kündet haben, leben unverändert fort. Der Herr Abgeordnete Scheide⸗ mann wird nicht glauben, daß ich dieser Stimmung mit einer schönen Geste entgegentreten könnte. Glaubt denn bei dieser Verfassung unserer westlichen Feinde jemand, durch ein Programm des Verzichts und der Entsagung diese Feinde zum Frieden bringen zu können?
(Sehr wahr! im Zentrum, bei den Nationalliberalen, bei der fort⸗
schrittlichen Volkspartei und der deutschen Fraktion.) Und darauf kommt es doch an. (Wiederholte Zustimmung im Zentrum, bei den Nationalliberalen, bei der fon li
W 5
1
chen Volkspartei und der Deut⸗
schen Fraktion.) Soll ich diesen unseren westlichen Feinden geradezu eine Versicherung geben, die ihnen gestattet, ohne jede Gefahr eigenen Verlustes den Krieg ins Ungemessene zu verlängern? (Sehr richtig! im Zentrum, bei den Nationalliberalen, der fortschrittlichen. Volks⸗ partei und der deutschen Fraktion.) Soll ich diesen Feinden sagen: möge es kommen, wie es will, wir werden unter allen Umständen die Verzichtenden sein, wir werden euch kein Haar krümmen? Aber ihr, die ihr uns ans Leben wollt, ihr könnt ohne jedes Risiko euer Glück weiter versuchen? (Sehr gut! im Zentrum, bei den National⸗ liberalen, bei der fortschrittlichen Volkspartei und der Deutschen Fraktion.) Oder soll ich das Deutsche Reich nach allen Richtungen hin ein⸗ seitig auf eine Formel festlegen, die von der Gesamtheit der Friedens⸗ bedingung doch nur einen Teil erfaßt (Sehr richtig! im Zentrum, bei den Nationalliberalen, bei der fortschrittlichen Volkspartei und der Deutschen Fraktion), die einseitig die Erfolge preisgibt, die unsere Söhne und Brüder mit ihrem Blute errungen haben, und die alle übrigen Rechnungen in der Schwebe läßt? Eine solche Politik lehne ich ab (Bravo! im Zentrum, bei den Nationalliberalen, bei der fortschrittlichen Volkspartei und der Deutschen Fraktion), ich werde eine solche Politik nicht führen. Sie wäre der schnödeste Undank gegen unsere Kämpfer an der Aisne und vor Arras, sie würde unser Volk bis zum geringsten Arbeiter in seinen ganzen Lebensbedingungen dauernd herabdrücken, sie wäre gleichbedeutend mit einer Preisgabe der Zukunft unseres Vaterlandes.
Und, meine Herren, soll ich etwa umgekehrt ein Eroberungs⸗ programm aufstellen? Auch das lehne ich ab. (Zurufe rechts und links.) Wenn es nicht verlangt worden ist, dann sind wir ja einer Ansicht (nach rechts). Ich sage noch einmal: Auch ein Eroberungs⸗ programm aufzustellen, lehne ich ab. Nicht um Eroberungen zu machen, sind wir in diesen Krieg gezogen und stehen wir jetzt im Kampfe fast gegen die ganze Welt, sondern ausschließlich, um unser Dasein zu sichern und die Zukunft der Nation fest zu gründen. (Bravo! bei den Nationalliberalen.) Ebensowenig wie ein Verzichts⸗ programm hilft ein Eroberungsprogramm den Sieg gewinnen und den Krieg beenden. Im Gegenteil, ich würde lediglich das Spiel der feindlichen Machthaber spielen, ich würde es ihnen erleichtern, ihre kriegsmüden Völker weiter zu betören (Sehr richtig! bei den Na⸗ tionalliberalen) und den Krieg ins Ungemessene zu verlängern. Auch das wäre ein schnöder Undank gegen unsere Kämpfer draußen. (Sehr richtig; im Zentrum, bei den Nationalliberalen, der fortschrittlichen Volkspartei und der Deutschen Fraktion.)
Meine Herren, was unsere östlichen Nachbarn, was Rußland anlangt, so habe ich neulich darüber gesprochen. Es scheint, als ob das neue Rußland alle gewaltsamen Eroberungspläne von sich ablehnte. Ob Rußland im gleichen Sinne auf seine Verbündeten wirken will und wirken kann, vermag ich nicht zu übersehen. Zweifellos ist England unter dem Beistande seiner übrigen Verbündeten mit allen Mitteln bemüht, Rußland auch weiterhin vor den englischen Kriegs⸗ wagen zu spannen (Sehr richtig! im Zentrum, bei den National⸗ liberalen, der fortschrittlichen Volkspartei und der Deutschen Fraktion) und russische Wünsche auf baldige Herbeiführung des Weltfriedens zu durchkreuzen. (Hört! hört! links.)
Wenn aber, meine Herren, Rußland weiteres Bluwergießen von seinen Söhnen fernhalten will, wenn es alle gewalksamen Eroberungs⸗ pläne für sich aufgibt, wenn es ein dauerndes Verhältnis friedlichen Nebeneinandeulebens zu uns herstellen will — ja, meine Herren, dann ist es doch eine Selbstwerständlichkeit, daß wir, die wir diesen Wunsch teilen (Bravo! im Zentrum, bei den Nationalliberalen, der fort⸗ schrittlichen Volkspartei und der Deutschen Fraktion), das dauernde Verhältnis der Zukunft nicht zerstören, seine Entwicklung nicht durch Forderungen unmöglich machen werden (Bravo! Sehr richtig und Händeklatschen in der Mitte und links), die sich mit der Freiheit und dem Willen der Völker selbst nicht vertragen, und die ins russische Volk nur den Keim zu neuer Feindschaft legen würden. (Sehr richtig! im Zentrum, bei den Nationalliberalen, bei der fort⸗ schrittlichen Volkspartei und der Deutschen Fraktion.) Ich zweifle nicht daran, daß sich eine ausschließlich auf gegenseitige ehrliche Verständigung gegründete Einigung finden ließe, die jeden Gedanken an Vergewaltigung ausschließt, die keinen Stachel, die keine Ver⸗ stimmung zurückläßt. (Bravo! bei den Sozialdemokraten.)
Meine Herren, unsere militärische Lage ist so gut, wie sie wohl niemals seit Kriegsbeginn gewesen ist. (Bravo!) Die Feinde im Westen dringen trotz ungeheuerlichster Verluste nicht durch. Unsere J⸗Boote arbeiten mit steigendem Erfolge. (Bravo! im Zentrum, bei den Nationalliberalen, der fortschrittlichen Volkspartei und der Deutschen Fraktion.) Ich will darüber keine starken Worte brauchen. Die Taten unserer U⸗Bootsleute sprechen für sich selbst. (Sehr wahr! rechts, im Zentrum und links.)
Ich denke, auch die Neutralen werden das erkennen. Soweit es mit den Pflichten gegen unser eigenes Volk, die immer und überall voranstehen, vereinbar ist, berücksichtigen wir die Interessen der neutralen Staaten. Die Zusagen, die wir ihnen gemacht haben, sind nicht leere Versprechungen, wir halten sie. Das gilt ebenso gut für unsere Grenznachbarn, für Holland, für die skandinavischen Reiche, wie für die Staaten, welche infolge ihrer geographischen Lage dem feindlichen Druck besonders ausgesetzt sind. Ich denke dabei insbe⸗ sondere an Spanien, das getreu seinen ritterlichen Ueberlieferungen unter großen Schwierigkeiten eine selbstbewußte Neutralitätspolitik durchzuführen vermocht hat. (Lebhafter Beifall bei der Deutschen Frak⸗ tion, im Zentrum, bei den Nationalliberalen und links.) Wir erkennen diese Haltung mit Dank an (Bravo!) und haben nur den einen Wunsch, daß das spanische Volk die Früchte seiner selbständigen und starken Politik in einer Entwicklung zu Macht und weiterer Blüte ernten möge. (Lebhafter Beifall.) Meine Herren, die Zeit läuft für uns. Wir können die volle Zuversicht haben, daß wir uns dem guten Ende nähern. Dann wird die Zeit kommen, wo wir über unsere Kriegsziele, bezüglich deren ich mich in voller Uebereinstimmung mit der Obersten Heeresleitung befinde (Stürmischer Beifall rechts, bei der Deutschen Fraktion, im Zentrum, bei den Nationalliberalen und links — hört, hört! bei den Sozialdemokraten), mit unseren Gegnern verhandeln können. Dann wollen wir einen Frieden erringen, der uns die Frei⸗ heit gibt, in ungehemmter Entfaltung unserer Kräfte wieder aufzu⸗ bauen, was dieser Krieg zerstört hat, damit aus all dem Blut und all den Opfern ein Reich und Volk neu erstehe, stark, unabhängig, un⸗ bedroht von seinen Feinden, ein Hort des Friedens und der Arbeit. (Anhaltender stürmischer Beifall und Händeklatschen bei der Deutschen Fraktion, im Zentrum, bei den Nationalliberalen und links.)
8 Auf Antrag des Abg. Ebert (Soz.) tritt das Haus in die Besprechung der Interpellation ein.
Ag. Dr. Spahn (Zentr.): Im Namen der Zentrumspartei, der nationaliberalen Partei, der fortschrittlichen Volkspartei und der Mehrheit der Deutschen Fraktion habe ich folgende Etklärung abzu⸗ geben. Wir sind in der Anschauung einig, daß zurzeit im Reichstage eingehende Erörterungen über die Kriegsziele, richtig verstanden dem Besten des Vaterlandes nicht dienlich wären. (Lebh. Zustimmung.) Die Friedenssehnsucht des deutschen Volkes ist auf einen Frieden
gerichtet, der dem Deutschen Reiche sein Dasein, seine politische und
wirtschaftliche Weltmacht und seine Entwicklungsfreiheit sichert und die eine Abschließung vom Weltmarkte dauernd verhindert, wie sie von England versucht wird. Auch hat das deutsche Volk Vertrauen auf einen Frieden, der sich den Zielen nähert, wie sie der Reichskanzler in seinen früheren Reden entschieden betont hat. Wir sind mit ihm einig, wenn wir es heute ablehnen, unter den gegenwärtigen Verhältnissen die Einzelheiten der Kriegsziele den Feinden preiszu⸗ geben. Es genügt, wenn die Reichsleitung erklärt, daß sie weder uferlose Eroberungspläne verfolgt, noch sich auf den Gedanken eines Friedens ohne Annexionen oder Entschädigungen festlegt. Wenn unsere Feinde bei ihrer Bekämpfung des preußischen Militarismus und der Hohenzollern die erhabene Person unseres Kaixers ver⸗ unglimpfen, so ist das nur geeignet, den Kaiser den Herzen des deutschen Volkes nur noch näher zu⸗ bringen. (Lebh. Zustimmung.) Wir weisen jede Einmischung unserer Feinde in unsere inneren Verhältnisse entschlossen zurück. Wir wollen in die inneren Ver⸗ hältnisse Rußlands nicht eingreifen. Aufmerksam verfolgen wir das Ringen eines mächtigen Volkes um seine politische und geistige Freiheit, und wir begrüßen es, wenn die Reichsleitung sich bereit hält, jederzeit mit Rußland einen Frieden zu machen, der für die Dauer gute nachbarliche Beziehungen herstellt. (Zustimmung.) Mit voller Einmütigkeit und fester Entschlossenheit ist das deutsche Volk in den ihm aufgezwungenen Krieg eingetreten. Mit freudiger Hin⸗ gabe hat das Volk den Reichsgedanken, den Schutz unserer politischen, religiösen, kulturellen und wirtschaftlichen Hüter durch den Krieg hin⸗ durch aufrecht erhalten. Der Geist der Osterbotschaft sichert die Fortentwicklung des staatlichen Lebens. (Zustimmung.) Vertrauens⸗ voll sieht das Volk auf seinen Kaiser. Unser Volk wird, dessen sind wir sicher, aus den Ereignissen der Gegenwart mit uns die Folge kühg ziehen, daß eine Zurückhaltung, wie sie der Reichskanzler emp⸗ fieh
t, geboten ist, und daß auch in dieser Stunde unser Losungswort der Zusammenschluß sein muß. (Lebh. Beifall.) . Auf Vorschlag des Präsidenten wird mit der Besprechung der Interpellationen auch die Besprechung der Etats des Reichskanzlers und des Auswärtigen Amtes verbunden. Abg. Ledebour (U. S.): Wir waren mit den Interpellanten beider Richtungen einverstanden in dem dringenden Wunsche, daß der Kanzler über die Kriegsziele klare Auskunft geben möchte, aber der
Hoffnung, daß er diesen Wunsch erfüllen würde, haben wir uns nicht hingegeben. Wir sind deshalb nicht im geringsten überrascht über die Auskunft, die der Reichskanzler gegeben hat, sie bestätigt die Diagnose, die wir wiederholt aus seinem Verhalten gezogen haben und die Vor⸗ aussetzung, daß er wiederum versuchen wird, über die Situation hin⸗ weg zu handeln. Dabei hat er auch die kräftige Unterstützung der Mittelparteien dieses Hauses erhalten. Der Situation aber, in der Deutschland und die ganze Welt sich befindet, ist der Kanzler absolut nicht gerecht geworden. Er hat in immer kräftigeren Tönen seine An sicht wiederholt, daß er nicht richtig handeln würde, irgendwie sich klar über die Ziele der Regierung auszusprechen. Er irrt sich aber, wenn er glaubt, die Welt würde sich dabei beruhigen. Ungefähr kann man ja doch aus seinen heutigen und früheren Aeußerungen herausraten, was er an bestimmten Kriegszielforderungen aufstellt; es ist kein Zweifel, daß er Annexionen will im Osten und im Westen; gerade die Betonung, daß er an seinen früheren Aeußerungen festhält und nichts davon zurücknimmt, hat die Ansicht bestärkt, daß die Reichsregierung auf Annexionen ausgeht; heute hat er ja auch seine Uebereinstim⸗ mung mit der Obersten Heeresleitung ausdrücklich hervorgehoben, und diese hält Annexionen in weitgehendem Maße für notwendig und kommt in diesem Punkte den Alldeutschen in einem Maße entgegen wie man es früher von der Rei bsregierung nicht erwartet hat. Dar⸗
aus ergibt sich der Schluß, daß er über seine früheren Forde⸗ rungen hinauszugehen bereit ist. Damit hat er auch dem Abg. Dr. Rösicke wieder die Hand zum Zusammengehen geboten. Die Herren rechts werden also nach einiger Zeit wieder den Kanzler unterstützen, wie sie ihre Plänkelei gegen ihn wegen des U⸗Boot⸗ krieges schließlich eingestellt haben, nachdem ihnen hier der Wille getan war. Der Kanzler wird sehen, beim Friedensschluß soviel wie möglich herauskriegen zu können. Zwischen ihm und den bürgerlichen Parteien besteht in diesem Punkte eine Uebereinstimmung, die Herr Spahn soeben noch bekräftigt hat; Zurückweisung „uferloser“ An⸗ nexionspläne, das ist ein ganz bekanntes Mittel, Annexionspläne zu empfehlen. Wenn der Kanzler sich auf den vollständigen Einklang mit den Bundesgenossen beruft, so ist das scheinbar ein Widerspruch mit meiner Auslegung seiner Ausführungen, aber auch nur scheinbar; Oesterreich⸗Ungarn hat sich nach der ganzen Kriegslage dem Stand⸗ punkt des Kanzlers eben anbequemen müssen. Es ist eine unglück⸗ selige Taktik, daß der Kanzler gerade jetzt durchblicken läßt, daß er auch für Annexionen zu haben sei. Außer ufenlosen Phantasten gibt es in diesem Hause niemand, der glaubt, daß noch ein Nieder⸗ zwingungskrieg für Deutschland zu gewinnen ist, an dessen Ende Deutschland den Gegnern den Fuß auf den Nacken setzen kann. Diese Anschauung ist bis weit hinein in die Kreise der bürgerlichen Parteien verbreitet. Der Blutstrom und der Leichenhaufen müssen bei der Fortsetzung des Krieges bis zur Erreichung sogenannter positiver Kriegsziele zu ungeheuerlicher Stärke anwachsen. Es ist unver⸗ antwortlich von dem Kanzler, daß er keine Friedensbereitschaft, keine Bereitwilligkeit zu einem Frieden des Ausgleichs erklärt hat. Er stellt die Gegenfrage: Hört man denn aus England oder Frank⸗ reich solche Bereitschaft? Ja, einer muß doch anfangen. Peters⸗ burg mußte er diesmal schon auslassen; aus Petersburg ist diese Stimme erklungen, und eher, als sie in Benlin hörbar wurde. Was wir am 12. Dezember 1916 anboten, war ein Messer ohne Klinge, dem das Heft fehlte, aber kein wirkliches Friedensangebot, sondern nur ein Hinausschieben des Krieges. Die Entente hatte damals allerdings ungeheuerliche Friedensforderungen aufgestellt, aber die russischen Sozialisten haben sich jetzt von diesen Friedensbedingungen frei gemacht. Es liegt eine Offerte von seiten Rußlands vor, die den Friedensmöglichkeiten Bahn bricht. Der Reichskanzler spricht immer nur von den Regierungen; es wäre ja möglich, daß die fran⸗ zösischen und englischen Regierungen einem Friedensangebot gegenüber sich auch jetzt noch ablehnend verhalten, aber damit ist die Sache noch nicht abgemacht. Wir verlassen uns auf keine Regierung, sondern nur auf den Friedenswunsch und die Friedenstaten der Völker. Man⸗ sagt immer, was sagen denn die Sozialisten der anderen Völker! Die russischen Sozialisten haben jetzt gesprochen, und sie haben alle An⸗ nexionspläne beiseite geschoben. Deshalb besteht jetzt eine größere Friedensmöglichkeit als vor der russischen Revolution. Das vergaß der Reichskanzler. Die allgemeinen Redewendungen des Reichs⸗ kanzlers sind keine greifbaren Dinge. Zu einem Separatfrieden mit Rußland wird es allerdings nicht kommen können. Wenn aber die Möglichkeit besteht, daß die russische Regierung die anderen Entente⸗ regierungen umstimmt, dann ist es verfehlt, wenn man der russi⸗ schen Regierung ihr Vorgehen nicht erleichtert. Deshalb sollte
Deutschland der russischen Regierung erklären, daß es zu einem Frieden ohne Annexionen und Entschädigungen bereit ist. Solange die Entente⸗Regierungen der Westmächte aber Rußland entgegen halten können, daß Deutschland Teile von Frankreich und Belgien annektieren wolle, wird die Friedenssehnsucht der russischen Regierung durchkreuzt. Die Erklärung des Reichskanzlers ist verhängnisvoll, weil sie die Situation in Rußland nicht bedenkt und die segensreichen Wirkungen der russischen Revolution zu durchkreuzen geeignet ist. „Wehe dem Staatsmann, der die Zeichen der Zeit nicht erkennt“, hat der Reichskanzler gesagt, aber wehe auch dem Staatsmann, der den Zeichen der Zeit entsprechend nicht zu handeln weiß. Was heute der Abgeordnete Scheidemann gesagt hat, entspricht im wesentlichen