1919 / 143 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 28 Jun 1919 18:00:01 GMT) scan diff

vom g. Nobvember eine parkielle geblieben ist. und die die Unzufriedenheit des Volkes damit aufstacheln, daß sich eigentlich nichts geändert habe, haben in gewissem Umfange objektiv recht. Wir wollten nicht die ganze Verwaltung plötzlich in Unordnung dringen und die ganze Rechtspflege über den Haufen wersen, wie man es ;. B. in Ungarn gemacht hat. Es wäre dadurch unsere ganze komplizierte Staats⸗ und Wirtschaftsmaschine vollkommen unbrauchbar und ein Chaos geworden. Daher sind Verordnungen ergangen, die bestimmen, daß alle Beamten im Amte bleiben, alle Gesge weiter bestehen, und diese Verordnungen sind schon vom 12.—14. November ergangen und tragen auch die Unterschriften von Adolph Hoffmann, Rosenfeld und Breitscheid. Die YNerordnung vom 13. November bestimmt, daß sämtliche Behörden und Beamten ihre Tätigkeit fortzusetzen und zur Erhaltung von Ruhe und Sicherheit beizutrvagen haben. Die Um⸗ wandlung im Verwaltungs⸗ und Richterpersonal ist heute noch lange nicht so weit gediehen, wie wir gern wünschten. Unter den⸗ Berufs⸗ richtern ist fast keiner aus der Arbeiterklasse hervorgegangen; die Rich⸗ terschaft ist ausschließlich dem Bürgertum entnommen und widerspiegelt ausschließlich dessen Geist. „Daher die Klagen über Klassenjustiz, die nie bedeuten sollten, daß jemand bewußt das Recht beugt, sondern daß er nach Abstammung und Lebenssphäre nicht fähig ist, sich in den Geist der Arbeiter, namentlich der. kampfenden Arbeiter, hineinzuver⸗ setzen. An diesem Zustand ist auf gbsehbare Zeit nichts zu ändern. Wir müssen daher fordern, daß kein Gericht ausschließlich mit Berufs⸗ richtern besetzt, kein Urteil ohne Zuziehung von Laien als Schöffen ader Geschworenen gefällt wird, wobei wir den letzteren den Vorzug zu geben durchaus geneigt sind. Der Redner begrüßt die Freisprechung Ledebours, der sich in der Vollversammlung der Berläner Arbeiter⸗ räte mit kräftigen, schönen Worten über dend Versailler Frieden aus⸗ gesprochen habe. Schon im Reichstage, bemerkt er, hat Ledebour ent⸗ schlossen die polnischen Ansprüche auf Westpreußen und Danzig ab⸗ gelehnt. Die im Ledebourprozeß behauptete Theorie, als ob nun nach der Revolution ein jeder das Recht auf Revolution hätte, lehnen wir ganz entsschieden ab. Die Revolution des 9. November war eine Revolution des ganzen Volkes. (Lachen rechts.) Jetzt handelt es sich nur um Putsche kleinerer oder größerer Gruppen. Der Staat kann das Recht nur schützen, wenn er anerkannt wird und nicht fortwährend durch Gewaliangriffe bedroht ist. Wir leben jetzt in einem Zeitalter unerhörter Massenverbrechen. (Zustimmung.) Bewaffnete Banden rau⸗ ben und plündern, Massendiebstähle, Raub am lichten Tage sind Er⸗ scheinungen, die wir früher nur nach Mexiko verlegten, und die jetzt in Deutschland gang und gäbe geworden sind. (Sehr richtig!) Diese Zu⸗ stehen im Zusammenhang mit der tiefen Demoralisation, die der Krieg herworgerufen hat, aber auch im Zusammenhang mit den gegenwärtigen politischen Bewegungen. Fast jeder politische Streik ist gegenwärtig von Plünderungen und Ausschreitungen schwerster Art be⸗ gleitet. Recht aber setzt Frieden voraus. Die größte Gefahr auch für die Rechtspflege bietet eine Bewegung, die man Strolchewismus nennen kann, die unter dem Deckmantel politischer Ziele auf nichts weiter ausgeht als auf Raub und Plünderung. (Sehr richtig!) Dem sollten alle Parteien entschieden endgegentreten. Besonders aber dieienigen, denen am Aufstieg der Arbeiterklasse und an einer, wirklichen Rechts⸗ pflege etwas liegt. Diese Bewegung bereitet der Reaktion den Weg. Jede Diktatur ist Gewalt, Verneinung des Rechts. Wer sie predigt, hat auch das Recht verloren, Forderungen an die Rechtspflege zu stellen. (Lebhafter Beifall.)

Justizminister Dr. Am Zehnhoff: Dem Herrn Abgeordneten Heilmann gegenüber muß ich mein Bedauern darüber aussprechen, daß er dem Justizdienst nicht erhalten geblieben ist. Ich bin überzeugt, daß er eine Zierde geworden sein würde. Der von ihm berührte § 84 des Disziplinargesetzes bezieht sich nicht nur auf Justizbeamte, sondern überhaupt auf Referendare. Der Paragraph laut t:

Referendare, welche sich durch eine tadelhafte Führung zur Belassung im Dienste unwürdig zeigen, oder in ihrer Ausbildung nicht gehörig fortschreiten, können von dem vorgesetzten Minister nach Anhörung der Vorsteher der Provinzialbehörde ohne weiteres Verfahren aus dem Dienst entlassen werden.

Zurzeit ist also bezüglich der Justizreferendare die Rechtslage die, daß auf Antrag des Präsidenten des Oberlandesgerichts der Justizminister die Referendare entlassen kann. Ich gebe dem Herrn Abgeordneten Heil⸗ mann zu, daß es sich empfiehlt, hier ein anderes Verfahren einzuführen. Wie das Rechtsverfahren auszugestalten ist, wird zu prüfen sein in sahg z ,

Verbindung mit der Reform des Disziplinarverfahrens im allgemeinen. Der Herr Abgeordnete kann überzeugt sein, daß die Anregung, die er gegeben hat, Berücksichtigung finden wird.

Ebenso kann ich nur das Verlangen des Herrn Abgeordneten Heil⸗ mann als berechtigt anerkennen, daß die Tagegelder für die Schöffen und Geschworenen erhöht werden. Diese Tagegelder sind seinerzeit im Jahre 1913 mit Rücksicht auf den damaligen Geldeswert durch Ver⸗ ordnung des Bundesrats festgesetzt worden. Es sind schon Verhand⸗ lungen darüber im Gange, daß eine Erhöhung stattfinden soll, und es ist zu erwarten, daß das Staatenhaus, das jetzt die berufene Stelle ist, die gewünschte Erhöhung dieser Tagegelder beschließen wird.

Abg. Dr. Schreiber⸗Halle (Dem.): Die Revolution hat die

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Organe der Rechtspflege zum Teil in eine traurige Lage gebracht. Das Verantwortlichkeitsgefühl der Beamten wurde in Frage gestellt. Allein es muß anerkannt werden, daß die Beamten der Justizverwaltung ihre schwere Pflicht in vorbildlicher Weise durchgeführt haben. Die höheren Vorgesetzten müssen beachten, daß das Gefühl des Selbft⸗ bowußtseins in Ler Beamtenschaft seit der Revolution, die mit dem Untertanengeist aufgeräumt hat, gestiegen ist, und sie als gleichberechtigte Mitarbeiter anerkannt werden wollen. Wesentliche Ersparnisse würden

einer Vereinfachung des Beamtenrates zu erzielen sein, die nament⸗

ch an größeren Plätzen durch Zusammenlegung von Beamtenkörper⸗

aften leicht möglich wäre. Die Schnelligkeit, mit der die Justiz⸗ werwaltung einzelnen Reformvorschlägen gefolgt ist, begrüßen wir. Ganz merkwürdig waren die Zusammenhänge, die unter der früheren Re⸗ mierung zwischen dem Sakrament der Taufe und der Verleihung des Notariats bestanden. Die Wünsche der Anwaltskammern für die Notariatserklärung müssen in erster Linie berücksichtigt werden.

Um 366 Uhr beschließt das Haus auf Vorschlag des Prä⸗ sidenten Leinert Vertagung. Der Präsident beraumt die

nächste Sitzung auf Dienstag an. erhält er von inem Abgeordneten die Mitteilung, daß der Ministerpräsident

noch eine Erklärung abgeben wolle. Der Ministerpräsident

Hirsch befindet sich aber nicht im Hause. Auch der Justis⸗ minister kann nicht angeben, wann der Ministerpräsident er⸗ cheinen wird.

Präsident Leinert: (Unruhe und Widerspruch.) 8

Der Präsident erteilt unter allgemeiner Unruhe dem nächsten Redner das Wort.

Abg. Dr. Rosenfeld (U. Soz.): Es wird mir schwer, über die Rechtspflege in einem Augenblick zu sprechen, in dem überall in so außerordentlichem Maße die Gewalt angewendet wird. (Andauernde große Unruhe, in der ein großer Teil der Rede untergeht.) Ver⸗ haftungen Unschuldiger finden im ganzen Reiche statt. (Lebhafte Zurufe: Weshalb sprechen Sie nicht von den Freiwilligenverhaftungen in Hamburg!) Wir sind hier in Preußen! (Andauerndes Gelächter.) Der Erlaß Noskes gegen den Streik ist eine Provokation. (An⸗ haltender Widerspruch.) Es gibt eine Proskriptionsliste noch zu Verhaftender, die völlig unschuldig sind. Wir sind in ihrem Besitze. (Bewegung.) Sie beginnt mit den Namen: Haase, Rosenfeld, Hoff⸗ mann. (Große Heiterkeit. Rufe: Glauben wir Ihnen nicht. Unanständiges Agitationsmanöver!) Ein Beispiel für die mangel⸗ hafte Rechtspflege ist vor allem auch der Prozeß Ledebour. (Lang⸗ anhaltender larmender Widerspruch. Rufe: Leider freigesprochen!)

Dann müssen wir eben weiter tagen!

Präsident Leinerl: zeichen ertönt. Es ist so unmöglich, weiter zu verhandeln. Der Redner ist fast nicht zu verstehen. Ich bitte Sie, Ihre Plätze ein⸗ zunehmen.

Abg. Dr. Rosenfeld fährt mit einer ausführlichen Schilde⸗ rung des Ledebourprozesses fort. Als der Redner dem Minister Heine Unwahrheiten vorwirft, erteilt ihm der Präsident Leinert einen Ordnungsruf. Dann bemerkt der Redner: Wir begrüßen die Absicht des Justizministers, die Berechtigung des Belagerungszustandes an den Orten, in denen er besteht, zu untersuchen. Die außerordentlichen Kriegsgerichte müssen verschwinden, die bisher ergangenen Urteile nachgeprüft werden. Wenn die Kriegsgerichte im Augenblick nicht abgeschafft werden können, muß man sic wenigstens formieren; des⸗ halb halten wir unseren Antrag auf Einführung der Berufung aufrecht.

Justizminister Dr. am Zehnhoff: Meine Damen und Herren, ich behalte mir vor, am nächsten Dienstag auf einige der Ausführungen des Herrn Vorredners zu antworten. Ich möchte aber doch die heutige Sitzung nicht verlassen, ohne mit aller Energie Widerspruch zu erheben gegen die bedauerlichen Angriffe, die der Herr Vorredner gegen meinen Kollegen Heine unternommen hat. Die Gerechtigkeitsliebe und Ehrenhaftigkeit des Ministers Heine ist über allen Zweifel erhaben. (Widerspruch bei den Sozialdemokraten.) Ich bedauere, daß der Herr Vorredner sie hier in Zweifel gezogen hat. (Unruhe und Zurufe bei den unabhängigen Sozialdemokraten.)

Die Etatsberatung wird hierauf abgebrochen. 8

Finanzminister Dr. Südekum: Meine Damen und Herren! Herr Abgeordneter Rosenfeld hat sich, wie mir mitgeteilt worden ist, in heftigen Worten gegen den Erlaß des Reichswehrministers über die streikenden Arbeiter und Beamten in den Eisenbahnbetrieben aus⸗ gesprochen und dabei geäußert, von Recht und Gerechtigkeit dürfe man in diesem Reiche nicht sprechen, solange so etwas gemacht werde. Ich selbst war bei seinen Ausführungen nicht anwesend und konnte nicht anwesend sein, weil ich an den Verhandlungen mit den Eisenbahner organisationen teilnehmen mußte, die, wie ich Ihnen zu meiner Freude mitteilen kann, einmütig das planlose und undisziplinierte Verhalten der Arbeiter und Beamten verurteilen, sie mit klaren Worten aufge⸗ fordert haben, zu ihrer Arbeit zurückzukehren und darüber auch eine bündige Erklärung in der Presse erlassen werden. (Lebhaftes Bravo.)

Mit seinen Ausführungen gegen den Erlaß des Reichswehr⸗ ministers stehen Herr Abgeordneter Rosenfeld und seine engeren Freunde in diesem Hause allein. Alle anderen Parteien sehen mit den Leitern der Organisationen und der Staatsregierung ein, daß das Schicksal unseres Vaterlandes, das in hohem Maße von der Aufrecht⸗ erhaltung des Verkehrs abhängt, nicht den zufälligen Beschlüssen mehr oder weniger erregter Versammlungen anvertraut werden kann, die zum Teil unter zweifelhafter Führung (Lebhaftes Sehr richtig!), ent⸗ gegen dem Willen ihrer eigenen Organisation und deren Leiter, in wilde Streiks einzutreten immer bereit sind.

Wie die Führung der Organisationen, so richtet auch die Staats⸗ regierung von dieser Stelle aus, sicherlich im Einverständnis und unter Billigung der übergroßen Mehrheit dieses Hauses (Zustimmung), an Beamte und Arbeiter der Eisenbahnen die dringende Mahnung, ihren Dienst, der Dienst am Vaterlande ist, alsbald wieder aufzu⸗ nehmen und sich nicht, während die Verhandlungen zwischen den Organisationen und der Staatsregierung einem gedeihlichen Ende entgegengeführt werden, zu Unbesonnenheiten hinreißen und politisch mißbrauchen zu lassen. (Sehr richtig!) Die Beamten im besonderen werden dabei nicht außer acht lassen dürfen, daß sie sich durch Eintreten in den Streik oder durch Verharren in einem Streik eines schweren Vergehens schuldig machen. (Sehr richtig!) Ich weise nicht nur darauf hin, daß das Disziplinargesetz die eigenmächtige Entfernung vom Dienst unter schwere Rechtsfolgen stellt, sondern ich weise nament⸗ lich mit Nachdruck darauf hin, daß eine länger andauernde Lahm⸗ legung unserer Verkehrseinrichtungen durch einen Streik die Finanzen des Staats so sicher und so gründlich zerrütten muß, daß an eine Weiterleistung der Gehaltszahlungen, der Pensionen und der Bezüge für die Hinterbliebenen nicht mehr zu denken sein würde. (Lebhafte Rufe: Hört, hört!) In der schwersten Stunde unseres Landes das Land zu verlassen, ist nicht Sitte preußischer Beamten gewesen und darf nicht Sitte preußischer Beamten sein (Lebhafte Zustimmung), und es ist sicherlich nur eine Verirrung oder, was viel wahrscheinlicher ist, eine Irreführung (Sehr richtig), daß ein Teil von ihnen ihre Pflicht in dem Maße hat verkennen können, wie es der Fall gewesen ist.

Die Regierung erkennt die schwere Notlage, in der sich viele Arbeiter und namentlich viele untere und mittlere Beamte der Staats⸗ eisenbahn befinden, voll an. Sie ist auch bereit, sofern der Betrieb wieder aufgenommen worden ist und die Organisationen ihre Mit⸗ glieder wieder fest in der Hand haben, zu helfen, soweit sie zu helfen überhaupt in der Lage ist. Darüber wird Ihnen der Herr Minister der öffentlichen Arbeiten noch näheres mitteilen.

Die Maßnahmen, die wir beschlossen haben und die die Befrie⸗ digung, wie ich sagen darf, auch der Organisationen der Eisenbahn⸗ arbeiter und der Eisenbahnbeamten hervorgerufen haben, legen dem Preußischen Staat voraussichtlich eine finanzielle Last von mindestens 500 Millionen Mark für die nächsten drei Monate auf. (Hört, hört!) Das ist das äußerste, was wir leisten können, ja, das ist eigentlich, vom rein finanziellen Standpunkt gesehen, weit mehr, als wir leisten Aber die Methode, unter der wir es gewähren, wird die gute Folge haben, daß damit eine erneute Bevorzugung einer bestimmten Arbeiterschicht oder einer bestimmten Beamtenklasse vermieden wird, sondern daß die zu gewährenden Erleichterungen allen notleidenden Volkskreisen zugute kommen werden. (Lebhafter Beifall.)

Ich habe seit Monaten den Monatsabschlüssen der Eisenbahnver⸗ waltung nur mit Zagen entgegensehen können. Während wir nach Er⸗ höhung der direkten Steuern und nach Erhöhung der Eisenbahntarife glauben durften, mib einem Defizit von etwa 800 Millionen Mark unsern Etat abschließen zu können, liegen die Dinge heute so, daß

8 n bre, wenn die Verhältnisse sich in st

können.

allein die Staatsbahnen in diesem Jal dem zreiten Halbjahr nicht ganz wesentlich von denen des ersten Halb⸗ jahres unterscheiden, mit einem Fehlbetrag von mindestens 3800 bis 4300 Millionen Mark abschließen werden. (Hört, hört!) Daß unter diesen Umständeen eine geordnete Finanzverwaltung nicht aufrecht er halten werden kann, ist selbstverständlich, da es ein Grundsatz aller staatlichen Finanzverwaltungen sein muß, daß die Betriebsverwaltungen ihre eigenen Ausgaben zum mindestens decken müssen (sehr richtig!), wenn sie nicht so weit gebracht werden können, daß sie zu den allge⸗ meinen Staatsausgaben durch Ueberschüsse erleichternd mithelfen können. Dieser Etatansatz zeigt, vom Stardpunkt des Schuldenmachens ge⸗ sehen, folgendes Bild: Ende April hatten wir eine schwebende Schuld von rund 6 Milliarden, Ende Juni eins solche von rund 8 Milliarden;

Ich bitte um Nuhe, wenn das Glocken⸗

in zwei Monaten i ne Zunahme der schrebenden Schuld mg 2 Milliarden zu verzeichnen, so daß ich mit den mir bewilligten Krediten von 10 Milliarden mnicht auskommen werde, sondern veranlaßt din, von Ihnen demnächst erneute Kredite von mindestens 4 Milliarde zu erbitten. (Hört, hört!)

Während dieses Bild sich vor uns enthüllt, haben wir immer noch das bisherige Preußen in Rechnung gestellt, haben abgesehen von den unmittelbaren und mittelbaren finanziellen Wirkungen, die der Friedensschluß auch auf unser Land ausüben wird. Wie sich die Verhältnisse gestalten werden, ist noch ganz unübersichtlich; aber das eine steht fest: wir verlieren wertvolle, reiche Gebiete unseres Landes, wir velieren den unmittelbaren Zugang zu einem erheblichen Teile unserer Kohlen⸗ und Eisenschätze, wir verlieren ein großes Ueberschußgebiet an landwirtschaftlichen Produkten; wir werden aber dafür eine große Zahl von Beamten und Arbeitern, die aus den ab⸗ zutretenden Gebieten vertrieben sind, mit allen Lasten auf unseren Etat zu übernehmen haben. (Sehr richig!) Wir haben also erheblich weniger Einnahmen zu gewärtigen und schmerzliche Steigerungen unserer Ausgaben bei einer empfindlich geschwächten Volkswirtschaft,

Meine verehrten Damen und Herren, daß unter solchen Umständen die zum Teil weit über das Erwartete hinausgehenden Forderungen der Beamten und Arbeiter der Staatsbahnen nicht voll haben erfüllt werden können, wird Ihnen nicht verwunderlich, sondern vielmehr selbstverständlich erscheinen. (Sehr richtig!) Aber wenn wir in einem solchen Augenblick der finanziellen Zerrüttung unsere Augen auf die Zukunft richten, auf das, was vor uns liegt, brauchen wir dennoch nicht zu verzweifeln und ich bin der letzte, der seinen Optimismus verleugnen würde —, wenn nur die eine Vorbedingung gewährleistet ist, das heißt, wenn unser Volk wieder zur Ruhe kommt und mit der Ruhe auch jene Arbeitsfreudigkeit wieder gewinnt, die uns freilich als einziger Weg des Aufstiegs bleibt. Wenn das nicht der Fall ist, dann werden die Eisenbahner, die heute so ungestüms Forderungen stellen, Forderungen, die aus ihrer Lebenslage heraus zum Teil wohl begreiflich sind, sich selbst und ihren Arbeitsklassen⸗ genossen bald nur noch den einen Dienst leisten können, nämlich daß sie demnächst Millionen von ihren Volksgenossen zu den Häfen hin⸗ führen, von denen sie nach anderen Gebieten der Welt auswandern müssen. (Sehr richtig!)

Hierauf nimmt der Minister der öffentlichen Arbeiten Oeser das Wort, dessen Rede wegen verspäteten Eingangs des Stenogramms in der nächsten Nummer d. Bl. im Wort laute wiedergegeben werden wird.

Abg. Brandenburg (Soz.): Bei der Durchsicht der For⸗ derungen der Eisenbahner muß man die Frage aufwerfen, ob überhaupt vorher überlegt’ ist, welche großen Anforderungen durch sie an den Staat gestellt werden. Wie soll die Deckung geschafft werden? Das war die Hauptfrage, die sich die Regierung gestellt hat. Neue Steuern, Ersparnis an Material, an Personen, Tariserhöhungen, kamen nicht in Frage, da sie ungeheure Belastungen bedeutet oder unsozial gewirk: hätten. Unsere Volkswirtschaft wäre durch die Bewilligung der For⸗ derungen glatt erschlagen worden. Das Wort von der Hochkonjunktur in Kindersärgen wäre zu einer schrecklichen Wahrheit geworden. Wenn man auch die Notlage der Eisenbahnarbeiter zugehen muß, so muß man doch auch die Wahrheit aussprechen dürfen, daß sie während der letzten Monate nicht am schlechtesten dagestanden haben; es gibt Berufe, die sich in weit drückenderer Lage befanden und die doch ihre Pflicht getan haben, weil sie wissen, daß wir ein armes Volk geworden sind und unsere Volkswirtschaft endlich in ruhigen Bahnen verlaufen muß. Der durch die Eisenbahnerforderungen bewirkte Abbau der Lebensmittel⸗ preise, der den Arbeitern ja immer die Hauptsache gewesen ist, beträgt wöchentlich für eine fünfköpfige Familir 140 ℳ. Das ist eine ganz beträchtliche Erleichterung. Die Eisenbahner sollten sich die Folgen des Eisenbahnstreiks wohl überlegen und sich die verantwortungslosen Hetzer genau ansehen. Sie müssen dann zu der Ueberzeugung kommen, daß wir die schädlichen Folgen des furchtbar harten Friedensvertrages nur durch Disziplin und eiserne Pflichterfüllung überwinden können. Lebhafter Beifall.)

Abg. Dr. Frentzel (Dem.): Im Namen meiner Freunde habs ich unsere Zustimmung zu den Ausführungen der beiden Minister zum Ausdruck zu bringen. Wer den Verhandlungen beigewohnt hat, weiß, daß die Staatsregierung mit größter Sorgfalt und Gründlichkeit und mit einem außerordentlichen sittlichen Ernst an die Prüfung der Forderungen herangetreten ist. Sie sah von unnötigen Versprechungen ab, weil nicht in letzter Linie die Antragsteller am schlechtesten beim Zusammenbruch des ganzen Landes fahren würden. Möge es den Ar⸗ beitervertretern gelingen, ihre Berufsgenossen davon zu überzeugen, daß geschehen ist, was irgend geschehen konnte, mögen wir Ruhe und Frieden behalten und mögen sich die Eisenbahnarbeiter mit dem Gefühl trösten, daß ihr Kampf erhebliche Vorteile in der Nahrungsmittelversorgung für die ganze Bevölkerung gebracht hat. Wir vertrauen darauf, daß die Eisenbahner ihre glänzende Pflichterfüllung, die sie immer ausge⸗ zeichnet hat, auch in dieser schwersten Stunde betätigen werden.

Abg. D. Klingemann (Deutschnat.): Ich erkläre die Zu⸗ stimmung meiner Freunde zu der Erklärung der beiden Minister und hoffe, daß die verhängnisvolle Verkehrsstockung dank der Besonnenheit und des Pflichtgefühls der Eisenbahner vermieden wird. Beifall.)

Abg. Garnich (D. Vp.) erklärt die Zustimmung der Deutschen Volkspartei zu den Ausführungen der Minister und sagt für die Ein⸗ führung der Demokratisierung in der Eisenbahnverwaltung ernsthaft Mitarbeit zu.

Abg. Paul Hoffmann (U. Soz.): Diese Zusicherung kommt zu spät.

Abg. Brust (Zentr.): Im Hauptausschuß haben alle Parteien bei der Lösung dieser Frage mitgewirkt, nur Herr Paul Hoffmann hat geschwiegen. (Lebhaftes Hört, hört!)

Minister der öffentlichen Arbeiten Oeser dankt der großen Mehrheit des Hauses für ihre Zustimmung zu dem Vorgehen der Regierung und spricht auch den Organisationen der Arbeiter und

Beamten seinen Dank aus.

Um 349 Uhr wird ein Schlußantrag angenommen.

Nächste Sitzung: Dienstag, 12. Uhr. (Anfragen, kleins Vorlagen, Haushaltsplan der Justizverwaltung.)

Nichtamtliches.

Bei der Beratung des neuen Lehrergesetzes im Land⸗ tage entrollte der neue Finanzminister Speck laut Bericht des „Wolffschen Telegraphenbüros“ ein Bild der trostlosen Finanzlage Bayerns und warnte vor weiteren erhöhten Forderungen, ohne daß deren Heckung gesichert sei. Die 27 Millionen für die Lehrervorlage seien bis jetzt nicht vor⸗ handen. Bayern werde am Ende dieses Jahres eine schwebende Schuld von 800 Millionen Mark haben. Die Steuereinnahmen betrügen nur 115 Millionen Mark, daher müßten neue Einnahmen geschaffen werden, und die Steuervorlagen müßten die Voraussetzung bilden für weitere Ausgaben. Es sei kaum möglich, alle Lasten des Volksschulgesetzes zu übernehmen. Die

Wünsche der Lehrer seien im großen und ganzen erfüllt, ähn⸗ liche Forderungen anderer Beamten würden die Staais kasse mit einer neuen Ausgabe von 179 Mill'onen Mark belasten. Der Geschäftsordnungsausschuß des Landtags beschloß gestern die Ermächtigung zur Strafverfolgung des bauernbündlerischen Abgeordneten Gandorfer zu erteilen, ver⸗ lanate aber, daß die gegen Gandorfer verhängte Schutzhast aufgehoben werde. Gandorfer ist wegen Hochverrats angeklagt und ist verdächttg der Aufreizung zum Klassenkampf und großer

schiebungen in Brillanten und Texlilwaren

Hamburg. 8

rüh ist die Reichswehr, die unter dem

8 Generalmajors Mattyhias aus Lübeck fieht, in

rg einmarschiert. Bis 9 Uhr Morgens waren

pen, die bedentende Verstärkungen erhalten hatten, von

her bis zur Alster vorgerückt Auf der Westseile erfolgt

marsch von Bahrenfeld aus. Die Besetzung ging,

Wolffs Telegraphenbüro“ meidet, ohre Stötung in

vollständiger Ruhe vor sich. Der Vormaisch erfolgte,

da keine Bürgschaflen für die Ausführung der getroffenen

Abmachungen vorhanden waren. Der Stab ist außerdem

der Ansicht, daß die Abmachungen bereits vorgestern

nicht voll eingehalten worden sind, und verweist auf die

n der Nacht vom Donnerstag bewaffnet vorgenommenen

ahndungen auf Führer der Einwohnerwehr und der

ahrenfelder Freiwilligen. Ferner besteht die Taisache,

ß gefangen genommene Bahrenfelder Freiwillige nicht be⸗

dinaunaslos freigegeben wu den, vielmehr diejenigen in

Haft blieben, die sich weigerten, richt mehr zu den Waffen zu

greifen. Dies trifft namentlich auf sämtliche Chargierte zu.

Es wird auch mit Recht geltend gemocht, daß es nicht möglich

sei, die gemachte Bewaffnung rückgängig zu machen. Ebenso

wurden kommunistische Verstärkungen aus Dresden,

Leipzia und Bremen festgestellt die sich unter Vor⸗

leaung ihrer Mitgliedsbücher bei der Volkswehr anzumelden suchten.

Gestern nachmittag wurde der Hauptbahnhof von der Reichs⸗ wehr besetzt. Die dort postierten schwachen Kräste wurden von der sich ansammelnden Menschenmenge zurückgedrängt, ein Teil wurde entwaffnet. Die Führer beschlossen, um nicht mit aller Schärfe vorgehen zu müssen, vorläufig die Truppen zurück⸗ zunehmen. Der Bahnhof wurde dementsprechend wieder geräumt. Nachdem die Vertreter der Arbeiterschaft bestimmte Garantien für die Erfüllung der von den Regierungstruppen gestellten Bedingungen gegeben hatten, sind die Truppen versuchs⸗ suchs weise aus dem hamburgischen Staatsgebiet zurückgezogen worden. Bis zum Nachmittag sird allein in den Bezirken St. Pauli und Neustadt von der Volkswehr 900 Gewehre, 22 Maschinengewehre sowie große Mengen Mumnition und Handgranaten gefunden und abgenommen worden.

Bei der Wiederherstellung gesetzmäßiger Zustände in Ham⸗ burg ist nach dem ergänzenden Befehlldes Reichswehrministers, ebenso, wie gegen die Unruhestifter und Plünderer, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln gegen die Wucherer und Lebensmittelschieber einzuschreiten. Die der Division Lettow⸗ Vorbeck übertragene Aufgabe wird planmäßig durchgeführt werden

8

8 8 8

Ungarn.

Auf Grund des Drahtungswechsels zwischen dem General Pellé und dem magyarischen Volksbeouftragten Bihm sind, wie das „Tschechoslowakische Pressebüro“ meldet, die Feind⸗ seligkeiten an der slowakischen Front am 24. Juni um 5 Uhr früh eingestellt worden.

Laut Meldung des Blattes „Vörös Ujsag“ war am 19. Inni in Kalocsa eine Gegenrevolution ausgebrochen. Ehemalige Offiziere bildeten aus der Landbevölkerung der Umgebung eine Weiße Garde und entwaffneten mit deren Hilfe die dort befindliche Note Wache. Der Arbeiterrat wurde verhaftet und der Präsident der Parteiorganisatton in Kaloesa erschossen. Die waffenfähige ZHevölkerung wurde gezwungen, sich der Weißen Garde anzu⸗ schließen. Am Sonnabend traf der Volksbeauftragte Sza⸗ muely in Kun⸗Szent⸗Miklos ein, um die Aktion zur Unter⸗ drückung der Gegenrevolution zu leiten, was ihm auch nach

dreitägigen Kämpfen gelang. Besonders erbittert war der

Widerstand der Weißen Garde in Dunapataj, wo sie über

zwei Kanonen und fünf Maschinengemwehre verfügte. Erst nach fünfstündigem erbittertem Nahtampf gelang es, die Weiße Garde zu besiegen, welche 300 Tote auf dem Kampfplatz ließ. Die Ueberlebenden flüchteten nach Kalocsa, wo die Rote Armee am Dienstag ohne Kampf einzog. Die Anführer der Weißen Garde sind über die Demarkationslinse zu den Serben ge⸗ slüchtet.

Der italienische Oberstleutnant Romanelli, Chef der Budapester italienischen Delegation, hat on den Volks⸗ beauftragten für answärtige Angelegenheiten Bela Khun ein Schreiben gerichtet, in welchem er dem „Wolffschen Tele⸗ graphenbüro“ zufolge die Forderung ausspricht, daß das Leben der bei den letzten Ereignissen in die Hände der ungarischen Räteregierung gefallenen Geiseln und politischen Eesangenen sowie auch derjenigen, die mit der Waffe in der Hand in Ge⸗

füngenschaft gerieten, untedingt geschont werde. Er mache den

Voltsbeauftragten und jedes Mitglied der Räteregierung darauf aufmerksam, daß sie alle gemeinsam und jeder für seine

Person für die strikte Durchführung dieser Forderung verant⸗ wortlich seien. In seiner Antwort weist Bela Khun jede

Drohung mit Entrüstung zurück. Er werde gegen die „gegen⸗ revolutionären Banditen“ gemäß den ungarischen Gesetzen ver⸗ fahren und erhebe gegen jedwede unberufene Einmischung, die für das innere Leben der ungarischen Räterepubtik Gesetze vor⸗ schreiben wolle, Einspruch.

Großbritannien und Frland.

In der Sitzung des Unterhauses am 24. Juni erklärte der Unterstaatssekretär im Auswärtigen Amt Harmsworth bezüglich der Liquidierung der Deutsch⸗Asiatischen Bani in Schanghai, wie die „Times“ meldet, daß die aus⸗ ländischen und chinesischen Angestellten der Bank entlassen, die Grundstücke und Gebäude der Bant verkauft und ihre Organi⸗ sation in Schanghai völlig aufgelöst worden seien.

In Beantwortung einer Anfrage über den Bericht, daß die Griechen in Smyrna angesichts der alliierten Kriegsschiffe ihre Gefangenen niedergemetzelt hätten, sagte Harms⸗ w dn in der vorgestrigen Sitzung dem „Reuterschen Büre“ zufolge:

“]

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Ich bedauere, nach den eingegangenen amtlichen Berichten sagen zu müssen, daß nicht daran gezweiselt werden kann, daß eine Anzahl türkischer Offiere und Mannschaften ihr Leben in der angegebenen Weise verloren haben. Die Sache wird von der britischen Delegation in Paris ernstlich untersucht, und ich glaube, daß die griechische Regierung die Ausschreitungen bedauert und alles tut, um eine Wiederholung zu verhüten.

Die „Deily Mail“ berichiet, daß in Irland eine neue politische Beweaung eingesetzt hat. Sir Horace Plumkett hat Schritte zur Bildung einer irischen Dominsonliga unternommen und findet dabei viel Unterstübung. Dieser Bund will die irische Frage auf dem Wege voen Homerule, wie die Dominions sie haben, lösen.

Die Arbeiterkonferenz in Southport hat eine Ent⸗ schließung angenommen, in der nach einer Reutermeldung die rasche Aufnahme Deutschlands in den Völkerbund und die sofortige Revision der Bestimmungen des Friedensvertrags ver⸗ langt werden, ferner wird gefordert, im Einvernehmen mirder Inter⸗ nationale eine energische Aktion zu beginnen, um die Unterstüßung der Völker für diesen Zweck zu gewinnen, außerbem wird dem Gewerkschaftskongreß und dem Dreibund empfohlen, eine so⸗ fortige industrielle Aktion zu unternehmen, um die Dienstpflicht in Großbritannien abzuschaffen. In der Sitzung am vor⸗ gestrigen Nachmittag behandelte die Konferenz die Frage der nationaien Geldmittel und sprach sich für eine ausgitbige Ab⸗ gabe von den großen Vermögen zur Verminderung der Staats⸗ schuld, für die Begründung einer Nationalbank durch die Regie⸗ rung und für die Verstaatlichung der Produktionsmittel aus.

Renaudel erklärte, er hoffe, daß die englische Arbeiterpartei in

nigen Jahren die Regierung werde übernehmen können. Der Friedensvertrag und der Völkerbund entsprächen nicht den An⸗ hauungen und Bestrebungen der arbeitenden Klassen Frank⸗ reichz und Englands. Sie müßten so abgeändert werden, daß sie eine Garantie für die Dauer des Friedens bilden. Es sei die Pflicht der Sozialisten, ungeschehen zu machen, was in Ver⸗ sailles schlecht gemacht worden sei. Der Versailler Frieden sei kein Friede, und die Deutschen würden durch ihn in jeder Hinsicht den anderen Völkern gegerüber in Nachteil gesetzt. Augenb icklich seien alle Länder Europas voll ven „Preußen“. Der Sekretär des fran⸗ zösischen Allgemeinen Arbeiterverbands Jouhaux sogte, der Friedens⸗ vertrag sei das Gegenteil von dem, worauf die Völker gehofft und was die Regierungen versprochen hätten. Er könne leicht zu eirem neuen Kriege führen.

Die Blätter veröfsentlichen eine amtliche Meldung der britischen Admiralitäat über die Vorgänge auf dem britischen Kriegsschiff „Revenge“ nach der Ver⸗ senkung der ’“ Flotte. Danach hielt der englische Admiral Freemantle am Sonntag eine Rede an die auf dem Kriegsschiff aufgestellten deutschen Seeoffiziere, in der er von eir er verräterischen Handlung sprach. Der deutsche Konter⸗ admiral von Reuter erwiderte, daß er allein verantwortlie sei. Er habe das getan, was jeder britische Seemann unter den gleichen Umständen getan haben mürde, und er würde es

Die deutschen Offiziere und Matrofen

jederzeit wieder tun. n. marschlerten singend und, wie die erglischen Blätter melden,

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„hochmütig“ inmitten der sie bedrohenden Bevölkerung in das Gefangenenlager.

Frankreich.

Vorgestern fand im Elysee zu Ehren Wilsons und aller Mitglieder der alliierten und assoziierten Friedensdelegation ein Festmahl statt, bei dem der Präsident Poincaré einen Trinkspruch ausbrachte, in dem er, wie „Wolffs Tele⸗ graphenbüro“ meldet, vor allem auf die Tätigkeit Wilsons bei der Friedenskonferenz auf die Hilfeleistungen Amerikas während des Krieges und die unverbrüchliche Freundschaft zwischen Amerika uad Frankreich hinwies.

Alle alliierten und assoziierten Völker, führte Poincarés aus, hätten verstanden, daß der Fortbestand ihrer freundschaftlichen Be⸗ ziehungen für jedes von ihnen die erste Bürgschaft für ihre Freiheit und Sicherheit sei. Nach dem Vertrage mit Deutschland nüsse man jetzt Verträge mit den übrigen feindlichen Ländern ausgarbeiten, und auch hler müsse man ebenso geschlossen bleiben, wie man bisher war. Seien diese Verträge einmal unterzeichnet, so müßten sie auch gänzlich durchgeführt werden, und für diese Durchführung sei die unveränderte Einigkeit aller Alliierten auch weiterhin notwendig. „Die Dele⸗ gierten der siegreichen Länder“, fuhr der Präsident fort, „haben sich nicht monatelang versammelt, noch die Delegierten des besiegten Deutschlands nach Versailles berufen, um nur ein Stück Papier in den Händen zu behalten. Wie Sie, Herr Präsident, wollen wir alle, daß

der Friede nicht ein leeres Wort, eine flüchtige Hoffnung, ein vor⸗ übergehendes Licht sei, sondern daß die Gesellschaft der Nationen wohltätige Wirklichkeit werde und daß alle Klauseln, welche unsere gestrigen Feinde unterzeichnen werden, lopval und ohne Hintergedanken, ohne Aueflüchte eingehalten werden.“ Auf die Versenkung der deut⸗ schen Schiffe in Scapa Flow, die Verbrennung der französischen Fahnen in Berlin und die angeblichen Vorbereitungen gegen Polen anspielend, erklärte Poinearé6, daß diese Verletzungen eines Ver⸗ trages noch bevor er unterschrieben sei, den Alliierten die Pflicht auferlegten, sorgfältig darüber zu wachen, daß verbrecherische Hände nicht plötzlich wieder Brandherde anzündeten, welche zu er⸗ sticken die Entente bemüht gewesen wäre. Ein wahrer Friede werde erst aus dem fortgesetzten Zusammenwirken der alliierten und asso⸗ ziierten Völker hervorgehen. Der Vertrag, der jetzt unterzeichnet werden solle, bedeute nur wenig, wenn es nicht gelinge, ihn durch den Geist der Eintracht, in welchem er abgefaßt sei, ständig lebendig zu halten. Er erhebe sein Glas und trinke auf die Unsterblichkeit der französischen und amerikanischen Freundschaft, auf die unzerstörbare Einheit aller alliierten und assoziierten Nationen.

Der Präsident Wilson drückte in seiner Erwiderung auf den Trinkspruch Poincarés zunächst sein Bedauern darüber aus, daß er Frankreich verlossen müsse, und sagte dann:

Sein Aufenthalt in Frankreich und die enge Fühlungnahme mit seinen Führern habe bewirkt, daß er jetzt besser als vorher die Grund⸗ sätze begreife, aus denen heraus diese große Nation handle. In den langmonatigen Konferenzarbeiten habe er gesehen, daß alle Mit⸗ glieder durch eine immer tiefer werdende Sympathie und größeres gegenseitiges Verständnis in Freundschaft verbunden worden seien. „Wir trennen uns nicht“, fuhr Wilson fort, „nach beendigtem Werk, aber wir werden ein Werk zurücklassen, dessen einer Teil beendigt, dessen anderer nur fkizziert ist. Die Friedensausarbeitung haben wir beendet, aber wir haben einen Plan der Zusammenarbeit erst begonnen, der, wie ich glaube, sich in den kommenden Jahren ausbreiten und festigen wird, so daß die Hände, die wir heute drücken, sich niemals wieder loslassen werden. Auch weiterhin werden wir Kameraden und Mitarbeiter sein an einem Werke, das allen gemeinschaftlich ist, und uns zu gemeinschaftlicher Auf⸗ fassung von der Pflicht und den Rechten der Menschen aller Rassen und Länder führen wird. Ist dies erfüllt, dann wird in Wahr⸗ heit ein großes Werk vollendet sein. Früher haben die Nationen untereinander Verträge abgeschlossen, aber niemals Assoziationen gebildet. Sie haben sich zeitweilig, aber niemals ständig assoziiert. Das Uebel dieses Krieges war sehr groß, aber er hat der Welt die große moralische Notwendigleit gezeigt, die zwischen den rschen notwendige Einigung zu deevollseenbiten, damit ein solches Uebel sich niemals wiederholen kann. Es genügt ni t, eine Nation zu besiegen, die einmal Uebles tat. Wichtig ist eben, daß alen Nationen, die sich anschickten, ihr nschzuahmen, eine Warnung

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erteilt wurde, daß sie ihrerseits besiegt und der Verachtung ansge⸗ liesert würden, wenn sie versuchen soltten, eine entehrende Handlunq zu begehen. Obwohl der Ozean breit ist, wird er in Zukunft sehr schmal erscheinen. Es wird uns leichter fallen als bisher, uns gegen⸗ seitig zu verstehen, und mit unseren ständigen Zusammenkünften zum Zwecke des Zusammenwirkens wird sich dieser Verband zur Tat ent⸗ wickeln und diese Tat unsere Gedanken und unsere Absichten er⸗ leuchten.“ Zum Schlusse trank Wilson auf die Wohlfahrt Frank⸗ reichs, ein immer engeres Zusammenwirken aller Völker und die Festigung aller Einflüsse, die den Geist und die Ziele der Menschheit erheben. 1

Der deutsche Gesandle von Haniel hat gestern im Auftrage des Reichsministers des Auswärtigen dem Vor⸗ sitzenden der Friedenskonferenz Clemenccau zwei Noten zustellen lassen. In der ersten Note erklärt die deutsche Re⸗ gierung laut Meldung des „Wolffschen Tel:graphenbüroz“, sie habe aus der Note vom 21. Juni entnommen, daß die alliterten und assoziierten Regierungen auch diejenigen in ihrem Memorandum vom 16. d. M. enthaltenen Zusagen als verbindlich ansehen, die nicht ausdrücklich in die Bestimmungen des Friedernsvertrages aufgenommen sind. Sie haben keine Bedenken dagegen, daß zur VPermeidung von Mifverständ⸗ mssen ein Teil dieser Zusagen in einem Schlußprolokoll des in det Nate vom 21. d. M. vorgeschlagenen Inhalts nieder⸗ gelegt wird.

In der zweiten Note erklärt die deutsche Regierung, daß sie gemäß Artikel 432 des Friedensvertrags sich nicht für ver⸗ pflichtet hält, das von den alliierten und assoziierten Mächten ausgearbeitete Abkommen über die Rbeinlande ohne weiteres als bindend anzuerkennen. Ferner würde es nach Ansicht der deutschen Regierung im beiderseitigen Interesse liegen, wenn der mitgeteilte Entwurf, dessen Bestimmungen den praktischen Bedürfnissen nicht entsprechen, zum Geageastand besonderer Ver⸗ handlungen gemacht würde Die deutsche Regierung, welche die Unterzeichnung des Abkommens zu verweigern nicht in der Lage ist, hält es für unter allen Umständen notwendig, daß alsbald nach Unterzeichnung Bevollmächtigte beider Vertrags⸗ varteien zusammentreten, um die Bestimmungen des Ab⸗ kommens zu ergänzen und zu berichtigen.

Der Gesandte von Haniel überreichte EClemenceau gestern ferner noch folgende Note:

err Präsident! .

Im Verfolg 1“ Note, betreffend die Verhaftung eines Mitglieds der Pressegruppe der deutschen Delegation, beehre ich mich, folgendes zu ö11“

In dem Schreiben, das der Unterstaatssekretär für Militärjustiz Herr Ignace unter dem 26. d. M. an Eure Erzellenz gerichtet hat, sagt dieser, daß der betreffende Journalist keinerlei diplomatische Immunität genteße. Es wird ferner darin erklärt, daß der Minister der auswärtigen Angelegenheiten diese Rechtsauffassung teile, und daß ein späteres gerichtliches Vorgehen gegen den Beschuldigten vor⸗ hh werde. Ferner hat der Oberstagtsanwalt dem verhafteten Herrn Scheuermann bei dessen Vernehmung erklärt, daß lediglich den sechs bevollmächtigten Delegierten und den Kurieren exterritoriale Rechte zuerkannt werden können. Außerdem sind der Delegation private Nachrtichten zugegangen, denen zufolse ein gerichtliches Ein⸗ schreiten gegen weitere Mitglieder unmittelbar bevorsteht. 1

Demgegenüber habe ich zu erklären, daß sämtliche Personen, die sich in Begleitung der sechs bevollmächtigten Delegierten befanden und nunmehr zu meiner Begleitung gehören, Mitglieder der deutschen Friedensdelegation sind, die sich auf ausdrückliche Einladung der alliierten und assoziierten Regierungen und nach vorberiger namentk⸗ licher Benennung jedes einzelnen Teilnehmers nach Versailles begeben hat, daß daher nach allgemein anerkanntem Völkerrecht die Exterritori⸗ alität sich auf sämtliche Teilnehmer erstreckt. Indem ich daher erneut Einspruch gegen die Verhaftung des Herrn Scheuermann erhebe, bitte ich gleichzeitig um eine alsbaldige Erklärung, daß sämtlichen hier an⸗ wesenden oder noch eintreffenden Mitgliedern der deutschen Friedens⸗ delegation die ihnen zustehenden erterritorialen Rechte, insbesondere freies Geleit, zugesichert werde.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, den Ausdruck meiner aus⸗ gezeichneten Hochachtung. von Haniel.

Der Präsident der Friedenskonferenz Clemenceau haät im Namen der Konserenz dem Vorsitzenden der türkischen Delegation eine Antwortnote zukommen lassen, in der er daran erinnert, daß die Türkei gemäß der Denkschrift der türkischen Delegation keinen Grund zu dem Fonflikt mit den Ententemächten hatte und lediglich als gefügiges Werkzeug Deutschlands in den Krie; gezogen sei. Clemenceau erklärt, daß die These der türkischen Delegatien, wonach die Verantwortlichkeit für die erbarmungslose Kriegführung und die vnerhönten Greuel und Metzlleien den jetigen Führern des türkischen Volkes nicht zur Last gelegt werden dürsten, für die Alliierten unanehmbar sei. Auch müsse die Türkei die Folgen des verlorenen Krieges auf sich nehmen. Die völlige territoriale Wiederherstellung der Türkei sei gleich⸗ falls unmöglich, da die Türken sich stets unfähig er⸗ wiesen hätten, fremde Völker, welche sie beherrschten, friedlich weiterzuentmwickeln. In allen Gebieten, die die Türkei mit den Waffen erobert habe, sei die materielle Wohlfahrt und Kultur gesunken. Auch das Argument der türkischen Delegation, wonach das islamitische türkische Reich unverändert erhalten werden müsse, weil es der Träger des religiösen Gedankens des Islams sei, könne von den Alliierten nicht angenommen werden. Die ganze Kriegsgeschichte zeige, daß dieses Argument auf nichts beruhe. Welches könne denn die religiöse Bedeulung eines Krieges sein, in dem das protestantische Deutschland und das katholische Oesterreich, das orthodoxe Bulgarien und die mohammedanische Türkei sich ver⸗ bvündeten, um ihre Nachbarn auszuplündern. In dieser ganzen Angelegenheit seien die auf Befehl der türkischen Regierung erfolgten Armeniermetzeleien die einzige Gelegenhtit gewesen, bei welcher man den mohammedanischen Fanatismus als Grundlage finden könnte.

Der Rat der Vier hat Polen die Erlaubnis erteilt, die Armee Haller und alle anderen Truppen zu verwenden, um Ruhe in Ostgalizien herzustellen und Banditen aus dem Lande zu weisen.

Der Senat hat Blättermeldungen zufolge die Vorlage über die Wahlreform in der bereits gemeldeten Fassung vorgestern endgültig mit 129 gegen 4 Stimmen bei 85 Stimm⸗ enthaltungen angenommen.

Die Kammer hat mit 383 gegen 94 Stimmen das Haushaltzwölftel für Juli angenommen.

Wie die „Humanité“ meldet, hat der Fändige Admini⸗ strativausschuß der sozialistischen Partei Frankreichs den Nationalrat der sozialistischen Partei auf den 13. und 14. Juli nach Paris einberufen, um die Haltung der Partei gegenüber dem Friedensvertrag festzulegen. Ferner beschloß der ständige Administrativausschuß, den ständigen Berner Aus⸗ schuß aufzufordern, den internationalen sozialistischen Kongreß auf spätestens den 1. Nevember einzuberufen.

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