verleßt werden, und unter denselben Grundsätzen mwerden wir auch unsere eigenen landesgesetzlichen Maßnahmen dann treffen. .
Meine Damen und Herren, ich kann binzufügen, daß ich auch bereits, ehe die vom Reiche zu erwartenden allgemeinen Richtlinien für die Durchführung der Trennung von Kirche und Staat heraus⸗ gegeben worden sind, mich bemüht habe, auch jetzt schon auf dem Verordnungswege dahin zu wirken, daß alle früher
üblichen kleinlichen Vexationen fortfallen. Die Behauptung des Herrn Abgeordneten Dr. Lauscher, daß die neue Re⸗ gierung seiner, der katholischen Kirche, Fesseln angelegt habe, trifft nicht zu. (Zuruf vom Zentrum: Das hat er nicht gesagt!) — Herr Dr. Lauscher hat davon gesprochen, es sei dringend erforderlich, daß die Regierung der Kirche, wenn sie sich frei betätigen soll, keine Fesseln anlege, die Fesseln vielmehr abstreife. (Zurufe aus dem Zentrum.) — Ich komme auch auf Frankfurt. — Also es trifft nicht zu, daß jemals während meiner Ministerschaft kleinliche, veratorische, vom Polizei⸗ .“ und Verfolgungsgeist eingegebene Maßnahmen gegen die katholische Kirche und ihre Einrichtungen ergriffen worden seien. Das Gegenteil 8 ist wahr. Ich erkläre hier vor dem Lande ausdrücklich, daß der Ver⸗ trauensmann, den die Zentrumspartei in das Kultusministerium ent⸗ sandt hat, mein hochverehrter Mitarbeiter, Herr Unterstaatssekretär Dr. Wildermann, niemals mir irgendwelche Beschwerden vorgebracht hat über ungerechtfertigte vexatorische, kleinliche Behandlung der katholischen Kirche. (Zuruf vom Zen⸗ trum: Ist nicht behauptet worden!)
Meine Damen und Herren, ich will ausdrücklich erklären, daß ich, wo ichnurirgend konnte, tootz meiner persönlichen Auffassung, die, wie Sie ja wissen, keineswegs mit der religiösen Auffassung der katholischen Kirche übereinstimmt, den berechtigten Interessen dieser Kirche Rechnung getragen habe. So habe ich erst gestern bei der Reichsregierung eine Vorstellung erhoben, daß die Kirche bei der jetzt zu schaffenden Steuergesetzgebung nicht anders behandelt werde als alle übrigen Körperschaften öffentlichen Rechts. Ich habe ferner von mir aus, nicht erst auf die Anregung des Herrn Abgeordneten Dr. Lauscher hin, sondern schon vorher, angeordnet, daß von dem Be⸗ stätigungsrecht, das der Staat bisher bei der Anstellung der Geistlichen hatte, in der Praxis kein Gebrauch mehr gemacht werden sollte. Die Verordnung war fix und fertig; es war nur ein Akt der Höflichkeit, sie zuerst dem Ausschuß mitzuteilen. Damit auch die große Oeffentlichkeit erfährt, daß die Regierung bereit ist, auf pexatorische Rechte, die ihr heute noch der Kirche gegenüber zustehen, freiwillig zu verzichten, darf ich vielleicht diese Verordnung vortragen, damit sie in die Akten des Hauses kommt, sie lautet:.
8 Nach Arkikel 137 Abfatz 3 der Reichsverfassung vom 11. August '1919 verteilt jede Religionsgesellschaft ihre Aemter obne Mitwir⸗ kung des Staates. Vorbehaltlich der zur Durchführung dieses Grundsatzes erforderlichen gesetzlichen Maßnahmen und auf Grund des § 30 des Gesetzes vom 11. Mai 1873 über die Anstellung und Vorbildung der Geistlichen (Gesetzsammlung Seite 191) ersuche ich die Herren Oberpräsidenten, bereits jetzt von dem auf Grund des § 16 Ziffer 2 jenes Gesetzes in der durch Artikel 2 § 2 des Gesetzes vom 29. April 1887 (Gesetzsammlung Seite 127) veränderten Fassung zulässigen Rechte des Einspruchs gegen die Uebertragung eines dauernden Pfarramts oder die Versetzung eines Geistlichen in ein anderes geistliches Amt oder die Umwandlung einer widerruflichen Stellung in eine dauernde Stellung bis auf weiteres keinen Ge⸗ brauch zu machen. Es kommt hiernach einstweilen nur der Einspruch mach § 16 Ziffer 1 a. a. O. in Betracht, wenn dem Anzustellenden die gesetzlichen Erfordernisse zur Bekleidung des geistlichen Amtes fehlen. Erklären in dieser Richtung die geistlichen Oberen bei der gemaß § 15 a. a. O. ihnen obliegenden Benennung der Kandidaten dem Oberpräsidenten zugleich, daß jene gesetzlichen Erfordernisse erfüllt seien, so sind in diesem Falle die Herren Oberpräsidenten in der Lage und werden ersucht, unverzüglich zu erklären. daß sie Einspruch nicht einlegen.
Also ich habe bereits vor dem Erlaß der reichsgesetzlichen Richt⸗ linien auch hier eine nicht mehr zeitgemäße vexatorische Maßnahme gegen die Kirche aufgehoben.
Meine Damen und Herren, es ist vom Herrn Abgeordneten Dr. Lauscher selbst darauf hingewiesen worden, daß ich ohne jede Schwierigkeit „sogar“ dem Jesuitenorden jetzt eine Niederlassung in Frankfurt a. M. bewilligt habe. (Zurufe im Zentrum.) — Nun, Sie wissen ja doch, daß meine Partei wenn ich einen Augenblick ein⸗ mal als Parteimann sprechen darf — von jeher gegen das Jefuiten⸗ gesetz war, und domgemäß habe eben ich neuerdings die Niedeilassung des Jesuitenordens in Frankfurt a. M. ohne jede Schwierigkeit ge⸗ nehmigt. (Zurufe im Zentrum.) — Ja, die Einschränkungen liegen an der Lage der Gesetzgebung⸗ 88
Nun sagte Herr Dr. Lauscher, diese Gesetze müßten geändert werden. Jo, meine verchrten Herren, wir sind ja mit Hochdruck an der Neu⸗ gestaltung der Gesetze. (Zurufe im Zentrum.) — Doch, die Gesctz⸗ gebungsmaschine arbeitet mit Hochdruck, aber es i st völlig un
möglich, alle Gesetze mi einem Mal zu machen und Le dem Ha use vorzulegen. Bis zum 11. August konnten Dann hat sich das Reich wie fieh sa. “ elegt Fpetöts. in der Verfassung das weitete Rockt'ne 1“ sage erlaltbte Ausführung festzulegen: diese sübe deeg. 7 58 die Regierung in diesen 1“ Bor. (Schlisßlich war Arbeiten über alles menschliche Maß 8 b v vha “ — er F nemchliche Maß hinaus überlastet, und es war geradezu pbysisch unmöglich, dem Hohen Hauße noch weitere, gründlich durchgearbeitete Vorlagen vorzulegen. Uebrigens steckt das Hohe Haus augenblicklich bis über beide Ohren noch im Etat und in anderen gesetzgeberischen Arbeiten. Ich verspreche jedoch, daß mit größter Be⸗ schleunigung auch die alten Uebel, diese auch won mir lebhaft bedauerten 8 Noch eine weitere sch.de jetz üeaen. 8e. 2 9 b von mir ins Werk gesetzte Maß⸗ nahme zugunsten der katholischen Kircht. ich habe die Initiative er⸗ griffen, um die Bestimmung, daß, ürenn ein Kind evangelischen Glaubens in einer von Ordensbrüdermn oder frommen Schwestern ge⸗
iteten Schule, in ein Lyceum, in eine Klosterschule usw. Aufnahme
linden soll, dazu die Genehmigung zweier Minister in jedem einzelnen
8 1 8
Ministers des Innern,
ich habe, sage ich, die Initiative ergriffen, diese Bestimmung völlig
zu beseitigen. (Bravol! im Zentrum.) Darin sollen die Eltern
künftig dolle Freiheit haben, gemäß dem Geiste der Reichsverfassung,
die uns einmal Gesetz ist und die ich loval durchführen will und muß.
(Zurufe rechts.) — Ja, meine Herren, die Gesetze müssen durchgeführt
werden. (Wiederholter Zuruf.) Natürlich auch für die edangelische
Kirche, ich bin aber im Augertlick immer noch bei der katholischen Kirche.
Also ich habe die Initiative ergriffen, daß auch diese einschränkende Bestimmung beseitigt wird, und daß ein wesentlicher Grundsatz der Reichsverfassung, daß die Eltern das Recht haben sollen, in erster Linie salbst über die Erziehung der Kinder zu bestimmen — ein Grund⸗ satz, gegen den ich persönlich sehr ernfte Bedenken habe —, schon jetzt durchgeführt wird.
Wenn man mir immer Kleinlichkeit gegen die katholische Kirche und gegen ihre Einrichtungen vorwirft (Zurufe) — ja, so klang es doch aus der Rede des Herrn Abgeordneten Dr. Lauscher heraus —, wenn man mir vorwirft, daß ich zwar schöne Worte, schöne derbind liche Redensarten machte, daß aber die Taten ausblieben, so darf ich — die Sache fällt mir eben ein — vielleicht auch noch darauf hinweisen, daß mir ein sehr bekanntes Mitglied Ihrer Fraktion erst vor ein oder zwei Wochen seinen ganz besonderen Dank und seine ganz besondere Anerkennung dafür ausgesprochen hat, daß ich das weitestgehende Ent⸗ gegenkommen der Genehmigung einer Klosterschule, so viel ich weiß, eines Lyceums, in Düsseldorf bewiesen hätte, und daß ich bei dieser Gelegenheit die gesetzlichen Bestimmungen in der denkbar mildesten Woise zugunsten der katholischen Kirche ausgelegt hätté. Alles das sind doch keine bloßen Worte, sondern Tats.achen, und dem gegenüber bitte ich dringend, mich künftig mit dem Vorwurf zu verschonen, daß ich nur schöne Worte, aber keine Taten hätte.
Meine, Damen und Herren, ich sage Ihnen also: soweit es auf mich und auf die Preußische Regierung ankommt, wird die Trennung von Staat und Kürche im Geiste gegensei tiger Versöhn⸗ lichkeit, im Geiste vollster Loyalität durchgeführt werden, und ich glaube zuversichtlich, daß nach Durchführung der Trennung sich der Kirche erst re⸗ cht Wirkungsmöglichkeiten er⸗ öffnen werden. Die großen Bedenken, die der Herr Abgeordnete Dr. Lauscher heute nach meinem Empfinden etwas post festum gegen die nun eimnal verfassungsmäßig in Kraft getretene Trennung von Kirche und Staat geäußert hat, hat, soweit ich mich erinnere, in den 70er Jahren bereits Ihr Führer Windthorst widerlegt, ündem er sagte, daß nach seiner Meinung bei einer schiedlich friedlichen Trennung von Staat und Kirche die Kirche sich weit besser be⸗ finden würde als bei einem Zustand fortwährender Reibungen, wenn die Kirche ein Organ des Staates blaebe.
Ich bin dem Herrn Abgeordneten Dr. Lauscher sehr dankbar ge⸗ wesen, daß er entgegeneinerwüsten u ndwiderwärtigen Hetze, die seitens eines großen Teils der Zen⸗ trumspresse, besonders im Westen, viele Wochen lang gegen mich geführt worden ist, (Zurufe im Zentrum) — nein, es waren durchaus nicht nur einige wenige Blätter, es war fast die gesamte Zentrumspresse des Westens — (erneute Zurufe im Zentrum) Ge⸗ legenheit genommen hat, hier an autoritativer Stelle zu erklären, daß gerade die Ausfüͤhrungen, die ich in Maria⸗Laach dem Abt gegenüber gemacht habe, ein hohes Anerkenntnis der großen, auch noch heute fort⸗
katholischen Kirche darstellen. Es ist ja bekannt, daß mir immer wieder und wieder in Wahlplakaten und onst, besonders als ich selbst im Rheinland war, vorgeworfen worden ist — und dieser Vorwurf ist wohl acht Wochen lang trotz offiziöser und offizieller Dementis durch die Presse gegangen —, ich hätte in Maria⸗Laach er klär, ich betpachtete es als Kultusminister für meine Hauptaufgabe, den Atheismus ün Deutschland zur Herrschaft zu bringen. Das ist ein kompletter Unsinn. Das Wort Atheismus ist ein Wort, das ich höckst ungern in den Mund nehme. Wer sich feierlich und gar noch mit einem gewissen Stelz als Atheisten bekennt, der zeigt damit nur, daß er vor den größten und ernstesten Fragen unseres Daseins keine innere Ehrfurcht hat, daß er das Prohukt einer sehr mittelmäßigen Halbbildungist. (Zuruf rechts: Bebel und Lieb⸗ knecht!) — Ich habe jetzt nur von niir geredet. (Heiterkeit.) Ich habe damals in Maria⸗Laach nur erklärt, daß ich für meine Person nicht in der Lage soi, auf dem Boden irgend eines bestömmten Offen⸗ barungsglaubens zu stehen. Das ist eine Privatsache, die niemanden etwas angeht, (Zuruf rechts) — die auch Sie nichts angeht. Ich habe auch Sie nicht nach Ihrer religiösen Ueberzeugung gefragt. Das, worauf es ankommt, Herr Abgeordneter, ist doch, ch ich mein Amt als Kultusminister mißbrauche, um meiner richtigen oder verkehrten persönlichen Weltanschauung zum Siege zu verhelfen oder nicht. Ich bin nicht in dem vulgären Simne einer üblen Halbbildung ein Atheist. Aber selbst, wenn ich es wäre, würde ich es für cine Gewissenlosigkoit sonder gleichen halten, wenn ich bei der konfessionellen Zusammensetzung unseres Volkes und bei der furcht⸗ baren inneren und äußeren Lage, in der unser Volk heute noch steht, den blöden und unsinnigen Gedanken fassen wollte. den Atheismus zur Staatsreligion zu erbeben. Das würde innere Kämpfe entfesseln, die unser armes Volk vollends zugrunde richten müßten. Trauen Sie mir alles möglicke zu, aber nicht einen geschmacklosen Unmsinn. Der sehr kluge und feinsinnige Abt von Maria⸗Laach, mit dem ich mehrere Stunden dort gesprochen habe, der mich sehr liebenswürdig aufgenommen hat, hat selbst in durchaus loyaler Weise erklärt (Zuruf links: Eintreten ins Kloster!) — Nein, das tue ich nicht. Ich habe
auch dem Herrn dort in Maria⸗Laach keinen Zweifel darüber gelassen, daß ich geistig und seelisch aus einer ganz anderen Zone herkomme als die Herren Patres. Aber Sie werden mir auch zugeben, Herr Ab⸗ geordneter Hennig, daß man sich auch mit Leuten mit noch so ver⸗ schiodener Weltanschauung, wenn sie klug und gebildet sind, versöhn⸗ lich und anständig unterhalten kann, so daß beide Teile daraus etwas lernen. Und aus dem 5⸗ oder 6 stündigen Gespräch — ich weiß nicht, wie lang es war — das ich mit don Herren dort geführt habe, sind, glaube ich, beide Teile nickt ohne einen gewissen Gewinn fortgegangen. — Meine Damen und Herren, meine Aeußenungen, die Herr Abt Dr. Herweghen in der Presse wiedergegeben hat, waren ein Erx⸗ trakt unseres mehrstündigen Gesprächs, aber ich stehe durchaus nicht an, mich zu dem zu bekennen, was der Herr Adt dort niedergelegt hat.
Meine Damen und Herren, um ein für allemal mit den nach meinem Gefühl wirklich überflüssigen Debatten über die religiöse Auf⸗
bestehenden ethischen, sittlichen Bedeutung der religiösen Werte der,
8 8 11 “ W1“ 1 faffung des zurzeit anrierenden Kultusministers aufzuräumen, hesta Sie mir ⸗Fütigst hinzuweisen auf die Reden, die ich nicht erst jetzt, sondern bereits in den allerersten Repolutionsmonaten, am 3. Februan d. T. in der Handelshochschule gehalten habe, und auf die auch Hen Abgeordneter Dr. Lauscher mit einigen Worten schon Bezug genommen hat. Ich darf einige Sätze aus dieser Rede zitieren, damit sie auch in die Akten dieses Hauses hineinkommen, und ich hoffe, damit ein für allemal diese unerquicklichen Dehatten im allseitigen Interesse aus der Welt zu schaffen. Ich habe dort u. a. erklärt:
Dieser ganze Fragenkomplex, der sich mit der politischen Aus⸗ einandersetzung zwischen Kirche und Staat beschäftigt, gehört seinem tiefsten Wesen nach eigentlich viel mehr dem Gedankenkreise und dem Aufgabenkreise des alten Liberalismus an als dem spezifischen Aufgabenkreise des Sozialismus. Die historische Aufgabe des Liberalismus ist es in allen Ländern gewesen — leider ist in Preußen und Deutschland diese Aufgabe vom alten Liberalismus nicht in glücklicher Weise durchgeführt worden —, die kirchenpolitischen Auseinandersetzungen zu einem. Ende zu bringen, das Verhältnis zwischen Staat und Kirche auf eine den modernen Bedürfnissen ent⸗ sprechende Grundlage zu stellen. Die geschichtliche Aufgabe des Liberalismus war im wesentlichen die, alte Bande, die festgewurzelten mittelalterlichen Bande des absoluten Staates, der Kirche, die All⸗ macht der kulturellen Zwangsbande zu zerbrechen, die Gesellschaft zu atomisieren, sie aufzulösen. Das ist zweifellos eine große historische Notwendigkeit gewesen, diese negative Aufgabe des Liberalismus hat die Welt zweifelles ein gewaltiges Stück nach vorn geführt. In
diesen Aufgabenkreis gehören, geschichtlich betrachtet, eigentlich auch alle jenen kirchenpolitischen Auseinandersetzungen hinein. Die Auf⸗ gabe des Sozialismus ist dagegen ganz wesentlich positiv, sie is organisatorisch, und darum sehe ich es in der Frage, die uns in diesem Augenslick beschäftigt, für eine der wesentlichen Aufgaben des Sozialismus an, auch kirchenpolitisch nicht zu zerstören und aufzu⸗ lösen, sondern neu aufzubauen, neu zu organisieren und im Aufbau umzuformen. Mit anderen Worten: so sehr ich persönlich jedem Dogmenglauben fernstehe — ich mache daraus gar kein Hehl —, so sehr erkenne doch auch ich selbstverständlich — und das sage ich nicht etwa jetzt erst, nachdem ich Minister geworden bin, das habe ich
legenheiten gesagt und habe es in meinen Schriften oft genug aus⸗ geführt —, so erkenne gerade ich an, welche auße rordentlich wert⸗ vollen sittlichen Kräfte auch heute noch aus der Religion, aus dem Christentum hervorquellen. Ich weiß ganz genau, daß wir alle, auch diejenigen unter uns, die nicht positiv gläubig sind, in stärkster Weise direkt und indkrekt von diesem Gedankenkreise, von der sittlichen Vor⸗
diese gewaltigen, sittlich⸗ethischen Kräfte, die auch heute noch ohne jeden Zweifel aus dem Christentum quellen, mit dem Dreschflegel totschlagen zu wollen. Es ist sehr viel sozialistischer gedacht, auch diese aus religiöser Quelle stammenden sittlichen Mächte unsererseits in zweckmäßigerer, würdigerer und besserer Weise, wie es heute ge⸗ schieht, in den Dienst der Gesamtheit zu stellen. Auch auf diesem Gebiete, auf dem Gebiete. der Nutzbarmachung religiös⸗ethischer Kräfte, gilt es für den Sozialismus, nicht zu zerstören, sondern neu und zweckmäßig aufzubauen. 8 — Und am Schluß der Rede sage ich noch einmal — es ist nicht Wir wünschen Persönlichkeiten, wir wünschen staatsbürgerlich ge⸗ richtete Persönlickkeiten, wir wünscken volkswirtschaftlich und sozial gerichtete Persönlichkeiten, und wir wünschen auch sittlich gefestigte Persönlichkeiten. Ich sage das nicht im Sinne irgendeines welt⸗ fremden Muckertums. Nichts liegt gerade mir ferner als das. (Zuruf rechts.) — Jawohl! — 5 Ich bin, weiß Gott, gerade auch als Sozialist ein entschiedener Lebensbejaher, ich bejabe das Leben mit allen seinen Höhen und auch mit allen seinen Tiefen. Starke Leidenschaften sind mir auch da eine Herzensfreude, wo sie einmal über die S tränge schlagen. Nein, meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn ich sage: wir brauchen sittlicke, starke Persönlichkeiten, so liegt mir dabei jede Absicht einer muckerischen Engherzigkeit und Engstirnigkeit völlig fern; ich will damit nur sagen: wir drauchen Persönlichkeiten, und da darf ich wieder an das anknüpfen, was der Herr Vorsitzende anfangs sagte, Persönlichkeiten, die in sich den kategorischen Imperativ der Pflicht fühlen. Und zwar möchte ich glauben, daß dieser kategorische Imperativ der Pflicht in dem neuen Zeitalter im wesentlichen sozdal betont sein wird, daß er seine stärksten Antriebe gewinnen wird aus der soßialen Verankerung jedes Einzelnen. Die Pflicht des Einzel⸗ nen der Gesamtheit gegenüber, von der Ihr Herr Präsident vorhin sprach, muß uns allen allmähylich einfach in Fleisch und Blut über⸗ gehen. Das war der gleiche Gedanke, aus dem heraus ich auch in Maria⸗Laach sagte, es würde in späterer Zeit eine sozial fundierte Ethik entstehen, die nicht mehr ausschließlich auf rein religüösen Begriffen basiert. Aber ich weiß genau, — fahre ich dann in der Rede vom 3. Februar fort — daß zu dem Werden und Wachsen solcher neuen sozial fundierten und sozial betonten Ethik nicht Jahre, sondern Jahrzehnte, daß dazu nicht eine Generation, daß dazu manche Generationen gehören. Ich weiß, auf allen diesen Gebieten gibt es keinen Sprung, gibt es kein Ueber⸗ den⸗Graben⸗springen, es gibt da nur langsame Entwicklung, lang⸗ same Umformung. In allen diesen Dingen bekenne ich mich grund⸗ sätzlich nicht als Revolutionisten, sondern als Evolutionisten, als Mann der Entwicklung, des organischen Wachsens und Werdens. Solange wir also eine solche sozial fundierte und sozial betonte neue Ethik noch nicht haben, solange sind auch die starken sittlich und religiösen Antriabe der Vergangenheit nicht zu entbehren bei der sittlichen Erziehung unseres Volkes. Und da komme ich wieder auf das, was ich eingangs sagte: es ist nicht die Aufgabe und kann nicht die Aufgabe des Sozialismus sein, diese Antriebe zu zerschlagen, sie zu nogieren, es muß seine Aufgabe sein, diese sittlichen Antriebe nutzbar zu machen, einzuspannen in den Dienst des gesamten Volkes, der großen einheitlichen Nation. eit Damit glaube ich diese Ausführung schließen zu können. (Zuruf des Abg. Dr. Bronisch: Diese Ethik liegt doch in dem Mangel an religi⸗ ösem Verstehen!) Meine Herren, ich habe meine Auffassung nunmehr damit klargelegt. So sehr ich im allgemeinen solche Auseinanden
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setzungen vom Hause fernzuhalten suche — denn wir haͤben hier doch
auch im Landtage Dutzende von Malen bei den verschiedensten Ge⸗
stellungswelt des Christentums beeinflußt sind, und es wäre geradeau banausisch, es wäre obendrein so unsozialistisch wie irgend möglich,
merster Anie politische und wirtschaftliche Fragen zu loͤsen und sollten uns nicht allzuviel über Weltanschauungsfragen unterhalten, aber ich bin durch den Abgeordneten Dr. Bronisch und ainen anderen Herrmn dazu gezwungen worden —, so din ich im übrigen doch auch künftig zu jedem don Ihnen gewünschten Waffengang bereit, und seien Sie Über⸗
Meine Herten, über die Fragen, die in den beiden foͤrm⸗
lichen Anfragen niedergelegt worden sind und die besonders
auch, außer in den béiden Reden der Herren Interpellanten, in den
Ausführungen der Herren Abgeordneten Dr. Rade und D. Klingemann
eine große Rolle gespielt haben, möchte ich eine formulierte
Erklärung vorlesen; Sie gestatten mir, daß ich das tue: Abweichend von der disherigen Reichsverfassung ist im Art. 10 der jetzt geltenden dem Reiche die Befugnis zur grundsätzlichen Regelung der Rechte und Pflichten der Religionsgesellschaften übertragen. In Ausführung dieser Bestimmung ist in dem dritten Abschnitt des zweiten Hauptteils der Reichsverfassung die Freiheit der Religions⸗ übung und die Unabhängigkeit der Kirche vom Staate derkündet.
Die Durchführung dieses Grundsatzes oder, wie man es kurz, wenn auch nicht immer ganz zutreffend zu bezeichnen pflegt, die Trennung von Kirche und Staat soll nach dem letzten Absatz des Art. 137 im Wege der Landesgesetzgebung erfolgen. Zu diesem Zwecke werden der Landesversammlung demnächst die nötigen Vor⸗ lagen zu machen sein. Die Staatsregierung vertritt dabei den Stand⸗ punkt, daß die Trennung — darauf lege ich besonders Gewicht, im Einverständnis mit der ge⸗
samten Regierung — 18 nur gleichzeitig auf finanziellem und rechtlichem Gebiete durchgeführt werden kann. Solange dies nicht geschehen, bleiben die bisherigen gesetzlichen Vorschriften in Kraft.
In dem Entwurf des Kirchengesetzes, das der Evangelische Oberkirchenrat der Generalsynode vorzulegen beabsichtigt, behufs Schaffung einer Kircherversammlung zur Feststellung der künftigen Verfassung für die evangelische Landeskirche der älteren Provinzen, ist im § 1 bestimmt, daß bis zum Inkrafttreten der künftigen Ver⸗ fassung die Rechte des landesherrlichen Kirchenregiments von dem
Evwangelischen Oberkirchenrat unter Mitwirkung des Generalsynodal⸗ vorstandes ausgeübt werden.
Diese Bestimmung steht im Widerspruch zu § 5 des Gesetzes zur vorläufigen Regelung der Staatsgewalt in Preußen vom 20. März 1919, nach dem die Rechte des landesherrlichen Kirchen⸗ regiments bis zum Inkrafttreten der Verfassung ausgeübt werden durch drei von der Staatsregierung destimmte Staatsminister edangelischen Glaubens.
Kirchliche Gesetze und Verordnungen sind aber nach Art. 13 des Staatsgesetzes betreffend die evangelische Kirchewerfassung in den älteren Prsvinzen vom 3. Juni 1876 nur insoweit rechtsgültig, als sie mit einem Staatsgesetz nicht im Widerspruch stehen. Bevor ein von der Generalsynode angenommenes Gesetz früher dem König, jetzt den drei evangelischen Staatsministern, zur Sanktion vorgelegt wird, ist nach dem Art. 13 Abs. 2 des genannten Staatsgesetzes die Er⸗ klärung des Staatsministeriums darüber herbeizuführen, ob gegen seinen Erlaß von Staats wegen etwas zu erinnern ist. Sollte die Generalsynode das Kirchengesetz entsprechend der Vorlage des Evangelischen Oberkirchenrats verabschieden, so würde das Staats⸗ ministerium wegen des dann entstehenden Widerspruchs zwischen Kirchengesetz und Staatsgesetz nicht in der Lage sein, eine derartige Erklärung abzugeben. Dann entfällt aber für die drei Staatsminister die Möglichkeit, dem Kirchengesetz die Sanktion zu erteilen. Das be⸗ stehende Staatsgesetz bliebe damit voll in Kraft.
Um aber einen Konflikt zwischen der kirchlichen Vertretung und der Landesvertretung nach Möglichkeit zu verhüten, haben die drei Minister evangelischen Glaubens Bedenken getragen, die außerordent⸗ liche Generalsynode einzuberufen, solange die Gefahr besteht, daß das von ihr zu beschließende Gesetz mit den Staatsgesetzen in Wider⸗ spruch steht.
Nach dem Entwurf des genannten Kirchengesetzes sollen die Wahlen zur verfassunggebenden Kirchenversammlung nicht unmittelbar durch die Mitglieder der evangel schen Landeskirche, sondern mittelbar urch die Mitglieder der vereinigten kirchlichen Körperschaften er⸗
Auch ist die Wählbarkeit in der Weise beschränkt, daß ein
rittel der Mitglieder der Kirchenversammlung aus Geistlichen, ein
Drittel aus jetzigen oder früheren Mitgliedern kirchlicher Körper⸗
schaften und nur ein Drittel ohne Einschränkung aus Männern und auen der evangelischen Landeskirche gewählt werden soll.
Das kirchliche Wahlrecht berührt zunächst nur das innerkirch⸗ liche Gebiet, 8 “
(sehr richtigl rechte) auf dem die Kirchen sowohl nach der bisberigen Rechtslage als auch auf Grund des Art. 137 der geltenden Reichsverfassung Selbständig⸗ keit genießen. Gleichwohl habe ich durch Schreiben vom 21. Juli ds. Is. den Evangelischen Oberkirchenrat ausdrücklich darauf hin⸗ gewiesen, daß ich vom Standpunkt der Staatsinteressen und auch von dem des allgemeinen Interesses der religiös gesinnten Bevölkerung die Ausschaltung der Urwahlen lebhaft bedaure und noch mehr die Beschränkung der Wählbarkeit, da hierdurch eine stark überwiegende Vertretung des geistlichen Elementes herbeigeführt werde. Ich habe die Hoffnung ausgesprochen, daß das Gesetz von der kommenden Generalsynode nicht in dieser Form beschlossen werde. Hierüber hinaus steht der Staatsregierung eine unmittelbare Einwirkung auf die Ausgestaltung des kirchlichen Wahlrechtes als einer innerkirchlichen Frage nicht zu. (Zurufe rechts.) — Ich will mich durch Ihre Zwischemrufe nicht stören lassen in der Verlesung der formulierten Anträge, aber, meine Herren, ich hoffe, daß auch Sie von der Rechten bereits aus dem, was ich bisher vorgetragen habe, den Eindruck gewonnen haben, daß die Verschiebung der Generalsynode und andere Maßnahmen getroffen worden sind aus⸗ schließlich, um einen für alle Teile gleich unerwünschten Konflikt zwischen Staat und Kirche zu vermeiden. (Zurufe rechts.) — Nein, es kiegt kein Widerspruch vor. Es muß vielmehr den der evangelischen Landeskirche angehörigen StaatEébürgern selbst überlassen bleiben, auf diesem Gebiete ihre Rechte innerhalb der Kirche zur Geltung zu bringen.
Das Kirchengefetz betreffend eine Kirchenversammlung enthält oaber zugleich Abänderungen wesentlicher Bestimmungen der General⸗ wvnodalorenung für die epangelische Landeskirche der neun älteren
Prvvinzen dom 20. Januar 1876, inccefondere der §§ 3 und 6, und
V
.“
bedarf baher nach dem Staalsgeset vomn 28. Ma 1891 der Be⸗ stätigung durch ein Staatsgesetz.
Es wird daher der Beschlußfassung der Landesversammlung
untaerliegen, od dem Kirchengesetz, wenn es in der vorliegenden Fassung von der Generalsynode verabschiedet wird, die staatsgesetzliche Bestätigung erteilt werden soll, so daeß vie Landesversammlung, falls sie mit den Grundsätzen des Kirchengesetzes hinsichtlich des Wahl⸗ rechtes und der Wählbarkeit nicht einderstanden ist, diese Bestaäͤtigung versagen kann.
Da demnach bisher völlig entsprechend der Rechtslage verfahren ist, so liegt weder eine Gefährdung der Staatsrechte, noch anderer⸗ seits ein Anlaß für eine Beunruhigung der evangelischen Volks⸗ kreise vor.
— Das ist die Antwort auf die förmliche Anfrage. — Ebensowenig wie bisher beabsichtigt die Staatsregierung künftig die verfassungsmäßige Freiheit der Religionsgesellschaften in der selb⸗ ständigen Ordnung ihrer Angelegenheiten zu beeinträchtigen. Sie ist im Gegenteil bestrebt, den kirchlichen Organen die Neuordnung der kirchenrechtlichen Verhältnisse, so weit es an ihr liegt, zu erleichtern. Diesem ihrem Standpunkt entsprechend hat sie zunächst die alte Generalsynode als das Organ anerkannt, durch das sich die Kirche das Wahlgesetz für die verfassunggebende Kirchenversammlung geben könne, obwohl die Zusammensetzung der bestehendem Generalsynode den alten Verhältnissen entstammt und in weiten Kreisen Bedenken degegnet. 1
Auch der mit Unrecht viel angefochtene § 5 ist in die vorläufige Staatsverfassung gerade zu dem Zweck aufgenommen worden, um die Auseinandersetzung zwischen Kirche und Staat unter Beachtung des bisherigen Rechtszustandes in Ausführung der neuen Grundsätze der Reichsverfassung zu erleichtern.
— In § 5 handelt es sich um die Einsetzung der drei Minister in
evangelicis —. Es ist von der Staatsregierung niemals beabsichtigt worden, die nur als vorübergehende Einrichtung gedachte Beauftragung der drei evan⸗ gelischen Staatsminister mit der vorläufigen Fortführung des landes⸗ herrlichen Kirchenregiments beizubehalten, machdem die Trennung von Kirche und Staat entsprechend der Reichsverfassung durchgeführt und der heute einen ungestörten Uebergang in die neuen Verhältnisse ermöglichende § 5 durch das zutreffende Abkommen zwischen Staat und Kirche entbehrlich geworden ist.
Die Staatsregierung hat im übrigen, wie anerkannt werden muß, die kirchliche Selbständigkeit bei der Handhabung der vorläufigen Regelumg des landesherrlichen Kirchenregiments sorgfältig beachtet. Andererfeits mußte sie aber auch den Empfindungen des kirchlich freier gesinnten Teiles der evangelischen Bevölkerung Rechnung tragen und den kirchlichen Organen deren Berücksichtigung dringend empfehlen. Auch heute kanmn sie im gemeinsamen Interesse von Kirche und Staat nur davor warnen, die Kirche auch künftig ganz überwiegend
auf die ländlichen, vom alten Staatsideal beherrschten Kreise zu
gründen. Wie im Staate, so wird auch künftig in der Kirche der städtischen und ländlichen Bevölkerung die gleiche Möglichkeit der Be⸗ tätigung gewährt und nicht von vornherein durch die Bevorzugung des einen Teiles verleidet werden müssen.
Jedenfalls dürfen die Kreise, welche eine weitherzige Gestaltung der kirchlichen Verfassung und den Ausbau der evangelischen Landes⸗ kirche zu einer wahren Volkskirche wünschen, der lebhaften Sympathie der Staatsregierung versichert sein. Sie wird diese Wünsche warm unterstützen, soweit dies ohne Eingriff in innerkirchliche Verhältnisse irgend möglich ift. (Zurufe rechts.) Nein, meine Herren, die Re⸗ gierung beabsichtigt, allen kirchlichen Richtungen, entsprechend dem ganzen Wesen und Charakter des neuen Volksstaates, künftig zu ihrem Recht zu verbelfen
3 6 8 S . 90. Sitzung vom 4. Dezember 1919. (Bericht des Nachrichtenbüros des Vereins deutscher Zeitungsverleger“).) Am Regierungstische: der Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung Haenisch. Präsident Leinert eröffnet die Sitzung nach 11 ½ Uhr.
Es wird die Beratung über den Haushalt des Mi⸗
nisteriums für issenschaft, Kunst und Volksbildung fortgesetzt und die an die Ausgaben für das Ministerium, für Kultus und Unterricht, für den epange⸗ lischen Oberkirchenrat, für die Bistümer, für evangelische und katholische Geistliche und Kirchen angeknüpfte allgemeine Be⸗ sprechung wieder aufgenommen. — Abg. Molph Hoffmann (U. Soz.): Der jetzige Kultusetat unterscheidet sich trotz der Revolution und trotz der veränderten Firma in nichts von dem früheren. Wir wollen in Zukunft ein Kultus⸗ ministerium ohne Kultus haben. Nach Artikel 137 der Reichs⸗ verfassung „es besteht keine Staatskirche“ haben wir schon die Tren⸗ nung von Kirche und Staat. Deshalb hat man kein Recht, Staats⸗ gelder für die Kirche zu verauslagen. Ein katholischer Geistlicher er⸗ klärte, fünf Sechstel von allem, was die Kirche hat, ist unrechtmäßig erworben, und von dem letzten Sechstel ist der rechtliche Erwerb nicht nachzuweisen. Deshalb soll die Kirche von dem, was sie zurückhaben will, den rechtmäßigen Erwerb nachweisen. Davon werden wir nicht
abgehen. Der Staat der Gewalt, der Unterdrückung, der Ausbeutung
braucht die Kirche. Die organisierte Kirche ist die sicherste Stütze des reaktionären Staates. Insofern ist es richtig, wenn gesagt worden ist, daß die Religion die geborene Stütze des Staates ist. Wenn Abge⸗ ordneter Klingemann erklärte, der Krieg wäre eine sittliche Notwendig⸗ keit gewesen als Zuchtrute Gottes, so erwidere ich, die Kirche hätte
gegen den Krieg Stellung nehmen müssen, wie die christliche Nächsten⸗
liebe und die Gebote Gottes es vorschreiben. In der Presse ist das Volk belogen und betrogen worden, wie während des Krieges, so nach der Revolution. Die unglaublichsten Märchen und Verleum⸗ dungen sind dem Volke aufgetischt worden, um es aufzupeitschen, z. B. wegen meines Vierteliahresgehalts von 6000 Mark. Wenn man das heutige Kultusministerium betrachtht, so muß man sagen, die Novemberrevolution ist nur eine Scheinrevolution, keine wirkliche Revolution gewesen. (Sie (nach rechts) haben nicht einmal versucht, diese Revolution aufzuhalten oder zu verhindern. Der damalige stell⸗ vertretende Ministerpräsident Friedberg hat uns sofort, ohne Ein⸗ spruch zu erheben, sein Amt abgetreten. Sie hatten vor der deutschen Revolution mehr Respekt, als sie eigentlich nach der Art, wie sie ausgeführt worden ist, verdient hat, ernst genommen zu werden. Nicht die Revolution hat den Zusammenbruch herbeigeführt, sondern der war schon da. Sie suchten Ihr Leben zu retten⸗ und verschwanden in bombensicheren Kellern. Das steht in Widerspruch mit den Worten des Pastor Rump, die er kürzlich in Potsdam gesprochen hat: Wenn die Zeit gekommen ist, wollen wir sterben um unserer Ehre und unserer
—
Wortlaute wiedergegeben werden.
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vh Uusnahute bde Roden dee Hewton Ministor, die im
Brüder willen, damit die Ehre nicht zuschande srerde. Derselbe Pre⸗ IF hat im vorigen Jahre unter Himweis auf den Stuhl, wo beöher ülhelm der Sen gesessen hat, von der Kanzel herab gesagt, seit Chriftus auf Golgatha den Tod erlitt, habe kein Mensch so viel Leid erdulden müssen, wie der Mann, der bisher auf diesem Stuhl gesessen habe. Daß das Ministemium den Ansprüchen der Kirche nicht genügen würde, habe ich vorausgesehen. Reicht man der Kirche aber den kleinen Finger, so nimmt ste die ganze Hand. Das Zentrum hat vom Minister micht einen Arm genommen, sondern den ganzen Kerl. (Heiterkeit.) Wollen Sie auf Ihrem Ministerposten bleiben, dann blesbt Ihnen nichts anderes übrig, als katholisch zu werden. (Stürmische Heiterkeit.) Im November hat Herr Haenisch die Revolution mitgemacht, aber fragt mich nur nicht wie. Beim Schultompronniß wurde ihm das erste kaudinische Joch aufgerichtet, dem er sich beugen mußte, trotzdem seine eigene Partei ihm zurief: Conrad, werde hart. In seinem ganzen Handeln zeigt der Minister nicht die Spur von Grundsätzen. Das Schulkompromiß wäll er, wie manches andere, in legalster Weise durchführen, mehr können Sie nicht verlangen. In seiner Rede in der Handelshochschule hat er erklärt, er habe die bankerotte Regierung übernommen, weil niemand da wäre, der sie sonst hätte übernehmen können. Wenn die Mehrheitssozialisten in diesem Augenblick den revolutionären Stoß aufgefangen häatten, so hätten sie sich um das Land sehr verdient gemacht. Das ist ein glattes Eingeständnis, daß mamn die Revolution mit nichts machen wollte. In der „Glocke“, die Firma Sklarz⸗Parvus kennen Sie ja zur Genüge, hat Herr Haenisch zum mindesten Helferdienfte geleistet, das Volk und die Soldaten während des Krieges zu belügen und zu betrügen. Alle Erlasse, die während unserer gemeinschaftlichen Amtsführung herausgegeben worden sind, sind einstimmig gefaßt worden. Hinterher hat Herr Haenisch alle Erlasse aufgehoben und sich den Anschein gegeben, von mir abzu⸗ rücken, um sich wieder bei Ihnen lieb Kind zu machen. Sein Auf⸗ treten in Maria⸗Laach beweist, daß Herr Lauscher Herrn Haenisch Unrecht tut. Haben Sie nur noch ein wenig Geduld, Herr Haenisch wird unter der Vormundschaft des Herrn Wildermann nicht nur Ihnen aus der Hand fressen, sondern alles gehorsam apportieren. Ich hätte gewünscht, Herr Haenisch wäre einmal konsequent gewesen und wäre gleich in Maria⸗Laach geblieben, denn da gehört er hin. (Große eiterkeit.) Im November v. J. hat sich sogar in Berlin ein evan⸗ gelischer Pfarrerrat gebildet, der sich bereit erklärte, auch unter der neuen Staatsform positiv mitzuarbeiten. Dieser Pfarrerrat machte sehr vernünftige Vorschläge, einen Fonds zu schaffen zur Unterstützung armer Gemeinden, ohne den Staat zu belasten. Die Gemeinden mit großen Pfründen sollten an die kleinen Gemeinden die entsprechende Mittel abgeben. Leider ist auch dieser Vorschlag nicht zur Durch führung gekommen. Jedenfalls wird sich später die Trennung vo Kirche und Staat anders vollziehen, als es nach diesem Vorschlag gekommen wäre. Hinsichtlich der Anstellung und Abberufung von Lehrern und Beamten hat Herr Haenisch jetzt ganz anders gehandelt, als er es früher als Abgeordneter gefordert hat. Er mag ein guter Menscch sein, auf dem Posten, auf dem er⸗ jetzt steht, ist er aber nu ein Spielball des Zentrums, er pariert auf jedes Kommando, ist stets konziliant und wird es auch immer verstehen, seine Wünsche zurück zustellen. Ich habe hier ein Schreiben vom Kultusministerium, in dem mir mitgeteilt wird, Herr Hasnisch beabsichtice, meine Marmorbüsst in der Vorhalle des Ministeriums aufzustellen. (Heiterkeit.) Ich möchte meine Wünsche für den Künstler mitteilen. (Erneute Heiter⸗ keit.) Wenn ich um eine Gnade bitten darf, so ist es die, stellen Sie Haenisch nicht daneben. (Schallende Heiterkeit im ganzen Hause. Das Ghristentum stellt sich-so dar: Der Mann mit der Donnerbüchsf auf der einen Seite, auf der anderen der Mann mit der Bibel und zwischen ihnen die Schnapsflasche. (Lobhafte Bewegung.) Wir haben das Wort nicht vergessen: Noch 10 oder 20 Jahre weiter mit der Abstinenz, dann sind wir nicht mehr in der Lage, einen Krieg zu führen. Nur mit Sckmaps kann das Volk in der Dummbeit erhalten bleiben. (Widerspruch rechts.) Wenn Sie das Volk vom Schnaps befreien wollen, so brauchen Ihre Anhänger einfach keinen Schnaps mehr zu brennen, von dem Sie aller⸗ dinas viele Millionen an Liebesgaben in die Tasche stecken. Zum Wiederaufbau unserer Kultur ist eine grundstürzende Umwälzung des Bildungs⸗ und Erziehungswesens erforderlich. Bisher wurden nur Ausbeutungsobjekte durch die Schulen großgezogen. Geenzenloses Elend der breiten Massen auf der einen Seite und unsinnige Ver⸗ schwendung einer kleinen Oberschicht auf der anderen, das war die bisherige Kultur. Wir brauchen eine wirkliche Arbeitsschule und müssen deshalb mit dem ganzen alten Apparat radikal aufräumen und das ganze Volk an der Kultur teilnehmen und mitwirken lassen. Wir verlangen deshalb eine revolutionäre Umgestaltung der ganzen Ver⸗ waltung, die Abschaffung dieses Ministeriums, der Provinzialschul⸗ kollegien und der Kxeisschulinspektoren. An dessen Stelle wollen wir Bildungs⸗ und Erziehungsräte treten lassen, aus deren Mitte die Zentralinstanz entsteht, der ein Fachbeirat und ein Elternbeirat beizu⸗ geben ist. Die Zusammensetzung der Schuldeputation darf nicht mehr behördlich vorgesckrieben werden, sondern muß den Gemeinden selbst überlassen sein, und das schikanöse Bestätigungsrecht muß beseitigt werden. Der Einfluß des kirchlichen Muckertums muß mit Stumpf und Stiel ausgerottet werden, die Vorrechte der Kirche müssen beseitigt werden. Ahkerdings ein großes Vertrauen haben wir zu dem Minister nicht, der seit Januar den reaktionären Elternrat aufgeführt hat. Aus der Ehe zwischen Zentrum und Regierungssczialisten kann nur ein Wechselbalg entstehen. Die höheren Schulen mit ihrem Sammel⸗ surium von Wissen dienen nicht der Kultur, sondern dem Standes⸗ dünkel und der Klassenherrschaft. Die Bildung muß allen gemeinsam sein von der Kinderschule bis zur Hochschule. Um Ihnen (nach rechts) Ihre Kulturstufe zu beweisen, will ich Ihnen einige Kapitel. aus dem Buche „Die Sünden der Päpste“ verlesen. Der Redner verliest unter andauerndem Lärm und großer Heiterkeit, die durch falsche Aussprache eines lateinischen und griech schen Wortes hervorgerufen wird, ein Kapitel. Das ist ein Beispiel Ihrer hohen Sittlickkeit und Ihrer Kukturstufe. (Stürmische Zurufe und Gelächter.) Wir wollen aber an die Stelle der Kirchenschulen die Volkssckulen setzen, die dem ge⸗ samten Volke gehören sollen. Dies ist unsere Forderung, von der wir nicht abgehen werden. Der Kultusminister meinte im Ausschusse, er habe keine Geldmittel. Warum greift er denn nicht zu? (Große Heiterkeit.) Wenn Ihnen (zum Zentrum und nach rechts) wirklich am Volkswohl gelegen ist, so haben Sie hier die beste Gelegenheit, durch Streichung, der kirchlichen Geldmittel Ihre Volksfreundlichkeit zu beweisen. Die Kirche hat ungeheuere Schätze aufoespeichert und könnte sie zum Besten des gesamten Volkes herausrücken. Aber das wollen Sie (nach rechts) nicht, weil dann auch die Kriegsgewinnler und Kriegsbetzer dem guten Kirchenbeispiele folgen müßten. (Präsident Leinert: Herr Abgeordneter Hoffmann, Ihre Redezeit ist um. Zuruf: Gott sei Dank!) Wenn Sie (zum Zentrum und nach rechts) den ehr⸗ lichen Willen haben, am Wohle des Volkes mitzuarbeiten, dann begn⸗ tragen Sie, die Summe, die im Etat für kirchliche Zwecke ausgeworfen ist, zu streichen. Sie wollen aber nur die heutige Gesellschaft und das Volk in der Dummheit erhalten, und dazu leistet Herr Haenisch und die hinter ihm Stehenden Helferdienste. GBeifall bei den Ukab⸗ hängigen Sozialdemokraten.) Abg. Schluchtmann (Soz.); Das jetzige Kultusministerium hat die Aufgabe, vor allen Dingen für die breite Masse der Arbeiter⸗ schaft etwas ganz Besonderes zu leisten. Wir können aber heute schon die Beobachtung machen, daß einige Mißstände bestehen, die geeignet sind, die guten Ansätze zu hindern. Wir wünschen, daß den Volkshoch⸗ schulen eine möglichste Vielgestaltung gegeben wird, und daß dies nicht nur auf. dem Gebiete der Wissenschaft und der Kunst, sondern auch auf weiterabsiegenden Gebieten der Fall sein möge. Die heutigen Lehrkräfte sind nicht immer in der Lage die Aufnahmefähigkeit ihrer Hörer richtig einzuschätzen. Obgleich durch die Presse dem Ministerium verschiedentliche Anregungen gegeben sind, haben diese doch nicht die genügende Beachtung gefunden; darauf kommt es ader doch im be⸗ sonderen an. Es ist notwendig, daß das Ministerium sich mit den Lehrern der Volkshochschulen in Verbindung setzt und mit diesen ge⸗ meinsgm zum Besten den Fenae eine Neuregelung herbeiführt. Das Ministerium für Kunst, Wissenschaft aind Volksbildung wird sein n 4 181-5evbIv vC,Mh 2988 . 1-9v— 85 111“;