1919 / 239 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 18 Oct 1919 18:00:01 GMT) scan diff

kann nur durch die Erziehung, Geschmack läßt sich nicht befehlen. Bei der Jugendpflege müssen die vielfach widersprechenden Einrichtungen der einzelnen Länder in Einklang gebracht und es muß eine gewisse Einheitlichkeit auch auf diesem Gebiete erzielt werden. Die Berufs⸗ vormundschaft muß allgemein durchgeführt werden. Die Jugend⸗ ümter mancher Gemeinden, wie z. B. Frankfurt und Berlin, sind vorbildlich. Wir müssen ferner die Jugend pertraut machen mit den politischen Einrichtungen. Es ziemt uns jetzt eine nüchterne Real⸗

volitik. Wenn wir täglich in den rechtsstehenden Blättern lesen, wie

chön es unter der Monarchie war, so ist das eine Beleidigung aller

Denkfähigen. Es ist ein Mangel an politischer Erziehung und politischem Takt, wenn Hindenburg hintenherum die Kandidatur als Reichspräsident angetragen wird. Wir müssen Staatsbürgererziehung treiben in dem Sinne, daß der politische Ernst schon der Jugend klar gemacht wird, aber parteipolitische Erziehung darf in der Schule nicht getrieben werden. In der Schule muß die Erziehung wahrhaft vaterländisch sein. (Beifall bei den Demokraten.) Abg. Dr. von Delbrück (Dnat.): Der Präsident mahnte uns zur Kürze. In früheren Zeiten haben wir für diesen Etat mehr Tage als diesmal Stunden gehraucht. (Hört, hört!) Als ich diesen Etat noch zu vertreten hatte, dauerten die Verhandlungen einmal 16 Tage. (Hört, hört!) Es ist unmöglich, die Programmrede des Ministers schon nach einer Stunde sachgemäß zu beantworten. Das heutige

einisterium des Innern ist mit dem früheren Reichsamt des Innern nicht mehr vergleichbar. Dic Notwendigkeit der Teilung dieses Amtes

rurde schon früher von Jahl zu Jahr dringender; aber es war nicht

Fhrgeiz oder Eigensinn der früheren Leiter des Amtes, wenn sie gegen die Teilung waren. Die Aufgaben des Amtes hängen vielmehr eng zusammen; die Sozialpolitik, Wirtschaftspolitik, Ernährungs⸗ politik ist schwer von der allgemeinen inneren Politik zu trennen, und es ist ein Glück, wenn diese einzelnen Zweige von einer Stelle aus betrachtet werden, die die verschiedenen Interessen nebeneinander besser abwägen kann, als wenn sie im Kampfe unter verschiedenen Ressorts erörtert werden. Jetzt haben wir neben dem Reichsamt des Innern ein besonderes Reichswirtschaftsamt und ein Reichsarbeitsamt. Die Sozialpolitik, die eigentlich die Spitze der inneren Politik bildet, ist berausgenommen. Wir haben auch neben das Finanzministerium das Reichsschatzministerium gestellt. Ich würde mich nicht wundern, wenn später diese zusammenhängenden Materien wieder zusammengelegt werden. Unter dem Minister muß gerade bei dem heutigen häufigen Wechsel der Personen ein Unterstaatssekretär im Ministerium sein, der das ganze Gebiet beherrscht. Es ist deshalb falsch, wegen der all⸗ semeinen Politik und der Zusammensetzung der Koalitionsregierung noch parlamentarische Unterstaatssekretäre zu schaffen. Redner empfiehlt sodann einen Antrag seiner Partei wegen der inneren Organisation und der Stellungsbesetzung des Ministerium des Innern. Entsprechend einer allgemeinen Verordnung dgeht man daran, weit mehr Angestellte, nämlich Stenographinnen und Telepbonistennen, aus ihren Stellungen zu entlassen, um dadurch Kriegsteilnehmern Stellungen zu verschaffen. In den Fällen, wo besondere Qualifikationen erforderlich sind, oder wo es sich um Stellungen handelt, die sich ausschließlich für weibliche Angestellte eignen, soll eine Ersetzung der weiblichen Ange⸗

5 d. C;x FT.,4413 5 stellten durch männliche nicht vorgenommen woerdben. Ich bitte den

Herrn Minister, diese Frage neu zu erwägen. Ich freye mich, daß er in seiner kurzen Erklärung zu unserer Interpellation sich im wesent⸗ lichen auf unseren Standpunkt gestellt hat und mit erfreulicher Bureit⸗ willigfeit unserer Anregung folgend, vie alsbaldiae Vorlage eines Kino⸗ konzessionsgesetzes zugesagt hat. Der Minister zeigte dabei ein weit zrößeres Verständnis für die Sache als die Redner seiner Fraktion. (Sehr richtig! rechts.) Zu den neuen Aufnaben des RNeichsamts des Innern gehört auch die Fürsorge für die vertriebene v Eszaß Lothringer. Ich freue mich über die Wärnme, mit der der Minister sich dieser schwierigen, überaus traurigen Aufgabe annebmen wird; dennoch lege ich ihm die Versorgung der vertriebener Beamten Geistlichen und Lehrer besonders ans Herz. Die Feststellung der Kriegsschäden wuß schleunigst erfolgen, und den Vertriebenen, die meist vollkommen hilfs⸗ und mittellos dastehen, müssen Vorschüsse gegeben werden. Das Presse⸗ dezernat im Reichsamt des Innern muß in richtige Beziebung zur Presse gebracht werden. So lange ich im Amt wer, habe ich mich vergeblich mit dieser Frage herumcgequält. Der Mißbrauch der Porto⸗ freiheit, der auch von diesem Ministerium getrieben wird, muß auf⸗ hören. Der Minister will ja sein Ministerium nicht zum Tunimelplatz der Parteien machen. Die Einbringung eines Alkoholgesetzes be⸗

7„ 8 * 3 , 2 * . * u 1 4. grüßen wir. Die Verhältnisse liegen dazu jetzt besonders günstia. Die

ekunft unseres Beamtentums lieat nicht nur in seiner äußeren

tellung. sondern auch auf moralischer Seitc. Der Minister ist aus der Beamtenschaft hervorgegangen, er wird die Beamtenfrace lösen, wie es unseren Wünschen, der Ueberlieferung und den Interessen des Vaterlandes entspricht. (Beifall rechts.)

Reichsminister des Innern Koch: Nur wenige Bemerkungen zu ben Ausführungen, die gemachb worden sind. Frau Aba. Zettler hat besonderen Wert darauf gelegt, daß in der Jugendwobefahrt nicht eine Üüübertriebene Zentralisation durchgeführt wird. Ich kann ihren Aus⸗ führungen im wesentlichen beitreten und glaube auch bereits in meiner ersten Rede darauf hingewiesen zu haben, sowohl was die Jugendpflege als überhaupt die Verwaftung des Reichsministeriums des Innern ungeht, daß es unrichtig sein würde, wenn man versuchen wollte, die Dinge von einer Zentralstelle auch bis ins kleinste zu regeln und zu zeiten. Ich befinde mich also durchaus im Einklang mit den Aus⸗ führungen der Frau Abg. Zettler, wenn ich feststelle, deß wir lediglich Anregungen geben wollen und daneben das Bestreben baben, da aus⸗ gleichend zu wäirken, wo bisher nebeneinander und gegeneinander ge⸗ atbeitet worden ist. Im ganzen aber ist kein Zweifel darüber, daß

Wenn wir hier überhaupt vorgehen müssen, so liegt es eben leider daran, daß so manche Familie versagt hat, und daß dort, wo sie versagt, subsidiär die öffentliche Hilfe eintreten muß.

Was die Verbote der Filmne angeht, so hat Frau; barauf hingewiesen, daß auch der sogenannle and sie hat gemeint, es hätten infolgedessen noch weitere Verbote folgen können. Ich darf feststellen, daß das Verbot des Kaiserfi lediglich mit Rücksicht auf den Belagerungszustand in Berlin möglich zewesen ist und daß nicht seitens der Zivilbehörden, sondern daß seitens hder für den Belagerungszustand verantwortlichen Behönden dieses Ver⸗ bot ergangen ist. Ih bin leider zu solchen Verboten nicht in der kLage. Deshalb haben wir ja gerade den Wunsch, die Gesetzgebung in den Stand zu setzen, uns derartige Darbietungen zu ersparen.

Was dann die Ausführungen des Herrn Abg. Braun (Franken) angeht, so bedauere auch ich, wenn noch immer die Erlaͤubnis zum Bau von Kinos oder zur Einrichtung von Kinos gegeben wird. Ich habe mir ohnehin vorgenommen, dem nachzugehen, um festzustellen, wie das möglich ist. Ich bemerke aber, daß seitens des Witlschaftsministeriums als der für die Wohnungsangelegenheiten zuständigen Stelle längst die Anweisung ergangen ist, die übrigens auch in den Provinzstädten fast durchweg befolgt wird, daß sosche Kinos nicht mehr gebaut werden. (Zuruf von den Soz:; Nal nal In Nürnberg z. B.!) Es mag einzelne Orte geben, wo diese Anweisung nicht befolgt wird. Ich kenne aber die Verhältnisse im allgemeinen und weiß, daß in den meisten Städten heute der Bau von Kinos schon deswegen verboten ist, weil jn das dafür erforderliche Material an Steinen usw. nicht hergegeben warden darf. (Zuruf von den Soz.: Dafür gibt es genug Material!)

Wir brauchen uns darüber nicht zu streiten; ich habe selbst aus⸗

woführt, daß solche Fälle vorkommen, in denen trotzdem das Verbot Foergangen wird. Es besteht aber das Verbot, für diese Zwecke

irgendwie Baumaterial zur Verfügung zu stellen. Es hängt mit den von uns ohnehin beklagten Zuständen in der Beamtenwelt zusammen, daß hier und da diese Verbote sich nicht durchsetzen. Es wird aber dafür zu forgen sein, daß dies geschiebt, und ich bin bereit, dahin zu wirken.

Was die Deutsche Bücherei angeht, so bin auch ich der Meinung, daß es erwünscht ist, die Deutsche Bücherei zu unterstützen. Was der Herr Abgeordnete Braun nach dieser Richtung hin an Wünschen aus⸗ gesprochen hat, werde ich bei dem nächsten Etat durchzusetzen versuchen.

Ich komme dann zu den Ausführungen des Herrn Abgeordneten von Delbrück. Der Herr Abgeordnete von Delbrück hat recht, wenn er sagt, daß die Summen, die jetzt das Reichsamt des Innern er⸗ fordert, fast wieder ebenso hoch sind wie die Ausgaben des alten größeren Reichsamtsz des Innern. Es darf aber niht verkannt werden, daß dasjenige, was an Wirtschaftsaufgaben abgegeben ist, auf der anderen Seite finanziell dadurch wieder wettgemacht wird, daß ein erheblicher Teil der Aufgaben des Kriegsministeriums auf das Reichsamt des Innern übergegangen ist. Wer den Etat liest, wird finden, daß gerade die ungeheure Summe, die für diese Dinge ausgegeben worden ist, dazu geführt hat, daß der Etat wieder auf die frühere Höhe angeschwollen ist. Das bezieht sich namentlich auf das Kriegsarchiv, die Gräberfürsorge und auf das Landesvermessungs⸗ amt. Die Fraktion des Herrn Abgeordneten von Delbrück hat in dieser Beziehung verlangt, daß ein näherer Nachweis über die Ausgaben gegeben werden. Ich habe keine Bedenken, diesen Nachweis zu erteilen, bemerke dabei aber, daß die Ausgaben darin so erscheinen werden, wie wir sie von der Heeresverwaltung übernommen haben. Irgend⸗ eine Reform vorzunehmen oder auch nur in die Verhältnisse hinein⸗ zuleuchten, ob etwa die früheren militärischen Behörden nach dieser Richtung hin zu luxuriös gewirtschaftet haben, ist in diesen zwei Wochen, in denen wir den Etat übernommen haben, nicht möglich gewesen. Der Herr Abgeordnete von Delbrück wird mir vielleicht zustimmen, wenn ich meinerseits der Meinung Ausdruck gebe, daß die Militärbehörden in dieser Beziehung sehr wenig sparsam ge⸗ wirtschaftet haben, und daß es durchaus erwünscht ist, wenn die bürgerlichen Behörden in die Lage versetzt werden, diese Frage endlich

einer Nachprüfung zu unterziehen. (Zustimmung bei den D. Dem.)

Was die Frage des zweiten Unterstaatssekretärs angeht, so darf ich darauf hinweisen, daß das Kabirnett einstimmig auf dem Stand⸗ punkt steht, daß keine parlamentarische Unterstaatssekretärstelle ge⸗ schaffen werden soll; tatsächlich haben wir auch keinen parlamentarischen Unterstaatssekretär. (Widerspruch rechts.) Der Fall des Unterstaats⸗ sekretärs Schulz liegt so, daß er in das Ministerium des Innern berufen worden ist, nachdem dem Ministerium des Innern die große Fülle der Schulaufgaben übertragen wurde und man Wert darauf zu legen hatte, einen in diesen Fragen bewanderten Fachmann Herr Schulz ist bekanntlich Volksschullehrer gewesen heranzuziehen. Die große Schulabteilung, der er vorsteht, wird von ihm geleitet;

r ist also keineswegs ein sogenannter parlamentarischer Unterstaats⸗ sekretär, ein Verbindungsunterstaatssekretär zum Parlament, sondern er hat nur sachliche Aufgaben zu erfüllen.

Was im übrigen die Teilung derr Ministerien angeht, so hat der

Herr Abgeordnete von Delbrück selbst darauf hingewiesen, daß die Teilung des Wirtschaftsministeriums in ein Wirtschafts⸗ und ein Er⸗ nährungsministerium in wischen wieder aufgegeben worden ist; sie war erforderlich in der Zeit des Krieges und nach dem Kriege, als das Er⸗ nährungswesen einen ganz besonders großen Umfang in der öffentlichen Verwaltung angenommen hatte. Dauernd konnte diese Einrichtung nicht sein. Im übrigen aber scheint mir, daß, verglichen mit der Fülle der neuen Aufgaben, die die Reichsverwaltung durch die Verfassung übernommen hat, die Zahl der neuen Ministerien gering ist. Das Verkehrsministerium wird man ganz gewiß nicht in dieser Beziehung anführen können; denn das Verkehrsministerium hat ja die ungeheuer große Aufgabe, das gesamte Eisenbahn⸗ und Wasserstraßenwesen auf das Reich zu überführen, und wird außerdem noch das Luftamt und das Autowesen zu bearbeiten haben. 3

Wenn der Herr Abgeordnete von Delbrück auf der anderen Seite sechs neue Stellen für das Reichsamt des Innern gefordert hat, um neue Beamtenstellen schaffen zu können, so teile ich seinen Wunsch durchaus. Nachdem dem Patentamt zwölf neue Stellen be⸗ willigt worden sind, hoffe ich, daß, falls die Nationalversammlung es beschließt, der Herr Reichsfinanzminister bereit sein wird, seinen Widerspruch gegen die neuen Stellen fallen zu lassen. Ebenso hoffe ich, daß es gelingen wird, den Wunsch bezüglich der Hilfskräfte aus Elsaß⸗Lothringen durchzusetzen. Auch dort hat mein Ressort von vorn⸗ herein in dem Sinne Stellung genommen, den der Herr Abgeordnete von Delbrück heute vertreten hat.

Die Pressestelle ist erwähnt worden. Meine Damen und Herren! Ich denke nicht daran, aus der Pressestelle ein Organ parteipolitischer Art zu machen. Das wichtigste an der Pressestelle ist vor allen Dingen, daß sie sozusagen das Ohr ist, durch das das Ministerium mit der Presse in Verbindung bleibt. Es ist unmöglich, alles dasjenige, was das weitverzweigte Ressort betrifft, in der Presse nachzulesen, und es ist deshalb dringend erforderlich, damit wir von der Meinung der Presse und damit der Oeffentlichkeit unterrichtet werden, daß eine Persönlichkeit die Verantwortung dafür übernimmt, daß uns keine ernst gemeinte Presseäußerung entgeht. Daneben wercen natürlich sachliche Aufklärungen durch diese Stelle von uns an dee Presse zu richten sein.

Ich glaube, daß die Kontroverse zwischen Herrn Braun und Herrn von Delbrück bezüglich der kriegswirtschaftlichen Geschichte durch die Darlegungen des Herrn Abgeordneten von Delbrück erledigt ist, und ich komme deshalb darauf nicht zurück.

Lassen Sie mich schließen mit dem Danke darüber, daß die Kritik in so geringem Maße sich des Reichsministeriums des Innern ange⸗ nommen hat, und daß ich deshalb hoffen darf, i:m Einverständnis mit der Nationalversammlung und mit ihrer Unterstützung auf der Bahn fortzuwandeln, die ich in großen Zügen vorzuzeichnen mir erlaubt habe. (Beifall.)

Abg. Beuermann (D. B.): Wie steht es mit den A⸗ und S.⸗Räten, die noch vielfach gegen den Willen der Behörden und der Kommunen tätig sind? Zum mindesten müßten die Bürger⸗ und Bauernräte mit gleichen Rechten versehen werden. Ueber das kommende Reichsschulgesetz bin ich als Lehrer besonders erfreut. Ein Reichs⸗ schulamt muß sich anschließen, dem die Jugendfürsorge zu übertragen wäre. Die Volkshochschulbewegung muß der Bevölkerung überlassen bleiben, das Reich darf sich nur mit Geldmitteln und beratenden Sach⸗ verständigen daran beteiligen. Daß Unterstaatssekretär Schulz tatsaͤch⸗ lich doch ein parlamentarischer Unterstaatssekretär ist, läßt sich nicht

leugnen. Bei der Besetzung der neuen Stelleg dürfen aber Partei⸗

rücksichten keine Rolle spielen. Für die Kriegergräber müssen reich⸗ lichere Mittel eingestellt werden. Wie steht es aber mit der Pflege und Erhaltung unserer Kriegergräber im Auslande? Aufgabe des Auswanderungsamtes muß es sein, mit 8Se Hand dem Treiben der Auswanderungsagenten Einhalt zu gebieten. Wir danken dem Minister, daß er energisch gegen das Kinounwesen vorgehen will. Gegen die ästhetischen Schweinereien der Schönheitsabende, wie sie aus Hamburg gemeldet werden, muß entschieden vorgegangen werden.

Nach 6 Uhr wird die Weiterberatung auf Freitag, 1 Uhr, 1 (Außerdem Anfragen und Etat des Reichsarbeits⸗ amts.

1— .“ 8 82 101. Sitzung vom 17. Oktober 1919.

(Bericht des Nachrichtenbüros des Vereins deutscher Zeitungsverleger.) Am Regierungstisch: der Reichsminister Koch. Präsident Fehrenbach eröffnet die Sitzung nach

1 ¼ Uhr.

Auf der Tagesordnung stehen zunächst Anfragen.

Abg. D. Mumm (D. Nat.) wünscht Auskunft über die Tätigkeit des „Werbedienstes der deutschen Republik“ und der Zentrale für Heimatdienst sowie ihrer Landesabteilungen und fragt, ob durch diese Stellen Reichsgelder zu Parteizwecken verwendet werden. solche Fülle von Einzelheiten, daß sie besser durch mündliche Aus⸗ sprache oder im Ausschuß zur Erledigung gebracht worden wäre.” Zentrale für Heimatdienst hat mit dem früheren Werbediench das geringste zu tun. Sie hat die Aufgabe, die Aufklärung über Politik der Regierung und das Verständnis für die Arbeit Nationalversammlung zu fördern. Eine solche Stelle ist unentbehr⸗ lich, namentlich in einer Zeit, wo ein Appell an die Einsicht der Oeffentlichkeit nicht frucktet. Alle einzelnen Propagandastellen der obersten Heeresleitung und sonstiger Behörden sind zugunsten der Zentrale für Heimatdienst beseitigt worden. Es wird sorgfältigst darauf geachtet, doß die Zentrale nicht die Politik einer einzelnen Partei vertritt. Wenn in einer Schrift von „verrotteter Bureau⸗ kratie“ gesprochen wird, so richtet sich dieser Ausdruck nicht gegen die Beamtenschaft im ganzen, sondern gegen das, was man im engeren Sinne „Bureaukratie“ nennt und in deren Bekämpfung das ganze Haus einig ist. Der Ausdruck „verrottete“ kann nicht gebilligt werden, er ist auch aus der zweiten Ausgabe der Broschüre gestrichen worden. Im übrigen wendet sich die Schrift gegen den Bolschewismus. In einem beanstandeten Flugblatt von Kuttner „Soll Deutsckland ein Tollhaus werden?“ ist nicht an ein roaktionäres, sondern bolscke⸗ Flusblatt „Die Grundgedanken des Sozialismus“ stammt aus dem Jahre 1918 und ist längst vergriffen. Es ist selbstverständlich, daß man sich in den kritischen Tagen um die Wende des vorigen Jabres an die radikal gerichtete Arbeiterschaft mit Schriften aus der Feder ihrer Parteigenossen gewendet hat. Die Plakate gegen den Bolsche⸗ wismus stammten nicht von der Regierung her, sondern von einer gemeinsckaft für staatsbürgerliche und wissenschaftliche Bildung arbeitet nicht mit Reichsmitteln. Die Reichsregierung wird die Zentvale für Heimatdienst als einzige Reichsstelle weiter ausbauen und nimm⸗ hierzu von allen Parteien Anregungen entgegen. 88

Auf eine Anfrage des Abg. Riedmiller (Sez.) über die Rückkehr der in der Schereiz wohnenden Deutschen, die bei Kriegs⸗ ausbruch die Schweiz verlassen haben, um ihre Wehrpflicht zu erfüllen, rklärt ein 8

Vertreter des Ministeriums der auswärtigen

ngelegenheiten, von den betreffenden Deutschen seien bisher 0 zurückgekehrt, etwa 5000 erwarteten an der deutsch⸗schweizerischen enze die Erlaubnis zur Einreise. Für letztere sei eine besondere ürsorgestelle einerichtet, die sich bemühe, die Einreiseerlaubnis für

e Reichsangehörigen zu erlangen. Für Familienväter seien be⸗

re Erleichterungen erzielt worden. Bei der freundlichen Haltung

Schweiz bei früheren Gelegenheiten sei zu hoffen, daß eine

ig der Zustände erreicht werden würde.

Abg. Astor (Zentr.) fragt unter Hinweis guf die Ueberlastung der Gemeinden durch die Zwangswirtschaft und auf die vohen Gewinne der Kriegsgesellschaften, ob die Regierung dahin wirken wolle, daß finanziell bedürftigen Gemeinden und Bürgermeistereiverbänden zur Deckung der Zwanasbewirtschaftungskosten aus den Gewinnen der Kriogsgesellschaften Zuschüsse gegeben werden.

Vertreter des Reichswirtschaftsministeriums Dr. S widert, daß die Ueberschüsse der Kriegsgesellschaften in Re. kasse fließen und somit der Allgemeinheit zugute kommen, und daß Regierung auf die Verwendung von Gewinnen der Kriegsgesellschefter für die Oroanisationen der Länder keinen Einfluß habe.

Der Abg. Dr. Herrmann⸗Posen (Dem.) will seie pegen der Schädigung der vertriebenen Deutschen aus der Provinz Posen durch das polnische Geld, das sogenannte Kosciuskogeld, mit Rüchsicht darauf, daß das Finanzministerium heute nicht vertreten sein könne, direkt an das Ministerium leiten und sich mit einer schrift⸗

Abg. Behrens (D. Nat.) fragt an, ob die Regierung bereit sei, alle Bestimmungen, welche die ländlichen Arbeitoeber hindern, den

vertraasmäßigen, Naturallohnberüge unverkürzt aguszuliefern, sofort aufzuheben, da die durch die Zwangswirtschaft bewirkte Vorenthaltung eines Teiles der Deputatbezüge unter den

Landarbeitern heftige Misstimmung erreat habe.

Vertreter des Reichswirtschaftsministeriums Peters: Den

Wert der Deputate für die Landarbeiter weiß die Reichsregierung

voll zu würdigen; sie verkennt nicht, daß eine ausreichende Ernähvung

der Landarbeiter Beunruhigung von ihnen fern hält und der Streik⸗ gefahr vorbeugt. Bereits durch Erlaß vom 3. Februar 1919 haben alle Landarbeiter als Selbstversorger zu gelten. Durch die Erhöhung der Selbstversorgerration für Brotgetreide auf. 12 Kilogramm, für

Gerste auf 5 Kilogramm für den Kopf und Monat ist die Ernährun

der landwirtschaftlichen Bevölkerung und der Landarbeiter wesecach

vecbessert. In Kartoffeln können zudem die Erzeuger die Deputats⸗

vergütungen über die Selbstversorgerration hinaus decken. So 88

dem Wunsche der Landarbeiter auf erhöhte Naturalbelieferung Rech⸗

nung getragen. Eine völlige Freigabe der Deputate ist mit der öffent⸗ lichen Bewirtschaftung unvereinbar. Dadurch würde die allgemeine

Versorgung ernstlich gefährdet und dem Schleichhandel Vorschub ge⸗

leistet werden, da erfahrungsgemäß die vereinbarten Deputate das

Ernährungsbedürfnis übersteigen. Das durch den Deukschen Landbund

veranlaßte selbständige Vorgehen einzelner Arbeitgeberorganisationen

bezüglich der Deputate wird ernstlich mißbilligt. Gegen dieses nach dem Strafgesetzbuch strafbare Vorgehen wird eingeschritten.

Auf eine Ergänzungsfrage des Abg. Behrens, ob die Regie⸗ rung nicht Klarbeit in dieser Frage schaffen könne, da die Arbeitgeber meinten, daß beim Abschluß der Tarifverträge höhere Deputatbezüge nicht vereinbart werden dürften, erwiderte der Unterstaatssekretär

daß die Ernährungsvorschriften innegehalten werden

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g. Frau Pfülf (Soz.) weist in ihrer Anfrage darauf hin,

Bayern die untersten Klassen der privaten Vorschulen mit Beginn des Schuljahres trotz der Aufhebung dieser Schulen durch die Verfassung wieder voll besetzt worden sind und daß in vielen Orten wie Berlin, München, Nürnberg die Eltern zu einer Willens⸗ erklärung gezwungen werden, wenn sie ühr Kind von der Teilnahme am veligiösen Unterricht und kirchlichen Feiern befreit haben wollen,

während die Verfassung diese Willenserklärung nur verlangt, wenn diese Teilnahme gewünscht wird.

Beilage.)

des Schul⸗ und Bildungswesens in Deutschland anzubahnen.

heitssozialisten

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E—

IE”EIIEI EFortsetzung aus der Ersten Beilage.] I.IFINSSs Unterstaatssekretär Schultz: Zur Aufhebung der privaten Vorschulen muß den Ländern 18 urze Ueberaengefit gewährt werden. Das neue Schuljahr hat in im September, also wenige Wochen nach Inkrafttreten der Verfassung, begonnen. Die Teilnahme an religiösen bleibt der Willens⸗ erklärung des Erziehungsberechtigten überlassen; gegen seinen Willen darf das Kind weder zum Religionsunterricht 1 en, noch von ihm ausgeschlossen werden. Die Fern der Willenserklärung hat die Reichsverfassung nicht vorges ieben, nach allgemeinem Grundsatz aben die Landesbehörden diese Bestimmungen auszuführen; sie bnnen mündliche oder schriftl che Erklärung anordnen oder die Ab⸗ ee der Erklärung durch schlüssige Handlungen zulassen. Die Parteien ben bei der Vereinbarung des Wortlauts der Verfassung zum Ausdruck Fehhhen wollen, daß der Wille des Erziehungsberechtigten, das Kind solle am Religionsunterricht teilnehmen, ausdrücklich er⸗ klärt werden müsse, Die Reichsregierung wisd sich einer dem Sinne der Reichsverfassung entsprechenden Form der Willens⸗ erklärung mit den Landesregierungen in Verbindung setzen.

3 Frau Pfülf (Soz.) weist in einer weiteren Anfra⸗ darauf hin, in dem neuen bayerischen Schulgesetz an der Ver⸗ ordnung festgehalten ist, daß Lehrerinnen mit ihrer Verehelichung aus dem Schuldienst auszuscheiden haben, was mit der Reichs⸗ vnesfng in Widerspruch stehe.

nterstaatssekretär Schultz: Da durch die Rei sverfassung

alle Ausnahmebestimmungen gegen / weibliche Beamte beseitigt sind,

seeht die Vorschrift des brressgen Volksschullehrergesetzes nach An⸗

sicht der Reichsregierung mit Reichsverfassung im Widerspruch.

ie Reichsregierung wird bei der Regierung des Freistaats entsprechende Anregung geben.

Abg. Schiele (D. Nat.) fragt an, ob die Regierung bereit sei, die überaus große Not der Rentenempfänger sofort dedurch etwas zu lindern, daß sie ihnen aus Heeresbeständen neue oder getragene Klei⸗ dungsstücke und Stoffe, Decken oder sonstige noch verwendungsfähige Stücke unentgeltlich zur Verfügung

Vertreter des Reichswirtschaftsministeriums, Geheimer Ober⸗ regierungsrat Dr. Pfeiffer erwidert, daß die Auswahl der vor⸗ Fenveis zu versorgenden Personen in der Hand der Kommunalver⸗

nde liege. Die Preise der Heeresbestände werden nach bestimmten, vom Reichsschatzministerium aufgestellten Grundsätzen festgelegt. Die Bewilligung von Reichszuschüssen könne aus finanziellen Gründen nicht in Aussicht genommen werden.

Abg. Frau Reitze (Soz.) fragt, ob es der Reichsregierung möglich 6 gegen den Holzwucher angesichts der Kohlennot gesetzliche oder andere

aßregeln zu ergrei en.

„Vertreter des Reichswirtschaftsministeriums Dr. Schäfer er⸗ widert, daß der einzelne Feber zu jedem Preise einkaufe, zu dem er Ware erhalten könne; infolgedessen seien die Preise immer höher ge⸗ stiegen. Eine Abhilfe sei durch vermehrten Holzeinschlag geschaffen worden. Weitere Verständigungen mit den Waldbesitzern würden erwogen.

Darauf wird die Beratung des Haus für das Reichsministerium des gesetzt. 2

Abg. Frau Zietz (U. Scz.): Die gestrige Programmrede des Reichsministers des h ihrem Inhalt nach eine Kampfansage an unsere Partei. Die Polizei⸗

walt wird immer noch mit schrankenloser Brutalität und Rücksichts⸗ losigkeit ausgeübt. Die Zeit der schrankenlosen Rüstungen zu Wasser und zu Lande ist ja nun vorüber. Wir haben den Bau von Kampf⸗ schiffen und von Kanonen stets bekämpft, weil wir sie als eine ständig wachsende Gefahr für den Mieden betrachteten. Wir legten stets das Hauptgewicht auf den friedlichen Wettbewerb in Kunst und Wissenschaft. Minister hat Reformen in Aussicht gestellt, um eine Einheitlichkeit Das

gichtigste aber ist der Geist, von dem die ganze Erziehung geleitet sein muß, um die Schüler zu Vollmenschen, zu Perfönlichkeiten heran⸗ zubilden, Menschen, die sich ihrer selbst, aber auch ihrer Verpflichtungen gegen die Gesamtheit bewußt sind. die ein starkes Verantwortlichkeits⸗ gefühl haben. Der Besuch der Einheitsschule muß obligatorisch für alle Kinder werden. Es muß eine Arbeitsschule geschaffen werden, in der beide Geschlechter gemeinsam zu erziehen sind und für beide Ge⸗ ecchter der Aufstieg in die höheren Lehranstalten ihrer Begabung ent⸗ prechend FFnchedch wird. Durch das Schulkompromiß, der Mehr⸗ heits der Demokraten und des Zentrums ist sowohl die Welt⸗ lichkeit als auch die Einheitlichkeit der Schule verhindert worden. Auf einem so schlechten Fundament kann auch kein guter Oberbau entstehen. Der e negcerhg. die die Regierung in Aussicht genommen hat, bringen wir das größte Mißtrauen entgegen. Es ist eine Schande, daß Noske auf jugendliche Ausflügler schießen läßt. Und es nennt sich eine fozialdemokratische Republik! Jede Kindererwerbsarbeit muß restlos beseitigt werden. Durch die Erziehung zum Sozialismus, wie sie bei unserer Jugend erfolgt, wird auch am besten der Schundliteratur entgegengewirkt. Durch unsere Erziehung zur Menschen⸗ und Nächsten⸗ liebe wird unserer Jugend der beste siktliche Hall gegeben. Aber die Regierung hindert diese Erziehung, indem sie unsere Jugendzeitungen perbietet, trotzdem kein Wort der vnfeeäagg darin enthalten ist. Was sagt der Minister des Innern zu diesen Verboten? Die Jugend⸗ bewegung, die von den Unabhängigen und von den Kommunisten geleitet wird, wird von der Regierung so schikaniert, daß es einer Fortsetzung der Praxis unter dem alten Regime gleichkommt. Die reaktionären ge⸗ setzlichen Bestimmungen, auf die sich die frühere Regierung stützte, sind doch durch die Revolution beseitigt! Durch diese Schikanierung der Arbeiterkreise wird nur Erbitterung in die Herzen der Jugend ge⸗ vflanzt. Die gestrige Behauptung, doß in den Reihen der kommunistischen Jugend die Homosexualität verbreitet sei, ist eine un⸗ erhörte Denunziation, derartige Verirrungen sind sowohl bei der un⸗ abhängigen als auch bei der kommunistischen Jugend ausgeschlossen. Durch die Kameradschaftlichkeit zwischen jungen Mädchen und Burschen sind doch solche Auswüchse unmöglich gemacht. Der Kritif an den Kinovorführungen, der Kinopest, stimmen wir durchaus zu. ß

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G Man muß hier gegen die Fabrikanten vorgehen, die solche Films herstellen. Eine Anzahl von Fabrikanten hat. sich jg schon selbst. gegen Schmutz und Schund gewendet. Die Kommunalisierung der Kinos ist das beste Mittel, der Kinopest beizukommen. Hoffentlich erfüllt der Minister sein Versprechen, das Kommunalisierungsgesetz zu verabschieden, recht bald. Betreffs der Schmutzanzeigen verfahren manche Blätter nach dem Grundsatz non olet. Es soll eine Verfügung, eine Vereinbarung be⸗ stehen, wonach Mitglieder der Unabhängigen sozialdemokratischen Partei nicht im Reichsdienst beschäftigt werden sollen. Die Nichtbestätigung des zum Landrat gewählten Genossen Voigtherr scheint das zu beweisen. Eine solche Verfügung muß aufgehoben werden. Der Minister hat die Ueberführung der militärischen Gewalt auf Zivilbehörden und ein neues Schutzhaftgesetz in Aussicht gestellt. Die Schutzhaftschande ge⸗ hört zu den skandalösesten, empörendsten Zuständen. Schutzhaft, Be⸗ logerungszustand und Pressezensur sind ein täglich wiederkehrender Bruch der Gesetze und stehen mit der Verfassung in Widerspruch. Die Nationalversammlung hat als Schöpfer der Verfassung sich noch nicht vazu aufgerafft, von der Regierung zu verlangen, daß sie sich an ihre Verordnungen hält. Der Rückgang 8 gesetzli zwar auch von dem Redner der Hem⸗ raten gefordert, man hörte aber 2 ißständen. Die De⸗

Innern war in ihrer Form zwar höflich, aber

chen Zustand wurde 2

mokraten stützen und verteidigen den Reichswehrminister, der sich nicht um Recht und Gesetz kümmert, sondern sich auf die Gewalt der Ba⸗ jonette und Maschinengewehre verläßt. Die Schutzhäftlinge dürfen nicht einmal mehr mit ihren Verteidigern unter vier.Augen sprechen. Wenn Noske sagt, es seien nur 22 Schutzhäftlinge in Berlin vorhanden, so ist das eine der vielen Unwahrheiten, mit denen wir von ihm regalisiert werden. Würde man die Seelenqualen der Schutzhäftlinge sich vor⸗ stellen können, dann würde man sich der ganzen Frage anders gegen⸗ überstellen. Wieviel Schutzhäftlinge sind schon zum Hungerstreik über⸗ gegangen! (Zuruf der Abg. Frau Brönner (Dem.): Die können ja essen!). Das sagen Siel? Ein junger Student ist bereits verhungert. (Widerspruch.) Er ist ein Kriegsbeschädigter, der nichts weiter getan hat, als für seine Kameraden im Bielefelder Lazarett eine bessere Be⸗ handlung anzustreben. (Widerspruch.) Als der Hungerstreik in der Peter Paulszestung ausgebrochen war, ging ein Schrei des Entsetzens durch die Arbeiter⸗ und alle anständigen bürgerlichen Kreise. Jetzt sagt man, sie können S essen und Wasser trinken. Läßt es sich mit dem Programm des Ministers vereinbaren, dgß er Spitzel unterhält und daß er für alle großen Städte militärische Polizeitruppen schafft? Diese verursachen eine Beunruhigung der Bevölkerung (Lachen), und sie wider⸗ sprechen auch dem Friedensvertrag. Die Arbeiterschaft muß bereit sein, die Republik und den Sozialismus zu verteidigen, ihr Heil liegt in der Weltrevolution.

Abg. D. Mumm (D. Nat.): Auf meine Frage wegen des Religionsunterrichts hat Unterstaatssekretär Schultz eine Erklärung

abgegeben, die mit dem klaren Wortlaut des Art. 149 der Verfassung

im Widerspruch steht. Es soll seitens der Erziehungsbeteiligten aus⸗ drücklich die Willenserklärung abgegeben werden, ob die Kinder am Religionsunterricht teilnehmen sollen oder nicht. Die Verfassung dagegen sagt, daß der Religionsunterricht ordentliches Lehrfach der Schule sein soll. Das bedeutet, daß die Teilnahme die Regel und die Nichtteilnahme die Ausnahme sein soll. Zwischen der zweiten und der dritten Lesung haben allerdings Besprechungen der Fraktionen statt⸗ gefunden, zu denen wir nicht hinzugezogen worden sind. Uns liegen Erklärungen mit Millionen von Unterschriften vor, von Personen, die die Beibehaltung des Religionsunterrichts fordern. Das mende Reichsschulgesetz wird uns noch harte Käümpfe bringen. Da hätte sich die Regierung nicht schon im voraus durch eine solche Interpretation festlegen sollen. Man treibt so einen Kampf in das Volk hinein, den hineinzutreiben man sich zweimal überlegen sollte. (Beifall.)

Reichsminister des Innern Koch: Meine Damen und Herren! Ich glaube, daß zu einer Beunruhigung in dieser Angelegenheit nicht die geringste Ursache vorliegt. (Sehr richtighbei den Sozialdemokraten.) Die Erklärung der Reichsregierung schließt ausdrücklich damit, daß im Benehmen mit den Landesverwaltungen die zweckmäßigste Form festgestellt werden soll, in der die Erklärungen über Teilnahme oder Nichtteilnahme am Religionsunterricht abzugeben sind. Worauf es uns allen als Anhänger religiöser Duldsamkeit ankommen muß, ist, daß wir tatsächlich feststellen, was die Eltern wollen. Wie diese Feststellung erfolgt, wer die Erklärungen abgibt, in welcher Form sie abzugeben sind, das ist eine Frage zweiten Ranges, die, wie mir scheint, im Wege der Verwaltung ohne Schwierigkeiten erledigt werden wird. Wenn der Herr Abgeordnete Mumm als Sachwalter der einen beim Kompromiß beteiligten Partei, des Zentrums, glaubt erklären zu können, daß ihre Auffassung abweiche von der der anderen Partei, die dabei gewesen ist, so bin ich über die Kompromißverhandlungen für meine Person nicht unterrichtet, wie übrigens auch die von dem Herrn Abgeordneten Mumm erwähnte demokratische Fraktion, die damals daran nicht mitgewirkt hat. Die Kompromißverhandlungen sind unter Führung des Herrn Unterstaatssekretärs Schulz geführt, und die Erklärung über die Auffassung, welche die Regierung von dem Inhalte der Verhandlungen habe, beruht auf den Tatsachen, die Unterstaatssekretär Schulz als Leiter dieser Verhandlungen fest⸗ gestellt hat. Ich betone nochmals, daß die Frage in der Erklärung der Regierung keineswegs endgültig entschieden ist, sondern daß wir es als unsere Aufgabe ansehen, in ehrlicher und loyaler Vollstreckung des damals geschlossenen Kompromisses unsererseits den richtigen Weg zur Klärung der Sache finden; ich bin überzeugt, daß dies in den weiteren Besprechungen, die ich über diese Sache mit den Fraktionen und den Ländern führen werde, gelingen wird.

Was im übrigen die Ausführungen angeht, die der Herr Ab⸗ geordnete Beuermann gestern abend noch gemacht hat, so kann ich ihm bezüglich der Pflege der Kriegergräber erwidern, daß nach dem

ezi Friedensvertrag die Pflege der Kriegergräber außerhalb unserer Reichs⸗

grenzen Angelegenheit unserer Vertragsgegner ist, ebenso wie wir

die feindlichen Kriegergräber auf deutschem Boden zu pflegen haben. Es heißt ausdrücklich, daß die alliierten Regierungen und die deutsche Regierung dafür Sorge tragen werden, daß die Grabstätten der auf ihrem Gebiete beerdigten Heeres⸗ und Marineangehörigen mit Achtung behandelt und instand gesetzt werden, und es heißt weiter im Artikel 226, daß jeder Teil die Kosten dafür im eigenen Lande zu übernehmen habe. Im übrigen hat der Herr Abgeordnete Beuermann darin recht, daß in der Tat die für die Unterhaltung der Kriegergräber ausgesetzte Summe eine verhältnismäßig geringe ist. Das hängt mit den Abstrichen zusammen, die der Reichsrat vorgenommen hat. Ich weiß mich eins mit dem Hause, wenn ich erkläre, daß, wenn eine würdige, wenn auch selbstverständlich dem Ernste der Lage entsprechende schlichte Instandhaltung der Kriegergräber mit den dafür aus⸗ geworfenen Mitteln nicht möglich sein würde, alsdann eine Ueber⸗ schreitung der dafür eingesetzten Summe auf keine Bedenken stoßen wird.

Ferner hat der Herr Abgeordnete Beuermann auf die ostpreußi⸗ schen Verhältnisse Bezug genommen und angefragt, innerhalb welcher Frist voraussichtlich die Schäden in Ostpreußen festgestellt sein würden. Ich darf bemerken, daß die Hälfte der Schäden bereits heute festgestellt ist, und daß die zweite Hälfte eim nächsten und übernächsten Jahre, nachdem für eine Vermehrung des Personals Sorge getragen ist, wird festgestellt werden können. Schätzungsweise wird die Summe, die im ganzen für die ostpreußischen Kriegsschäden aufzuwenden sein wird, etwa zwei Milliarden betragen..

Nun zu den Ausführungen der Frau Abgeordneten Zietz. Z0 nächst hat sie zur Begründung des Antrags ihrer Partei, wenn ich sie recht verstanden habe, keine näheren Ausführungen gemacht, und ich kann mich deshalb auch meinerseits wohl kurz fassen und bitten, den Antrag auf eine allgemeine Sozialisierung des Heimwesens abzulehnen. (Zuruf von den Unabhängigen Sozialdemokraten: Darauf wird noch

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der Abgeordnete Kunert eingehen!) Dann will ich jetzt darauf ver⸗ zichten. 1 Die Frau Abgeordnete Zietz hat meinen Aeußerungen zunächst unter⸗ gelegt, ich hätte ein Bedauern darüber ausgedrückt, daß wir nicht mehr in der Lage seien, mit Panzerschiffen Kultur ins Ausland zu bringen. Ich stelle fest, daß weder ein Ausdruck des Bedauerns, noch ein Aus⸗ druck der Befriedigung von mir zu dieser Sache gefallen ist, sondern daß ich lediglich die nüchterne Tatsache festgestellt habe, daß es für uns darauf ankommt, in kultureller Beziehung im Ausland zu wirken (sehr richtig! bei den Deutschen Demokraten), und daran halte ich sest. Ich hoffe, daß die Zeit wo wir und andere Nationen mit Panzer⸗ schiffe wirken werden, verschwinden, daß man sich dagegen in Kulturauf⸗ gaben vereinen wird. Von einem Bedauern kann keine Rede sein.

Von den Verboten, von denen hier die Rede gewesen ist, kann ich nur sagen, daß sie im allgemeinen unter den Belagerungszustand fallen. Wenn hier bei meinem Etat auf diese Frage eingegangen werden solkte, so hätten einzelne Verbote mir vorher zur Kenntnis gebracht werden müssen. Das ist nicht geschehen. Ich muß es ablehnen. auf Einzel⸗ heiten einzugehen, auch in Fällen, wo ich nicht anerkennen kann, daß die Sachlage, wie z. B. bei dem Verbot der Jugendzeitung, tatsächlich so rein gewesen sei, wie Frau Abgeordnete Zietz es hier geschildert hat.

Im übrigen ist es unrichtig, daß ich den Belagerungszustand oder das Schutzhaftgesetz etwa als ungesetzlich bezeichnet hätte. Ich habe erklärt, daß es notwendig ist, besseres Recht an die Stelle des be⸗ stehenden Rechtes zu setzen. Mit einer solchen Erklärung habe ich da bestehende Recht ganz gewiß nicht für ungesetzlich erklärt. (Sehr richtig; bei den Deutschen Demokraten.) Der Belagerungszustar kann zu Recht verhängt werden; das ist bei der Abfassung der Ver⸗ fassung ausdrücklich festgestellt worden. Es wird sich nur darum handeln, an Stelle des veralteten Gesetzes ein neues zu setzen, dessen Aufgabe es aber keineswegs sein kann, den Staat gegen revolutionär⸗ Umtriebe schutzlos zu machen. (Sehr richtig! bei den Deutschen Demo⸗ kraten.) Daß die Polizeitruppen in großen Städten nötig sind, sollte aus den Ereignissen des letzten Jahres jedem unbefangenen Be⸗ obachter klar geworden sein. Ich brauche zur Begründung dieser Not⸗ wendigkeit kein weiteres Wort zu verlieren. 1

Nach der Darlegung der Frau Abgeordneten Zietz habe ich Be⸗ amtenräte gefordert, Arbeiterräte dagegen abgelehnt. Das ist un⸗ richtig! Arbeiterräte, wie sie im Betriebsrätegesetz vorgesehen sind, werden kommen. Es handelt sich hier um die Bekämpfung derjenigen Arbeiterräte, die sich politische Rechte anmaßen und sich an Stelle der Behörden oder Parlamente setzen wollen. (Zustimmung.) Dieser Zustand ist ungesetzlich, und die Regierung wird auch in Zukunft an dem Abbau dieser Einrichtungen zu arbeiten haben.

Von einer Verfügung im Reichsministerium des Innern, wonach keine unabhängigen Sozialisten bestätigt werden können, ist mir nichts bekannt. Eine solche Verfügung besteht nicht. Damit entfallen auch für mich die einzelnen Fälle, von denen der Fall Rudolf wenn ich recht verstanden habe übrigens auch von der Frau Rednerin selbs nicht mit der Zugehörigkeit zur unabhängigen sozialdemokratischen Partei begründet worden ist. (Zuruf der Abgeordneten Zietz: Dochl)

Wnen die Frau Abgeordnete Zietz zum Schluß ihrer Rede er⸗ klärt hat, daß meine Rede eine scharfe Kampfansage an die Arbeiter. schaft gewesen sei, so berufe ich mich auf das Zeugnis des Hauses und kann mir eine weitere Widerlegung dieser Auffassung, vor der mich auch meine ganze Vergangenheit schützen sollte, ersparen. (Sehr richtigt bei den Deutschen Demokraten.) Aber wenn Frau Abgeordnete Zietz in ihren Ausführungen nochmals ausdrücklich festgestellt hat, daß die Arbeiterräte, wie sie sie sich denkt, dazu bestimmt seien, den Kampf gegen den bestehenden Staat zu führen, so würde Frau Abgeordnet⸗ 8 Zietz die letzte sein, die sich über eine solche Kampfansage zu beklagen hat. (Sehr gutt und bravo!)

Hierauf nimmt der Reichswehrminister Noske das Wort, dessen Erklärung wegen verspäteten Eingangs des Stenogramms in der nächsten Nummer d. Bl. im Wortlaute wiedergegeben werden wird.

Ppräsident Fehrenbach: Hätte Frau Zietz dem Reichswehr⸗ minister Lügen vorgeworfen, so hatte ich sie zur Ordnung gerufen. Sie hat nur gesagt, daß Herr Noske die Unwahrheit gesagt habe. (Große Heiterkeit.) b

. Abg. Frau Zietz (UI. Soz.): Wenn der Metallarbeiterstreik nobb nicht beendet worden ist, so trägt in erster Linie die Regierung und die Berliner Polizei die Schuld daran. (Große Unruhe b, d. Mehrheit.) Der Streik ist ausgebrochen, weil die Arbeiter die Herabsetzung ihrer Löhne ablehnten. (Zuruf: Schwindel!) Nicht eine politische Parlei steckt hinter dem Streik, sondern die Gewerkschaft und die General- kommission. Von einem Schutz des Koalitionsrechtes und davon, daß die Arbeiter am Streik nicht gehindert werden dürfen, hört man von Herrn Noske nichts mehr. Ex kennt nichts mehr als seine geliebten Offiziere. Die Streikleitung hatte erst beschlosgen daß Notarbeiten geleistet werden sollen; wenn dann anders beschlossen ist, so ist das die Folge davon, daß in diesem Kampfe die Unternehmer unterstützt werden. Den Ausbau der Streikbrecherorganisation, die man vexschämt „Not⸗ hilfe“ nennt, hat selbst der „Vorwärts“ gefordert. Bisher galt in den sittlichen Anschauungen der Arbeiterschaft als das Verwerflichste, Streikbrecherdienste zu leisten. Herr Noske tritt aber für die Streik⸗ brecher ein und ist selbst mit Herrn Wermuth darüber in Konflikt ge⸗ raten. Diese Rede des Herrn Noske bringt uns wieder einige Tausend Mitglieder ein. (Stürmisches Gelächter bei den Soz.) Herrn Noske, der so wunderbar als starker Mann auftreten kann, ist es das letzte Mall schon sehr schwer geworden, sich bei den Berliner Vertrauensleuten durchzusetzen. Seine Parteigenossen haben über Gustav, den Unüber⸗ windlichen, gespottet. (Heiterkeit.) Wir erkennen ihn nicht mehr als Sczialdemokraten an. Er muß raus aus der Partei. Den Arbeitern werden durch solche Politik mehr und mehr die Augen geöffnet. Die Partei wird Anhänger gewinnen, die allein den Interessen der Arbeiter dient. (Lachem bei den Soz.) Wenn Herr Noske ankündigt, daß er auch weiter das Gesetz brutal mit Füßen treten will, so benimmt si so nicht einmal ein Offizier in Feindesland, und da wünscht Herr Scheidemann eine Einigung der Arbeiterschaft oder Herr Löbe wünscht wevigstens eine Fese eewensehch. Das ist der Anfang der Arbeits⸗ gemeinschaft! (Gelächter bei den Soz.) Die Arbeiter, die für wirt⸗ schaftliche Interessen streiken, will Herr Noske ins Gefängnis werfen. (Lebhafte Rufe: München! Geiselmord!) Es gibt gber Dinge, wy