meine Pflicht zu versäumen, wenn ich nicht darnach handelte. (Sehr wahr!) Aus diesem Grunde müssen wir uns auch für die Ueber⸗ gangswirtschaft mit allem Rüstzeug ausrüsten, das es uns ermög⸗ licht, mit unserer eigenen Wirtschaft in dieser Beziehung Politik zu treiben. Auch aus diesem Grunde muß man sowohl Einfuhr wie Ausfuhr in der Hand haben. Nur wemnn eine Hand — und auch, diese kann wieder nur der Staat sein — hierüber entscheidet, ist es möglich, mit Aussicht auf Ersolg gegen so mächtige Gegner anzu⸗ kämpfen, wie as unsere Gegner sind; denn wenn sie uns schon auf dem Felde der Ehre, auf dem Schlachtfeld genug zu schaffen machen, auf dem wirtschaftlichen Gebiete sind sie eber noch stärker, und hier werden wir alles, was win können, anzuspannen haben, um unseren Mann zu stehen. Wir werden es tun, und ich habe die feste Ueber⸗ eugung, wir werden auch hier das Heft in den Händen behalten iben. Aber es wäre unverantwortlich, sich darüber einer Täuschung hinzugehben, daß in dieser Beziehung die Zeiten schwer sein werden, und daß sich auch hier das deutsche Wirtschafts⸗ leben notgedrungen manche Einschränkung wird auferlegen müssen, domrit wir eben unsere Ein⸗ und Ausfuhr als Waffen in diesem schweren Kampse benutzen können.
Mit vielem, was sonst der Herr Abgeordnete von Schulze⸗ Gävernitz gesagt hat, kann ich mich ohne weiteres einverstanden erklärem, namentlich, daß es eine unserer Aufgaben sein wird, unsere Außenhandelsbeziehungen zu fördern. Es liegt das ganz im Rahmon dessen, was ich soeben ausgeführt habe, und ist auch die Absicht beim Ausbau des Nachrichténwesens, von dem ich vorhin gesprochen habe. Ich kam ihmr ouch darin beipflichten, daß wir vor allen Dingen unser Augenmerk darauf zu werfen haben, daß wir unter gleichen Bedingungen im Auslende wirken können wie alle anderen, daß nicht durch ingend welcke Maßnahmen ingend welcher Art uns ungünstigeie Bedingungen im Wirtschaftskampf auferlegt werden. Eis wird dess pine sehr schwierige Aufgabe sein; darüber ist gar kein ZBweisel, darülber braucht mon keim Wort zu verlieren.
Meine Herren, wenn ich vielleicht ganz lose einige Bemerkungen ü*ber Cinzelheiten anknüpfen darf, die vorhin auch noch vorgebracht
worden sine, so will ich mich dazu wenden, daß ja von verschiedenen Seiten gekleagt wordon ist über die starke Zentralisation der im Kriege gefchaffenen und vielleicht über den Krieg zu erhaltenden Organisationen in Berlin. Meine Herren, das ist kein freier Wille und ist kein Wumsch unfererseits, das ist eine Notwendigkeit. Es wird so oft gesagt: im Heitalter der Eisenbahnen, des Telegraphen und des Telephons spient die Entfewnung keine Rolle. Das üst nicht richtig! Sie spielt eine ganz außerordentliche Rolle, und es erschwert die Geschäftsführung und schwächt die Wirksamkeit der Geschäfteführung, werm nicht ein steter, ständiger Gedankenaus⸗ tausch stattfinden kemnmn. So sehr man es auch bedauern mag, daß manche wärtschaftliche Aufgaben nicht an dem Ou erfüllt werden können, wo des am mvisten davon betroffene wirtschaftliche Leben Pulsiert, somdemn hier in der Reichshauptstadt, ganz verhindern wird es sich nicht lassen. Wir haben aber darauf Bedacht genommen — s ist schen in der letztem Zeit umd auch früher schan geschehen — und verfucht, Stellen oder Akteilungen von Stellen, bei denen es mäüglich ist, außerhalb Beulins zu begründen. Ich würde das an sich sehr gern tun und sehr gern fördern, soweit es möglich ist. Aber betrachten Sie, bitte, auch eins! Ganz abgesehen von den Sichwierigkeiten des Verkehrs, die sich aus der örklichen Trennung ergeben, beachten Sie, bitte, die ganz außerordentliche Beengung u persönlicher Beziehung, die hier im den maßgebenden Stellen im Reicke vorliegt. Das ist stwas, was vielfach micht genügend be⸗ ochtet wird. Badenken Sie, bütte, daß die hier verantwortlichen Stellen das Deppelte, vielsach das Dreifache an Aufgaben, mit bestenfalls halbem Personal oder zwei Dritteln des alten Personals sführen müssen. Bedenken Sie, woas es für Zeit kostet, wenn wir
u Sitzungen — mehmen Sie es mir nicht übel, wenn ich einige bürokratische Kleinigkeiten einflechte —, zu Besprechungen, die in München, Dresden, Stuttgart, Mannheim, Bremen und ander⸗ värts stattfarden, Vortrogende Räte oder andere Beamte von den biesigen Stellen binschicken müssen; gerade bei den jetzigen Ver⸗ indungen geben dadurch Tage verloren, und während dieser Tage uht das ganze übrige Geschäft dieser Beamten, und darunter leidet
in s—hließhich die Kriegswirtschast selber.“
So gern wir es also tun und hier eine stärkere Verteilung eintreten lassen würden, so hat dies sehr seine Grenzen. Ich wieder⸗
le, wir wollen nach Möglichkeit darchif bedacht sein. Es ist niemals der Wunsch gewesen, die Zentralisation in dieser Beziehung zu fördemmn, und ich ganz persönlich bekenne mich ohne Vorbehalt deßu, daß es ein großer Vorzug unseres wirtschaftlichen wie unseres ulturellen Lsbens ist, daß es nicht an einem Platze zentrolisiert ist. Lrts ich dazu tum kann, daß diese durch den Küeg ganz unvermeid⸗ lich eingetretene Richtung nach der Zentralisation nicht fortschreiten, serdern, wenm es geht, zurückgebildet wird, das werde ich sicher tun; aber es hot seine Grenzen.
Es ist ven verschiedenen der Herren Redner die Ordnung unserer wirtschaftlychen Beziebungen in den bereits gescklossenen Friedensverträgen berührt worden. Ich will mir nicht eine Mahnung des Herrn Präsidenten zuziehen und eingehend darüber Prechen; deerm nuch ich bin der Meinung, deß dees mnur im Zu⸗ sammenhang bei der Erörterung dieser Verträge geschehen kann, also bei Weratungen, bei denen das Auswärtige Amt vertreten ist. Ich damke aber für die Anerkennung, die für die Regelung der wirtschaft⸗ lichen Dinge in den bisker geschlossenen Friedensverträgen aus⸗ gesprechen zwonden ist.
Gs ist dabei' eine Anregung von dem Herrn Abgeordneten Dr. von Schulze⸗Gävernitz gegeben worden, wir möchten bei Ab⸗ schluß von Verträgen den Gedanken der Schiedsgerichte für Ent⸗ scheidung von Streitigkeiten auf wirtschaftlichem Gebiete fördern. Dieser Weg ist schon vor deam Kriege in einer Reihe von Handels⸗ verträögen von Deutschland beschritten worden, und ich kann sagen: st gutem Erfelge beschrittem worden; denn meines Wissens ist ein terartiges Eschictegericht nie zusammongetreten, und des ist ein Erfolg. Denn schon die Mäglichkeit, daß ein Schnedsgericht zu⸗ sammentritt, die Möglichkeit, daß man sich von einer unparteiischen Instanz muß sagen lessen: du hast Unreckt getan, du hast gegen die Verträre gelandelt, wind dazu führen, taß men Hie Verträge mit peinlicher Gewissenhaftigkeit achtet. Ich glaube also, daß dieser EGadcarke in der Tat wousbaufähig ist.
Es stehen uns auf diesem Gebiet ganz außerordentlich schwere
die auch gestreift worden sind. Die schwierigste
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wird sein — und dos ist zuch von dem Herrn Vorredner mit Recht bewrorgehobem worden — die Sicherung unseres deutschen Wirt⸗ sdastslcbens dunrch Rohstossbezüge. Ich stimme ihm darin durchaus bei. Wir müssen dafür sorgen, daß uUnsere Industrie und damit zmiser gesamntes wintschaftliches Leben ausreichend mit Rohstoffen in jeder Beziehung rersorgt ist, daß, wo die Bezugsquellen, wie er sich ausdrückte, zu schmal waren, sie verbreitert werden, daß wir uns denfalls versitkern, daß wir das Notwerdige haben, um unser wärtsckaftliches Leben führen zu können. Denn wir werden, und Hamit will ich schließen, nach dem Kriege alle unsere Kraft zusammen⸗ zufassen haben, um unsere auch im Kriege eingeschränkte Produktion nuf dis volla Höhe zu büngen. Auch hüer will ich mich vorbe haltlos zu einer Meinung bekennen, daß nämlich die beste Konsumenten⸗ politik die ist, die unsere Produktion fördern wird; und das werde ich mir angelegen sein lassen. (Lebhafter Beifall1). .— (Bericht von Wolffs Telegraphenbüro.)
Am Bundesratstische: der Staatssekretär des Reichs⸗ wirtschaftsamts Freiherr von Stein.
Erster Vizepräsident Dr. Paasche eröffnet die Sitzung um 214 Uhr. 8 8 3
Zur zweiten Beratung steht zunächst der Gesetzentwurf be⸗ treffend die Aufhebung des § 153 der Gewerbe⸗ ordnung.
Ohne Erörterung wird die Vorlage gegen die Stimmen der Deutschkonservativen und des größeren Teils der Deutschen Fraktion angenommen und ebenso in der unmittelbar an⸗ schließenden dritten Lesung endgültig genehmigt.
Darauf setzt das Haus die zweite Beratung des Haus⸗ haltsplans beim Haushalt des Reichswirtschafts⸗ amts mit den dazu gestellten Entschließungen fort.
Abg. Behrens (Deutsche Fraktion): Ich habe den Ein⸗ druck, als wenn das neue Reichswirtschaftsamt bei der Teilung des Reichsamts des Innern den Löwenanteil der hier zu lösen⸗ den Aufgaben übernommen hat. Die Neuorganisation legt die Frage nahe, ob nicht auch der Reichstag einen staͤndigen Ausschuß zur Bohandlung sozialpolitischer Fragen, die die Arbeiter und Angestellten betreffen, schaffen sollte. Besitzt das Reichswirtschaftsamt einen Arbeitsplan für die Weiterführung der Soziglpolitik? Der Entwurf des Arbeitskammergesetzes läßt nicht darauf schließen. Ein solches Programm ist aber notwendig, sonst kommen wir aus der Periode des Fortwurstelns auf diesem Gebiete nicht heraus. Eine Fülle gesetz⸗ eberischer Arbeiten wartet der Erledigung; man sollte über ein be⸗ fimͤmnes Arbeitsprogramm also eine Verständigung mit dem Hause herbeiführen. Der sogenannte Kriegssczialiemus hat sich reichlich unbeliebt gemachkt; die Kriegsgesellschaften und die Kriegsmonopole haben viele Betriebe, namentlich kleine, zum Stillstand gebracht. Der Mittelstand, der kleine Gewerbestand hat schwer gelitten.’ Die brutale Rücksichtslosigkeit gegen die kleinen Betriebe und Gewerbe schien mir nicht immer am Plaße zu sein. Im Volke besteht gegen die Kriegsge⸗ sellschaften eine Stimmung, die in den Worten treffend zum Ausdruck kommt: „Werft das Scheusal in die Wolfsschlucht!“ Während der Uebergangszeit wird nun freilich das Eingreifen der Staatsgewalt immer noch als notwendig erscheinen, aber man wird die Schwachen und Kleinen zu stützen und zu stärken, die Macht der großen Betriebe und Kriegsgesellschaften aber zu schwächen bemüht sein müssen. Die Gedanken Walther Rathenaus sind gewiß beachtenswert und haben einen berechtigten Kern. Weder mit Meonschenkräften, noch mit Material darf nach dem Kriege Mißbeauch getrieben werden, ebenso darf die zügellose Konkurrenz nicht wieder Platz greifen. Aber nach dem Rathenauschen Sostem würde doch ein 1re fere s lbeksnach zugunsten des Großkapitals zur Herrschaft gelangen. Freilich werden manche, die jetzt das „Kreuzige ihn!“ rufen, später vor seinem Altar knien. Die Wirtschaftsnotwendigkeiten der Zukunft werden stärker sein als die jetzt gegen den Kriegssozialismus einsetzende Reaktion, und das hat Rathenau richtig erkannt. Der freien privat⸗ kapitalistischen Wirtschaft wird in Zukunft gleichberechtigt die Staats⸗ wirtschaft mit Monopolen usw. zur Seite stehen. Ratbhenau will eine gemischt⸗wirtschaftliche Organisation von Großkapial und Staat; ich gebe demgegenüber einor Organisation, die das genossenschaftliche Prinzip stärker betont, den Vorzug. Die wirtschaftspolitischen Pro⸗ gramme der Arbeiterorganisationen zeigen, daß man sich in diesen Kreisen von dem Gedanken der absoluten wirtschaftlichen Freiheit durchaus abgewendet hat. Der Schutz des gewerblichen Mittelstandes wird eine der Hauptaufgeben des Reichswirtschaftsamtes zu bilden beben. Das Kleingewerbe wird vielfach gegenüber den Großbetrieben bei der Preisbemessung und auch sonst schwer benachteiligt; schlagende Beispiele dafür bieten die Lederindustrie und die Papierfabrikation so⸗ wie die Papierverteilung. Wenig erfreulich ist auch die Wahrnehmung, was für Schund noch immer in großen Massen trotz der Papierknapp⸗ heit gedruckt und verbreitet werden kann. Denn nach dem Kriege wird eine erhebliche Arbeitslosigkeit Platz greifen. Wenn auch die Land⸗ wirischaft viele Kräfte absorbieren wird, so wird doch noch mindestens wahrend der Zeit der Umgestaltung der Betriebe ein großer Teil, ins⸗ besondere der Arbeiterinnen, arbeitslos werden, ein anderer Teil, weil noch keine Rohstoffe oder noch keine Maschinen da sind. Damit müssen wir zechnen, und ich bitte das Reichswirtschaftsamt, Auskunft zu geben, ob für diese Erwerbslosen ausreichende Reichsmittel zur Arbeitsgelegenheit und Perdienst zu schaffen. Ob der Bundesrat im Rahmen seiner Befugnisse den Uebelstand beseitigen kann, der darin liegt, deß es für kinderreiche Familien außerordentlich schwer ist, Wahnungen zu beschaffen, ist mir sebr fraglich. Sollte nicht dem Ge⸗
danken nachgegangen werden können, Leuten, welche sich den Luxus der Kinderlosigkeit gestatten und dann auch noch in kinderlosen Häusern wohnen wollen, eine Kinderlosen⸗Miersteuer aufzuer Das Geld könnten wir sehr gut brauchen, und es würde damit doch mehr ge⸗ wonnen, als wenn der Bundesrat eine Verordnung erläßt, die viel⸗ leicht bloß auf dem Papier stehen bleibt. Die Frage des Schutzes der Heimarbeit muß immer wieder in die Diskussion geworfen werden. Noch immer fehlen für die Heimarbeit die Fachausschüsse; die Wider⸗ stände, die hier vorliegen, nüssen überwunden werden. Nielleicht wäre anzuregen, eb nickt img Reichswirtschaftsamt ein Beirat in Haus⸗ arbeitsangelegenbeiten zu schaffen ist. Viele Frauen wenden sich der Heimarbeit zu, die eigentlich keine Heimarbeiterinnen sind und die auch nach ihrer sozialen Stellung keine Veranlassung dazu haben. Um von den Hemarbeitern unerwünschte Kräfte fernzuhalten, sollte man Be⸗ rechtiäaungsscheine ausgeben. Auch ist die Einführung von Mindest⸗ stücklöhnen dringend notwendig. Die rückständigen Rechtsverhältnisse der ländlichen Arbeiter müssen mit denen der Industxviearbeiter in Ein⸗ klang gebrockt werden. Damit würde man am besten der Landflucht steuern. Diese Frage kann aber nur von Reichs wegen gelöst werden. Jäckel (U. Soz.): Die heutige Kriegswirtschaft Unternehmertum organisiert worden, das auch die
bestellt hat. Die Unternehmer haben dabei glänzende Geschäfte gemacht. Wenn die Kriegswirtschaft schlecht ist, dann ist sie von den Unternehmern schlecht gemacht worden. Diese fürchten aber, daß ihnen nach dem Kriege der zügellose Gewinn be⸗ schnitten werden könnte. Deshalb treten sie jetzt auf einmal für das freie Spiel der Kräfte ein. Es ist zu befürchten, daß dieser Kampf für die Unternehmer Erfolg hbaben wird. Da kann man es den Kon⸗ sumenten nicht verargen, wenn sie den Maßnahmen für die Ueber⸗ gangswirtschaft zweifelnd gegenüberstehen. Das Unternehmertum hat zudem die Kriegszeit benutzt, um Teile der Sozialpolitik wieder aus⸗ zuschalten. In steigendem Maße wendet sich das Unternehmertum gegen die etwaige Absicht einer gesetzlichen weiteren Begrenzung der
158. Sitzung von Sonnabend, den 4. Mai, Nachmitags 2 Uhr.
Arbeitszeit und auch gegen den Ausbau der Sozialpolitik und des Arbeiterschutzes überhaupt. Trotz umfassender Staatsaufträge haben wir auch. jeßt so in Sachsen und Thüringen, einen sehr starken Pro⸗ zentsatz Arbertsloser. Arbeitslosigkeit bedeutet aber nach dem KLriege für den Arbeiter noch viel mehr den Hunger, als es vor dem Kriege der Fall war. Um ihn vor dem Versinken ins Lee zu bewah⸗ ren, muß der Staat mit seinen Mitteln eingreifen; denn der Mensch ist das kostbarste Gut der Nation. Wenn die Wunden, die dieser un⸗ selige Krieg dem Volke geschlagen hat, überhaupt heilen können, dann werden sie es nur, wenn durch eine energische, durchgreifende Sozial⸗ reform der Gesundungsprozeß unterstützt wird, sonst wird dieser Krieg sehr bald den völligen Untergang der kapitalistischen Wirrschaft herbei⸗ führen. Eine gewaltige wirtschaftliche Umwälzung hat sich auch in der Technik der Arbeit vollzogen. Die alte Arbeitsweise, wie sie vor dem Kriege in Uebung war, kehrt nicht wieder. Die kleineren und mittle⸗ en Unternehmer sind nahezu verschwunden. Das um Millionen von Männern, Frauen und Jugendlichen vermehrte Proletariat verelendet immer mehr, das Großkapital aber wird übermächtig sein. Es ist in die Industrie eine ganz neue Arbeiterschicht hineingekommen, die aus dem Mittelstand stammt und mit den Arbeitsmethoden nicht vertraut ist. Die Folge ist, daß die Industrie dazu übergehen wird, die Pro⸗ duktion auf einige wenige Warentypen zu beschränken. Mit der Aus⸗ wahl unter den verschiedensten Mustern wird es vorbei sein. Heute steht schon hinter jedem Arbeiter der Fabrikherr mit der Uhr in der um aus dieser Massenproduktion, die in der Hauptsache durch Kenschenkraft erzeugt wird, den größtmöglichen Profit herauszuholen. Das Taylorsystem ist in Deutschland im Anzuge, und welches ge⸗ schwächte, verkrüppelte Arbeiter⸗ und Arbeiterinnenheer ist es, iser das nach dem Kriege die deutsche Industrie verfügen wird! Die Wirkungen der Unterernahrung werden sich bei den Arbeiterkendern erst in ihrer ganzen Größe zeigen, wenn die Kinder in die Periode der körperlichen Enmricklung gelangen. Eine fürsorg⸗ liche, vorausschauende Regierung muß sofort nach dem Kriege den Achtstundentag vorschreiben, das ist die einzige Rettung zus dieser Notlage des Reiches, der Arbeiterschaft und auck der Industrie seldst. Mit der Errichtung von Fochausschüssen für die Heimarbeit ist es nicht getan; wir brauchen keine Erhebung mehr, wir brauchen Handlung, wir drauchen die gesetzliche Festlegung von Mindestlöhnen, wie sie in England längst erfolgt ist und wie sie der Not der dortigen Heim⸗ arbeiter erfolgreich gesteuert hat. In der Klingenthaler Musik⸗ instrumenten⸗Industrie verdiente 1913 ein Alleinarbeiter bei 80⸗ bis 90stündiger Arbeitszeit pro Woche ganze 14 ℳ Die Kinderarbot muß unter allen Umständen verboten, schutzpflichtige Alter auf 15. Jahre heraufgesetzt werden. In e der Nachtarbeit war es gerade das angeblich an der Spitze der Sozialreform marschierende Deutschland, welches eine internationale Regelung im Sinne eines Verbots für die Jugendlichen und für die Arbeiter bis zu 18 Jahren verhindert hat. Die Unternehmer verlangen jetzt auch die gesetzliche Anerkennung der von ihnen eingerichteten Arbertsnachweise, die offen den Zweck verfolcen, mißliebige Arbeiter von der Arbeit überhaupt auszuschließen. Diesem Unfug kann nur durch paritätische Arbeits⸗ nachweise mit einem unparteiischen, von der Verwaltung kestellten Vor⸗ sitzenden an der Spatze cin Ende gemacht werden. Die Gewerbeaussicht muß verbessert werden. Unser Antrag, die aus dem Felde zurückke haen⸗ den unbemittelten Krieger unentgeltlich mt Wäusche, Kleidern, Schud⸗ werk unter Uebernahme der Kosten auf das Reich zu versorgen, muß angenommen werden. Die Reichsbekleidungsstelle war dazu bereit,
aber es haben sich Widerstände aus der Reicksverwaltung bemer gemacht. Man stelle doch diese wenigen Millionen zur Verfügung. Ebenso muß den gebärenden Arbeiterfrauen Hebammenhilfe und Unter⸗ lagenstoff gewährt werden; diese Wöchnerinnen hilflos zu lassen, ist üutschen Reickes unwürdig. Wir fordern die Aufbebung aller Arbeiter und Angestellten ausschaltenden Bestimmungen bei der 1 ie 2 dem Tüchtigen“ wird nie Wahrheit werden den Arberter nicht als gleichberechtigt an⸗
Das Wirtschaftsprogramm, das ist, läßt sich zusammen⸗ Wiederaufbau unseres durch den Welt⸗ so getroffenen Wirtschaftslebens, unse er Volkswirtschaft und unserer Weltwirischaft. Es handelt sich um Deutschlands ganze wirtschaftliche Zukunft. Wir haben beantragt, im. Anschluß an das Reichswirtschaftsamt eine besondere Stelle zu schaffen, welche die Interessen des gewerblichen und kaufmännischen Mittelstandes dauernd fördern soll. Das Handwerk und der Mittel⸗ stand ist neben der Selbsthilfe auf die Staatshilfe angemiesen, die
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erkennen will.
Abg. Dr. Bell. (Zentr.): vom Reichewirfschaftsan. u lösen fassen in dem Satze: krieg so überaus hart
zuerft von den Bundesstaaten zu leisten ist. Aber es ist an erster Stelle
Sache des Reiches, die Fürsorge für den Mittelstand tatkräftig und zweckentsprechend in die Wege zu leiten. Dabei müssen Wirtschafts⸗ stellen errichtet werden, die die zuständigen Reichs⸗, Landes⸗ und Kommunalbehörden bei der Vergebung von Lieferungen usw. unter⸗ stützen. Hier ift eine von Reichs wegen eingerichtete Zentralisation notwendig, die die Tätigkeit der Bundesstaagten und zu⸗ gleich das Arbeitsagebiet der Kommuncelverwaltungen unterstüßt. Diese Wirsschaftsstelle muß von den Behörden so zeitig unterrichtet werden, daß das Handwerk und der Mittelstand sich auf die Ueber⸗ nahme von öffentlichen Arbeiten genügend vorbereiten konnen. Mit Genugtuung ist es zu begrüßen, daß die Frage der Stillegung üeßt endlich allein dem Reichswirtschaftsamt untersteht. Welche Miß⸗ stände sich hier herausgebildet haben, das zeigen die zahlreichen Be⸗ schwerden und Petitionen, die bei uns im Laufe der Zeit eingegangen sind. Daraus ist zu ersehen, daß ein großer Teil der Versprechungen nicht gehalten worden ist, die man uns hier in diesem Punkte gemacht hat. Das Reichswirtschaftsamt muß hier seine Aufgabe darin sehen, nach den Geboten der sozialen Gerechtigkeit vorzugehen. Der Schwer⸗ punkt der Arbeiten des Reichswirtschaftsamtes ist aber sicher die Frage der Uebergangswirtschaft. Viele halten es für bedenklich während des Krieges hierfür ein Programm aufzustellen, wo doch alles auf die Länge des Krieges und die Friedensbedingungen ankommt. Aber wir wollen uns dabei ja nicht auf ein unabänderliches Programm festlegen. Wir wollen uns lediglich auf eine vorbereitende Tätigkeit beschränken, die je nach den veränderten Kriegsverhältnissen und nach dem Ausgang der Friedensverhandlungen abgeändert werden kann. Die bisberigen Erfahrungen, die Erklärungen der Regierung und die Erläuterungen gewisser orlagen sprechen nicht gerade dafür, daß das Reichswirtschaftsamt es in derselben Weise wie vorher das Reicks⸗ kommissariat für Uebergangswirtschaft als seine Aufgabe betrachtet, sich sobald als möglich überflüssig zu machen. Die gute, in voller Einmütigkeit erfolgte Arbeit des Fusschusses für Handel und Gewerbe eröffnet günstige Aussichten für die künftige Reichstagsarbeit auf dem Gebiete ber Uebergangswirtschaft. Wir sind davon ausgegangen, daß eine Hypertrophie der Kriegsindustrie und eine Blutleere der Frie⸗ densindustrie eingetreten ist, und daß hier eine rückläufige Bewegung erforderlich ist. Es muß eine völlige Umgruppierung von Kapital und Arbeit eintreten. Der Eintritt Nordamerikas in den Krieg hat sich bezeichnenderweise wirtschaftlich so außerordentlich bemerkbar gemacht, daß die Fortführung unserer Arbeiten auf den Gebieten der Einfuhr und Ausfuhr und der Valuta gestört und beeinträchtigt wurden. Das Krmmpbichticircsess vom 4. August 1914, das den Bundesrat zu wirtschaftlichen Maßnahmen ohne Zuziehung des Reickstags er⸗ mächtigt, gilt nur für die Kriegszeit, nicht für die Uebergangswirt⸗ schaft. Wir warten noch immer darauf, daß der Bundesrat das dafür notwendige Ermächtigungsgesetz einbringt. Ehe das nicht geschehen ist, handelt es sich bei allen Maßnahmen in der Uebergangswirtschaft nur um organisatorische Vorarbeiten, um den Rahmen eines Bildes, das wir noch nicht kennen. Wir hoffen, daß wir späfer sagen können: „Dies Bildnis ist bezaubernd schön.’“ Eine Controlle ohne Zwangs⸗ maßregeln will niemand, eine gewisse Bindung ist für die Uebergangs⸗ wirtschaft notwendig. Die Meinungen gehen nur darüber ausein⸗ ander, in welcher Art und Form sie erfolgen soll. Der sofortige un⸗ mittelbace Uebergang von der Kriegswirtschaft zur freien Wirtschaft würde am meisten cen Mittelstand in Handwerk und Gewerbe schädi⸗ genr. DTarum sind wir mit diesem Teil des Programms des Staats⸗ sekretärs durchaus einverstanden. Es ist nur zu prüfen, ob die bis⸗ herigen Organisationspläne des Reichswirtschaftsamtes damit über⸗
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instimmen. Der Kritik an dem Entwurf für Organisation der Textilindustrie kann ich mich nicht anschließen. Erhebliche Bedenken pabe ich aber gegen den Entwurf zur Organisation der Reederei⸗ betriebe. Unsere Hauptaufgabe 58 es sein, die denötigten Robstoffe, Lebens⸗ und Bedarfsartikel so schnell wie möglich hereinzubekommen, und dazu den uns verfügbaren Frachtraum voll auszunutzen. Wenn das erreicht werden soll, muß man aber der Eigenart der Reedereien Rechnung tragen und ihnen möglichst freie Hand lassen. (Widerspruch bei den Sozialdemokraten.) Ich bitte den Staatssekretär um Auskunft, was bisher geschehen ist, um das Gesetz zur Wiederherstellung der deutschen Handelsflotte zu erfüllen. Selbstverständlich ist bei der Organisation des Reederei⸗ betriebes eine gewisse Kontrolle nötig; wenn aber eine zu starke Bin⸗ dung durch Organisation oder ein Reichskommissariat erfolgt, dann würden nicht nur die Interessen der Reedereien, sondern auch die Auf⸗ aben unserer Volks⸗ und Weltwirtschaft geschädigt. (Sehr richtig!) Je mehr eine solche Bindung erfolgt, um so mehr würde der zweite Zweck der Reederei, die Weltwirtschaft wieder in die Wege zu leiten, gefährdet werden, ebenso aber auch der erste Zweck, die benötigten Rohstoffe nach Deutschland hereinzuschaffen. Das Ausland will auch lieber mit freien Betrieben arbeiten, als mit staatlichen Organi⸗ sationen, das haben wir in der Kriegswirtschaft oft erfahren. Diese Richtlinien mögen im allgemeinen genügen; hoffentlich erfolgt recht dald zwischen der Reichsregierung und den Reedereien darüber eine Verständigung. Die Bindung muß auch zeitlich eingeschränkt werden; es darf auch nicht das ganze System der Kriegsgesellschaften in die Uebergangswirtschaft hinübergenommen werden. Selbst im Zeitalter des Ersatzes läßt sich die Tüchtigkeit des Handels, der Industrie, des Mittelstandes und der übrigen Erwerbsstände nicht durch eine behörd⸗ liche Organisation ersetzen. Schematisierung, Schablonisierung und Hyperorganisation wird lediglich dazu führen, daß wir auch nur Durchschnittsleistungen erhalten; was wir aber brauchen, ist Quali⸗ tätsarbeit und sind Qualitätsarbeiter. Bindung und Zwang sind unentbehrlich, aber sie müssen auf das Notwendige beschränkt werden. Die scharfe und ätzende Kritik, die an den Kriegsgesellschaften geübt worden ist, vat zu einem großen Teile der Berechtigung entbehrt; ohne sie hätten wir den Krieg ebensowenig durchhalten können, wie unsere gesamte Arbeiterschaft. Die Kriegswirtschaft ist in ihren Grundlagen eine unabweisbare Notwendigkeit. Die Organisation der Kriegswirtschaft entbehrte aber der Einheitlichkeit und Uebersichtlich⸗ keit; wir haben viel zu viel Kriegsgesellschaften, sie sind wie die Pilze aus dem Boden geschossen. Dazu sind im Laufe der Zeit 6000 Bundesratsverordnungen gekommen, die wir doch hoffentlich auch für die Uchergangszeit werden enthehren können, denn aus ihnen findet sich der einfache Staatsbürger überhaupt nicht mehr heraus, und das Rechtsbewußtsein in der Bevölkerung ist dadurch in die ärgste Ver⸗ wirrung geraten. Zum Thema der Demobilisierung hat sich der Ausschuß über eine große Anzahl von Resolutionen geeinigt, von denen ich hier diejenige hervorhebe, die den Reichskanzler ersuchen soll, dahin zu wirken, daß die einberufenen Wehrpflichtigen gegen ihren Willen nicht länger im Dienst zurückbehalten werden, als dies im Heeresinteresse unbedingt erforderlich ist. Eine Hauptaufgabe wird sein, die schädlichen Wirkungen der Aufhebung der Arbeiter⸗ schutzbestimmungen durch schleunige Wiederinkraftsetzung derselben tunlichst wieder zu paralysieren. Für unsere Valuta muß alsbald Durchgreifendes geschehen, um die durch die englischen Maßnahmen, aber auch durch unsere unrichtige Devisenordnung ihr zugefügten Schäden auszugleichen. Wir haben ja übrigens feststellen können, deß mit den ersten Friedensverhandlungen unsere Markwährung in Holland und in der Schweiz sprungweise wieder in die Höhe ging. Wir brauchen hier also nicht im geringsten schwarz zu sehen, denn unsere militärische wie unsere Finanzlage ist so glänzend wie je, und das Ausland hat alle Veranlassung, trotz der Machinationen Eng⸗ lands, unserer finanziellen Entwicklung volles Vertrauen zu schenken. Auch die vom Ausschuß für Handel und Gewerbe vereinbarten Ent⸗ schließungen über die Rohstoffversorgung und die Organisation der Ein⸗ und Ausfuhr empfehle ich einstimmige Annahme. Die Land⸗ wirtschaft bedarf der Förderung der Produktion, sie muß nicht nur produktionsfähig, sondern auch produktionsfreudig sein. Die In⸗ dustrie, große wie mittlere, muß nach dem Kriege möglichst gefördert und zu diesem Zwecke entfesselt werden. Gleiches gilt vom Groß⸗ und Kleinhandel, die durch die Kriegsnotwendigkeiten fast völlig lahmgelegt worden sind. Auf die Dauer wird sich ja der Erfahrungs⸗ satz wieder durchsetzen, daß derjenige das beste Geschäft machen wird, bei dem man am billigsten und besten kauft; aber für die Ueber⸗ gangswirtschaft werden wir dennoch alle Maßnahmen zu treffen haben, die durchführbar sind, um dem uns angedrohten Wirtschaftskriege nach dem Kriege die Stirn bieten zu können. Das wirtschaftliche Problem „Mitteleuropa“ darf nicht so gelöst werden, daß wir dadurch von der Weltwärtschaft ausgeschlossen werden. Von unseren Botschaftern, Gesandten und Konsulaten sollten mehr die wirtschaftlichen Fragen verfolgt werden. Nicht bloß in der Friedenszeit, sondern auch noch im Kriege ist von unserem auswärtigen Dienst darin außerordentlich viel versäaumt worden. Ein Großindustrieller sagte mir, er habe wäh⸗ rend des Krieges in der Hauptstadt eines uns befreundeten Staates beim deutschen Generalkonsulat und bei der deutschen Botschaft nicht einmal den „Reichsanzeiger“ erhalten können, und der deutsche Ge⸗ fandte habe ihm gesagt, er hätte von deutschen Verhältnissen keine Ahnung. (Hört, hört! — Vizepräsident Dr. Paasche bittet den Redner, nicht zu weit abzuschweifen.) Da beim Etat des Auswärtigen Amtes diese wirtschaftlichen Fragen nicht berücksichtigt werden, müssen wir sie dem Reichswirtschaftsamt anvertrauen. Es muß ein Mittel⸗ weg gefunden werden zwischen der freien und der gebundenen Wirt⸗ schaft. Das freie Spiel der Kräfte muß seinen notwendigen Re⸗ aulator finden in den Bedürfnissen unserer Volkswirtschaft. Wenn der innere Hader nach dem Kriege verstummt, dann wird Deutschland
auch wirtschaftlich unüberwindlich sein. (Beifall im Zentrum.) 1 Nach 634 Uhr wird die Fortsetzung der Beratung auf Montag 2 Uhr vertagt. “
—.— 1““
Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten 142. Sitzung von Sonnabend, 4. Mai, Vormittags 10 ½ Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphenbüro.)
Das Haus setzt die zweite Beratung des Gesetz⸗ entwurfs, betreffend die Wahlen zum Hause der Abgeordneten, fort, und zwar zunächst die Besprechung über den § 21 (Wahlkreiseinteilung) und die dazu gestellten Anträge der Fortschrittlichen Volkspartei und der National⸗ liberalen, betreffend Einführung der Verhälrniswahl in einigen größeren Industriebezirken, groͤßeren Städten bezw. in der Ostmark, sowie den Antrag der Seozialdemokraten, nach dem der Wahlkreiseinteilung stets das Ergebnis der letzten Volks⸗ zählung zugrunde gelegt werden und auf jeden Abgeordneten die gleiche Einwohnerzahl entfallen soll.
Auf Ausführungen des Abg. Dr. Wolff⸗Gorki (kons.), über die bereits in der vorgestrigen Nummer dieses Blattes berichtet worden ist, erwidert der 8
Minister des Innern Dr. Drews:
Meine Herren! Ich möchte kurz die Stellungnahme der Stowattzregierung zu den vorliegenden Anträgen über die Emführung des Proportionalwahlrechts darlegen. Im der Kommission haben wir bereits erklärt, daß die Staatsregierung der Einführung eines ellgemeinen Proportionalwahlrechts im ganzen Staatsgebiete unbe⸗ dingt ablehnend gegenüberstehen muß — im wesentlichen aus den Grümden, die vom Henrn Vorredner kurz und präzise entwickelt
worden sind. Gleichwohl erkennen wir aber an, daß in Einzelfällen
zichten, aber daß sie, un
unter gewissen Verbältni ssen die Proportionalwahl I eckmaß. angesehen werden kann. Solche Fälle sind einmal die, 1 denen es sich um große Kommumalbezirke handelt, die in mehrere Wahlkreise zerfallen, oder um wirtschaftlich gleichstehende Gebiete. Es ist ein eigen Ding, wenn in einem solchen großen einheitlichen Bezück, dern mehrere Abgeordnete zu wählen hat, die Vertretung dieser mehreren Mandate ganz ausschließlich durch eine Partei erfolgt, während die Kopfzahl der Minmoritöten, die kein⸗ Vertretung haben, eine so große ist, daß sie unter normalen Verhältnissen selbständig einen Abgeordneten würden wählen können. Dies trifft auf ganz große Kommunalbezirke wie Groß Berlin zu, und es kann in gewissem Umfange auch auf große Industriebezirke zutreffen, die ein einheitlich geschlossenes Wirtschaftsgebiet bilden. Es kann ferner auch auf die Verhältnisse in unsern Ostenarken zutreffen, wo sich im wesentlichen zwei große Parteien, Deutsche und Polen, gegenüber⸗ steben und wo die innere Gliederung der deutschen Parteien hinter diesem einen großen Gegemsatz zurücktritt. Wir haben uns deshalb bereit erklärt, falls sich eine Mehrheit für das Proportionalwahl⸗ recht in derartiger Beschränkung finden sollte, auf diesen Boden zu treten, und zwar speziell auch in der Sstmark.
Der Herr Vorredner sagt: ja, da ertappen wir die Regierung ja schon wieder auf einer Inkonsequenz; denn zweifelles ist das ja ein Ausnah megesetz für die Ostmark, und es wird uns von der Regierung immer wiedey und wieden gesagt, in Zukunft müßte sich die Polen⸗ politik in Bahnen bewegen, die von Ausnahmegesetzen fern blieben. Ich möchte demgegenüber darauf aufmerksam machen, daß in der Kommission dieser Gedanke der Einführung der Proportionalwahl in der Ostmark sehr sorgsam euwogen worden ist, und daß es dann einen Moment gab, wo selbst von seiten des Vertreters der polnischen Fraktion eine solche Idee als diskutabel bezeichnet wurde und in einem unverbindlichen Vorschlage die Möglichkeit eimer solchen Maß⸗ regel entwickelt wurde, die sich im Resultat gar nicht allzu weit von andern Vorschlägen über die Einführung der Verhältniswahl in der Ostmark unterschied. Der Vertreter der polnischen Fraktion in der Kommission ist dann, wie ich hiermit ebenfalls konstatieren well, nachher von diesem Vorschlage zurückgetreten. Aber, meine Herren, die Tatsache, daß der Sedanke von ihm als möglich und diskutabel bezeichnet wurde, zeigt doch immerhin, daß vielle;cht die Möglichleit bestanden hätte und auch vielleicht noch nicht ganz ausgeschlossen ist, daß sich über diese Dinge auch eine Vereinbarung erzielen lassen könmte; und wenn sich eine solche Vereinbarung erzielen lassen könnte, würden wir das tatsäcklich außerordentlich begrüßen, weil
daß einen Schritt zur schiedlich⸗friedlichen Auseinandersetzung in
deutsch⸗polnischen Verhältnissen bedeuten würde.
Im übrigen stimme ich dem Herrn Vorredner darin vollkommen bei: für die Gesamtheit unserer Ostmarkenpolitik würde die Ein⸗ führung der Proportionalwahl in den Ostmarken nicht von ausschlag⸗ gebender Bedeutung sein, da es sich hierbei lediglich um die Ver⸗ schiebung einiger weniger Mandate handelt. Es würde lediglich von Bedeutung sein, sagen wir einmal: für die Stimmung des Deutsch⸗ tums in den Ostmarken, daß nicht fast durchweg die parlamentarische Vertretung im preußischen Parlament durch Polen erfolgte, sondern in einigen Bezirken auch durch Deutsche, die aus den betreffenden Kreisen gewählt worden sind. Für die Gesamtheit unserer Ostmarken⸗ politik wird nun einmal die Gesamtheit der Zusammemnsetzung des Abgeordnetenhauses ein entscheidendes Moment bleiben.
Ueber diesen Punkt ist ja auch ssckon viel hin und her ge⸗ sprochen worden. Herr Abgeordneter Lohmann hatte em einem der vorangegangemen Tage ausgeführt, daß seiner Auffassung nach unter einem Proportionalwahlrecht, wie es der jetzt angenommene Kom⸗ missionsantrog vorsieht, eine Fortführung der Polenpolitik in den bisberigen Bahnen in diesem Hause durch entsprechende Zusammen⸗ fassung der Parteigruppen möglich sein würde. Ich bin nach wie vor anderer Auffassung. Wie gesagt, vbjektiv feststellen läßt sich die künftige Zusammensetzung des Hauses auf Grund eines Pluralwahl⸗ rechts nicht. Es sind immer mehr oder weniger Vermutungen, auf die man angewiesen ist. Nach einer nochmaligen Durchrechnung, die ich auf Grund des statistischen Materials angestellt habe, bin ich der Ueberzeugung verblieben, daß auch bei diesem Pluralwahlrecht eine Polenpolitik lediglich möglich sein wird in dem künftigen Hause unter Mitwirkung von Herren vom Zentrum. Man muß meiner Meinung nach auch unter der Voraussetzung, daß das Pluralwahl⸗ recht, das Sie jetzt amgenommen haben, Gesetz werden wird, was für die Regierung ausgeschlossen ist, sich deoch ein klares Bild davon machen: wie werden die Dinge in Zukunst laufen? Sollen wir die Polenpolitik, wie sie von der bisherigen Mehrheit getragen wurde, einfach weiter machen, uns um die Zukunft nicht kümmern und sagen: die Dinge werden von allein laufen? Das wäre — da komme ich auf das Bild, das der Herr Vorredner gebraucht hat — meiner Meinung nach auch eine Vogel Strauß⸗Politik oder eine Illusions⸗ politik, wie er sie der Regierung vorgeworfen hat.
Ich habe im Herrenhause gesagt, man muß auch Realpolitik treiben. Das ist belächelt worden, aber ich kamm mir nicht helfen: Realpolitik treiben, heißt, Politik treiben nicht nur im Hinblick auf die augenblicklichen Mehrheitsverhältnisse, sondern auch im Hin⸗ blick auf die Konstellationen der Zukunft, wie sie kommen werden, und in Rücksicht darauf hat die Regierung ihren Plan aufgestellt, wie sie sich etwa die zukünftige Politik in den Ostmarken denkt. Wir haben — in Kriegszeiten ist ja praktische Polenpolitik auf dem Gebiet der Ansiedlung faktisch ausgeschlossen, weil Ansiedlungen durch den Mangel an Baustoffen unmmöglich sind — aaf dem wichtig⸗ sten Gebiete der Polenpolitik positive Maßnahmen praktisch nicht in Angriff genommen; es handelt sich bisher lediglich um Absichten für die Zukunft. Bei Darlegung dieser Absichten haben wir gesagt: wir wollen diese Politik anfangen unter der Voraussetzung, daß von seiten auch der preußischen Polen ein größeres Verständnis für den preußischen Staat und ein klarerer Wille zum preußischen Staat zum Ausdruck kommt. Ich muß konstatieren, daß von seiten der Vertreter der, polnischen Fraktion hier im hohen Hause diese Vor⸗ aussetzung bisher nicht erfülltt worden ist. (Sehr richtig!) Wir hoben infolgedessen unsererseits keinen Anlaß, das, was wir als Pro⸗ gramm hingestellt haben, gegenwärtig in die Tat umzusetzen. Ich halte es aber immer noch für möglich — mem kann freilich auch andever Auffassung sein —, daß die realen Verhältnisse eine größero Anzahl von Polen dazu bringen werden, nicht etwa begeisterte An⸗ hänger des preußischen Staates zu werden oder auf die Durch⸗ führung weitergehender Forderungen auf kultuvellem Gebiet zu ver⸗ schadet ihres Bestnebens, weitere nationale
Forderungen durckzudrücken, sich restles mit der Tatsache abfindene wir sind in Preußen, der große Krieg ist ausgekämpft, es sind nationalpolitische Hoffnungen zu Grabe getragen worden, wir müssen uns aber auf den Boden der Tatsachen stellen. Ja, Sie müssen doch immerhin zugeben, daß Hoffnungen vor dem Kriege von einigen genährt worden sind. Wenn dieser Krieg zu Ende gekämpft ist, der für lange, lange Jahre Verhältnisse schaffen wird in der Abgrenzung unserer Staaten, die nicht mehr umgestoßen werden, . vor allen Dingen in der Abgrenzung des Staates, der siegreich am Gnde dieses Krieges dastehen wird, so kann das doch einen gewaltigem Einfluß in Zukunft auf eine ganze Anzahl von Polen auswirken, die vielleicht auch realpolitisch denken. Entscheidend für die Stellung⸗ nahme der Königlichen Staatsregierung ist aber — abgesehen vor, der Möglichkeit einer solchen Entwicklung — die Erwägung: welchke Polenpolitik werden wir uvmter den künftigen Majoritäts⸗ verhältnissen im Abgeordnetenhause praktisch durchführen können? Wenm man zu der Ueberzeugung kommt, daß die Majoritätsverhält⸗ nisse sich verschieben werden, so muß man die Politik auf eine Grund⸗ lage stellen, die sich auch praktisch durchführen läßt, denn sonst würden wir tatsäcklich das sein, was zu sein Sie uns jetzt, meines Erecchtens, unrichtigerweise vorwerfen: Illusionspolitiker.
Abg. Pohlmann feortschr. Volksp.): Auf die Ausführungen des Abgeordneten D. Wolff⸗Gorki über das Verhältnis meiner Partei zur Sozialdemokratie erübrigt es sich, naher einzugehen. Unsere Partei ist völlig selbstandig. Dem Abgeordneten von Kardorff wird seine Rede in seinem Wahlkreise nicht schaden. (Widerspruch rechts.) Hinsichtlich der Ostmarken war die Rede des Herrn Wolff⸗Gorki eine Verlegenheitsrede. Der Fassung des § 24m nach der Kommission liegt der Gedanke zugrunde, daß das Uebergewicht der ländlichen Wahlkreise auch in Zukunft bestehen bleiben soll. Da lenke ich die Aufmerksamkeit auf den 7. Wahlkreis des Regierungsbezirks Posen. Dieser wählt auf 48 000 Seelen 3 Abgeordnete, also entfällt einer auf 16 000 Einwohner, die Stimme des einzelnen Wählers wiegt hier 25 mal so viel als diejenige des Wählers in Charlottenburg oder Schöneberg. Ganz mit Unrecht spricht man von der Einführung des Reichstagswahlrechts in Preußen; nichts kann falscher sein angesichts dieser Wahlkreisein⸗ teilung, die unverändert bestehen bleiben soll. Wäre es den Konser⸗ vativen damit ernst, auf „Sicherungen“ hinzuarbeiten in dem Sinne, daß das gleiche Wahlrecht zugestanden wird, so hätten sie den Antrag Porsch einbringen müssen, der die Abgrenzung der Wahlkreise unter den besonderen Schutz der Verfassung stellen will. Das haben sie nicht getan, und zwar deswegen nicht, weil sie aus ihren agrarischen Burgen nicht herauswollen. Mit der agrarisch⸗konservativen Weltanschauung läßt sich heute die Welt nicht mehr erobern, das wissen die Herren. Aber wie seinerzeit der brandenburgische Hohenzollgx die Köckeritze und Lüderitze aus läten Burgen herauswarf, so treibk heute der deutsche Hohenzoller sie aus ihren politischen Burgen heraus. Der heutige Hohenzoller hört draußen an der See das Rauschen der neuen Zeit; der König will mit seinem Volke gehen, darum handelt es sich bei diesem Wahlreformgesetz. Die Verhältniswahl wurde zuerst bei un⸗ politischen Wahlen, bei den Wahlen zum Gewerbegericht eingeführt. Heute liegt dem Reichstag ein Gesetzentwurf über die Einführung der Verhältniswahl in einigen Wahlkreisen vor. Er stammt aus der Mitte des Reichstages selbst. Der Reichstag will hier auf dem Gebiete der Wahl zeigen, daß er auch hier keinen Gewaltfrieden, sondern einen Verständigungsfrieden schaffen will. Das gleiche Wahl⸗ recht hat in Deutschland alle Kräfte zur Entfaltung gebracht. Das sollte man sich in Preußen merken. Bei Einführung der preußischen Verfassung hat man auch nur immer an das gleiche Wahlrecht gedacht. Wie die Verhältniswahl in einigen großen Wahlkreisen dem dritten Stande die Möglichkeit gibt, seine Geltung zu behalten und der großen Masse die Führer im Politischen und geistigen Leben zu geben, so bringt sie auch im Osten das Deutschtum zur wirklichen Geltung. Hier benützen die Konservativen die Gelegenheit, um dem Deutschtum in den Rücken zu fallen. Gerade durch die Pluralwahl, durch Verteilung der Zusatzstimmen kommen die Polen besser fort, als die Deutschen, da sie meist mehr Kinder haben. Die Polenfrage sollte man aber besser die deutsche Frage des Ostens nennen. Es kommt darauf an, daß das Deutschtum nicht nur im Osten Deutschlands, sondern weiter darüber hinaus die führende Rolle sättt Hier richte ich ganz besonders an die Herren vom Zentrum die Bitte, ihren konfessionellen Standpunkt aufzugeben und mit uns zu⸗ sammen deutsche Politik im Osten zu treiben. Unser Antrag auf Ein⸗ führung der Verhältniswahl für den Osten ist kein Ausnahme⸗ gesetz. Wir wollen den Polen keines ihrer Rechte nehmen. Aehn⸗ liche Sondergesetze bestehen ja auch für viele andere Landesteile Preußens, ich erinnere nur an Hannover, worin ja auch niemand eine Ausnahmegesetzgebung sieht.
Abg. Braun (Soz.): Das Volk ist nach konservativer Auffassung reif genug, zu kämpfen und zu bluten für das Vaterland, aber nicht reif genug für das gleiche Wahlrecht. Wir waren erst zweiselhaft, ob wir. uns überhaupt weiter an der Erörterung beteiligen sollten. Wenn wir es tun, dann geschieht es, weil vielleicht bis zur dritten Lesung doch noch eine Verständigung möglich ist und weil wir weiter auf Unsinnigkeiten der Vorlage aufmerksam machen wollen. Die bisherige Wahlkreiseinteilung macht so wie so schon in einem gewissen Grade das gleiche Wahlrecht illusorisch. Die hier vorgesehene Wahlkreiseinteilung will nun diese Ungerechtigkeit nicht beseitigen oder mildern. Man stützt sich dabei auf die Flächenausdehnung, die geschichtliche und wirtschaftliche Bedeutung. Bei Schelfung des je igen Wahlrechts hat man aber lediglich das Ergebnis der Volks⸗ zã
lung zugrunde gelegt, nicht die tote Fläche. Legt man die wirtschaft⸗
liche Struktur zugrunde, also den Steuerertrag, dann müßte man im C.
Gegenteil die Wahlkreiseinteilung im umgekehrten Sinne revidieren. Den vorhandenen an sich schon ungerechten will man nun lege⸗ lisieren, das Zentrum will ihn sogar durch seinen Antrag verewigen, indem eine Aenderung nur mit Zwei⸗Drittel⸗Mehrheit vorgenommen werden darf. Was zur Begründung der Anträge auf Einführung der Verhältniswahl in einigen Wahlbezirken angeführt ist, begründet schlagend die allgemeine Einführung der Verhältniswahl. Für die Ostmark ist die Verhältniswahl eine reine Kampfmaßnahme gegen die Polen und deshalb stimmen wir dagegen. Der Antrag Aronsohn richtet sich gegen die Sozialdemokratie, weil die
ortschrittler Mandatsvwerluste in den großen Städten befürchten. Für unsere Entscheidung sind einige Mandatsverluste nicht maßgedend. Wir sehen in dieser partiellen Einführung des Proporzes wenigstens einen ersten Schritt auf dem Wege zur allgemeinen Einführung der Verhältniswahl. Deshalb stimmen wir für den Antrag Aronsohn. Die Polen wird man durch die Verhältniswahl nicht schädigen, denn was sie in Posen verlieren, werden sie in Oberschlesien gewinnen. Auch wir werden für Mandatsverluste in einigen Städten Gewinn in anderen Städten haben. Gerade der Widerstand der Konservativen gegen diese Anträge bestärkt uns darin, für die Anträge zu stimmen. Die Konsewativen sind sich darüber klar, daß, wenn einmal der Proporz in dieses Gae aufgenommen ist, und es sich zeigt, daß eine gerechtere Vertretung der Wähler dadurch gewährleistet ist, man unmöglich mehr der allgemeinen Einführung des Proporzes sich wider⸗ setzen kann. Die Konservativen stimmen gegen alles, was nur eine Spur von Gerechtigkeit aufweist. Dieser Widerstand der Konservativen gegen allen Fortschritt schädigt Preußens Stellung in Deutschland, macht Deutschland im Ausland verächtlich und verlängert den Krieg. (Beifall bei den Sozialdemokraten. Unruhe rechts. Rufe: Unsinn! Wir sind doch nicht in einer Volksversammlung.)
Abg. Stroebel. (U. Soz.): Die optimistische Auffassung, daß die partielle Einführung der Verhältmiswahl der erste Schritt zur allgemeinen Verhältniswahl sein soll, teilen wir nicht, im Gegenteil, wenn die Wünsche der reaktionären Parteien dadurch erfüllt sind, werden sie keinen Finger mehr für dise G