Stntistik und Volkswirtschaft. S„ur Arbeiterbemegung. — Die „Oberpostdirektion Berlin teilt mit, daß der Ausstand der Aushilfskräfte beim Postscheckamt, bei dem Postzeitungsamt und bei den Fernsprechämtern in Berlin beender lst. Die Aushilfskräfte daben den Dienst wieder aufgenommen, ohne daß ihre Forderungen bewilligt worden sind.
Zum Ausstand der Berliner Eisenbahnbeamten und Arbeiter teilt „W. T. B.“ amtlich folgendes mit: „Sonn⸗ tas morgen fand im Zirkus Busch eine Versammlung der Eisenbahnbeamten und arheiter statt, die sich anfangs überwiegend für schleunige Wied eraufnahme der Arbeit aussprach. Nachdem sich ein großer Teil der Beamten zu einem Empfange bei dem Minister Heser begeben batte, trat der Unabhängige Paul Hoffmann auf und sprach sich für die Fortsetzung des Streiks aus. Bei dem Empfang der Beamten bei dem Minister wurde ein völliges
invernehmen zwischen der Beamtenschaft und den Minister erzielt. Der neugewählte erste Vorsitzende des Beamtengewerkschaftsbundes erwiderte auf die mit großem Beifall eufgenommenen Worte des Ministers und erklärte nachdrücklich, daß Bb Beamten aus dem Lande sich entschieden von den Berliner Beamten und Arbeitern trennen würden, falls diese etwa im Streik verharren sollten. „Berlin ist nicht das Reich.“ Der Minister sagte zu, den Rei 'swehrminister um sofortige Aufhebung seines Streikerlasses zu ersuchen. Arbeiter⸗ und Boamtenvertreter erklärten übereinstimmend, daß dann Montag früh die Arbeit allgemein aufgenommen werden wünde. Bei einem zweiten Empfang in den Abendstunden erklärten Arbeitervertreter und vereinzelte Berliner Beamtenvertreter, daß in⸗ solge des Auftretens von Paul Hoffmann von neuem Erregung in die Arbeiterschaft hineingetragen sei. Der Streikerlaß des R eichswehrministers ist Sonntogabend vht ben v„erden. Die Aufhebung ist sofort allen Berliner Eisenbahn⸗ dienststellen bekanntgegeben worden.“ — Leider hat, wie „W. T. B.“ von zuständiger Seite erfährt, der Ausstand der Eisenbahner schon eine Störung der Lebenzmittelbeförderung bervor⸗ terufen. Einmal ist die Rücksendung der Milchtraneporte er⸗ gwert, ver allem aber die Zufuhr und Bereitstellung von Kartoffelwagen auf dem Guüterbahnhof behindert worden, obwohl die Vertretung der Arbeiterorganisationen und die anderen in Betracht kommenden Stellen von jeher auf das Ent⸗ schiedenste den Standpunkt verkreten haben, daß die Lebensmittel⸗ zufuhr durch ecinen Ausstand auf keinen Fall beeinträchtigt werden darf. Es muß daher an die Beteiligten die dringende Mahnung gerichtet werden, ungesäumt und mit allen Kräften dafür Sorge zu iragen, doß jede Stockung in der Lebensmittelzufuhr und dadurch auch jede Gefährdung in der Lebensmittelversorgung unterbleibt.
In Berlin droht, wie hiesige Blätter melden, für morgen tin neuer Ausstand der Straßenbahner und der An⸗ gestellten der Hoch⸗ und Untergrundbdahn. Das ge⸗ samte Verkehrspersonal der Großen Berliner Gtraßenbahn bielt in der Nacht zum Sonntag Ver⸗ sammlungen ab, in denen nahezu einstimmig beschlossen wurde, pom 1. Juli ab, an welchem Tage der provi⸗ sorische Tarisvertrag der Straßenbahner abläuft, in den Aus⸗ stand einzutreten. Die Hauptforderung eht jetzt dabin, daß den Straßenbahnern eine einmalige Entschuldungssumme von 700 ℳ ausgezahlt wird, was bei einem Personalstand von 15 000 Mann die Summe von 10 ½ Millionen Mark ausmachen würde. In de Versammlung wurde folgende Entschließung gefaßt: „Da die bisber geführten Verhandlungen zu keinem zufriedenstellenden Er⸗ tebnis geführt und den berechtigten Forderungen in keiner Weise Rechnung zetragen haben, empfiehlt die Vertrauensmännersitzung des Verkebhrs⸗ autschusses Groß Berlin den Kollegen, zum letzten Mittel imn greifen und in den Streik zu treten, und iwar nach Ablauf des jetzt bestehenden Lobhnprovisoriums, das am 30. Juni, Nachts 12 Uhr abläuft.“ In derselben Nacht hielten die Angestellten der Hoch⸗ und Untergrundbabhn gleichfalls eine Betriebsversammlung ab. Auch sie hatlen bereits im April den Beschluß gefaßt, nach Ablauf des jehigen Lohntarifs mit neuen höheren Forderungen hervorzutxeten. In der Versammlung wurde zum Ausdruck gebracht, daß man ent⸗ schlossen sei, mit den Straßenbahnern zusammen in den Ausstand einzutreten. Die obenerwähnte Entschließung wurde gleich⸗ sfalls einstimmig angenommen.
Swecks Beilegung des Breslauer Eisenbahner⸗ zusstands haben am Sonnabendnachmittag und am gestrigen Sonntagvormittag NVerhandlun gen seitens der Ausstands⸗ leitung mit dem Reichskommissar Hörsing stattgefunden. Das Ergebnis war, wie „W. T. B.“ berichtet, die Zusage der sokoertigen Wiederaufnahme des Betriebes, falls der Reichskommissar bereit ware, personlich mit allem Nachdruck für die Forderungen der Arbeiter einzutreten. Der Reichskommissar er⸗ klärte sich nach nochmaliger eingehender Prüfung der Sachlage bereit, sich mit seiner ganzen Person für die berechtigten wir Uche ft⸗ lichen Forderungen der Eisenbahner einzusetzen. Alle üͤber das Wirtschaftliche hinausgebenden Forderungen lehnte der Reichskommissar grundsätzlich ab. Darauf fanden noch einmal Ver⸗ Jandlungen der Ausstandsleitung statt, als deren Ergebnis im Laufe des gestrigen Nachmittags an allen Stellen in der Provinz die telegrapbische Aufforderung zur sofortigen Wiederaufnahme des Außenbetriebes und zur Aufnahme der Arbeit in allen Haupt⸗ und Nebenwerkstätten for Montagfrüh 6 Uhr ausgegeben wurde. Der Reichskommissar hat zaraufhin davon abgeseben, sich, wie ursprünglich geplant, am Montag mittag von der Eisenbahndirektion alle diefenigen Arbeiker nennen zu lassen, welche die Wiederaufnahme der Arbeit verweigert haben. — Da die Kohlenzufuhr infolge des Eisenbahnerausstandes usbleibt, müssen die Gassperrstunden ausgedehnt werden. Gestern war in Breslau der Verkehr der Straßenbahn ganz eingestellt, bei weiterem Ausstand muß das Gaswerk gang stillgelegt werden. Auch die Straßeahahn erklärt, in den nächsten Tagen den Betrieb ruhen lassen zu müssen.
In einer am Sonnabendvormittag in der Stadthalle in Gö rlitz abgehaltenen Versammlung der Eisenbahner wurde „W. T. B.“ zufolge beschlossen, die Arbeit Nachmittags um 5 Uhr vieder aufzunechmen und die Züge noch Abends wieder ver⸗ kehren zu lassen.
Der Ausstand der Landarbeiter in Lübeck, der in vielen Gegenden der Provinz ausgebrochen war, ist, wie „W. T. B.“ erfährt, nunmehr beigelegt.
Wohlfahrtspflege.
Das Arbeitsgebiet der Kriegsbeschädigten⸗ und Kriegshinterbliebenenversorgung und ⸗fürsorge bat einen gewalligen Umfang angenommen. Das Bedürfnis ist un⸗ abweisbar, alle dahin gebörenden Vor’chriften und Maßnahmen von einer Stelle aus lückenlos zufammenzustellen und weitesten Kreisen schnell und rege mäßig zugänglich zu machen. Die auf Grund der Verordnung über die soziale Kriegsbeschädigten⸗ und Kriegs⸗ Rinterbliebenenfürsorge vom 8. Februar 1919 im Reichsarbeits⸗ ministerium gebildete Abteilung IV, die den Fragen der Kriegs⸗ beschädigten⸗ und Kriegshinferbliebenenversorgung und für⸗ sorge besonders nabesteht, gibt desbalb vom 1. Juli d. J. ab „Amtliche Nachrichten des Reichsarbeitsministe⸗ niums, Abteilung für Kriegsbeschadigten⸗ und Kriegsbinterblienenfürsorge“ heraus, die im Verlage von G. S. Mittler u. Sohn, Berlin SW. 68, Kochstraße 68—71, awFscheinen. Das Amtsblatt wird alle Linschlägigen Gesetze, Ver⸗ e-mwnungen und Erlasse der zuständigen Reichs⸗ und Staatsbehörden
bringen und in einem nichtamtlichen Teil auf die Erfahrungen aus der Versorgung und Fürsorge wie auf die Literatur hinweisen. Die „Amtlichen Nachrichten usw.“ werden daher wicht nur für die Hauptfürforgestellen und die amtlichen Hursorgestellen, sondern auch für die sonst zur Mita.bac an der Kriegsbeschädigten⸗ und Kriegs⸗ hinterblichenenversorgung und „fürsorge berufenen Behörden, Organe usw. unentbehrlich sein. Dahin gehören: Neichs⸗, Staats⸗ und Gemeindebehörden, namentlich auch die Militärversorgungsgerichte, Kriegsbeschädigten⸗ und Kriegehinterbliebenen vereinigungen, private Wohlfahrtsvereinigungen, Stiftungen und Anstalten. Das Amts⸗ blatt erscheint zweimal im Monat und tann zum Jahresbezugspreise von 8,50 ℳ durch jede Postanstalt oder durch den genannten Verlag bezogen werden. Die amtlichen Fürsorgestellen sowie ihre Mitarbeiter, insbesondere die Kriegsbeschädigten⸗ und Kriegshinterbliebenenvereini⸗ gun en er halten die „Amtlichen Nachrichten usw.“ bei Bestellung dur Reichsarbeitsministeriums, Berlin W. 10, Königin Augusta⸗Straße 19, zu einem Vorzuospreise von jährlich 6,80 ℳ.
Land⸗ und Forstwirtschaft.
Das Ergebnis der Harzgewinnung in den preußischen Staatsforsten.
Der Krieg und seine Folgeerscheinungen hatten uns gezwungen, in umfassender Weise zur Harzgewinnung im deutschen Mald zu schreiten, da das Harz als Ausgangsprodukt für viele der Industrie unentbehrliche Erzengnisse dient. Jetzt liegen die Ergebnisse der Harz⸗ gewinnung in den fiskalischen Forsten für das Jahr 1918 vor, die für die Oeffentlichkeit von größtem Interesse sind. Es wurden insgesamt 2 288 661,50 kg Kiefernlachtenharz mit einem Gesamt⸗ kostenaufwand von 4 187 186 ℳ gewonnen. Die Gestehungskosten betragen demnach 182,95 ℳ für je 100 kg. während der Reichs⸗ ausschuß 300 ℳ für 100 kg zahlt, so daß sich ein Ueberschuß von 117,05 ℳ für 100 kg ergibt. An Fichtenlachtenharz wurden insgesamt 63 416 kg mit einem Gesamtkostenaufwand von 42 435 ℳ gewonnen. Die Gestebungskosten für 100 kg Fichtenlachtenharz be⸗ trugen demnach 66,92 ℳ, während der Reichsausschuß 150 ℳ für je 100 kg zahlt, so daß der Reingewinn für je 100 kg 83,08 ℳ be⸗ trägt. Beim Fichtenwildharz betrugen die Gesamtgestehungskosten 19,05 ℳ für je 100 kg, während der Reichsausschuß 70 ℳ zahlt, so daß sich 50,95 ℳ Ueberschuß für 100 kg ergaben. Die Zahlen 88 ein nicht zu unterschätzender Anreiz für Pripatforst⸗ besitzer sein, sich auch ihrerseits der Harzgewinnung zu widmen, und zwar um so mehr, da die Forstberatungsstellen der Landwirt⸗ schaftskammern wie die staatlichen Oberförstereien jede gewünschte Außkunft über die erfolgreschsten Methoden der Harzgewinnung geben. (Nach dem „Zentralblatt der preußischen Landwirtschaftskammern“.)
Theater und Mausik. “
Ueber die Verfassung der beiden Berliner Staatstheater wurde, wie „W. T. B.“ berichtet, nachdem Er⸗ örterungen zwischen dem Ministerium des Innern, dem Finanz⸗ ministerium und dem Minlsterium für Wissenschaft, Kunst und Volks⸗ bildung vorangegangen waren, in einer Besprechung im letztgenannten Ministerium zwischen diesem und dem Persenal am Sonnabend ein⸗ gehend beraten. Außer dem Personal nahmen die jetzigen und künftigen Direktoren der Staatstheater und die vom Personal bezeichneten Vertreter der Organisation an der Beratung teil. Das Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volks⸗ vildung legte einen Satzungsentwurf vor, der die Wünsche der Angestellten in weitgehendem Maßen berücksichtigt, zugleich aber auch den in letzter Zeit häufig aus sach⸗ kundigen Kreisen von Bühnenleitern usw. heraus geäußerten künst⸗ lerischen Forderungen und Erwägungen durchaus Rechnung trägt. Auch die Anregungen, die die anderen beteiligten Ministerien zum Ausdruck gebracht hatten, wurden eingehend beachtet. Auf dieser Grundlage gelangte man in der Sitzung am Sonnabend zu einer voll⸗ segn Einigung aller Beteiligten, so daß mit der baldigen Ver⸗ öffentlichung der Verfa ssungssatzung gerechnet werden kann.
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Mannigfaltiges.
— Die Gültigkeit der Reisebrotmarken alten Musters wird bis zum 27. Juli einschließlich verlängert bis dahin werden auch den Verbrauchern die alten Marken in neue umgetauscht. Die Beschränkung der Umlaufszeit der unperforierten Marken wird aufgehoben. (W. T. B.)
Der Reichsverband deutscher Unteroffiziere hat manläßlich der Unterzeichnung des Friedensvertrags, wie „W. T. B.“ mitteilt, durch Telegramm an alle Korpsverbände für seine Mit⸗ glieder folgende Parole ausgegeben: „Deutschland war gezwungen, einen Schmachfrieden zu unterzeichnen, und es muß Angehörige des eigenen Volkes fremden Nationen preisgeben, um nur völliger Ver⸗ nichtung zu entgehen. Kameraden! ir fordern auf, ass äußeres Feichen unserer Trauer sofort für vierzehn Tage Trauerflor anzu⸗ egen.
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Die Deutsch⸗Südamerikanische Gesellschaft ver⸗ anstaltet am Mittwoch, den 2. Juli, Abends 7 ½ Uhr, im Großen Saale des Vereinshauses christl. junger Männer (Wilhelmstraße 31) einen Vortragsabend. Dr. C. Martin spricht über „Argen⸗ tinien als Ziel deutscher Auswanderung“. Gäste, Damen und Herren, sind willkommen.
Landsberg (Warthe), 30. Juni. (W. T. B.) Die Un⸗ ruhen in Landsberg sind als beendet anzusehen. Der bewaff⸗ neten Einwohnerwehr ist es gelungen, die Ruhe und Ordnung wiederherzustellen. In den beiden letzten Naͤchten ist es zu Aus⸗ schreitungen und Plünderungen nicht mehr ge⸗ kommen, und die in den Dörfern um Landsberg liegende Reichs⸗ wehr hat nicht einzuschreiten brauchen. Im Krankenhause ist ein Angestellter des Landratsamts, der bei den Unruhen in der Donners⸗ tagsnacht schwer verwundet worden war, gestorben. Es isv das zweite Opfer der Unruhen.
Breslau, 29. Juni. (W. T. B.) Das General⸗ kommando teilt mit: Als am 28. d. M. früh der die Spitze führende Offizier einer Abteilung am Bahnbhofsplatz die dort aufgestellten Streikposten und andere Leute zum Auseinandergehen aufforderte, um den Platz zu säubern, nahm die Menge, etwa 50 Mann, eine drohende Haltung an. Der Offizier forderte die Menge noch zweimal auf, auseinanderzugehen. Als aus einem Hause an der Nordseite der Gartenstraße mehrere Schüsse fielen und vor den Mannschaften einschlugen, wurde der Feuerbefehl gegeben. Die Leute der Spitze und die Maschinengewehre eines Hilfspanzer⸗ wagens feuerte etwa 30 Schuß. Der Platz und die angrenzenden Straßen wurden nunmehr schnell geräumt. Gegen mittag sammelten sich eiwa 500, teils jugendliche, dem Arbeiterstande angehörige Leute vor der Postenkette in der Neuen Taschenstraße und drängten trotz dretmaligen Aufforderns die Mannschaften zurück Als die Menge, die immer mehr Zuzug er⸗ hielt, die Mannschaft teilweise umringte, wurde die Menge nochmals aufgefordert, auseinanderzugehen. Da sie eine drohende Haltung an⸗ nahm, wurde scharf geschossen, wodurch zwei Mann verwundet wurden. — Ueber den Bezirk des Generalkommandos des VI. Armee⸗ korps wurde Nachts um 1 ½ Uhr der Belagerungszustand verhängt.
Amtlich wird über die Vorgänge am gestrigen (Tage u. a. mitgeteilt: Nachmittags falamelr sich in der Garten⸗
s straße eine größere Menschenmenge an.
die Hauvptfürsorgestellen oder durch die Abteilung IV des
str Diese griff trotz anhaltender Barnungen die Postenkette so stark an, daß der die Aufsicht führende Feldwebel sich gezwungen sah, die Menge, in der sich viele Leufte in Matrosen⸗ und Armeeuniform besanden, zum Auseinandergehen aufzufordern. Die Aufforderung wurde mit Johlen und Beschimpfungen beantwortet. Nach der siebenten und achten Aufforderung und mehreren Warnungsschüssen wurde Befehl zum Feuern ge⸗
ehen. Zehn zum Teil schwer Verwundete blieben auf dem Platze. Spater reizte an einer anderen Stelle ein Matrose die Menge gegen die bewaffnete Macht auf. Da mit einem Durchbrechen der Posten⸗ kette gerechnet werden mußte, wurde auch hier scharf geschossen, wobei ein Junge verwundet wurde. Aehnliche Zwischenfälle wiederholten sich. Im Laufe des Abends wurde es dann ruhiger, so daß die Siche⸗ rungen zurückgezogen werden konnten.
Magdeburg, 28. Juni. (W. T. B.) Heute vormittag sind hier ernste Lebensmittelunruhen entstanden. Eingeleitet wurden sie durch Plünderungen auf dem Wochenmarkt. Die Menge versuchte dann, die Lebensmittelgeschäfte in den Straßen zu plündern, wurde aber durch das Eingreifen der Polizei und der sofort alarmierten Truppen daran gehindert. Es kam auch zu Schießereien, wobei es einige Verletzte gab. Die Lage ist noch nicht geklärt, da noch weitere Zusammenstöße befürchtet werden.
Bromberg, 29. Juni. (W. T. B.) Amtlich wird mit⸗ eteilt: Im Laufe des Vormittags wurden auf dem Friedrichsplatz albwüchsige Jungen, die in herausfordernder Weise pol⸗
nische Abzeichen (Weiße Adler) trugen, gegen Militärpersonen tätlich. Verschiedenen Soldaten wurden die Waffen abgenommen, wobei die Zivilisten auch in Straßenbahnwagen eindrangen. Ein Offizier der Sicherheitswehr wurde von der Elektrischen gerissen, seiner Achselstücke beraubt und geschlagen. Einem anderen Offizier erging es ähnlich. Auch ein Polizeibeamter wurde arg mißhandelt. Da die Ansammlungen immer größer wurden und die Polizei machtlos war, wurde Militär zur Säuberung des Friedrichsplatzes und zur sofortigen Herstellung der Ruhe und Ordnung herangeholt. Dem schnellen Zugreifen gelang es, den Putsch im Keime zu ersticken d die Ordnung wiederherzustellen.
Bremen, 28. Juni. (W. T. B.) Heute kam in Bremer⸗ haven der stattliche Dampfer „Gül Djemal“ ein, der aus Konstantinope l den General Freiherrn von Kreß, den Rest der deutschen Delegation im Kaukasus, die letzten noch im Kaukasus befind . lich gewesenen Truppen und die letzten Mitglieder der Konstantinopeler deutschen Kolonie in die Heimat geführt hat. Nach der Abfahrt des „Gül Djemal“ sind keine Deutschen mehr in der Türkei verblieben, sodaß vorläufig das Deutschtum im nahen Osten als ausgerottet angesehen werden muß. Die Zurückgekehrten erzählen, daß ihnen vor und bei der Abfahrt von allen Kreisen der Bevölkerung Konstantinopels zum Ausdruck gebracht worden ist, wie ungern sie die Deutschen scheiden sähen. Von den deutschen in Süd⸗ rußland gewesenen Truppen sind noch etwa 6500 Mann unter der Führung des Admirals Hopmann unter wenig an⸗ genehmen Verhältnissen in Saloniki. Deutscherseits werden jetzt in Konstanlinopel Schiffe zur Heimführung dieser Truppen gechartert. Der erste dieser Dampfer dürfte in etwa 14 Tagen an der deutschen Küste eintreffen. Der Dampfer „Gül Djemal“ wurde in Bremer⸗ haven glänzend empfangen. Längs der Weser waren Häuser und Schiffe beflaggt, die Bevölkerung begrüßte die vorüberziehenden Schiffe herzlich. In Bremen hielten der Bürgermeister Hildebrand und der Kommandeur des Durchgangslagers, Hauptmann Hohlendor f., Begrüßung gansprachen. Das Hoch auf das Vaterland wurde von den heimkehrenden Kriegern mit heller Begeisterung und lautem Jubel aufgenommen. Der General Freiherr von reß antwortete mit dem Hoch auf die freie Hansastadt. 8
„ Amsterdam, 29. Juni. (W. T. B.) Den Blättern ; folge ist vorgestern der Dampfer „Marta Washington“ mit deutschen Zivilgefangenen aus Amerika abge⸗
angen. Diese Woche fährt ein zweites Schiff mit Deutschen ab. Beide Dampfer werden Rotterdam anlaufen. Sie haben zusammen 300) Mann an Bord.
Bern, 28. Juni. (W. T. B.) Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz gibt bekannt, daß der bisherige Leiter des Hilfsdienstes für deutsche Kriegs⸗ und Zivilgefangene 5 Bern, Capitain, zum amtlichen Vertreter der deuischen Kriegs⸗ gefangenenzentrale in Berlin sowie des Frankfurter Vereins vom Roten Kreuz ernannt wurde. Das Komitee veröffentlicht den Be⸗ richt seiner soeben aus Frankreich zurückgekehrten Delegation zum Besuche derdeutschen Gefangenen. Die Delegation erklärt, daß der jetzige Gesundheitszustand der deutschen Kriegsgefangenen gut set und die Arbeitsverhältnisse nicht un⸗ günstig. — Die Mission des Komitees zugunsten der deutschen Kriegsgefangenenin Salonikiund Mazedonien ist in Salonikt eingetroffen, um den dort internierten Angehörigen der deutsch⸗ üukrainischen Armee und der Schwarzmeerflotte Geldmittel zu über⸗ reichen und für ihren sofortigen Transport nach der Heimat zu wirken. Die Delegation wird die verschiedenen Lager in Mazedonien und Südserbien, besonders das Lager Nikra besuchen. — Die Mission des Internationalen Komitees zugunsten der Kriegsgefangenen in Sibirien befindet sich in Wladiwostok. Durch ihre Vermittelung sollen Listen und Nachrichten für die Angehörigen gesammelt und nach Genf weitergeleitet werden. Auch soll überall die Möglichkeit eines Heimtransportes erwogen und mit den zu⸗ ständigen Behörden Unterhandlungen eingeleitet werden.
(Fortsetzung des Nichtamtlichen in der Ersten Beilage.) *†
Familiennachrichten.
: Frl. Ingeborg Wendland mit Hrn. Leutnant Hartwig ellschopp (Berlin⸗Friedenau —Spandau). — Frau Margarete Hundert, geb. Nerlich, mit Hrn. Oberpfarrer Alfred Dehmel (Mühle Radmeritz-Seidenberg O. L.. — Frl. Annemarie Her⸗ furth mit Hrn. Rittmeister Heiso Frhrn. von Uslar⸗Gleichen (Haus Raschwitz bei Leipzig— Bautzen). Verehelicht: Hr. Sanitätsrat Dr. Max Kahleyß mit Frl. Amalia Auer von Herrenkirchen (Dessau). 1 Gestorben: Hr. Major a. D. Alexander von Bothmer (Lübeck). — Frau Anna Maria von Rochow, geb. von Olearius (Pförten N. L.)
Verantwortlicher Schriftleiter: J. V.: Weber in Berlin. Verantwortlich für den Anzeigenteil: Der Vorsteher der Geschäftsstelle, “ Rechnungsrat Mengerina in Berlin. ”“ Verlaa der Geschäftsstelle (Mengerinag) in Berlin. Druck der Norddeutschen Buchdruckerei und Verlagsanstalt, Berlin, Wilhelmstraße 32. Fünf Beilagen (einschließlich Börsenbeilage) und Erste, Zweite, Dritte, Vierte und Fünfte Zentral⸗Handelsregister⸗Beilage.
11u.“
1.“
die Arbeiterschaft hat die Empfindung, daß dies ein weitaus ver⸗
Denn jede Teuerungszulage mindert die Teuerung nicht, sondern ver⸗
hen Reichsanzeiger und Preußischen Staats
Preußische Landesversammlung. 36. Sitzung vom 27. Juni 1919. Nachtrag.
Nachdem das Haus die Beratung des Haushalts der Justizverwaltung abgebrochen, hat im a an die Er⸗ klärung des Finanzministers Dr. Südekum der Minister der sentlichsn Arbeiten Oeser die folgende Erklärung abge⸗ geben:
Meine Damen und Herren! Ich glaube, dem hohen Hause noch einige Mitteilungen schuldig zu sein über den Ausbruch Eund den Verlauf der bedauerlichen Streiks im Eisenbahn⸗ betriebe. Der Herr Finanzminister hat darauf hingewiesen, daß sich dieser Streik zum Teile erklärte aus der vor⸗ handenen Notlage, einer Notlage, die nicht allein die Eisenbahner hetrifft, sondern die weite Volkskreise, die nicht im Staatsdienste sich befinden, ebenso hart trifft wie die Staatsarbeiter und Staatsbeamten. Aber die Wirkung des Eisenbahnerstreiks ist deshalb eine so ver⸗ derbliche, weil sie das Wiederaufleben der Volkswirtschaft hintanhält, und weil sie in ihrer Wirkung darauf hinausläuft, daß sie eine Er⸗ gänzung der äußeren Blockade durch eine innere Blockade darstellt. (Sehr richtig) Denn wenn das Eisenbahnwesen zusammenbricht, nicht funktioniert, dann ist unsere heutige Volksernährung nicht auf⸗ rechtzuerhalten, dann leiden vor allen Dingen die Großstädte mit ihrer Massenbevölkerung in schwerster Weise.
Sind diese Streiks bedauerlich und schädlich, so verstehen wir doch die wirtschaftlichen Ursachen, die ihnen zugrunde liegen. Aber wir können uns nicht verhehlen, daß nicht nur wirtschaftliche Ursachen zu den Streiks geführt haben, sondern daß hinter den wirtschaftlichen Bewegungen versteckt, und von den meisten, die am Streik beteiligt sind, nicht bemerkt, politische Triebfedern stehen, die ich Ihnen nicht zu schildern brauche. (Sehr richtig!) Die Forderungen der Eisen⸗ bahner belaufen sich in ihrem Effekt an dauernden Ausgaben für die Arbeiter auf 2100 Millionen Mark im Jahre. (Hört, hört!) Dazu kommen einmalige Ausgaben von 350 Millionen Mark, Forderungen der Beamtenschaft in Höhe von 12⸗ bis 1600 Millionen Mark, so daß eine Gesamtforderung von 3700 bis 4600 Millionen Mark heraus⸗ kommt.
Ich habe die traurige Lage der Eisenbahnfinanzen rückhaltlos schildern müssen. Den Fehlbetrag im laufenden Jahre haben wir auf 3403 Millionen Mark berechnet. Hierzu kämen dann die 3700 bis 4100 Millionen Mark, so daß der Fehlbetrag in dem einen Jahre
sich auf weit über 7000 Millionen Mark stellen würde allein im isenbahnetat.
8 Die Frage, ob es möglich ist, solche Beträge irgendwie zu decken, muß verneint werden; denn die Möglichkeit, die Kosten auf Steuer⸗ mittel der Allgemeinheit zu nehmen, ist bei den Riesenbeträgen aus⸗ geschlossen. Die Möglichkeit einer Tariferhöhung wäre theoretisch vielleicht gegeben, sie ist aber praktisch ausgeschlossen. Die Einnahmen aus dem reinen Güterverkehr betrugen im letzten Jahre 2289 Mil⸗ lionen Mark. Hierzu müßte ein Zuschlag genommen werden von 9700 bis 2900 Millionen Mark, also ein Zuschlag von über 100 Prozent. Die Einnahmen aus dem Personenverkehr betrugen 1085 Millionen Mark. Hierzu käme ein Zuschlag von 1000 bis 1500 Millionen Mark. Aber damit ist nicht gesagt, daß die Einnahmen nun aufkommen; denn unser gesamtes Wirtschaftsleben würde so un⸗ erträglich überlastet werden, daß eine industrielle Tätigkeit ausge⸗ schlossen wäre, daß die Preise weiter in die Höhe gingen, und daß
insbesondere der angestrebte Zweck, eine Ermäßigung der Preise für die Nahrungsmittel, ausgeschlossen wäre; denn alle diese erhöhten Frachtkosten müßten auch auf die Nahrungsmittel geschlagen werden. Gs wären enorme Tariferhöhungen nötig. Wir müßten in der vierten Klasse statt für 2 Pfennig, wie vor dem Kriege, für 6 Pfennig fahren, in der dritten Klasse würde der Preis auf 9,62 Pfennig steigen, b. h. eine Personenfahrkarte für die Strecke Berlin —-Breslau, 340 km, die früher vierter Klasse 6,80 ℳ kostete, würde 20,40 ℳ kosten, in der dritten Klasse würde der Preis von 10,20 ℳ auf 32,70 ℳ in Peisonenzügen steigen. Das wäre gleichbedeutend mit dem Erliegen des wirtschaftlichen Lebens.
Die andere Möglichkeit einer Abbürdung, die sich vielleicht ergeben könnte, ist für mich aus sozialen Gründen zurzeit ausgeschlossen. Sie bestünde darin, daß das infolge der Demobilmachung übermäßig ge⸗ steigerte Personal der Statseisenbahn radikal verringert würde. Wir würden dann vielleicht zu einer Verringerung von 150⸗ bis 180 000 Personen kommen können. Damit steigern wir aber die Arbeits⸗ losigkeit, und aus sozialen vernünftigen Gründen muß man den Zeit⸗ punkt dieser Entlassung wenigstens so lange hinausschieben, bis ein Wiedererwacheh der allgemeinen gewerblichen Tätigkeit eingesetzt hat, und die Personen, die etwa bei uns entlassen werden, würden in Ueber⸗ einstimmung mit den Arbeiterorganisationen erst dann entlassen werden können, wenn für sie eine Tätigkeit in anderen Betrieben möglich wäre. CEs besteht also keine Möglichkeit, diese Beträge irgendwie ab⸗ zubürden; es gebe eine Schuldenlast, die verzinst werden müßte, die also ruf lange Zeit hinaus unser Volk belasten würde. Die Staatsregierung hat sich seit langem die Frage vorgelegt, wie zu helfen ist. Ich habe im Mai dieses Jahres eine Verhandlung mit den Arbeitewertretern gehabt, die sich auf die Lohnforderungen bezog, und damals wurde mir von den Arbeitervertretern gesagt: lieber els eine Lohnerhöhung ist uns eine Herabsetzung der Lebensmittelpreise.
(Sehr richtig! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.) Wenn die
Kosten der Lebenshaltung sinken, steigt die Kaufkraft des Lohnes, und
nünftigerer und gangbarerer Weg sei als der der bloßen Lohnerhöhung.
stärkt sie, weil bei der begrenzten Menge der Nahrungsmittel nicht soviel Vorrat vorhanden ist, daß jeder kaufen kann. Der Arbeiter und Beamte, der aufgebessert wird, legt höhere Preise an, steigert damit wiederum die Preise, und die Wirkung ist, daß wir in wenigen Monaten oder Wochen vor derselben Lage stehen wie gegemwärtig, und daß dann
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Erste Beilage
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Berlin, Montag, den 30. Juni
Ich habe in Uebereinstimmung mit dem Preußischen Staats⸗ ministerium mit den Reichsinstanzen eingehende Verhandlungen gehabt, ob es nicht möglich ist, in der Frage der Lebensmittel eine Erleichte⸗ rung eintreten zu lassen. Diese Verhandlungen haben zunächst einen sichtbaren Erfolg nur insoweit gehabt, als die diktatorische Kommission für die Ein⸗ und Ausfuhr bestellt wurde, von der man annahm, daß ihre Tätigkeit eine Anregung der Ein⸗ und Ausfuhr, also einen Zu⸗ strom von Lebensmitteln herbeiführen würde. Diese Maßnahme hat zu meinem lebhaften Bedauern nicht den Erfolg gehabt, den sie haben sollte, weil während der unruhigen Zeit der Friedensverhandlungen es nicht möglich war, planmäßig hier vorzugehen.
Wir haben uns nun neuerdings mit Reich und Staat ins Ein⸗ vernehmen gesetzt, ob wir die damaligen Pläne nicht aufnehmen können, ob wir nicht wirklich durch ein energisches, durchgreifendes Vor⸗ gehen die Ziele erreichen können, die wir mit der Arbeiterschaft ge⸗ meinsam haben, nämlich die Verbilligung der Preise. Es stand für mich fest, daß es damit nicht getan ist, den Arbeitern in Aussicht zu stellen: es wird darauf hingearheitet, eine Senkung der Preise herbeizuführen, — sondern es stand für mich fest, daß, wenn etwas geschehen kann, es nur eine entschlossene Tat sein müsse, eine Tat, die wirklich durchgreift. (Sehr richtig! bei den Unabhängigen Sozial⸗ demokraten.) Und wir sagten uns, wenn wir noch einen bestimmten „Betrag ausgeben wollen, ausgehen können, wenn der Finanzminister überhaupt noch in der Lage ist, eine größere Summe zur Verfügung zu stellen, dann hilft es uns nichts, wenn wir die Löhne in die Höhe treiben — denn damit bessern wir den Zustand nicht; damit verewigen wir ihn —, sondern es kann nur und ausschließlih helfen, wenn wir auf dem Gebiete der Lebensmittelversorgung so eingreifen, daß eine allgemeine Erleichterung eintritt. (Sehr richtig!) Gehen wir auf dieser Bahn voran, so schaffen wir die Erleichterung nicht allein für die Arbeiter und Beamten einer bestimmten Verwaltung, sondern für alle Arbeiter und Beamte, aber auch vor allen Dingen für das Volk im allgemeinen, das nicht im Staatsbetrieb ist, das aber die Not der Zeit ebenso und vielleicht noch stärker empfindet als die Beamten und die Arbeiter der Staatsbetriebe. (Sehr richtig! bei den Unab⸗ hängigen Sozialdemokraten.)
Zu meiner großen Freude ist es uns nunmehr gelungen, mit der Reichsverwaltung zu einem finanziellen Uebereinkommen zu gelangen, das allerdings auch an Sie Forderungen stellen wird, die wir aber einstweilen zugestehen konnten, weil wir annahmen, daß Sie mit dem pon uns beschrittenen Wege einverstanden sind. Wir haben bei den Verhandlungen mit den Arbeiter⸗ und Beamtenorganisationen von Anfang an den Wunsch gehabt, daß das hohe Haus an diesen Ver⸗ handlungen beteiligt sei. Wir gingen von der Ueberzeugung aus, daß unsere Verantwortung gemeinsam ist, und daß die Landesversamm⸗ lung als Vertretung des Volkes einen Anspruch darauf besitzt, an allen diesen Verhandlungen mitbeteiligt zu sein. Infolgedessen ist der Haupt⸗ ausschuß an diesen Verhandlungen beteiligt gewesen. Es waren Ver⸗ treter sämtlicher hier vertretenen Parteien anwesend, und wir haben die Zustimmung dieser Vertreter zu unserem Vorgehen bekommen.
Es handelt sich darum, eine Summe, die nach überschläglicher Be⸗ rechnung für die nächsten 3 Monate evra 1,5 Milliarden Mark ausmacht, aufzuwenden, von der einen Teil das Reich, einen Teil der Staat und einen Teil die beteiligten Gemeinden zu übernehmen haben. Damit wird es gelingen, nun bestimmt zum ersten Male in der Woche vom 6. bis 13. Juli, also in kürzester Zeit, folgende Senkung der Preise herbei⸗ zuführen:
Neis, der jetzt 3 ℳ kostet, soll mit 1,75 ℳ das Pfund abgegeben werden: I
Hülsenfrüchte, die 2 ℳ kosten, mit 1,25 ℳ; 11“
das Zugabemehl, das gegenwärtig 2,20 ℳ kostet, sol 80 Pfennig gesenkt werden; .
die Zugabe an ausländischem Fleisch, die im Durchschnitt 11 ℳ kostet und deren Preishöhe sehr viel zu der allgemeinen Unzufrieden⸗ heit beigetragen hat, soll auf 5 ℳ das Pfund gesenkt werden;
Speck, der unter den rationierten Lebensmitteln für 8 ℳ abge⸗ geben wird, soll auf 4 ℳ gesenkt werden;
Kartoffeln, die augenblicklich 25 bis 35 Pfennig das Pfund kosten,
werden auf 12 Pfennig das Pfund gesenkt; die neuen Kartoffeln werden 14 Pfennig kosten.
Der Erfolg dieser Maßnahme ist, daß die Ausgabe für diese Nah⸗ rungsmittel in der Woche nach den Ermittlungen des Reichsernährungs⸗ ministers für eine fünfköpfige Familie um 27,75 ℳ in der Woche sinken wird. Das ist ein namhafter Betrag, eine Erleichterung, die sich in jeder Familie, in jedem Haushalt fühlbar machen wird. Es ist eine großzügige Maßregel, die allerdings erhebliche Kosten macht. Aber wir sind der Ueberzeugung, daß man diese Kosten für die nächsten 3 Monate aufbringen soll und muß, weil wir daduͤrch allein elne Gesundung unseres Volkes, eine Beruhigung und eine Zufriedenheit herbeiführen können. 8
Meine Damen und Herren! Neben diesen Maßnahmen, die ich eben geschildert habe, wird von der Arbeiter⸗ und Beamtenschaft der Staatseisenbahn die Durchführung der Demokratisierung der Betriebe verlangt. Die Staatsregierung hat abgelehnt, das Rätesystem bei der Eisenbahn einzuführen (Bravol rechts) und eine Vertretung des Zentral⸗ rats in die Staatseisenbahn hineinzunehmen. Das geschah mit Rück⸗ sich auf das aufgestellte Programm, das dahin ging, eine restlose Ueber⸗ leitung der Verwaltung an die Arbeiter und Angestellten der Eisenbahn herbeizuführen. Die Staatsregierung konnte dem nicht zustimmen, weil die Staatseisenbahn ein Volksunternehmen ist, als solches bereits sozialisiert ist und eine derartige Sozialisierung nicht durchgeführt werden konnte. Sie konnte aber auch deshalb nicht darauf eingehen, weil in der Agitation für die Zentralräte Aeußerungen gefallen waren, die vorks⸗ feindlich und gefährlich erschienen. Es hieß: wer die Eisenbahn besitzt, hat die Hand an der Gurgel des Staates. (Hört, hört!) Es kann nicht gestattet werden, daß außer der Landesversammlung eine andere Organisation über diesen Volksbesitz entscheidet. (Sehr richtig! bei
auf
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1942
Es kommt hinzu, meine Damen und Herren, daß gestern ein Flug⸗ blatt, ausgehend von der kommunistischen Partei, hier beschlagnahmt worden ist, das den Streik nicht nur propagierte, sondern darauf hinaus⸗ ging, die Räteorgnisation an die Stelle der gegenwärtigen Staats⸗ ordnung zu setzen, und die Diktatur des Proletariats vertrat. (Hört, hört!) Ja, meine Damen und Herren, das war um so eigentümlicher, als dieses Flugblatt in dem Lokale des Deutschen Eisenbahnerverbandes gefunden wurde. (Hört, hört!) Die Vertreter des Deutschen Eisen⸗ bahnerverbandes haben in durchaus loyaler, glaubhafter Weise uns nach⸗ gewiesen, daß sie ein Verschulden an diesem Flugblatt nicht trifft. (Ruf: Na, na!) Daß sie ein Verschulden nicht trifft, daß sie mit diesem Flugblatt keine gemeinsame Sache machen wollen, daß es wahrscheinlich von seiten des Zentralrats in einen ihm vom Eisenbahnerverband abge⸗- tretenen Raum hineingebracht worden ist. Man sieht hier die dunklen Wege, die gewandelt werden, und die darauf hinausgingen, eine große Arbeiterorganisation in einem falschen Lichte zu zeigen und es so er⸗ scheinen zu lassen, als ob der Deutsche Eisenbahnerverband mit diesen Bestrebungen in Uebereinstimmung steht.
Wenn also die Staatsregierung diese Art der Vertretung ablehnt und ablehnen muß, so ist sie doch davon durchdrungen, daß der demo⸗ kratische Geist dieser Zeit auch in den Staatsverwaltungen durch⸗ geführt werden muß, und daß dazu auch die Staatsregierung die Hand bieten will und bieten wird, um innerhalb des Rahmens der Reichs⸗ gesetzgebung die Betriebsräteorganisation durchzuführen. Die Staats⸗ eisenbahnverwaltung verlangt in dieser Hinsicht keine Ausnahme für sich. (Bravo!) Sie wird sich dem, was von der Reichsgesetzgebung durchgeführt wird, anschließen, in der Voraussetzung allerdings, daß die Lebensnotwendigkeiten des Eisenbahnbetriebes, die Ungestörtheit des Zugverkehrs, dadurch nicht beeinträchtigt werden. Denn innerhalb des Betriebes muß natürlich die Ordnung von einer Zentralstelle aus⸗ gehen. Es geht nicht an, daß in den Betrieb als solchen eingegriffen wird. Aber die Staatsregierung ist andererseits entschlossen, ehrlich und aufrichtig dieses Versprechen durchzusetzen und ihrerseits bei der Reichsregierung dahin zu wirken, daß die Reichsregierung die gesetzliche Ordnung, die ihre Aufgabe ist, so schnell wie möglich durchführt. Gu⸗ ruf.) — Ja, wenn Ausführungsgesetze dazu notwendig werden, wird die Landesversammlung natürlich befragt werden, und wir werden auch da mit der größtmöglichen Beschleunigung vorgehen. — So haben wir 8 auf der Basis eines realen und idealen Zugeständnisses mit den Ar. beiter⸗ und Beamtenorganisationen verhandelt, und ich freue mich, mit⸗ teilen zu können, daß diese Organisationen ihrerseits dem Vorgehen der Staatsregierung zugestimmt und in durchaus lovaler Weise erklärt haben, ihren Einfluß dahin geltend zu machen, daß der ausgeb rochen⸗ Streik sobald als möglich eingestellt wird. Ich meifle nicht, daß dieses Zugeständnis durchgeführt wird. 3 Meine Damen und Herren, so suchen wir den Weg, und wir werden ihn finden, um dem demokratischen Geist der neuen Zeit auch in den Staatsbetrieben Form und Gestalt zu geben, und soweit Ihre Mitwirkung dabei erforderlich ist, werden wir uns vertrauensvoll an Sie wenden.
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(Cebhafter Beifall.)
Nach den im Bericht über diese Sitzung (in Nr. 143 des „Reichs⸗ und Staatsanzeigers“, erste Beilage) aus ugsweise wiedergegebenen zustimmenden Bemerkungen von Vertretern der verschiedenen Parteien zu den Ausführungen der Minister erklärt der Minister der öffentlichen Arbeiten Oeser:
Meine Damen und Herren! Nachdem die Parteivertreter ihre Erklarungen abgegeben haben, darf ich feststellen, daß das hohe Haus in seiner überwiegenden Mehrheit dem Vor. gehen der Staatsregierung grundsätzlich zugestimmt hat. Auf Grund dieser Zustimmung wird die Staatsregierung sich für ermächtigt halten, vorbehaltlich der formellen Zustimmung zu den zu machenden Forderungen, auf dem vorgeschlagenen Wege voranzu⸗ schreiten und mit dem Reiche die Senkung der Lebensmittelpre fest zu vereinbaren. Ich hoffe, daß das hohe Haus damit einverstalden ist. (Zustimmung.) Wir haben nun in gemeinsamen Beschlüssen die Richi⸗ linien gefunden, in denen sich die überwiegende Mehrheit diesss hohen Hauses mit der Staatsregierung in der Behandlung dieser Frgge zu⸗ sammengeschlossen hat. Es wird die Aufgabe der Staatstegezung sein, die so vereinbarten Linien unbedingt festzuhalten und sich ahon nicht abdrängen zu lassen. (Sehr richtig!) Ich danke dem hohen Hause für die Zustimmung zu unseren Vorschlägen. Ich darf diesen Dank aber auch auf die beteiligten Organisationen der Beamten und Arbeiter ausdehnen. Sie haben mit Nachdruck und großer Zähigkeit ihre Forderungen vertreten, sie haben sich aber aus der gesamten Lage heraus, in vaterländischer Würdigung aller Umstände, loyal daz 8 bereit erklärt, das getroffene Uebereinkommen ihren Organi⸗ sationen gegenüber zu vertreten. Ich weiß, daß die Organisationen heute nicht den großen Einfluß haben, den sie früher hatten; aber ich bin der Ueberzeugung, daß ihr Einfluß weit genug reichen witd, damit wir die Ruhe, nach der wir uns sehnen, finden und unsere zu⸗ sammengebrochene Wirtschaft, unser schwerleidendes Volk wieder auf⸗ richten. 8
Ich bin also berechtigt, namens der Staatsregierung warmen Da auch den beteiligten Organisationen für ihre offenes, loyales und sach⸗ liches Verhalten auszusprechen. (Bravo!)
Parlamentarische Nachrichten.
Nachdem die neuen Steuervorlagen fast säm lich der Deutschen Nationalversammlung zu⸗ gegangen sind, geben wir im folgenden die wichtigsten Be⸗ stimmungen der Entwürfe eines Gesetzes über eine Kriegs⸗ abgabe vom Vermögenszuwachs, eines Gesetzes über eine außerordentliche Kriegsabgabe für das Rechnungsjahr 1919 und eines Erbschaftssteuergesetzes nebst dem Wesentlichsten aus den Begründungen wieder. “ Die Kriegsabgabe vom Vermögenszuwachs.
In dieser Zeit der schwersten Not und eines nationalen Unglücks,
wieder Lohnerhöhungen verlangt werden.
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den Deutschen Demokraten.) “
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wie es ein Volk wohl niemals getvoffen hat, muß die sittliche Forderung