Bei der Auswahl der Persönlichkeiten ist von dem Kreistage den verschiedenen Verhältnissen in den einzelnen Amtsbezirken Rechnung zu tragen.
Die Wahlen sind so zu beschleunigen, daß der gesetzlich vor⸗ geschriebene letzte Wahltermin, 31. August, eingebalten wird.
Die Neuwahl der Amtsvorsteher in der Provinz Westpreußen und im Regierung bezirk Oppeln erfolgt erst nach Durchführung der Kreistagswahlen.
Die Bestätigung ist binnen längstens zwei Wochen nach der
hl bei den Oberpräsidenten nachzusuchen.
Für die Amtszeit gilt die Pestimmurg in § 18 des Gesetzes.
Zu §§ 12 — 14.
„Durch die Bestimmungen in §§ 12—14 dieses Gesetzes werden die veralteren Sonderbestimmungen der Londgemeindeordnung der een Hannover vom 28. April 1859 (Hann. Gesetz⸗Samml. S. 393), oweit sie sich auf die Bildung der Gemeindevertretung und deren Zuständigkeit beziehen, den Bestimmungen der Landgemeindeordnung fur die 7 östlichen Provinzen gleichgestaltet.
Die erforderlichen Maßnahmen zur Vornahme der Wahlen in denienigen Gemeinden, die hiernach emeindevertretungen zu wählen haben, sind sofort zu veransassen. Hierzu gebört insbesondere
a) die sofortige Aufstellung von Wählerlisten, b) die Festsetzung des Wahltags, c) die Festsetzung der Zahl der Gemeindeverordneten.
„Die Wählerlisten sind in allen in Betracht kommenden Ge⸗ meinden neu aufzustellen. Die Vorschrift der Ausführungsanweisung zu § 7, Ziffer 4 Absatz 2 und 3 findet entsprechende Anwendung.
Die Wahlen finden nach den Bestimmungen der Gemeindewahl⸗ verordnungen vom 24. und 31. Januar 1919 (G.⸗S. S. 13 und 15) 1 Berücksichtigung der Bestunmungen in § 23 dieses Gesetzes
att.
„Der Wahltag ist durch Beschluß des Kreisausschusses auf den frühesten, unter Einhaltung der Fristen zulässigen Zeitpunkt festzu⸗ setzen. Der Landrat hat die Festsetzung des Wahltags dem Regierungspräsidenten alsbald zu berichten.
Fuüͤr die Zahl der Gemeindeverordneten gilt die Rahmen⸗ bestimmung in § 5 der Gemeindewahlverordnung vom 24. Januar 1919. Innerhalb der dort vorgesehenen großen Spanne ist die Zahl für jede Gemeinde durch Beschluß des Kreisausschusses möglichst nach einheitlichen Grundsätzen festzusetzen.
Zu § 15.
„Durch die Bestimmung in § 15 tritt die Gemeindevertretung (Gemeindeausschuß. Gemeinderat) vollständig an die Stelle der Gemeindeversammlung. Die Ortsstatuten, durch die die Zuständigkeit zwischen Gemeindeversammlung und Gemeindevertretung bieher geregelt war, verlieren insoweit ihre Gültigkeit. Die Gemeindevertretung hat nunmehr an Stelle der Gemeindeversammlung insbesondere auch in allen Fällen das Recht der Wahl des Gemeindevorstehers und seines Vertreters (Beigeordneten).
Zu § 16.
Der Neuwahl unterliegen die gewählten Mitglieder sämtlicher Deputationen und Kommissionen in Städten und Kreisen, auch soweit sie für besondere Verwaltungszwecke auf Grund besonderer Gesetze gewählt worden sind.
Die Neuwahl ist auch dann vorzunehmen, wenn bereits eine Er⸗ neuerung durch die neugewählten Vertretungskörperschaften stattge⸗ funden haben sollte. Zu berücksichtigen ist dabei das Gesetz betr. die Auflösung und Neubildung der Steuerkommissionen, vom 16. Juli 1919.
Ausgenommen von der Wiederholung sind die auf Grund von
11 der Kreistagswahlverordnang vom 18. Februar 1919 (G.⸗S.
. 23) vorgenommenen Wahlen zu den Kreiskommissionen. Ferner ist von der Neuwahl der Schuldeputationen, Schulvorstände und Schulkommissionen auf Grund des vorliegenden Gesetzes einstweilen abzusehen, da hierüber ein besonderer Gesetzentwurf der Landes⸗ versammlung vorliegt.
Die Wablen sind bei der ersten, nach Eingang der Ausführungs⸗ anweisung ausgeschriebenen Sitzung der Gemeindevertretung bezw. des Kreistags vorzunehmen. 1
Die Durchführung der Wahlen erfolgt nach den Grundsätzen der Verhältn swahl. Die näheren Bestimmungen hierüber werden für die in den Städten vorzunehmenden Wahlen durch Beschluß der Stadtverordnetenversammlung, für die von den Kreisvertretungen zu tätigenden Wahlen durch Beschluß des Kreisausschusses erlassen. Dabei sind die Bestimmungen in § 16 Absotz 3 des Gesetzes zu be⸗ achten. Ist ausnahmsweise die Zahl der zu Wählenden größer als die Zahl der Mitglieder der Wahlkörperschaft, so ist nach der Be⸗ stimmung in § 16 Absatz 3 Satz 3 zur Einbringung eines Wahl⸗ vorschlags „eine“ Unterschrift erforderlich. Eine ausreichende Zahl von Ersatzleuten ist auf den Wahlvorschlägen zuzulassen, damit beim Ausscheiden eines Mitglieds die freiwerdende Stelle nicht unbesetzt bleiben muß.
Durch Beschluß der Wahlkörperschaft, der vor der Bekanntgabe der Namen der zur Wahl vorgeschlagenen Personen zu fassen ist, kann angeordnet werden, daß die Wahl der Deputations⸗ bezw. Kom⸗ missionsmitgl’eder durch einfachen Zuruf stattfindet. Durch diese Bestimmung wird die Durchführung des Wahlverfahrens in allen den Fällen, in denen im wesentlichen Einstimmigkeit über die Person der zu wählenden Mitglieder besteht, außerordentlich vereinfacht werden. Die Wahl der Mitglieder einer Deputation oder Kommission muß feddce einheitlich, d. h. entweder ganz nach den Grundsätzen der Ver⸗
dältniswahl oder ganz durch Zuruf erfolgen. Es ist zulässig, einzelne Deputationen bezw. Kommissionen durch Verhältniswahl, andere nach zuvoriger entsprechender Beschlußfassung durch Zuruf zu wählen.
Soweit in den Landgemeinden Deputationen oder Kommissionen aus Zweckmäßigkeitsgründen gebildet mworden sind, sind sie nach den Grundsätzen dieses Gesetzes geeichfalls neu zu wählen.
Hu § 17.
Bei der Wahl der Mitglieder des Provinzialrats und der Be⸗ zirksusschüsse soll mit Rücksicht auf die diesen Behörden obliegenden Zuständigkeiten vor allem die persönliche Geeignetheir des zu Wählenden ausschlaggebend sein. Die Emigung der verschiedenen, im Provinzialausschusse vertretenen Parteirichtungen auf eire gemein⸗ schaftliche Liste wird deshalb im allgemeinen Interesse liegen. Der Provinziaglausschuß wird bei Feststellung der nöheren Bestimmungen für die Durchführung dieser Verhältniswahl diese Gesichtspunkte be⸗ rücksichtigen können.
Zu § 18.
Es wird im allgemeinen davon ausgegangen werden können, daß nach Verabschiedung der der verfassunggebenden Preußischen Landesver⸗ sammlung im Laufe des Herbstes vorzulegenden Gemeindeverfassungs⸗ esetze auf Grund dieser neuen Gesetze Neuwahlen stattfinden werden, o dan die Dauer der Wahlzeit der auf Grund des vorliegenden Ge⸗ setzes Gewählten voraussichtlich nur beschränkt sein wird.
Zu § 19.
Durch die Bestimmung in § 19 ist lediglich die Verpflichtung der Gemeindevertreter und der Mitglieder der Amtsversammlungen (Westfalen) neu geregelt worden. Bezüglich der Mitglieder der Bürgermeistereiversammlungen in der Rheinprovinz erübrigt sich eine Bestimmung, da die Mitglieder dieser Versammlungen bereits in ihrer Eigenschaft als Gemeindevertreter verpflichtet werden. Die Be⸗ stimmung der Perfönlichkeit, die die Verrflichtung vorzunehmen hat, richtet sich nach den bestehenden Vorschriften.
Die Verpflichtungskorm der Gemeindevorstands⸗(Magiftrats⸗) Mitglieder ist durch diese Vorschrift nicht berühret.
Zu §§ 20 und 21. Durch die Bestimmung in §§ 20 und 21 ist
bu die Besti der zurzeit be⸗ züglich der Oeffentlichkeit der Sitzungen für die Stadtverordneten⸗ versammlungen geltende Rechtszustand nunmehr auf die Sitzungen der Gemeindeversammlungen sowie der Bü
Durch § 8 Absatz 4 der Verordnung über die anderweite Regelung des Gemeindemahlrechts vom 24. Januar 1919 wurde die Bildung von Wahlbezirken hei der erstmaligen Wabhl für unzutässig erklärt und ihre spätere Eirführung von einem Ortsstatut abhängig gemacht. Durch diese Bestimmung sind Eingemeindungsverträge insoweit außer Kraft gesetzt, als sie die Bildung von Wahlbezirken für die Wahlen zur Gemeindevertretung vorsahen.
„Durch die Bestimmung im § 22 dieses Gesetzes werden nunmehr darüber hinaus auch diejenigen Vorschriften der Eingemeindungs⸗ verträge aufgehoben, die als Voraussetzung der Wäͤhlbarkeit einen Wohnsitz in bestimmten Ortsteiten verlangen und dadurch eine Ein⸗ schränkung des passipen Wahlrechts enthalten. Die Aufrechterhaltung derarkiger Sonderrechte ist mit dem Verhältnismwahlverfabren praktisch unvereinbar. Hiernach steht es den Parteien frei, die Bewerber für ihre Wahlvorschläge aus der gesamten Stadtgemeinde zu entnehmen. Durch die Bestimmungen in § 23 wird auf Grund der bei den bisherigen Wahlen gemochten Ersahrungen die Durchführung der zu⸗ künftigen Wahlen prattisch erleichtert. Durch die Zulassung von Ersatzleuten in den Wahzvorschlägen soll auch beim Vorliegen nur eines gemeinschaftlichen Wahlvorschlogs die Möglichkeit des Nach⸗ rückens bei dem vorzeitigen Ausscheiden eines gewählten Mitglieds 8' Eeen Zine Abänderung der zur Einreichung von Wahlvorschlägen fest⸗ gesetzten Unterschriften ahl ist nicht zuläffsg. 1“
Eine Abtürzung der Dauer der Wahlhandlung beim Vorliegen mehrerer Wahlvorschläge soll nur in kleinen Landgemeinden vor⸗ genommen werden, in denen jeder Wahlbercchtigte zweifelsfrei in der cbgekürzten Wahlzeit sein Wahlrecht ausüben kann.
24 80
Die Autkehnung des Geltungsbereicks der Kreistagswahlver⸗ orldnung vom 18. Februar 1919 auf die Provinz Westpreußen und den Regierunge bezirk Oppeln wird erst erfolgen, nachdem die Gemeinde⸗ wahlen in diesen Gebieten stattgefunden haben werden.
Berlin, den 9. August 1919.
8 Der Minister des Innern.
J. V.: von Jarotzky.
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Nichtamtliches.
Dentsche Nationalversammlung in Weimar. 8 80. Sitzung vom 15. August, Nachmittags 3 Uh (Bericht von Wolffs Telegraphenbüro.) Präsident Fehrenbach eröffnet die Sitzung um 3,20 Uhr. Erster Gegenstand der Tageswdnung: Anfragen. „Abgeordneter von Graefe (D. Nat.) fragt an, ob die Reichs⸗ regierung gewillt und bereit sei, das etammelte Anklagematerial
über die schlechte Behandlung deuischer Kriegs⸗ gefangener, soweit es einwandfrei feststeht, beschleunigt und
ganzer Vollständigkeit zu veröffentlichen.
Ein Regierungskommissar erwidert, daß bereits ein⸗ gehende Darstellungen über die Behandlung deutscher Kriegsgefangener in französischer und ebenso in englischer Gefangenschaft erschienen seien. Den Veröffentlichungen liege amtliches Material zugrunde. Den Zeitpunkt für Veröffentlichung weiteren Materials behalte sich die Regierung vor.
Abg. Dusche (D. V.) fragt an, nachdem das Besitzsteuer⸗ amt zu Blankenhain in Thüringen von einem zur Er⸗ neuerung seiner früheren Handelsbeziehungen nach Kopenhagen reisenden Kaufmann die Hinterlegung seines halben Vermögens für die Ausstellung des Auslandspasses verlangt habe, was die Reichs⸗
gedenke.
Unterstaatssekretär im Reichsfinanzministeriem Moesle: Die
Erteilung von Auslandspässen richtet sich von Fall zu Fall nach den persönlichen Verhälinissen des Einzelnen. Die Behörden haben aber tie Erfahrung gemachi, daß mehrfach Reisende, die ihn zu einem nur vorüͤhergehenden Aufenthalt im Auslande haben wolttn, nicht mehr zurücktehrten. (Sehr richtig!) Wenn Mißtrauen auch gerecht⸗ fertigt erscheint, so darf andererseits vorausgesetzt werden, daß die Sicherhei vorschr ften nicht solchen Personen Schwierigkeiten bereiten werden, für die ihr Vermögen und ihr Ruf bürgen kann. Sollte in einzelnen Fällen diesem Gesichtspunkt nicht genögend Rechnung getragen werden, so ist Beschwerde bei der Landesbehörce einzureichen. Der Vollzug liegt aber b im Reiche. „Abg. Schtele (D. Nat.) fragt an, ob der Reichsregierung die ihr Ansehen schwer schädigenden Aeußerungen der Presse über die Gründe des Abschieds des Leiters der polst schen Abteilung des Auswärtigen Amtes von Rosenberg bekannt und ob sie bereit sei, der Nationalverammlung mitzuteilen, ob von Rosenberg in der Tat seinen Abschied grnommen habe, weil er die Darstellung des Finanzministers Erzberger als wahrheitswidrig nicht für zulässig gehalten habe.
Reichsminister des Auswärtigen Müller: Die Reichsregierung lehnt es grundsätzlich ab, über die Gründe Auskunft zu erteilen, welche einzelne Beamte veranlassen, um ihren Abschied einzukommen. Von diesem Grundsatz kann im Falle Rosenberg nscht abgewichen werden, wo bereits am 29. Juni der Antrag auf Dienstentlassung gestellt und am 29. Juli wieder aufgenommen ist. — Ergänzend
ragt
Abg. Schiele (D. Nat.): Ist der Reichsregierung bekannt, daß von Rosenberg allerd ngs seinen Abschied zum ersten Male nach der Friedensunterzeichnung einreichte, aber auf den ilm aus⸗ gesprochenen dri genden Wunsch, Cklat zu vermeiden, zurückzog, daß er dann nach den angeblichen Enthüllurngen des Reichsfinanzministers Erzberger vom 25. Juli ungesäumt nach Weimar gereist und nun⸗ merr auf sofortige Bewilligung seines Abschieds drang, weil er als Leiter der politischen Abteilung des Auswärtigen Amtes den öffent⸗ lichen Gebrauch von Akten, die seinem Ressort entnommen waren, für eine der Wahrheit nicht entsprechende Darstellung durch den Minister nicht mit seinem Verantwortlichkens efühl verbinden zu können glaubte. Reichsminister des Aeußern Müller: Der Herr Abgeordnte scheint nicht gehört zu haben, daß ich in meiner Antwort mitteilte, daß die Regterung derartige Auskünfte grundsätzlich ablehne. Damit ist auch die zweite Anfrage erledigt. (Lachen rechts, Unruhe.) Den mündlichen Bericht des elften Ausschusses über den Entwurf eines Rayonsteuergesetzes
Abg. Sollmann (Soz.): Die Ausschußberatung hat einen negativen Ausgang genommen. Die Notwendigkeit baldigster und möglichst umfangreicher Aufhebung bet bestehenden Rayonbeschrän⸗ kungen trat durchaus in den Vordergrund. Von mehrer'n Seiten wurde noch speziell auf die Wichtigkeit der Aufhebung dieser Be⸗ schränkungen für die Kommune Cöln hingeniesen. En Unter⸗ ausschuß hat sich mit dieser Spezialfrage noch besonders be⸗ schäftigt und sich dadurch ebenfalls von der großen Bedeutung der Befreiung der Festungsstädte von diesen Beschräänkungen im Interesse der Förderung des Siedlungswesens überzeuat. Die Pcrtreter der Regieraung haben ein bodenpolitisches Gesetz an⸗ ekündigt. Sie drängten aber auf die sofortige Verabschiedung des Entwurfs. Der Ausschuß hat sich dem nicht angeschlossen, sondern
versammlungen ausgedehnt worden.
möglichst voch vor Eintreffen der Auslieferungslisten der Feinde in
regierung gegen derartige Erschwerungen kurzer Auslandsreisen zu tun
Gesetzes und schlägt dem Hause vor, zu beschließen, den Entwurf zurückzustellen und die Reichsregierung zu ersuchen, schleunigst einen Gesetzentwurf vorzulegen, der das von Ravonbeschränkungen frei werdende Gelände in dem erforderlichen Umfange der Bodenspekulation
gemeinnützigen Zwecken in Gemeindebesitz überzuführen. Ohne Erörterung wird demgemäß beschlossen.
Annahme eines Gesetzentwurss über Wochenhilfe und Wochenfürsorge wird auf Vorschlag des Präsidenten ohne Erörterung dem sozialpolitischen Ausschuß überwiesen.
Es folgt die Interpellation der Deutschen Volkspartei und der Deutschnationalen: Bekanntlich ist seit dem Herbst 1918 ein großer Rückgang in der Kohlenförderung eingetreten. Auch heute beträgt z. B. die Kohlenförderung im Ruhrbezuk weniger als zwei Drittel der Frievens⸗ förderung. Es kommt hiazu, daß im Friedensvertrage die Lieferung großer Mengen von Kohle an den Feind übernommen ist. Außerdem reicht schon jetzt in der besten Jahreszeit die Leistungsfähigkeit der Eisen⸗ bahnen nicht aus um auch nur die heutige geringe Förderung an die Verbrauchsstellen zu schaffen. Wenn nicht rechtzeitig für Beseitigung dieser Uebelstände gesorat wird, ist zu be⸗ fürchten, daß im bevorstehenden Winter die deutsche Industrie in größtem Umfange wegen Kohlenmangels feiern muß und dadurch die Arveitslosigkeit von Milliogen herbeigeführt wird, in den Städten und auf dem Lande der Brennstoff in bisher nicht dagewesenem Umfange fehlen und die Ernährung der Bevölkerung durch Unmöglichkeit des Kochens gefährdet und ebenso die Versorgung mit Gas und Elektrizität und die Auf⸗ rechterhaltung des Verkehrs aufs schwerste beeinträchtigt wird. Was gedenkt die Regierung zu tun, um deu ungeheuren Ge⸗ fahren rechtzeitig zu begegnen, die der Wirtscheft und inneren Ruhe des Landes aus diesem Zustande drohen?
Mit der Interpellation verbunden wird die Beratung des Gesetzentwurfs wegen Abänderung des Gesetzes über die Regelung der Kohlenwirtschaft vom 23. März 1919. Durch diese Vorlage wird der Staatenausschuß ermächtigt, die Mitgliederzahl des Reichskohlenrates und die Verteilung der Sitze auf die einzelnen Gruppen abzuändern. Die Errichtung des Reichskohlenrates hat spätestens bis zum 30. September 1919 zu erfolgen.
Abg. Dr. Hugenberg (D. Nat.) bemerkt einleitend, daß es nicht seine Absicht ist, diese Gelegenheit zu einem Vorstoß gegen politische Gegner zu benutzen. Es handle sich um eine Frage von so unmittelbarer Lebensgefahr für das deutsche Volk, daß alles Trennende zurückgestellt werden müsse. Gemeinsam müsse nach den Mitteln zur Verhütung des drohenden wertschaftlichen Zusammenbruchs gesucht werden. Redner bringt dann zur Begründung der Interpellation ein umfangreiches Zahlenmaterial bei, wobei er auf die Aeußerungen des Eisenbahnministers und des Reichskehlenkommissars aus der jetzten Zeit bezugnimmt. Der gegenwärtige Notstand fällt in eine Zeit, wo alles darauf ankommt, ob der wirtschaftliche Wiederaufbau Deutschlands gelingt, denn ohne Kohle keine Arbeitsmöglichkeit in Deutschland, ohne Arbeit keine Ausfuhr, ohne Ausfuhr keine Lebensmittel und Rohstoffe vom Auslande. Dieser Zustand übt bereits seinen lähmenden Einfluß auf das ganze deutsche Wirtschaftsleben. Es muß verhindert werden, daß im kommenden Winter die Menschen frieren und im Dunkeln sitzen müssen und aus Mangel an Kohle nicht kochen können. Schon hört man, daß die europäͤische Kohlenfkommission auf den Kohlenbedarf der deutschen Industrie keine Rücksicht nehmen will, sondern in erster Linie darauf bestehen will, daß Deutschland seine Verpflichtungen be⸗ züglich seiner Kohlenlieferung an die Entente erfüllt. Hoffentlich werden es die Alliierten nicht für durch die Umstände geboten rachten, das Ruhrkohlengebiet zu besetzen. Umsomehr ist es aber Pflicht oller beteiligten Volksschichten, alles aufzubieten, um das äußerste zu verhüten. Das sage ich besonders denjenigen, die in den letzten Monaten das ihrige dazu getan haben, den Bergbau und die Eisenbahnen zum Tummelplatz politischer Agitationen zu machen. Eine große Rolle spielt im Ruhrgebiet die Ernährungsfrage. Es muß alles getan werden, um der bergmännischen Bevölkerung die zum Ausgleich der bisherigen Unterernährung nötigen Lebensmittel zuzuführen; geschieht das, dann braucht für die beporstehenden Monate die Ernährungsfrage kein Hindernis für die nötige Steigerung der Förderung zu sein. Für die Gestellung der Eisenbahnwagen zur Abfuhr der Kohlen liegt die Ge⸗ fahr in der Zukunft, wenn die Rübenernte und die Kaitoffelernte kommt, und por allen Dingen der Schrecken der Eisenbahnverwaltung, der Frost. Jedenfalls kann man der Regierung nur zurufen: „Bringt Eure Eisenbahnen wieder in Ordnung“. (Sehr richtig!) Von wesent⸗ licher Bedeutung für die Höhe der Förderung ist auch der Lohnstand. Vor dem Kriege hielt sich der Lohn des Bergmannes entsprechend der Schwere und der Gesahr des Berufes, immer in einem ent⸗ sprechenden Abstand über dem Lohn anderer vergleichbarer Arbeiter⸗ kategorien; jetzt ist das nicht mehr durchweg der Fall. Die Folge ist eine ziemlich erhebliche Abwanderung der Bergleute in andere Brrufe gewesen. Sofort wirksam würde nur eine Vermehrung der Hauer, der gelernten Bergleute, sein; im übrigen müßten 20 bis 30 000 ungelernte Arbeiter dem Bergbau wieder zugeführt werden. Die Lohnfrage hängt auch eng zusammen mit der Frage der Leistungen. s ist eine alte Erfahrung, daß die Leistungen sinken, solange Lohn⸗ streitigkeiren schweben. Die Arbeitsgemeinschaft hat getan, was in ihren Kräften stand, um solche Streitig eiten zu verhindern, beziehungs⸗ weise aus der Welt zu schaffen. Die Arbeiter sollten aber nun soviel Einsicht haben, daß sie darauf verzichten, das, was für sie noch zu wünschen übrig bleibt, gerade in dieser kritischen Zeit zum Austrag zu bringen. (Beifall rechts!). Gelingt es, die Förderung zu heben und die erhöhte Feörderung abzufahren, so wird sich, falls uns nicht im letzten Moment die Entente einen Strich durch die Rechnung macht, wenigstens den Notstand des letzten Winters erheblich mindern lassen. Die Wiedererhöhung der Förderung auf den Stand vor dem Kriege ist eine Arbeit auf längere Sicht.
Rieeichswirtschaftsminister Schmidt: Eine Kohlennot herrscht allgemein in ganz Europa. Die Ursache dieser Kohlennot, der Rück⸗ gang der Förderung, ist meiner Ansicht nach im wesentlichen eine Nachwirkung des Krieges. Es hat im Kriege durchweg eine über⸗ mäßige Anspannung sowohl der Bergwerksbetriebseinrichtungen wie der Bergarbeiter ö. Für uns in Deutschljand kommt dazu, daß wir wichtige Kohlenproduktionsstätten verloren haben und auf der anderen Seite uns Lieferungen an die Entente aufgezwungen worden sind, daß es kaum möglich sein wird, das Ablieferungssoll zu erreichen. Der Verbrauch an Kohlen ist schon soweit eingeschränkt, daß weitere Einschränkungen nahezu undenkbar sind, wenn nicht die schwersten wirtschaftlichen Nachteile eintreten sollen. Es ist ene außerordentlich betrübende Erscheinung, daß wie de Menschen nech nicht zur freiwilligen Uebernahme der Pfl chten er⸗ zog n haben, die sie als Opfer dem Gemeinwohl darbringen müssen. Zuweilen hat man din Eindruck, daß bestimmte Arbeitergruppen streiken, nur um damit ihre Unentbehrlichkeit zu beweisen. Hoffent⸗ lich gelngt es bald, die Arbeiterschaft von ihrem Irrweg abzu bringen. Kohlennot bedeutet vermehrte Arbeitlosigkeit. Ni dergang tes Transportmwe ens und der Lebensmittelindustrie, Verderben von für die menschliche Ernährung bestimmten Lebensmittel, Unbehaglich⸗ keit des Lebens ohne Brennmaterial im eigenen Hause. Die Arbe ter⸗ schaft darf sich der Tatsache nicht verschließen, daß sie selbst die allerschwersten Opfer bei all diesen Entbehrungen zu rragen haben wird. Sie muß einsehen lernen, daß man in einer solchen Zeit lieb⸗ gewordene Grundsätze im Imteresse des Gemeinwohls zurücktellen muß. (Lebh. Zustimmung.) Nur ein gesunder, lebensfähiger Wirt⸗
besteht auf der unverzüglichen Ausarbeitung des bodenpolitischen
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schaftsorganismus, der erst wieder aufgerichtet werden muß, verfügt
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entzieht und die ausreichende Möglichkeit bietet, das Gelände zu
Der Antrag Loebe (Soz.) — Groeber (Zentr.) au
auch über die erwünschte Leistungsfähigkeit in sozialpolitischer Hin⸗ sicht. Wie ist dem Uebel abzuhelfen? Dafür hat auch der Be⸗ gründer der Interpellation, trotzdem er ein so ausgezeichneter Kenner des Bergbaus ist, nur sehr wenige Anregungen gegeben. Ein wirklich durchgreifendes Mittel ist weder von ihm, noch von anderer Seite in Vorschlag gebracht worden. Die Steigerung der Produktion ist das erne Erfordernis. Demgegeüber aber müssen wir nun die b-trübliche Tat'ache feststellen, daß die Arbeiterschaft sich dem Bergbau abwendet. Name⸗ntlich im Steinkohtenbergbau ist eine Zu⸗ nahme der Belegschaft nicht festzustellen. Die Re ierung uotersucht gegenwärtig, wie weit es möglich ist, die Arbeiterschaft in vermehrtem Umfange noch dem Ruhrkohzenbezirk, dem wichtigsten, hiaz ziehen. An der D uchführung von Hilfsmaßnahmen, wie Besserung der Wobnu igsverhältnisse, gemeinsame Küche, bessere Bekönigung namentlich auch der ledigen Arbeiter, wird sie es nicht fehten lassen. Die Wichtigkeit der Wohnungsfrage ist unbestreitbar. Aber eine augenbl ckliche Hilfe wird durch die für ihre Lösung bewilligten Mittel der Kohlenv r'orgung nicht herbeig führt. Nicht so ungünstig wie im Steinkohlenbergbau steht es mit der Förderleistung im Braun⸗ kohlenber bau. Hier ist auch ein⸗ Produktionssteigerung leichter wegen der Möglichkeit der Verwendueg ung lernter Arb iter, die im Steinkohlenbergbau nur in beschrä ltem Umfange untergebracht werden können. Hier besteht auch die Möglichkeit, durch Einsetzen einer größer n Anzahl Arbeiter wenigstens einen Teil des Notstandes zu beseitigen. Andere Mittel sind leider von der Arbeiterschaft abgelehnt worden. Es ist noch nicht gelungen, die Arbeiter davon zu überzeugen, daß die Notlage am wirksamsten durch ene gesteigerte Inanspruchna me ihrer Leistungsfähig ein imn einem beschränkten Zeitraum, durch Verlängerung der Arbeilszeit für eine b stimmte Zeit um eine Sltunde bekaͤmpft würde. Vielleicht gelingt die Ueberwindung des Mißtrauens der A beiter gegen diesen Vor⸗ schlag bei den augenblicklichen Tarisperhandlungen. Die Arbeiterseaft im Koblengebier möge sich vergegenwärtigen, daß sie di⸗ Industn’ie⸗ arbeslerschaft ganz Deutschlands für den kommenden Winter in die schverste Gefah, bringt. Deehalb appellier ich von dieser Stelle aus an das Solidarttä sgefühl der gesamten Arbeiterschaft. Die
Regierung ist bereit, den Wünschen der Arbeiterschaft hinsicht ich der
R form des Knappschaftswesens zu enteprechen. (Lebhaftes Hört, hört! rechts.) Dazu sind aber selbstverständlich eingehende Be⸗ ratungen notwendig. Für den Hausbedarf in den großen Städten wird durch die Forstverwallungen Holz bereitgestellt weroen müssen. Die Not der Zeit zwingt uns zum Raubbau in den Beständen un⸗ mittelbar in der Nähe der großen Städte Dieses Uebel ist erträglich im Hinblick auf die wirtschaftliche und politische Lage. Wir sind selbst bestrebt, trotz aller schweren entgegenstehenden Bedenken, amerikanische Kohlen für Industrien einzufübren, die durch Ausfuhr einen Ausgleich schaffen können. Durch alle die e Maßnahmen werden aber nur hier und da einige Notstände beseitigt. Das größte Uebel ist die Zerrüttung des Transportwesfens. Die Eisenbahnverwaltung ist heute nicht einmal mehr in der Lage, für die vollständige Abfuhr der Bestände aus den Halden zu sorgen. Mit Entsetzen sehe ich dem Zustande entgegen, der eintreten mus, wenn das Wagenmaterial für die Abfuhr von Kartoffeln. Rüben usw. in Anspruch genommen werden muß. Da bleibt kein anderes Mittel als die Einstellung des Personenverkehrs. Der Güterverkehr ist das wichtigste. Mit so großen Nachteilen die Einstellung des Personenverkehrs auch ver⸗ bunden sein ma es bleibt tein anderer Ausweg, wenn die Reparatur⸗ werkstätten nicht eine größere Leistungsfähigkeit aufbringen, die möglich ist angesichts der großen Zahl der Arbeiter und des reparatur⸗ bedürf.igen Betriebsmaterials, das vergeblich auf Ausbesserung wartet. Ohne Rüucksicht auf andere Interessen wird an die Auffüllung der Lager der Eisenbahnverwaltungen gegangen werden. Wenn diese nicht über Bestände für 20 bis 30 Tage verfügen, droht der Zusammenbruch. Es soll alles gescheben, um diesen auch für die böstlichen Provinzen zu vermeiden. Eine Partei, die nicht wegen ihrer Stärke, sondern wegen ihres rücksichtslosen Terrors Einfluß hat, sucht die revolutionäten Eisen⸗ bahner zu mißbrauchen, um durch Streiks das gesamte Wirtschafts⸗ leben zu erschüttern. Ein Rundschreiben des Parteisekretärs gibt offen zu, daß die Streiks polltische Ziele verfolgen, von denen die Eisenbahner nichts wissen dürfen. Diesen Schleichwegen ist nach⸗ zugehen. Der oberschlesische Streik ist einer der frevelhaftesten Unter⸗ nehmungen, die auf diese Taktik zurückzuführen ist. Die Eisenbahner mögen sich büten, sich zu solchen, nach dem Geständnis der Mäsfei ihnen fremden Streiks irreführen zu lassen. Leider fehlt der Arbeiter⸗ schaft die notwendige Aufklärung, um die gewissenlosen Agitationen sich fernzuhalten. Flugblätter sind seit Wochen sehr stark im Gange. In scheinheiliger Manier werden Landarbeiter und Kleinbauern gegen die heutige Wirtschaftsrichtung aufgebetzt zum Schaden der gesamten Arbeiterschaft, nur um skrupellos für ein politisches Programm Stim⸗ mung zu machen, das die Partei nicht offen erkennen läßt. Diese Partei und ihre Agitation ist eine Gefahr, der mit aller Entschieden⸗ heit entgegengetreren werden muß. Wenn die Regierung gegen die klare Parole einer nicht einflußlosen Partei zu scharsen Mitteln greift, so tut sie es aus einer Notwendigkeit, verbrecherische Maßnahmen entschieden zu bekämpfen und kein Mittel unversucht zu lassen, einer derartigen polilischen Agitation und den mit ihr verbundenen Boykoiten entgegenzutreten. Die kommunistische Partei hat nur ein politisches Programm und eine Initiative, ihre Politik und Taktik darauf einzurichten, daß unsere Wirtschaft schnell verfällt. Ihre Haltung gegen die Unabhängigen zeugt dabei von Undankbarkeit. Nur unter unklaren und unreisen Köpfen kann sie ihre starke An⸗ hängerschaft gewinnen, mit dem verbrecherischen Bestreben, unser Wirtschaftsleben an den Rand des Abgrundes zu führen. Für jede Anregung ist die Regierung dantbar, die die Kohlennot hebt. Sie nimmt jede Unterstützung an, von der Gedeihen und Sicherheit der deutschen Republik zu erwarten ist. Die Besprechung der Interpellation wird beschlossen. Zur zweiten Beratung der Novelle zum Kohlen⸗ wirischaftsgesetz ist inzwischen von den Abgg. Loebe, Hue, Imbusch und Genossen eine Entschließung ein⸗ gereicht worden, welche zur Verhinderung der furchtbaren, das Volk als Folge der außerordentlichen Kohlennot bedrohenden Katastrophe schnelle und durchgreifende Maßnahmen für eine erhebliche Erhöhung der Kohlengewinnung und für ihren regelmäßigen Abtransport fordert. Vornehmlich werden empfohlen: Erhöhung der Bergarbeiterlöhne auf einen Betrag, der als auskömmliche Gegenleistung für die anstrengende beramännische Tätigkeit angesehen werden kann, bessere Ernährung der Bergarbeiterschaft und bessere Versorgung mit Berufskleidung und Schuhzeug, Abschluß von Tarifverträgen, ein Reichsberggesetz, Heranziehung der Betriebsräte zur Mit⸗ arbeit und Kontrolle, Erhöhung der Knappschaftsrenten, Erlaß eines Reichsknappschaftsgesetzes, Vermehrung der Arbeitskräfte, schleunigste und großzügige Beschaffung von Wohnungen unter Gewährung von Reichsbeihilfen, vorzugsweise Belieferung der Kohlengruben, Kokereien und Brikettfabriken mit Arbeits⸗ maschinen und Geräten, möglichst vollständige Ausnützung aller Betriebsanlagen, Einlegung von zwei vollen Förderschichten, stärkste Beleaung der mächtigeren Flöze, 1e Gestellung von Eisenbahnwagen, Durchführnng der Sozialisierung. Abg. Hue (So“.): Den Gesetzentwurf zur Kohlenwirtschaft fönnen wir wohl ohne Kommissionsberatung annehmen. Es ist dringend zu empfehlen, eme stärkere Vertretung der Kommunal⸗ verbände im Reitskohlenrat und absolute Oeffentlichkeit seiner Verhandlungen. In dem Bereich unserer Kohlenindustrie sehe ich nur eine einzige dunkle Fläche, keinen Lichtstrahl. Der Interpellant hat sich peinlichst gehütet, dieser rein wirtschaft⸗ lichen Frage einen politischen Anstrich zu geben. Wenn es beute einigen wenigen spartatistischen Wüurköpfen gelingt, ganze Belegschaften in den Bann ihree Agitation zu zwingen, so beweist das nur, daß unsere Arbeiterschaft, auch die Peamtenschaft, durch den furchtbaren
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„Vertreter des Kohlenkommissars haben in Rücksichtslosigkeit und
Krieg nervenkrank geworden ist. Schon lange vor dem Kriege bildete der Rückgang der Kohlenförderung pro Kopf der Belegschaft die Sorge unserer Wirtschaftspolitirer. Das jetzige Problem hat mit Staats⸗ formen, mit sozialpolitischen Wirtschaftsformen nichts zu tun, es hat sich aufgebaut auf natürlichen, technischen Umständen und ist schon während des Krieges gefahrdrohend in die Erscheinung getreten. Der Krieg war eine Hochjonttur von außergewöhnlicher Länge, und da hat man die kohlenreichsten Flöze vorzugsweise abgebaut und die Vorrichtungsarbeiten zurückgestellt. Dennoch trat schon 1917 eine erhebliche Kohlennot auf, die zur Einsetzung des Reichskohlen⸗ ton missars fürrte. Es ist ein gefährlicher Aberglaube, daß die Kohlennot das Ergebnis der revolutionären Umwälzung des vorigen November sei. Die Hungerblockade hat auch auf die Erhöhung der Krankheitsziffer sehr verderben bringend eingewirkt. Die Bergarbeiter sind durch die jahrelange Unterernährung so herabgekommen, daß Ueber⸗ schichten ihnen jetzt nicht zugemutet werden können. Wir schlagen desbhalb in unserem Antrag nicht Schichtverlängerung, sondern Er⸗ nährungsverbessung vor. Nur kein Druck, kein Zwang, sondern gutes Zureden und vor allem gutes Essen. Wir haben den verantwortlichen Stellen in der Regierung andeutunasweise schon 1915, in aller Shärfe 1917 vorausgesagt, was kommen mußte. Der Bergbauliche Verein aber hat in allen Wünschen der Bergarbeiterschaft versagt. Redner er⸗ ürtert hier uf im einzelnen die in der mitgeteilten Entschließung auf⸗ gestellten Forderungen und schließt mit einer dringenden Mahnung zur Sozialisierung und mit der Aufforderung an die Unternehmer⸗ schaft, die nutzio e YNgitation dagegen zu unterlassen. Unter Sozialisierung verstehe ich im Beroabau die restlose Beseitigung jeder Kapitalsrente. (Beitall bei den Sozialremokraten.)
Abg. Imbusch (Z.): Der Rückgang der Kohlenferderung hängt nicht allein von dem guten Willen und der Arbeitskraft der, Arbeiter ab, sondern auch von der Art des Abbaues, dem Umfang der Neben⸗ arbeiten, der Verwendung von Maschinen usw. Der Rückgang ist im übrigen eine internationale Erscheinung, die sich in erster Linte auf die Kriegsverhältnisse gründet. Es werden jetzt viel mehr Vor⸗ richtungsarbeiten gemacht wie früher, es werden die weniger ergiebigen Flöze abg baut, die Betriebseinrichtungen sind abgenutzt, es werden viel mehr ungelernte Axbeiter beschäftigt und schließlich ist auch bei den Verwaltungen und bei den Beamten das Interesse an höchst⸗ möglichster Leistungsfähigkeit zurückgegangen. Eine große Rolle spielt ferner die allgemeine Unruhe und Unsicherheit. Die Arbeiter haben keine Lust sich beim Gang zur Arbeit totschlagen zu lassen. Nicht hierher gehört die Verkürzung der Arbeitszeit. Die Verkürzung der Arbeits⸗ zeit hat keineswegs unter allen Umständen eine Verminderung der Leistungen zur Folge. Und das wird auch hier eintrelen, sobald die Einrichtungen und die Arbeiter sich darauf eingestellt haben. (Zurufe rechts: Unmöglich! Illusion!) Ich verstehe von der praktischen Bergmannsarbeit vielleicht mehr als Sie (nach rechts). Ein weiterer Grurd ist das Sinken der Arbeitsfähigkeit und der Arbeilsfreudigkeit infolge des Raubbaues, der an der Krast des Arbeiters während des Krieges getrieben worden ist infolge der schlechten Ernährung, nicht zuletzt auch infolge der unge⸗ rechten und unwürdigen Behandlung. Noch kurz vor dem Kriege betrachteten die Unternehmer jeden Bergmann’ nicht als einen gleichwertigen Vertragschließenden, sondern als einen Untergebenen. Man hat dem Bergarbeiter die Liebe zu seinem Beruf geradezu plan⸗ mäßig ausgeprügelt. Die Lohnfestsetzung erfolgt einseitig und un⸗ gerecht, die Löhne sind nicht ausreichend, die Arbeitszeit war, namentlich im Kriege, viel zu lang. Urlaub wird den Bergarbeitern heute noch nicht gegeben. Aus allen diesen Verhältnissen erklären sich die erschreckend hohen Krankenziffern und die frühe Invalidität, erklärt sich aber auch das Emporkommen einer Stimmung in den Berg⸗ arbeiterkreisen, die den Hetzern ihre Arbeit nur zu leicht g⸗macht hat. (Sehr richtig und Zustimmung.) Um Abhilfe zu schaffen, sind vor allen Dingen notwendig ausreichend hohe Löhne, nicht allein im Hinblick auf auf die Schwere des Bergarbeiterberufs fondern auch ays dem Grunde, weil in der Bergbauberufsgruppe zum Unterschied von ollen anderen die Zahl der Kinder in den letzten Jahren nicht ge⸗ fallen, sondern gestiegen ist. Auch die Lebensmittelversorgung reicht heute noch nicht aus. Der Regrerung muß es doch leicht sein, ferner den Bergarbeitern Tabak, besonders Kautabak zur Verfügung zu stellen. (Beifall rechts.) Durch rücksichtsvollere Behandlung der Bergarbeiter und günstigere Gestaltung der Renten wäre manch 8 gewonnen. Unter Hinzuziehung der Arbeiterräte müssen die einzelnen Gruben daraufhin untersucht werden, ob den Bergarbeitern ihr Hilfsmaterial in zweckvoller Art zur Verfügung steht. (Beifall.) Gelerute Arbeiter gehören überall vor die Kohlen. (Zustimmung.) Auch unter den 180 000 überflüssigen Eisenbahnern müssen sich t üsende geeignete Arbeitskräfte finden lassen. Wir mahnen ferner zur weitgehendsten Kohlenersparnis durch Holz, Torf und gerechte Verteilung der Kohlen. In erster Linie sind die Lebenemittelbetriebe zu berücksichtigen. Dte Reichen dürfen nicht übergenug Koblen haben, während die Armen frieren. Ich richte an die Bergarbeiter den Ruf, noch einmal ihre ganze Kraft zusammenzureißen, um un er Wirtschaftsleben vor dem Zusammenbruch zu bewahren. (Leb⸗ hafter Beifall.)
Abg. Ziegler (Dem.): Dem Gesetzentwurf stimmen meine Kollegen und Freunde zu. Die Wahrheit, daß die Kohlenversorgung in allernächster Zeit in ganz neue Bahnen gelenkt werden muß, sindet noch längst nicht überall Beachtung. Die Interpellanten sollten sich darüber klar sein, daß sie selbst die Ursachen der augen⸗ blicklichen Notlage nicht verstehen. Die Verkürzung der Arbeits⸗ zeit hat nicht in dem behaupteten Maß zur Verminderung der Leistungen geführt. Es liegen Unternehmerstimmen vor, die das be⸗ stätigen. Die Hauptschuld an der Notlage trägt die systematische Verhetzung, die aus politischen Gründen unter den Bergarbeitern getrieben worden ist. Der Fluch des Volkes und der Arreiter⸗ schaft wird sich noch einmal gegen die Streithetzer richten. Die hinter den Interpellanten stehenden Unternehmer sollten sich darüber klar sein, daß sie die Notwendigkeit eines viel früheren Ab⸗ schlusses von Tarifverträgen im Bergbau nicht erkannt haben. (Zu⸗ stimmung.) Trotz offenkundiger Mißstände können wir das Auf⸗ putschen der Bergarbeiter auf die Dauer nicht ertragen. Manche
mangelnder Anpassungsfähigkeit an das praktische Leben Führendes geleistet. Jede Arbeit bedeutet heute Perteidigung des schwer be⸗ drohten Vaterlandes.
Abg. Voegler (D. V.): Vielleicht empfiehlt es sich, der Arbeiterschaft jeden zweiten Sonnabend vollständig frei zu geben, dafür aber wieder acht Stunden zu arbeiten. Das ergäbe vierund⸗ vierzig Wochenstunden statt der jetzigen zweiundvierzig. Gleichzeitig aber bedeutet es eine Vermehrung der wirklichen Arbeitszeit um 3 ¼ Stunden oder eine Mehrförderung von 9—10 Millionen Tonnen jährlich. Damit könnte der ganze Bedarf Sü deutschlands und mehr an Steinkohle gedeckt werden. Auch Urlaub und Tariff⸗ verträge ließen sich damit vereinigen und ebenso würden für die Mehrstunden höhere Löhne gezahlt werden. Die Förderung im Ruhr⸗ revier ist im Juni unbedingt gestiegen. Die besseren Schichten der Arbeiter empfinden bereits einen Widerwillen gegen den Terror und wollen Ruhe, um arbeiten zu können. Die Staats⸗ autorität muß sich in jedem Falle nur träftig durchzusetzen versuchen. Abgesehen von technischen Aenderungen würde die Reichs⸗ wirtschaft gut kun, sich von der Beeinflussung durch die Politik los⸗ zumachen und den Reichswirtschaftsrat zu berufen. Die National⸗ versammlung hat politisch außerordentlich viel grarbeitet. Wie wenig sie aber wirtschaftlich leistete, ist erschreckend. (Zustimmung.) An⸗ gesichts des drohenden, in seiner Ausdehnrng und Gewalt gar nicht vorzustellenden Notstandes ist hier kein Augenblick zu verlieren. So nur vermag das Gefühl der Zusammengehörigkeit geweckt und die stärkste Triebkraft auf Erden, der Egoismus, eingedämmt zu werdeu, zum Wohle des einzelnen, aber damit guch aller und dann des ge⸗ meinsamen Ganzen. (Lebhafte Zustimmung) Wir’ richten die dringende Aufforderung an die Regierung, alles aufzubieten, um die Kohleproduktion und die Leistungsfähigkeit der Eisenbah
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Reichswirtschaftsminister Schmidt: In meinem Ministerium find bereits Vorarbeiten im Gange, um einen Reichswirtschaftsrat auf ganz vorläufig ohne Inanspruchnahme der Ge⸗ setzgebung zu schaffen. 3 8s Abge⸗ Koen 5 (U. Soz.): Es muß schon, um die Zahl der Arbeitslosen, die nächstens 3 Millionen betragen wird, zu beschäftigen, schleunigst an eine Umorganisierung des Wirischaftslebens im Sinne des Soztalismus gegangen werden. Wenn das Volk krank ist, so trägt die Rechte die Schuld daran, sie hat den Volkskörper vergiftet. Die Eisenbartkur von Noske verfängt nicht mehr, das hat Herr Hue heute wenigstens erkannt. Die Regierung steht aber noch auf dem alten Noskestandpunkt, auch Herr Schmidt hat keine andere Methode der Behandlung der Arbeiter. Damit leister me dem munisten Vorspanndienste. Beim Streik im April hat die Negierung es konsequent obgelehnt, zu verhandeln. Beim Braunkohl narbeiter⸗ streik waren wir es, die auf seinen Abbruch hingewirtt haben. To bleibt die Amnestie für die politischen Häftlinge? Auch beim Kali⸗ arbeiterstreik hat die Regierung sich nicht bereit finden lassen, durch Verhandlungen zur Schlichtung beizutragen. 1 “ 8 Reichsarbeitsminister Schliche: Ich habe mit einer Ab⸗ ordnung der Kaliarbeiter verhandelt, konnte ihnen dabei allerdings keinen anderen Rat geben, als sich an den bestehenden Tariwertrag zu halten. Die Kaliarbeiter traten darauf in den Streik und ver⸗ langten 8 Se von mir Verhandlungen; das habe ich aller⸗ ings abgelehnt. . 2cheiche wirtschaftsminister Schmidt: Ich habe mit den Berg⸗ arbeitern im Abril nicht verhandeln können, weil! von den Streik⸗ führern infach die Parole ausgegeben war: Nicht verhandeln, sondern handeln. * ““ sPe8 89 Mumm (D. Nat.) spricht seine Befriedigung aus, daß sich angesichts der drohenden Katastrophe eine Front von Hugen⸗ berg über Imbusch bis zu Hue — abgesehen natürlich von den Unabhängigen — zu bilden im Begriff set.
Abg. Loeffler (Soz.): Der Abg. Koenen hat zugegeben, daß im kommenden Winter drei Millionen Arbeiter arbeitslos werden können. Das hat ihn nicht gehindert, die Braunkoblenarbeiter mit wahrheitswidrigen Berichten in den Streik zu hetzen. Er hat sich auch, den Tatsachen widersprechend, als Verhüter des Kalistreiks hin⸗ gestellt. In dem zu der Entschließung vorgelegten Antrag der Un⸗ abhängigen sind die oberschlesischen Forderungen niedergelegt.
Abg. Koenen (U. Soz.) weist die gegen ihn erhobenen Vor⸗ würfe als unbegründet zurück. 1“ ““
Damit schließt die Besprechung.
Der Gesetzentwurf über Kohlenwirtschaft wird in allen dr genommen. Die Entschließung Löbe⸗Hue wird unter Ablehnung von Abänderungsanträgen der „Unabhängigen angenommen, desgleichen eine Entschließung der Rechtsparteien, wonach die Nationalversammlung an die Regierung und an alle Beteiligten im Volke die dringende Aufforderung richtet, alles aufzubeeten, um eine Erhöhbung der Förderung im deutschen Kohlen⸗ bergbau und der Leistungsfähigkeit der ( . zur äußersten Grenze sowie die Uebung größter Sparsamkeit imm Verbrauch der Brennstoffe herbeizuführen. Nur so könne das deutsche Volk und die deutsche Wirtschaft vor dem neuen nationalen Unglück bewahrt bleiben, das mit dem Versagen der Kohlenlieferung im kommenden Winter unfehlbar über uns hereinbrechen würde.
Nächste Sitzung Sonnabend 3 Uhr.
Dritte Beratung der Kriegsabgaben und der Steuer⸗ vorlagen.
Schluß 9,40 Uhr.
die Regelung der drei Beratungen an⸗
1 Bayern.
Abgeordnete aller Parteien richteten, wie „W. T. B.“ aus Bamberg berichtet wird, an die bayerische Bauern⸗ schaft einen Aufruf, in dem die Bauern ermahnt werden, den gefährlichen Ratschlägen Unverantwartlicher zum Eintritt in einen Lieferstreik kein Gehör zu schenken. Der Streif sei gegenwärtig ein Altentat auf die staatliche Ordnung und ein Verbrechen gegen das Volk. Er würde erneute Unruhen und unsagbares Elend bringen.
Oesterreich.
In einer Note an den Ministerpräsident Clemenceau teilte der Staatskanzler Renner mit, er habe erfahren, daß der Befehlshaber der etwa 3000 Mann starken ungarischen Streit⸗ kräfte in Steinamangen erklärt habe, Deutsch⸗Westungarn solle wieder durch Waffengewalt der ungarischen Herrschaft unterworfen werdern. Nachdem Teile dieses Gebiets be⸗ reits früher durch die rücksichtslosen Beschlagnahmungen ungarischer bolschewistischer Truppen stark gelitten hätten, hätten die Deutschen Wsstungarns jetzt aus Angst vor einer ähnlichen Heimsuchung die Besetzung der bedrohten Gebiete durch Deutsch⸗Oesterreich erbeten. Die Landbevökerung von Steiermark habe ihren unwiderruflichen Entschluß kundgegeben, in gemeinsamer Erhebung den gefährdeten deutschen Brüdern zu helsen, falls Deulsch⸗Oesterreich keine Truppen sende. Ferner seien die Deutschen Westungarns durch eine Meldung der rumänischen Presseagentur beunruhigt, daß eine Besetzung durch rumkänische Truppen bevorstände, was für die Einmwohner neue schwere Lasten bedeuten und mittelbar auch Deytsch⸗Oesterreich in Mitleidenschaft ziehen würde, Staatskanzler Renner ersucht daher den Obersten Rat der Alllierten, durch einen Machtspruch an die Ungarn und Rumäͤnen die bedrohten Gebiete vor einem Einmarsch und damit auch vor Plünderungen zu schützen. Deutsch⸗Oesterreich möge es gestattet werden, durch eine Sicher⸗ heitswache aus Gendarmerie und Volkswehr für die Aufrecht⸗ erhaltung der Ordnung in Westungarn zu sorgen. Eine solche würde auch die letzten Reste kommunistischer Truppen vertreiben. Durch eine derartige Erlaubnis seitens des Obersten Rates würde eine wertvolle Bürgschaft für die Aufrechterhaltung des wirtschaftlichen Gleichgewichts im atrum Mitteleuropas geben werden. 8 8
— Ungarn. 88
Ueber die Neubildung der Regierung liegt heute folgende verspätet eingetroffene amtliche Nachricht des „Ungar. Telegr.⸗Korresp.⸗Büros“ vor: Freitag mittag wurde die neue ungarische Regierung vom Verweser, dem Königlichen Prinzen Josef, ernannt. Ministerpräsident wurde Stefan Friedrich, Minister des Aeußern Martin Lovaszy, Minister des Janern Baron Siegmund Perenyi, Finanz⸗ minister Johann Gruenn, Kriegsminister General Franz Schnetzer, Iunstizminister Georg Baloghy, Ackerbaum nister Stefan Szabo, Rattus⸗ und Unterrichtsminister Karl Huszar, Minister für Volkshygiene Andreas Csillery,
höhen, um so ein nationales Unglück zu verhüten.
Minister der nationalen Minoritäten Jakob Bleyer, Minister
man nur dem Kom-⸗:
Eisenbahnen bis
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