1919 / 246 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 27 Oct 1919 18:00:01 GMT) scan diff

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weiterem Sinne des Wortes zur unausbleiblichen Notwendigkeit machen. Dazu bietet die Reichsverfassung die gesetzliche Grundlage in doppelter Hinsicht, indem sie einmal die Erhöhung von Zweck⸗ steuern für Wasserbauzwecke vorsieht und außerdem die Belastung aller derjenigen, die von Talsperren für den Bau von Schiffahrts⸗ straßen Nutzen haben, mit Beiträgen zu diesen Bauten ermöglicht.

Der wesentliche Fortschritt der durch die Reichsverfassung vor⸗ gesehenen Ueberleitung der Wasserstraßen auf das Reich besteht darin, daß in Zukunft lediglich des Reichs und des Reichstags Wille ent⸗ scheidend ist für die Bauwürdigkeit der Wasserstraßen und die Auf⸗

wendung von Mitteln. Die Reichsverfassung enthält also auch in dieser Hinsicht einen hochbedeulsamen Merkstein auf dem Weg der deutschen Verkehrsentwicklung. Sobald es die Finanzlage des Reiches einigermaßen gestattet, wird im Interesse der Verkehrsentwicklung darauf hinzuwirken sein, durch Erbauung von Kanälen und Tal⸗ sperren, ferner durch Kanalisierung von Flüssen Wasserkräfte zu ge⸗ winnen und für die Erzeugung elektrischer Kraft nutzbar zu machen.

Weitere Fortschritte der Schiffahrtsenbwicklung sind darin zu er⸗ blicken, daß in normalen Zeiten die Selbstkosten der Güterbeförderung auf Wasserstraßen sich dauernd verringern gegenüber den Selbstkosten der Eisenbahnen, zumal die Steigerung der Löhne und der Material⸗ preise auf die Selbstkosten der Eisenbahn bedeutend mehr einwirken als bei der Schiffahrt. Jttzt freilich ergibt sich infolge der Kriegs⸗ wirkungen eine eigenartige Umstellung insofern, als die Eisenbahn⸗ frachten unter den Selbstkosten bleiben, während die Wasserfrachten die Selbstkosten bedeutend übersteigen. Daraus ergibt sich auf der einen Seite der nach Milliarden zählende Fehlbetrag im Eisenbahn⸗ haushaltsetat, wogegen die Schiffahrt als Privatunternehmung begreif⸗ licherweise Gewinne erzielen wollte, nachdem ihr der Gütertransport zwangsweise überwiesen wurde.

Die zukünftige Tarispolitik wird sich mit dem schwierigen Pro⸗ blem zu befassen haben, wie sich das Verhältnis der Frachttarife von Eisenbahn und Schiffahrt zueinander gestalten soll, wobei heute be⸗ kanntlich infolge der Verschiebung der normalen Verhältnisse der Transport auf dem Wasserwege kostspieliger ist als auf der Eisen⸗ bahn. Wird in Zukunft die Verkehrsentwicklung den Wasserstraßen⸗ bau begünstigen, so wird eine angemessene Heranziehung der Schiffahrt zu Kostenbeiträgen durch Abgaben oder Steuern sich nicht

vermeiden lassen.

Das nächste Ziel der Wasserstraßenabteilung des Reichsverkehrs⸗ ministeriums richtet sich auf die Ueberleitung seines Verwaltungs⸗ gebiets von den Ländern in das Reich. Mit den Verhandlungen über die grundsätzlichen und praktisch ebenso wichtigen wie schwierigen Fmoen ist bereits begonnen worden. Es steht auch hier ebenso wie ur das Eisenbahnressort zu erwarten, daß im Interesse von Reich und Ländern sich die Verständigungsverhandlungen zu Vertrags⸗ schlüssen verdichten, da sonst nach der Reichsverfassung die Entscheidung des Staatsgerichtshofes angerufen werden müßte. In engster Verbindung mit diesen Ueberleitungsarbeiten steht die schwerwiegende Vorbereitung der Organisation der Reichswasser straßenverwaltung. Hierbei zwingen die tiefgreifenden Unterschiede zwischen der Verwaltung von Eisenbahnen und Wasserstraßen zu ent⸗ sprechenden Merkmalen. Die Eisenbahnen sind ausschließlich Ver⸗ kehrsanstalten, woraus sich die verhältnismäßig einfachere und schlüssigere Organisation ergibt. Dagegen sind die Wasserstraßen gleichzeitig bedeutsame Mittel zur Förderung der allgemeinen Landes⸗ kultur, sowohl der Landwirtschaft, wie auch der Industrie. Sie sollen keineswegs ausschließlich der Schiffahrt dienen, sondern außerdem auch der Bewässerung, der Wasserentnahme, der Abwässerbeseitigung und der Kraftgewinnung. Hieraus ergibt sich die Abgrenzung der Zuständigkeitsgebiete des Reiches und der Länder, und die Erfüllung der letzterwähnten tiefeinschneidenden Aufgabenkreise war auch! nach der Reichsverfassung der Zuständigkeit der Länder überlassen. Hier⸗ nach liegt es im gleichmäßigen Interesse des Reiches wie auch der Länder, daß eine innige Fühlung der Reichswasserstraßenverwaltung mit den Organisationen der Länder herbeigeführt wird. Gemein⸗ schaftliche Arbeit und zielbewußtes Zusammenwirken zwischen Reich und Ländern wird dabei die beste Gewähr für eine wirtschaftliche Ausnutzung und Verwertung der Wasserstraßen im allgemeinen Inter⸗ esse der gesamten deutschen Nation bieten.

Auch für die Neuorganisation der Wasserstraßenabteilung gilt das nämliche wie für die Eisenbahnabteilung, insofern, als auck hier die Heranziehung und Mitberatung der Schiffahrtsinteressenten im weite⸗ sten Sinne des Wortes beabsichtigt und bereits in die Wege geleitet worden ist. Die bereits für die nächste Zeit in Aussicht genommenen Verhandlungen mit den Schiffahrtsinteressenten sollen die wichtigsten Fragen der Neuorganisation der Schiffahrtsabteilung umfassen. Bei den Besprechungen über die künftige Ausgestaltung der deutschen Binnenschiffahrt sollen die von verschiedenen Seiten gemachten be⸗ achtlichen Vorschläge, die sich besonders auch auf die Regelung des Verhältnisses der Binnenschiffahrt zur Eisenbahn beziehen, einer gründlichen Beratung unterzogen werden. Nach Anhörung der in Betracht kommenden Interessenten und unter Verwertung ihrer viel⸗ seitigen praktischen Erfahrungen soll dann auch an das schwierige Problem der Organisation der Binnenschiffahrt und der Tarifpolitik herangetreten werden. Die berechtigten Interessen der Schiffahrt⸗ treibenden, die in begreiflicher Sorge um ihre Zukunft sind, werden dabei nachdrücklich gewahrt werden.

Meine Damen und Herren, die dritte Abteilung des Reichs⸗ verkehrsministeriums umfaßt die gesamte Luftfahrt und das Kraft⸗ fahrwesen. Die vielfachen und nahen Beziehungen zwischen beiden Verkehrsmitteln legten den Gedanken nahe, die einschlägigen Reichs⸗ aufgaben von einer einheitlichen Abteilung bearbeiten zu lassen. Zu⸗ nächst wird das Reichsluftamt, das bisher dem Reichsamt des Innern laut Erlaß vom 4. Dezember 1918 unterstand, dem Reichsverkehrs⸗ ministerium angegliedert. Das bisherige Reichsluftamt wird aber nunmehr erweitert zu einer Abteilung, die die Bezeichnung „Reichs⸗ amt für Luft⸗ und Kraftfahrwesen“ führt. Die Abteilung wird der Leitung eines aus dem praktischen Leben hervorgegangenen und so⸗ wohl auf dem Gebiete der Luftfahrt wie auch des Kraftfahrwesens hervorragend bewährten und überdies mit Handel und Industrie eng⸗ vertrauten Unterstaatssekretärs unterstellt. Daraus darf die Zuver⸗ sicht hergeleitet werden, daß ganz besonders auch diese Abteilung den neuzeitlichen Verkehrsbedürfnissen angepaßt und mit fachmännischer Kenntnis und Erfahrung zweckmäßig durchgeführt wird. Das Schutz⸗ und Aufsichtsverhältnis über die Versuchsanstalt für Luftfahrt in Adlershof, das bisher vom Reichsministerium des Innern vpessortierte,

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soll nunmehr dem Reichsamt für Luft⸗ und Kraftfahrwesen übertragen werden.

Nach gründlichen Vorarbeiten soll dem Hause ein Gesetzentwurf über das Reichsluftrecht vorgelegt werden, das nicht nur das immer stärker in die Erscheinung tretende Bedürfnis nach reichsgesetzlicher und einheitlicher Regelung des Luftwesens zu erfüllen bestimmt ist, sondern auch für die Regelung der internationalen Beziehungen auf dem Gebiete des Luftrechts hervorragende Bedeutung verspricht. Hier gilt es, mit Mut und Kraft Neuland zu bearbeiten. Die hier⸗ mit betrauten sachkundigen Männer verdienen unser Vertrauen. Das Kraftwesen krankte bisher an einer bedauerlichen Zersplitterung sogar innerhalb der Reichszuständigkeit, indem dabei außer dem Reichspostministerium für seine besonderen Ressortzwecke noch vier andere Reichsministerien, das Reichsministerium des Innern, das Reichswirtschaftsministerium, das Reichswehrministerium und das Reichsschatzministerium zuständg waren. In Zukunft soll lediglich die Verwertung der für fiskalische Zwecke entbehrlich gewordenen Kraftwagen der Zuständigkeit der Verwertungsabteilung des Reichs⸗ schatzministerrums verbleiben. Dagegen soll das Reichsverkehrs⸗ ministerium für die Bearbeitung sämtlicher übrigen Aufgabengebiete zuständig werden. Dieser Zusammenschluß der Aufgabenkreise für da Kraftfahrwesen in der Luft⸗ und Kraftwesenabteilung des Reichs⸗ verkehremimsteriums bietet die einzige Möglichkeit zur erfolgreichen Beseitigung der darin bis in die jüngste Zeit immer stärker hervor⸗ getretenen Uebelstände. Daneben wird das Reichsamt für Luft⸗ und Kraftfahrwesen es als seine Aufgabe betrachten, die hiermit ver⸗ bundenen vielseitigen volkswirtschaftlichen Bestrebungen nachdrücklich

1. hsgt 8

Wahrung der finanziellen Reichsinteressen, die

zu fördern.

Dazu kommt die b dazu führen müssen, daß einheitliche Richtlinien festgelegt werden für die Konstruktionsfvagen, die Beschaffung, Abnahme und Unterhaltung der den verschiedenen Reichsbehörden zur Verfügung gestellten Kraft⸗

1 2 8 4 8 648 Reeeg. 8 o NMbono Entsprechende Verordaungen sind bereiks in die Wege

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wagen. geleitet.

Meine Damen und Herren! An den Schluß meines Verkehrs⸗ programms, das ich heute dem Reichstage zu unterbreiten die Ehre habe, muß ich dasjenige Problem stellen, das jetzt im Brennpunkt des öffentlichen Interesses steht und eine mit den schärfsten Besorg⸗ nissen verknüpfte Frage von weittragender Bedeutung darstellt, näm⸗ lich die Verkehrsnot. 8

Das Aufsichtsrecht vnd die hieraus entspringende Aufsichtspflicht des Reiches gegenüber den nicht im Reichsbesitz s tehenden Bahnen erheischt es gebieterisch, daß sich das Reichsverkehrsmimisterium nach⸗ drücklich mit der Frage der heute bestehenden Verkehrsnot zu befassen hat. Neues Recht ist darin nicht durch die jüngst verabschisdete Reichsverfassung geschaffen. Verstärkt ist dagegen das Interesse des Reiches en der Behebung der Verkehrsnot; denn die höchst bedauer⸗ lichen Verkehrsverhältnisse werden unabweislich ihre Nachwirkungen äußern über den Zertpunkt hänaus, zu dem die Ueberleitung der Styatebahnen auf das Reich verfassungsmäßig vorgesehen ist. Dars us erklärt sich die begreifliche Sorge des Reiches - und zugleich auch das Bestreben, von Reichs wegen nichts zu versäumen, was irgendwie ge⸗ eignet erscheint, der immer bedrohlicher in die Erscheinung tretenden Verkehrsnot zu steuern. 8 Die der Verkehrsnot haben vor allem einen hockpoliti⸗ schen C harakter. Gelingt es nickt, in kürzester Zeit der weiteren Steige⸗ einen Riegel vorzuschieben, so haben wir be⸗ stimmt mit dem Zusammenbruch unseres Wirtschaftslebens und. der Versorgung des deutschen Volkes mit den no twendigsten Bedarfsartikeln zu rechnen. (Lebhafte Zustimmung.) Welche außerpolitischen Folgen ein derartig furcktbarer Zusammenbruch zeitigen würde, werden Sie sich selbst vergegenwärtigen können.

Bei der außerordentlicken Bedeutung dieses, das ganze deutsche Volk erfassenden Problems der Verkehrsnot hat noch än den letzten Tagen auch das Reichskabinet auf gemeinschaftliche Anregung des Neichsve rkohrs ministeriums und des Reichswirtschaftsministeuiums alle bermit im Zusammenhang stebenden Fragen gründlich erörtert. Darauf⸗ bin habe ich als Reichsverkehrsministevn vomn Reichskabinett den Auf⸗ tbag erhalten, gemeinschaftlich mit den in Betracht kommenden Reichs⸗ und preuftschen Ressortmnistern die zur. Regelung der Verkehrsver⸗ hältnisse erforderlichen Maßnahmen in die Wege zu leiten. In Anbetracht der außerordentlichen Wichtigkeit der Sache hat sich der Herr Reickskanzler vorbehalten, dee etwa erforderlicken Sitzungen zu lcüten. Obwehl mir auch heute das Personal zur Bewältigung dieser neuen Aufgabe noch nicht vollzählig zur Verfügung steht, habe ich als⸗ bald unter tatkräftigsten Mitwirkung der übrigen beteiligten Ressorts des Reiches, Preußens und der übrigen Länder mit Staatsbahmbesitz eine Untersuchung darüber eüingeleitet, ob innerhalb der einzelnen Ver⸗ kehrszweige, der Eisenbahn, Schiffahrt, des Kraftfahrwesens, noch eine weitere Steigerung der Leistungen zu erzielen ist. Nach sorgfältigen Vorbereitungen dürfen wir uns darüber nicht himregtäuschen, daß leider richt allzurieh mehr wird herauszuholen sein.

Ausführungen über die Gründe der Verkehrsnot und über die auf dem Sondergebiete der Eisenbahn zu ergreifenden Gegemmaßregeln werden sich heute um so mehr erübrigen, als darüber von dem preußt⸗ schen Herrn Arbeitsminister von kurzem erschöpfende Aufklärung gegeben worden ist. Die Reserven sind im Eisenhahnwesen längst ein⸗ gesetzt und erschöpft. .

Meoine Damen und Herren, meine vornehmste Aufgabe muß es sein, festzustellen, ob über den Bereich der erwähnten cinzelnen Ver⸗ kehrszweige etwas hervorzukehren ist, ob das Ineinandergreifen der

Verkehrszweige gesichert, ob insbesondere die notleidende Eisenbahn

ich Schiffahrt und Krafrwagen nach Maßgabe der Leistungsfähigkeit

Verkehrszweige emtlastet werden kann. Zwar hat der Krieg Ver⸗

ung gegeben, auch die zwangsweise Verteilung der Transporte

zwischen Eisenbahn und Schiffahrt zu bringen, aber es ist nicht aus⸗ geschlossen, daß her mehr bisher geschehen kann.

Zur Vorbereitung der notwendigen Maßnahmen auf verwaltungsrech⸗ nischem und vielleicht auch auf gesetzgeberischem Gebiete und zur Durch⸗ führung der Maßnahmen habe ich eine besondere Abteilung bei meinem Verkehrsministerium gebildet, worin außer den erwähnten Verkehrs⸗ zweigen auch das Reichswirtschaftsministerium vertreten sein soll, das mit den Verfrachtern in Verbindung zu treten hat. Inzwischen habe ich mit allen beteiligten Ressorts ausgiebige Verhandlungen gepflogen und werde das sorgfältig durchberatene Material des von mir ge⸗ bildeten Hauptausschusses und der vier Unterausschüsse über die Ver⸗ kehrsfragen gründlich verwerten. Darüber mögen Sie beruhigt sein:

rung der Verkehrsnot

alle zweckdienlichen Maßnahmen werden unverzüglichh und energisch durchgeführt werden. (Lebhaftes Bravo!)

Meine Damen und Herren, erschreckend ist der Gedanke, welches geringe Verständnis breite Schichten der Bevölkerung der Verkehrs⸗ not und dem hiermit im engsten Zusammenhang stehenden wirtschaft⸗ lichen und finanziellen Niedergange unseres Vaterlandes entgegen⸗ bringen. Erwachen wir nicht endlich von dem wahnwitzigen Taumel der Vergnügungssucht, der volksvergiftenden Spiel⸗ und Tanzwut, dann bleiben alle Mittel zur Steuerung der Nöte unseres Volkes und Landes vergebens. (Sehr richtig!) Rückkehr zum Einsetzen der vollen Arbeitskraft, zur straffen Disziplin und zur spartanischen Ein⸗ fachheit für alle Volkskreise sind die Vorbedingungen für die sittliche Wiedererneuerung. Vaterländische Ehrenpflicht der oberen Stände ist es, den mittleren und unteren Ständen mit gutem Beispiel voran⸗ zugehen. (Sehr rihtig!)

Der unermeßlichen Schwierigkeiten, die verknüpft sind mit der ersprießlichen Bearbeitung des neuen Verkehrsministeriums, ist sich rniemand mehr bewußt als sein in schwerster Zeit an die Spitze ge⸗ stellter erster Leiter.

Was ich aber bereits vor einiger Zeit den Organisationen und den Pressevertretern ausdrücklich erklärt habe, verspreche ich heute der Volksvertretung: mein Amt unparteiisch, streng sachlich und nach bestem Wissen und Gewissen im Dienste des Vaterlandes zu ver⸗ walten. (Bravo!) Dabei hoffe ich zuversichtlich auf die tatkräftige Unterstützung aller Parteirichtungen, aller Organisationen und Ver⸗ bände sowie der gesamten Presse. Für jede Anregung, gleichviel von welcher Seite sie kommen mag, bin ich dankbar. Alle Vorschläge sollen eine sorgsame Prüfung finden. Zugleich erwarte ich von der natio⸗ nalen Gesinnung und dem Solidaritätsgefühl der dem neuen Ressort jetzt und in nächster Zukunft unterstellten Beamtenschaft und Arbeiter⸗ schaft, daß die vom deutschen Volke auf ihre Pflichttreue gesetzten Hoffnungen restlos erfüllt werden. Dann brauchen wir so trübe auch die Gegenwart uns erscheint nicht zu verzweifeln an unseres Volkes Zukunft. Aufrüttelung und Anspannung aller Glieder sind die Heilmethode, um den gestörten Kreislauf des Blutes zwischen Wirt⸗ schaft und Verkehr zu verjüngen und den gebrochenen Volkskörper langsam, aber sicher wieder zu beleben. (Lebhafter Beifall.)

Präsident Fehrenbach macht nachstehende geschäftliche Mit⸗ teilung: Das Haus hatte gehofft, heute eine Ferienpause eintreten zu lassen. Wenn diese reichlich verdiente Pause in der nächsten Woche beginnen soll, so müssen alle Parteien mithelfen, den Etat bis Donners⸗ tag nächster Woche in allen drei Lesungen zu erledigen. Heute müssen wir das Verkehrsministerium zu Ende führen, am Montag und Diens⸗ tag das Wirtschaftsministerium, am Mittwoch, vielleicht schon von 9 Uhr vormittags an, den Heeres⸗ und Marineetat und am Donnerstag die dritte Lesung. Am Sonnabend ist hoher katholischer Feiertag, und da an Sonn⸗ und Feiertagen in Baden und Württemberg keine Per⸗ sonenzüge fahren, so wäre es den süddeutschen Abgeordneten nicht möglich, sofern sie nicht Donnerstag abend abreisen könnten, rechtzeitig in ihrer Heimat einzutreffen. Ein Vorwurf, langsam gearbeitet zu haben, ist den Kommissionen und dem Plenum, abgesehen von einigen Verirrungen (Heiterkeit), absolut nicht zu machen. Nach Ablauf der Ferien, die etwa bis zum 18. November dauern sollen, werden wir an die schwierigsten Gesetze herantreten. Die gegenwärtigen Etats haben uns nicht früher zugehen können, der Heeres⸗ und Marineetat liegt noch nicht vor. Es ist nicht möglich, den Wunsch des Finanzministeriums, die Reichsabgabenordnung jetzt noch zu verabschieden, zu erfüllen, diese, die Reichseinkommensteuer und andere Gesetze müssen dann bis zur Weihnachstpause, die etwa 4 Wochen umfassen wird, erledigt werden. Auf Bemerkungen der Abgeordneten Schultz⸗Bromberg (D. Nat.) und Geyer⸗Leipzig (U. Soz.) bemerkt der Präsident: Bei der Tagung nach dem 18. November handelt es sich nicht um die Erledigung des Etats für 1920/21; damit werden wir kaum vor Februar beginnen können.

Abg. von Payer (Dem.): Alles dieses können wir der Zukunft überlassen. Der Vorschlag des Präsidenten läßt sich durchführen, wenn wir nur wollen. Der gesunde Menschenverstand und die Rücksicht auf uns selbst müssen uns dazu bringen, diesen Willen durchzusetzen. (Beifall.)

Darauf wird die Aussprache über den Haushalt fort⸗ gesetzt. * 9

Abg. Kotzur (Soz.): Bei der Beratung dieses Haushalts können wir nicht auf Erfahrungen fußen. Der Wiederaufbau unseres Ver⸗ kehrswesens heißt Wiederbelebung unserer Wirtschaft. Auch wenn es uns gelingt, zu einer Gesundung unseres Verkehrs zu gelangen, so sind bittere Enttäuschungen doch noch nicht ausgeschlossen. Die bisber einzelstaatlichen Eisenbahnen, die zu Reichseisenbahnen vereinigt werden, befinden sich in trostlosem Zustande. Betriebsüberschüsse gibt es nicht mehr, das Defizit wird für Preußen auf 4 Milliarden be⸗ rechnet. Der mechanische Apparat ist vollständig heruntergesetzt. Schnellzugsverkehr im Osten ist vollständig eingestellt worden, dadurch sind die großen Verkehrsadern von Berlin nach Königsberg, Thorn und Breslau außerordentlich geschwächt. Der Sonntagsverkehr ist vielfach eingestellt, und der preußische (Eisenbahnminister rechnet mit weiteren einschneidenden Maßnahmen. Der Schnellzugsverkehr hat dem Kar⸗ toffel⸗ und Kohlentransport Platz machen müssen. Die Kobhlen⸗ förderung in Oberschlesien hat erheblich zugenommen, die Halden sind gegenwärtig gefüllt, so daß in Oberschlesien sogar schon mit Feier⸗ schichten gerechnet wird. Die Kohlenmengen, die in Deutschland nat⸗ wendig gebraucht werden, müssen abgefahren werden. Im Widerspruch hiermit scheint die Erklärung des Ministers der öffentlichen Arbeiten zu stehen, wonach 55 000 Güterwagen überfluüssig sind. Weshalb hat er nicht die in Oestereich bestbewährte Güterzugbremse eingeführt, der Verkehr würde sich außerordentlich beschleunigen lassen. De Verkehrs⸗ not wird auch vamit begründet, daß wir nicht genügend Lokomotiven und Kohlen hätten. Der Hauptfehler liegt wohl darin, daß wir gegen⸗ wärtig, namentlich im Westen Deutschlands, mit einer, großen Korruption im Eisenbahnbetriebe zu rechnen haben. Ganze Eisenbahn⸗ züge, Waggons und Lokomotiven werden verschoben, einzelnen Beamen werden große Summen Bestechungsgelder bezahlt. Werte im Betrage von 60 Millionen Mark werden allein auf dem Bahnhof Düsseldonf⸗ Reisholz monatlich verschoben. Hier muß mit rauher Hand zugegriffen werden. Dadurch wird eine große Anzahl Wagen und Lokomotiven frei werden. Hier muß ein ernster Wille, vereint mit einem modernen Geist der Verwaltung, helfen. Es scheint, als ob gewisse Stellen mit diesen Zuständen beweisen wollen, daß nur in der Republik der Verkehr nicht klappt, während in einem monarchischen Staarswesen besser sein würde. Ich komme nunmehr zu den Wasserstraßen. Ein Ausbau der Wasserstraßen, der seinerzeit geplant war, ist leider durch das Verhalten der konservativen Partei vereitelt worden. Ich erinnete nux an die geplante Schaffung der Rhein⸗ und Elbeverbindung, fur welche sich ja sogar der deutsche Kaiser energisch eingesetzt hatte, cber trotz dieser einflußreichen Hilfe und trotz des militärischen Hinweists ist es den Konservativen gelungen, den Plan zu hintertreiben. Durch dee Verhinderung des Planes bat die Verbesserung des Güterfrachtenverkehre nicht stattfinden können. Die Konservatiben haben das vatérländische Interesse sozusagen unter das Parteiinteresse gestellt und tragen insofern einen Teil der Hauptschuld an dern jetzt bestehendn schlechten Veybehrslage. Es wäre absolut notwendig gewesen, das Wasserstraßennetz ont⸗ sprechend dem Eisenbahnnetz auszubauen. Die Rückständigkeit, der früheren Zeit zeigt sich auch in der Tätigkeit des früheren Ministers Herrn von Breitenbach. Der Minister verhielt sich sämtlichen ge⸗ machten Verbesserungsvorschlägen gegemüber ablehnend. Herh

¹1. Eortsetzung in der Zweiten Beilage.) .. 112

(Fortsetzung aus der Ersten Beilage.)

Dr. Kirchhof hatte Vorschläge dahingehend gemacht, das gesamte Eisenbahnnetz durch die Vereinfachung der Verwaltung zu verein⸗ fachen, in erster Linie durch die Beseitigung des Vier⸗Klassen⸗Systems. Der Eisenbahnminister war anderer Meinung. Herr Dr. Kirchhof schlug auch vor, den Eisenbahnbetrieb mehr praktisch von inmnen her⸗ aus zu vereinfachen und nicht so bureaukratisch zu gestalten. Auch das hat der Minister abgelehnt. Es sind noch weitere Vorschläge gemacht worden. Aber auch diese sind nicht von dem Minister berücksichtigt worden. Erst vor kurzer Zeit hat der Abgeordnete Gothein im „Ber⸗ liner Tageblatt“ erklärt, es sei notwendig, dem Eisenbahnbetrieb in der maschinentechnischen Abteilung eine frische und energische Kraft zuzuführen und dafür zu sorgen, daß der verhängnisvolle Einfluß der Geheimräte ein⸗ für allemal beseitigt wird. Es ist überhaupt not⸗ wendig, die Verwaltung der Reichseisenbahnen vollständig zu demo⸗ kratisieren. Das Günstlingssystem und die Eifersüchteleien zwischen den einzelnen Bundesstaaten müssen unbedingt verschwinden. Ich möchte dann noch bitten, die großem Gewerkschaftsorganisationen zur Mitarbeict heranzuziehen. Der Ueberleitung der Eisenbahnen der Länder an das Reich, wie sie der deutschnationale Antrag Arnstadt vorschlägt, stimmen wir nicht zu. Es ist auch notwendig, daß den Be⸗ amten und Arbeitern in dem neuen deutschen Verkehrswesen das volle Mitbestimmungsrecht gegeben wird. Dies würde unbedingt die Ar⸗ beitsfreudigkeit erhöhen. Weiter ist notwendig, die schon längst fällige Besoldungsreform schleunigst in Angriff zu nehmen. Die Ge⸗ haltsregelung 1909 war absolut ungenügend und ebenso die Aufbesse⸗ rung während der Kriegszeit. Die Herren auf der rechten Seite des Hauses haben immer die Pflichten dern Beamten, aber nie ihre Rechte betont. Die Herren Reichsminister Dr. David und Erzberger haben ebenfalls eine schleunige Besoldungsreform für unumgänglich notwendig erklärt. Der Wunmsch der Beamten geht namentlich auf Vereinfachung der Gehaltsklassen hinaus. Der Abgeordnete Gothein erklärte noch in seinem Artikel im „Berliner Tageblatt“, es sei unbedingt not⸗ wendig, daß wir uns an den Weltmarktpreis anlehnen, und daß die Kohlenpreise um ein Vielfaches erhöht werden müßten. Die natür⸗ liche Folge wäre eine Erhöhung der Löhne, um überhaupt nur die nötigsten Lebensmittel sich beschaffen zu können . Es ist wünschenswert, daß der Reichsverkehrsminister versucht, die Arbeitsfreudigkeit und Produktionsförderung herheizuführen, nicht durch Zwangsmaßnahmen, wie in der Preußischen Landesversammlung geplant zu werden scheint, sondern durch Demokratisierung der Betriebe, durch Gewährung des Mitbestimmungsrechtes und durch eine großzügige Besoldungsreform. Wir haben heute gehörb, daß die Schuld an der Kohlenkatastrophe zurückzuführen sei auf die trostllosen Zustände in den Eisenbahnwerk⸗ stätten. Hiergegen haben sich viele Arbeiter in der Presse verwahrt. An dem System liege die Schuld. Der frühere Minister von Breiten⸗ bach habe sich geschenrt, Maschinen anzuschaffen, die nötigen Werkzeuge zur Verfügung zu stellen, und auch an Kupfer, Zinn usw. habe es gefehlt. Man verspricht sich von dem Akkordsystem eine Besserung der Zustände. Dos kann nur jemard glauben, der die Dinge nicht richtig beatrteilt. Das Akkordsystem kann nur da eingeführt werden, wo es sich um die Fabrikation neuer Maschimenteile handelt, aber nicht in einem Betriebe, wo Reparaturen vorgenommen werden, von denen man gar nicht weiß, wie lange sie dauern werden. Das Akkord⸗ sistem hat in Sachsen dazugeführt, daß bei der Lohnberechnung un⸗ lautere Manipulationen vorgekommen sind. Ich warne also davor, gegen den Willen der Arbeiter dieses Swystem durchzuführen. Bei der Liquidation der Reichseisenbahnen in Elsaß⸗Lothringen sind viele Arbeiter und Beamte entlassen worden, die noch nicht ausreichende Besckäftigung gefunden haben. Wir müssen die Not der Familien dieser Leute mildern. Ihre Ersparnisse haben sie aufgezehrt, ihre Möbel zum Teil verkauft und leben nun in größter Not. Es sind er⸗ bebliche Mittel hierfür erforderlich. Der Verkehrsminister hat er⸗ klärt, seine Verwaltung werde von einem neuen Geist durchdrungen sein. Hoffen wir, daß es ihm gelingt, das Verkehrswesen so zu ge⸗ stalten, daß diese Betriebe Musterbetriebe werden. (Beifall bei allen

Sozialdemokraten.)

Abhbg. Schirmer (Zentr.): Der Neueinrichtung der Reichs⸗

eisenbahnen stehen wir Bayern mit gemischten Gefühlen gegenüber

wegen der politischen und verkehrstechnischen Rücksichten. Hoffentlich gelingt es dem Minister, die Befürchtungen zu zerstreuen. Dazu aber ist es notwendig, daß die einzelnen Bezirks⸗ und Landesdirektionen ein gewisses Maß von Selbstbestimmung behalten. Dadurch wird die Wirtschaftlichkeit: der Betriebsführung und der Verwaltung ge⸗ steigert; es läßt sich nicht alles von Berlin aus regeln. Wir ver⸗ trauen auf die Zusicherung des Reichspräsidenten, daß kein Land ver⸗ gewaltigt werden soll. Wie weit sind die Verhandlungen über den

Zusammenschluß der Eisenbahnvenvaltungen schon gediehen? In

den Werkstätten wird leider nicht so gearbeitet, wie gearbeitet werden

müßte. Die älteren, gewisstenhaften Arbeitev wollen arbeiten, werden gber von vielen jungen Arbeitern, die sich in politischen Diskussionen üben, daran gehindert. Ist es richtig, daß wir von der Entente eine

Anzahl von schweren Lokomotiven, die sie auf ihren Gleisen nicht

sahren können, zurückbekommen könnten? Jedenfalls stehen in

Frankreich und Belgien eine Menge unserer Wagen und Lokomotiven

auf den Bahnhöfen und drohen dort zu verrosten. Wäre es nicht

möglich, im Wege der Verhandlungen einen Teil von ihnen zurück⸗ zubekommen? Ich gebe es auch fachmännischer Erwägung anheim, 06b wir nicht statt des Neubaus von Lokomotiven den Kreis der

Revaraturarbeiten an älteren noch erweitern können. Mit der Bereit⸗

stellung der Elektrizität für den Betrieb wird es ja nicht so schnell

gehen; aber wir müssen alles tun, um das Verkehrselend schnellstens zu überwinden. Auch die Stadthahn, die Autos und die Lurusautos insbesondere müßten zur Milderung der Verkehrsnot herangezogen werden. Den Personenverkehr könnte man vielleicht auf 8 Tage einmal ganz einstellen, um Kohlen und Lebensmittel zu befördern.

Die Leitung der Betriebsstätten sollte man bewährten Fachleuten

übertragen und sie so ausbauen, daß eine angemessene Verzinsung des

Anlage⸗ und Betriebskapitals gewährleistet ist. Es ist wohl an⸗

gebracht, fün die einzelnen Betriebe besondere Etats aufzustellen.

Geoen das Akkord⸗ und Prämiensystem verhalte ich mich nicht so

ablehnend wie der Voxrredner. Ich erinneré auch an den Beschluß der

veußischen Landesverfammlung, die für die Umgestaltung der Werk⸗ tätten die Wiedereinführung dieses Systems empfiehlt. Natürlich ann das nicht ohne Genehmigung der Arbeiter geschehen. Man soll

, ihrien nicht aufzwingen. Die fleißigen Arbeiter aber wünschen es

sglbst, sie haben keine Neigung, mit den Nichtstuern aleichzustehen.

Sorgen Sie, Herr Minister, daß wir aus der Verkehrsnot bald

rauskommen.

Hierauf nimmt der Reichsverkehrsminister Dr. Bell wiederum das Wort, dessen Erklärung wegen verspäteten Eingangs des Stenogramms in der nächsten Nummer d. Bl.

im Wortlaute wiedergegeben werden wird.

Abg. Zöpvhel (Dem.): Aus vollem Herzen schließe ich mich vamens der Fraktion den Worten der Tei nahme des Ministers für e Odfer des großen Eisenbahnunglücks in Oberschlesien an. Auch wir sind bereit alle Mittel zu bewilligen, die zweckmäßig sind, den gus Eisaß⸗Lothringen vertriebenen Beamten in Dentschland ein neues

neuen Beruf zu Cuffen. Dem Programm des

Ministers hätte ich persönlich etwas weniger Gerippe, etwas mehr Fleisch gewünscht; lieber etwas weniger Grundsätze und etwas mehr konkrete praktische Aufgaben. Denn so ganz in dem Werdezustand können die Aufgaben doch kaum 1— sein, die bis zum Frühling 1921, bis zum Uebergang der Staatsbahnen an das Resch, gelöst werden müssen. In das Reichsvertkehrsministerium hätte meiner Auffassung nach auch die Post einbezogen werden können und müssen, jetzt wird diese Versäumnis kaum nachgeholt werden können; zu groß wäre das Mmisterium dadurch nicht geworden es fragt sich nur, mit welcher Frische und Kraft der Mann an der Spitze die Dinge meistert und die entstehenden Konflikte löst. Die Besorgnis, daß es sich bei den Reichseisenbahnen nur um ein verlängertes Preußen handeln würde, scheint mir nicht begründet. Soll das neue deutsche Eisenbahnwesen günstig gedeihen, so muß es von vornherein das an Sachtunde Er⸗ forderliche mit hineinziehen, was dafür genügende Bürgschaft bietet.

Abg. Deglerk, Dnat.: Als im Jahre 1876 Fürst Bismarck für die Verreichlichung der Eisenbahnen eintrat, wurde er neben dem Zentrumsführer Windthorst von der Linken außerordentlich stark an⸗ gegriffen, während die rechtsstehenden Parteien politischen Weitblick zeigten. Heute hat sich hinsichtlich der Verreichlichung der Eisen⸗ bahnen das Bild geändert. In der Zeit des größten Elends soll dieser Gedanke Wirklichkeit werden. Man vergißt heute die glänzenden Leistungen unserer Bahnen beim Ausbruch und während des Krieges. Überall, bis nach Kleinasien, waren deutsche Eisenbahner zu finden. Für diesen Dienst am Vaterlande müssen wir dem ge⸗ samten Eisenbahnpersonal auch heute noch herzlichsten Dank aus⸗ sprechen. Um so schmerzlicher berührt mich der zersetzende Einfluß der Revolution, der einen Teil der Arbeiter und sogar der Beamten nicht verschont hat. Diese Elemente bringen die großen Sympathien des deutschen Volkes den Eisenbahnern gegenüber in Gefahr. Diese Elemente müssen ausgemerzt werden. (Sehr wahr!) Die Eisen⸗ bahner können unseren wirtschaftlich kranken Volkskörper wieder gesunden lassen. Der Gedanke, das gesamte Verkehrswesen Deutsch⸗ lands mit Einschluß der Post unter einen Hut zu bringen, ist zweifel⸗ los verlockend. Es ginge auch an, wenn das Verkehrsministerium sich auf allgemeine Richtlinien und auf die Beamten⸗ und Arbeiter⸗ politik beschränken würde. Gegen das Reichseisenbahnamt besteht eine gewisse Abneigung, es gilt als tote Behörde. Das preußische Eisenvahnministerium verfügt über eine Betriebslänge von etwa 40 000 Kilometer, die Bundesstaaten über eine solche von 17 567 Kilometer, da sollte die einheitliche Gestaltung der Ver⸗ kehrsanlagen dem preußischen Ministerium übertragen werden, der preußische Minister sollte zum Mitglied des Reichskabinetts gemacht werden. Weshalb man von dieser ursprünglichen Absicht abgegangen ist, entzieht sich meiner Kenntnis, plötzlich fand sich im neuen Kabinett ein Verkehrsminister ein. Sein Ministerium ist ein Kopf ohne Rumpf, es fehlt ihm der Apparat zur Durchführung seiner Aufgaben. (Sehr richtig! rechts.) Der Minister bezeichnet sein Ministerium als einen Rahmen, dem das Bild noch fehlt. Was würden sie von einem Manne halten, der sich einen Rahmen kauft, ihn zwei Jahre an der Wand hängen läßt und sich dann erst das Bild anschafft? (Heiterteut.) An die Spitze dieses Ministeriums hätie man einen allerersten Fachmann stellen mussen, wenn auch im Ausschuß Finanzminister Erzberger uns in seiner überrage den Weisheit (Heiterkeit) entgegengehalten hat, daß im alten Regime auch solche Dummheiten gemacht worden seien. General Budde sei auch tein Eisenbahnfach⸗ mann gewesen. Da besteht doch ein wesentlicher Unterschied. Budde hatte Jahre lang die Eisenbahnabterlung des Heeres geführt und auch ein wichtiges Buch über die Leistungen der Eisenbahn im deutsch⸗ französischen Kriege herausgegeben. Trotzdem waren die Rechtsparteien mit seiner Ernennung nicht einverstanden. Es ist wirklich nicht nötig, daß die revublikanische Regierung gerade die Fehler der alten Regierung mitmacht. Budde hatte zudem eine gut eingerichtete Be⸗ hörde weiterzuleiten hier handelt es sich um etwas ganz Neues. Wenn jetzt eine Reihe von Ausschüssen eingesetzt wer en soll, so muß diesen aber auch die Möglichkeit gegeven werden, zu arbeiten. Mir als Fachmann wird manches bekannt was andere nicht erfahren. Nach meinen Informationen, die ich beim Abend⸗ schoppen erhalten habe (Heiterkeit), sieht es so aus, als ob die Einigkeit zwischen Reichs⸗ und preußischer Eisenbahnverwaltung nicht gar so groß ist. In der wichtigsten Abteilung des Reichs⸗ verkehrsministeruums ist der preußische Einfluß sehr start in den Hintergrund geschoben, fast ganz ausgeschaltet worden. Dies ist eine große Wunde im Verkehrskörper unseres Voltes, sie kann dazu führen, daß unsere Verkehrsanstalten zusammenbrechen und nur noch ein Scherbenhaufen werden. In dem wichtigsten Ausschuß, dem Ueberleitungsausschuß, sollte Preußen ausschlaggebend sein. (Zwischenruf des Abg. Schirmer.) Weitestgehende Rücksichten auf die Interessen der süddeutschen Staaten werden genommen. Es soll im Mmisteriem eine besondere Kraftfahrabteilung gegründet werden. Reichswehrminister Noske hat dem Reichsverkehrsministerium 30 ,000 Autos zugesagt. Es sind aber bisher nur 86 eingegangen, und die noch ohne Fuüͤhrer. (Hört! Hört) Wichtige Erfindungen, so die zur Vermeidung von Kesse stem und der neue Plom benverschluß für Güterwagen sollten schleunigst zur Einführung tommen. Tausende unserer kranken Lotomotiven können dadurch wieder betriebsfähig gemacht und die Wagenberaubung kann eingeschräntt werden. Abg. Kotzur hat hier eine reine Agitationsrede gehalten, auf diesen anrüchigen Speck beißen die Mäuse aber nicht an. (Große Unruhe links.) Wir wollen die Lebensdauer der Nationalversamm⸗ lung nicht verlängern, wir sehen den Neuwahlen mit Ruhe entgegen. Sie wollen die Nationalversammlung verewigen (Abg. Hoch: Das lügen Sie! Große Unruhe rechts.) Wenn Abg. Kotzur die Konser⸗ vativen wegen der Kanaltrage angriff, so sind das „olle Kamellen“, den nicht anwesenden Minister von Breitenbach hätte er nicht an⸗ greifen dürfen. Die Kirchhoffschen Vöorschläge sind auch von anderen be⸗ deutenden Fachmännern abgelehnt worden. genser Antrag auf Einsetzung eines parlamentarischen Beirats beim Verkehrsmmnisterium sollte an⸗ genommen werden, der preußische Eisenbah minister hat den gleichen Wunsch ausgesprochen. Vorbedingung für das Mitbestimmungsrecht ist Aufrechterhaltung der Autorität und straffe Zucht. Gehen diese Grund⸗ pfeiler perloren, dann geht das ganze Verkehrswesen zum Teufel. Bezüglich der Besoldungsreform hat der Reichsverkehrsminister seine Unterstützung in Aussicht gestellt. Ich hoffe, daß er auch dann für die den. Beamten zustehende Stellung eintreten wird. Beträge in so lächerlich niedrigem Betrage, als sie ausgeworfen waren, überhaupt auszuwerfen, hat absosut keinen Wert. Wenn die Lage des deutschen Volkes so schnell gebessert werden würde, wie die Beratungen im Ausschuß über das Reichsverkehrsministerium, dann tönnte es sehr zufrieden sein. Heute werden die Gesetze häufig so schnell durchge⸗ peitscht, daß man mit den sachverständigen Kreisen kaum noch Fühlung nehmen kann. Wir behalten uns unsere Stellungnahme zu dem Ge⸗ halt des Ministers vor. (Vizepräsident Löbe ruft den Abg. Hoch wegen des Zwischenrufes „Lüge“ zur Ordnung.)

Sodann ergreift abermals der Reichsverkehrsminister Dr. Bell das Wort; auch diese Rede kann wegen verspäteten Eingangs des Stenogramms erst in der nächsten Nummer d. Bl im Wortlaute veröffentlicht werden. Abg. Bock (U. Soz.): Auch ich hätte gewüngeat daß die Technik bei der Zusammensetzung des Ministeriums stärker berücksichtigt worden wäre. Von den Beiräten verspreche ich mir nicht viel, in Preußen sind sie ohne jeden Einfluß. Die Verwaltung muß eutbürokratisiert nnd

demokratisiert werden von unten hinauf bis in die höchsten Stelle Es genügt für das Aufrücken nicht, daß jemand die Hochschulbank ein paar Jahre gedrückt hat. Was meint der Minister damit: es muß fest zugegriffen werden? Die Autorität des oberen Beamten wird nicht dadurch gestärtt, daß er den Untergebenen anschnauzt, sondern dadurch, daß er ihm ein Vorbild der Tüchtigkert ist. Das feste Zu⸗ greifen empfehle ich dem Minister gerade gegen solche Beamte, die ihre Untergebenen als Menschen zweiter Klasse behandeln. Die an⸗ geblichen Hetzer und Aufwiegler find oft gerade die Arbeiter, di den Mut haben, für die Interessen ihrer Kollegen kraftvoll ein⸗ zutreten. 1 1

Damit schließt die allgemeine Aussprache.

. Dei det jsung gibt 28 Anfragen der Ab⸗

geordneten Allekotte (Zentr.) und Ollmert (Zentr.) der

Reichsverkehrsminister Dr. Bell zwei weitere Erklärungen

ab, die in der nächsten Nummer d. Bl. im Wortlaute wieder⸗

gegeben werden. . Der Haushalt des Neichsverkehrsministeriums wird darauf

in allen Teilen bewilligt. Schluß ¼7 Uhr. Nächste Sitzung Montag 1 Uhr. (H.

halt des Reichswirtschaftsministeriums.)

8 Der Schluß der Jagd auf Rebhühner, Wachteln und schottische Moorhühner wird für den Landespolizei⸗ bezirk Potsdam auf den 17. November 1919 festgesetzt.

Handel und Gewerbe.

Wien, 25. Oktober. (W. T. B.) Das Staatsamt der Finanzen veröffentlicht eine Bekanntmachung, der zufolge es die Novemberfälligkeiten der allgemeinen und der österreichischen Staatsschuld unter den in der Bekannt⸗ machin des Staatsamtes vom 12. Oktober für den Ankauf der Oktoberfälligkeiten bestimmten Voraussetzungen ankaufen wird. Die am 1. November eintretenden Fälligkeiten gewisser Schuld⸗ gattungen der Staatseisenbahngesellschaft, der Kaiser Ferdinands⸗Nordbahn und der Nordwestbahn, bleiben ausgeschlossen. Hinsichtlich dieser Eisenbahnschulden wird im An⸗ schluß an die Verhandlungen mit den beteiligten Staaten dahin ge⸗ trachtet, sobald wie möglich zu einer Vereinbarung zu gelangen, die die Einrichtung eines provisorischen Schuldendienstes bis zur endgültigen Aufteilung dieser Staatsschulden regelt. 8

Wien, 25. Oktober. (Meldung des Wiener Korr.⸗Büros.) Die von den Abendblättern aus der „Bohemia“ übernommene Mel dung, daß der Staatssekretär Reisch am 1. Januar 1920 die Ausgabe einer neuen, der lateinischen Münzunion angegliederten Währung plane, entbehrt jeder Begründung. 1

Budapest, 26. Oktober. (W. T. B.) Das „Ungarische Tel.⸗Korr. Büro“ teilt mit: Die Eigentümer der Schul verschreibungen ersten Kriegsanlethe, die ihre Schule’v rschreibungen fün Jahre hindurch unter Sperre hatten, waren nach den damaligen Zeich⸗ nungsbedingungen bis spätestens 1. November derart zu kündigen daß ihnen ihre Forderung binnen eines Jahres im Nennwert zuruck ezahl werde. Das hierbei zu ve folgende Verfahren hätte der Ki anzminister im Juli 1919 regeln sollen, was jedoch wäührend der Rateberrsekaft nicht geschah. Der Finamzminister hat, wie das Amtsblalt meldet, verfügt, daß die neue Frist, innerhalb deren die gesperrten Schuld verschreibungen der ersten Kriegsa leihe gekündigt werden können sowte das dabei zu berolgende Verfahren in einem späteren Zeitpankte festgestellt werden sollen. 8

Versailles, 25. Oktober. (W. T. B.) In Basel hat Belgien eine Mustermesse veranstaltet, die von der beigischen Gesandtschaft in Bern begünstigt wird. 8

Paris, 23 Oktober. (W. T. B., (Verspätet eingetroffen.) Ausweis der Bankt von Frankreich: Gold in den Kassen 3 596 870 000 (gegen die Vorwoche Zun. 317 000) Fr., Gold im Ausland 1 978 278 000 (unverändert, Fr., Barvorrat in Silber 283 833 000 (Abn. 1 (37 000) Fr., Gathaben beim amerrkanischen Staats⸗ schatz 621 600 000 (unverändert) Fr., Guthaben im Ausland 797 199 000 (Zun. 378 000) Fr., vom Moratorium nicht betroffene Wechsel 1 013 645 000 (Zun. 6 591 000) Fr., gestundete Wechsel 671 919 000 (Abn. 5 694 000) Fr., Vorschüsse auf Wertpapiere 1.305 088 000 (Abn. 22 078 000) Fr., Vorschüsse an den Staat 25 600 000 000 (Zun. 250 000 000) Fr., Vorschüsse an Verbündete 3 710 000 000 (unverändert) Fr., Notenumlauf 36 768 745 000 (Abn. 30 621 000) Fr. Schatzguthaben 79 344 000 (Zun. 8 676 6 Fr., Privatguthaben 3 030 223 000 (Zun. 267 958 000) Fr.

Berichte von auswärtigen Wertpapiermärkten Wien, 25. Oktober. (W. T. B.) An der Börse machte die Aufwärtsbewegung, unterstützt von ausländischen Kaͤufen und Deckungen zum Wochenschluß, weitere erhebliche Fortschritte. Der Verkehr gestaltete sich andauernd lebhaft, wobei wieder die ungari⸗ schen und tschechischen Werte bevorzugt wurden. Auch den heimischen Bankpavieren wendete sich in erhöhtem Maße Interesse zu, was mit geplanten Maßnahmen für die Sicherung der Kriegsanleibe begründet wu de. Sehr beträchtliche Steigerungen vollzogen sich ferner in der Mehrzahl der im Schranken gehandelten Papiere. Die Börse schloß durchweg sehr fest und angeregt. Auf dem Anlagemarkte waren Notenrente und Pfandbriefe begehrt. Nachbörslich stiegen Kredit⸗ aktien bis 977. Anglo⸗Austria⸗Bank bis 632. Alpine Montan bis 1470. 6 Wien, 25. Oktober. (W. T. B.) (Börsenschlußkurse.) Türkische Lose 915,00, Ortentbahn —,—, Staatsbahn 1588,00, Suüd⸗ bahn 232,50. Oesterreichische Kredit 955,00, Ungarische Kredit 1184,00, Anglobank 608,00, Unionbank 648,00, Bankverein 604,06, Ländern⸗ bank 844 00, Tabakaktien —,—, Alpine Montan 1422 00, Prager Eisen 4970,00, Rima Muranyer 1580,00. Stodawerke 1392,00, Salgo Kohlen 1798,00, Brüxer Kohlen 4000,00, Galtzia 4550,00, Wassen 2705 00, Llopd⸗Aktten 5900,00, Poldihütte 1450,00, DVaimler 1649,00. Oesterreichische Goldrente 188,50, Oefterreichische Kronenrente 86 50, Februarrente 91,50, Matrente 91,50, Ungarische Goldrente 224 00, Ungarische Kronenrente 95,00.

Wien, 25. Oktober. (W. T. B.) Notierungen der Deutsch⸗ Oesterreichischen Devssenzentrale. Berlin 38000 (G., Amfrerdam 3950,00 G., Zürich 1900,00 G., Kopenhagen 2295,00 G., Stockholm 2560,00 G., Chrtstiania 2430,00 G., Markaoten 379,00 G.

Prag, 25. Oktober. (W. T. B.) (Devifenkurse.) Berlin 133,75 G., Marknoten 130,75 G., Wien 33,00 G. 8 London, 23. Oktober. (W. T. B.) 5 % Kriegsanleihe 95 ½,

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