deswegen die Arbeitgeber die Kaution beanspruchen mußten. Dem⸗ gegenüber weise ich auf die amtliche Auskunft des Landrats hin, der die Verbandlungen in allen Phafen geführt hat und darüber folgendes berichtet:
Daß die Vertreter des Landarbeiterverbandes die erneute Fest⸗
setzung eines Tarisvertrages nur als vorläufige Regelung ansehen,
ist eine durch keine Tatsache gestützte Behauptung.
(Hört, hört!)
Im Gegenteil, sie erklärten verschiedentlich öffentlich bei der Be⸗
sprechung, daß der nunmehr abzuschließende Vertrag bindend sei
und daß er von ihrer Seite auch unbedingt innegehalten würde. (Hört, hört! — Abg. v. der Osten: Bis wann?) — Solange er abgeschlossen ist! Die Dauer des Vertrages wird im Vertrage selbst festgesetzt. (Zuruf rechts: Bis zum 1. März 1920!) — Das ist eine der Vereinbarungen der Kontrahenten. (Zuruf rechts.) — Soviel wissen Sie doch auch! Auf lange Jahre hinaus kann heute keiner Arbeitergruppe zugemutet werden, einen Vertrag zu machen. Wir erleben es doch heute auch bei der Arbeitgeberschast in der Landwirt⸗ schaft, wenn sie eine Forderung in der Preisgestaltung durchgesetzt hat, daß sie nach wenigen Wochen schon unter Hinweis auf die veränderten Verhältnisse eine anderweite Festsetzung verlangt. (Sehr richtig!) Verlangen Sie, daß der Arbeitnehmer sich vielleicht jahre⸗ lang festlegt, während die Preise für alle Lebensmittel und Bedarfsartikel von Woche zu Woche steigen? — (Unruhe und Zurufe.) Wenn sich unter diesen Umständen eine Arbeitergruppe bis zum März nächsten Jahres festlegt, so ist das mehr als ein Verband seinen Mitgliedern gegenüber in jetziger Zeit verantworten kann.
Ich verweise nur auf die Forderungen der Beamten, die ich für ganz berechtigt ansehe im Hinblick auf die Lebensverhältnisse, in denen wir leben. Keine Beamtengruppe erachtet sich jetzt durch eine Zulage auf ein oder zwei Jahre für befriedigt; die Forderungen müssen sich nach den Lebensverhältnissen richten und werden zwangsläufig gestellt, weil sie durch die fortgesetzte Veränderung der Lebensverhältnisse bedingt sind.
Meine Damen und Herren, ich weise auch an dieser Stelle noch darauf hin — in der Kommission habe ich es schon getan —: ist es etwas so Gewaltiges, was den Landarbeitern im Kreise Belgard in dem strittigen Tarifvertrag konzediert worden ist? — Der Ver⸗ trag, über den man sich verständigte und der dann schließlich durch den Regierungspräsidenten auf Grund meiner Verordnung zwangsweise als bindend eingeführt ist, schließt mit einem Jahres⸗ einkommen für verheiratete Landarbeiter von 2400 ℳ ab. (Hört! hört!) Davon sind, wenn ich recht im Bilde bin, 700 bis 800 ℳ bares Geld. Wenn Sie bedenken, daß heute ein Anzug 500 bis 600 ℳ kostet und ein Paar Stiefel 200 ℳ, dann sehen Sie, daß sich der Mann mit seinem baren Jahreslohn kaum ein Paar Stiefel und einen Anzug kaufen kann. Wenn man angesichts dieser Sachlage von ungeheuerlichen Lohnforderungen reden kann, wie es in den Ver⸗ öffentlichungen der Agrarpresse geschehen ist, dann ist das nach meiner Aaffassung eine Irreführung der Oeffentlichkeit, nicht aber meine Darstellung der Vorgänge. (Zurufe rechts.) — Deputat und Wohnung sind den Preisverhältnissen entsprechend angemessen fest⸗ gelegt. Ich habe Ihnen den Vertrag in der Kommission zur Ver⸗ fügung gestellt. (Zurufe und Unruhe.) — Ich habe Ihnen ja den Vertrag zur Verfügung gestellt, und Sie konnten an den Sätzen Kritik üben.
Herr von der Osten hat sich mit großer Entrüstung dagegen gewendet, daß mit dieser Verordnung ein Rechtsbruch verübt sei, daß die Regierung den Rechtsboden verlassen habe. (Sehr richtig! und Zurufe rechts.) Der Rechtsboden ist durch die Verordnung über die Demobilmachung gegeben. Wenn Sie, meine Herren, in der Auslegung dieser Ver⸗ ordnung von meinem Standpunkt, vom Standpunkt des Handels⸗ ministeriums und vom Standpunkt des Reichsarbeitsministeriums ab weichen, gibt Ihnen das kein Recht, im Hinblick darauf, daß man juristisch verschiedener Auffassung sein kann, der Regierung den Vor⸗ wurf des Rechtsbruchs zu machen oder zu sagen, daß sie den Rechts⸗ boden verlaosse. Ich habe nichts dagegen einzuwenden, daß der Antrag des Herrn Dr. Reineke zur Annahme gelangt, allerdings würde ich Sie bitten, die Beschränkung fortzulassen, daß die Nachprüfung ledig lich dem Justizminister aufgegeben wird; denn es handelt sich hier um die Auslegung der Verordnungen der Reichsregierung, und ich würde Sie bitten, daß mir pollständig freie Hand gelassen wird, auch das juristische Gutachten der Reichsjustizbehörden einzuholen, die nach meiner Auffassung die kompetentesten sind. (Widerspruch rechts und Zurufe: Preußen!) Neben Preußen sind am kompetentesten die Reichsbehörden, diese Reichsverordnungen auszulegen. (Lachen und Widerspruch rechts.)
Im übrigen, meine Herren, würde ich Sie doch bitten, die Dinge nicht zu verdunkeln. Der Umstand, daß irgendeine Verordnung bei juristischer Nachprüfung später nicht als rechtsbeständig erkannt wird, ist doch kein Novum in der preußischen Verwaltung. Ich bitte Sie, sich doch einmal dessen zu erinnern, daß oftmals Polizeiverordnungen, auch andere Verordnungen, die jahrelang bestanden haben, auf Grund deren jahrelang Recht gesprochen worden ist, Leute bestraft, an ihrem Vermögen geschädigt worden sind, letzten Endes vom Kammergericht und Reichsgericht als nicht rechtsbeständig aufgehoben worden sind. Da haben Sie hier nicht über Rechtsbruch gezetert. (Lebhafte Zu⸗ stimmung lints, andauernde Unruhe rechts.) Aber das nur nebenbei. Während der Kriegszeit und der Demobilmachungszeit haben wir so unzählige Ausnahmegesetze machen müssen, veranlaßt und gezwungen durch den Ausnahmezustand, in dem wir uns befanden, daß das kein Vorwurf für die Regierung ist, die Ausnahmebestimmungen erläßt.
Meine Herren, noch ein Wort über die Heranziehung des Militärs. Herr von der Osten hat gestern den Anschein erweckt, als ob das Militär nur zum Schutze der Arbeitenden herangezogen sei, und er rief aus: Sollen die Leute denn erst totgeschlagen werden?! Das zeigt, daß Sie, Herr von der Osten, auch hierüber nicht vollständig unterrichtet sind. Ich habe Ihnen ja gestern das Telephon⸗ gespräch und auch das Telegramm des Generalkommandos und des Garnisonkommandos Kolberg vorgelesen, wonach die Truppen zur Verrichtung der Arbeiten herangezogen wurden, nicht zum Schutze der Arbeitenden. Das ist es, wogegen sich der Landrat ge⸗ wehrt und mit Recht gewehrt hat, weil diese Heranziehung des Militärs bei dieser Situation, wo die Fortführung der Arbeit nur an dem Starrsinn einer kleinen Gruppe von Arbeitgebern scheiterte, die Gefahr in sich barg, daß der Streik eine gewaltige Ausdehnung in Pommern und darüber hinaus fände. (Sehr richtig! links.) Die
Vorgänge im Kreise Franzburg und später in Stettin, die Ausbreitung des Streiks durch den Belagerungszustund und die Heranziehung des Militärs im Sommer d. J. sollten uns zu denken geben. Man wollte und konnte es nicht darauf ankommen lassen, in dieser kritischen Situation eine ähnliche Katastrophe heraufzu⸗ beschwören. Weil es so war, hat der Landrat nach pflicht⸗ mäßigem Ermessen nach meiner Auffassung in ganz richtiger Würdigung der Situation verlangt, daß vorläufig das Militär fortbleibt und versucht wird, noch einmal auf die Arbeitgeber einzuwirken, daß sie den Tarifvertrag, der durchaus billig war, ab⸗ schließen und dadurch die Weiterführung der notwendigen Erntearbeit ermöglichen.
Mir ist dann noch zum Vorwurf gemacht worden, daß meine Maßnahme einseitig gegen die Arbeitgeber gewesen sei. Herr von der Osten hat gefragt, warum die Regierung nicht gegen die Kohlen⸗ bergarbeiter vorgegangen sei, als sie streikten. Wenn im Kohlenberg⸗ bau die Fortführung der Arbeit an dem Starrsinn einzelner Arbeit⸗ geber, die sich gegen den Abschluß eines Tarifvertrages sträubten, gescheitert wäre, dann hätte die Regierung — sie mußte es im Interesse der Volkswirtschaft und des Volksganzen — mit aller Energie eingegriffen, und zwar vielleicht noch schärfer als gegen die widerstrebenden Arbeitfgeber in der Landwirtschaft. (Zuruf rechts) Im Kohlenbergrevier waren die Arbeitgeber verständiger, sie waren bereit, Tarifverträge abzuschließen; sie haben sie auch ab⸗ geschlossen. Leider haben sich hier und dort die Arbeitnehmer gleichwohl (lebhafte Rufe rechts: Aha!) durch kommunistische Agitation verhetzen lassen, die Arbeit einzustellen. Das rechtfertigt aber noch keineswegs das Verhalten der pommerschen Landwirte. (Zuruf rechts: Zweierlei Maaß! — Andauernde Unruhe.) — Wenn Sie mit Ihren dauernden Zwischrnrufen fortfahren, zwingen Sie mich, einen anderen Platz bei meiner Rede aufzusuchen. So schwach ist doch wirklich Ihre Posttion nicht, daß Sie glauben, mich nicht aussprechen lassen zu dürfen!
Herr von der Osten hat erneut die unrichtige Behauptung wiederholt, die auch in der Presse wiederkehrt, daß der Streik bereits erloschen sei und die Verordnung nicht mehr notwendig gewesen wäre. Demgegenüber kann ich nur auf den amtlichen Bericht des Re⸗ gierungspräsidenten verweisen, den ich gestern bereits verlesen habe. Da die Verlesung keine Wirkung gehabt hat, muß ich sie heute wiederholen. Der Regierungspräsident schreibt:
Wenn am Abend des 2. September 1919 der Streik unfgehoben ist, so ist dies ausschließlich auf meine den Arbeitnehmervertretern am 2. September 1919 gemachte Zusage geschehen, daß ich nun⸗ mehr den von den Arbeitnehmern gebilligten Tarifentwurf als Zwangstarif erlassen würde. Der Streik war am 2. September noch voll im Gange; ohne meine vorerwähnte Erklärung wäre er fortgeführt und hätte die Einbringung der Ernte wahrscheinlich zum großen Teil in Frage gestellt.
Sie werden mir gestatten, daß ich dieser amtlichen Auskunft des Regierungspräsidenten mehr Gewicht beilege, als der Auffassung und den Kundgebungen der Herren Arbeitgeber vom Schlage des Herrn Herzberg, die diese ganze Sache eingerührt haben. Durch weitere Ausführungen im Parlament werden wir diese Angelegenheit wenig klären. Ich hätte gewünscht, daß uns nach den Ausführungen im Ausschuß und meinen Erklärungen diese Debatte erspart geblieben wäre, nicht weil ich sie fürchtete, denn Sie haben gestern gesehen, daß ich sie nicht fürchte. Aber die Regierung und das hohe Haus haben doch jetzt eine solche Menge von wichtigeren Arbeiten zu er⸗ ledigen, daß es nicht im Interesse unseres Volkes liegt, wenn wir Einzelheiten erörtern, die hier von uns nicht pöllig klargestellt werden können und wobei wir uns kaum bei unseren entgegengesetzten An⸗ schauungen überzeugen können.
Zum Schluß weise ich noch auf folgendes hin: Man hat mich auf Grund meiner gestrigen Ausführungen hier als den Partei⸗ minister, als den Minister einer Partei hingestellt, weil ich erklärt habe, daß ich allerdings zu meiner weiteren Amtsführung neben dem Vertrauen der Mehrheit dieses hohen Hauses des Vertrauens meiner Partei bedarf. Da möchte ich Sie darauf hinweisen: es war früher hier selbstverständlich, daß der Minister zum mindesten das Vertrauen der größten Partei dieses Hauses hatte. Ein Minister, der dieses Vertrauen nicht hatte, konnte sich keine paar Wochen hier halten. (Sehr richtig!) An diesem Grundsatze habe ich festgehalten: das besteht hier heute noch: auch heute noch muß der Minister das Ver⸗ trauen dieses Hauses haben. Inzwischen ist allerdings die Aenderung eingetreten, daß Sie, meine Herten von der Rechten, nicht mehr die größte Partei hier sind, daß die größte Partei jetzt dort auf der Linken sitzt. Aber das ist kein Grund, diesen Grundsatz, den Sie elbst früher als richtig anerkannt und ausgeübt haben, jetzt aufzu⸗ geben. (Lebhafter Beifall links.)
Abg. Mehrhoff (U. Soz.): Die Konservativen, die uns jetzt als neue Jatobiner denunzieren, sind selbst stets die Partei des Zwanges, der Gewalt und des Terrorismus gewesen, der im Interesse einer kleinen herrschenden Schicht brutal gegen das ganze Volk aus⸗ geübt wurde und in letzter Linie die eigentliche Ursache des Welt⸗ krieges gewesen ist. Die Herren Konservativen haben nichts gelernt und nichts vergessen. Die jetzige Anssprache zeigt mit erschreckender Deutlichteit die ungeheure Kluft, welche sich zwischen Produzenten und Konsumenten aufgetan hat, eine Kluft, die sich durch Parlaments⸗ reden nicht überbrücken läßt, die in den Klassengegensätzen der heutigen Gesellschaft wurzelt und sich nicht eher schließen wird, als bis diese Klassen beseitigt sind. Nur durch eine sozialistisch betriebene Land⸗ wirtschaft können wir zu eciner gesunden Volksernährung gelangen. An sich erzielt der Großbetrieb mit weniger Arbeitskräften grötzere Ergiebigkeit. Aber der landwirtschaftliche Großbetrieb ist in seiner heutigen Form rückständig und zur Sicherstellung der Volksernährung unfähig. Seine Leiter und Verwalter sind nicht die richtigen Persönlichkeiten, wenn sie sich auch selbst immer für die geborenen Landwirte gehalten haben. Vielfach treiben sie Schindluͤder mit dem Grund und Boden und machen ihn anstatt der Volks⸗ ernährung privaten Liebhabereien, wie Jagd usw. dienstbar. Der Grund und. Boden ist heute für Kriegsgewinnler und Schieber ein Spekulationsobjekt geworden. Durchschnittlich alle 15 Jahre wechselt jeder landwirtschaftliche Besitz den Besitzer. Tagtäglich werden Rittergüter und Mittelbetriebe zum Kauf ange⸗ boten. Aus der „Deutschen Tageszeitung“ vom 3. Jult ist zu ent⸗ nehmen, daß die meisten Güter und Besitzungen von Nichtlandwirten angekauft werden. Können Leute, die durch unsaubere Manipulationen im Kriege reich geworden sind und ihre Wuchergewinne am vorteil⸗ baftesten dadurch zu verstecken meinen, daß sie sie in Grund und Boden anlegen dem deutschen Volke für die Sicherstellung der Ernährung Garantie geben? Doch gewiß nicht. Die Nationalversammlung hat in Weimar völlig versagt; noch immer haben wir kein Gesetz, das die alte sozialistische und bodenreformerische Forderung erfüllt, den
Wucher mit Grund und Boden zu beseitigen. Der Grund und
Boden, der Besitztum der freien Bauern war, ist zu einem Speku⸗
“
riesige latiousobjekte der Schieber und Kriegsgewinnler geworden.
muß endlich entgegengetreten werden. Nur durch ein großzügiges Siedlungsproblem, aber nicht durch eine Siedlungspolitik der Phantasie und der Illusion kann hier Abhilfe geschaffen werden. Es muß zu einer gesunden Mischung von Groß⸗ und Kleinbetrieb in der Landwirtschaft kommen. Ein Besitz, der zur Aufrechterhaltung des Betriebes 360 000 ℳ z. B. pro Jahr verlangt, wie dies von einem Parteifreunde ausgerechnet worden ist, ist unrentabel. Ein solcher Zustand muß beseitigt werden. Hinsichtlich der Förderung des Wohnungswesens wäre es natürlich das Ideal, jedem Staatsbürger ein eigenes Familienhäuschen zu verschaffen. Das ist natürlich vor⸗ erst nicht möglich. Die sozialrstische Siedlung politik denkt in erster Linie daran, jedem Arbeiter eine gesunde Wohnung auf dem Lande zu verschaffen, und die eigentliche Fläche des Grund und Bodens nach allgemeinen wirtschaftlichen Grundsätzen zu bewirtschaften. Die Landarbeiter müssen nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich das Recht haben, auf die Verwaltung einer Siedlung ihren Einfluß auszuüben. Durch dieses Recht würde jeder Zwischenhandel zwischen Stadt und Land ausgeschaltet und eine niedrigere Preisgestaltung der landwirtschaftlichen Produkte ermöglicht. Es ist gestern das hobe Lied von der Arbeitsunlust gesungen worden; wie liegen aber heute die Verhältnisse auf dem Lande? Die Landarbeiter haben sich noch nie so bewegen können wie sie wollen, die Wohnungsverhältnisse auf dem Lande, in Ostelbien z. B. sind miserabele. Ebenso lassen die Schulverhältnisse auf dem Lande viel zu wünschen übrig. Der Land arbeiter ist überhaupt bisher das Stiefkind in der sozialen Gesetz⸗ gebung gewesen. Die Agrarier sollten alles tun, um die Arbeils⸗ freudigkeit auf dem Lande durch Entgegenkommen den Landarbeitern gegenuͤber zu heben. Vor allen Dingen aber muß die Sicherung der Unabhängigkeit der Landarbeiter durchgeführt werden. Jetzt ertönt immer der Ruf: sofortiger Abbau der Zwangswirtschaft. Die Zwangs⸗ virtschaft ist sicherlich kein sozialistiches Ideal und ist nur ein geführt worden, um während des Krieges einen vorzeitigen militärischen und gesellschaftlichen Zusammenbruch zu verhüten. Unter den Landräten haben einige alles getan, um eine Ernährung des deutschen Volkes ficherzusteleen; dagegen hat der mehrheitssozialistische Landrat Schubert im Kreise Schmalkalden durch sein Auftreten die Ernährungsschwierig⸗ keiten vermehrt. (Hört! hört! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.) Ich bin überzeugt, hätte ein anderer Mann an der Stelle des Land⸗ rats Schubert gestanden, wäre es nicht zum Weneralstreik gekommen. Die Agcarier machen sich nicht das geringste Gewissen daraus, durch Lieferungsstreik ufw. die Ernährungsschwierigkeiten noch zu erhöhen. Ja, in letzter Zeit drohen die Herren sogar mit Verminderung der Landbestellung. Eine solche würde selbstverstänalich zum Ruin des deutschen Volkes führen. Die Lösung aus all diesem Wirrwarr kann nur der Sozialismus bringen und mit dem Sozialismus werden wir siegen.
Abg. Held (d.Vp.): Die Kommunalisierung und Sozialisierung des Grundbesitzes würde dessen Erträgnisse auf das geringste Maß zurückführen, weil jedes persönli he Interesse an der gründlichen Aus⸗ nutzung in Fortfall käme. Auch die vernünftigen Sozialisten geben das zu. Auch wir wollen keinen Bodenwucher und kein Bauernlegen. Gewiß ist es ein grozer Uebelstand, wenn ein Grundbesitzer von der Landwirtschaft keine Ahnung hat, aber es besteht die gesetzliche Mög⸗ lichkeit, den Uebergang von Grundbesitz an Erwerber zu verhindern, die für richtige Bewirtschaftung keine Garantie geben. Der Eraß vom 2. September hat überall auch bei den Bauern ungeheure Aufregung hervorgerufen, auch dort, wo wie in Hannover, Westfalen und der Rhein⸗ provinz der Kleinbesitz durchaus überwiegt. Er ist als ein „unerhörter Ge⸗ waltakt gegen diepersönliche Freiheit des Bauernstandes“ bezeichnet worden. Die Tarifverträge auf dem Lande müssen nicht nur über die Lohne, sondern auch über die Arbeitsmöglichteit und die Arbeitsnotwendig⸗ keiten bindende Bestimmung treffen. Ohne ein persönliches Ver trauensverhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern ist eine ruhige Entwicklung der Verhältnisse auf dem Lande undenkbar. Sollle das Betriebsrätegesetz auch auf die Landwirtschaft ausgedehnt werden, so geht der ganze mittlere und kleinere Besitz zugrunde. Ein In⸗ dustriestaat sind wir gewesen, jetzt ist der Nahrstand der wichtigste, der gllein uns noch retten kann. Ihm muß alle Aufmerksamkeit und Rücksicht zugewendet werden. Ackerbau und Viehzucht sind in ihren Erträgen gegen 1913 ungeheuer zurückgegangen. Die Zwangswirt schaft kann unmöglich wie bisher weiter betrieben werden, sie muß unter allen Umständen für die Viehzucht schleunigst aufgehoben werden. Für Schweine werden heute im Schleichhandel 3000 ℳ bezahlt, ist es da ein Wunder, daß für 450 ℳ Schweine überhaupt nicht mehr abgeliefert werden? Das Versagen der Milchablieferung wurde gestern sehr zu Unrecht auf die passive Resistenz der Landwirte zurückgeführt. Wir haben nicht 9 Millionen Milchkühe, sondern 9 Millonen Rindvieh und nur 41½ Millionen Milchkühe; wir haben daneben den Molkereizwang fast überall, und eine große Menge Milch wird verbuttert, und zu einem Pfund Butter gehören 16 bis 18 Liter Milch. Aus diesen unhaltbaren Zuständen rührt die Milch⸗ not in den Großstädten her. Die ganze Zwangswirtschaft ist überhaupt nur noch em Sieb mit großen Löchern. An Ab⸗ lieferung wird kaum noch gedacht, die Kontrolle ist nahezu un⸗ möglich geworden, dagegen ist im Schleichhandel alles zu haben. Die Landwirtschaft ist im Begriff, sich zu einer einzigen großen Organitatiou durch die Zusammenfassung der sämtlichen Landbünde zusammenzuschließen. Dadurch wird eine Macht entstehen mit der gerechnent werden muß. Schon haben Organisationen von Land⸗ wirten sämtliche Ablieferungen einzustellen beschlossen, bis ihre For⸗ derungen erfüllt sind. Dagegen ist nur mit der raschen Aufhebung der Zwangswirtschaft etwas auszurichten. Jedenfalls muß sie bis auf Kartoffeln und Getreide gänzlich beseitigt werden, oder es muß nach wie vor das zur Ernährung der Bepölkerung nötige Quantum ab⸗ geliefert, aber das darüber hinaus verbleibende QOuantum dem Eigen⸗ rümer zur freien Verfügung überlassen werden. Auch wir verurteilen die Getreideschiebungen nach dem Auslande auf das allerschärffte. Für solche Leute, die sich in dieser Art am deutschen Volke ver⸗ sundigen ist keine Strafe hoch genng. Aber von Seiten der Land⸗ wirtschaft geschieht so etwas nicht. Dem Versuche der Feinde, unter so stark sich vermehrendes Volk zu dezimieren, wie es unzweifel⸗ haft die scharfen Friedensbedingungen bezwecken, müssen wir durch eine bessere Ernährung des deutschen Volkes entgegentreten. Die Zustände im Eierhandel sind unhaltbar. Es müssen zum mindesten einheitliche Eierpreise geschaffen werden. Verschiedene Bundes⸗ staaten erfahren eme bessere Behandlung als Preußen. Es ist offenes Geheimnis, daß hinsichtlich der Viehwirtschaft Olden⸗ burg viel besser gestellt ist als Preußen. In Preußen müssen sich die Landwirte alles gefallen jassen. Auch aus den bayerischen Speisekarten ist zu erseben, daß die Ernaͤhrungs⸗ verhältnisse in Bayern viel bessere sind als in Preußen. Es gebt auch nicht an, daß bei der Verteilung der Gerste in erster Linie Bayern das ihm zustehende Quantum erhält und dann erst Preußen an die Reihe kommt. Ich ersuche den Minister, bei der Verteilung der Gerste ein einheitliches Lieferungsverhältnis herbeizu⸗ führen. Hinsichtlich der Besetzung in den Landwirtschaftskammern muß unbedingt eine Gleichmäßigkeit geschaffen werden. Durch die Verleihung des Promotionsrechts an die Akademie Bonn⸗Poppelsdorf ist den Wünschen dieser Hochschule ja entgegengekommen; es ist aber eine generelle Regelung dieser Frage notwendig. Eine gesunde Land⸗ wirtschaft ist der Grundstein für eme Erhaltung des deutschen Volks. Wenn die Regierung und die Parlamente der Landwirtschaft das richtige Verständnis entgegenbringen, wird dies zum Segen des deutschen Vaterlandes gereichen und dieses daraus die Kraft schöpfen, sich von neuem aufzurichten.
Abg. Peters⸗Hochdonn (Soz.): Wir erkennen durchaus an, daß der Herr Landwirtschaftsminister mit allen Kräften bestrebt ist, die Ernährungsschwierigkeiten des deutschen Volks zu beheben. Unter Fustmmung des gesamten Staatsministeriums hat der Minister seinen
rlaß hinsichtlich der Lieferungspflicht ins Land hinausgehen lassen.
Eortsetung in der Dritten Beilage)
Dem
8 8
utsche
Im allgemeinen Interesse sollte eine Kritik an den Handlungen des Landwirtschaftsministers unterbeiben. Vor dem Kriege hat die Ein⸗ juhr von Nahrungsmitteln 11 Millionen Tonnen im Werte von zwei Milliarden betragen. Es muß ein gemeinsames Arbeiten zwischen Stadt und Land stattfinden. Wer unsere Anträge ablehnt, trägt vor der Geschichte die Verantwortung. Auch wir sind für eine landwirtschaft⸗ liche Ausbildung unserer Jugend, aber diese muß auch den Armen und Aermsten ermöglicht werden. In den Landwirtschaftskammern muß eine gleichmäßige Vertretung aller lanrwirtschaftlichen Kreise stattfinden. Dann polemisiert ver Redner gegen den Abgeordneten Grafen Kanitz, der u. a. mit seinem Hinweis auf die Möglichkeit, daß Deutsch⸗ land sräter wieder Kavalleriepferee gebrauchen lönne abermals im Auslande Zweifel an der Ehrlichteit der deutschen Politik erweckt habe. Der Adgeordnete Mestermämnt habe sich als Demokrat das Lob des Agrariers von der Osten zugezogen. Das sei doch sympiomatiich, wenn man beachte, daß der Pemoelrat Dmmert für seine demokratische Auffassung vom Streikrecht der Eisenbahner die Abfertigung durch seinen Fraktionsgenossen Schmilfan habe biunnehmen muüͤssen. Herr Westermann hatte uber Arbeuslose und Arbeitslosenunterstützung sebr undemokratische Aeußerungen geten. Im Verein mit den Agrariern habe er auch die Zwangrirtschaft aufzubeben gefordert. Für die Sicherung der Volksernähtung mlsse diese bestehen bleiben. Die Sozialdemokraten würden uch vor Varschärfung der Kontrolle und der Strafen gegen Schleichb änd ser nicht zurückschrecken. In unerhörter Weise werde die Aulie zungzuflicht der Landwirie namentlich im Westen vernachlässigt. Die Tarisverträne se en ein Segen fur die Landarbeiter. Die Logerung der Zwangswirtschaft habe der Agrarierhäuptling v. Oldenbutg schon 1918 mn unverantwort⸗ licher Weise mit der Androhung des Produzentenstreiks anzubahnen versucht. 88 Abg. Bergbhaus (Dem.): Hers Von der Osten bezeichnete als Signatur dec jetzigen Zeit „die Herrschaft deß Kavitgli mus“. Das ist derchaus richtia. Auch bei einem Zystemwechsel werden die früheren besseren Zustände nicht wzeperkehren. Dazu steht zu viel zwischen der damaligen und der jeßigen Jeit. Mit Herin von der Osten wünschen wir dringend, doß die Vertehrsverhältnisse nach dem Osten besser werden. Die Aneinbrungen des Abg. Westermann anterschreiben wir. Er hat nicht die sorortige Aufbebung der Zwangs⸗ wirtschaft gefordert, sondern ihren Ahbau in der allernächsten, Zeit. Abg. von der O.sten (dnatk) personlich): Ich stelle gegen⸗ üher dem Minister fest, daß ich nicht hochagrarkonservativen Ideen huldige. vu 1 1 Darauf wird die Fortsetzung der Beratung auf Freitag, 12 Uhr, vertagt (vorher Anfragen).
Schluß nach 6 Uhr.
Parlamentarischer Ausschuß für die Untersuchung über die Schuld am Kriege und an dessen Verlängerung.
3. öffentliche Sitzung vom 23. Oktober 1919. (Bericht des Nachrichtenbüros des Vereins deutscher Zeitungsverleger.)
Die Verhandlungen des lwweiten Unzerausschusses des varlamentarischen Untersuchungsaus schusses nahmen unter starkem An⸗ drang von Abgeordneien aller Parteien ihren Fortgang.
Der Vorsitzende Abg. Wearmuth eröffnete die Sitzung um 10 ½ Uhr Vormittags und stente fest, um irrtümlichen Auffassungen zu begegnen, daß jedes Mitglied des Unterausschusses ein jelbständiges Fragerecht besitzt. 1
Es wird darauf in die Verhandlungen eingetreten und die Ver⸗ nehmung des früheren deutschen Botschasters in Washington Grafen von BVernstorff fortgesetzt.
Vorsitzender Warmutb: Erzellenz haben uns erklärt, daß solange die Friedensvermittlungsakton mit Wilson schwebte, niemals dovon die Rede gewesen in, daß Deutschlands Integrität durch den Friedensvertrag irgendwie angegriffen werden solte. Das ist vohl richtig 2*
Graf Bernstorff: Jawohl! 3
Vorsitzeꝛ der Warmuth: Nun hat in der Senatsbotschaft vom 22. Januar Wilson erklärt, daß es ein einiges unab hängiges selb⸗ ständiges Polen geben solle. So weit als möglich solle auch diesem Volke ein direkter Ausgang zu den großen Heeresstraßen der See gegeben werden. Wo das durch Eiebietsabtetungen nicht erreicht werden könne, solle es durch Neufralisierung der Zugangswege erzielt werden. Mir scheint, daß hier ein Wiiderspruch besteht. Denn wenn ein einiges Polen verwirklicht werden sollte mit einem Korriror zum Meere oder durch Neutraltsierung bestimmter Gebete Deutschlands, dann konnte die Integrität Deutschlanzs unmöglich unversehrt bleiben. Es liegt also ein Widerspruch vor. Ich bemerke, daß diese Botschaft vom 22. Januar zu einer Zeit erging, als die diblomat schen Be⸗ ziehungen wit Amerika noch völlig bestanden, als Sie noch in Washingion waren. Tarf ich um einige Worte der Aufklärung hitten?
Graf Bernstorff: Daß Wilson die Wiererberstellung Polens wollte, bezweifle ich keinesfalls. Aber ob diese Wiederherstellung so weit geben sollte, daß Preußen bezw. Deutschland Gebiete abtreten sollte, würde n.ch meiner Ansicht erst aus den Verbandinngen hervor⸗ gegangen sem. Es wünde sich dabei sicherlich um Komvpensationen gehandelt haben. Denn der Frieden ohne Sieg war nicht unbedingt io aufzufassen, daß genau dieselben Gebtete bestehen bleiben sollten, sondern vaß auch Aenderungen mit entfprechenden Kompensationen vorkommen follten. .
Porsitzender Warmuth: Ist das Ihre persönliche Auffassung oder der Niederschlag ihrer Unterredungen?
Graf Bernstorff: Das ist meine aus den damaligen Ver⸗ handl’ gen hervorgegangene Ueberzeugung. 8
Vors. Warmuth: Es sind also vom Obersten House Aruße⸗ rungen getan worden, daß nicht genau der tatus quo ante wieder⸗ vergestellt werden sollte, sondern daß im Kompensalionswege das eine oder a dere Stück abgetreten werden sollte. Und daß in der Tat ein ungeschwächtes Deutschland erhalten werden sollte.
Gruaf Bernstorff: Das ergab sich von selbst aus dem Pro⸗ Psmmmn Frieden ohne Sieg; deyrn wenn Deutschland Gebiete ohne Kompensationen hätte abtreten sollen, sy wäre das tein Frieden ohne Sieg gewesen.. 2 1
Vorsitzender Warmuth: Hat Oberst Houfe sich zu Ihnen in dem Sinne geäußert?
Graf Bernsorff: Es ist mit mir mündlich in dem Sinne hechasde worden, daß gegenseitige Kompensationen nicht ausgeschlossen
eien.
Abg. Gothein (Dem.): Es wird in den Instruktionen nur pon Zugangswegen für Polen gesprochen. Das wurde die Möglich⸗ keit offenlassen, daß sowohl Danzig wie auch die Zugangewege, so die Weichtel und die Bahnstrecke über Marienburg, an und für sich
n Reichsanzeiger und
„. *
5
Berlin, Freitag, den 24. Oktober
Frage bei den Verhandlungen mit den Vereinigten [Staaten zur Erörterung gelangt? .““
Graf Bernstorff: Auf solche Einzelheiten sind wir nicht ein⸗ gegangen. Die Botschaft des Präsidenten erfolgte am 22. Januar, bald darauf habe ich mit Oberst House eine Unterredung gehabt, in der mir die Friedensvermittlung Wilsons auf der Basis seiner letzten Botschaft angeboten wurde. Diese Tatsache habe ich nach Berlin telegrapbiert. Das war meine letzte politische Unterredung mit House. Ich habe nur noch später ihm die Erklärung des C⸗Boot⸗ krieges überreicht, worauf der Abbruch sofort erfolgte.
Abg. Dr. Schücking: Es ist nicht von einem neutralen Korridor, sondern von einem neutralen Weg geredet worden? Haben Sie es so verstanden, daß damit ein völkerrechtliches Servitut ge⸗ meint war?
Graf Bernstorff: Damals hieß es nur, ein Zugang zum Meer durch Eisenbahnen oder dergleichen sollte erreicht werden.
Vorsitzender Warmuth: Das Gebiet sollte also nicht der deutschen Staatshoheit entzogen werden?
Graf Bernstorff: Nein.
Professor Dr. 52 sch: Haben Sie den Eindruck gewonnen, daß auf amerikanischer Seite Klarheit darüber bestand, wie Polen wieder bergestellt werden sollte?
Graf Bernstorff: Ein klares Programm war in Amerika bierfür nicht vorhanden, das sollte den Verhandlungen unter den Kriegführenden vorbehalten bleiben.
B Auf eine Frage des Sachverständigen Professor Dr. Bonn erklärt
Graf Bernstorff: Ich stehe auf dem Standpunkt, daß die Friedensaktion Wilsons von 1918 mit derjenigen von 1917 gar nichts zu fun hat. Auch damit, daß Wilson in Versailles versagt hat, hat dies nichts zu tun. Das sind vollkommen getrennte Atktionen ge⸗ wesen, en Rückschluß von der einen zur anderen ist ausgeschlossen.
Professor Dr. Bonn: Zunaäͤchst hat also Wilson nach langem Zögern einen Friedenzschritt getan und sich dabei nur ganz allgemein ausgefprochen, das war am 21. Dezember. Dann erhielt er eine Ant⸗ wort der Entente mit deren Friedensbedingungen, unsere wurden ihm nicht bekannt. Daraufhin hat er versucht, etwas zu schaffen, was als Diskussionsgrundlage bezeichnet werden könne?
Graf Bernstorff: Die Botschaft vom 21. Januar sollte meiner Auffassung nach ein Programm sein für eine Besprechung, weiter nichis.
Professor Dr. Bonn: Das Wort „Programm“ deutet auf etwas Positives hin, es handelt sich hier wohl nur um allgemeine Grundsätze. Ein Programm finden wir nachher in den 14 Punkten Wilsons. 1
Graf Bernstorff: Ich bin damit einverstanden, daß man es nicht als Basis, sondern als allgemeine Grundsätze bezeichnet.
Auf eine Frage des Sachverständigen Professor Dr. Schäfer, wie Amerika sich eine Kompensalion auf territorialem Gebiete ohne Annexion habe denken können, führt
Graf Bernstorff aus: Dem Präsidenten Wilson hat nur vorgeschwebt, eine Besprechung zwischen den Kriegführenden herbei⸗ zufuüͤhren. Was dabei berauskommen würde, war natürlich nicht vorauszusehen. Ich habe iamer den Wunsch vertteten, daß Wilson die Friedensvermittlung übernehme, damig der Cintritt der Ver⸗ einigten Staaten in den Krieg verhindert würde. Ich war immer der Ansicht, daß der U⸗Bootkrieg automatisch den Abbruch der deutsch⸗amerikanischen Beziehungen herbeiführen würde, deren auto⸗ matische Folge wiederum der Krieg Amerikas mit Deutschland sein mußte. Der Eintritt Amerikas in den Krieg mußte meiner Ansicht nach unbedingt zum Sie e der Entente führen. Infolgedessen blieb nichts übrig, als eine Verm ttlung Wilsons anzunebmen. Ohne die Hilfe Amerikas konnte die Entente uns überhaupt nicht besiegen. Wäre es unz gelungen, den Krieg mit Amerika zu verhindern, so wäre unter allen Umständen mindestens em Verständigungsfriede zu⸗ stande gekommen.
Vorsitzender Warmuth: Wilson hat es also abgelehnt, sich in eine Veeständigung über territoriale Fragen einzumichen.
Abg. Gothein (Dem.): Ist die veränderte S ellungnahme Wilsons darauf zurückzufüͤhren, daß ihm unsererseits die Mitteilung der Friedensberingungen verweigert wurde? War das Wort „einiges Polen“ so zu versteben, daß zu Palen sämtliche Gebiete mit polnischer Bepölkerung gehören sollten? Wir sprechen auch von einem, einigen Deutschland“, obgleich weite deutschsprachige Gebiete außerhalb Deutschlands liegen. Meint Erzellenz, diß Präͤsident Wisson der Ansicht war, daß die gemischtsprachigen Gebiete in unseren Ostmarken unbedingt zu einem einigen Polen gehören müßten?
Graf Bernstorff⸗ Ich glaube nicht, daß Wilson sich über die Grenzsn damals genauer informiert hat, eine bestimmte Vor⸗ stellung von der Abgrenzung Polens nicht hatte
Professor Dr. Hoetzsch: Ist da nicht ein Widerspruch vor⸗ handen? Gestern hat Graf Bernstorff gesagt, Wilson babe uns niemals zugemutet, auch nur das geringste Gebiet abz trelen, heute beißt es, daß ein einiges Polen geschaffen werden sollte. Die logische Folgerung hiervon ist doch, daß von einer Abtrerung gesprochen wurde.
Graf Bernstorff: Ich wiederhole, daß miec gegenüber in allen Verhandlungen niemals eine Gebietsabtretung zug mutet worden ist. Ueber die polnische Frage habe ich nicht mehr verhandelt, weil es zu Verhandlungen über die Botschast vom 22 Januar überhaupt nicht mehr gekommen ist. Was ich bei den Verhandlungen gesagt rabe, berubte imm r auf der festen Basis von Instruklionen aus Berlin. Zur Botschaft vom 22. Januar hahe ich niemals Jy⸗ struktionen gehabt, wie ich auch nie darüber verhandelt habe. Ueber die preußisch⸗polnische Frage ist nur in allgemeinen Wendungen ge⸗ sprochen worden. “ 1b
Abg Dr. Cohn: Wann erhielten Sie Kenntnis von der Pro⸗ klamation Polens durch die Mittelmächte?
Graf Bernstorff: Zunächst durch die gewöhnlichen Trans⸗ ozeantelegramme, ob sie mir später auch amtlich mitgeteilt worden ist, weiß ich nicht mehr. Jedenfalls hat die Proklamation bei den Verhandlungen mit Wilson keine Rolle gespi li. Wohl aber wurde sie in der amerikanischen Presse lebhaft besprochen. Die deutsch⸗ feindliche Presse hielt sie nicht jür ehrlich, die andere Presse sah in ihr die Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts der Völker.
Professor Dr. Bonn: Es ist genau zu unterscheiden, was Wilson bs zum 31. Januar und was er nachher wollte. Sonst kommt man zu falschen Schlüssen. Bis zum 31. Januar ist Wilson auf einer Linie geblieben. Am 18. Dezemder richtete er eine all⸗ gemeine Einladung an alle Kriegfübrenden, am 22. Januar stellte er in feiner Botschaft bestimmte Grundsätze auf und am 23 oder 24 Januar ging er auch daruͤzer noch hinaus und ließ durch Oberst House einen ganz bestimmten Vermittlungsvorschlag anbieten.
Graf Bernstorff: Das ist richtig.
Piofessor Dr. Bonn: Wollte Wilson, als er seinen Ver⸗ mittlungevorschlag machte, als Gleichberechtigter mit am Verhandlungs⸗ tisch teilnehmen, oder wäre er damit zufrieden gewesen, wenn er die Kriegführenden zusammengebracht hätte?
Graf Bernstorff: Wilson hat mir immer sagen lassen, er wünsche, die Kriegführenden zu einer Konferenz zusam menzubringen. Dann sollte gleichzei ig oder dinterher eine zweite Weltkonferenz statt⸗
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Preußis chen Staatsanzeiger.
Professor Dr. Bonn: Also auf der ersten Friedenskonferenz wollte Wilson weder vertreten sein noch bestimmte materielle Forde⸗ rungen durchsetzen?
Graf Bernstorff: Das hat er stets erklärt. Professor Dr. Bonn: Daraus ergibt sich, daß, wenn die Kriegführenden sich auf einer etwas anderen Grundlage geeinigt hätter, als sie in der Botschaft vom 22. Januar enthalten war, Wilson höchstens auf der zweiten Konferenz etwas hätte machen können, aber nicht auf der ersten. 8 Graf Bernstorff: So war es gedacht. Wilson legte gar keinen Wert auf bestimmte Formulierungen, er würde sich auch mit anderen Formulierungen einverstanden erklärt haben. Er hat sich immer nur für diejenigen Fragen interessiert, die eine tiefgehende Bewegung auch in den Vereinigten Staaten ausgelöst hatten: Freiheit der Meere, Schiedsgerichte und vor allem Aprüstung. 1 Prof. Dr. Bonn: Wenn die Parteien auf der ersten Kon⸗ ferenz sich ohne Wilsons Zutun geeinigt und die Polenfrage anders heioßt hätten, würde Wilson da irgendwelche Schwierigkeiten gemacht aben? . Graf Bernstorff: Das glaube ich nicht. Vorsitzender Warmuth: In der Boischaft vom 22. Januar sind doch aber genaue Forderxungen hinsichtlich Polens en halfen Sollten diese Forderungen für den Frieden nicht eine conditio sine qua non sein? 1
Graf Bernstorff: Ich glaube, daß Wilson auch in der polnischen Frage sich nur ein ganz allgemeines Bild gemacht hat.
Abg. Dr. Schücking: Glauben Sie, daß Wilson, als er seine Botschaft vom 22. Januar aufsetzte, er oder seine näheren Mitarbeiter die eigenartigen gemischtsprachigen Verbältnisse der preußischen⸗ polnischen Provinzen auch nur gekannt hat? 8
Graf Bernstorff: Ich bin überzeugt, daß er sie nicht gekannt hat. (Allgemeine Heiterkeit.) 5
Abg. Dr. Spahn: Später, am 4. Juli 1918, hat Wilson hinsichtlich Polens ganz bestimmte Leitsätze aufgestellt. Glauben Sie nicht, daß diese Leitsätze für Wilson die ganze Zeit hindurch be⸗ stimmend waren? 1 .
Graf Bernstorff: Man muß stets beachten, daß am 31. Ja⸗ nuar 1917 in dem Verhalten Wilsons eine völlige Wandlung ein⸗ getreten ist. Bis zum 31. Januar glaubte Wilson, daß wir einen Verständigungsfrieden wollten. Nach dem 31. Januar aber war er der Ueberzeugung, daß wir nur den sogenannten deutschen Frieden au⸗ nehmen würden, der die uns von der Entente unterstellte Weltherr⸗ schaft enthielt. So exklärt sich pfychologisch diese Wandlung.
Vorsitzender Warmuth bittet den Grafen Bernstorff, nun über die Vorgänge nach der Senatsbotschaft zu berichten.
Graf Bernstorff: Ich habe ein Telegramm von House be⸗ kommen, möglichst rasch nach New York zu kommen. Ueber die Unterredung habe ich telegraphisch berichtet.
Referent Dr. Sinzheimer verliest das Telegramm. In diesem wird erklärt, daß eine Einmischung in territoriale Fragen seitens Amerikas nipt beabsichtigt sei. Es wird um die Mitteilung der deutschen Friedensbedinungen ersucht. Wilson habe erklärt, baß wir moral'sch verpflichtet seien, unsere Bedingungen bekannt zu geben, weil sie sonst nicht als ehrlich angesehen würden. Wilson sei bereit, sie der ganzen Welt mutzuteilen, und er sei üverzeugt, daß damit der Weg zur Frierenskonferenz geebnet würde. Er wäte sehr erfreut., wenn es auf der Grundlage seiner Senatsbotschaft zu der Friedense. konferenz kommen würde. Er hoffe, daß das so rasch geschehen würde, daß unnötiges Blutvergießen vermieden würde. Der Referent Sinzheimer stellt dann fest daß dem Grasen Bernstorff am 16. Ja⸗ nuar offiziell vertraulich mitgeteilt wurde, daß der U⸗Bootkrieg be⸗ schlossen sei, am 31. Januar sollte er eine entsprechende Note über g ben Es heißt in dem Telegramm weiter, daß, wenn jetzt der U. Bootkrieg ohne weiteres begonnen würde, der Präsident das als Schlag ins Gesicht empfinden würde und daß der Krieg mit de⸗ Vereiniaten Staaten unvermeidlich und eine Beendigung des Krieces unabsehbat sei, da die Machtmtttel der Vere niaten Staaten trotz allem, was man darüber sage sehr groß seien. Durch die Konferenz würden wir einen besseren Frieden e’reichen, als wenn sich die Vereinigten Staa en unseren Feinden anschließen würden. —
Graf Bernstorff: Am 30. Januar babe ich die Friedens⸗ bedingungen sofort dem Obersten House mitgeteilt und am nächsten Tage die Erklärung des U⸗Bootkrieges überreicht. Dann habe ich mit niemand mehr verhandelt.
Referent Dr. Sinzheimer verliest dann das Teiegramm des Reichskanzlers von Bethmann Hollweg auf das Telegramm des Grafen Bernstorff. Der Graf wird gebeten, dem Präsrdenten den Dank der kaiserlichen Regierung für seine Mitteilungen auszusprechen. Wir brächte ihm volles Vertrauen entgegen und bäten ihn, auch uns gegenüber das gleiche zu tun. Deutschland ist bereit, die von ihm vertraulich angebotene Friedensvermittlung herbeizuführen und eine direkte Konferenz der Kriegsführenden anzunehmen. Es wird seinen Verbündeten das gl iche empfehlen. Eine öffentliche Bekanntgabe unserer Friedensbedingun en ist jetzt unmöglich, nachdem die Entente Friedensbedin ungen veröffentlicht hat, die auf eine Entrechtung und Verhichtung Deutschlands und seiner Bundesgenossen hinauslaufen, die vom Prä denten auch selbst als unmöglich bezeichnet würoen; als Bluff tönnen wtr si’ nicht auffassen, da sie mit den Reden überein⸗ stimmen, die von den feindlichen Machthabern vor⸗ und nachher ge⸗- halten worden sind. Solange diese Bedingungen aufrecht erhalten werden, würde eine öffentliche Bekannsgabe unserer Friedens⸗ bedingungen als Zeichen der Schwäche angesehen werden und zur Verlängerung des Krieges beitragen. Um Wilson einen Beweis unseres Vertrauens zu geben, teilen wir ihm ganz ausschließlich für seine Person die Bedingungen mit, unter denen wir bereit gewesen wären, in Friedensverhandlungen einzutreten, falls die Entente unser Friedensangebot vom 12. Deze nber angenommen hätte. Diese Bedinagungen sind: Rückerstattung des von Frankreich besetzten Teils von Oberelsaß, Gewinnung einer Deutschland und Polen gegen Rußland strategisch und wirtschaftlich sichernden Grenze, koloniale Restitution in Form e'ner Verständigung, die Deutschland einen seiner Bevölkeru gszahl un? der Bedeutung seiner wiris haftlichen Interessn entsprechenden Kolontalbesitz sichert, Rickgabe der von Deutschland besetzten französischen Gebiete unter Vorbehalt strafe⸗- Fischer und wirtschaftlicher Grenzberich igungen sowie finanzieller Kom pensari nen, Wiederherstellung Belgiens unter betimmten Garantien für die Sicherheit Deutichtands, welche durch Verhandlungen mit der belgischen Renierung festzustellen wären, wirtschaftl cher und finanzieller Ausgleich auf der Grundlage des Austausches der keiderseits eroberten und im Friedensschl“ß zu restituierenden Gebiete, Schadloshaltung der durch den Kr eg geschädigten deutschen Unternehmungen und Privat⸗ personen, Verzicht auf alle wirtschaftlichen Abmachungen und 282 nahmen, welche ein Hindernis für den normalen Handel unn Verke nach Friedensschluß bilden würden, unter Abschluß entsprechender
Handelsverträge, Sicherstellung der Freiheit der Meere. Die Friedensbedingungen unserer Verbündeten, so heißt es weiter, de⸗ wegten sib, in Uebereinstimmung mit unseren Anschauunsen, 8 gleich mäßigen Greuzen. Es wird dann weiter erklärt, daß Deutsch⸗ land berest sei, in die in der Senatsbotschaft erwähnte inter nationale Konferenz einzutreten. Ferner wird betont, wenn das Angebot Wilsons nur wenige Tage vorher erfolgt wäre, so hätten wir den Beginn des neuen U⸗Bootkrieges vertagen können: jetzt sei es
dentsch bleiben könnten. Es ware ja möglich, daß Polen auch durch
Litauen einen Zugang um Meere bekbmmen f Ist diese
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siaden, an der er mit sämtlschen Staaten der Welt teilnehmen wollte und die allgemeinen Fragen zu re eln gehabt hätte.
hierza aus technischen Gründen leider zu spät. Es seien militärische
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