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bingesviesen. Meine Freünde erkennen die sachlichen Gründe des An⸗ trages Spee an. Sie erkennen und würdigen den hohen Patriotismus, her aus seinen Worten sprach. Ein Teil meiner Freunde wird dafür eintreten. Die Mehrheit meiner politischen Freunde steht aber auf einem anderen Standpunkte. Sie meinen, daß, nachdem nun einmal diese Vorlage eingebracht und monatelang ver andelt worden ist, es für ung eine Pflicht ist, jetzt guch die Konsequenzen zu ziehen. Wir sind entschlossen, gegen den Antrag zu stimmen. j Vtzepruͤsident des Staatsministeriums Dr. Frie dberg: Der Herr Abgeordnete Dr. von Heydebrand hat, wenn auch in milderer Form, den Vorwurf des Herrn Abgeordneten Lüdicke sich zu eigen gemacht und ihn wieder aufgenommen. (Sehr richtig! links. — Widerspruch rechts.) Wenn ich mich ausführlich dazu äußern sollte so würde das meines Erachtens nicht in eine Geschäfts⸗ ordnungsdebatte gehören, sondern in eine Diskussion, die wir wohl in der ausgiebigsten Weise noch haben werden. Vorläufig wollte ich nur sagen, doß dieser Vorwurf sich sehr eigentümlich ausnimmt in dem Munde eines Abgeordneten, den seinerseits die schwere Schuld dafür trifft, daß jahrelang diese Reform in diesem hohen Hause g bverhindert worden ist. (Großer Lärm rechts.) Natürlich, meine Herren, ist es ein Ausdruck Ihres Gerechtigkeitsgefühls, daß die Königliche Stcatsregierung angegriffen wird in den schwersten Formen, daß sie das auf sich nehmem soll, daß sie sich aber nicht verteidigen soll. So schwach ist aber die Regierung Seiner Majestät des Königs nooch nicht, daß sie sich gegen schwere Angriffe nicht einmal verteidigt. (Große Unruhe rechts.) Ich sage also, es trifft diejenigen die Schuld, welche es dahin gebracht haben, daß die Resorm in eine Zeit hinein⸗ ällt, die an und für sich nicht fo besonders geeignet ist.
Abg. Ad. Hoffmann (U. Soz.): Ich muß dem Grafen Spee abbitten, was ich vorhin gesag habe. Niemand hat nach außen für das Wahlrecht des Volkes so gewirkt wie heute Graf Spee wider Willen. Besser kann das Volk gar nicht auf diese Dinge aufmerksam gemacht werden. Die Rechte hat hier ge⸗ Feit wie man die Regierung behandeln muß, wenn sie einem nnicht zu Willen ist. Wir werden dankbare Schüler sein. Allerdings weht draußen ein anderer Wind, und der Sturm wird Ihre Mehrheit für alle Zeiten wegfegen.
Abg. Dr. Graf Spee (Zentr.): Mein Antrag wird ab⸗ eelehnt werden, das ist bedauerlich, aber es ist festgestellt, daß es aus taktischen Gründen geschehen wird. (Sehr richtig! rechts.) Glauben Sie, ich hätte Erfolg gehabt, wenn ich vorher die Regierung davon verständigt hätte? Heiterkeit.) Ich wollte die Stellungnahme des Hauses über diesen Antrag herbei⸗ führen. Der Abg. Porsch bezeichnet den Antrag als Hedererh Das ist Auffassungssache. Ich habe gestern den Antrag in der Fraktjon angekündigt, und Herr Porsch hat nur gesagt, daß ich ihn für meine Person zu vertreten hätte. Daß die Härten Pachnicke und Lohmann mir die Schuld in die Schuhe schieben für die unerhörten Ausfälle des Herrn Hoffmann, geht zu weit. Wohin sollte es führen, wenn An⸗ träge nicht gestellt werden dürfen, werl Herr Hoffmann Ausfälle macht (Sehr richtig! Sehr gut! rechts.) Diese Vorwürfe weise ich in eigenem Namen und im Interesse des Hauses entschieden zurück. (Beifall rechts.) Auf die persönlichen Ausführungen des Herrn Hof. mann einzugehen, fällt mir nicht im Traume ein. Wenn man sachlich nicht weiter kann, fängt man persönlich an. Ich bin Kommandant des Stabes einer Division, also in führender Stellung. Sie mögen über mich herfallen, mich zerzausen, aber man sollte mit dem Urteil warten, bis der stenographische Bericht meiner Rede vorliegt. (Abg. Ad. Hoff⸗ mann: Die Rede an der Front anschlagen lassen!) Der Entfchluß zu dem Antrage ist mir nicht leicht geworden, aber ich hätte mir mein lebelang Vorwürfe gemacht, wenn ich ihn nicht in diesem Augenblick eingebracht hätte. (Beifall rechts.) Wenn ich auch hier allein stehe, so wird die Zustimmung im Volke über kurz oder 8 nicht gusbleiben. (Sehr richtig! rechts Es kann sich auch so entwickeln, daß Parteien dieses Hauses oder des Herrenhauses, ja selbst die Regierung, auf den Antrag zurückkommen. (Sehr richtig! rechts.) Abg. Dr. Pachnicke (Volksp.): Da der F. ab⸗ gelehnt werden wird, lohnt es nicht mehr, den trag auf namentliche Absümmung aufrecht zu erhalten. (Ruf rechts: Warum denn nicht!) Die paar Stimmen, die dagegen sind, sind nicht so viel wert. Wir hatten die namentliche Abstimmung be⸗ antragt, um jeden einzelnen vor die Frage zu stellen. (Abg. Kreth
s.): Wir sind nicht so ängstlich wie Sie!) Dann stellen Sie doch
elbst den Antrag auf namentliche Abstimmung. Die Vorlage ist nicht Schuld, sondern Verdienst der Regierung und der Botschaft Schärfe in die Diskussion haben Sie selbst Fineingebrlcht Graf Spee mußte wissen, daß auf diese Herausforderung geantwortet werden würde. (Ruf rechts: Herausforderung? Lärm.) Je leidenschaftlicher Sie sich jetzt verhalten, um so mehr beweisen Sie, daß es sich für Sie um die Aufrechterhaltung Ihres Parteibesitzstandes handelt. (Larm rechts.) Durch den Wahlkampf wird aber Ihre Mehrheit zertrümmert werden. (Lärm rechts. Abg. Kreth: Auf sozialdemokratischen Krücken!) 1
Abg. Hoffmann: Auch ich ziehe den Antrag auf namentliche Ses rhaag zurück. Wenn Sie sich blamieren wollen, können Sie es selbst tun.
Abg. Dr. von Heydebrand k(kons.): Nachdem erklärt wor⸗
den ist, daß wir selbst die Klarheit bei der Abstimmung herbeiführen könnten, nehme ich den Antrag auf namentliche Abstimmung namens meiner Freunde auf. (Beifall rechts.)
Präsident Dr. Graf von Schwerin⸗Löwitz: Ich bin der Meinung, daß die namentliche Abstimmung über den Antrag zulässig ist, halte es aber für richtig, das Haus darüber zu befragen.
Abg. Dr. Porsch (Zentr.): Ich bin der Meinung des Präsidenten, daß die namentliche Abstimmun zulässig ist. Wir haben in der Geschichte dieses “ dafür einen Präzedenzfall. Als im Jahre 1873 namens meiner Freunde der Abg. Dr. Windthorst den Antrag stellte, das Reichstagswahlrecht auf Preußen zu übertragen, wurde damals von der linken Seite des Hauses beantragt, die Entscheidung über diesen Antrag auf sechs Monate zu vertagen. (Stürmisches Hört! Rufe und große Heiterkeit rechts.) Nach der Debatte, die übrigens weniger erregt als die heutige verlief, wurde in namentlicher Abstimmung beschlossen, die Ent⸗ scheidung über den Antrag Windthorst auf sechs Monate zu vertagen. Aus den sechs Monaten ist freilich eine längere Zeit — bis heute — geworden. (Heiterkeit.)
Präsident Dr. Graf von Schwerin⸗ Löwitz stellt die Zu⸗ stimmung des Hauses zur Vornahme einer namentli hen Abstim⸗ mung fest.
Die namentliche Abstimmung ergibt die Ablehnung des Antrags des Abgeordneten Graf Spee mit 333 gegen 60 S immen bei einer Stimmenthaltung. Die Minderheit besteht nur aus Mitgliedern der konservativen Fraktion. Abg. Graf Spee (Zentr.) erklärt unter großer Heiterkeit, daß
er leider zu spät gekommen sei und infolgedessen nicht für seinen eigenen Antrag habe stimmen können.
Hierauf wird in die sachliche Beratung der 8§ 1 bis 3 der Wahlrechtsvorlage eingetreten.
Berichterstatter Dr. Bell. (Zentr.): Je ausführlicher und erschöpfender die schriftlichen Berichte sind, um so kürzer kann ich die mündliche Berichterstattung gestalten. Ich verweise auf die beiden von mir erstattelen Berichte, deren erster die ecgemeine Aussprache übecr die drei Besetzenwwürfe wiedergibt,
während sich der zweite über den Gosetzentwurf, betreffend die Wahlen zum Abetordnetenbause ausspricht. Die allgemeine Aussprache über die drei Gesetzenrwürfe nahm fünf Sitzungen in Anspruch. Den Haupt⸗ gegenstand der Erörterungen bildete das aleiche Wahltecht, wobe desten
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eenser und Gegner unter augführkicher Darkegung der deschicht⸗ liche, Entwicklung des Wahlrechts in Preußen sowie in den übrigen deutschen Bundesstaaten und im Auslande ihre grundsätzlich entgegen⸗ gesetzten Auffassungen eingehend darlegten. In Verbindung mit den aulf die gegenwärtigen Verhältnisse zugespitzten Erörterungen wurden 1e. ege einer Einführung des wichen Wahlrechts für Preußen an Hand des beigebrachten statistischen Materials ausführlich be⸗ handelt. Von Gegnern des gleichen Wahlrechts wurden Aenderungs⸗ vorschläge gerichtet auf ein ständisches und ein Mehrstimmenwahlrecht angekündigt und befürwortet, von anderer Seite wurde gegenüber der
ausgesprochenen Befürchtung einer für Preußen verhängnisvollen Ra⸗ dikalisierung des Abgeordnetenhauses die bestimmte Erwartung gus⸗ gesprochen, daß die vorgeschlagenen Sicherungen zum Schutze der Ver⸗ fassung, insbeondere füur Kirche und Schule, ferner zur Verstärkung der Budgetrechte der Ersten Kammer und zur Festlegung der Wahl⸗ kreiseinteilung angenommen und Aenderungen des geltenden Rechts⸗ öeses unter eine erschwerende Zweidrittelmehrheit gestellt wurden.
Bon besonderem Interesse darf solgende Gruppierung der Wahlrechte nach den Gesichtspunkten „gleiches Wahlrecht“, „Pluralwahlrecht“ und Wahlreform sein: 1. Gleiches Wahlrecht (ohne Pluralstimmen) gilt a. in folgenden deutschen Staaten: in saͤmtlichen süddeutschen Staaten mit “ von Elsaß⸗Lothringen, in drei mitteldeutschen Staaten, dagegen in keinem norddeutschen Staat, insbesondere in keiner der republikanisch regierten Hansestädte Hamburg, Lübeck und Bremen; b. in außerdeutschen Staaten: 1 Monarchien, 8§ Republiken, also in der weit überriegenden Mehrzahl aller monarchisch oder re⸗ publikanisch regierten Staaten. II. Pluralstimmrecht gilt in vier deut⸗ schen Staaten und in Belgien. III. Die Wahlreform hat in den außer⸗ deutschen Staaten fast durchweg das allgemeine, gleiche und direkte Wahlrecht, in den, deutschen Staaten in Süddeutschland, das allge⸗ meine, gleiche direkte und geheime Wahlrecht, in Mittel⸗ und Nord⸗ deutschland überwiegend das geheime und direkte Wahlrecht gebracht. Eine antidemokratische Reform hat stattgefunden nur in Hamburg und Sachsen. Die erste Lesung des Gesetzentwurfs hat sieben Sitzungen beanfprucht, außer vier umfangreichen Sitzungen zweier Unteraus⸗ schüsse, dagegen beanspruchte die zweite Lesung nur eine Sitzung. Den Schwerpunkt der Erörterungen bildete der das gleiche Wahlrecht be⸗ stimmende § 3. Der hierzu eingebrachte Antrag auf Einführung eines Mehrstimmenwahlrechts in Verbindung mit berufsständischen Wahlen wurde später zurückgezogen, dagegen wurde, unter Ablehnung des Re⸗ gierungsvorschlages, der Antrag auf Einführung eines Mehrstimmen⸗ wahlrechts derart, daß jeder Wähler eine Grundstimme hat und je eine Zusatzstimme erhält auf Grund des Lebensalters und der ahl der erwachsenen Kinder, des Vermögens, des Einkommens, der selbst⸗ ständigen Erwerbstätigkeit und der Schulbildung, angenommen, und
zwar in erster Lesung mit 20 gegen 15, in zweiter Lesung mit 19 gegen 16 Stimmen. Die Anträge auf Einführung der Verhältniswahl für beftimmte Bezirke fanden keine Mehrheit. Dagegen wurde die direkte und geheime Wahl nach dem Regierungsentwurf be chlossen. Außer⸗ dem richtet sich ein Mehrheitsbeschluß über den Rahmen des Gesetz⸗ entwurfs hinaus auf Einführung der Wahlpflicht unter Festsetzung kestimmter Ordnungsstrafen und Einführung ständiger Wählerlisten. In der zweiten Lesung hat der Ausschuß die Beschlüsse erster Lesung durchweg behehalten und nur Aenderungen vorgenommen: 1) den § 25a zugun 8 der Kriegsteilnehmer einzufügen, 2) im § 2 für be⸗ Frei eitsstrafen und Steuerrückstände einen zeitweiligen Aus⸗
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stimmen auszudehnen auf Bewährung im öffentlichen Dienst.
Ministerpräsident Dr. Graf von Hertlin g:
Meine Herren! Die Vorgänge der heutigen Sitzung könnten ja gewisse Zweifel erregen, ob wir noch zu einer Verständigung über die uns jetzt beschäftigende Materie gelangen werden. Aber, meine Herren, gerade diese Vorgänge und die lebhafte Erregung, die sich heute kundgab, haben doch gezeigt, wie stark auf allen Seiten dieses hohen Hauses das Gefühl der Verantwortlichkeit ist, mit dem Sie der heutigen Entscheidung entgegengehen. Dieses Gefühl der Ver⸗ antwortung, meine Herren, das ich auf allen Seiten gleich hoch ein⸗ schätze, das ich nicht erst wachzurufen brauche, sondern voraussetzen darf, gibt mir die Hoffnung, daß es doch noch möglich sein wird, zu einer Verständigung zu gelangen (Bravo! links), daß es doch noch mög⸗ lichsein wird, einen Weg zu finden, der die jetzt so weit auseinandergehenden Meinungsverschieden⸗ heiten zu einer Einheitzusammenfaßt. (Bravo! links.)
Meine Herren, daß der Artikel Z in der Fassung, die Ihre Kommissionihmgegeben hat, fürdie Staats⸗ regierung nicht annehmbar ist, werden Sie sich zweifellos nach den wiederholt abgegebenen Erklärungen der Staatsregierung selbst gesagt haben (Bravol links), und auch der gewiß gut gemeinte Antrag des Herrn Abgeordneten Dr. Lohmann, der aus dem Kommissionsantrace verschiedene Schärfen beseitigt, kann nicht zum Ziele führen; denn dieser Antrag nimmt dem Ge⸗ setze nicht den plutokratischen Charakter, den wir schlechterdings ver⸗ meiden wollen. Meine Herren, ein plutokratisches Wahlrecht ist un⸗ wirksam, oder aber es geht über das Ziel weit hinaus und verschärft die vorhandenen Gegensätze, statt eine Milderung herbeizuführen. (Sehr richtig! links.) Ein plutokratisches Wahlrecht, das die politi⸗ schen Rechte nach dem Maß von Vermögen und Einkommen bemißt, sei dies nun direkt oder indirekt, ist heute in unserem Volke nicht mehr möglich (Sehr richtig! links) angesichts der unausgesetzten Ver⸗ schiebungen in den finanziellen, in den wirtschaftlichen Verhältnissen, angesichts auch des Grades politischer Bildung in unserem Volke. Auf ein plutokratisches Wahlrecht kann sich die Regierung deshalb nicht einlassen. 1
Es kann sich also nur um das allgemeine gleiche Wahlrecht in vernünftigen Grenzen handeln, wie sie bereits durch die Vorlage selbst angedeutet sind. Meine Herren, das gleiche Wahlrecht muß grundsätzlich festgehalten werden. Die Zusage ist gegeben, die Zusage muß eingelöst werden. Und, meine Herren, ich bitte, das zu beachten, daß in allen modernen Staaten das politische und soziale Leben auf dieses Ziel eingestellt ist, daß dieses Ziel eines gleichen Wahlrechts in einer großen Reihe der modernen Staaten bereits erreicht ist, in manchen Staaten weit hin⸗ ausgehend über das, was der Ihnen vorgelegte Gesetzentwurf vor⸗ geschlagen hat. (Sehr richtig! links.) Es ist auf die Dauer nicht möglich, meine Herren, daß sich Preußen dieser tiefgehenden Bewegung entzieht, daß in Preußen allein dieses gleiche Wahlrecht dauernd aus⸗ geschlossen sein soll. (Sehr richtig! links.)
Meine Herren, es ist ja auch möglich, gewisse Siche⸗ rungen vorzunehmen, die befürchteten, allzu weitgehenden radikalen Solgen, die aus dem allgemeinen gleichen Wahlrecht sich er⸗ geben könnten, zu beseitigen. In der Gesetzesvorlage selbst sind be⸗ reits derartige Sicherungen angeregt; andere sind an anderen Stellen wohl noch möglich. Es sind, wie ich höre, Anträge in Vorbereitung, die weitere Sicherungen dieser Art noch einführen wollen (Hört, hört! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten), die Regierung wird diese Anregungenmitallem Ernst und allem Wohl⸗ wollen prüfen. Denn selbstverständlich ist die Regierung, die sich dafür eingesetzt hat, das gleiche Wahlrecht zur Durchführung zu bringen, zu gleicher Zeit fest⸗ entschlessen, bafür zu sorgen, daß die be⸗
schluß von der Wahlberechtigung festzulegen, 3) im § 3 die Mehr⸗
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fürchteken schädlichen Wirkungen dieses gleichen Wahlrechts moͤglichst verhütet werden. (Zuruf rechts.) Ich zweifle nicht, daß dieses Ziel erreicht werden kann.
Meine Herren, es ist ja doch überaus wünschenswert, daß wir jetzt und daß wir bald zu einer Entscheidung kommen. (Sehr richtig!) Das öffentliche Leben, wenn es auch nicht immer i die Erscheinung tritt, dreht sich zurzeit im Bewußtsein fast des ganze Volkes um die Frage des gleichen Wahlrechts. (Lebhafter Wid spruch rechts. Zustimmung links.) — Meine Herren, die Ansichten darüber können ja verschieden sein, das bezweifle ich nicht; aber ich kann nur sagen, daß ich mich bemüht habe, bis in die letzte Zeit hinein, möglichst Fühlung zu nehmen und mir die Stimmung der verschiedenen Volkskreise zur Kenntnis zu bringen; da ist mir immer wieder ent⸗ gegengetreten: die Frage des gleichen Wahlrechts muß zur Entscheidung gebracht werden. (Sehr richtig! links.) Meine Herren, es ist ja auch heute schon wiederholt darauf hingewiesen worden, wie notwendig es ist, in unserem Volke die große Einmütigkeit zu erhalten, die es dem ungeheuren Weltkriege gegenüber bis dahin bewiesen hat (Sehr
richtig!), und unser Volk ist ja wahrhaft bewunderswert in dem ein⸗ 8— mütigen Zusammenstehen. Ich glaube, es wird ein weiterer Schritt .
zur Stärkung und Steigerung dieser Einmütigkeit sein, wenn Sie von allzuweitgehenden Gegensätzen in dieser Frage jetzt zurücktreten wollten. G
Meine Herren, die Sache liegt jetzt so: jetzt sind wir noch in der Lage, die Zusage, die gegeben worden ist, und die eingelöst werden muß, einzulösen, ohne schwere Erschütterungen befürchten zu müssen.
Jetzt kann diese Zusage noch eingelöst werden, indem zu gleicher Zeit, 8
wie ich schon sagte, diejenigen Sicherungen gegeben werden, die im Interesse eines ruhigen, stetigen Fortschreitens des Staatslebens not⸗ wendig sind. Das, was wir jetzt geben können, das müssen wir viel⸗ leicht, wenn es heute abgelehnt wird, in einiger Zeit unter schweren Erschütterungen des Volkslebens — deren Gefahren wir gar nicht übersehen können — uns abringen lassen. (Hört, hört!)
Meine Herren, das gleiche Wahlrecht kommt:. es kommt, wenn nicht heute, so doch in absehbarer Zeit. (Sehr richtig! links.) Es kommt entweder ohne Erschütte⸗ rungen, oder es kommt nach schweren inneren Kämpfen. Und darum lautet die Frage jetzt: wie wollen Sie sich dazu stellen? wollen Sie
nicht jetzt die Hand zu einer Verständigung reichen, die uns dazu
führen kann, schwere Erschütterungen zu vermeiden, und Sicherungen jetzt noch vorzunehmen, die mögliche schädliche Wirkungen in der Zu⸗ kunft abwenden? oder wollen Sie die Verantwortung auf sich nehmen
für die gefährlichen Folgen, welche die Ablehnung nach sich ziehen würde, ohne doch das von Ihnen erwünschte Ziel zu erreichen? (Leb⸗ hafter Beifall links.)
Abg. Dr. von Heydebrand (kons.): Den Wunsch nach einer Verständigung teilen wir auch. Aber auf dem Wege, den der Herr Ministerpräsident gewiesen hat, ist eine Verständigung nicht möglich. Wenn selbst der Antrag der nationalliberalen Partei die Zustimmung der Regierung nicht findet, so kann das Ziel der Verständigung nicht erreicht werden, sondern nur dann, wenn wir einfach die Regierungsvorlage annehmen. (Sehr richtig! rechts.) Das aber können wir nicht machen. Wenn gesagt wird, daß das gleiche Wahl⸗ recht allseitig im Volke verlangt wird und man sich disssr Forderung aicht entziehen kann, so mache ich darauf aufmerksam, daß ein großer Teil unseres Volkes jetzt überhaupt nicht in der Heimat ist. Die libe⸗ ralen Zeitungen sind dafür nicht maßgebend. Die Konservativen haben in der Kommission mit allem Fleiß mitgearbeitet, um die Vorlage so zu gestalten, wie wir sie annehmen können. Wir sind davon überzeugt. aß unser gegenwärtiges Feshlesc reformbedürftig ist, und ich war des⸗ hald eigentlich erstaunt, als der stellvertretende Minssterwrafädent sagte, daß wir die Reform vephindern. (Zwischenrufe links.) Vielleicht habe ich den stellvertretenden Ministerpräsidenten nicht ganz richtig verstanden; er war so erregt. Ich habe sonst von einem Minister staatsmänni che Ruhe erwartet. (Heiterkeit rechts.) Er ist ja aber erst seit kurzer Zeit stellvertretender Ministerpräsident. Die konservative Fraktion hat bei dem ersten Wahlgesetz von 1906 mit voller Einmütigkeit mitgewirkt, und wir haben auch die Vorlage von 1910 zusammen mit der Regierung verabschiedet; wenn sie nicht zustande kam, so lag das am Herrenhause, wofür wir nicht verantwortlich gemacht werden, können, Wir haben getan, was wir konnten. Wir waren im vergangenen Jahre bereit, mit den Parteien eine Vorlage auszuarbeiten, die eine loyale Verwirklichung der Osterbotschaft sein würde. Das kann man doch nicht als Verhinde⸗ rung ansehen. Wir haben die Reformbedürftigkeit des e. immer anerkannt. (WischerneS,gg⸗ In dem gegenwärtigen Wahl⸗ recht sind manche technischen Ein elheiten ungeeignet; das wissen wir auch. Aber das Wahlrecht sollen Sie uns mal zeigen, das keine Inkon⸗ sensitäten ffigt. Die Signatur des jebigen Wahlrechts ist der Einfluß des Mittelstandes. (Widerspruch 1h as gleiche Wahlrecht bedeutet den Einfluß der unterschiedslosen Masse, der Landarbeiter wie der städtischen. Ist es wirklich zu begründen, daß man das gleiche Wahlrecht in Preußen fordert? Es gibt Leute, die behaupten, daß das gleiche Wahlrecht im Reiche sich außerordentlich bewährt habe; ich will dar⸗ über nicht richten, ich bin ja selbst ein Produkt dieses gleichen Wahl⸗ rechts. Aber die Verhältnisse im Reiche sind doch anders. Gerade weil wir im Reiche das gleiche Wahlrecht haben, ist es eine naturgemäße Forderung, daß man den Bundesstaaten ihre Eigentümlichkeiten läßt. Sehr richtig! rechts.) Wenn wir jetzt in Preußen das gleiche Wahlrecht
einführen, 8 werden die Bundesstaaten im ganzen Reiche auch dazu ge⸗
swungen. das gleiche Wahlrecht ist nicht richtig für ein gesundes preußi⸗
ches Staatsleben. Wenn die Kriegsereignisse das gleiche Wahlrecht fordern, dann müßte man warten, wie die Feldgrauen selbst darüber denken. Das ist ein Widerspruch, den wir nicht verstehen. Heere gibt es auch keine Gleichheit, sonst könnten wir keine Offiziere haben. Wohin würden wir sonst mit unserem Heere kommen? Ich habe den Erlaß des Königs dahin verstanden, daß eine Vorlage über das Wahl⸗ recht eingebracht werden soll. Aber ich habe nicht gehört, daß der König wünsche oder befehle, daß wir uns unserer verfassungsmäßigen Freiheit, darüber zu befinden, begeben sollen. Ich möchte wissen, ob der König richtig darüber informiert war, daß im vorigen Sommer vor dem 11. Juni eine Einigung aller Parteien über das Wahlrecht möglich war. Auf unsere Anfrage danach in der Kommission ist keine Antwort er⸗ folgt. Das war vor dem 11. 8” (Beifall rechts.) Bei dem gleichen Wahlrecht werden wir im Hause etwa 130 Sozialdemokraten, eine sehr starke Linke und eine sehr starke polnische Fraktion haben. Auch bei den anderen Parteien wird nicht alles beim alten bleiben. Die Mittel⸗ ständler werden verschwinden. (Widerspruch links.) Wird denn das Wahlrecht nicht von Einfluß auf die Zusammensetzung des Hauses sein? (Ruf links: Das wollen wir ja!) Die Leute mit einem guten Sprecha⸗ nismus und Agitationskraft werden auf den Schild erhoben werden. Das Haus wird nicht bloß zahlenmäßig, sondern auch innerlich ein anderes werden. Preußen ist von der Autorität getragen. Wir haben ein gewaltiges Beamtenheer voll Disziplin und Unterordnung. Auch darauf wird die Zusammensetzung des Hauses einwirken. (Ruf links: Das ist eine Beleidigung der Reichsbeamten.) Ins Reich gehört die Sache hin, wir reden hier. (Ruf links: Vorläufig!) Die direkte Be⸗ steuerung wollen Sie der besitzlosen, unterschiedslosen Masse überant⸗ worten. (Abg. Hoffmann: Im Schützengraben sind sie gleich⸗ berechtigt und können für die Besitzenden verbluten!) Die Besitzlosen sollen die Steuern bestimmen, die Besitzenden sollen sie bezahlen. Man beschwichtigt uns, daß es nicht so 6 werden wird, aber Gegen⸗ gründe hat man nicht. Mit dem gleichen Wahlrecht haben Sie in fünf Jahren die rote Mehrheit auch in den Kommunen. Die radi⸗ kale Richtung wird sehr viel wegnebmen von dem 8
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F vespateb. Das sollten auch die underen Herren bedenken. *
emn wir jetzt das gleiche Wahlrecht im Staate haben, dann haben wir in 2- Iegen das gleiche Wahlrecht auch in den Gemeinden. Rufe b. d. Soz.: Hoffentlichl Dann werden die Herren auf der elinken sehen, wo sie bleiben. (Sehr gut! rechts.) Die Linke wird bei em gleichen Wahlrecht in dissem Hause eine Verstärkung erfahren, die auch zu einer anderen Richtung religiöbser und kultureller Be⸗ jehung führen wird. Es wird eine gewisse radikale Auffassung hier latz greifen, die sehr viel von dem weggeben wird, was hier geschaffen wurde. Das sollen sich alle die Herren überlegen. (Ruf rechts: Die Herren vom Zentrum!) Ja, aber auch wir überlegen es uns und wir wollen die Hand nicht dazu bieten. Wir wollen die konfessionelle Volksschule nicht in Gefahr bringen. Wenn hier eine freireligiöse Richtung die Oberhand gewinnt, so wollen wir auf der rechten Seite nicht mehr die Verantwortung dafür tragen, weder für uns noch für unsere Kinder. (Lebhafte Zustimmung rechts.) Der Widerstand, den wir gegen die Regierungsvorlage leisten, hat sehr ernste Gründe. (Abg. Hoffmann: Das Portemonnaie!) Wir haben in diesem Hause auch eine nationale Ostmarkenpolitik immer getrieben. Es wäre mir lieb, wenn der Ministerpräsident auch darüber ein paar Worte sagen würde. (Sehr wahr! rechts.) Wir haben von ihm nicht gehört, wie er sich dazu stellt, wenn durch die Durckführung der Regierungs⸗ vorlage die wesentlichen Grundlagen dieser Ostmarkenpolitik er⸗ schüttert werden. Die politische und wirtschaftliche Entwicklung in der Ostmark ist so, daß der Pole unbedingt dort das Uebergewicht über den Deutschen bekommen muß, wenn der Deutsche eine nicht zanz starke Unterstützung vom Staate erhält. Nun machen Sie mir einmal vor, wie Sie eine solche Politik treiben wollen in einem Hause, wie es nach Durchführung des gleichen Wahlrechts zu ammen⸗ gesetzt sein wird. Der deutsch⸗nationale Charakter des Ostens ift sinfach eine Notwendigkeit für den Bestand Preußens. Die Politik aber, die Sie treiben wollen, gefährdet die nationale Grundlage Preußens. (Sehr wahr! rechts.) Ich erwarte vom Ministerpräsi⸗ denten eine Antwort auf diese Fragen. Es steht doch hea daß der Minister vom König einfach kommandiert wird. Der Minister hat doch das, was er hier sagt, nach seiner eigenen politischen Ueber⸗ zeugung zu vertreten. Sie (zum Regierungstisch) vertreten aber hier
eine Politik, die bisher bei denselben Parteien Widerspruch ge⸗
kunden hat, mit denen Sie zusammen gearbeitet haben, und mit denen Sie jetzt die Politik machen wollen. Wir können eine solche Politik nicht mitmachen, aber daraus focgt nicht. daß wir untätig dabeistehen wollen. Auch wir haben das Bewußlsein, daß den neuen Verhält⸗ nissen entsprechend etwas Neues geschaffen werden muß. Ein gesundes Wahlrecht muß so geartet sein, daß es der bürgerlichen Gesell⸗ schaft sich anpaßt, indem jede Schicht 18 ihrem Rechte kommt und nicht bloß eine einseitige Kla e. Im sen der menschlichen Gesell⸗ chaft gibt es keine Gleichheit, sondern nur ein organisches Zu. ammenfassen von Mitgliedern, die zueinander gehören. Wir haben deshalb in den Gedanken des gleichen Wahlrechts hineingetragen Be⸗ dingungen des Besitzes, des Alters, der Steuerleistung, der Bildung und haben damit den Gedanken vertreten, keinem ein Uebergewicht, aber allen ein Recht zu gewähren. Meinen politischen Freunden ist 8as Fehrs schwer geworden, auf manches Althergebrachte zu verzichten, wit haben uns aber dem angeschlossen, was die Kommission nieder⸗ gelegt hat, weil nur auf diesem Wege eine Mehrheit zusammen⸗ geschlossen werden konnte und weil wir glaubten, daß es im Inter⸗ esse des Landes wäre, eine so wichtige Vorlage mit möglichst großer
ehrheit zu beschließen. Damit haben wir eine patriotische Pflicht orfüllt. Während wir hier stehen und reden, tobt in Flandern eine Schlacht, wie sie die Weltgeschichte noch nicht gesehen hat. Tausende allen draußen und während dieser Zeit sind wir verurteilt, hier eine o schwere Entscheidung zu treffen, die leider den Keim zum Un⸗ frieden in sich trägt. Es handelt sich um das wichtigste Staats⸗
undgesetz, das seit dem Bestehen der preußischen Verfassung über⸗ Saupt vorgekommen ist. Da bleibt uns nichts anderes übrig, als daß wir Hand anlegen müssen. Was kann es da ausmachen, wenn von Vorteilen oder Nachteilen persönlicher Art die Rede ist oder von Vorteilen oder Nachteilen für die Partei, oder wenn man hört, es wird dieser oder jener Minister fallen oder daß man dieses Haus auflösen will. Wir stehen an dieser Stelle im Begriff, ein Gesetz zu beschließen, welches für die Geschicke Preußens für lange Zeit von entscheidender Bedeutung sein wird. In einer solchen Situation gibt es für uns nichts anderes als unsere heilige Ueberzeugung. Der wollen wir folgen und wir scheuen uns nicht, auch hinauszutreten
vor das Land, vor unsere Wähler und das zu vechtfertigen, was wir beschlossen haben. (Lebh. sich wiederholender Beifall rechts.)
Vizepräsident des Staatsministeriums Dr. Friedberg: Meine Herren! Herr Abgeordneter Dr. von Heydebrand ist davon ausgegangen, daß eine Verständigung nach den Worten des Herrn Ministerpräsidenten wohl nur dann zu finden sei, wenn alle Parteien auf den Boden des gleichen Wahlrechts treten. Ja, meine Herren, wenn Sie die Dinge so auffassen, dann hat er, glaube ich, vollständig recht. Daß die Königliche Staatsregierung an der Forderung des gleichen Wahlrechts unbedingt festhält, hat sie stets erklärt, und das hat sie noch eben durch den Mund des Herrn Ministerpräsidenten zum Ausdruck gebracht. (Bravo! links.) Nichts destoweniger hat aber der Herr Ministerpräsident in seiner Rede schon darauf hin⸗ gewiesen, daß auf anderem Wege eine Verständigung sehr wohl möglich sei, indem mit dem gleichen Wahlrecht sehr gut gewisse ver⸗
fassungsmäßige Kautelen verbunden werden können (Zurufe), die einige
an sich unerwünschte Folgen des gleichen Wahlrechts abzuschwächen geeignet sind. (Hört, hört! links.) Ich bedaure außerordentlich, daß die konservative Partei aber gerade diesen Weg für ungangbar erklärt hat. Denn alle Versuche, die nach der Richtung hin in der Kommission gemacht worden sind, sind von den Vertretern der konservatipen Partei nicht angenommen worden, und sie haben sogar ihren prin⸗ zipiellen Widerspruch dagegen zum Ausdruck gebracht.
Herr Abgeordneter Dr. von Heydebrand ist dann zurückgegangen auf die Vorkommnisse, die vor der Diskussion stattgefunden haben. Er hat mir Mangel an Ruhe vorgeworfen, und ich will ihm zugeben, daß ich vielleicht mit einiger Erregung gesprochen habe. Wenn er mixr aber gestattet, ein Lessingsches Wort zu variieren, so möchte ich sagen: wer bei gewissen Dingen sein Temperament nicht verliert, der hat überhaupt keins zu verlieren. (Sehr richtig! links.) Wenn man in dieser schweren Weise angegriffen wird, wie es seitens des Herrn Abgeordneten Lüdicke geschehen ist, wenn dann — was mich persönlich außerordentlich betrübt hat — dieser Vorwurf von Herrn Abgeordneten Dr. von Heydebrand noch unterstrichen worden ist, und wenn ein Minister zu einer Erwiderung kaum zugelassen wird, da⸗ durch, daß man ihm das Wort durch lärmende Kundgebungen ab⸗ zuschneiden sucht (Sehr richtig! links), ja, dann ist die Erregung be⸗ greiflich. (Zuruf.) — Meine Herren, das können Sie wohl meiner eigenen Beurteilung überlassen. (Zurufe.) — Ich stand zufällig an der Rednertribüne (Zurufe) und habe von dort aus gesprochen. Der verehrte Herr Präsident hat mir nicht als Abgeordneten das Wort erteilt, sondern als Vizepräsidenten des Staatsministeriums. Das ist wirklich ein Einwand, auf den ich nicht gefaßt gewesen bin, und der, wie ich zugeben will, eines gewissen Humors nicht entbehrt. Ich hoffe, daß es möglich sein wird, in Zukunft detartige Vorkommnisse zu vermeiden, erstens dadurch, daß ein langjähriger Abgeordneter wie Herr Dr. Lüdicke sich in der Form mäßigt, und daß mir, wenn ich in die Lage komme, die Königliche Staatsregerung vertreten zu müssen, das Wort nicht durch solche Kundgebungen abgeschnitten wird.
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dann dagegen gewandt, daß ich in meinen Ausführungen von vorhin davon gesprochen habe, daß die Wahlrechtsreform hier im Hause lange Zeit verhindert worden sei. Ich glaube, der Gedanke, den ich zum Ausdruck gebracht habe, ist kein neuer gewesen, und ich erinnere nur an die Rede meines verehrten Freundes Herrn Dr. Lohmann, der mit Ihnen ja in der Wahlrechtsfrage durchaus zusammengeht, worin ausdrücklich ausgeführt wonden ist, worauf die Verzögerung, die die Reform hier gefunden hat, zurückzuführen ist. Ich wollte auf diese Vorgänge nicht zurückkommen; daran lag mir sehr wenig. Ich wollte nur sagen, daß, wenn rechtzeitig damals die Reformvorlage zustande gekommen wäre, sie nicht in eine Zeit hineingekommen wäre wie die jetzige und daß sie dann vielleicht einen weniger überstürzten Charakter angenommen hätte. Ich meine also, die Verantwortung, die die Königliche Staatsregierung dabei treffen könnte, ist jeden⸗ falls die geringere als die, die bei denen liegt, die glaubten, daß es richtig sei, die Sache so weit hinauszuschieben.
Herr Abgeordneter Dr. von Heydebrand hat dann eine Frage an mich gerichtet, deren Beantwortung ich sehr gern übernehme. (Zuruf.) Er hat gemeint, die Frags sei schon in der Kommission gestellt worden. Mir ist das nicht erinnerlich. Aber das ist gleich⸗ gültig, ob sie heute oder früher gestellt worden ist. Ich bin durchaus bereit, sie zu beantworten, und ich hoffe dann, daß damit die Sache ein für allemal erledigt ist. Herr von Heydebrand hat die Frage aufgeworfen, ob der Träger der Krone von den damaligen Ministern — denn um die handelt es sich ja — darüber unterrichtet worden sei, daß ein Kompromiß im Gange sei, das von den ausschlaggebenden Parteien hier im Hause gebilligt werde, und daß wahrscheinlich ohne alle Schwierigkeiten Annahme gefunden haben würde. Ich kann die Frage mit ja beantworten. (Hört, bört! links.) Der Träger der Krone ist selbstverständlich in den Beratungen, die dem Erlaß der Botschaft vom 11. Juli vorangingen, unterrichtet worden, und zwar in ausführlicher Weise. (Hört, hört! links.)
Der Abgeordnete Dr. von Heydebrand ist dann auf das Verhältnis der Minister zur Krone zurückgekommen. Ich bedaure das außer⸗ ordentlich, weil ich mit ihm der Ansicht bin, daß das ein Thema ist, das wirklich nicht allzu oft berührt werden sollte. Er hat schon eine dahin gehende Frage in der Kommission aufgeworfen. Ich habe bei verschiedenen Gelegenheiten selbstverständlich mich darauf berufen müssen, daß durch die Botschaft vom 11. Juli den Ministern eine bestimmte Direktive gegeben worden ist, wie sie die Vorlage aufstellen sollen, und auch eine bestimmte Direktive dahin, in welchem Zeitpunkt sie sie aufstellen sollen. Daß man dadurch den Träger der Krone un⸗ gebührlich in den Vordergrund schiebt, kann ich aber nicht als zutreffend anerkennen. (Sehr richtig! links.) Daß im übrigen die Minister sich nicht hinter die Krone, sondern sich vor die Krone stellen, das beweist gerade (Zurufe) — auch tun, meine Herren — (Widerspruch rechts), — das beweist gerade der Umstand, der mir vielleicht in gewissem Sinne zum Vorwurf gemacht wird und auf den ich noch zurückkomme, nämlich, daß ich bereit gewesen bin, eine Verantwortung zu über⸗ nehmen, die für mich eine ganz außerordentlich schwierige war und, wie viele Reden hier im Hause und wie viele Artikel in der Presse beweisen, mitunter auch für mich eine äußerst peinliche ist. Das beweist, glaube ich, daß ich bereit gewesen bin, vor meinen König und nicht hinter meinen König zu treten. (Bravo! links.) Im übrigen mag ja das Ver⸗ hältnis zwischen den Ministern und der Krone sehr verschieden auf⸗ gefaßt werden. Herr von Heydebrand hat heute seine Stellung dazu bekundet. Ich muß sagen, daß sich meine Auffassung mit der seinigen im wesentlichen deckt. Die konstitutionelle Rechtslage wird aber von einem höheren Beurteiler als Herrn von Heydebrand, einem höheren Staatsmann, nämlich von Fürst Bismarck in einer ganz andern Weise aufgefaßt. Fürst Bismarck hat in einer Rede, die er am 24. Januar 1882 im Reichstage gehalten hat, ausgeführt:
Deshalb sollten wir, glaube ich, die Königliche Aktion, die lebendige Wechselbeziehung zwischen dem Könige und dem Volke, wie sie in Preußen immer gewesen ist und nie zum Schaden der Monarchie gereicht, nicht anrühren. Der Herr Vorredner — ich glaube, die Ausführungen sind gegen Windthorst gerichtet — hat keine preußischen Jugendeindrücke, wenn er glaubt, daß der direkte Verkehr mit dem Volke und seiner Vertretung dem Ansehen der 1b Monarchie schaden könnte; unsere Monarchen gewinnen bei näherer
Berührung treten. Und er sagte an einer andern Stelle:
Sobald von dem Könige die Rede ist, müssen die Herren ganz andere Glacshandschuhe anziehen, wenn sie die Regierung in dem Maße herunterreißen wollen, wie es geschehen ist. Die politische Brunnenvergiftung, möchte ich sagen, ist gar nicht möglich, wenn all die Verdächtigungen, deren die Regierung geziehen wird, nicht den unglücklichen Reichskanzler, sondern den König von Preußen, den Deutschen Kaiser treffen. — Da würde man gar nicht den Mut haben, diesen Unsinn in die Welt zu schicken.
Das ist eine durchaus andere Auffassung, die ich mir nicht zu eigen mache, weil ich auf dem Boden des konstitutionellen Staats⸗ rechts stehe, wonach der König, möglichst nur durch die Minister gedeckt, in die Oeffentlichkeit treten soll. Aber es ist eine Auffassung, über die Sie gewiß nicht mit Stillschweigen hinweggehen können.
Nun ist der Abgeordnete von Heydebrand auf die verschiedenen Bedenken zurückgekommen, die mit der Einführung des gleichen Wahlrechts verbunden sind und die, wie ich glaube, schon ausführlich erörtert worden sind. Da er trotzdem bemängelt hat, daß klare Ant⸗ wort nicht gegeben sei, so bin ich auch wohl genötigt, noch einmal auf einige dieser Punkte näher einzugehen, ohne irgendwie die Absicht zu haben, das, was richtig daran ist, abschwächen zu wollen.
Meine Herren, die Ostmarkenfrage. Es ist richtig, daß die Einführung des gleichen Wahlrechts wahrscheinlich die Folge haben wird, daß die polnische Fraktion stärker in den Parlamenten vertreten sein wird, als bisher. Es wird zweitens die Folge die sein, daß die Zusammensetzung des Hauses eine andere wird, und daß damit eine Polenpolitik, wie wir sie bisher getrieben haben, wesentlich erschwert wird. (Hört, hört! rechts.) Ja, meine Herren, hören Sie weiter! Es wird nun gefragt, welche Abwehrmittel dagegen zu treffen sind, oder welche Abschwächungsmittel — (Zuruf) —, ja, meine Herren, müssen wir denn die Frage allein beantworten, muß sich die Frage nicht ebenso gut Herr von Heydebrand beantworten, der das Plural⸗ wahlrecht einführen will, bei dem die Verhältnisse ganz ebenso liegen?
(Widerspruch rechts.). Ich möchte behaupten, sie liegen beim Pluralwahlrecht noch Ungünstiger für die Ost⸗
Meine Herren, Herr Abgsordneter Dr. von Heydebrand hat sich
Bekanntschaft, je mehr sie heraustreten und mit dem Volke in engere
marken alb bei der Einführung beb gleichen Wahtl rechts. (Widerspruch rechts.) Beispielsweise wird die Selbstän⸗ digkeitsstimme in den Ostmarken viel stärker zum Ausdruck kommen als in irgend einer anderen Gegend unseres Vaterlandes, bei der außerordentlichen Zersplitterung des Bodens in kleine Bauernschaften, bei dem nationalpolitischen Einfluß, namentlich der polnischen An siedlungsgesellschaften. Darin liegt eine wesentliche Gefahr. Herr von Hepdebrand scheint das zu bestreiten; er sieht die Dinge anders an. Das kann ich aber sagen: ein wesentlicher Unter schied sowohl für den Ausfall der Wahlen, wie für die Zusammensetzung dieses Hauses wird durch die Einführung des Pluralwahlrechts nach keiner Richtung hin eintreten. Da möchte ich an einen Vorfall erinnern, den ich neulich im Herrenhause mit erlebt habe. Als dort der Herr Minister des Innern dieselben Ausführungen machte wie ich eben, da rief ihm ein Herrenhausmitglied entgegen: das Pluralwahlrecht wollen wir aus diesem Grunde auch nicht — Sehen Sie, Herr von Heydebrand, das war konsequent aber Sie sind nicht konsequent. (Zuruf.) Nein, die richtige Konsequenz wäre die Beibehaltung des Drei klassenwahlrechts. (Erneuter Zuruf.) Nun, meine Herren ich meine aber: es ist doch Aufgabe eines Staatsmannes, wenn er solchen Möglichkeiten entgegensieht, auch noch enwas weiter zu denken sich noch die andern Wege klar zu machen, auf denen eine Fortsetzung einer guten Ostmarkenpolitik möglich ist. Diese Mittel und Wege 8 zu finden, wird die Aufgabe der Königlichen Staatsregierung sein (Zuruf), und sie hofft sie zu lösen, auch im Einvernehmen mit 8 Mehrheit dieses hohen Hauses. Ich hoffe, daß Sie (nach vechts) uns mit Rat und Tat zur Seite stehen werden, und ich hoffe, daß auch von Ihnen Anregungen an uns kommen werden. Ich habe allerdings in dieser Beziehung, daß uns eine solche Unterstützung zuteil werden wird, augenblicklich wenig Hoffnung. Ich will Ihnen auch sagen: warum? Ich habe im Herrenhause neulich eime ganze Reihe von Reden mit angehört, die ein reiches Material für die Beurteilung dieser Frage bieten. Alle Herren Redner waren sich darin einig, daß die Ostmarkenpolitik der Regierung eine verfehlte sei. Jeder hat infolgedessen scharfe Angriffe gegen die Regierung gerichtet. Wemn ich mir aber diese Reden in Ruhe nochmals durchlese, dann finde ich, daß von den Herren Rednern jeder uns ein ganz anderes Rezept empfiehlt, und so uns eine ganz andere Lösung der Frage vorschlägt. Es scheinen also auch innerhalb der politischen Parteien die Ansichten darüber, was in der Polenpolitik in Zukunft gemacht werden soll, noch recht weit auseinander zu gehen.
Dann ist Herr von Heydebvand dazu übergegangen, von dem autoritativen Charakter unseres Staatsbaues zu sprechen, von der Ordnung und Ueberordnung, z. B. innerhalb des Beamtentums, und er glaubte, daß auch dieser autoritative Charakter des Staates bei der 8 Einführung des gleichen Wahlrechts verloren gehen wird. (Sehr richtig! rechts.) Ich möchte mir dagegen doch die Einwendung ge⸗ statten, daß die Monarchie mir die festeste Grundlage zu sein scheint für die Aufrechterhaltung des bisherigen staatlichen Chavakters in unserm engeven Vaterlande. Wenn das nicht so wäre oder wenn man das nicht annehmen sollte, so würde das doch dadurch widerlegt werden, daß auch in Süddeutschland die Parlamente auf breitem Wahlrecht aufgebaut sind, und daß dort auch nicht alles drunter und drüber geht. Bei aller Verehrung, bei aller Hochachtung für die Eigenart unseres preußischen Staatswesens, die ich als Altpreuße im vollen Maße besitze (Zurufe rechts), kann man sich nicht dem Hochmut hingeben, daß der preußische Staat turmhoch dastehe gegenüber anderen Staaten, die schließlich ebenso gut verwaltet werden wie der preußische. — Vielleicht bin ich mehr Altpreuße wie viele der Herren hier, ich bin mitten in der Monarchie hier in Berlin geboren, meine Familie ist seit Generationen in Berlin angesessen; also ich glaube mich mit gutem Recht als Altpreuße bezeichnen zu können. Aber das soll gar kein geographisches Merkmal sein, sondern es kommt auf die Ge⸗ sinnung an, und meiner Gesinnung nach bin ich Altpreuße vom Scheitel bis zur Sohle. Also warum soll, wenn in anderen Staaten die staatliche Autorität unter dem gleichen Wahlrecht nicht verloren gegangen ist, das gerade in Preußen der Fall sein? Das scheinen Argumente zu sein, die über das Ziel hinausschießen.
Der Herr Abgeordnete von Heydebrand ist dann auf eine andere Folge eingegangen, nämlich auf die Ausgestaltung des Gemeinde⸗ wahlrechts. Wie in der Kommission diese Frage in der Erörte⸗ rung einen breiten Raum eingenommen hat, so wird sie auch hier wohl noch vielfach berührt werden. Ich kann nur wiederholen, was von dem Herrn Minister des Innern und von mir in bezug auf diese Frage geäußert worden ist. Die heutige Staatsregierung steht unbedingt nicht auf dem Standpunkt, daß das Gemeindewahl⸗ recht auf das gleiche Wahlrecht basiert werden soll. Allerdings sagt Herr von Heydebrand: aber es ist die notwendige Folge. Das ist ein Raisonnement, das kann sein, kann nicht sein. Ich könnte Ihnen entgegenhalten, daß auf dem sozialdemokratischen Parteitage in Mannheim der Abgeordnete Bebel geäußert hat, daß ihrer ganzen Konstruktion nach Staat und Gemeinde zwei ganz verschiedene Körper⸗ schaften seien, und daß deshalb auch in ihrer Verfassung diese beiden Körperschaften nicht über einen Kamm geschoren werden können. Also selbst ein sozialdemokratischer Führer war nicht der Ansicht, daß mit Naturnotwendigkeit das eintreten müsse, was Herr von Heyde⸗ brand voraussieht. Es wird hierbei natürlich auf die Festigkeit der be⸗ treffenden Regierung ankommen. (Zurufe.) Sie haben ja gesehen, daß verschiedene Wahlsysteme neben dem Reichstagswahlsystem 50 Jahre lang bestanden haben; nun mag die Zeit gekommen sein, wo das nicht mehr aufrecht zu erhalten ist. Ob das mit dem Gemeindewahl⸗ recht in späterer Zeit ebenso gehen wird, kann niemand wissen, können wir alle nicht wissen. Wahrscheinlich werden wir auch nicht mehr mitreden, wenn die Dinge so weit gediehen sind, daß diese Frage entschieden wird. Aber ich kann doch nicht daran vorübergehen, daß gerade das gleiche Wahlrecht in den Kommunen sogar aus den Kreisen der Rechten hier Fürsprache gefunden hat. Ich erinnere mich, daß in der Kommission von Seiten der freikonsewativen Mitglieder der Antrag eingebracht worden ist, die Regierung möge mit möglichster Be⸗ schleunigung für die Gemeinden das gleiche Wahl⸗ recht einführen. (Sehr richtig!) Was aus diesem Antrage geworden ist, ist mir nicht mehr erinnerlich. Ich weiß nicht, ob über ihn abgestimmt ist oder ob er stillschweigend unter den Tisch gefallen ist; jedenfalls ist er, so viel ich weiß, im Kommissionsbericht nicht mehr erwähnt. Ich würde nun geneigt sein — und das werden wohl ver⸗