1919 / 278 p. 6 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 04 Dec 1919 18:00:01 GMT) scan diff

völkerung teilen. Wie jeder einzelne Bürger in Deutschland an diesem Hilfswerk Anteil nimmt, so schlägt auch in jedem einzelnen von uns das Gefühl der Dankbarkeit für diesen hochherzigen Akt wahrer Menschenliebe, der für immer in unserer Erinnerung bleiben wird. Meine Mitbürger und ich vereinigen uns in den innigsten Wünschen für Deutschlands Glück und Wohlergehen. Wir bitten Sie, Herr Präsident, der Dolmetsch dieser unserer Gefühle beim deutschen Volke zu sein. .

Gestern vormittag fand in Wien die angekündigte Konferenz des Staatskanzlers und der Staatssekretäre der wirtschaftlichen Ressorts mit den Vertretern Frankreichs, Englands, Amerikas, Italiens und Japans statt. Der Staats⸗ kanzler Dr. Renner richtete, wie „Wolffs Telegraphenbüro“ meldet, an die Gesandten die Bitte, ihre Regierungen und die Pariser Konferenz um Antwort auf folgende Fragen zu er⸗ suchen: 1) Ist die Friedenskonferenz geneigt, einen Tag zwischen dem 10. und 15. Dezember zu bestimmen, an dem der ö und die beteiligten Staatssekretäre ihre Bitten persönlich in Paris vorbringen könnten, um die unmittelbare Entscheidung zu erreichen? 2) Steht die Erledigung wenigstens der Kreditfrage ohnedies schon in den nächsten Tagen bevor, so daß eine diesbezügliche mündliche Vorbringung in Paris ent⸗ fallen könnte? b

„Ighnn der Konferenz erklärte der Staatssekretär für Volksernährung, Löwenfeld⸗Ruß, sofortige Hilfe durch Zuschub von Getrelde für den Monatsbedarf von 50 000 Tonnen, ferner die Gewährung eines VBalutakredits sowie Bereitstellung des erforderlichen Fracht⸗ raums für unbedingt bö. Die Gesandten Allizé und Marquis Toretta erklärten, daß Italien mit der Verschiffung von 10 000 Tonnen bereits begonnen habe, und daß eine günstige Ent⸗ scheidung über die Verschiffung weiterer 20 000 Tonnen Getreide in kürzester Zeit zu erwarten sei. Die Bezahlung dieser Getreide⸗ 88 werde aus dem von dem 48 Milliarden Dollars Kredit Wherrührenden Rest von ungefähr 4 Milliarden Dollars er⸗ folgen. Der Staatsfekretär für Handel und Gewerbe Zerdik schilderte die trostlose Kohlenlage. Der Gesandte Allize teilte den Beschluß des Obersten Rates mit, daß 250 000 Tonnen Kohlen monatlich aus Oberschlesien an Oesterreich zu liefern seien. Ferner 18 die französische Regierung 3000 Waggons der tschecho⸗ slowakischen Regierung zur Sicherung der Kohlentransporte an Oester⸗ reich zur Verfügung gestellt. Der Vertreter des Staatsamtes für Verkehrswesen, Sektionschef Enderes legte die traurige Waggon⸗ lage dar. Der englische Gesandte Lindley wies auf den Weschluß des Obersten Rats hin, eine interalltierte Kommission einzusetzen, welche die Transportfrage zwischen Oesterreich und den Nachfolge⸗ staaten regeln soll. Der Staatssekretär für Finanzen legte die katastrophalen finanziellen Folgen dar, welche die Beschaffung der Lebensmittel gegen Barzahlung für die österreichischen Staatsfinanzen habe. Der amerikanische Oberkommissar Halstaad erklärte namens seiner Kollegen, daß sie die vorgetragenen Wünsche ihren Regierungen sofort übermitteln würden.

Der Staatskanzler Dr. Renner betonte zum Schluß der Aussprache die Einmüligkeit der Nationalversammlung und der Staatsregierung, den St. Germainer Friedensvertrag zu erfüllen, aber zuerst müsse das ökonomische und politische Da⸗ sein Oesterreichs gesichert werden.

„Politisch befinden wir uns“, sagte der Staatskanzler, „mit unseren Nachbarstaaten in immer besseren Beziehungen. Nur eine einzige politische Gefahr besteht, die in den letzten Tagen aufgetaucht ist, und die unsere materielle Not noch gewaltig verschärfen kann: Der Schweizer Bundesrat hat Vorarlberg ermutigt, von Deutsch⸗ Oesterreich abzufallen. Die österreichische Regierung hat alle moralischen Mittel aufgeboten, um das Land von einer solchen Ent⸗ cheidung abzuhalten. Wird von den Alliterten nicht rasch die Hoff⸗ nungslosigkeit solcher Unternehmungen ausgesprochen und jedermann klargemacht, daß derartige Versuche aussichtslos sind, dann wird die Anschlußbewegung weitergreifen. Dann aber ist das Subjekt, das den

ga schlossen hat, nicht mehr vorhanden. Wien wäre so isoliert, erzweiflungsausbruch der Wiener Bevölkerung zu befürchten

In Beantwortung einer Anfrage des großdeutschen Abgeordneten Angerer in der Nationalversammlung, betreffend Bela Khun, verwies der Staatskanzler Dr. Renner auf die Drohungen der russischen Sowjetregierung, Geiseln zu nehmen und Vergeltung an deutsch⸗österreichischen Staatsangehörigen in Rußland zu üben, und bemerkle, diese Erwägungen legten nahe, die paar Dutzend fremder Leute in Karlstein in sicherer Internierung zu halten, um nicht ebensoviele Zehntausende österreichische Staatsangehörige in Rußland zu gefährden.

Der Oberste Rat beschloß der „Agence Havas“ zufolge, d Kommission zu ernennen, die mit der Verteilung des rollenden Materials unter die verschiedenen Sukzessionsstaaten Oesterreichs beauftragt ist. Dieser Beschluß wird nach der Rückkehr Loucheurs nach Paris, der in dieser Angelegenheit zu befragen ist, ausgeführt werden. Der Rat wurde davon be⸗ nachrichtigt, daß die alllierten Vertreter in Bukarest von der rumänischen Regierung eine Mitteilung erhalten haben, in der sie auf die Schwierigkeiten aufmerksam macht, in denen sich Rumänien, namentlich infolge der Ministerkrise, befindet.

Italien.

Nach der Wahl des von der Regierung aufgestellten Kandidaten Orlando zum Präsibenten der Kammer wählte diese vorgestern zu Biteprastgenten den Deputierten und ehemaligen Minister de Nava, ferner die Deputierten Meda, Ciuselli und Berenini.

Der Sozialist DTreves erklärte anläßlich der Besprechun der Zwischenall⸗ vom Dienstag in der Kammer, daß 88 alf gemeine Arbeiterbund, die sozialistische Parteileitung und die sozialistische Kammergruppe beschlossen hätten, den General⸗

streik in allen Städten Italiens am Mittwoch um Mitternacht

abzubrechen. . Belgien.

Die beiden Kommissionen der Konferenz der 2 einigungen für den Völkerbund haben 9. „Agence Havas“ zufolge verschiedene Anregungen als Anträge unterbreitet, barunter ein Ersuchen, daß so rasch wie möglich im Interesse des Völkerbundes Gebrauch gemacht werde von der Bestimmung in Absatz 2 Artikel 4 des Paktes von Paris, der gestattet, die ständige Vertretung des Rates zu 'rweitern.

Im Landsthing brachte die Oppofitionspartei eine An⸗ frage ein bezüglich der Haltung der dänischen Regierung gegen⸗ über der Lösun der nordschleswigschen Grenzfrage. Der Ministerpräsident Zahle sagte in seiner Antwort laut Meldung des „Wolffschen Telegraphenbüros“ u. a.:

1867 wurden in Flensburg für Dänemark 67 Prozent Stimmen aüsegeben, und geschieht dies auch heute, wollen wir es mit Freuden aufnehmen. Stimmt aber die Mehrheit in dieser deutschsprachigen * timmung zu verlangen und danach das Ergebnis unberücksichtigt zu lassen. Ich stebe vollständig auf dem Boden des Friedensvertrags, der die Volksabstimmung vorschreibt. Der Ministerpräsident wieder⸗ holte dann seine frühere Erklärung, daß die Entscheidung über Flens⸗ burg gegebenfalls den Wählern in Dänemark vorgelegt werden solle. Wenn die Voltsabstimmung in Dänemark gegen die Regierung aus⸗ falle, werde das Ministerium zurücktreten.

Der Führer der Linksradikalen Kragh beantragte folgende

Indem das Landsthing den lebhaften Wunsch ausspricht, da das Abstimmunge ebiet in Nordschleswig in so großem iegene an Dänemark fallen möge, wie mäglich ist durch die Bestim⸗ mung des Friedensvertrags, wonach die Grenze gezogen werden soll auf Grundlage des Abstimmungsergebnisses und unter Be⸗ rücksichtigung der wirtschaftlichen und geographischen Verhältnisse der Gebiete und indem das Landsthing seine Mißbilligung darüber ausspricht, daß die öffentliche Erklärung des Minister⸗ präsidenten nur geeignet ist, diesem Ziel entgegenzuarbeiten, geht das Haus zur Tagesordnung über.

Die Tagesordnung wurde mit 38 gegen 25 Stimmen angenommen. Die Stellung der Regierung wird durch di Abstimmung des Landsthings nicht berührt.

Amerika.

Der Präsident Wilson erklärt in seiner Botschaft an den Kongreß, wie „Reuter“ berichtet, daß der Friedensvertrag später in einer besonderen Botschaft besprochen werden wird. Er gibt allgemeine Ratschläge für die Maßnahmen zur Be⸗ kämpfung der hohen Preise, der unruhigen Stimmung in der Arbeiterwelt und des Radikalismus sowie zur Zurückführung des Lebens der Nation auf Friedensgrundlage. Außerdem empfiehlt Wilson eine Neuregelung der Zölle und sagt, wenn die Vereinigten Staaten ihre Ausfuhr, für die Europa jetzt nicht in Gold zahlen könnte, beizubehalten wünschten, so müßten sie die Einfuhr erleichtern. In der Botschaft werden alle Be⸗ strebungen der Arbeiter in sehr sympathischer Weise besprochen. Zum Schluß richtet Wilson an alle diejenigen, die die Resform durch Unordnung und Revolution zu stören suchen, ein Wort ernster Warnung.

Laut „Preßbüro Radio“ fordert Wilson in seiner Bot⸗ schaft an den Kongreß ein endgültiges Programm zur Herbei⸗ schaffung einer Besserung der Lage in der Arbeiterwelt. Er erklärt, das Recht des Einzelnen zum Streik bleibe unangetastet. Es bestehe jedoch ein alles überragendes Recht, nämlich das Recht der Regierung, das gesamte Volk zu schützen und ihre Macht gegen die Herbeiführung eines Krieges anzuwenden. Die im Völkerbund niedergelegten, die Arbeiterfragen betreffenden Grundsätze böten den Weg zum Frieden und zur Versöhnung in der Industrie.

An einer anderen Stelle der Wilson⸗Botschaft heißt es:

„Die neue Welt, in der wir lehben, ist voller Hoffnung und Aus⸗ sichten für das amerikanische Geschäft, wenn wir nur die Vorteile, die sich uns bieten, ergreifen. Der Krieg hat unserer Abgesondertheit ein Ende bereitet und uns eine ernste Pflicht und Verantwortung übertragen. Der Handel der Vereinigten Staaten muß sich auf dem Weltmarkt ausdehnen.“

Das amerikanische Repräsentantenhaus hat den Gesetzentwurf, in dem die Blldung einer amerikanischen Korporation zur Finanzierung der Ausfuhr gutgeheißen wird, angenommen.

Nach einer „Reutermeldung“ aus El Paso (Texas) haben tausend Soldaten unter Villa, um für die Hinrichtung Angeles Rache zu nehmen, am 28. November nördlich von Santa Rosalia (Chihuahua) einen Angriff auf das 18., mexitanische Regiment gemacht. 674 Soldaten wurden niedergemetzelt, nur zwei sind entkommen.

Statistik und Volkswirtschaft. Arbeitsstreitigkeiten.

Die Verhandlungen der paritätischen Kommission, die zur Beilegung des Allgemeinausstands im Bitter⸗ felder Revier eingesetzt war, sind zum Abschluß gekommen. Es wurde, wie „W. T. B.“ mitteilt, ein 8 Punkte umfassendes Protokoll vereinbart, dem die Betriebsräte bereits zugestimmt haben. Danach werden 3 bis 4 Arbeiterführer von den Antlinwerken nicht wieder üngeseßt. Die Einstellung weiterer Arbeiter unterliegt einem Schiedsspruch. Der für den Buß⸗ tag gezahlte vohn muß wieder zurückerstattet werden. Streiktage werden nicht bezahlt. Maßregelungen finden nicht statt. Der Mtlitär⸗ befehlshaber wird nach der Aufnahme der Arbeit dem Reichswehr⸗ minister die Aufhebung aller militärischen Anordnungen empfehlen.

Nach einer von „W. T. B.“ übermittelten Meldung der „Agenzia Stefani“ aus Rom erscheinen wegen des Ausstands der Setzer die Zeitungen mit Ausnahme des „Popolo Romano“ und des „Osservatore Romano“ nicht. Die öffentlichen Verkehrs⸗ mnetanet ftchcen arbeiten trotz des Allgemeinausstands wie gewöhnlich. Auf der Piazza Termini, wo sich Kund⸗ gebende hatten, wurde auf die Carabinieri gefeuert. Diese erwiderten das Feuer. Es gab einen Toten und sechs Verwundete.

Theater und Musik.

Im Opernhause wird morgen, Freitag, zum ersten Male „Susannens Geheimnis“, Intermezzo in einem Akt, Musik von Ermano Wolf⸗Ferrari mit Fräulein Schwarz und Herrn Ziegler, welcher vom Beginn nächster Spielzeit ab der Staatsoper verpflichtet ist, in den Partien des jungen Ehepaares sowie mit Herrn Philipp in der stummen Rolle des Dieners aufgeführt, Vorher und nach⸗ her erfolgt je eine Ballettvorführung, nämlich: Klein Ida’s Blumen“ nach dem Andersen⸗Märchen, Handlung und Musik von dem deutsch⸗dänischen Tonsetzer Paul von Klenau, und

Ferner sollen die einzelnen Vereinigungen durch die Konferenz

aufgefordert werden, in ihren Ländern für die Abrüstung Pro⸗ paganda zu machen, um die öffentliche Meinung ihrer Länder für diese zu gewinnen. Die einzelnen Regierungen sollen weiter aufgefordert werden, für die nächste Konferenz bereits

praktische Maßnahmen vorzuschlagen. Schließlich wird be⸗ antragt, daß die Verhandlungen der Konferenz als abgeschlossen angesehen und erst dann in Brüssel wieder aufgenommen werden sollen, wenn Amerika dem Völkerbund beigetreten sisist.

„Silhonetten“, Tanzszenen von atten zu Licht, von Heinrich Kröller. Die musikalische Leitung der Oper hat der Generalmusik⸗ direktor Leo Blech, des Klenauschen Ballets Dr. Stiedry und der „Sil⸗ houetten“ der Kapellmeister Otto Urack, Spielleiter der Oper ist der Re⸗ gisseur Holy; die Anordnung und Einstudierung der beiden Ballettauffüh⸗ rungenthat der Ballettmeister Heinrich Kröller vom Münchener National⸗ theater als Gast übernommen. In „Klein Ida's Blumen“ sind be⸗ schäftigt Fräulein Bvwitz (Titelrolle), Fräulein Peter als Rosenkhnigin, Herr Molkow als Student, in „Silhouetten? in erster Linie Fräulein Peter und Herr Kröller als Gast,

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Stadt für Deutschland, bin ich dagegen, daß die Stadt an Dänemark Keine Politik ist unverständiger, als die, zuerst eine Ab-

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in beiden Veranstaltungen ferner das Ballettpersonal. Dekorative Ausstattung zu „Susannens Geheimnis“ von Paul Aravantinos⸗Berlin, die Gesammtausstattung zu „Klein Ida's Blumen“ von Ludwig Kainer⸗Berlin. Die Gewandentwürfe zu den „Silhouetten“ von Emil, Pirchan⸗München. Technischer Bühnenleiter ist Georg Brandt; die Gewänder sind in den Werkstätten der Staatsoper unter Leitung von Bruno Köhler hergestellt. Anfang 7 Uhr. Schauspielhause wird morgen „Egmont“ in be⸗ kannter Besetzung wiederholt. Spielleiter ist Dr. Reinhard Bruck. Anfang 6 ½ Uhr.

In den Kammerspielen des Deutschen Theaters findet Anfang nächster Woche die Erstaufführung von Strindbergs „Advent“ statt.

Am Sonnabend, den 20. Dezember, Nachmittags 3 Uhr, veran⸗ staltet das Deutsche Opernhaus ein Hilfswerk für die Wiener Kinder. Es findet eine Aufführung von Humperdincks Oper „Hänsel und Gretel“ statt. Da das gesamte Personal auf jede Entschädigung verzichtet hat, kann der volle Erlös für den obengenannten wohltätigen Zweck zur Verfügung gestellt werden.

Gesundheitswesen, Tierkrankheiten und Absperrungs⸗ maßregeln.

Nachweisung über den Stand von Viehseuchen in Oesterreich am 19. November 1919. (Auzzug aus den amtlichen Wochenausweisen.) Maul⸗ 2

Räude üSchweine⸗ Rotlauf und der (Echeftime⸗ der

1 Einhufer] sewche) Schweine

Zahl der verseuchten

Gemeinden Gemeinden

[2 Nr. des Sperrgebiets V

Niieederösterreich 3 2 2 447 1 Oberösferreich . 5 44 Salzburg... 27 65 1 Steiermark 20 41 2 8 6/ 14 34 23 29 3 5 28 57] 251 1 Kärnten. —33 26 113

2 1 24 167 1 Tirol .

v1“

. 1 . 33 367] 44] 187 1 1 2 13 34 Vorarlberg. 61] 290]% 27 88 Zusammen Gemeinden (Gehsfte):

„Rotz 3 (7), Maul⸗ und Klauenseuche 321 (2100), Räude der Einhufer 559 (1797), Schweinepest (Schweineseuche) 87 (185), Rotlauf der Schweine 76 (132). 1

Außerdem Lungenseuche des Rindviehs im Sperrgebiet Nr. 12 in 1 Gemeinde, 2 Gehöften.

Pockenseuche der Schafe und Beschälseuche der Zuchtpferde sind nicht aufgetreten.

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(Fortsetzung des Nichtamtlichen in d uund Zweiten Beilage.)

Opernhaus. (Unter den Linden.) Freitag: 253. Daver⸗ bezugsvorstellung. Dienst⸗ und Freiplätze sind aufgehoben. Zum ersten Male: Susannens Geheimnis. Intermezzo in einem Akt. Musik von Ermano Wolf⸗Ferrari. Musikalische Leitung: General⸗ musikdirektor Leo Blech. Spielleitung: Karl Holy. Vorher: Klein Idas Blumen. Nach dem Märchen von Andersen. Handlung und Musik von Paul von Klenau. Musikalische Leitung: Dr. Fritz Stiedry. Ballettleitung: Heinrich Kröller. Nachher: Silhouetten. Tanzszenen von Schatten zu Licht, von Heinrich Kröller. Musikalische Heägnns. Otto Urack. Ballettleitung: Heinrich Kröller. Anfang

r.

Schauspielhaus. (Am Gendarmenmarkt.) Freitag: 268. Dauer⸗ bezugsvorstellung. Dienst⸗ und Freiplätze sind aufgehoben. Egmont. Trauerspiel in fünf Aufzügen von Goethe. Musik von Beethoven. Musikalische Leitung: Edmund von Strauß. Spielleitung: Dr. Reinhard Bruck. Anfang 6 Uhr.

Sonnabend: Opernhaus. 254. Dauerbezugsvorstellung. Dienst⸗ und Freivlätze sind au ’ö Susannens Geheimnis. Vorher: Klein Idas Blumen. Nachher: Silhouetten. An⸗ fang 7 Uhr. e;

Schauspielhaus. 269. Dauerbezugsvorstellung. Dienst⸗ und Freiplätze sind aufgehoben. Maria Stuart. Trauerspiel in fünf Aufzügen von Friedrich Schiller. Spielleitung: Dr. Reinhard Bruck. Anfang 6 ½ Uhr.

Familiennachrichten.

Verlobt: Frau Irmgard von Brigxen, geb. von Sepdlitz⸗Kurzbach, mit Hrn. Hauptmann Eberhard von Weyhe (Hannover).

Frl. Gerda von Marquard mit Hrn. Rittmeister d. Res. a. D.

Werner Walther⸗Weisbeck (Darmstadt —Rittergut Wegeleben, Ostharz). Frl. Elisabeth von Müller mit Hrn. Regierungs⸗ rat Kurt Benske (Ansbach Danzig⸗Langfuhr).

Gestorben: Hr. Geheimer Oberregierungsrat Gustav Lambeck (Berlin⸗Schöneberg). Frau Cacilie von Haeseler, geb. von

Oertzen (Schwerin i. M.).

Verantwortlicher Schriftleiter: Direktor Dr. Tyrol, Charlottenburg.

Verantwortlich für den Anzeigenteil: Der Vorsteher der Geschäftsstelle, Rechnungsrat Mengerina in Berlin.

Verlag der Geschäftsstelle Mengerina) in Berlin. Druck der Norddeutschen Buchdruckerei und Verlagsanstalt. Ian. Berlin. Wilhelmstraße 32.

Vier Beilagen (einschließlich Börsenbeilage) und Erste, Zweite und Dritte Zentral⸗Handelsregister⸗Beilage. sowie die Inhaltsangabe Nr. 48 zu Nr. 5 des öffentlichen Auzeigers.

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Zweit

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eilage

3 eer e Reichsanzeiger und Preußischen Staatsanzeiger. 8

Preußische Landesversammlung.

89. Sitzung vom 3. Dezember 1919.

(Bericht) des Nachrichtenbüros des Vereins deutscher Zeitungsverleger“).) Am Regierungstische: der Ministerpräsident Hirsch. Präsident Leinert eröffnet die Sitzung 11

20 Minuten. 1 Auf der Tagesordnung steht die Beratungdes Haus⸗

halts des Ministeriums für EEE

Kunst und Volksbildung. Auf Beschluß des Aeltesten⸗

rats wird die Redezeit auf eine Stunde und für die Begründung

der mit diesem Haushalt in Verbindung stehenden Anträge auf eine halbe Stunde festgesetzt.

Die Beratung beginnt mit der förmlichen Anfrage der Abgg. Dr. Friedberg (Dem.) und Genossen: Unter dem 20. September d. J. hat der Evangelische Oberkirchenrat der Generalsynode den Entwurf eines Kirchengesetzes, betreffend eine auferordentliche verfassung⸗ gehende Kirchenversammlung, vorgelegt. Dieser Entwurf bestimmt 1) im Widerspruch zu § 5 der vovläufigen preußischen Verfassung, daß bis zum Inkrafttveten der künftigen Verfassung die Rechte des landes⸗ herrlichen Kirchenregiments von dem evangelischen Oberkirchenrat unter Mitwirkung des Generalsynodalvorstands ausgeübt werden, Widerspruch zu den demokratischen Grundlagen des preußischen Staates, daß die Wahlen zur verfassunggebenden Kirchenversammlung nicht un⸗ mittelbar durch die Mitglieder der evangelischen Landeskirche, sondern mittelbar durch die Mitgeieder der wereinigten kirchlichen Körperschaften erfolgen sollen unter weitgehender Beschränkung der Wählbarkeit der einzolnen Kirchenangehörigen. Was gedenkt die Staatsregierung zu tun, um gegenüber diesem Eintwurfe eines Gesetzes zur verfassung⸗ gebenden Kirchenversammlung die Rechte des Staates und der der evangelischen Landeskirche angehörigen Staatsbürger zu wahren?

Abg. Dr. Berndt (Dem.) führt zur Begründung der Anfrage aus: Die Anordnung der mittelbäaren Wahl durch den Entwurf dieses Kirchengesetzes steht im Widerspruch mit der preußischen Verfassung. Es hätte der Weg über die Landesgesetzgebung beschritten werden müssen, denn es handelt sich hier nicht um eine innerkirchliche Ange⸗ legenheit, sondern eine Sache der staatlichen Gesetzgebung, auf Grund deren erst ein Kirchengesetz zustande kommen kann. Das Recht des Staates zur Regelung dieser Sache steht ohne weiteres fest. Es wird dagegen eingewendet, daß die Rechtslage sich durch die Reichs⸗ verfassung, durch die Trennung von Staat und Kirche geändert habe. Die Reichsverfassung stellt aber nur einen allgemeinen Grundsatz, ein Programm auf, nach welchem sich die Landesgesetzgebung richten son⸗ denn nach Art. 10 der Reichsverfassung kann das Reich gesetz⸗ iche Grundsätze aufstellen, u. a. auch für die Rechte und Pflichten der Religionsgesellschaften. Nach diesen Grundsätzen hat die Landes⸗ esetzgebung zu verfahren. Nach dem Entwurfe des Evangelischen

berkirchenrates kommt der wahre Wille der kirchlichen Gemeinde⸗ angehörigen bei der mittelbaren Wahl nicht zum Ausdruck. Der wahre Grund für diese Regelung ist, daß die demokratischen Elemente mundtot gemacht werden sollen. Deshalb müssen meine Freunde gegen dieses Wahlrecht Einspruch erheben. Der letzte und wichtigste

Grund dieses Vorgehens ist ein politischer, die Feindschaft der Rechten

gegen die Demokraten. Die Erneuerung des deutschen Volkes kann

aber nur erreicht werden, wenn alle Kräfte im Volke Hand in Hand daran mitarbeiten. (Beifall bei den Demokraten.)

Minister für Kunst, Wissenschaft und Volksbildung Haenisch: Ich beabsichtige, die Beantwortung der förmlichen Anfrage im Laufe der allgemeinen Debatte über den Kultusetat erfolgen zu lassen.

Weiter liegt vor die dringende förmliche Anfrage der Deutsch⸗ nationalen, ob die Regierung die verfassungsmäßige Frei⸗ heit der Neren gegin erfesselst Ase zu schützen und ins⸗ besondere der kommenden verfassunggebenden ebvangelischen Kirchen⸗ versammlung volle Handlungsfreiheit zu gewähren bereit ist. 8

Abg. D. Reinhard (D. nat.): Wir haben in der letzten Zeit leider sehr viele Angriffe gegen die Kirche erleben müssen. Es sind auch in der letzten Zeit Veröffentlichungen erfolgt, die vielleicht nur als Nadelstiche gedacht waren, aber als Dolchstiche von uns empfunden worden sind. Das Gespenst des Kulturkampfes an die Wand zu malen, halte ich besonders in der jetzigen Zeit für unangebracht und fhoblich Alle diese Dinge haben das deutsche Volk auf das empfind⸗ ichste berührt. Hinsichtlich der Bedeutung der Reichsverfassung befinde ich mich im grundsätzlichen Gegensatz zu der Auffassung des Herrn Vorredners. Eine Verquickung finanzieller Verhältnisse mit innerkirchlichen Fragen halte ich für verfehlt. Ob die demokratische Fare mit ihrer Haltung in kirchlichen Fragen die Interessen ihrer Partei fördert, möchte ich sehr bezweifeln. Nach meiner Auffassung handelt es sich hier lediglich um innerkirchliche Angelegenheiten, über die schlechthin nur die Kirche selbst zu befinden hat. (Sehr richtig! rechts.) Obgleich in Württemberg und Baden genau nach dem Reichs⸗ tagswahlrecht gewählt worden ist, ist doch die liberale Richtung in den Hintergrund getreten. (Hört, hört!) Wir von unserem Stand⸗ punkte aus könnten ja nichts Besseres wünschen, als die Einführung des allgemeinen Wahlrechts; wir wünschen aber den Schutz der Minderheit. (Lachen.) Ich möchte Sie daran erinnern, daß bei den Verhandlungen des deutschen Kirchentages dieser Schutz der Minderheit ausdrücklich ein Verhandlungsgegenstand gewesen ist. Ueber alle diese Dinge zu sprechen ist aber nicht Sache der Landes⸗ versammlung, sondern einer Kirchenversammlung. Eine Außerkraft⸗ setzung der drei Minister soll absolut nicht herbeigeführt werden. In erster Linie aber müssen wir verhüten, daß die Rechte der Kirche auf⸗ die Staatsregierung übertragen werden. Das demokratische Pro⸗

ramm einer Differenzierung der epangelischen und katholischen Kirche

ist absolut unangebracht. Der katholischen Kirche versucht man nicht ihre Rechte zu schmälern, warum kümmert sich der Staat um ledig⸗ lich innerlich kirchliche Angelegenheiten der evangelischen Kirche? Diese Arr der Differenzierung wird vielen Anhängern der demo⸗ kratschen Partei zu denken geben. Mit dem Schlagwort „Trennun von Kirche und Staat“ operiere ich nicht, solche demagogischen Mitte vermeiden wir. (Zuruf.) Ich möchte Sie im Interesse des ge⸗ beeth deutschen Volkes dringend bitten, nicht kirchliche Kämpfe heraufzubeschwören. Kein Volk der Welt ist gerade so wie das deutsche Volk im tiefsten Gemüt durch solche kirchlichen Dinge aufzurühren. Desbhalb ersuche ich die Staatsregierung, diesen unfreundlichen An⸗ griffen endlich ein Ende zu bereiten. Hir wollen zusammen leben und wirken für das Wohl unseres lieben Vaterlandes. (Beifall rechts.)

Minister für Kunst, Wissenschaft und Volksbildung Haenisch: Ich bitte, die Beantwortung auch dieser förmlichen Anfrage verschieben zu dürfen bis zur Generaldebatte über den Kultusetat.

Von einer Besprechung der beiden förmlichen Anfragen wird abgesehen.

Uhr

*) Mit Ausnahme der Reden der Herren Minister, die im

Wortlaute wiedergegeben werden.

2) im

Berlia, Donnerstag, den 4. Dezember

Die allgemeine Besprechung eröffnet Frau Abg. Dr. Wegscheider (Ssz.): Der letzte Vorredner ist für die Freiheit der Kirche in dem Sinne eingetreten, daß die Kürche ein Hort reaktionärer Tendenzen bleibt. (Sehr richtig! links.) Die Kirche aber ist für die große Masse tot; ihr langsames, völliges Absterben wird sich kaum länger verbergen lassen. Wir wollen nicht sofort nach dem Antrag der Unabhängigen Sozialdemokraten die stgatlichen Mittel für Kultus⸗ zwecke streichen, da die Verfassung die Schaffung gesetzmäßiger, geord⸗ neter Uebergänge ermöglicht; aber wir verlangen mit dem Hausbhalts⸗ ausschuß, daß die Grundsätze für die landesgesetzliche Ablösung der Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften nach Artikel 138 der Reichsverfassung mit möglichster Beschleunigung aufgestellt werre. Auch die Einheitsschule darf nicht länger durch die Trennung der Kon⸗ fessionen beengt werden; das nach dem Weimarer Schulkompromiß in Aussicht stehende Simultanschulgesetz muß tunlichst bald vorgelegt werden. Ebenso ist der Begriff des Erziehungsberechtigten alsbald genau zu definieren. Das Elternrecht ist dabei in vollstem Umfang anzuerkennen; die Glternbeiräte sind als Sprechorgan ein wielver⸗ sprechender Anfang. Das System der Lehrerräte ist auszubauen. Die Koedukation muß durchgeführt werden. Die auf zugespitzten kapitalisti⸗ schen Individualismus aufgebaute Kultur konnte der Frau die ihr ge⸗ bührende Stellung neben dem Manne nicht verschaffen, das wird erst in der sozialistischen Kultur möglich sein. Darum unterstützen wir aufs lebhafteste die Forderung, daß Frauen nicht nur im Ministerium, sondern auch in den neu zu organisierenden Provinzialschulkollegien an bescheidener Stelle an der Verwaltung für das Mädchenschulwesen beteiligt werden. Die Juristen sind ein notwendiges Uebel Geiter⸗ keit); sie haben die Form zu geben, aber diejenigen, die den Formen den Inhaklt geben, sollen auch die Führung übernehmen. Für alle Forderungen treten wir ein, die der Ertüchtigung der Jugend dienen sollen. Die Jugend und die Schule politisieren, heißt an beiden ein Verbrechen begehen, Die Jugend darf nicht verhetzt werden. Mino⸗ ritäten haben das Recht, sich zu wehren, aber sie dürfen niemals die Spposition in die Schule hineintragen. Die frühere Regierung hat die Schule als Regierungsmaschine benutzt. Die Schulresorm muß energisch in Angriff genommen werden; das preußische Schulwesen ist bei einem Stillstand der Entwicklung sofort vom Verfall bedroht. In die Universitäten muß der Geist der Sachlichkeit und des wissenschaft⸗ lichen Eifers wieder einziehen; leider hat man hie und da sofort nach dem Kriege die alten und veralteten Trink⸗ und Saufsitten wieder auf⸗ leben sehen. Die Studenten haben ein Recht auf Eigenleben und auf Polikisierung, aber sie haben auch die Pflicht zur wissenschaftlichen. chrlichen Arbeit. (Beifall bei den Sosialdemokraten.)

Abg. Dr. Lauscher (Zentr.): Wir behandeln diesen Gegen⸗ stand unter vollkommen veränderten Verhältnissen und unter einem völlig neuen Ministerium. Selbst der Name des Ministeriums hat sich geändert, ich wundere mich nur, daß gerade die Volksbildung an die dritte Stelle gekommen ist. (Sehr gut! rechts.) Ich gebe aller⸗ dings zu, daß der neue Name „Ministerium für Wissenschaft, Kunft und Volksbildung“ viel imposanter klingt und viel selbstbewußter aussieht, als der alte Nameé „Ministerium der geistlichen und Unter⸗ richtsangelegenheiten“. Ich verstehe ja auch die Aenderung, da sie ja auch so ein Erbstück des alten preußischen Geistes ist. (Sehr gut! rechts und Heiterkeit.) Deshalb wollen wir der Regierung es auch gnädig verzeihen. (Heiterkeit.) Der neue Name des Ministeriums enthält ohne Zweifel ein Programm, das sehr ernst zu nehmen ist. Uebrigens ist der neue Name eine Schöpfung des Abgeordneten Adolf Hoffmann aus den Tagen seiner Ministerherrlichkeit. (Große Heiter⸗ keit und Zuruf von den Spzialdemokraten: Er kommt wieder! Er⸗ neute Heiterkeit.) Es ist kein Zufall, daß die geistlichen Angelegen⸗ heiten im Ministerium nicht mehr Erwähnung finden, sondern es ge⸗ schicht bewußt. Das Ministerium soll künftig nichts mehr mit geist⸗ lichen Angelegenheiten zu tun haben. Wir haben ein Ministerium vor uns, welches gewillt ist, den Kultus künftig aus seinem Arbeits⸗ gebiet auszuscheiden. (Hört, hört!) Wir haben also ein Kult 8⸗ ministerium ohne Kultus. Im Staatshaushaltsausschuß ist das Programm des neuen Ministeriums, die Frage der Trennung von Kirche und Staat, ausgiebig behandelt worden, und man hat sich red⸗ Uche Mühe gegeben, sich friedlich darüber auseinanderzusetzen. Ich möchte bitten, hier ähnlich zu verfahren. Die Kirche ist durchaus gewillt, bei finanziellen ⸗Auseinandersetzungen der traurigen Finanz⸗ lage des Staates Rechnung zu tragen. Vor einer übertriebenen Be⸗ lastungsprobe möchte ich jedoch warnen. Der Abg. Adolf Hoffmann macht sich die Trennnug von Kirche und Staat sehr leicht, indem er einfach sagt, es sollen die für den Kultus vorgesehenen Beträge zu⸗ sammengestellt und gestrichen werden. Damit beweist er jedenfalls eine völlige Unvertrautheit mit der Materie. (Widerspruch bei den Sozialdemokraten. Sehr richtig! rechts.) So einfach ist die Sache nicht. Herr Hoffmann übersieht dabei, daß der Staat die strikte Ver⸗ pflichtung hat, infolge früherer Säkularisation auch die Verbilddlich⸗ keiten und Lasten zu übernehmen. Auch die Forderung des Nachweises nach ihrem rechtmäßigen Besitze seitens der Kirche ist hinfällig. Wenn jemand einen langjährigen Besitz anfechten will, so liegt ihm ob, den Nachweis zu führen, daß der Besitz zu Unrecht besteht. (Sehr gut! rechts.) Die vermögensrechtliche Seite ist aber nicht das wichtigste Moment in dem Problem der Trennung von Kirche und Staat. Nach unserer festen Ueberzeugung ist eine solche Trennung etwas Un⸗ natürliches, ja sogar etwas Widersinniges, und der Staat muß dabei zu Schaden kommen. (Sehr richtig! rechts; Widerspruch links.) Sie (nach links) haben bisher nur den Beweis erbracht, wie man etwas zerstören, aber nicht, wie man etwas wieder aufbauen kann. (Sehr richtig! rechts.) Nach unserer Ansicht kann uur eine Gesellschaftsord⸗ nung auf Grund religiösen Empfindens bestehen. Religion und Moral sind die stärksten Stützen des Staates. Die Autorität ist verankert im tiefen Grunde des Gewissens. Ohne Religion gibt es keine Autorität. Die Religion ist ein unentbehrliches Wesensferment, ohne das der Staat nicht existieren kann. Wenn trotz der Revolution Ruhe und Ordnung einigermaßen aufrechterhalten wurden, so ist das nur zu danken dem christlichen Geist, der in den großen Massen steckte, und die sich aus diesem Empfinden heraus der neuen Autorität unter⸗ geordnet haben. (Lebhafte Zustimmung im Zentrum.) Wir bitten den Minister, für volle Gewissensfreiheit zu sorgen und aus der An⸗ erkennung der ethischen Werte des Christentums die richtigen Folge⸗ rungen zu ziehen, um der Entwicklung der Kräfte eine freie Entfaltung zu ermöglichen. (Sehr richtig! im Zentrum.) Die letzten Reste aus dem Kulturkampfe, das Einspruchsrecht der Oberpräsidenten gegen eine Pfarramtsbesetzung muß unbedingt verschwinden und ebenso die noch bestehenden Ordensbeschränkungen. Unser Eintritt in die

Koalitionsregierung ist nur aus Liebe zu unserem Vaterlande erfolgt,

nicht etwa aus Gesinnungsgemeinschaft. Hinsichtlich der Schule sind wir der Meinung, daß diese die Erziehung der Kinder im Elternhauste fortsetzen soll. Wir sind in der glücklichen Lage, zu unseren Lehrern das vollste Vertrauen zu haben. (Beifall im Zentrum.) Aus ein und derselben Bildungsanstalt kann aber nach unserer Auffassung niemals ein geeigneter Lehrer hervorgehen, eine Trennung ist da un⸗ bedingt geboten. Wir bleiben unter allen Umständen, was da kommen möge, auf dem Boden unserer Weltanschauung stehen und sind der hedeseefhene⸗ der Wahrheit gehört schließlich der Sieg. (Beifall im Zentrum.

Abg. P. Rade Sem.): Zum ersten Male ist uns von einem sozialdemokratischen Minister ein Kultusetat vorgeleagt. Mit dem

bloßen Indifferentismus ist der Kirche gegenüber auf die Dauer nicht

durchzukommen, auch Sozialdemokraten g offen zu, daß man es z. B. mit der katohlischen Kirche als meleiner Macht zu tun hat. Es bedarf auch nach der Reichsverfassung einer Verständigung, einger gesetzmäßigen Auseinandersetzung zwischen Staat und Kirche. Die evangelische Kirche muß in das gleiche Verhältnis der Unabhangigket vom Staat gebracht werden, wie die katholische, die in Preufer niemals eine Staatskirche, niemals die Staatskirche gewesen ist. Die Lösund des Problems der „Trennung von Kirche und Staat“ ist formell sehr leicht zwischen der katholischen Kirche und dem Staat. Ganz anders und viel schwieriger steht es mit der evangelischen Kirche. Es sol keine Staatskirche mehr geben, wir wollen die Selhständigkeit der evangelischen Kirche, aber dieses Ziel wird sehr schwer zu exreichen sein, und die Veranrwortung der Regierung der Landeskirche und der Landesversammlung ist dabei stark engagiert. Die Annahme des Antrags der Unabhängigen Sozialdemokraten würde eine sostale Et⸗ bitterung von ungemeiner Tragweite erzeugen; so regiert man nicht im Volk. der Etat muß also bewilligt werden und wielleicht wiederhalt. Die Trennung muß vorbereitet, sie kann nicht einfach durch einen Schritt herbe geführt werden. Einen Zustand, daß Kirche und Stacl überhaupt nichts mehr miteinander zu tun haben, gibt es in der ganzen Welt nicht und wird es auch bei uns nicht geben. Bei, aller äußeren Trennung gilt es, zwischen beiden ein inneres Verhältnis nen zu schaffen, das ergibt sich schon aus der Tatsache, daß das Bewußtsen von der Bedeutung der Kirche als Kulturfaktor allgemein lebendig jst. Von einer entlasteten, unabhängigen Kirche ist eine Unterdrückung der Münderheiten nicht zu besorgen. Natürlich kann die Generalsynode icht als eine wirkliche Vertretung der evangelischen Bevölkerung an⸗ gesehen werden. Neuwahlen können nur auf dem Boden einer wirk⸗ lichen Demokratie, einer Volksabstimmung feg ee Davon scheint aber der Oberkirchenrat absolut nichts wissen zu wollen. Es handelt sich bier um eine Frage des Rechts und der Gerechtigkeit. Auch die evangelische Kirche soll selbständig werden, sie mu⸗ auch möglichst bald die volle Kirchengewalt erhalten. Die Landesversamm⸗ lung wird über bezügliche Gesetze zu begutachten und zu beschließen haben, darum hat sie auch die Pflicht, sich um diese Fragen zu br⸗ kümmern. (Beifall bei den Demokraten.) 8 Abg. D. Klingemann (D. Nat.): Das alte Band zwischen Staat und Kirche ist nicht erra bloß durch einen Bierstrich oder durch eine Verordnung zu lösen. Herr Berndt sprach heute von einer staats⸗ feindliche Gesinnung der Rechten. Das ist ein Irrtüm unsere Lisbe zum Staat war stets unbedingt und geht so mweit, daß wir ihm selbst in seiner heutigen Gestalt unsere Mitwirkung nicht versagem Eine reine Staatskircke hat es in Preußen nie gegeben, es wäre dann, seit⸗ dem die drei Minister das landesherrliche Kirchenregiment üöber⸗ nommen haben. Innerhalb der Kirche erfolgen jetzt die Beratungen über das zu wählende Wah system; jeder Eingriff von außen wäre hier ein Unrecht. Wir müssen uns wohl gegen die drei Minister wie gegen den Vorstoß der Demokraten wehren. Am kirchlichen Leben darf sich nur beteiligen, was auf dem Boden der Kirche steht; die Kirche ist die Gemeinde der Gläubigen und hat diesen Grundsatz stets weit⸗ herzig ausgelegt. Die entkirchlichten Massen sind nicht die Kirche. Derr Demokraten daftet in dem mangelnden kirchlichen Verständnis noch ein Nest des alten Vulgärliberglismus an. Die Trennung muß sich im Geiste der Gerechtigkeit vollziehen. Ein Kultusminister, der außerhalb der Konfessionen steht, kann ja tatsächlich über den Parteien stehen, aben selbstverständlich ist das nicht. Die Sozialdemokraten erklären, Religien ist Privwatsache; das ist eine Halbwahrheit. Der Austritt aus der Landeskirche müßte doch bei ihnen, wenn es sich um eine handelte, noch irgendwelche positiven Konsequenzen haben. bon hört man aber nichts. Nun ist ja in der Kirche tatsächlich nicht immer alles so gewesen, wie es sein mußte. Das Wort Wilhelms I., „dem Volke muß die Religion erhalten bleiben“, muß auch jetzt noch Geltung hahen, obgleich ja allerdings zugegeben werden muß, daß 1i.8 Mi brauch dgmit getrieben worden ist. Wir alle sind in gleicher Weise für das Volkswohl verantwortlich. Der Vorwurf der Linken, die Kirch habe sich auf den Krieg eingestellt, ist nicht ganz zutreffend. Der Krieg als solcher ist immer als furchtbare Nohvendi zun be⸗ werten. Er ist eine Zuchtrute Gottes. (Gelächter.) Was man guch über den alten Staat sagen mag, er hat edenfalls ber⸗ staden zu regieren, während die neue Regierung dies noch nicht gelernt hat. (Sehr war! rechts) Vor einem Kulturkampf möchte auch ich dringend warnen. Die niederen Küsterdienste des Lehrers müssen endgültig von diesen Stande gelöst werden, doch darf eine Menge von Amtshandlungen, die tief mit dem Volksempfinden verwurzelt sind, den Lehrern nicht genommen werden. Die evangelische Kirche hat unglen mehr ge⸗ litten als die katholische Kirche. Es wird lange dauern, ehe aus dem Aufstieg aus der Masse Frauen hervorkommen werden, wie sie 155 ehemalige 1 verkörperte. Die Kirche ist es gewesen, die unsere im Ausland lebenden Deutschen uns erhalten hat, und darum muß sie uns erhalten bleiben. Die Worte Heinrich Heines, der ja Ihnen (nach links) am nächsten steht (Widerspruch links) die er bei seinem Plane nach Amerika auszuwandern, gedichtet hat, möchte ich mir auch jetzt noch nicht zu eigen machen. Eine konfessionelle Schule ist auch nach meiner Ansicht ganz unentbehrlich. Wir wollen uns unter keinen Umständen die Berührung zwischen Kirche und Schule nehmen lassen. Lassen Sie uns die heiligsten Güter unserem Volke erhalten. Wenn unser Wohlfahrtsministerium auch nur den zehnten Teil seiner Auf⸗ aben erfüllt hat, so bleibt das immer noch eine glänzende Leistung. Ich erinnere nur daran, daß von 47 000 Fürsorgezöglingen 40 000 in konfessionellen Privatanstalten untergehracht worden und dort tüchtige Menschen geworden sind. Notwendig ist die Gehaltserhöhung der Pfarrer. Es ist jetzt überhaupt ein merkwürdiger Unterschied einte⸗ treten in der Bewertung der Kopf⸗ und Herzarbeit auf der einen Seite und der Handarbeiter auf der anderen Seite. Über die Er⸗ haltung der theologischen Fakultät auf den Univpersitäten freuen wir uns. Wir wollen gerade die theologische Wissenschaft in engster Verbindung mit der allgemeinen Wissenschaft sehen. Das Kirch wesen sozusagen in Erbpacht zu nehmen, ist uns niemals einge⸗ fallen. Wir freuen uns über jede Mitarbeit, von welcher Partei sie auch kommen möge. Das Evangelium von Gottes Herrlichkeit und Gnaden wollen wir unserem Volke unbedingt erhalten wissen.

Hierauf nimmt der Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung Haenisch das Wort, dessen Rede wegen ver⸗ späteten Eingangs des Stenogramms erst in der nächsten Nummer d. Bl. im Wortlaut wiedergegeben werden wird.

Abg. Dr. Boelitz (D. V.). Umfere Haltona umn Kultus⸗ minister wird lediglich bestimmt durch eine leidenschaftslose vorurteils⸗ freie sachliche Prüfung seiner Taten. Nur eine neue, groß aufbauende Büdungsarbeit hann uns aus dem heutigen Elend retten, und da baben wir gleichzeitig mit einer Kulmurkrisis, einer Relraignekrisis. mit einem Streit um das Bildumngsideal zu känwfen. Der Minister hat Versprechungen nach allen Seiten gemacht aber von einer Füb⸗ wumg ich noch nichts zu merken; hisher sieht man nur Beunkuhigung und Verwirrung. Herr Hänisch erscheint ums bolastet durch seine Amtshandlungen im Anfana der Revolution. Menches ist sa seitdem in seinem Ressort besser geworden; aber Gefoelaschafttß können wir übhnr nur da versprechen, wo seine Reformabsichten vealisienhar sind und sich mit unserem Pnogramm verveinbaren lassen. Die Ueberspamnun

des demokbetischen Prinzlbs erzeuat in den Reihen der Lebrerschaf

und selbst der Schülerscheft Auswüchse der Kritik, die Uherbäörpt mechd mehr aitf püagogischeni, sordern verteé peßtischem Boen efroc sen.

Die beiden Hänisch⸗Aufsätze im „Vorwärts“ haben in der Lehlerschaffz

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