1919 / 280 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 06 Dec 1919 18:00:01 GMT) scan diff

Abg. D. Mumm (ergänzend): Die „Deutsche Tageszeitung“ be⸗ vichtet über unendliche Grausamkeiten der litauischen Truppen gegen⸗ über Kriegsgefangenen. Diese werden danach auf angespitzte Pfähle gesetzt, die ihnen dann in den Körper dringen. Wird die Reichs⸗ regierung dafür Genugtuung fordern?

Reichsminister des Auswärtigen Müller: Der Reichs⸗ regierung ist von dem Inhalt dieser Notiz der „Deutschen Tages⸗ zeitung“ bisher amtlich nichts bekannt. Ich möchte mir auch Zweifel an der Richtigkeit dieser Notiz erlauben (sehr richtig! links); denn das ist eine Schauernachricht, wio wir sie während des Krieges sehr oft erlebt haben. Jedenfalls werden wir die Sache nachprüfen und Ermittelungen anstellen. Das ist selbstverständlich.

Die in der Geschäftsordnung vorgesehene Frist von einer Stunde für kurze Anfragen ist abgelaufen. Die übrigen An⸗ fragen werden deshalb von der Tagesordnung abgesetzt.

An Stelle des aus dem Vorstand ausgeschiedenen Schrift führers Abg. Fischer⸗Berlin wird Abg. Schmidt⸗Meißen (Soz.) gewählt.

Darauf wird die erste Beratung der Entwürfe eines Landessteuergesetzes, eines Reichseinkommen⸗ steuergesetzes und eines Kapitalertragssteuer⸗ gesetzes fortgesetzt. 8 *

Abg. Keil (Soz.): Wir sprechen dem Finanzminister und seiner anzen Verwaltung unsere Anerkennung aus für die enorme Arbeit,

ie von der Mitte dieses Jahres ab auf dem Gebiete der Steuer⸗ politik geleistet worden ist. Soviel Jahre hätte man früher dazu gebraucht, wie jetzt Monate. Die breiten notleidenden Massen würden etwas erleben können, wenn die Rechte die Macht hätte, die aufzubringenden Milliarden nach ihrem alten Rezept zu verteilen. Die Steuerarbeit konnte nur stückweise und abschnittweise erledigt werden, während es früher möglich war, sie in ihrem ganzen Umfang rechtzeitig sorgfältig vorzubereiten. Früher hat man willkürlich zu⸗ gegriffen, mochte die Belastung noch so unsozial sein. Die notwendige Ausgestaltung der Erbschaftsbesteuerung hat man abgelehnt. Herr Helfferich war in seinen Steuerplänen nicht großzügig, sondern nur im Schuldenmachen. Das Reichsnotopfer muß baldigst verabschiedet werden, sonst verflüchtigen sich die Milliarden, die von Rechts wegen der Reichskasse zugeführt werden müssen. Wenn man die einzelnen Steuergesetze überblickt, so sieht man, daß nur eine etappenweise Durchführung des großen Werkes möglich ist. Die Etappen müssen freilich schnell aufeinander folgen, damit der innere Zusammenhang nicht verloren geht, worauf wir den größten Wert legen. Ueber den Finanzbedarf in den nächsten Jahren können wir uns bei der Geld⸗ entwertung keine Vorstellung machen, zumal die Leistungen aus dem Friedensvertrag noch nicht feststehen. Wir müssen möglichst bald aus den Schulden herauskommen, denn wir ersticken im Ueberfluß an Schulden. Alle Behörden müssen an der Ueberzahl von Beamten sparen. Die Ueberorganisation aus der Kriegszeit besteht noch fort. RRuf rechts: Zwangswirtschaft!) Wenn wir nicht eine Hunger⸗ katastrophe heraufbeschwören wollen, ist die Aufhebung der Zwangs⸗ wirtschaft noch nicht möglich. Die ungeheure Milliardenlast ist mit direkten Steuern allein nicht aufzubringen, auch nicht mit Besitz⸗ teuern allein. Wenn die deutsche Wirtschaft nicht zugrunde gehen stan brauchen wir nicht nur Kapital ohne Kapitalbildung kann sich die Wirtschaft allerdings nicht entwickeln —, sondern noch vielmehr eine lebens⸗ und leistungsfähige Arbeiterschaft. Sonst können Industrie und Landwirtschaft nichts leisten und auf dem Weltmarkt nicht bestehen. Das wertvollste und unentbehrlichste Kapital ist die menschliche Arbeitskraft. Wenn die Arbeiterschaft nicht einen größeren Anteil am Produktionsertrag erhält, sind zerrüttende Kämpfe unaus⸗ bleiblich. Eine Beschränkung in der Lebenshaltung muß zuerst da eintreten, wo übertriebener Luxrus und Verschwendung herrschen. Die progressive Einkommensteuer erfüllt ihren Zweck nur, wenn sie die Inhaber der Rieseneinkommen zur Beschränkung in der Lebens führung zwingt. Deshalb müssen die direkten Steuern dis zur zu⸗ lässigen Höchstgrenze ausgebildet werden. Daß das Reich den Ländern und Gemeinden die Einkommensteuer entzieht, bringt eine völlige Umwälzung mit sich und bedeutet einen entscheidenden Schritt um Einheitsstaat. Wir stimmen der Reichseinkommensteuer im Pünah zu, müssen aber im einzelnen mancherlei Vorbehalte machen. die Einkommensteuer wird acht Milliarden aufbringen. Da wir mit einem Jahreseinkommen des deutschen Volkes ohne die Abtrennungs⸗ gebiete von etwa 74 Milliarden rechnen können, scheint mir die Ertragsberechnung des Finanzministers noch viel zu vorsichtig. Aller⸗ dings handelt es sich jetzt nur um die Besteuerung der physischen Personen. Aber die Besteuerung der juristischen Personen, die einem Sondergesetz vorbehalten ist, muß gleichzeitig am 1. April 1920 in Kraft treten. Wie weit ist der Steuerentwurf für die jurstischen Per⸗ sonen gediehen? Es wird nicht möglich sein, angesichts der Ent⸗ wertung des Geldes die Stenerpflicht bereits bei 1000 Einkommen beginnen zu lassen. Das Existenzminimum muß überhaupt neu be⸗ messen werden. Starke Bedenken haben wir gegen das Prinzip der Haushaltsbesteuerung. Hier soll prinzipiell das Einkommen des Haus⸗ haltungsvorstandes und das der Kinder zusammengerechnet werden, auch wenn der Haushaltungsvorstand kein Verfügungsrecht über die Ein⸗ kommen der Kinder hat. Diese Bestimmung lehnen wir ab. Die Kapitalsteuer eignet sich als Reichssteuer mehr als die Ertragssteuer aus dem Grund⸗ und Gebäußebesitz, die zweckmäßiger von den Ge⸗ meinden erhoben wird. Die Ertragssteuer wäre neben der allgemeinen Einkommensteuer progressiv und nicht proportional zu gestalten. Eine Luxussteuer ist durchaus berechtigt, für großen Luxus und Prunk ist im armen Deutschland kein Naum mehr. Hinsichtlich des Ertrages aus den Zöllen sollte der Minister nicht so große Hoffnungen hegen. Wir müssen zunächst die Gestaltung unseres Verhältnisses zum Aus⸗ land abwarten. Ueber die Kohlensteuer wird später zu reden sein. Eine Reform des Branntweinmonopols halten auch wir für dringend geboten. Jetzt wahrt dieses Monopol lediglich die Interessen der Kartoffelbrenner, nicht aber die des Deutschen Reiches und Volkes. Das Erbrecht des Reiches von einem bestimmten, nicht zu entfernten Verwandtschaftsgrade an muß baldigst in Kraft gesetzt werden. Ebenso warten wir auf die Besteuerung der toten Hand. Die Interessen und Bedürfnisse der Einzelländer und insbesondere der Gomeinden werden wir nicht vernachlässigen, ein Mißtrauen gegen die Reichsregierung ist in dieser Hinsicht unbegründet. Auf die Kapitalertragsbesteuerung können wir nicht verzichten, wenn auch erhebliche Bedenken dagegen geltend gemacht werden können. Zweifellos hat diese Steuerart den Vorzug, daß sie das Einkommen schärfer und restlos erfaßt, während bei der Einkommensteuer nur das Einkommen der Lohnempfänger wirklich erfaßt werden kann. Die Steuerquellen der Länder und Ge⸗ meinden werden wir stets respektieren und ihnen Besteuerungsmöglich⸗ keiten so weit nur irgend angängig offen halten. Abg. Dr. Zehnter (Zentr.) (auf der Tribüne unverständlichz: Wir müssen mit der betrübenden Tatsache rechnen, daß unser Gesamt⸗ schuldenstand rund 200 Milliarden beträgt. Den Etat für 1920 können wir nock nicht übersehen, da wir die Einnahmen noch nicht mit einiger Zuverlässigkeit kennen. Eine Verarmung des deutschen Volkes

steht sicher bevor. Die Erträgnisse aus Einkommen und aus Ver⸗

mögen werden voraussichtlich in Zukunft sinken. Die vielen Ber⸗ mögensabgaben werden nicht die Sparsamkeit fördern. Die Ein⸗ kommensteuer wirkt auch kapitalhemmend. Die älteren Beamten mit ihrer größern Erfahrung sollte man nicht beiseite schieben, solange sie noch arbeitsfähig sind und ein Grund gur Entlassung nicht vorliegt. Wir leiden an einer Hypertrophie von Behördenorganisation. (Sehr wahr!) Hier könnte sehr gespart werden. Wir haben auch ein Ueber⸗ maß von parlamentarischen Beiräten, Sachverständigenbeiräten, Aus⸗ schüssen usw. Diese Organisationen bringen nicht den Nutzen, den man von ihnen erwartete. Nicht nur im Reich, sondern auch in den Einzel⸗ staaten leiden wir an einer Behördenhypertrophie. Es gibt nicht weniger als 168 Minister im Deutschen Reich. (Hört, hört!) Die Kriegsgesellschaften müssen in schnellerem Tempo abgebaut werden. Die Industriellen in Württemberg und Baden beschweren sich übrigens darüber, daß sie an der Verwertung des Heeresguts nicht in demselben

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Maße beteiligt werden wie andere Pandesteile. Darüber besteht keine Meinungsverschiedenheit meht, daß das Reich, eine Einkommensteuer bekommen n Näherer Prüfung bedarf es aber noch, ob es eine ausschließliche Reichssteuer sein soll oder ob auch die Länder und Ge⸗ meinden in dieser Besteuerung konkurrieren können. Sckwierig ist die Feststellung, was Einkommen ist. Der Gesetzentwurf hat eine ganze Reihe von Bestimmungen darüber aufgenommen, die man im großen ganzen billigen kann. Der Steuertarif der Vorlage macht einen ver⸗ blüffenden Eindruck, wenn man an die Steuertarife der Einzelstaaten vor dem Kriege denkt. Aber man darf nicht außer acht lassen, daß während des Krieges schon die Einzelstaaten ihre Einkommensteuern bedeutend haben erhöhen müssen, und daß auch noch von den Ge⸗ meinden Zuschläge zur Einkommensteuer erhoben sind, die häufig höher waren als die Staatssteuer. Ob der Tarif der Vorlage in allen Teilen angenommen werden kann, bedarf der Erwägung; vielleicht könnten die oberen Einkommenstufen noch etwas erhöht werden. Mit der Entrichtung der Steuer durch Abzug vom Lohn, wie ihn § 44 vorsieht, haben wir in Baden einige unangenehme Erfahrungen ge⸗ macht, so daß wir diese Art der Steuererhebung nur mit gewessen Be⸗ schränkungen zugelassen haben. Die Vorlage geht sehr viel weiter, und wir werden prüfen müssen, ob wie die Bestimmung des § 44 in der vorgeschlagenen Allgemeinbeit annehmen können. Die steuerfreie Grenze von 1000 Mark kann unter den heutigen Verhältnissen viel⸗ leicht noch etwas hinaufgesetzt werden. Redner gibt sodann einen Ueberblick über die Geschichte der Steuersysteme, die ursprünglich auf der Grundlage der Ertragssteuern aufgebaut waren und dann schritt⸗ weise zur Einkommensteuer und schließlich zur Vermögenssteuer über⸗ gingen. Redner schließt: Wir müssen anerkennen, daß der Reichs⸗ finanzminister mit diesen Vorlagen schöpferisch wirkt, und wir wünschen, daß es ihm gelingt, sein Werk auch glücklich zu Ende zu führen. (Beifall im Zentrum.)

Reichsminister der Finanzen Erzberger: Meine Damen und Herren! Die Herren Abgeordneten Keil und Dr. Zehnter haben in der ersten L sung des Reichseinkommensteuergesetzes, des Kapital⸗ ertragsstenergesetzes und des Landessteuergesetzes eine Reihe sehr be⸗ achtenswerter Anregungen gegeben, auf welche ich im jetzigen Augen. rlick nicht eingeh’en will. Ich glaube, daß sich in der Kommission reichlich Gelegenheit bieten wird, auf die Darlegungen und An⸗ regungen und auf die Wünsche auf Aenderung an den eingebrachten Vorlagen zurückukommen. Ich tann auch namens der Reichsregierung erklären, daß wir bereit sind, auf gut begründete Abänderungsvor⸗ schläge einzugeben. Die Regierung steht nicht auf dem Standpunkt und kann nicht auf dem Standpunkt stehen, daß das Werk, das Ihnen vorgelegt worden ist, unverändert zur Annahme gelangen soll. Wir werden eingebend zu prüfen haben: auf der einen Seite die Leistungsfähigkeit des deutschen Volks, weitgehende Rück⸗ sicht nach sozialen Gesichtspunkten; auf der and ren Seite aber dürfen wir auch nie vergessen, daß die notwendige Summe von 24 Milliarden Mark an Steuern aufgebracht werden muß, und daß namentlich schon im laufenden Jahre der größte Teil davon gesetzmäßig beschlossen werden muß. Das Jahr 1920 muß mit Einnahmen für das Reich rechnen, die ich auf mindestens 16 Milliarden Mark einschätze. Das ist das große Ziel, das wir uns zu stellen haben.

Ich hätte nicht Veranlassung genommen, das Wort zu ergreifen, wenn nicht im Laufe der Rede des Herrn Abg. Keil ganz vorüber⸗ gehend, dann aber durch einen Zwischenruf deutlicher eine Frage ange⸗ schnitten worden wäre, die ich sofort beantworten will. D.er. Herr Abg. Keil hat vorübergehend von dem Reichsnotopfer gesprochen und von der Gefahr, daß das Reichsnotopf’r, wenn es von der National⸗ versammlung beschlossen würde, eventuell von der Entente beschlag⸗ nahmt werden könnte. Ein Zwischenruter von der rechten Seite hat dann sofort erklärt: „Ja, damit müssen wir rechnen, daß die Entente damit kommt“. Da nun auch in der Oeffentlichkeit gestern und heute solche Behauptungen aufgetaucht sind, so ist es richtig, daß die Regierung zu dieser Frage in aller Oeffentlichkeit sofort Stellung nimmt. Ich tue das auf Grund einer Ertlärung, die ich bereits im 10. Ausschuß abgegeben habe, und die folgendenmaßen lautet:

„Die Froge, ob die Entente nach dem Friedensvertrag berechtigt ist, das Erträgnis des Re chsnotopfers zur Deckung von Deutschlangs Wiedergutmachungsschuld einzufordern, ist von der Reichsregierung bereits mehrfach dahin beantwortet worden, daß der Entente dieses Recht nicht zusteht, wenn Deutschland seinen Verpflichtungen nach⸗ kommt. Da die Frage begreiflicherweise die Oeffentlichkeit stark be⸗ schäftigt, auch neuerdings im Ausschuß des Reichstags aufgeworfen worden ist, seien die rechtlichen Gesichtspunkte nachstehend nochmals zusammengefaßt:

1) Geht man davon aus, daß Deutschland seinen Vezoflichtungen nachkommt, so wäre ein Zugriff der Entente auf das Notopfer nur dann möglich, wenn ihr Wiedergu’machungsausschuß berechtigt wäre, willkürlich die Zahlungs mittel Deutschlands zu bestimmen. Diese Berechtigung besteht indes nicht. Zu Bedenken Anlaß geben in dieser Beziehung der § 12 b der Anlace II zu Artikel 233, wonach

der Wiedergutmachungsausschuß von Zeit zu Zeit Deutschlands Zahlungsfähigkeit daraufhin nachzuprüfen hat, daß alle Einkünfte Deutschlands einschiteßlich der für den Zinsendienst und die Tilgung seiner inneren Anleihen bestimmten vorzugsweise zur Ab⸗ tragung der Wiedergutmachungsschuld verwendet werden, sowie der Artikel 218, wonach

der gesamte Besitz und alle Einnahmequellen des Deutschen Reichs an erster Stelle für die Bezahlung der Kosten der Wiedergut⸗ machung haften.

Diese beiden Bestimmungen koͤnnen indes nur so ausgelegt werden, daß durch sie Deutschlands Vermögen nur mit einer Bürg⸗ schaft belastet werden soll, von der aber solange kein Gebrauch ge⸗ macht werden kann, als Deutschland innerhalb der ihm gesetzten Fristen zahlt. Wie es zahlt, ist seine Sache. Dementsprechend heißt es auch im § 19 der Anlage II, daß der Ausschuß von Deutschland Zahlungen in Form von beweglichen und unbeweglichen Gütern, Waren, Unter⸗ nehmungen, Rechten und Konzessionen auf deutschem und nicht⸗ deutschem Gebiete, von Schiffen, Schuldverschreibungen, Aktien⸗ Wertpapieren jeder Art und deutschen oder nichtdeutschen Geldsorten annehmen kann. Daß der Ausschuß aber das Recht hätte, im Falle der Vertragserfüllung die eine oder die andere aller dieser Zahlungsmöglichkeiten zu forderv, ist nirgends gesagt. Im Gegenteil heißt es sogar in der Antwort der seindlichen Mächte vom 16. Junt 1919 auf die deutschen Gegen⸗ vorschläge (Seite 59 der vom Auswärtigen Amt besorgten Ausgabe): „Falls Deutschland das zu zahlende Geld auf seine eigene Weise beschafft, kann die Kommission nicht befeblen, datz es auf irgendeine andere Weise be⸗ schafft werdensoll. Wenn Deutschland Zahlungen ian natura

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anbietet, hat die Kommission das Recht, diese anzunehmen; aber mit

Ausnahme der im Vertrage vorgesehenen Fälle kann die Kommission eine solche Zahlungsweise nicht verlangen.“

Wenn der Wiede gutmachungsausschuß auch bei Vertrags⸗ erfüllung das Recht hätte, die Zahlungsmittel Deutschlands zu be⸗ stimmen, also eventuell auch das Erträgnis des Reichsnotopfers ein⸗ zudehalten, so wäre dies ein Eingriff in die Finanzhoheit des Deutschen Reiches, wie er schwerer gar nicht gedacht werden könnte. Nach der feierlichen Erklärung der feindlichen Mächte ist aber ein solcher Eingriff in die deutschen Hobeitsrechte nicht geplant. Seite 59 der oben erwähnten Antwort heißt es: „Die Kommission ist weder ein Werkzeug zur Bedrückung, noch eine List zur Einmischung in Deutschlands Hoheitsrechte. Sie hat keinerlei Exekutivrechte inner⸗ halb der Gebiete Deu schlands; sie kann sich nicht in die Leitung irgendwelcher deutscher Einrichtungen mischen.“ Und auf Seite 58: „Die Bedingungen dürfen nicht so ausgelegt werden, als wenn sie der Kommission das Recht gäben, Deutschland seine innere Gesetzgebung zu diktieren. Noch gibt § 12 b des Anhanges II der Kommission das Recht, das Aus⸗ schreiben oder die Einziehung der Steuern anzu⸗ ordnen oder Vorschriften über die Aufmachung des deutschen Budgets zu machen.“

Wenn auch die vorstehend erwähnte „Antwort“ nicht zum eigent⸗ lichen Vertragsinhalt gehört, so ist sie doch als eine auth ntische Interpretation des damaligen feindlichen Vertragsentwurfs zu be⸗ trachten, von deren Leitsätzen die Entente nicht wird abgehen können, wenn überhaupt bei Ausführung des Friedensvertrags nach Recht und Gesetz verfahren werden soll.

2. Keinem Zweifel kann unterliegen, daß der Entente auf Grund der vorgenannten Vertragsbestimmungen dann ein Zugriffsrecht zu⸗ stünde, wenn Deutschland seinen Verpflichsungen nicht nachkommt. Es wäre daher an sich die Möglichkeit denkbar, deß der mit dikta⸗ torischen Machtbetugn ssen auspestattete Wiedergutmachungsausschuß Deutschland alsbald so schwere Bedingungen auferlegen würde, daß notgedrungen auf das Erträgnis des Reichsnosopfers zurückgegriffen werden müßte. Jedoch soweit gehende (willkürliche) Machtbefug⸗ nisse hat der Wiedergutmachungsausschuß nicht. An sich hat allerdings der Wiedergutmachungsausschuß die Aufgabe, vach freiem Ermessen die jetzt noch nicht feststehende Wiedergutmachungsschuld Deutschlands bis spätestens 1. Mai 1921 festzustellen. Immerhin ist er hierbei an bestimmte Voraussetzungen gebunden, die in Ziffer c des erwähnten § 12 niedergelegt sind. Hier werden als erstmalige Anzahlungen 20 Milliarden Gold fest⸗ gesetzt, die wir sofort in Schuldverschreibungen auszustellen haben und die wir bis spatestens 1. Mai 1921 (ohne Zinsen) unter An⸗ rechnung geliefe ter Vermögenswerte zu zahlen haben; sodann die soortige Ausstellung weiterer Schuldverschreibungen über weitere 40 Milliarden, deren Verzinsung mit 2 ½ vom Hundert im Jahre 1921 beginnt und deren Tilgung mit 1 vom Hundert unter Erhöhung der Zinsen auf 5 vom Hundert nach 1926 erfolgt. Neben diesen Verpflichtungen geht einher die sofortige Aushändigung einer schrift⸗ lichen Verpflichtung auf Zohlung weiterer 40 Milliarden, deren Zahlung aber noch nicht feststeht, vielmehr vom Ausschuß unter gewissen Voraussetzungen angeornet werden kann.

Diese Bestimmungen, als Anweisung an den Wiedergutmachungs⸗ ausschuß erlassen, bezwecken natürlich in erster Linie eine Stcher⸗ stellung der Ententeforderungen, haben aber auf der anderen Seite auch einen die Rechte des Ausschusses einschränkenden Charakter, indem dieser pämlich nicht das Recht hat, vor 1926 von Deutschland höhere Summen, als in diesen Sicherheiten angegeben einzufordern. Vielmehr hat bis 1926 der Wie ergutmachungsaus⸗ schuß nur das Recht, in diesem Rahmen die Zahlungsfristen und weisen festzusetzen.

Daß diesen Bestimmungen der einschränkende Charakter inne⸗ wohnt, geht schon aus der Erwägung hervor, daß sie sozusagen eine hypothekarische Sicherheil der Ententeforderungen sind, und daß aber diese Sicherheiten dann nicht zureichen würden, wenn der Ausschuß darüber hinaus bezüglich der Zahlungsweise und der Fristen strengere Anforderungen treffen töannte.

3. Aus dem Gesagten geht hervor, daß Deutschsand im Falle der Vertragserfüllung vor dem Zugriff der Entente auf das Reichs⸗ notopfer durch die Bestimmungen des Friedensvertrags rechtlich ge⸗ deckt ist. Daß daneben die Möglichkeit bestehen bleibt, daß die Feinde als die Inhaber der tatsächlichen Macht unter Beiseite⸗ schiebung von Recht und Gesetz diesen Zugriff dennoch ausüben, ist selbstverständlich; diese Möglichkeit ist aber auf keine Weise, vor allem nicht dusch einen sofortigen Verhandlungsversuch mit der Entente, auszuriumen.

Von diesen Gedankengängen geleitet, hat seinerzeit die Reichs⸗ regierung einstimmig beschlossen, den gesetzgebenden Körperschaften des Deutschen Reiches den Entwurf des Reichsnotopfers zur Beschluß⸗ fassung vorzulegen. Da trotz der Einstimmigkeit des Kabinetis der 10. Ausschuß der Nationalversammlung ein Sondergutachten des Reichsjustizministers erbeten hat, hat der Reichsminister der Finanzen dieses Ersuchen geglaubt weiterleiten zu müssen. Das Gut⸗ achten liegt nunmehr vor. Obwohl es staatsrechtlich nur als eine der Reichsregierung erstattete gutachtliche Aeußerung eines Reichsministers zu betrachten und somit nur als Grundlage für die Entschließung des Reichskabinetts zu dienen bestimmt sein kann, sollen im Einverständnis des Reichsjustizministers die Leitsätze seines Gutachtens, die sich mit meiner bisherigen Stellungnahme durchaus decken, nachstehend mitgeteilt werden:

„Was die Frage anlangt, ob die Gegner das Reichsnotopfer als solches und unmittelbar in Anspruch nehmen können, so bin auch ich der Ansicht, daß von den Bestimmungen des Friedensvertrags nur der § 18 der Anlage II zum Artikel 244 dem Gegner eine rechtliche Handhabe zum unmittelbaren Zugriff auf die Erträgnisse der Abgabe bietet, daß also eine Beschlagnahme oder Wegnahme dieser Erträgnisse nur im Falle vorsätzlicher Nichterfülung unserer durch Teil VIII des Friedensvertrags begründeten Verpflichtungen

Sodann fährt der Reichsiustizminister mit Recht noch fort:

„Im übrigen scheint mir, daß bei der Entscheidung über die Verabschiedung des Gesetzentwurfs der aufgeworfenen Rechtsfrage eine ausschlaggebende Beveutung überhaupt nicht zukommt, venn einmal treffen die Anwendungen, die sich aus dem Friedensyertrage

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gegen das Reichsnotopfe anderen zur Tilgung innerer Schulden bestimmten Einnahmequellen zu. Andererseits könnte, falls Deutschland seine Wiederguta achungs⸗ pflicht nicht erfüllt, ebensogut die Nichterhebung des Reichsnotop ers oder einer gleich hohen Abgabe anderer Art den Gegnern Anlaß zum Einschreiten gemäß §§ 17 und 18 der Anlage II zu Art. 244 geben, da ja die Reichsregierung durch Einbringung der Gestzs⸗ vorlage zu erkennen gegeben hat, daß eine solche Abgabe die Leistungs⸗ fähigkeit Deutschlands nicht übersteigt.“

Aus alledem solgt, daß Deutschland nur dann vor Eingriffen der Entente in seine Finanzhohest einigermaßen gesichert ist, wenn es mit allen Kräften den finanziellen Bedingungen des uns nun einmal aufgezwungenen Friedens nachzukommen bestrebt ist. Dies ist aber nur möglich bei einer Wiederaufrichtung der Finanzen des Deutschen Reichs, und in diesem Gebäude ist das Reichsnotopfer der wichttgste Pfeiler.“

Diese Erklärung ist vom Reicht finanzminister (Zurufe: Reichs⸗ justizminister!) nein, vom Reichsfinanzminister! sie stützt sich mit auf ein Gutachten des Reichsjustizministers! von mir bereits in einer vertraulichen Sitzung dem 10. Ausschuß am 18. Oktober 1919 unterbreitet worden. Ich habe damals gebrten, daß dieser Standpunkt der Reichsregierung, der ein einhelliger ist, in der breiten Oeffentlichkeit nicht bekannt würde. Nachdem aber heute durch eine kurze Bemerkung, durch einen Zwischen⸗ ruf aus dem Hause heraus und durch andere Umstände die Frage akut gewerden zu sein scheint, halte ich es für geboten, von dieser Stellungnahme der Reichsregierung der Nationalversammlung alsbald Kenntnis zu geben, damit diese Stellungnahme auch an diejenigen Stellen gelangt, die vielleic t momentan damit beschäftigt sind, Noten abzufassen, die der deutschen Regierung unterbreitet werden sollen. Ich habe der Erklärung, wie ich sie soeben hier abgegeben habe, nichts weiter hinzuzufügen, als daß diese Erklärung mit voller Absicht der Oeffentlichkeit unterbreitet wird.

Ich will, wie gesagt, auf eine Reihe von Bemerkungen, welche die beiden Herren Vorredner an die Vorlage geknüpft haben, jetzt nicht weiter eingehen. Nur auf zwei Fragen will ich antworten.

Der Herr Abg. Keil hat geftagt, nann denn das Gesetz uͤber die Besteuerung der Akttengeselschaften und der loten Hand den gesetzgebenden Körperschaften unterbreitet würde. Diese Gesetzesvorlagen sind im Finanzministerium in ein einheitliches Gesetz zusammengefaßt, das ich als ein Körperschofts⸗ steuergesetz bezeichnen möchte. Dieses Gesetz wird noch im Laufe dieses Monatz veröffentlicht werden, und ich hoffe, daß es mir auch möglich sein wird, noch im Laufe des Dezember die Stellungnahme des Reichs ats herbeizuführen, daß Ihnen also, bevor Sie in die Ferien gehen, das Gesetz bereits zugegangen sein wird. Die Wr⸗ öffentlichung des Gesetzes selbst kann ich für den Lauf des Monats Dezember zusagen, so daß auch diese Gesetzesvorlage alsbald Ihrer Erwägung und Beratung unterbreitet werden wird.

Wenn dann der Herr Abg. Zehnter sich über die 168 Minister, welche in Deutschland regieren, und über die mehreren hundert, vielleicht zweitausend Parlamentarier, die in Deutschland mit⸗ regieren die stehen noch daneben geäußert hat, so kann ich dieren Ausführungen von Herten zustimmen und ich kann nur wünschen, daß in allen Teil n des Reiches die Konsequenzen aus diesen Dar legungen des Herrn Abgeordneten Zehnter gezogen werden möchten (Sehr gut! im Zentrum und bei den Soz.) Mit ihm stebe ich auf dem Standrunkt, daß man hier nicht nur Klagen vorzubringen hat sondern auch die Kor sequenzen aus diesen Tatsachen zu ziehen haber wird. (Erneute Zustimmung.) Jedenfolls wire der Herr Abge⸗ ordnete Zehnter in diesen seinen Bestrebungen die Reichsregierung mit aller Entschiedenheit auf seiner Seite finden. Ich habe mich darüber gefreut, daß er diese Darlegungen hier in der National⸗ versammlung gemacht hat.

Wenn er weiter um nur noch auf das eine einzugehen wünschte, daß der rascheste Abbau der Kriegsgesellschaften erfolge und Maßnahmen bezüglich des Verkaufs von Heeresgut zum Vor⸗ trag gebracht hat, so kann ich dem Hause mitteilen, daß auf meinen Antrag hin das Reickskabinett beschlossen hat, daß ein eigenes Abwicklungsamt geschaffen wird, daß die gesamten Ab wicklungestellen des Reiches zusammenfaßt. (Zurufe rechts.) Mit Ihren Zurufen bew isen Sie mir nur, daß Sie die Ver⸗ hältnisse nicht kennen! Es sind doch heute noch 2000 Abwicklungs⸗ stellen im deutschen Vaterlande vorhanden, und kein Mensch wa⸗ Herr über diese 2000 Abwicklungestellen. Jede Kaserne, jedes Re giment hat für sich abgerechnet oder auch nicht abgerechnet, und die Kasernen sitzen heute noch voll von Leuten, die mit den Abrechnungen beschäftigt sind und nach dem Gesetz der Trägheit vielleicht noch im Jahre 1930 abrechnen würden, wenn man nicht von oben herunten eingreifen würde. Um eine Beschleunigung dieser Abrechnungsarbeit herbeizuführen, hat sich eben der Reichsminister der Finanzen von dem Reichslabinett die Ermächtigung erbeten, das Abwicklungsamt zu gründen und zu leiten. Die Zentrale des Abwicklungsamts ist bereits errichtet; ich kann heute schon mittei en, daß ich hoffe, daß die Ab⸗ wicklung nach der persönlichen Seite hin bis zum 1. Aprll, spätestene aber bis zum 1. Mai 1921 vollzogen sein wird. (Bravo! bei den Mehrheitsparteien.)

Was die Abwicklung nach der materiellen Seite hin betrifft, so habe ich bereits dezn volkswirtschaftlichen Ausschuß einen Ent. wurf unterbreitet. (Zurufe von den Dem.: Bereits beschlossen!) Es freut mich sehr, daß die Herren so fleißig gewesen sind und die Beratungen bereits abgeschlossen haben. Hoffentlich ist der Be⸗ schluß so auegefallen, daß der Vorlage zugestimmt wird. (Zustim⸗ mung.) Gut, dann hat also damit das Reichsfinanzministerium die weitere Ermächtigung, daß alles, was an Rechtsansprüchen aus Anlaß des Krieges gegenüber dem Reiche hergeleitet werden kann, nun auch irnerhalb dreier Monate angemeldet werden muß, so daß wir dann das nürde Anfang des Monats März sein ganz genau über⸗ blicken können, was uns der Krieg gekostet haben wird, und in der Lage sind, die gesamte Liquidation des Krieges zu vollziehen. Auch nach der Ricktung hin kann ich also dem Herrn Abgeordneten Zehnter erkläten, doß die Reichsregierung bereit und gewihlt ist, dank der Unte stützung der Nationalversommlung durch den gestern gefaßten Beschluß, mit aller Entsch edenheit darauf zu dringen, doß die Ab⸗ wicklungsgeschäfte aus Anlaß des Krieges mit größter Beschleunigung durchgeführt werden. Daraus wird allerdings eine wesentliche Er⸗ fyarnis fliesegʒ (Bravo! bei den Mehrheitsparteien.)

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r erheben lassen, rechtlich auch auf alle

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Abg. Dr. Dernburg (Dem.): Die Einnahmen müssen mit den Ausgaben gect in Einklang gebracht werden, damit die Notenpresse zur Ruhe kommt. Der große unbekannte Faktor, der hier im Mittelpunkt Lteh. ist der Friedensvertrag. Aus dem Ernst, mit dem wir steuerlich gegen uns selbst vorgehen, müßte die Entente ersehen, daß wir den Friedensvertrag erfüllen wollen. Die Hoffnungen der Sozialdemokraten auf die Internationale ist trügerisch gewesen. Ganz Deutschland muß zusammenstehen und sich gegen die Hetatur der Minderheit wehren, wie sie dieser Tage in Leipzig 85 beschlossen worden ist. Eine Produktion ist gegenwärtig nur möglich, wenn das Kapital Betriebsmittel zur Verfügung stellt. Je stärker die Notenpresse arbeitet, desto weniger wird geleiste Die Reichseinkommensteuer halten wir nach Absicht und Aufbau für zweckmäßig. Die Kriegsgewinnler und noch mehr die Revolutions⸗ ewinnler müssen auf das stärkste herangezogen werden. Das keichsnotopfer darf erst dann erhoben werden, wenn über die Ab⸗ sichten der Entente 1 Klarheit besteht. (Sehr richtig!) Dieses Reichsnotopfer ist ein Hauptgrund gewesen für die Steuer⸗ flucht ins Ausland. Aus unserer Malutanot können wir nur heraus⸗ kommen, indem wir dafür sorgen, daß uns das Ausland mehr schuldet als wir ihm. Erfolgt dies nicht, so folgt der Kapitalflucht auch die Menschenflucht. Die Steuermoral muß gebessert werden. Auf Aus⸗ landkredite können wir zurzeit nicht rechnen. Das neutrale Ausland hat kein Geld, die Mittel unserer Feinde sind noch beschränkter. Auf den guten Willen des amerikanischen Volkes, uns mit einer Anleihe zu helfen, bitte ich keine allzu großen Hoffnungen zu setzen. Wir müssen allein aus unserer Not herauszukommen suchen, und ich habe das feste Vertrauen, daß uns dies gelingen wird. Die Fundierung unserer scbehenben Schuld ss eine auptaufgabe für die Wiederaufrichtung unserer Währung. enn es uns nicht elingt, unsere Valuta zu heben, so werden wir von selbst auf en Punkt kommen, wo es uns nicht mehr möglich sein wird, unseren Verpflichtungen der Entente gegenüber nachzukommen. Hoffentlich wird die Prämienanleihe von Erfolg begleitet sein. Es hat keinen Zweck, mit dem Reichsnotopfer die kapitalkröftigen Leute zu kränken, wenn sie wissen, daß sie die einzigen Leute sind, die die Hunderte von Milliarden aufbringen können. Es kommt darauf an, daß wir auch eine zufriedene Arbeiterschaft haben. Wir müssen alle ohne Unterschied der sozialen Lage mehr arbeiten. Ich hoffe, daß das Volk einsichtig genug sein wird, um erhöhte Arbeit auf sich zu nehmen. Wollen wir caber eine einsichtige Arbeiterschaft haben, so müssen wir ihr auch mehr Einblick in den Produktionsprozeß geben. Das Ver⸗ hältnis zwischen Unternehmern und Arbeitern muß das denkbar beste sein. Ferner mussen wir unseren Arbeitern Schutz gegen den Terror gewähren. Grundsätzlich sind rir auch mit der Ueberführung von Be⸗ trieben in die Gemeinwirtschaft einverstanden. Die Luxusbesteuerung darf nicht übermäßig sein, denn sonst müßten Ausgaben für die Kunst, die Bildung, für Reisen, für Erziehung im Auslande und andere Aus⸗ gaben, die dem Gemeinwohl zugute kommen, unterbleiben. (Sehr richtig!) Dadurch würde der Wettbewerb um die geistige Fühtung in der Welt uns unmöglich gemacht werden. (Sehr richtigt) Wir behalten uns unsere Stellungnahme zu den Gesetzenrwüufen im einze nen vor. Eine Ueberspannung der Vereinheitlichung im Reiche würde nicht ohne erhebliche politische Bedenken sein. (Sehr richtig!) Neben dem neuen Reiche haben wir auch ein neues Preußen. Ohne Preußen geb es kein altes Reich und gibt es auch kein neues. (Sehr richt !) Die Mängel in Preußen sind bekannt, es hat keine moralischen Errberungen gemacht, aber seine Grundlagen waren seine Pflichttreue und seine Kraft. (Sehr richtigt) Gerade ich, der ich kein Preuße din, fühle mich veranlaßt das auszusprechen. Ich kenne dieses Land, habe in seiner gesetzgebenden Versammlung mitgearbeitet, habe lange darin ge⸗ ebt und liebe dieses Land. Wir wollen den Unitarismus foördern, aber nicht den Zentralismus. In diesem Sinne werden wir an den Vor⸗ lagen mitarbeiten, deren Tendenz rir gern anerkennen. Wir werden uns in die Einzelbestimmungen des Einkommensteuergesetzes binein⸗ arbeiten, wir erkennen das Prinzip vollkommen an, müssen uns aber die Stellungnahme vorbehalten. Wir betrachten diese Steuergesetze als werwolle Bausteine für den Bau der deutschen Reichsfinanzen, die Verbindungsteile werden unschwer zu finden sein. Ob die erwarteten Erträge wirklich einkommen werden, können wir noch nicht überseben. Unsere Pflicht ist es, im Interesse unseres geliebten Landes Opfer⸗ freude zu bekunden, das ist die Pflicht der Stunde. (Beifall lihks.) Darauf wird die Weiterberatung auf Sonnabend, 1 Uhr, vertagt. (Vorher erste Lesung eines Ergänzungsgesetzes zum

Gesetz über die Bezahlung der Zölle in Gold)

Prenßische Landesversammlung

91. Sitzung vom 5. Dezember 1919. (Boricht des Nackrichtenbüros des Vereins deutscher Zeitungsverleger“*).)

Am Regierungstische: Der Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung Haenisch.

Präsident Leinert eröffnet die Sitzung um 1114 Uhr.

Auf der Tagesordnung stehen zunächst kleine Anfragen.

Abg. Koch (D. 89 fragt nach den Maßnahmen zur Be⸗ seitigung der Notlage der jungen Regierungs⸗ baumeister, die im Felde gestanden haben.

„Ein Vertreter der Regierung gibt eine sehr aus⸗ führliche Darstellung der Verhältnisse dieser Regierungsbaumeister, wonach diejenigen, die nicht im Staatsdienst unterkommen könnten, zwar den Titel des Regierungsbaumeisters erhielten, jedoch keine An⸗ wartschaft auf Anstellung im P astenierf hätten. Den Kriegsteil⸗ nehmern sei die Frist, innerhalb welcher sie ausscheiden müßten, ver⸗ längert worden; sie werden nach Möglichkeit in Privatbetrieben unter⸗ gebracht.

Abg. Haseloff (D. Nat.) fragt an, warum den pensio⸗ nierten Beamten und Volksschullehrern die am 2. Oktober vom Hause bewilligten Beschaffungsbeihilfen noch nicht ausgezahlt seien.

Ein Regierungsvertreter erwidert, daß die Schul⸗ verbände angewiesen seien, die Beihilfen zu gewähren, und daß ihnen die Zuschüsse dazu alsbald überwiesen werden würden. Es sei alles, was zurzeit möglich sei, zur Beschleunigung der Zahlung der Bei⸗ hilfen geschehen.

Abgg. Dr. Struve (Dem.) und Genossen fragen nach den Vorbereitungen während des Winters zur Verstärkung der Torfgewinnung im Jahre 1920.

„Ein Regierungsvertreter antwortet, daß nach Möglich⸗ keit Maschinen beschafft seien, daß aber die Torfgewinnung auch von der Arbeiterfrage abhänge. Zurzeit seien die Landarbeiter noch mit unaufschiebbaren Landarbeiten beschäftigt. Im Mai und Juni würde aber die Torfgewinnung in Angriff genommen werden, zu dieser schweren Arbeit eigneten sich aber städtische Arbeiter nicht.

8 eine Anfrage wegen der Pensionierung des Land⸗ rats Brämer in Oletz ko, die nach dem Wortlaut der Anfrage von den meisten Kreiseingesessenen als eine ganz unverständliche Maß⸗ nahme der Regierung, als ein Akt grenzenloser politischer Unklugheit, als ein Schlag ins Gesicht empfunden wird, erklärt ein Regie⸗ rungsvertreter, daß die Versetzung des Landrats in den Ruhe⸗ stand Fecdee wegen des Gesundheitszustandes des Landrats er⸗ olgt sei. 1 Auf eine Anfrage der Demokraten betreffs der einst⸗ weiligen Pensionierung der über 60 Jahre alten Beamten im Abtretungsgebiet erklärt ein Regie⸗ rungsvertreter, daß in der Maßnahme des Finanzministers eine Härte nicht zu erblicken sei, da die betreffenden Beamten sämtlich

ihr Höchstgehalt bereits erreicht hätten und ihre Bezüge unverkürzt bis über das 65. Lebensjahn hinaus gesichert seien.

*) Mit Ausnahme der Reden der Herten Mtnister, die im Wortlaute wiedergegeben werden G

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werks heim 1 Belgien, beantwortet ein

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Die Beantwortung einer weiteren Frage ergibt, daß die Ver⸗ handlungen über die Sicherstellung der orderung deuts. Er,Bls sga Feese sst” qabzutreten⸗ den Gebieten noch nicht abgeschlossen sind. 8

Abg. Budjuhn (D. Nat.) fragt nach dem Fortbhestand

und der Verlegung der Kaiser Wilhelm⸗Anstalt für

Landwirtschaft in Bromberg. Ein II vertreter erklärt, daß sich das Schickfal dieser Anstalt zurzeit noch nicht absehen lässe. , 7 Eine weitere Anfrage, betreffenr Beteiligung des Hand⸗ Wiederaufbau in Nordfrankreich und Kommissar dahin, daß die Vor⸗ arbeiten im Reichswirtschaftsministerium zurzeit noch nicht abge⸗ schlossen seien. Auf die Anfrage des Abg. Sommer (Dem.), was die Regierung zu tun gedenkt, um die Rechte der Lehrer an Privatschulen sicherzustellen, wird seitens des Regierungsbertreters eine entgegenkemmende Erklärung abgegeben. Eine Anfrage der Abg. Frau Dönhoff (Dem.) denangt Aus⸗ kunft darüber wie viele Frauen im letzten Jahre als Unterstaate⸗ sekretäre, Ministerialdirektoren und vortragende Rate angestellt worden sint. . Die Antwert des Regierungsdertreters besagt: Unter diesen Perfönlichkeiten befindet sich keine Frau. Diese Tatsache kann aber ernstlich nicht befremden und spricht auch nicht gegen die ernste Absicht der Regierung, die verfassungsmäßige Geichstellung der Ge⸗ schlechter und die Beseitigung von übrigens noch nicht zutage ge⸗ tretenen Widerständen tatsächlich durckzuführen. Diese Stellen werden nur von einem gänz geringen Bruchteil der Beamten nach jadr⸗ ehntelanger Tätigkeit erlangt. Erfahrungen zu sammeln bietet die Regierung einer ganzen Rele von Frauen beréits Gelegenheit.

Auf die Anfrage des Abg. Dr. Rosenfeld (IlI. Soz.), ob der rektor Muntau vom Straff gefängnis Ploétzensee trotz der

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ich gegen ihn immer wieder erneuernden Beschwerden weiter im Amte

1- belassen werden soll, wird von der Regierung erwidert, daß bisber zu einem Einschreiten bein Anlaß gegeben ist.

Damit sind die kleinen Anfragen für heute erledigt. Das Haus setzt die Beratung des Haushalts des Ministe⸗ ums für Wissenschaft, Kunst und Volksbil⸗ 1 fort und nimmt die gestern beim Abschnitt „Kunst und

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senschaft“ begonnene allgemeine Besprechung wieder

Abg. Dr. Ritter (D. Nat.): Da uns der feste Menschentop fehlt, wie ihn der Amerikaner, der Engländer und der Franzose ver⸗ körpert, ist es nötig, von innen heraus ein neues Gefüge zu schaffen. Die deutsche Kunst ist in erster Linie dazu berufen, das deutsche Wesen von neuem aufzubauen und auch im Auslande die alte Be⸗ deutung wiederzugewinnen. Schon daraus ersuht man, eine wie große Bedeutung der Kunst und Wissenschaft für unser deursches Vaterland beigemessen werden muß. Wenn uns nun klar ist, welche gewaltige Aufgabe gerade die Kunst als Gestaltung des lebenden Ausdrucks unseres inneren Wesens hat, so äst ohne weiteres ersichtlich, daß sich das deuische Volk auf dem Boden eines gemeinsamen geistigen Lebens zusammenfinden muß. Es ist zu begrüßen, daß jetzt in der Kunst⸗ abteilung ein gewisser Zusammenhang aller Zweige sich anzubahnen scheint. Besonders begrüße ich, daß die Musik ein selbständiges Referat in dieser Kunstabteilung gefunden hat. Die deutschen Ge⸗ sangvereine, und besonders die deutschen Männergesangvereinc, sind immer die Träger des deutschnationalen Gedankens gewesen. In der Beziehung erwarten wir guch in den besetzten Gebieten von ihnen die Aufrechterhaltung des deutschen nationalen Empfindens. (Sehr richtig! rechts.) Es muß aber auch möglich sein, den Schulen einen Furh Musikunterricht werden zu lussen. Unsere Domchbre haben schon sehr Erfreuliches geleistet. Dringend notwendig ist aber, das Referat für Kunst einem Künstler zu übertragen. Einen Unter⸗ schied zwischen allgemeiner deutscher Kuͤnst und proletarischer Kunf künstlich herbeizufabren, muß ich sehr verurteilen. ECbenso ver⸗ werflich ist es, das demokratische Prinzip auch auf die Kunst zu über⸗ tragen. Die Kunst muß frei sein und den breiten Volksschichten das Verständmis für wahre Kunst und für Kitsch beigebracht werden. Dies ist am besten möglich durch Ausbildung der Sinne. Wenn es dem deutschen Volke gelingt, wieder wie früher wirkliche Qualitäts⸗ arbeit zu leisten, wird es uns auch wieder möglich sein, auf dem Weltmarkte unsere frühere Stellung einzunehmen. Hinsichtlich der Thegtoer wäre die Schaffung eines Nationaltheaters das beste. Sehr zu begrüßen wäre es auch, wenn unsere Hostbeater sich als Wander⸗ bühnen betätigten und so dem deutschen Volke wahre Kunst zugäng⸗ lich machen würden. Viele Theaterstücke lassen heute sehr dem guten Geschmack vermissen. In erster Line ist natürlich die Aufführung deutscher Theaterstücke notwendig. Auch hier ist unbedingt die Schaffung von Quglitätsmware am Platze. Durch deutsche Kunst und Wissenschaft muß es gelingen, den Versuch der Feinde, uns systematisch tor zu machen, zu vereiteln. Unseren Wissenschaftlern muß, da der Ankauf gelehrter Buͤcher hbeute kaum noch erschwinglich ist, in den Bibliotheken durch eine bessere Anordnung als früber die Möglichkeit gegeben werden, ihre Kenntnisse zu vertiefen, und sie zum Nutzen des deutschen Volkes zu verwerten. Soll also die Kunst der Ausdruck des gesamten deutschen Volksbewußtseins sein, dann müssen alle Gegen⸗ satze verschwinden; de Kunst soll uns vereinen und uns ermöglicken, den deutschen Glauden wiederzufinden, in dem wir alle einig sind. (Beifall dechts.)

Unterstaatssekretär Dr. Becker: Man hat s. Zt. in Weimar versucht, ein eigenes Kunstministerium zu gründen. Dr. Heß bhielt ein eigenes Unterstaatssekretariat für erwünscht. Wir sind noch be⸗ scheidener, wir wären froh, wenn daraus ein eipenes Direktorat würde. Die engere innere Verbindung zwischen Kunst und Wissenschaft ist ja in den Museen gogeben, ihre wissenschaftliche Betätigung ist in der Vergangenheit ganz hervorragend gewesen. Die wissenschaftlichen Fragen werden beim Universitätsetat näber zu erörtern sein. Was die Kunstfrage betrifft, so enmfindet die neue Regierung das Be⸗ dürfnis, einmal grundsätzlich die Einstellung des Ministeriums auf die großen Probleme des Verhältnisseos von Kunst und Künstler und von Kunst und Volk ehwas zu beleuchten. Von allen Bureaukratien in Preußen hat vielleicht die des Kultüsministeriums die enaste Fühlung mit dem sebendigen Leben. Das Kultusministerium steht gleichsam als das künstlerische Gewissen der Regierung da und stellt nicht die bürokratischen Gesichtspunkte in den Vordergrund. Nun hat sich die staatliche Baukunst der letzten Jabrzehnte nicht von künstlerischen Gesichtspunkten bestimmen lassen. Worauf ist der tatsächliche Rück⸗ gang seit Schinckel und seinen Schülern, worauf der so außerordenilich

schwankende prcotzige Stil gerade nach 1870/71 zurückzuführend War

es wirklich nur der Einfluß des damaligen Kaisers? Es heißt doch die Küehe in falschem Lichte sehen, wollte man annehmen, daß sich eine noch so. hochstebende Persönlichkeit auf künstlerischem Gebiete so hätie durcksetzen können. Der Grund liegt vielmehr in einer Ent⸗ wicklung, die vielleicht bis in die Zeit Friedrichs des Großen zurück⸗ greift, die sich durckgesetzt hat und Tradition geblieben ist, seit der Gedanke, die Bauakademie zur Kunstakademie zu erheben, die amt⸗ liche Baukunst auch wirklich künstlerisch durchdringen zu lassen, von der Regierung abzelehnt wurde, so daß diese Baukunst aus dem Rabhmen der Künste losgelost und in den Rahmen der Technik über⸗ fübrt wurde. Die Bankunst, die höchste der Künste, wurde schließlich guf diese Weise durch die Tochnische Hochschule vertreten. Diese so. verhängnisvolle Ennvicklung moglichst wieder rückgängin zu machen, ist nicht erva eige Tat des Nessortortikularismus.⸗ Außer in Berlin ist schon auch in Dusseldorf und Breslau durch ganz hervorragende Architekten eine Vermiktlung zweischen der Kunst und der Architektur kerheigeführt und die Ueberbrückung der hier

Flafsenden luft nagchahnt worden. Aber leider vwollziehen sich gegenwärtig in Preußen uhd im Reichs zuch poch andere Verände⸗ kunges ertsofern, als man die neur Kunft jn Prkunft nicht mur eitem kechnischen Ressort, sondern nuch dem Finanzressort unterstellen will, das bedeutet eine ganz neue ig des künstlerischen

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