1919 / 73 p. 6 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 29 Mar 1919 18:00:01 GMT) scan diff

wem wir die Ohnmacht verdanken, wer also letzten Endes schuld daran ist, daß wir den Deutschen in der Provinz Posen nicht die Hilse bringen konnten, auf die sie einen berechtigten Anspruch haben. Entschieden muß ich dagegen protestieren, daß ich etwa ein Schud⸗ bekenntnis Deutschlands abgelegt habe. Herr Heigt sagt, wir müssen jetzt damit rechnen, daß ins Friedensprotokoll ein Passus ausge⸗ nommen wird, in dem Deutschland selbst anerkennt, die Schuld am Kriege zu haben. Ich bitte Herrn Hergt, meine Rede durchzulesen. Er wird keine Stelle sinden, in der ich Deutschland die Schuld am Ausbruch des Krieges beigelegt habe. Ich habe ausdrücklich gesagt, daß ich nicht auf dem Standpunkt stehe, daß etwa die Regierung eines Landes allein die Schuld trifft, sondern daß alle schuldig sind. Was ich über die Schuldigen gesagt habe, das bezog sich nicht auf die Regierung, sondern auf bestimmte Parteien. Herr Hergt meinte allerdings (Zuruf bei der Deutschnationalen Volkeparkei) lassen

Sie mich doch weiter reden! die Partei, die früher im Hause in

Friegerischem Sinne gesprochen habe, gebe es nicht mehr, es sei jetzt⸗ eine neue Partei. Ein neues Kleid haben Sie sich angezogon; aber damit haben Sie doch den alten Menschen nicht 1eeh odet glaüben⸗Sie, wenn hier jemand auftrikt als Mitglied der Deutsch⸗ nationalen Volksparfei, der früher unter den Konservat ven gesessen hat, daß er damit seine politische Grundanschauung geändert hat? Ich habe von kriegshetzerischen Reden gesprochen, die hier im Hause gehalten, worden. sind. Herr Abgeordneter Heigt meinte, von einer solchen Rede sei ihm nichts bekannt. Dann bedauere ich das kure Gedächtnis des Herrn Abgeordneten Hergt. Weiß Herr Abpeordneter Hergt nicht, daß im früheren Abgcordnetenhause fort und fort eine Agitation gegen die Friedensresolution des Reichstages getrieben

worden ist?. Weß Herr Abgcordneter Hergt nicht, wie von der

Tribüne dieses Hauses herab für den unbeschränkten U⸗Boolkrieg eine lebhafte Propaganda entfaltet wurde? Weiß Herr Abgeordneter Hergtenicht, daß hier fast bei jeder größeren Debatte, bel jeder Etats⸗ debatte nech bis in die letzte Zeit hinein fort und fort Annexonen in weitestem Maße gefordert wurden? Das müßte Herr Abgeordneter Hergt doch wissen. (Abgeordneler Hergt: Nur für das Durchhalten!) Aber ich bitte Sie: streiten Sie doch nicht ab, was schwarz auf weiß steht! Glücklicherwe’ se existieren ja die Prolokolle unserer Ver⸗ andlungen. Wie können Sie behauplen, daß hier nut für dao Durchhalten gesprochen worden ist?! Es ist ausdrückich geforbert worden, daß wir in einem Maße annektieren sollten, wie es sich ein vernünftiger Mensch niemals hätte träumen lassen dülfen. Nicht „Durchhalten“! war das Motto, sondern das Motto war: die anderen zu Voden drücken und so viel wie möglich von ihnen herausholen. Das ist in jeder Rede, die von der Rechten gehalten wurde, deutlich zum Ausdruck gekommen. 111 ““

Herr Abgcordneter Hergt sagt, es sei nur das Durchhalten ver⸗ langt worden, und er fragt: sollten wir denn dem Auslande fagen, wie schlecht es bei uns stand? Nein, dem Auslande seollten wir das nicht sagen; in der Oeffentlichkeit, hier im Hause brauchten wir nicht zu sagen, wie schlecht es bei uns stand. Aber selbst in den Sitzungen hinter verschkossenen Türen, in den Verhandlungen der Budgetkommission ist uns niemals die Lage Deutschlands richtig ge⸗ schildert worden. Es hätte wirklich pichts geschadet, wenn auch dem Volke die Wahrheit gesagt wäre. Gerade der Umstand, daß dem Volke während des ganzen Krieges die Wahrheit vorenthalten worven ist, hat eine solche Verbitterung in den weitesten Kreisen hervor⸗ gerufen, daß man sich gar nicht wundern kann, wenn es schließlich zur Revolution gekomnien ist. Alles das sind Momente die beim Auebruch der Revolution eine hervorragende Rolle spielten, Momente freilich, die Sie übersehen.

Der Herr Abgeordnete Hergt steht ja überhaupt auf dem Stand⸗ punkt, daß die Revolution gemacht worden ist. (Zuruf von. der Deutschnationclen Volkspartei: Ist sie auch!) Nein, meine Herren, das ist sie nicht, sondern die Revolutton war die ganz natürliche Folge der Kriecgepolitik, die 4 ½6 Jahre hindurch getrieben worden ist. (Zuruf rechts.) Ich kann unmöglich wissen, was Herr Vater in Magdeburg gesagt hat. Herr Vater gehört meiner Partei nicht an. Ich habe das in den Zeitungen gelesen; ob es wahr ist, kann ich nicht beurteilen. B“ z

Nun sagt Herr Abgeordneter Hergt, wie das auch gestern von anderer Seite hervorgehoben ist, bereits vor dem 9. November ser alles erreickt gewesen, und er fügt hinzu, daß er nicht das Abkommen meinte, das zwischen den Parteien des früheren Abgeordnetenhauses getroffen worden war, sondern die Abmachungen zwischen den Par⸗ teien des Reichstages. Ich habe an den Verhandlungen der Parteien des Reichstages sie haben bis in die allerletzten Tage hinein gedauert; ich glaube, es wurde noch am 8. November verhandelt auch teilgenommen und bin daber einigermaßen unterrichtet. Es ist richtig, daß ein Antrag, der weitgehende Zugeständnisse an die Demo⸗ kratie enthielt, vorbereitet war, und man konnte mit der Möglichkeit rechnen, daß er vom Hause angenommen werden und daß auch die Regierung keinen Widerstand leisten würde, so daß wir ein demo⸗ kratisches Wahlrecht und einige weitere Zugeständnisse bekommen hätten. Aber alles, was damals zugestanden worden ist, ist ja nur aus Angst vor der Revelutton zugestanden worden. (Sehr richtig! ÜUnks.) Man glaubte, daß man damit den Zusammenbruch noch auf⸗ balten konnte; aber es war nicht mehr möglich, ihn aufzuhakten, es war zu spät. (Sehr richtig! links.) Darin zeigt sich ja gerade, wie unbeilvell die Politik gewesen ist, die die rechte Seite des früheren bgeornetenhauses Jahrzehnte hindurch getrieben hat. Ich brauche nur noch mal auf das hinzuoweisen, wotan ich gestern bereits erinnert kabe, daß einer Ihrer hervorragenden Führer Sie ausdrücklich ge⸗ vwarnt hat: Sie sollten es nicht so weit treiben, bis es zu spät ist. ZHätten Sie feüher dem Volke Zugeständnisse gemacht, bätten Sie üher das Dreiklassenwahlrecht beseitigt, hätten Sie früher weitere vgesändnisse auf dem Gebiete der Verwaltung gemacht, dann wäre s vielleicht nicht zu diesem Zusammenbruch gekommen. Aber gerade ter Umstand, daß Stie sich mit Händen und Füßen gegen jede auch voch so bescheidene Reform gesträubt baben, gerade der Umstand hat Szu heigetragen, daß die Massen erregter und immer erregter wurden. Zuruf: In Bayern war es schlimmer als hier!) Daß die Re⸗ volution, wern sie einmal ausbricht, nicht auf Preussen beschränkt lieb, sondern auf die anderen Staaten übergreifen würde, war doch voroususeken.

Herr Abecordneter Hergt kommt zu dem Schluß, die Revelukion var rellkemmen überflüssig. Nein, meine Herren. kotsächlich war die

ob der Abgeordnete Hergt von der Richtigkeit dieses seines Arguments

Regierung nicht gehorsam sind und deren Stellen wir zugunsten von

geschworen sind.

Gewissenskonflikt kom men können. Ecwiß, meine Herren, das gebe

Fälle mir in meiner Eienschaft als Min’'ster des Junern zu Ohren. Lekommen sind, hahe ich steis eine eingehende Prüfung angestellt, und

(erelutien gar nicht mehr zu vermeiden, und wenn Herr Hergt sagt, *3 wäre ja alles erreicht bewesen, der einzige Unterschied zwischen

ö 3 v früher und jetzt wäre nur, daß damals die Mehrheitsparteien und die Regierung bereit gewesen wären, das Wahlrecht vom 24. Lebens⸗ jahre an zu gewähren, während es jetzt vom 20 Lcbensjahre an be⸗ willigt ist, so ist das eine Auffassung der Rerolut'on, die mir völl g unverständlich ist. Es klingt ja beinahe so, als ob die Revolution nur deshalb ausgebrochen ist, weil die Wähler erst mit dem 24. Lebensjahre an die Wahlurne treten konnten. Ich weiß nicht,

selbst überzeugt ist.

Es ist auch nicht richtig, daß die Revckution erst den Zusammen⸗ bruch herbeigeführt hat. Herr Hergt venwechselt hier Ursache und Wirkung. Es ist ja bekannt, erst war der Zusammenbruch da, dann kam die Rexolutien. Das geht ja auch aus dem letzten Briefe des Feldmarschalls Hindenburg, der jetzt veröffentlicht ist, wieder deutlich hervor. 1 8 b

Der Akgrordnete Hergt sagte dann, ich sellte erklärt haben, daß es in der Beamtenschaft eine Anzahl voön Personen gibt, die der

solchen frei gemacht haben, die auf das Regierungsprogramm ein⸗ Das habe ich weder dem Sinne, noch dem Wortlaut nach gesagt. Ich habe keinen Zweifel daran gelassen, daß wir jedem Begmten das Recht der pelitischen Betät gung im weitesten Umfange zugestehen, und die Erlasse, auf die der Herr Abgeordnete v. Richter bingewiesen hat, die Erlasse, die ausdrücklich jede Einwirkung von Beamten auf ihre Untergebenen verbieten, die ferner jedem Beamten die Freiheit politischer Betätigung seiner Ueberzeugung gestatten, sckange darurch nicht die Unparteilid keit seines Amtes berührt wird, und der fernere Erlaß, der eine Verquickung jeder pelitischen und amtlichen Tätigkeit verbielet, alle diese Erlasse bestehen auch heute noch. Die Regierung ist fest entschlessen, das, was sie in ihren Er⸗ lassen gesagt hat, durckzusühren. (Zuruf rechts: Auch für die politi⸗ schen Beamten?) Auch. für die pol tischen Beamten, gewiß. Ich glaube nicht, daß Sie mir nach weisen kännen, daß ich in irgendeinem Falle anders rersahren wäteé, Wir räumen im Gegensatz zu der feüheren Regierung auch jedem polit'schen Beamten ohne weiteres das Recht, ein, sich frei politisch, wie es seiner Ueberzeugung ent⸗ spricht, zu betätigen. Wir künnen aber nicht dulden, daß die politi⸗ schen Beamten die Maßnahmen der Regterung durchkreuzen. 8

Einer der beiden Herren bat davon gesprochen, daß die Beamten ihren Beamteneid geleistet bätten und daß sie deshalb in einen

ich zu. Wir haben, den Gew ssenskonsl kt vorausgesehen, und wir haben deshelb den Veamten freigestellt, ob sie weiter im Dienste der neuen Régieryng tätig sein wellen oder nicht. Wir haben zu diesem Zweck die bekannte Verordnung erlassen, die wohl später noch be⸗ sprocken werden wand, die denjenigen Beamten, die sich in die neuen Verhältnisse nickt Kwölnen können, in sehr weitem Maße entgegen⸗ kemmen, vielleicht in einem Maße, das Sie auf der Rechlen selbst nicht billigen werden. Wenn aber Beamte sich der neuen Regierung zur Versügung eestelt haben, dann verlangen wir auch, daß sie ihr Wort halten und nichts unte nehmen, was die Absichten der Regierung durchkreuzt. (Sehr erid tig,! bei den Sozialdemokraten) Wo solche

ich habe Wert darauf gelegt, alle diese Fälle selbst zu prüfen. Es war eine ganze Anzahl, in denen Arbeiter⸗ und Soldatenräte der Re⸗ gierung Mitte lung. machten, daß dieser oder jener Veamter seine Pflicht nicht erfüllt orer daß er gegen die Regierung arbeitet. Ich habe durckaus nicht immer im Sinne der Besckwerdeführer ent⸗ schieden. (Zuruf von den Sozialcemekraten: Leider!) Nicht leider, sondern weil ich verpflichtet bin, gewissenbaft zu prüfen, weil ich nicht jede Anzeige, die mir zugeht, nicht alles, was mir mitgeteilt wird, ohne weiteres als wahr unterstellen darf. Manchmal ergab sich, daß die Beschwerdesührer dech von salschen Voraussetzungen ausgegangen waren. Ich bin dadnich —. ich kann das ganz offen sagen wieder⸗ holt mit meinen Parteifreunden in Differenzen geraten, weil sie glaubten, daß ich in ibrem Sinne entsckeiden müßte. (Hört, hört! rechts.) Ja, meine Herren, das geht Ihnen ja auch so. Wenn Sie mir eine Mitteikung über einen Beamten zugehen lassen, dann würden Sie auch erwarten, daß ich in Ihrem Sinne entscheide. Aber ich kann das nicht immer tun. (Zuruf rechts.) Nein, die Herren haben

auch im guten Glauben gchandelt, das ist selbstverständlich. Sie

haben sich dann ich will auch das sagen, damit darüber kein Irrtum

entstebt der Cntsckeidung des Ministe iums gefügt, und wir haben versucht, uns zu verständigen. Zu ernsten Differen en ist es wohl in keinem einigen Falle gekommen.

Ich habe das absichtlich ang⸗sührt weil uns der Vorwurf der Parteircgierung gemacht worden ist, ein Vorwurf, auf den ich nachher noch zurückkomme.

Meine Damen und Herren, der Herr Abgeordnete von Richter hat sich dann besonders dogegen gewandt, daß auch Parleisekreläre in Negierungestellen gelangen. Er meinte, der Parteisekretär sei dazu da, das Wohl der Partei zu krättigen, er sehe alles durch die Partei⸗ brille. (Sehr richtig! rechts.) Meine Damen und Herren, etwas mehr oder weniger sehen wir ja alle durch die Parteibrille, daraus wollen wir uns doch gar kein Hehl machen. Ganz unparteiisch ist kein Mensch. Aber wenn ein Parteisekretär in die Regierung be⸗ rufen wird, dann ist es ganz selbstverständlich, daß er von dem Augen⸗ blick an aushört, Parteisekretär zu sein. (Seht richtig! bei den Sozialdemekraten.) Wir baben niemals daran gedacht, daß etwa jemand gleickzeitig eine Stelle in der Regierung innehat und daneben noch Parteisckretär ist. Das wäre ein unhaltbarer Zustand. (Sehr richtig!)

Im übrigen sind ja erst in sehr wenigen Fällen Parteisekretäre berufen worden. Ich erkläre aber nochmals, wie auch gestern schon, daß wir, wenn sich jemand für einen Posten eignet. ihn berufen werden, selbst wenn er nur Partei⸗ oder Arbeitersekretär ist.

Wir stimmen ja, wenn wir das tun, eigentlich mit den theoreti⸗ schen Anschauungen des Herrn Abgcordneten von Richter überein; denn er hat selbst gesagt, in der Demokratie müßten die ver⸗ schiedensten Anschauungen zur Geltung kommen und sich betätigen. Das ist ganz unsere Meinung. Wir sind wirkliche Demokraten, und wenn Herr Abgecordneter von Richter sagt, die Herren der sozial⸗ demeklratischen Partei wellen eine Klassenkerrschaft errichten, so we’ß ich nicht, ob Herr ven Richter das vergessen bat, was ich zur Er⸗ össnung dieses Hauses gesagt habe. Ich habe da ausdrücklich erklärt,⸗ daß die Klessenherrschaft leseitigt ist, daß wir aber nicht die Herr⸗

erträgliche Maß überschreiten!“

schaft einer Klasse durch die Herrschaft einer anderen ersetzen wollen. Das ist das Vckenntnis zur Demckratie, das Bekenntnes gegen jede Klessenherrschaft. Meine Herren, wir wollen nicht die Diktatur des Proletariats, ebensewenig wie wir früher die Diktatur andere Klassen geduldet haben, sendern wir wellen eine Demoklatie in des Wortes vollster Bedeutung. Daraus, meine Damen und Herren, folgt von seüöbst, daß wir keine Partetregierung sind. und auch keine Parteiregierung sein wollen. Gewiß, Angehörige ingendeiner Partei sind alle Milglieder der Regierung, und es ist ganz selbstverständlich, daß wir damit, daß wir in die Regierung eintreten, die Verbindung mit unserer Partei nicht lösen, sendern daß wir nach wie vor Mit⸗ glieder unserer Parlei bleiben, genau so, wie das in der früheren Regierung der Fall gewesen ist. Aber elwas ganz anderes ist e

ob wir die Regierung als eine Parteirecgierung betrachten. Meine Herren, das müssen wir verneinen. Als Regierung haben wir nicht die Interessen einer bestimmten Partei, gleichviel ob es die Sozial⸗ demokratie oder eine andere Parktei ist, zu vertreken, sondern wir häben einzig und allein dem Wohl des Ganzen, dem. Wohl des⸗Vaterlaudes zu dienen.

„Meine Pamen und Herren, das Wort „das Vaterland über der Partei“ sell für uns keine leere Redensart sein. (Sehr gut! bei den Sozickdemokraten.) Wir werden dafür sorgen, daß dies Wort zur Wahrheit wird, daß es zur Wahrbert wird unter einer Regierung, die sich zur Hälfte aus Sozialdemokraten zusammensetzt. (Beifall bei den Sozialdemekraten.)

Fenanzminister Dr. Sübekum: Meine Damen und Herren Herr Abgcordneter Hergt hat im Namen seiner Partei eine Reihe ven Vemerkuncen zu der vorgelegten Regierungserklärung und zum Notelat gemacht, die mich wen gstens zu einigen Entgegnungen ber⸗ anlassen. Er hat gescagt, walches denn wohl die Uisachen gewesen seien, die die Gesundheit der preußischen Finanzen vor dem Kriege gcwährleistet hätten, und gefragt: ist das bleßer Zufall gewesen? Waren das günstige Kenjunkturen? War das ein reines Glück, daͤß Preußen por dem Kriege auf beneidenswerte gute und geordnele Finanzen blicken kennte? Diese retkorischen Fracen hat er verneint, und er haf als eine der wesentlicksten Unsachen jenes geschilderten Zustandes die traditienelle Selidität der preußischen Finanzgebarung bingestellt, Jamit zugleich einen gewissen Gegensatz zu der Finang⸗ ocbarung unter der pievisorischen Negierung hervorkebrend. (Wider⸗ spruch rechts.) Das liegt in den Worten eingeschlessen. (Erneuter Widerspruch rechts.) Ich möchte die tradit onell gewordene Solidiläͤt der preußischen Finanzeebarung früherer Zeiten nicht: in Zweisel stellen, muß Ilnen aber sagen, meine verehrten Anwefenden, daß ein Teil der Lasten, die nach der Umwärzung auf uns gefallen sind, her⸗

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rorgerufen wunde durch Unterlassungen der früheren Verweltung auf

schr widhticen ECebieten. (Sehr richtig! links.) Beispielsweise: das ungestüme Andrängen sehr weiter Kreise der Arbeiterschaff und namentlich arch der Peamtenschkaft nach Zulagen, sei es des Lohncs, sei es an Eehalt, in Form von Teuerungszulagen, ist nicht allein dus rsechelrgischen Eründen zu erklären, sondern war herausgeboren nns der wirklichen Not dieser Schichten. (Sehr richtig! links.) Dabä ist folgendes zuü beachten. Es sind sowohl unter den Beamten wie unter den Arkeitern gerade diejenigen Schichten und diejenigen Per⸗ sonen härfig am leblaftesten mit Klagen und Forketüngen hervor⸗ getreten, die vorber den Mut zu solchen Klagen und zu solchen For⸗ terrneen nicht gefunden katten. (Sehr richtig! Inks.) .

Ich habe mich bei allen Verhandlungen, die ich über die Teue⸗ rungszulagen für die Beamten zu führen hatte, der verständn svollen und dankbar anerkannten Mithilse der Vorstände der Beamtenorgani⸗ sationen zu erfreuen gehabt, wie ich ebenso bei. Verhandlungen über Arbciterlöhne dauernd mich der rerständnisvollen und ebenfalls dankhar anerkannten Unterstützung der Organ sationsleitungen zu erfreuen hatte. Aber neben diesen geordneten Kräften und Instanzen gehen andere einher. Unter den Beamten ich wiederhole es nochmals sind es getade diejenigen, die früher katzbuckelten und vor Angst sicht wußlen, was sie sagen sollten, wenn sie vor einem höheren Vorgesetzten standen, die jetzt auf einmal eine besonders scharfe Note in ihten. Ver⸗ handlungen mit den Behönden glauben anschlagen zu dürfen (Sehr richtigt bei den Sozialdemokraten), wie bei den Arbe terbewegungen heute häufig gerade diejenigen, die früher in den gelben Organ. sätienen waren oder gar nicht orgarn siert waren, in der unverständigsten Weise Lehnforderungen ganz ohne Nücksicht auf die Ex.stenzmögl'chkerten der Industrie erheben. (Sehr richtig!) Hätte man rechtze tig vor⸗ gebeugt, hätte man denjenigen Bedürfn’ssen abgeholfen, die tatsächlich vorhanden waren, die aber unter dem früheren System nicht so recht zum Ausdruck kommen konnten, so wäre uns manche schwere Stunde erspart geblieben.

Aber, meine Damen und Herren das ist es nicht allein, was uns in diese schweie Situation gebracht hat. Ich habe schon neulich darauf hingewiesen, daß die falsche Lohnpolitik, die an das sogenannte Hindenburgprogramm anknüpfte, ebenfalls einen Beitrag dazu ge⸗ liefert hat. Ich muß indes meine Ausführungen von damals noch etwas ergänzen.

Nach der Umwälzung haben sich in der Privatindustrie Szenen abgespielt, die nicht ohne Rückwerkung auch auf die Staatsarbeiter⸗ schaft bleiben konnten, Szenen, die auch nicht zu den Ruhmestiteln der deutschen Unternehmerschaft zählen. Wie lagen denn die Dinge? Namentlich in den Greßbetrieben waren infolge der Sperrgesetze des Reichs erhebliche Beträge in die Rücklage gebracht worden. Als nun jene ungestümen Forderungen der Arbeiter auf Lohnerhöhung, die

zum greßen Teil berechtigt, zum Teil auch unberechtigt gewesen sind,

an die Unternehmer herandrängten, da haben diese vielfach gegen ihre bessere Uecberzeugung, gegen ihre Kenntnis von den wirtschaftlichen Verhältn’ssen nachgegeben, weil sie sagten: „Na, wir bezahlen es ja nicht! Wir nehmen es aus den Geldern, die wir cigentlich für die dew⸗ nächst an das Reich zu zahlenden Steuern zurücklegen mußten.“ Tiese Unternehmer haben also Ihr Geld (zur Lenken) und Ihr Geld Gur Rechten) und mein Geld ausgegeben, indem sie ünbeherrschte Lohn⸗ forderungen bewill gten, um für sich privat Ruhe zu bekommen.

Es kam in jenen erregten Tagen einmal ein greßer Berliner Unternehmer zu mir, der mir sein Leid klagte und sagte: „Wie kaan ich diesen ungestümen Lonforderungen entgegentreten?“ Ich sagte hm: „Es wird Ihre Pflicht sein, das zu tun, wenn Sie die Ueberzeugung haben, daß die Lohnforderungen das mit der Existenz Ihrer Industrie Darauf sagte er: „Dann setze ich mich der Gefahr aus, daß die Leute mich totschlagen!“ (Hört, hört! rechts.) Ich erwiderte ihm: „Lassen Sie sich totschlagen; das ist Ihre sez ale Funktion, sich in solchem Fall totschlagen zu lassenl“

(Heiterkeit.) Hierbei war ich überzeugk, daß es in solchem Fall nicht zu einem Totschlag gekommen wäre! (Ernchte Heiterkeit.) Aber in enen Tagen hat es auch auf der Seite der Unternehmer an dem ge⸗ börigen Mut gefehlt, unberechtigten Lohnforderungen entgegenzutreten. Als ich mein Amt antrat, schon unter der prov sorischen Regterung,

habe ich mir gesagt: Aufgabe oder Schicksal eines Finanzministers

ist es. sich unpopulär zu machen. Ich habe den Mut dazu, das uf mich zu nehmen!

Irdessen, verchrte Amvesende, wenn See die letzten Ursachen uanserer heutigen Lage erkennen wollen, dann dürfen Sie nicht halt⸗ mochen bei den Forderungen der deutschen Arbeiter oder der Boamten,

bei dem Verhalten unserer Unternehmerschaft und miferer Behörden.

sondern die letzte eigentliche Grundursache ist doch folgendes. Ent⸗ gegen den Bestimmungen des Waffenstillstandewertrags und ent⸗ gegen den elementersten Gesetzen der Menfdlechkeit hat die Entente die Hungerblockade über Deutschland aufrechterhalten und durch den Hunger bei uns verewigt, unsei Volk in die Ver⸗ wirrung hineingestürzt, in der es jetzt lebt. Es ist in der Welt⸗ geschichte nicht erhört wie dieses Volk mißbandelt werd ven seinen Gegnern, die es doch auch nur wegen ihrer Ueberzahl besiogt haben vnd wegen der Anwendung der Hungerblochade schon über vier Jaͤbhre hindürch. (Sehr richtig!) Wenn mwan ganz sich klar machen will, was das bedeutet, soll mon doch eins necht außer Augen lasson: die Hungerblockade, wie sie über Deulschland verkängt worden war, widersprach nicht nur den Gesetzen der Menschlichkeit, sie wider⸗ prach auch den Eleten des Völkerrechts. (Sahr richtig!) Im Jahre 1904 und 1905 hat die enclesche Regierung eine große Kommssion (Noyal Commission) eingesetzt mit der Aufgabe zu untersuchen, wie England sich verhalten könne im Falle, daß es einmal in einen greßen Krieg verwickelt und auf seiner Insel von dem Verkehr mit der übrigen Welt abgeschnitten werde. Die Aibeiten dieser Konm ssion haben sich in awei Teile zerlegt, in einen technischen und einen rechtlichen Teil. Der techn sche Teil be⸗ rührt uns kier weiter nicht; es handolt sich da um die Ausdehnung der Anbauflöche im Innorn, um die Möglichkeit doch immer das eine oder das andere Schiff durch die vorausgesetzte Blockade hindurch zu brimgen vsw. Der rechtliche Teil, auf den ich Ihre Aufmerksam⸗ keit richten mödhte, filert folcerdes aus: Eine offekrve Bleckade um ganz England ist selbst mit allen Flotten der Welt. unmöglich durckzuführen, Lie Erklärung ener bloßen Sperrzene ist völkerrecht⸗ lich nicht zulässig, und die Einbeziehung der nichtkämpfenden Be⸗ völkerung in die Leiden eines Krieges widerspricht der Menschlich⸗ keit und den Gesetzen des Välkerrechtes. (Hört, hört!) Daͤnnit ist England gegen einen solchen Angriff von vornherein gesichert; die Kommission kann diesen Teil ihrer Aufgabe als erledigt betrachten. Im Eggensetz zu dieser von den besten Namen der englischen Juris⸗ prudenz gestützten Aufftassumg hat England im Verein mit seinen Berbürdeten über Deutschland nicht eine esfeknve, sendern eine Sperrgebietsblockade verhängt, also damit den eigenen Auffassungen direkt ins Gesicht geschlagen. (Lebhafte Zustimmung) Man kennte derüber viclleickt Einwegeehen, selange wir im Kriege woren; aber nad oem der Wesfenstillstand auf Grund der 14 Wilsenschen Punkte

von uns erbeten, von den anderen zugestanden war, mußte die

Bkoeckä de alfgehoben werden. Und daß dies nicht ge⸗ schieht, setzt die Entemte dem Vorwurf, dem gerechton Vorwuif der Barbarei aus. (Wicderbolte lobhafte Zristi mmung.) Dieser Zu⸗ stand hat es mit sich gebracht, doß wir in Deulschland von Unruhe zu Unrulte oekemmen sind, daß keine Oadnung, keine Sicherheit in unser wirtscheftliches, in unfer pelltisches Leben hinein kommen konnte urnd wir der Spieball der Gclässigkeit von Partei zu Pertei geworden sind in einem Augerbl’ck, wo das Vork hätte zu⸗ seammenstohen müssen, um auf den Trümmern einer schmählich zu⸗ sammongebarchenen Vergangenloit den stolzen Bau einer besseren Zukunft zu errichten. (Sehr richtig!)

Darin liegen also letzten Endes die Schwierigkeiten, in denen wir uns befinden, damit eröffnet sich hoffentlich auch der Ausblick darauf, daß es einmal mit uns besser wird. 1

Nun vermißt der Herr Abgeordnete Hergt in meinen Ausführungen

vön neulich ein Eingehen auf die Frage der Sozialisierun g. Ich bin auf diese Frage der Sozialisierung nicht ausführlich eingegangen, weil sie naturgemäß in erster Linie eine Angelegenheit der Reichsgesetz⸗ gebung und der Reichsverwaltung ist und bleiben muß. Aber ich nehme gar keinen Anstand, Ihnen bier meine Stellung zu der Frage der Scz cal siewung darzulecen. Herr Abgcorencter Hergt hat ganz recht, daß eine überstürgte Sozialisierung, gegen die ja auch die Führer der unabhängigen Sozialdeme kratie sehr ernste und sehr treffende Worte gefunden haben, schwere Gefahren für unsere Volkswirtschaft mit sich bringt und jedenfalls für unsere Staatswirtschaft keinen Eisolg ver⸗ spricht. Ich stimme ihm darin vollständig zu. Zur Sozialisierung sind nur gewisse hochentwickelte Industrien oder Industriezweige reif, andere werden heranreifen, und die Form der Sozialisierung kann niemals ein Schema sein, sondern wir werden die Form immer den Dingen an⸗ passen müssen. Meine Gedanken darüber kann ich dahin zusammen⸗ fassen: es kommt nicht auf eine plumpe Sozialisierung des einen oder des andern Teils der Wirtschaft an, sonoern es kommt auf eine Durch⸗ staallichung und. Rationalisierung der ganzen Volkswirtschaft an, von der dann Teile sozialisiert, Teile kommunalisiert werden, andere Teile im Genossenschaftswesen aufgehen und endlich noch anveret Teile der freien wirtschaftlichen Betätigung freistehen werden. Ich vitte Sie, sich folgendes zu überlegen. Wir sozialisieren im Reich jetzt zunächst einmal den Kohlenhandel. Dabei kann ein Vorteil für die Reichskasse berauespringen, vielleicht auch nicht: ich wage nicht, das zu entscheiden. Aber gleichzeitig lassen wir geschehen, daß in unseren Hausheizungen und in unseren industriellen Heizungen die gesörderten Kollen höckestens vielleicht mit einem Zehntel ihres Heizwertes, häufig sogar mit noch mweniger ausgenutzt werden. Gleichzeitig lassen wir geschehen, daß ein erheblicher Teil der geförterten Kohlen nur dazu verwendet wird, um die Kohlen von einem Ort zu einem andern zu befördern. Würden wir durch planmäßige Veranstaltungen in unserer Wirlschaft dazu übergehen können, von einem bestimmten Tage ab zu verbieten, daß Nohkohle ergendwelcher Art überhaupt verfeuert werden dars, würden wir den ganzen Wert der Kohle für unsere Volkswirtschaft dadurch zu erringen verstehen, daß wir sie vor dem Gebrauch zunächst zerlegen und in ihrer besten Form, sagen wir: als Ges, a's elcktrische Energie in die Produktion einführen, ja, meine verehrten Anwesenden, dann hätten wir unendlich viel mehr dedurch gewonnen, als man durch eine plumpe Sozialisierung, selbst bei den höchsten Preisen, die man für das Produkt nimmt, jemals gewinnen lönnic. Und die er vollowirlsehaliliche Vor⸗

keif wäre an sich ganz unabhöngig davon, ob diese Veranstaltungen, wie ich sie Ihnen eben schilderte, vom Staat oder von Privaten ge⸗ troffen werden. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Darauf werden wir unser Augenmerk zu lenken haben. Wir müssen alfo die Produktion rationalisieren und müssen an den Früchten dieser Ratio⸗ nalisierung durch eine Durchstaatlichung unserer Wirtschaft auch unsere össentlich rechtlichen Korporationen teilnehmen lassen, Reich, Staat und Gemeinden, wie etwa auch noch andere Korporationen. Daraus ergibt sich meiner Ansicht nach auch für die Preußische Staatsregierung die Haltung in diesen Fragen.

Herr Abgeordneter Heigt hat sich dann weiter mit der Steuer⸗ rolitik in Preußen u d Deutschland b.schäftigt. Felge ich ihm auf dieses Gebirt, so kann ich mich seiner Kritik rückhaltles anschließen. Die Finanz⸗ und Steuerpolitik, die im Reich getrieben worden ist und die uns immer zu Gegnern hatte ich meine damit meine Parter und die links von mir stehende Partei —, ist allerdings für

das Elend der Finamen, in dem wir uns heute befinden, zum großen

Teil mitperantwortlich. Ich bedauere nur, daß die frühere, die König⸗ lich preußische Staatsregierung, ihrer⸗eit nicht den Mut und die Entschlußkraft gefunden hat, um gegen die Wirtschaft, wie sie unter dem Regeme Helfferich im Neich getriecben wurde, energisch aufzu⸗ treten und sie zu verhindern. Damals war Preußen mächtig genug, um durch sein Vewo die Feller, die im Reich gemacht wurden, zu verhindern. Ich bedauere, daß das nicht geschehen ist. (Zuruf rechts.) Preußen hatte damals sehr vicl zu sagen.

Was die Esenbahnen anlangt, so habe ich meinen Erklärungen von neulich, die ich in meiner Etatsrede wicderholt habe, nichts himu⸗ kufügen. Ich stelle fest, daß auch die Partei des Herrn Abgeordnelen Hergt der Uebertragung der Eisenbahnen an das Reich grundsätzlich zustimmt und nur ein ge Bedingungen stellt, die auch ich unterschreiben kann, daß alle Eisenbahnstaaten ihte Eisenbalnen auf das Reich über⸗

tragen sollen, und zwar gleichzeit g, zweitens, daß auch die Ueber⸗

nahmebedingungen im Wege des Vertrages ausgemacht werden sollen. Ich zweisle nicht daran, daß es uns gelingen wird, diese beiden Be⸗ dingungen zu ersuͤllen. Wir legen dabei einen besenderen Wert auf das weitere Bestehen freundnachbarlicher Beriehungen zu der großen bayerlschen Staatsbahrverwaltung. Ich habe aus der Presse er⸗ sehen, daß der Herr bayerische Verkehrsminister starke Vorbehalte getzen eine Ueberführung der bayerischen Staalsbahnen in den Besitz und den Betrieb des Reiches gemacht haäat. Ich heffe, daß er in dieser Beziehung nicht das letzte Wort gesprochen hat. 8 1 Nun hat endlich Herr Abgcordneter Hergt geftagt, wie ich mich

zu der in manchen polltischen Kreisen Deulschlands angeregten Frage der Anrullierung der Kriegenrkelhen stelle, und gemeint, ein Wort von mir werde zur Beruhigung im Lande sehr wesentlich beitragen. Wenn meinen Worten diese Kraft innewohnt, so sollen sie nicht ungesprocken bleiben. 1u“

Die provisorische Reichsregierung bat in ibrer ersten Erklärung, mit der sie vor das deutsche Volk trat, eine Erklärung, die die Namen Ebert, Scheidemann, Landsberg, Haase, Dittmann und Barth trug, gesagt, daß die Gesetze des Landes, wenn sie nicht ausdrücklich außer

Kraft gesetzt werden, weiter bestehen, und daß das Privateigentum

gegen den Zugriff von Privalpersonen geschützt werden solle. Das bodeutet die grundsätzliche Anerkennung des privaten Eigentums, das nur Beschränkungen im Wege des Gesetzes oder im Wege der Verwaltung, aber dann auch nur im Wege der⸗ Rechtsprechung, unter⸗ worfen werden kann. Davon müssen wir ausgeben. Das ist auch der grundsätzliche Standpunkt der Herren von der Unabhäng’gen Sozial⸗ demokratie, mindestens gewesen. In dem leßten Akt onsprogramm der Unabbängigen Sozialdemokratie —, in einer Zeitung vom 9. März 1919 finde ich es ist allerdings in einem Paragraphen, der von den Finanzen handelt, gesagt worden: 88 Dee Kriegsanlolhen sind zu annullieren ünter Enlschä gung der Be⸗ dürfligen, der gemeinnüähigen Vereine, Anstelten und der Ge⸗ meinden. G Es ist an sich sehr freundlich von den Verfassern dieses Pro⸗ gramms, daß sie es so früh bekannt geben: denn sie geben ja dadurch den privaten Besitzern von Kriegsanleihe die Möglichkeit, ihren Besitz noch rochtzeitig an solche Leute abzustoßen, die nach dem Pro⸗ gramm einen Entschädigungsanspruch haben. Ob das in allen Fällen möglich sein würde, weiß ich nicht. Ich persönlich halte an dem fest, was die Führer aller peliti⸗

schen Parteicn des früheren Reichstages gemeinsam erklärt haben,

daß sie die Garantie für die Aufrechterhaltung der Kriegsanleihen und ihrer Verzinsung über⸗ nehmen, und das als eine Ehrenpflicht des Reiches hingestellt haben. (Allseitiger Bcifall.) Ich verstehe auch nicht, wie man einen selchen Satz wee die eben verlacsenen in ein Progranun aufnehmen kann; ich verstehe es weder pelitisch noch volkswirtschafllich. Denn das kann doch auch die Absicht der Unabhängigen Sozialdemokratie nicht sein, daß sie dicjenigen, die während des Krieges ihr mehr oder minder greßes Vermögen dadurch, daß sie Kriegsanleihe zeich⸗ neten, in den Dienst des Vaterlandes gestellt haben, dafür noch be⸗ sonders bestrafen. (Sehr gut!) Das sind doch immerhin Kreise und Leute, die ein Gemeinsamtkeitsgofühl, ein Solidaritätsgefühl besessen und auch beklästigt baben (sehr richtig!), während Sie diejenigen ungesckoren lassen wollen, die sich niederträchtigerweise dieser Ehren⸗ pflicht jedes Besitzenden in jener Zeit entzogen haben und ihr Geld ehva im Schücbehandel eder in arderen, minder chrenvollen Betäti⸗ aungsgebieten angelegt haben. (Sehr gull und Bravo!)

Es ist weiter doch gar nicht zu verkennen. daß man, wenn man so vorgehen wollte: Schuldverbindlichkeiten abzustoßen, um dadurch die Lage des Volkes, namentlich der minderbemittelten Bevölkerung zu erleichtern, unmöglich gevade bei den Kriegsanleihen haltmachen kann. Sch licßzlich ist jede bypothekarische Belastung gerade so ein Onus für die Volkswirtschaft, wie eine Kriegsanleihe. Ist nicht jede Staatecrsolhe dan, Henso zu annullieren wie die Kriogsanleihe? Wamm denn die Wut gerade gegen die Kriegsanleihen? Das kann ich mir nur aus einem übermäßig starken Peopularitätsbedürfnis der Herren von der unabhängigen Sozialdemokratie erklären. (Sehr

icht g!) Ich kann es vollkommen begreisen, daß ein Mann, mit dem ich eftmals polit sch die Klingen gekreuzt habe, den ich aber als einen Ehrenmann und reinen Charakter nie aufgehört habe zu achten. der Akgcordnete Bernstein, indem er zunächst ven der Spaltung der Sczialdemekratie spricht, in seinem Abscheedebrief an die unab⸗ hängige Sczialdemckratie sagt: Die SExaltung der Sezialdemwokralie hbat in der Revolution zur naturgen äßen Frlge, daß beide Fraktienen in immer grösere Ab⸗

wollen die Feinbeiten des Krcditwosens cüschaffen.

fraktion von ihren Nachbarn auf der Rechten, die Unabbännigen

von den Spartaclden, denen sie zunehmend größere Konzessionen

auf einer Bahn machen, die, wie den Sachkundigen unter ihnen

ihr sozialistisches Wissen und Gewissen sagen muß, zur völligen

Zerrültung der Lebensbedingungen unseres Volkes zu führen droht. (Sehr wahr!)

Diese Abschiedeworte (duard Vernsteins richten sich wohl nicht zum mindesten gegen die volkswirtschaftliche Ungeheuerlich keit vieses ecben aus Ihrem Programm zitierten Paragrapben. Denn wenn man an den Ausbhau einer nouen Wirtsckaft herantreten will, die ich eben in greben Umrissen zu skizzieven mir erlaubte, so darf man doch das eine auf keinen Fall tun: näm ch das seinste Organ, welches vie vomangegangene Periche der Wirtschaft und der gefellschafllichen Ver⸗ fossung sich gebidet hot, zu gerstören. Kanl Mart hat einmal gesagt und das ist eine der Grundlbehren, auf denen sein ganzes politisch⸗ ph ofophisches Lohrgebäude stoht —, daß eine neue Wirtschaftsordmaefg erst aufocbaut werden kann, wenn eine alte alle ihre Möylichkeiten eischöpft hat, unh daß eine noue Oidnung nauürlich die Früchte der früheren Oühung mt übernehmen müsse, so, wie mit Bezug auf ein

arderes Gebiet neulich der Herr Ministewräsident sagte, daß vwir das

Gute des alten Preußen selestverstärtlich in das neue Preußen mit binicbernelmen. Nun gbt es, volkewirlschafilich betrachtet, kein seineres Organ der Wirtschaft dos Kredinwesen. Auf dem Kredeüwesen baut sich unsere Wirtchaft cuf und muß sie sich auf⸗ bauen, solange wie wir nicht den ssolierten Staat hoben und heben können; und den können wir moh der Lage unserer Oekonomie nicht für uns errichten. Wären wir sckert, befänden wir uns im luft⸗ leeren Raum, dann könnten wir auch danan geben und sagen: wir Daͤ wir auf internofenalen Veikehr angewiesen sind der Mangel des inter⸗ naticnalen Bekkhts erzeugt ja gerche unsere Not, in der wir uns lefirden (sehr richt:g!), sckange dürfen wir das Kreditwesen und damft unsern eigenen Kredit nicht erschüttern; und solange das der Fall ist, ist eine Forderung wie die, die prognommatisch von der uncbtãng gen Sozialtemekmtle aufgestellt wird, demeogisch vielleicht wirtsem, öfonomisch ist sie unhe Uoll und dorum auf das ent⸗

schisdenste zu dckewweisen. (Sehr gut urd Braro!) Darauf veriagt sich das Haus auf Freitag, 11 Uhr. (Fortsetzung der Besprechung über die Negierungserklärungen, Notgesetz u. a.) ö“ IXX“ E 1““

13. Sitzung vom 28. März 1919. (Bericht von Wolffs Telegraphenbüro.) 6 Am Regierungstisch: Die Minister Hirsch, Heine und

8 Dr. Frentzel eröffnet die Sitzung nach 4 Uhr. 1 8

8 u 2 sörmlichen Anfrage der Abgeordnelen Adolph

Hoffmann gnens e So jaldemokrat)⸗ und. Genossen,

betressend Auflösu 8* deir 8 ovinziallandtage

sewie zu einer weiteren formlihen Anfrage der Abgeordne⸗ ten Dr. Tewes (Zentrum) und Genossen über Kom⸗ munäalisierung des Lebensmittelhandels er⸗

klärt der 6

Finanzministe: Dr. Südekum: Die Staaisregierung ist be⸗

reit, die Anfragen zu beantworlen, und wird sich mit dem Präfidium

des Hauses über den Zeitpunkt der Beantwortung ins Benehmen

setzen. 8

Heierauf werden die von dem Geschäaftsordnungsausschuß vergelegten Vorschriften über, das Wahlprü⸗ f ungsverfahren ohne Erörterung angenommen.

Der Gesetzentwurf, betreffend die Umlegung von Grundstücken in Cöln, wird in dritter Lesung ange⸗ nommen. . Dann Folgt die zweite Beratung des Entwurfseines Notetats. 8. b

Abg. Leid (U. Soz.) sordert Heraufsetzung der Grenze der Steuerfreikeit. Dem Aufbau des Wirtschaftslebens dürften nicht aus fiskalischen Gründen durch die Erhöhung der Eisenbahntarife Schwierigkeiten gemacht werden. 3 ;

Der Etat wird angenemmen, und es folgt die dritte Lesung. E“

Abg. Dr. Nosenfely (U. Soz.): Ich habe folgende Erklärung abzugcben: die Preuß sche Republik ist nach wie vor ein Klassenstaat, beruhend auf der Klassenherrschaft, und mit der Tendenz, die be⸗ stebende Eigentumsordnung und die Ausbeutung der Arbeiterschaft aufrecht uerhalten. (Lachen bei den Sozialdemokraten. Sehr wahr! bei den Unabkängigen Sozialdemekraten.) Trotz der in Aus⸗ sicht gestellten Verstaallichung, die mit Sozial'smus nichts zu lun hat, ist die Struktur des Staates dieselbe EI (Cachen bei den Sozialdemokraten.) Der Staat befindet sich trotz der sogenannten Demokratie noch in den Händen der ühenben Klassen chs Mittel zur Niederhaltung der besitzlosen Volksklassen. Einem solchen Staat bewilligt unsere Fiaktien, deren Aufgabe die Eroberung der Staats⸗ gewalt durch die Axbeiterklasse ist, nicht einen Pfennig. (Bravol bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.) Dieser Regierung, die mit dem Belagerungszustand und allen Gewaltmitteln des alten Regimes regiert, die jede politische und entscheidende wirischaftliche Mitwirkung der Arbeiterräte gablehnt, sagen wir rücksichtslosesten Kampf an; ihr fönnen wir kein Vertrauen schenken. (Lebhafter Beifall bei den Unab⸗ hängigen Sozickdemokraten.) 8

Finanzministe; Dr. Südekum: Meine Herren! Es ist sehr schwe:, mit Leuten zu diskutieren, die im Besitz unantastbarer Wahr⸗ heilen letzter Instanz sind und von diesem Standpunkt aus apediktische

2

1“

Urleile über alles, was um sie herum geschieht, fallen kömmen. Herr

Abgeordneter Dr. Rosenfeld hat im Namen seiner Parteifreunde er⸗ klä:t, die preußische Republik sei ein Klassenstaat, wie es die frühere preußische Monarchie gewesen sei. Sie trachte danach, die bestehende Eigentumsordnung an den Protuklionsmitteln aufrechtzuerhlaten; die Verstaaflichung, die angestrebt werde und in manchen Teilen bereits in Durchführung begrifsen sei, habe mit Sozialismus nichts zu kun. Ueberhaupt sei die ganze Struklur die alle geblieben. Soviel Worte, wie Herr Abgeordneler Dr. Nosenfeld gemacht hat, seviel Unrichtig⸗ keiten hat er ausgespꝛochen. (Sehr richtig! Widerspruch bei den Unabhöngigen Sozialdemokraten.) Begreiflich sind seine Ausführungen überhaupt nur dann, wenn man den folgenden Satz hineinzieht, den er ausgesprochen hat, in dem er sagte, er wünsche mit seinen Freunden die Staatsgewalt ausschließlich in die Hände der Arbeiterklasse zu bringen. Da unterscheiden wir uns eben. Was Sie wollen ist eine Diktatur; was wir wellen ist die Demokratie. (Sehr richtig! Zurufe bei den Unabhängigen Sczialdemolraten.) Für den Demokraten ist die

Längigkeit geraten: die an der Regierung besindliche Mehrbeits⸗

auf bder Grundlage des gleichen Rachts grwährleistels Zuß